Das goldene Ei
Die Matrix der Wirklichkeit im Märchen
Ein Schlüssel zum Verständnis der Welt ist in unseren Märchen versteckt
Wie ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichts seine Farben aufspannt, so entfaltet der menschliche Geist seine Gestalt im Spiel der Phantasie nach eigenen,...
Wie ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichts seine Farben aufspannt, so entfaltet der menschliche Geist seine Gestalt im Spiel der Phantasie nach eigenen,...
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Produktinformationen zu „Das goldene Ei “
Ein Schlüssel zum Verständnis der Welt ist in unseren Märchen versteckt
Wie ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichts seine Farben aufspannt, so entfaltet der menschliche Geist seine Gestalt im Spiel der Phantasie nach eigenen, verborgenen Regeln. Seit Anbeginn der Zeiten erzählen uns Märchen und Mythen von dieser "phantastischen Matrix", die unserer Wirklichkeit zugrunde liegt. Haben uns diese alten Geschichten heute noch etwas zu sagen? Ist es möglich, in ihnen eine Struktur zu entdecken, die uns verstehen lässt, wie Geist und Kosmos funktionieren? Pia Mayer-Gampe liefert mit diesem Buch den schlüssigen Beweis. Sie lädt uns ein zu einer Reise durch die Zauberwelt der Märchen und Mythen, die sie in Beziehung setzt zur nüchternen Logik der Naturwissenschaften und den Gesetzmäßigkeiten unserer modernen Wirtschaftswelt. Sie lässt uns Grenzen des Denkens und Fühlens überschreiten und führt uns schließlich zurück - zu uns selbst. Der Autorin ist nichts Geringeres gelungen als die Kartierung einer DNA archetypischer Kräfte, die scheinbar mühelos die Dualität von Geist und Materie überwinden und in der Frau Holle und Luke Skywalker ebenso ihren Platz finden wie Charles Darwin und John Maynard Keynes. Ein großartiges Werk, das Scharfblick und Analyse mit Poesie vereint und uns die Welt in einem neuen Licht sehen lässt.
Wie ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichts seine Farben aufspannt, so entfaltet der menschliche Geist seine Gestalt im Spiel der Phantasie nach eigenen, verborgenen Regeln. Seit Anbeginn der Zeiten erzählen uns Märchen und Mythen von dieser "phantastischen Matrix", die unserer Wirklichkeit zugrunde liegt. Haben uns diese alten Geschichten heute noch etwas zu sagen? Ist es möglich, in ihnen eine Struktur zu entdecken, die uns verstehen lässt, wie Geist und Kosmos funktionieren? Pia Mayer-Gampe liefert mit diesem Buch den schlüssigen Beweis. Sie lädt uns ein zu einer Reise durch die Zauberwelt der Märchen und Mythen, die sie in Beziehung setzt zur nüchternen Logik der Naturwissenschaften und den Gesetzmäßigkeiten unserer modernen Wirtschaftswelt. Sie lässt uns Grenzen des Denkens und Fühlens überschreiten und führt uns schließlich zurück - zu uns selbst. Der Autorin ist nichts Geringeres gelungen als die Kartierung einer DNA archetypischer Kräfte, die scheinbar mühelos die Dualität von Geist und Materie überwinden und in der Frau Holle und Luke Skywalker ebenso ihren Platz finden wie Charles Darwin und John Maynard Keynes. Ein großartiges Werk, das Scharfblick und Analyse mit Poesie vereint und uns die Welt in einem neuen Licht sehen lässt.
Klappentext zu „Das goldene Ei “
Ein Schlüssel zum Verständnis der Welt ist in unseren Märchen verstecktWie ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichts seine Farben aufspannt, so entfaltet der menschliche Geist seine Gestalt im Spiel der Phantasie nach eigenen, verborgenen Regeln. Seit Anbeginn der Zeiten erzählen uns Märchen und Mythen von dieser phantastischen Matrix , die unserer Wirklichkeit zugrunde liegt. Haben uns diese alten Geschichten heute noch etwas zu sagen? Ist es möglich, in ihnen eine Struktur zu entdecken, die uns verstehen lässt, wie Geist und Kosmos funktionieren? Pia Mayer-Gampe liefert mit diesem Buch den schlüssigen Beweis. Sie lädt uns ein zu einer Reise durch die Zauberwelt der Märchen und Mythen, die sie in Beziehung setzt zur nüchternen Logik der Naturwissenschaften und den Gesetzmäßigkeiten unserer modernen Wirtschaftswelt. Sie lässt uns Grenzen des Denkens und Fühlens überschreiten und führt uns schließlich zurück zu uns selbst. Der Autorin ist nichts Geringeres gelungen als die Kartierung einer DNA archetypischer Kräfte, die scheinbar mühelos die Dualität von Geist und Materie überwinden und in der Frau Holle und Luke Skywalker ebenso ihren Platz finden wie Charles Darwin und John Maynard Keynes. Ein großartiges Werk, das Scharfblick und Analyse mit Poesie vereint und uns die Welt in einem neuen Licht sehen lässt.
Lese-Probe zu „Das goldene Ei “
Wie sich ein Strudel nach den Gesetzmäßigkeiten des Wassers bildet oder ein Regenbogen gemäß der Natur des Lichtes seine Farbfolge aufspannt, so entfaltet sich der menschliche Geist im Spiel der Phantasie nach seinen eigenen, verborgenen Regeln.Mag uns der Inhalt von Märchen und Mythen, Fantasy und Utopien willkürlich erscheinen, mit Zaubern und anderen Unwahrscheinlichkeiten durchsetzt, die Struktur des Geistes, der sie ersinnt, ist es nicht. Während er die Helden und Heldinnen durch seine erfundenen Welten schickt, markiert er in der Schrift der Symbole denselben Weg, auf dem er alltäglich reale Welten erschafft.
Folgen wir diesen Zeichen und kartieren die Wanderungen der Gestalten, so finden wir in jenen Geschichten, die uns mit ihrem schöpferischen Spiel fesseln und stimmig erscheinen, diesen unsichtbaren Globus, die verborgene Matrix des menschlichen Geistes.
Die Struktur zeigt, wie wir und unsere Welt untrennbar verwoben sind auf eine uralte Weise, die wir mit allen Menschen, ja allem Lebendigen teilen, und wie in diesem Verweben unablässig Leben und Wirklichkeit entstehen. Diese Matrix ist unverändert vital, und wenn wir sie erst einmal erkannt haben, werden wir sie nicht nur in alten Märchen, sondern auch in neuen Phantasien wiederfinden. Ja, es scheint, als ob sie sich mit Vergnügen der Drehbuchschreiber Hollywoods bemächtigt und sich der unbegrenzten Möglichkeiten der Computeranimation bedient.
Befreit aus dem Käfig der Zweckmäßigkeit und Rationalität beschreibt die Kreativität sich selbst. Spielerisch verknüpft sie Innen- und Außenwelt, überwindet leichtfüßig den Dualismus von Körper und Geist und den scheinbaren Gegensatz von Subjekt und Objekt. Indem sie phantastische Welten erschafft, verrät sie, wie die ganz gewöhnliche entsteht.
Die Struktur ist einerseits einfach, andererseits von einer solchen Aussagekraft, dass mir ihre Benennung schwer fällt. In einer Nottaufe habe ich sie zunächst ie "Stülp" genannt, da sie - wie wir noch sehen
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werden - in ihrer Mitte gleichsam umgestülpt ist und sich dieser Begriff als "the Warp" gut ins Englische übertragen lässt. Der Stülp verdient bessere und poetischere Namen, aber im Folgenden wird dieses Wort genügen, um uns zu verständigen.
Die wichtigste Voraussetzung für den Leser ist die Bereitschaft, simultan mit "beiden Hirnhälften" zu arbeiten, Bilder und Logik, Form und Sprache gleichzeitig einzusetzen. Der Lohn für diese oft ungewohnte Mühe ist die prickelnde Aufregung des Entdeckers, wenn unter Mythen und Märchen eine Struktur auftaucht, die so fasziniert wie die Silhouette eines Meerungeheuers unter der Wasseroberfläche; und wenn wir es erjagt haben, werden wir sehen, dass wir selbst unsere Beute sind.
Als ich vor nun bald vierzehn Jahren anfing, mit den Grimm'schen Märchen zu arbeiten, war ich keineswegs auf der Suche nach einer besonders tiefsinnigen Angelegenheit. Ich war dabei, eine forstpolitische Dissertation über Frauen und Wald in Deutschland zu schreiben, und plante dazu einen kleinen Exkurs über tiefenpsychologische Zusammenhänge. Doch es sollte mir gehen wie jenen, die in den Märchen einem goldenen Ei nachjagen. Die Reise ist lang, aufregend und wundersam; und letztlich hält man nicht das goldene Ei in den Händen, sondern ein ganzes Königreich.
