Das Leuchten der purpurnen Berge
Hamburg, 1922: Die junge Krankenschwester Emma erhält überraschend einen Heiratsantrag von Paul, einem Missionar. Mutig sagt sie ja und folgt ihm nach Australien. Dort will Paul im Outback eine verlassene Missionsstation wieder eröffnen....
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Produktinformationen zu „Das Leuchten der purpurnen Berge “
Hamburg, 1922: Die junge Krankenschwester Emma erhält überraschend einen Heiratsantrag von Paul, einem Missionar. Mutig sagt sie ja und folgt ihm nach Australien. Dort will Paul im Outback eine verlassene Missionsstation wieder eröffnen.
Eine beschwerliche Zeit beginnt für das junge Paar, in der sich Paul auch zunehmend verändert. Mit strenger Frömmigkeit geht er an seine Arbeit, doch Emma merkt, dass Paul etwas verschweigt. Bald findet sie heraus, das die Vorgänger die Missionsstation nicht freiwillig verlassen haben. Und dass sie nur bei den Aborigines das Geheimnis lüften kann.
Lese-Probe zu „Das Leuchten der purpurnen Berge “
Das Leuchten der purpurnen Berge von Manuela MartiniHamburg, Mai 1922
Ellbogen bohrten sich in Emmas Seite, stießen beirr. Winken an ihren Kopf. Rufe und Schreie gellten in ihren Ohren. Das Schiffshorn dröhnte unaufhörlich, als müsse es ganz Hamburg von der Abfahrt der Britannia berichten; der schwarze Qualm aus den Schornsteinen verdunkelte das Blau des Himmels, während die Britannia unbeirrt ihren Abstand zum Festland vergrößerte. Bald konnte Emma die Gesichter von Vera und ihrer Mutter nicht mehr erkennen. Sie waren zu hellen Flecken in einer grauen Menge geworden. Die Gebäude des Hafens lösten sich auf im Dunst des Mittags, und das Stampfen der Turbinen, das Zischen und Schmatzen des Wassers übertönten alle Rufe.
Emma ließ ihre Hand auf die Reling sinken. Als der Ring, den sie seit vorgestern trug, mit einem metallischen Klang auftraf, zuckte sie leicht zusammen. Noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt.
»Vielleicht hätte ich sie doch nicht allein lassen sollen.«
»Was sagst du?«, fragte Paul und drehte sich zu ihr, sein Gesicht gerötet von der Sonne oder von der Aufregung, die auch ihn erfasst hatte.
»Meine Mutter hat jetzt niemanden mehr«, sagte sie laut in sein linkes Ohr, da sein rechtes taub war. »Ich mache mir Vorwürfe.«
Er, der fast zwei Kopfe größer war als Emma und fast doppelt so viel wog, legte beide Hände auf ihre Schultern und sah sie mit seinen blauen Augen ernst und eindringlich an.
»Du hast dich für ein Leben für Gott entschieden. Hast du das vergessen?«
»Nein, natürlich nicht, Paul!«, beeilte sie sich zu versichern. Wie konnte sie nur solche Zweifel haben?
Er lächelte sie an. »Dann musst du dir keine Vorwürfe machen, Emma. Gott ist bei dir.«
Wie schnell konnte er ihre Zweifel zerstreuen! Sie
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war sicher: In seiner Gegenwart würde sie sich nie wieder einsam und unsicher fühlen!
Ja, sie mochte sein Gesicht. Die blauen Augen mit den hellen, fast weißen Wimpern, die breiten Wangenknochen, die flächige Stirn, die Sommersprossen überall, sein eckiges Kinn mit dem Grübchen und seinen Mund mit den festen Lippen. Schon als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sein Anblick irgendetwas in ihr berührt. Sie hatte es nicht benennen können und eigentlich,
wenn sie genauer darüber nachdachte, konnte sie es heute - knapp fünf Wochen später - immer noch nicht. Vielleicht war es diese Kraft, dieser Wille, eine Aufgabe zu übernehmen und sich dieser voll und ganz zu widmen? Zu viele Menschen, denen sie nach dem Krieg begegnet war, waren mutlos geworden oder verroht, oder sie redeten nur davon, dass man etwas verändern müsse. Paul aber tat etwas. Und sie war seine Gefährtin.
»Oh, Verzeihung!«
Emma stöhnte auf und drehte sich um. Eine beleibte Person in einem grell gemusterten Sommerkleid hatte ihren fleischigen Arm in Emmas Rücken gestoßen. Ihr feistes Pfannkuchengesicht war kalkweiß unter dem Puder und dem Rouge. Sie presste ein Taschentuch vor den Mund und stolperte hastig auf dünnen Absätzen davon.
Oje, dachte Emma, hoffentlich werde ich nicht seekrank! Paul, der Emmas Blick aufgefangen, aber den Ellbogenstoß nicht mitbekommen hatte, hob fragend die Augenbrauen.
»Ich hoffe, dass ich nicht seekrank werde«, sagte Emma und rieb sich den schmerzenden Rücken. Paul erwiderte nichts. Hatte er sie überhaupt gehört?
»Hoffentlich werde ich nicht seekrank! «, wiederholte sie etwas lauter.
»Bestimmt nicht«, erwiderte er mit einem kurzen Lächeln und legte den Arm um sie. »Außerdem ist für die nächsten Tage gutes Wetter angesagt.«
Er schafft es einfach, mir alle Angst zu nehmen, dachte sie und schmiegte sich an ihn.
Er war ausgerutscht, eine Treppe hinuntergefallen, hatte sich dabei mehrere Rippen und den Arm gebrochen im(] war ins Krankenhaus von Neumünster gebracht worden, auf die Station, auf der Emma seit drei Jahren als Krankenschwester arbeitete.
