Das Lächeln des Harlekins
Die neueste ''Versuchung'' von der Bestseller-Autorin Joanne Harris.
DasLächeln des Harlekin von JoanneHarris
LESEPROBE
7. Juli 1610
Eine Abtei ohne Äbtissin. Ein Land ohne König. Seit zwei Tagenherrscht im Kloster dieselbe Unruhe, die zurzeit ganz Frankreich umtreibt.Louis Dieudonne - der von Gott Geschenkte - ist ein guter, aussagekräftigerName für ein Kind, dessen Thronbesteigung von einem Mord überschattet wird. Alskönnte der Name selbst den Fluch aufheben, als könnte er die Menschen blindmachen für die Korruption in der Kirche und am Hof und von den immer höher hinausgehenden Ambitionen der Regentin Marie ablenken. Der alte König war ein Soldat,ein erfahrener Herrscher. Bei Henri wussten wir, woran wir waren. Aber dieserkleine Louis ist erst neun Jahre alt. Außerdem gehen schon jetzt, nur zweiMonate nach dem Tod seines Vaters, die ersten Gerüchte um. De Sully, derRatgeber des Königs, wurde durch einen Günstling dieser Frau aus dem HauseMedici ersetzt. Die Condes sind zurückgekehrt. Ich brauche kein Orakel, umvorauszusehen, dass uns finstere Zeiten bevorstehen. Normalerweise werden wirhier auf Noirs Moustiers von solchen Dingen nicht berührt. Doch ebenso wieFrankreich brauchen wir die Sicherheit einer starken Hand. Ebenso wie Frankreichfürchten wir uns vor dem Unbekannten.
Ohne die Ehrwürdige Mutter haben wir keinen Boden unterden Füßen. Bis auf die Nachricht, die wir an den Bischof von Rennes geschickthaben, eine Antwort kommt, sind wir auf uns selbst gestellt. Aber unsereFeiertagsstimmung ist von Ungewissheit getrübt. Die Leiche liegt in der Kapelle,umgeben von brennenden Kerzen und Weihrauchgefäßen, denn es ist Hochsommer,und die Luft ist feucht und schwül. Wir hören nichts vom Festland, doch wir wissen,dass die Reise nach Rennes mindestens vier Tage in Anspruch nimmt. In derZwischenzeit treiben wir dahin ohne Halt. Dabei brauchen wir dringend einenHalt: Die Regeln, die bisher unser Leben bestimmten, mögen lasch gewesen sein,jetzt sind sie völlig bedeutungslos geworden. Wir beten kaum noch. Pflichtenwerden vernachlässigt. Jede Nonne tröstet sich auf ihre Weise: Alfonsine zumBeispiel schrubbt die Böden, bis sie an Händen und Knien blutet und in ihreZelle getragen werden muss, wobei sie die Wurzelbürste immer noch umklammert.Andere weinen, ohne zu wissen, warum. Einige haben sich auf den Weg ins Dorf gemacht,wo die Schauspieltruppe jetzt ihre Vorführungen gibt. Letzte Nacht habe ich sienach Hause kommen hören. Ihr Lachen und der Geruch nach Wein und Sex drangen durchdas offene Fenster über meinem Bett.
Nach außen hin hat sich kaum etwas verändert. Ich macheeinfach weiter wie immer. Ich pflege meinen Kräutergarten, schreibe in meinTagebuch, gehe mit Fleur an den Hafen, wechsle die Kerzen bei der Leiche in derKapelle aus. Heute Morgen habe ich ganz still und allein ein Gebet gesprochen,ohne die vergoldeten Heiligen in ihren Nischen um Beistand zu bitten. Abermeine innere Unruhe nimmt von Tag zu Tag zu. Die böse Ahnung, die michbeschlich, als die Schauspieler bei uns waren, habe ich nicht vergessen.
Gestern Abend, kurz vor dem Schlafengehen, habe ich mir dieKarten gelegt. Dennoch habe ich keinen Trost gefunden. Während Fleurahnungslos in ihrem Bettchen neben meiner Pritsche schlief, zog ich immerwieder dieselben Karten. Den Turm, den Einsiedler, den Tod. Und in der Nachthabe ich unruhig geträumt.
© der deutschen Ausgabe 2003 Ullstein Heyne List GmbH &Co. KG, München
Übersetzung: Charlotte Breuer
- Autor: Joanne Harris
- 2005, 431 Seiten, Maße: 11,6 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Breuer, Charlotte
- Übersetzer: Charlotte Breuer
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548259987
- ISBN-13: 9783548259987
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