Inspiriert vom strukturalen Ansatz der Anthropologie und geprägt vom Denken der Förster, verfiel ich auf die Idee, die Märchenlandschaften zu kartieren, um die Lage der Märchenwälder zwischen all den Märchenschlössern, Bergen, Gewässern und so weiter zu erfassen.
Tatsächlich erwies es sich, dass diese Landschaftssymbole nicht willkürlich angeordnet sind, und über alle Märchen hinweg wurde langsam eine Form sichtbar, die ich zwar erahnte, aber mit meinem Schulwissen nicht greifen konnte. Schließlich fand ich in Professor Steinlein einen ebenso begeisterten wie geduldigen Mathematiker, der mir die Zeughäuser seiner Wissenschaft öffnete, als einer Disziplin nicht von Formeln, sondern von Beziehungen und Transformationen. Mit seiner Hilfe konnte ich den seltsamen Globus der Märchen schließlich beschreiben.
Schon aus Gründen des Respekts für die mathematischen Werkzeuge, die mir zur Verfügung gestellt wurden, muss ich sie präzise darstellen. Es wird in diesem Buch aber nicht um ungeliebte Rechenaufgaben gehen und nicht um seltsame Kürzel, die sich vor und hinter einem Gleichheitszeichen verklumpen. Es geht um die Logik von Form und Bewegung. Doch weiß ich, dass viele Leser schon beim Wort "Mathematik" in Panik verfallen; und wenn irgendwo ein Punkt mit drei Koordinaten auftaucht, blockiert der stumme Schrei "Das versteh ich nicht!" schon jede weitere Kommunikation.
An diesen gefährlichen Stellen der Pilgerschaft werde ich darum die gesuchte Form zunächst möglichst einfach mit Worten beschreiben. Mit diesem Bild, wie einem schützenden Amulett ans klopfende Herz gepresst, mag der Leser dann mit Anlauf über das dünne Eis der folgenden Erläuterung schlittern. Auf der anderen Seite wird der Weg dann lieblicher weitergehen.
Der erste Teil des Buches dient der Kartierung und Erläuterung des Stülp.
Wir beginnen das Abenteuer in den Märchen der Brüder Grimm, weil die Symbole, die Wegweiser auf diesem verborgenen Globus, dort sehr übersichtlich verwendet sind.
Es ist üblich, Märchen als Darstellung psychologischer Entwicklung aufzufassen. Jedoch bezieht sich der Dreierschritt des Märchens - drei Aufgaben für den Helden zu lösen, drei Tänze mit der unbekannten Prinzessin usw. - auf alle drei Ebenen unseres Seins: auf Körper, Energie und Geist.
Wenn wir verstehen lernen, dass auch der Körper in diese Geschichten einbezogen ist, offenbaren sich viele Märchen als verblüffend präzise Darstellung biologischer Entwicklung. Im Werden und Vergehen ihrer Gestalten umreißen sie die Struktur der Evolution.
Das Erkennen und Verstehen dieser Landkarte könnte für unser Selbstverständnis so wesentlich sein wie die Entdeckung der genetischen Doppelhelix. Sie zerschlägt die Vorstellung vom Lebewesen als biologischer Maschine und verbindet den Organismus und seine Welt zu einer lebendigen Einheit.
In diesem Sinne soll der zweite Teil des Buches die Geschichte der Evolution aus der Sicht des Stülp neu erzählen und diese Sicht mit alten und neuen Schöpfungsmythen vergleichen.
Weil der Stülp die Bereiche von Körper, Energie und Geist umfasst und miteinander verschränkt, wird es bei der Interpretation unvermeidlich sein, interdisziplinär zu denken und zu argumentieren. Und damit setzt man sich zwischen alle Stühle.
Die akademischen Claims der Fachgebiete sind abgesteckt, und über die Jahre hinweg musste ich lernen, mit wie vielen Minen und Fußangeln die Grenzstreifen gespickt sind. Schon zum Beispiel das Wort "Evolution" ist aus geschichtlichen Gründen bei den Völkerkundlern mit ganz anderen Vorstellungen behaftet als in der zeitgenössischen Biologie. Und hätten Sie gewusst, dass Theologen mit Psychologie meist nicht so gerne zu tun haben?
Leute ihres jeweiligen Faches werden mich wahrscheinlich in Einzelheiten kritisieren. Ich bin aber davon überzeugt, dass es sich lohnt, über alle Bäume hinweg den Wald im Auge zu behalten. Der Stülp kann den Biologen zu einer erweiterten Sicht auf die Evolution inspirieren, dem Physiker ein interessantes Modell für die Darstellung der Zeit vorschlagen, dem Neurologen eine Theorie des Bewusstseins bestätigen, den Theologen zu einer Idee zum Verhältnis von Welt und Transzendenz anregen und jedem Menschen ein Gefühl für die eigene Würde zurückgeben.
Und nicht zuletzt öffnet der Stülp die Tür zu Blaubarts dreizehnter Kammer, zum eigentlichen Tabu unserer Gesellschaft: Er berührt die immer wieder verleugnete Verbindung zwischen der Theorie, wie das Leben funktioniert, mit der Theorie, wie unsere Wirtschaft funktioniert. Denn der Stülp stellt die Existenz und Entwicklung des Lebendigen dar als ein System, das befeuert wird von der Anziehung und dem Austausch von Werten.
Wirtschaftswissenschaften und Biologie leben seit dem 19. Jahrhundert in einer wilden Ehe: Sie streiten vehement ab, offiziell liiert zu sein, benutzen aber denselben Kleiderschrank. Sie leihen sich gegenseitig ihre Formulierungen wie: Eine Tierart ist "konkurrenzfähig", eine Firma besetzt eine "Marktnische", der im Schatten dösende Löwe "spart Energie", das Unternehmen ist "überlebensfähig", "angepasst" und so weiter.
Dass Darwin von den Ideen des Sozioökonomen Malthus beeinflusst war, ist bekannt. Spätestens seit dem Dritten Reich ist aber klar, dass der Sozialdarwinismus eine inhumane Gesellschaftsform hervorbringt. Die Anwendung darwinistischer Ideen auf das menschliche Zusammenleben gilt seitdem gelinde gesagt als unfein.
Andererseits lässt der entfesselte Kapitalismus auf dem Planeten eine Spur der Verwüstung hinter sich, die das Überleben des Stärksten und Raffgierigsten langfristig zur Farce macht. Dass also die Anwendung der heutigen Wirtschaftsdoktrin auf biologische Systeme nicht funktioniert, ist evident.
Infolgedessen ist der gängige Ausweg der Scientific Correctness,1 beides säuberlich getrennt zu halten: hier der Mensch und seine sozial mehr oder weniger gebremste Wirtschafts- und Gesellschaftsform, dort das Überleben der tüchtigsten Darwinfinken im Kampf aller gegen alle. Und so gestatten wir Darwinismus und Kapitalismus, dieser uralten Sandkastenliebe des kolonialen England, so zu tun, als kennten sie einander nicht, während sie sich ständig die Stichworte von der natürlichen Gier, der endlosen Vermehrung und vom Überleben des Tüchtigsten zuflüstern.
Diese hoch wirksame Symbiose möchte ich den "darwino-kapitalistischen Komplex" nennen. Von den Zinnen seiner mythischen Festung ruft uns eine kalte Stimme entgegen: "Das Leben ist eben so!"
Der Stülp gibt sich gar nicht erst damit ab, diese Mauern zu berennen. Er steckt einfach seinen Claim weit außen herum. Konkurrenz, Verdrängung, hemmungslose Vermehrung können sich auf seinem Globus abspielen, aber sie sind nicht die Kräfte, die ihn formen. Er entsteht vielmehr durch das Erkennen von Werten und ihrem Austausch, durch Beziehung und Anziehung.
Das alles ist nicht völlig neu. Es gibt seit geraumer Zeit wissenschaftliche Arbeiten, die die überragende Bedeutung von Selbstorganisation und Kooperation unter- streichen.2 Dass sie wenig Gehör finden, ist einerseits eine Folge der Trägheit des wissenschaftlichen Apparates, in dem sich Änderungen grundlegender Theorien lange nicht durchsetzen. Andererseits ist es aber auch schlicht eine Frage der gesellschaftlichen Macht. Was passiert, wenn immer mehr Menschen nicht mehr glauben wollen, dass das Leben eben so ist?
Es gibt eine Karikatur, die ich sehr schätze: Am Rand eines Dschungels sieht man eine Tafel. Auf ihr steht: "Sie betreten nun den Dschungel. Bitte beachten Sie unsere Gesetze."
Der Stülp ist die Gliederung dieses Gesetzbuches:
Es sind die Gesetze des Dschungels in uns, die Gesetze unserer Gedanken und Gefühle, unserer Antriebe, unserer Motive, unserer Ängste und unserer Hoffnungen.
Und es sind die Gesetze des Dschungels der Außenwelt, biologische Gesetze, die ungeheuer vielfältiges Leben hervorgebracht haben, dessen Vernichtung wir derzeit hilflos betreiben, weil das Leben halt angeblich so spielt.
Jeder Mensch weiß im tiefsten Grunde, wie das Leben wirklich funktioniert. Er ist ja selbst Leben, und wenn er seiner Phantasie die Zügel lässt, erzählt es gerne von sich. Der Stülp entsteht aus Geschichten und Symbolen, die uns allen vertraut sind, und wir können ihn spontan verstehen.
Ich bedaure, dass ich mir und Ihnen in diesem Buch nicht die Zeit dazu geben kann, die ich selbst hatte, Schritt für Schritt vorzugehen, Erinnerungen wirken zu lassen, Sackgassen zu gehen und wieder zu verlassen, zu zweifeln und zu warten. Ich kann in diesem Buch Märchen und Mythen nicht eingehend behandeln, ich kann nur Beispiele bringen. Ich werde Tatsachen behaupten müssen, die ich nicht ausführlich belegen kann, wie ich es in meiner dreibändigen Dissertation unternommen hatte.3 Ich muss, wie der Anthropologe Lévi-Strauss auch bei seiner Arbeit bedauernd feststellte, vorgehen wie ein Jahrmarktschreier, der ein kleines Maschinchen anpreist.
Ich hoffe aber, Ihnen dennoch einen Geschmack davon geben zu können, dass dies hier kein kleines Maschinchen ist.
Sondern wir selbst.
Teil 1 Der verborgene Globus Grimm und andere Grundlagen Wäre ich gleich zu Beginn meiner Arbeit in die ganze menschliche Fülle der Märchen und Mythen, der Fantasy-Geschichten und Utopien eingetaucht, ich hätte den Stülp wohl kaum finden und beschreiben können. Die Bandbreite der verwendeten Symbole wäre zu groß gewesen und die Art der Darstellungen zu unterschiedlich, um eine gemeinsame Struktur zu erkennen.
Die Märchen der Brüder Grimm sind eine Momentaufnahme aus der mündlichen Überlieferung in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts.4 Indem ich mich zunächst auf sie beschränkte, fand ich einen historisch und geographisch abgegrenzten Satz an Symbolen vor - der Prinz, die Prinzessin, der Wald, das Meer, der Turm etc. -, der einheitlich ist und den man gut überblicken kann.
Dieses klare Symbolsystem erlaubte es, die Wege der Figuren nicht nur zu kartieren, sondern auch zu vergleichen und damit die Landkarte des Stülp zu entdecken.
Ich vermute außerdem, dass es nicht nur die Geschlossenheit des symbolischen Systems ist, sondern auch die von den Brüdern Grimm sorgfältig bewahrte organische Stimmigkeit der ganzen Struktur, die dem Kulturschatz der Grimm'schen Märchen zur internationalen Verbreitung verholfen hat.
Wir müssen uns bei der Jagd nach dem Stülp nicht darum kümmern, ob die eine oder andere Aussage der Märchen einen historischen Kern hat. Es kann schon sein, dass zum Beispiel die vielen Stiefmütter, die die Märchen bevölkern, eine Entsprechung im wirklichen Leben hatten, weil viele Frauen im Kindbett starben und die Männer wieder heirateten. Aber andererseits scheren sich die Märchen herzlich wenig um tatsächliche soziale Verhältnisse, wenn etwa meist der Jüngste das Reich erbt oder wenn das ersehnte Kind unbedingt ein Mädchen sein soll und kein "Stammhalter". Märchen nutzen den Steinbruch der Realität so, wie es ihnen passt, nehmen das eine, lassen das andere liegen und formen manches neu.
är Einige Märchen werde ich als bekannt voraussetzen. Andere erzähle ich in kurzer Form nach.1 Ich hoffe, Sie sind misstrauisch und lesen die Geschichten später im Original, es ist ein sehr lohnendes Unternehmen. Sie werden wahrscheinlich einige davon nicht kennen, denn bei den üblichen Ausgaben des Grimm'schen Werkes handelt es sich meist um eine Auswahl von bekannten Märchen und solchen, die gut ausgehen, Märchen, die man Kindern vorliest und mit denen Psychologen etwas anfangen können. In der Sammlung von zweihundert Geschichten befinden sich aber auch ziemlich düstere, voller Galgenhumor, und nicht zuletzt fast absurde, seltsame Märchen. oft sind es gerade diese kurzen Geschichten, die die Struktur des Stülp sehr bündig und klar zeigen.
Zuletzt noch die Versicherung: Es wird keinem ein Märchen genommen. Nichts wird entzaubert. Im Gegenteil.
Über die Märchen hinaus werden wir aber auch einen Blick auf einige Mythen werfen sowie auf Geschichten aus der Überlieferung der Chippewas, eines Indianerstamms im mittleren Westen der USA.5 Sie zeigen uns nicht nur die überkulturelle Gültigkeit des Stülp, sondern auch faszinierende Variationen in seiner Beschreibung.
Und nicht zuletzt gilt es, die "gute alte Zeit" zu verlassen und die bis heute ungebrochene Gestalt, Einheit und Vitalität des kreativen Geistes zu entdecken.
Die Art der Menschen, Geschichten zu erzählen, ändert sich, und auch Symbole ändern ihre Bedeutung. Oft glauben gerade sehr gelehrte Leute, es gebe "ursprüngliche" Bedeutungen eines Symbols oder die ursprüngliche Form einer Geschichte, und die neuen Formen seien eine Art Degeneration. Aber Veränderungen in der Überlieferung stehen in einem organischen Zusammenhang. Symbole und Geschichten formen sich nach kulturellen Gegebenheiten, genauso, wie sich Lebewesen nach ihrer Umgebung formen.
Als der Wal ins Wasser ging, wurde sein Fuß zur Flosse. Die Fluke eines Walfisches ist aber kein degenerierter Fuß, sondern genau das, was der Wal im Zusammenhang des Meeres braucht.
Und wie die Fluke des Wales manchem Fischschwanz überlegen ist, so können zeitgenössische Symbole präziser sein als alte. Die Schöpfer des Filmepos "Star Wars" zum Beispiel konnten die Prinzessin Leia und Luke Skywalker nicht nur in einer Landschaft von Bäumen, Brunnen, Schlössern und dergleichen reisen lassen, sondern es standen ihnen Planeten, Raumschiffe und seltsame Aliens zur Verfügung. Der "Todesstern" ist eine atemberaubend präzise Darstellung einiger Eigenschaften des Stülp, die so dreidimensional wohl nur frei schwebend im Weltraum möglich ist.
Der Stülp prägt sich immer wieder aus, sobald man ihn nur lässt, und es ist, als ob der Geist jede Gelegenheit nutzt, uns zuzuzwinkern.
Legende und Wirklichkeit Die erste und einzige Orientierung in dem Raum der Märchen, den wir nun erforschen, sind Symbole. Solche befinden sich ja auch auf einer gewöhnlichen Landkarte und werden in einer Karten-"Legende" erklärt.
Symbole verknüpfen.
Und sie sind überall.
Wir brauchen sie gar nicht in Kirchen zu suchen, wo Hostien gegessen und Ringe getauscht werden, auch nicht bei der Vereidigung von Soldaten, die einer Fahne Treue schwören, und nicht in den Tiefen der Märchen, wo Prinzessinnen befreit werden.
Das Buch in Ihrer Hand ist schon eines.
Gehen wir erst einmal davon aus, dass es so etwas wie eine Außenwelt und Ihre Innenwelt gibt, so verknüpft ein gewöhnliches Ding, das Buch eben, diese Außenwelt mit Ihrer Innenwelt und zwar perfekt und ohne Zögern. Sie nehmen das Buch wahr - was genau dabei passiert, weiß die Wissenschaft bis heute nicht -, ein paar Hirnareale leuchten vor sich hin, und das Buch ersteht in Ihrem Geist. Sie wollen umblättern, Neuronen feuern, Nerven leiten, Sie bewegen Ihre Hand, es klappt: In der Außenwelt sind die Seiten umgeblättert. Ein wunderbar koordinierter Tanz von Innen und Außen ist möglich, verknüpft durch dieses Ding "Buch", das deshalb in der Philosophie auch ein "Realsymbol" genannt wird. Ich sage dazu bisweilen auch "primäres Symbol".
Ein altes Kinderspielzeug mag uns als Beispiel dienen, wie ein Symbol funktioniert: ein Marienkäferchen, an dem unten ein kleiner Magnet befestigt ist. Man setzt es auf ein Blatt Papier und hält darunter einen zweiten Magneten. Die beiden haften durch die Anziehung aneinander, und wenn man unter dem Papier den Magneten bewegt, kann man nun das Käferchen wie von Zauberhand gezogen auf dem Papier herumlaufen lassen. Das Beispiel hinkt zwar, ist aber im Moment nützlich.
Gewöhnliche Dinge, Realsymbole, spielen ihre Rolle in den Bewegungen und Geschichten unserer gewöhnlichen Realität. Gewöhnliche Dinge können aber als Symbole die gewöhnliche Realität mit unsichtbaren Bereichen der Innenwelten verknüpfen und Geschichten aus diesen Räumen erzählen. Ich nenne sie "sekundäre Symbole".
Eheringe, die Bindung symbolisieren, können und sollen Tag und Nacht getragen werden. Zieht jemand diesen Ring heimlich ab und steckt ihn zeitweise in die Tasche, so ist schon diese Geste ein äußerer Ausdruck eines inneren Vorgangs: Die Bindung ist heimlich gelöst. Das Realsymbol "Ring" ist für diese Funktion besonders geeignet. Wir könnten uns vielleicht noch einen romantischen "Ehemantel" vorstellen, der jedoch sicher nicht durchweg getragen werden kann; aber beispielsweise ein "Eherollschuh" wäre in den meisten Situationen ziemlich lächerlich.
Das gewählte Symbol muss also eine entsprechende Beziehung zu seiner Umgebung haben, um seine Funktion zu erfüllen und eine bestimmte Geschichte zu erzählen.
Die Hostie als Leib Christi muss essbar sein, damit sie von den Gläubigen im wahrsten Sinne des Wortes einverleibt werden kann. Ein Oberammergauer Holz-Christus wäre bei aller äußeren Ähnlichkeit zum Leib Jesu nicht geeignet, diese Geschichte der Verinnerlichung zu erzählen.
Ein Schamane saugt die Krankheit aus dem Körper des Patienten heraus. Je nach Kultur und Ausbildung besteht das Symbol für die Krankheit zum Beispiel aus etwas erbrochener Flüssigkeit oder einem blutigen Federbüschel, das er in seiner Wange verborgen hatte. Das Symbol muss die Rolle der Krankheit spielen können, herausgesaugt und ausgespien werden.
Das mächtigste Symbol unserer Kultur ist Geld. Es ist das Symbol für Wert. Und obwohl es nur aus einem Fetzen Papier besteht, kann dieser Fetzen Papier von Hand zu Hand gehen und ungeheure Geschichten von Reichtum und Gier, Armut und Angst erzählen.
Wie ist das möglich? Nun, das Symbol wird dazu ermächtigt. Das Federbüschel vom Patienten. Das Geld von uns.
Um das zu verstehen, dient uns, was ich "die Gleichung des Schamanen" nenne: Der Schamane muss durch seine Glaubwürdigkeit den Patienten dazu bringen, zu dem Symbol der Krankheit dieselbe Beziehung aufzubauen wie zu seiner Krankheit. Dann verhält sich die Krankheit zum Patienten wie das Federbüschel zum Patienten. Wir können nun ein klein wenig Mathematik anwenden, die ja eine Wissenschaft von den Beziehungen ist, und schreiben:
Krankheit : Patient = Federbüschel : Patient Nun können wir aus der Gleichung "Patient" herauskürzen und erhalten Krankheit = Federbüschel, die Krankheit ist das Federbüschel.
Und wenn dies so gültig ist, kann die Krankheit mit dem Federbüschel bewegt und entfernt werden.
Was wie ein Taschenspielertrick daherkommt, hat eine tiefgründige Voraussetzung: "Patient" links in der Gleichung muss wirklich identisch sein mit "Patient" rechts in der Gleichung, der Patient mit seinem Selbst muss Innen und Außen zur Deckung bringen. Wenn Außenwelt und Innenwelt zwei getrennte Angelegenheiten sind und der Mensch immer nur eine unsichere Landkarte dieser Außenwelt in seinem Gehirnkästchen konstruiert, auf welcher Seite stünde der Mensch selbst mit seinem Körper? Außen oder innen? Das Selbst des Menschen ist der Punkt, der Innen und Außen verbindet und die Symbole ermächtigt.
Und gleichzeitig herausgekürzt wird und aus dem Blickfeld verschwindet.
Ganze Kollektive können solche Ermächtigungen erteilen - und ein entsprechend mächtiges Symbol schaffen. Geld ist ein gesetzliches Zahlungsmittel. Das staatliche Kollektiv der Bürger ermächtigt das Wertsymbol, bestätigt die Gleichung Geld = Wert und ermöglicht dadurch die Geschichten, wie Wert von Hand zu Hand geht, gehortet und ausgegeben wird. Wenn das Vertrauen in das Geld wankt, wenn die Bürger es also nicht mehr ermächtigen, schwindet sein Wert dramatisch.
Wir haben gesehen, wie Symbole Geschichten erzählen können, Bewegungen vollziehen. Umgekehrt können Bewegungen und Geschichten Symbole erzeugen.
Die Geschichten, die unsere Träume erzählen, wählen sich die Symbole, die sie dazu brauchen. Da sitzen wir nun und grübeln an einem schönen Morgen, was es bedeutete, dass im Traum der Konferenztisch der Firma explodierte. Und wenn der Hintereingang explodiert wäre? oder die Toilette? Es wäre immer eine andere Geschichte, je nachdem, welche Funktion das Symbol in der Realität ausüben kann, welche Beziehungen es dort hat. Ist es die Beziehung: Bei ihm trifft man sich und tauscht sich aus? Hier kommt man ungesehen rein? oder hier lädt man heimlich ab? Je nachdem wählt der Traum das Symbol.
Wir können hier der "Gleichung des Schamanen" noch "das Gesetz der Landkarte" hinzufügen: Auf einer Landkarte müssen die Verhältnisse der Striche und Punkte zueinander in etwa der Lage und den Beziehungen der Straßen und Ortschaften im realen Gelände entsprechen. Wobei der Traum eine dynamische Landkarte von Beziehungen und Bewegungen darstellt.
Man kann sich dabei vorstellen, wie - je nachdem welche Bewegung der Magnet unter der Traumkarte vollzieht - jenes Marienkäferchen-Symbol oben andockt, das diese Art Bewegung ausführen kann.
Das Symbol verknüpft also Außen- und Innenwelten miteinander. Es kann dies, weil seine Beziehungen oder Bewegungen es dazu befähigen, in den jeweiligen Bereichen gleichsam in Resonanz zu gehen. So kann es entweder - wie zunächst beim Ehering - einfach die Beziehung selbst darstellen, oder aber - wie im Traum oder im Märchen - Geschichten erzählen, oder gar - wie beim Schamanen - konkrete Bewegungen ausführen.
Bei alldem ist das Selbst des Menschen im Spiel, das allgegenwärtig und unsichtbar die Symbole ermächtigt.
Um die ganze Bedeutung eines Märchensymbols zu kennen, müssen wir also seine Beziehungen prüfen, die Geschichte anschauen, in der es mitspielt, und den Grund, warum es gerade für diese Geschichte so geeignet ist.
Dabei kann das Symbol aus dem Bereich der "rein seelischen" Innenwelten ausbrechen und als Realsymbol die Märchen viel mehr in der materiellen Wirklichkeit verankern, als wir das bisher für möglich halten.
Die Spur im Dunkeln Nun zur Dynamik der Geschichten. Kann es möglich sein, dass sie stets in einer bestimmten Struktur, in einer bestimmten Landkarte stattfinden? Wie wäre das zu erklären?
Wenn es hier Gesetzmäßigkeiten gibt, wird uns wahrscheinlich jene Disziplin weiterhelfen, die gewöhnlich mit solchen Gesetzmäßigkeiten umgeht: die Physik.
Eine Fackel, im Finstern geschwungen, hinterlässt auf unserer Netzhaut einen Kreis aus Feuer. Wenn wir eine Kamera auf eine nächtliche Straße richten und den Verschluss offen lassen, werden die Lichter der vorbeifahrenden Autos den Verlauf der Straße auf den Film zeichnen. Wenn wir die Flugbahn eines Planeten verfolgen, werden wir im Laufe der Zeit einen Ring im Weltall dokumentieren.
All dies, den feurigen Kreis der Fackel, das Bild der Straße und den Ring im Weltraum, nennt die Physik "Phasenporträts". Sie zeigen die Summe der Zustände eines dynamischen Systems. Der Kreis im Finstern sagt uns nicht, wo die Fackel gerade jetzt ist, das Foto der Straße nicht, wo das Auto ist, dessen leuchtende Spur die Straße abbildete, und der Ring im Weltall nicht, wo der Planet gerade steckt. Aber das Phasenporträt zeigt, welche Orte des Raumes der dynamische Punkt erreichen kann und auf welchem Weg, und es verrät damit viel über seine Eigenschaften und die des gesamten Systems.
Auch das Märchen ist ein dynamisches System. Wir verfolgen die leuchtende Spur des Helden6 und erhalten so sein Phasenporträt, einen schimmernden Umriss der Berge und Abgründe, über die der Weg führt. Und eigentlich entstehen die Berge und Abgründe erst dadurch, dass der Held ihre Umrisse zeichnet.
Der Begriff des Phasenporträts ist vornehmlich in der Physik üblich. Ich vermute aber, dass er uns genauso in der Psychologie begegnet, nur unter einem anderen Namen: Gestalt.
Sie kennen die Kassiererin vom Supermarkt, Sie haben dies oder jenes Schwätzchen schon mit ihr geführt. Sie ist eine gewisse Gestalt in Ihrem Leben, die bestimmte Eigenschaften hat und in der Regel an bestimmten Orten und in bestimmten Zusammenhängen auftaucht.
Eines Tages begegnen Sie ihr in der Sauna. Sie werden vielleicht sofort wissen, dass Sie sie kennen, aber nicht unbedingt, wer sie ist, so ohne Hüllen, weit abseits des üblichen Phasenporträts des dynamischen Systems "Kassiererin", weitab der Gestalt in Ihrem Kopf.
Bei den bisherigen physikalischen Beispielen ist der gewöhnliche dreidimensionale Raum der "Phasenraum", jener Raum, durch den das System sich bewegt und in dem die Veränderungen aufgezeichnet werden.
Das kann jedoch für die Märchen kaum der Fall sein. Ein Raum, in dem Leute zur Sonne gehen und zum Mond, in dem Schlösser in die Erde versinken und in dem es genügt, einen Wunschring zu drehen, um auf einen Glasberg zu gelangen, dieser Raum ist wohl nicht unser irdischer - gemessen in Metern der Länge, Breite und Höhe. Was kann es aber noch für andere Räume geben?
Nehmen wir hier als Beispiel ein schwingendes Pendel. Es kommt uns besonders zupass, weil der Stülp aus einer Art Pendelbewegung entsteht. Also üben wir uns gut an diesem einfachen physikalischen System:
Wenn wir das Schwingen des Pendels dokumentieren, sehen wir im gewöhnlichen Raum ein mehr oder weniger halbmondförmiges Phasenporträt. Dafür reichen uns sogar zwei Dimensionen. Aber wir können auch einen anderen Phasenraum aufspannen: Die Koordinatenachsen dieses Raumes beschreiben den Ort und die Geschwindigkeit des Pendels. Schwingt das Pendel im Vakuum unentwegt und ohne Reibung hin und her, wird das Phasenporträt einen Kreis ergeben, den Zyklus des Pendels.
Die wichtigste Voraussetzung für den Leser ist die Bereitschaft, simultan mit "beiden Hirnhälften" zu arbeiten, Bilder und Logik, Form und Sprache gleichzeitig einzusetzen. Der Lohn für diese oft ungewohnte Mühe ist die prickelnde Aufregung des Entdeckers, wenn unter Mythen und Märchen eine Struktur auftaucht, die so fasziniert wie die Silhouette eines Meerungeheuers unter der Wasseroberfläche; und wenn wir es erjagt haben, werden wir sehen, dass wir selbst unsere Beute sind.
Als ich vor nun bald vierzehn Jahren anfing, mit den Grimm'schen Märchen zu arbeiten, war ich keineswegs auf der Suche nach einer besonders tiefsinnigen Angelegenheit. Ich war dabei, eine forstpolitische Dissertation über Frauen und Wald in Deutschland zu schreiben, und plante dazu einen kleinen Exkurs über tiefenpsychologische Zusammenhänge. Doch es sollte mir gehen wie jenen, die in den Märchen einem goldenen Ei nachjagen. Die Reise ist lang, aufregend und wundersam; und letztlich hält man nicht das goldene Ei in den Händen, sondern ein ganzes Königreich.
Inspiriert vom strukturalen Ansatz der Anthropologie und geprägt vom Denken der Förster, verfiel ich auf die Idee, die Märchenlandschaften zu kartieren, um die Lage der Märchenwälder zwischen all den Märchenschlössern, Bergen, Gewässern und so weiter zu erfassen.
Tatsächlich erwies es sich, dass diese Landschaftssymbole nicht willkürlich angeordnet sind, und über alle Märchen hinweg wurde langsam eine Form sichtbar, die ich zwar erahnte, aber mit meinem Schulwissen nicht greifen konnte. Schließlich fand ich in Professor Steinlein einen ebenso begeisterten wie geduldigen Mathematiker, der mir die Zeughäuser seiner Wissenschaft öffnete, als einer Disziplin nicht von Formeln, sondern von Beziehungen und Transformationen. Mit seiner Hilfe konnte ich den seltsamen Globus der Märchen schließlich beschreiben.
Schon aus Gründen des Respekts für die mathematischen Werkzeuge, die mir zur Verfügung gestellt wurden, muss ich sie präzise darstellen. Es wird in diesem Buch aber nicht um ungeliebte Rechenaufgaben gehen und nicht um seltsame Kürzel, die sich vor und hinter einem Gleichheitszeichen verklumpen. Es geht um die Logik von Form und Bewegung. Doch weiß ich, dass viele Leser schon beim Wort "Mathematik" in Panik verfallen; und wenn irgendwo ein Punkt mit drei Koordinaten auftaucht, blockiert der stumme Schrei "Das versteh ich nicht!" schon jede weitere Kommunikation.
An diesen gefährlichen Stellen der Pilgerschaft werde ich darum die gesuchte Form zunächst möglichst einfach mit Worten beschreiben. Mit diesem Bild, wie einem schützenden Amulett ans klopfende Herz gepresst, mag der Leser dann mit Anlauf über das dünne Eis der folgenden Erläuterung schlittern. Auf der anderen Seite wird der Weg dann lieblicher weitergehen.
Der erste Teil des Buches dient der Kartierung und Erläuterung des Stülp.
Wir beginnen das Abenteuer in den Märchen der Brüder Grimm, weil die Symbole, die Wegweiser auf diesem verborgenen Globus, dort sehr übersichtlich verwendet sind.
Es ist üblich, Märchen als Darstellung psychologischer Entwicklung aufzufassen. Jedoch bezieht sich der Dreierschritt des Märchens - drei Aufgaben für den Helden zu lösen, drei Tänze mit der unbekannten Prinzessin usw. - auf alle drei Ebenen unseres Seins: auf Körper, Energie und Geist.
Wenn wir verstehen lernen, dass auch der Körper in diese Geschichten einbezogen ist, offenbaren sich viele Märchen als verblüffend präzise Darstellung biologischer Entwicklung. Im Werden und Vergehen ihrer Gestalten umreißen sie die Struktur der Evolution.
Das Erkennen und Verstehen dieser Landkarte könnte für unser Selbstverständnis so wesentlich sein wie die Entdeckung der genetischen Doppelhelix. Sie zerschlägt die Vorstellung vom Lebewesen als biologischer Maschine und verbindet den Organismus und seine Welt zu einer lebendigen Einheit.
In diesem Sinne soll der zweite Teil des Buches die Geschichte der Evolution aus der Sicht des Stülp neu erzählen und diese Sicht mit alten und neuen Schöpfungsmythen vergleichen.
Weil der Stülp die Bereiche von Körper, Energie und Geist umfasst und miteinander verschränkt, wird es bei der Interpretation unvermeidlich sein, interdisziplinär zu denken und zu argumentieren. Und damit setzt man sich zwischen alle Stühle.
Die akademischen Claims der Fachgebiete sind abgesteckt, und über die Jahre hinweg musste ich lernen, mit wie vielen Minen und Fußangeln die Grenzstreifen gespickt sind. Schon zum Beispiel das Wort "Evolution" ist aus geschichtlichen Gründen bei den Völkerkundlern mit ganz anderen Vorstellungen behaftet als in der zeitgenössischen Biologie. Und hätten Sie gewusst, dass Theologen mit Psychologie meist nicht so gerne zu tun haben?
Leute ihres jeweiligen Faches werden mich wahrscheinlich in Einzelheiten kritisieren. Ich bin aber davon überzeugt, dass es sich lohnt, über alle Bäume hinweg den Wald im Auge zu behalten. Der Stülp kann den Biologen zu einer erweiterten Sicht auf die Evolution inspirieren, dem Physiker ein interessantes Modell für die Darstellung der Zeit vorschlagen, dem Neurologen eine Theorie des Bewusstseins bestätigen, den Theologen zu einer Idee zum Verhältnis von Welt und Transzendenz anregen und jedem Menschen ein Gefühl für die eigene Würde zurückgeben.
Und nicht zuletzt öffnet der Stülp die Tür zu Blaubarts dreizehnter Kammer, zum eigentlichen Tabu unserer Gesellschaft: Er berührt die immer wieder verleugnete Verbindung zwischen der Theorie, wie das Leben funktioniert, mit der Theorie, wie unsere Wirtschaft funktioniert. Denn der Stülp stellt die Existenz und Entwicklung des Lebendigen dar als ein System, das befeuert wird von der Anziehung und dem Austausch von Werten.
Wirtschaftswissenschaften und Biologie leben seit dem 19. Jahrhundert in einer wilden Ehe: Sie streiten vehement ab, offiziell liiert zu sein, benutzen aber denselben Kleiderschrank. Sie leihen sich gegenseitig ihre Formulierungen wie: Eine Tierart ist "konkurrenzfähig", eine Firma besetzt eine "Marktnische", der im Schatten dösende Löwe "spart Energie", das Unternehmen ist "überlebensfähig", "angepasst" und so weiter.
Dass Darwin von den Ideen des Sozioökonomen Malthus beeinflusst war, ist bekannt. Spätestens seit dem Dritten Reich ist aber klar, dass der Sozialdarwinismus eine inhumane Gesellschaftsform hervorbringt. Die Anwendung darwinistischer Ideen auf das menschliche Zusammenleben gilt seitdem gelinde gesagt als unfein.
Andererseits lässt der entfesselte Kapitalismus auf dem Planeten eine Spur der Verwüstung hinter sich, die das Überleben des Stärksten und Raffgierigsten langfristig zur Farce macht. Dass also die Anwendung der heutigen Wirtschaftsdoktrin auf biologische Systeme nicht funktioniert, ist evident.
Infolgedessen ist der gängige Ausweg der Scientific Correctness,1 beides säuberlich getrennt zu halten: hier der Mensch und seine sozial mehr oder weniger gebremste Wirtschafts- und Gesellschaftsform, dort das Überleben der tüchtigsten Darwinfinken im Kampf aller gegen alle. Und so gestatten wir Darwinismus und Kapitalismus, dieser uralten Sandkastenliebe des kolonialen England, so zu tun, als kennten sie einander nicht, während sie sich ständig die Stichworte von der natürlichen Gier, der endlosen Vermehrung und vom Überleben des Tüchtigsten zuflüstern.
Diese hoch wirksame Symbiose möchte ich den "darwino-kapitalistischen Komplex" nennen. Von den Zinnen seiner mythischen Festung ruft uns eine kalte Stimme entgegen: "Das Leben ist eben so!"
Der Stülp gibt sich gar nicht erst damit ab, diese Mauern zu berennen. Er steckt einfach seinen Claim weit außen herum. Konkurrenz, Verdrängung, hemmungslose Vermehrung können sich auf seinem Globus abspielen, aber sie sind nicht die Kräfte, die ihn formen. Er entsteht vielmehr durch das Erkennen von Werten und ihrem Austausch, durch Beziehung und Anziehung.
Das alles ist nicht völlig neu. Es gibt seit geraumer Zeit wissenschaftliche Arbeiten, die die überragende Bedeutung von Selbstorganisation und Kooperation unter- streichen.2 Dass sie wenig Gehör finden, ist einerseits eine Folge der Trägheit des wissenschaftlichen Apparates, in dem sich Änderungen grundlegender Theorien lange nicht durchsetzen. Andererseits ist es aber auch schlicht eine Frage der gesellschaftlichen Macht. Was passiert, wenn immer mehr Menschen nicht mehr glauben wollen, dass das Leben eben so ist?
Es gibt eine Karikatur, die ich sehr schätze: Am Rand eines Dschungels sieht man eine Tafel. Auf ihr steht: "Sie betreten nun den Dschungel. Bitte beachten Sie unsere Gesetze."
Der Stülp ist die Gliederung dieses Gesetzbuches:
Es sind die Gesetze des Dschungels in uns, die Gesetze unserer Gedanken und Gefühle, unserer Antriebe, unserer Motive, unserer Ängste und unserer Hoffnungen.
Und es sind die Gesetze des Dschungels der Außenwelt, biologische Gesetze, die ungeheuer vielfältiges Leben hervorgebracht haben, dessen Vernichtung wir derzeit hilflos betreiben, weil das Leben halt angeblich so spielt.
Jeder Mensch weiß im tiefsten Grunde, wie das Leben wirklich funktioniert. Er ist ja selbst Leben, und wenn er seiner Phantasie die Zügel lässt, erzählt es gerne von sich. Der Stülp entsteht aus Geschichten und Symbolen, die uns allen vertraut sind, und wir können ihn spontan verstehen.
Ich bedaure, dass ich mir und Ihnen in diesem Buch nicht die Zeit dazu geben kann, die ich selbst hatte, Schritt für Schritt vorzugehen, Erinnerungen wirken zu lassen, Sackgassen zu gehen und wieder zu verlassen, zu zweifeln und zu warten. Ich kann in diesem Buch Märchen und Mythen nicht eingehend behandeln, ich kann nur Beispiele bringen. Ich werde Tatsachen behaupten müssen, die ich nicht ausführlich belegen kann, wie ich es in meiner dreibändigen Dissertation unternommen hatte.3 Ich muss, wie der Anthropologe Lévi-Strauss auch bei seiner Arbeit bedauernd feststellte, vorgehen wie ein Jahrmarktschreier, der ein kleines Maschinchen anpreist.
Ich hoffe aber, Ihnen dennoch einen Geschmack davon geben zu können, dass dies hier kein kleines Maschinchen ist.
Sondern wir selbst.
Teil 1 Der verborgene Globus Grimm und andere Grundlagen Wäre ich gleich zu Beginn meiner Arbeit in die ganze menschliche Fülle der Märchen und Mythen, der Fantasy-Geschichten und Utopien eingetaucht, ich hätte den Stülp wohl kaum finden und beschreiben können. Die Bandbreite der verwendeten Symbole wäre zu groß gewesen und die Art der Darstellungen zu unterschiedlich, um eine gemeinsame Struktur zu erkennen.
Die Märchen der Brüder Grimm sind eine Momentaufnahme aus der mündlichen Überlieferung in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts.4 Indem ich mich zunächst auf sie beschränkte, fand ich einen historisch und geographisch abgegrenzten Satz an Symbolen vor - der Prinz, die Prinzessin, der Wald, das Meer, der Turm etc. -, der einheitlich ist und den man gut überblicken kann.
Dieses klare Symbolsystem erlaubte es, die Wege der Figuren nicht nur zu kartieren, sondern auch zu vergleichen und damit die Landkarte des Stülp zu entdecken.
Ich vermute außerdem, dass es nicht nur die Geschlossenheit des symbolischen Systems ist, sondern auch die von den Brüdern Grimm sorgfältig bewahrte organische Stimmigkeit der ganzen Struktur, die dem Kulturschatz der Grimm'schen Märchen zur internationalen Verbreitung verholfen hat.
Wir müssen uns bei der Jagd nach dem Stülp nicht darum kümmern, ob die eine oder andere Aussage der Märchen einen historischen Kern hat. Es kann schon sein, dass zum Beispiel die vielen Stiefmütter, die die Märchen bevölkern, eine Entsprechung im wirklichen Leben hatten, weil viele Frauen im Kindbett starben und die Männer wieder heirateten. Aber andererseits scheren sich die Märchen herzlich wenig um tatsächliche soziale Verhältnisse, wenn etwa meist der Jüngste das Reich erbt oder wenn das ersehnte Kind unbedingt ein Mädchen sein soll und kein "Stammhalter". Märchen nutzen den Steinbruch der Realität so, wie es ihnen passt, nehmen das eine, lassen das andere liegen und formen manches neu.
är Einige Märchen werde ich als bekannt voraussetzen. Andere erzähle ich in kurzer Form nach.1 Ich hoffe, Sie sind misstrauisch und lesen die Geschichten später im Original, es ist ein sehr lohnendes Unternehmen. Sie werden wahrscheinlich einige davon nicht kennen, denn bei den üblichen Ausgaben des Grimm'schen Werkes handelt es sich meist um eine Auswahl von bekannten Märchen und solchen, die gut ausgehen, Märchen, die man Kindern vorliest und mit denen Psychologen etwas anfangen können. In der Sammlung von zweihundert Geschichten befinden sich aber auch ziemlich düstere, voller Galgenhumor, und nicht zuletzt fast absurde, seltsame Märchen. oft sind es gerade diese kurzen Geschichten, die die Struktur des Stülp sehr bündig und klar zeigen.
Zuletzt noch die Versicherung: Es wird keinem ein Märchen genommen. Nichts wird entzaubert. Im Gegenteil.
Über die Märchen hinaus werden wir aber auch einen Blick auf einige Mythen werfen sowie auf Geschichten aus der Überlieferung der Chippewas, eines Indianerstamms im mittleren Westen der USA.5 Sie zeigen uns nicht nur die überkulturelle Gültigkeit des Stülp, sondern auch faszinierende Variationen in seiner Beschreibung.
Und nicht zuletzt gilt es, die "gute alte Zeit" zu verlassen und die bis heute ungebrochene Gestalt, Einheit und Vitalität des kreativen Geistes zu entdecken.
Die Art der Menschen, Geschichten zu erzählen, ändert sich, und auch Symbole ändern ihre Bedeutung. Oft glauben gerade sehr gelehrte Leute, es gebe "ursprüngliche" Bedeutungen eines Symbols oder die ursprüngliche Form einer Geschichte, und die neuen Formen seien eine Art Degeneration. Aber Veränderungen in der Überlieferung stehen in einem organischen Zusammenhang. Symbole und Geschichten formen sich nach kulturellen Gegebenheiten, genauso, wie sich Lebewesen nach ihrer Umgebung formen.
Als der Wal ins Wasser ging, wurde sein Fuß zur Flosse. Die Fluke eines Walfisches ist aber kein degenerierter Fuß, sondern genau das, was der Wal im Zusammenhang des Meeres braucht.
Und wie die Fluke des Wales manchem Fischschwanz überlegen ist, so können zeitgenössische Symbole präziser sein als alte. Die Schöpfer des Filmepos "Star Wars" zum Beispiel konnten die Prinzessin Leia und Luke Skywalker nicht nur in einer Landschaft von Bäumen, Brunnen, Schlössern und dergleichen reisen lassen, sondern es standen ihnen Planeten, Raumschiffe und seltsame Aliens zur Verfügung. Der "Todesstern" ist eine atemberaubend präzise Darstellung einiger Eigenschaften des Stülp, die so dreidimensional wohl nur frei schwebend im Weltraum möglich ist.
Der Stülp prägt sich immer wieder aus, sobald man ihn nur lässt, und es ist, als ob der Geist jede Gelegenheit nutzt, uns zuzuzwinkern.
Legende und Wirklichkeit Die erste und einzige Orientierung in dem Raum der Märchen, den wir nun erforschen, sind Symbole. Solche befinden sich ja auch auf einer gewöhnlichen Landkarte und werden in einer Karten-"Legende" erklärt.
Symbole verknüpfen.
Und sie sind überall.
Wir brauchen sie gar nicht in Kirchen zu suchen, wo Hostien gegessen und Ringe getauscht werden, auch nicht bei der Vereidigung von Soldaten, die einer Fahne Treue schwören, und nicht in den Tiefen der Märchen, wo Prinzessinnen befreit werden.
Das Buch in Ihrer Hand ist schon eines.
Gehen wir erst einmal davon aus, dass es so etwas wie eine Außenwelt und Ihre Innenwelt gibt, so verknüpft ein gewöhnliches Ding, das Buch eben, diese Außenwelt mit Ihrer Innenwelt und zwar perfekt und ohne Zögern. Sie nehmen das Buch wahr - was genau dabei passiert, weiß die Wissenschaft bis heute nicht -, ein paar Hirnareale leuchten vor sich hin, und das Buch ersteht in Ihrem Geist. Sie wollen umblättern, Neuronen feuern, Nerven leiten, Sie bewegen Ihre Hand, es klappt: In der Außenwelt sind die Seiten umgeblättert. Ein wunderbar koordinierter Tanz von Innen und Außen ist möglich, verknüpft durch dieses Ding "Buch", das deshalb in der Philosophie auch ein "Realsymbol" genannt wird. Ich sage dazu bisweilen auch "primäres Symbol".
Ein altes Kinderspielzeug mag uns als Beispiel dienen, wie ein Symbol funktioniert: ein Marienkäferchen, an dem unten ein kleiner Magnet befestigt ist. Man setzt es auf ein Blatt Papier und hält darunter einen zweiten Magneten. Die beiden haften durch die Anziehung aneinander, und wenn man unter dem Papier den Magneten bewegt, kann man nun das Käferchen wie von Zauberhand gezogen auf dem Papier herumlaufen lassen. Das Beispiel hinkt zwar, ist aber im Moment nützlich.
Gewöhnliche Dinge, Realsymbole, spielen ihre Rolle in den Bewegungen und Geschichten unserer gewöhnlichen Realität. Gewöhnliche Dinge können aber als Symbole die gewöhnliche Realität mit unsichtbaren Bereichen der Innenwelten verknüpfen und Geschichten aus diesen Räumen erzählen. Ich nenne sie "sekundäre Symbole".
Eheringe, die Bindung symbolisieren, können und sollen Tag und Nacht getragen werden. Zieht jemand diesen Ring heimlich ab und steckt ihn zeitweise in die Tasche, so ist schon diese Geste ein äußerer Ausdruck eines inneren Vorgangs: Die Bindung ist heimlich gelöst. Das Realsymbol "Ring" ist für diese Funktion besonders geeignet. Wir könnten uns vielleicht noch einen romantischen "Ehemantel" vorstellen, der jedoch sicher nicht durchweg getragen werden kann; aber beispielsweise ein "Eherollschuh" wäre in den meisten Situationen ziemlich lächerlich.
Das gewählte Symbol muss also eine entsprechende Beziehung zu seiner Umgebung haben, um seine Funktion zu erfüllen und eine bestimmte Geschichte zu erzählen.
Die Hostie als Leib Christi muss essbar sein, damit sie von den Gläubigen im wahrsten Sinne des Wortes einverleibt werden kann. Ein Oberammergauer Holz-Christus wäre bei aller äußeren Ähnlichkeit zum Leib Jesu nicht geeignet, diese Geschichte der Verinnerlichung zu erzählen.
Ein Schamane saugt die Krankheit aus dem Körper des Patienten heraus. Je nach Kultur und Ausbildung besteht das Symbol für die Krankheit zum Beispiel aus etwas erbrochener Flüssigkeit oder einem blutigen Federbüschel, das er in seiner Wange verborgen hatte. Das Symbol muss die Rolle der Krankheit spielen können, herausgesaugt und ausgespien werden.
Das mächtigste Symbol unserer Kultur ist Geld. Es ist das Symbol für Wert. Und obwohl es nur aus einem Fetzen Papier besteht, kann dieser Fetzen Papier von Hand zu Hand gehen und ungeheure Geschichten von Reichtum und Gier, Armut und Angst erzählen.
Wie ist das möglich? Nun, das Symbol wird dazu ermächtigt. Das Federbüschel vom Patienten. Das Geld von uns.
Um das zu verstehen, dient uns, was ich "die Gleichung des Schamanen" nenne: Der Schamane muss durch seine Glaubwürdigkeit den Patienten dazu bringen, zu dem Symbol der Krankheit dieselbe Beziehung aufzubauen wie zu seiner Krankheit. Dann verhält sich die Krankheit zum Patienten wie das Federbüschel zum Patienten. Wir können nun ein klein wenig Mathematik anwenden, die ja eine Wissenschaft von den Beziehungen ist, und schreiben:
Krankheit : Patient = Federbüschel : Patient Nun können wir aus der Gleichung "Patient" herauskürzen und erhalten Krankheit = Federbüschel, die Krankheit ist das Federbüschel.
Und wenn dies so gültig ist, kann die Krankheit mit dem Federbüschel bewegt und entfernt werden.
Was wie ein Taschenspielertrick daherkommt, hat eine tiefgründige Voraussetzung: "Patient" links in der Gleichung muss wirklich identisch sein mit "Patient" rechts in der Gleichung, der Patient mit seinem Selbst muss Innen und Außen zur Deckung bringen. Wenn Außenwelt und Innenwelt zwei getrennte Angelegenheiten sind und der Mensch immer nur eine unsichere Landkarte dieser Außenwelt in seinem Gehirnkästchen konstruiert, auf welcher Seite stünde der Mensch selbst mit seinem Körper? Außen oder innen? Das Selbst des Menschen ist der Punkt, der Innen und Außen verbindet und die Symbole ermächtigt.
Und gleichzeitig herausgekürzt wird und aus dem Blickfeld verschwindet.
Ganze Kollektive können solche Ermächtigungen erteilen - und ein entsprechend mächtiges Symbol schaffen. Geld ist ein gesetzliches Zahlungsmittel. Das staatliche Kollektiv der Bürger ermächtigt das Wertsymbol, bestätigt die Gleichung Geld = Wert und ermöglicht dadurch die Geschichten, wie Wert von Hand zu Hand geht, gehortet und ausgegeben wird. Wenn das Vertrauen in das Geld wankt, wenn die Bürger es also nicht mehr ermächtigen, schwindet sein Wert dramatisch.
Wir haben gesehen, wie Symbole Geschichten erzählen können, Bewegungen vollziehen. Umgekehrt können Bewegungen und Geschichten Symbole erzeugen.
Die Geschichten, die unsere Träume erzählen, wählen sich die Symbole, die sie dazu brauchen. Da sitzen wir nun und grübeln an einem schönen Morgen, was es bedeutete, dass im Traum der Konferenztisch der Firma explodierte. Und wenn der Hintereingang explodiert wäre? oder die Toilette? Es wäre immer eine andere Geschichte, je nachdem, welche Funktion das Symbol in der Realität ausüben kann, welche Beziehungen es dort hat. Ist es die Beziehung: Bei ihm trifft man sich und tauscht sich aus? Hier kommt man ungesehen rein? oder hier lädt man heimlich ab? Je nachdem wählt der Traum das Symbol.
Wir können hier der "Gleichung des Schamanen" noch "das Gesetz der Landkarte" hinzufügen: Auf einer Landkarte müssen die Verhältnisse der Striche und Punkte zueinander in etwa der Lage und den Beziehungen der Straßen und Ortschaften im realen Gelände entsprechen. Wobei der Traum eine dynamische Landkarte von Beziehungen und Bewegungen darstellt.
Man kann sich dabei vorstellen, wie - je nachdem welche Bewegung der Magnet unter der Traumkarte vollzieht - jenes Marienkäferchen-Symbol oben andockt, das diese Art Bewegung ausführen kann.
Das Symbol verknüpft also Außen- und Innenwelten miteinander. Es kann dies, weil seine Beziehungen oder Bewegungen es dazu befähigen, in den jeweiligen Bereichen gleichsam in Resonanz zu gehen. So kann es entweder - wie zunächst beim Ehering - einfach die Beziehung selbst darstellen, oder aber - wie im Traum oder im Märchen - Geschichten erzählen, oder gar - wie beim Schamanen - konkrete Bewegungen ausführen.
Bei alldem ist das Selbst des Menschen im Spiel, das allgegenwärtig und unsichtbar die Symbole ermächtigt.
Um die ganze Bedeutung eines Märchensymbols zu kennen, müssen wir also seine Beziehungen prüfen, die Geschichte anschauen, in der es mitspielt, und den Grund, warum es gerade für diese Geschichte so geeignet ist.
Dabei kann das Symbol aus dem Bereich der "rein seelischen" Innenwelten ausbrechen und als Realsymbol die Märchen viel mehr in der materiellen Wirklichkeit verankern, als wir das bisher für möglich halten.
Die Spur im Dunkeln Nun zur Dynamik der Geschichten. Kann es möglich sein, dass sie stets in einer bestimmten Struktur, in einer bestimmten Landkarte stattfinden? Wie wäre das zu erklären?
Wenn es hier Gesetzmäßigkeiten gibt, wird uns wahrscheinlich jene Disziplin weiterhelfen, die gewöhnlich mit solchen Gesetzmäßigkeiten umgeht: die Physik.
Eine Fackel, im Finstern geschwungen, hinterlässt auf unserer Netzhaut einen Kreis aus Feuer. Wenn wir eine Kamera auf eine nächtliche Straße richten und den Verschluss offen lassen, werden die Lichter der vorbeifahrenden Autos den Verlauf der Straße auf den Film zeichnen. Wenn wir die Flugbahn eines Planeten verfolgen, werden wir im Laufe der Zeit einen Ring im Weltall dokumentieren.
All dies, den feurigen Kreis der Fackel, das Bild der Straße und den Ring im Weltraum, nennt die Physik "Phasenporträts". Sie zeigen die Summe der Zustände eines dynamischen Systems. Der Kreis im Finstern sagt uns nicht, wo die Fackel gerade jetzt ist, das Foto der Straße nicht, wo das Auto ist, dessen leuchtende Spur die Straße abbildete, und der Ring im Weltall nicht, wo der Planet gerade steckt. Aber das Phasenporträt zeigt, welche Orte des Raumes der dynamische Punkt erreichen kann und auf welchem Weg, und es verrät damit viel über seine Eigenschaften und die des gesamten Systems.
Auch das Märchen ist ein dynamisches System. Wir verfolgen die leuchtende Spur des Helden6 und erhalten so sein Phasenporträt, einen schimmernden Umriss der Berge und Abgründe, über die der Weg führt. Und eigentlich entstehen die Berge und Abgründe erst dadurch, dass der Held ihre Umrisse zeichnet.
Der Begriff des Phasenporträts ist vornehmlich in der Physik üblich. Ich vermute aber, dass er uns genauso in der Psychologie begegnet, nur unter einem anderen Namen: Gestalt.
Sie kennen die Kassiererin vom Supermarkt, Sie haben dies oder jenes Schwätzchen schon mit ihr geführt. Sie ist eine gewisse Gestalt in Ihrem Leben, die bestimmte Eigenschaften hat und in der Regel an bestimmten Orten und in bestimmten Zusammenhängen auftaucht.
Eines Tages begegnen Sie ihr in der Sauna. Sie werden vielleicht sofort wissen, dass Sie sie kennen, aber nicht unbedingt, wer sie ist, so ohne Hüllen, weit abseits des üblichen Phasenporträts des dynamischen Systems "Kassiererin", weitab der Gestalt in Ihrem Kopf.
Bei den bisherigen physikalischen Beispielen ist der gewöhnliche dreidimensionale Raum der "Phasenraum", jener Raum, durch den das System sich bewegt und in dem die Veränderungen aufgezeichnet werden.
Das kann jedoch für die Märchen kaum der Fall sein. Ein Raum, in dem Leute zur Sonne gehen und zum Mond, in dem Schlösser in die Erde versinken und in dem es genügt, einen Wunschring zu drehen, um auf einen Glasberg zu gelangen, dieser Raum ist wohl nicht unser irdischer - gemessen in Metern der Länge, Breite und Höhe. Was kann es aber noch für andere Räume geben?
Nehmen wir hier als Beispiel ein schwingendes Pendel. Es kommt uns besonders zupass, weil der Stülp aus einer Art Pendelbewegung entsteht. Also üben wir uns gut an diesem einfachen physikalischen System:
Wenn wir das Schwingen des Pendels dokumentieren, sehen wir im gewöhnlichen Raum ein mehr oder weniger halbmondförmiges Phasenporträt. Dafür reichen uns sogar zwei Dimensionen. Aber wir können auch einen anderen Phasenraum aufspannen: Die Koordinatenachsen dieses Raumes beschreiben den Ort und die Geschwindigkeit des Pendels. Schwingt das Pendel im Vakuum unentwegt und ohne Reibung hin und her, wird das Phasenporträt einen Kreis ergeben, den Zyklus des Pendels.
... weniger
Autoren-Porträt von Pia Mayer-Gampe
Dr. Pia Mayer-Gampe, Tochter des verstorbenen Schriftstellers Carl Amery, ist 1955 in München geboren. Sie studierte Forstwissenschaften und arbeitete nach dem Staatsexamen als freiberufliche Schriftstellerin. 1989/90 verbrachte sie in Bhutan, wo sie sich intensiv mit dem tibetischen Buddhismus und Fragen der Entwicklungshilfe beschäftigte. Im Jahr 2000 schloss sie ihre Promotion in Forstwissenschaft ab. Heute lebt sie als Autorin zusammen mit ihrem Mann in der Nähe von München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Pia Mayer-Gampe
- 2010, 351 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 24,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Riemann
- ISBN-10: 3570501132
- ISBN-13: 9783570501139
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