Er war sehr wortkarg gewesen. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, sie wolle ihn ausfragen, so beschränkten sich ihre Gespräche in der ersten Woche auf das Nötigste. Erst in der zweiten Woche erfuhr sie, dass er aus einer Familie mit sechs Kindern stammte und dass sein Vater Pastor war. Er, Paul, war am Evangelisch-lutherischen Missionsinstitut in Neumünster angenommen worden und hatte bereits eine Mission in Aussicht, als der Krieg ausbrach. Als Pastor wurde er zu einer Lazarett-Einheit geschickt. Er überlebte einen Angriff in Frankreich, konnte aber seitdem auf dem rechten Ohr nichts mehr hören. jetzt war er zweiunddreißig. Ein kräftiger, für sein Alter vielleicht ein wenig zu massiger Mann mit einer weichen, weißen Haut, die an den Armen und im Gesicht über und über mit Sommersprossen bedeckt war.
Oh, was für ein ungeduldiger Patient er gewesen war! Emma musste lächeln, wenn sie daran dachte.
»Wie lange wird das noch dauern?«, fragte er sie jeden Tag, wenn sie ins Zimmer kam, sein Bett aufschüttelte, das Kissen richtete, die Temperatur und den Puls maß.
»Es braucht eben seine Zeit«, gab sie dann meist zur Antwort, worauf er seufzte, bis sie eines Tages fragte: »Warum sind Sie so ungeduldig?«
Da zögerte er, und sein Gesicht bekam einen gequälten Ausdruck. Er antwortete jedoch nicht. Eine Woche später geschah etwas völlig Unerwartetes, etwas, woran sie niemals auch nur im Traum gedacht hätte.
Wie gewöhnlich war sie am Morgen durch die Krankenzimmer gegangen, hatte Fieber gemessen, die Patienten neu gebettet. Als sie zu ihm gekommen war, hatte er mit einer Hand auf den Bettrand geklopft. »Schwester Emma, ich muss mit Ihnen reden. Bitte, setzen Sie sich.«
Er sagte dies so bestimmt, dass sie gar nicht daran dachte, abzulehnen. Sie setzte sich also und sah ihn erwartungsvoll an.
»Sie wissen, dass ich Pastor bin?«
Das wusste sie nun schon, seit er hier lag. Sie musste ihn fragend angesehen haben, denn er winkte ab. »Sicher, natürlich wissen Sie das.« Er räusperte sich. »Unser Missionsinstitut hat es sich zur Auf-
gabe gemacht, Gottes Wort in der Welt zu verbreiten. In vielen Ländern der Erde gibt es Menschen, die weder lesen noch schreiben können und auch noch nie etwas von Jesus Christus erfahren haben.«
Emma hörte zu, aufmerksam und neugierig, worauf er wohl hinauswollte.
»Ich habe heute etwas sehr Bedeutendes erfahren.«
Sie konnte sich noch immer keinen Reim auf seine Bemerkungen machen und wartete.
»Ich übernehme eine Missionsstation.«
»Oh, das ist wirklich etwas Bedeutendes.« Er wird nach Afrika geschickt werden, dachte sie. Er nickte.
»Unser Missionsinstitut hat mit der evangelisch-lutherischen Synode von Süd ...« Er brach ab und sah sie sehr ernst an. »Schwester Emma?«
»Ja?« Was wollte er?
Er schluckte. Seine blauen Augen leuchteten jetzt, er richtete sich mühsam auf, holte Luft und stieß dann hervor: »Würden Sie meine Frau werden und mich nach Australien begleiten?"
Ihr verschlug es die Sprache. Damit hatte sie nicht gerechnet. Australien? Das Land auf der anderen Seite der Weltkugel? Sie war noch nie weiter als bis zum Hof ihrer Großeltern gereist, das waren gerade mal achtzig Kilometer - Australien?
Was war in diesem Moment in ihrem Kopf vorgegangen? War es die Vorstellung, die nächsten Jahre ihres Lebens abends zu einer verbitterten Mutter zurückkehren zu müssen? War es das Schuldgefühl, zu Hause geblieben zu sein und den Krieg überlebt zu haben? War es der Gedanke, dass das alles ihrem Vater, der so gern die Welt gesehen hätte, gefallen hätte? Oder war es die Anziehungskraft, die sie zu diesem fremden Mann spürte?
Auch im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, nur noch an jenen Moment, als sie den Mund öffnete und eine fremde Stimme sagte: »Ja.«
Er drückte ihre Hand, und sie stand auf. Ohne sich noch einmal
umzudrehen, ging sie hinaus, als sei gerade das Selbstverständlichste geschehen. Im Flur lehnte sie sich an die kalkweiße, kalte Wand und versuchte wieder zu atmen.
Eine Woche später fand in der Kirche des Missionsinstituts die Hochzeit statt. Emma stammte aus einer evangelisch-lutherischen Familie, und das stellte die Missionsleitung, die auch über die Eignung der Ehefrauen entscheiden musste, zufrieden. Nicht nur ihr Beruf erschien dem Gremium besonders willkommen, auch ihre zusätzlichen Fähigkeiten und Kenntnisse hatten sie beeindruckt. So verfügte sie dank des Bruders ihrer Mutter, der lange Zeit in England verbracht und einige Jahre mit ihnen zusammengewohnt hatte, über recht gute Englischkenntnisse, und stets hatte sie die Ferien auf dem Hof ihrer Großeltern väterlicherseits verbracht, wodurch sie mit allen praktischen Tätigkeiten vertraut war, was ihr auf einer Missionsstation zugute kommen würde. Noch nie im Leben war sie so überzeugt gewesen, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie würde etwas für die Menschheit tun, und Paul war ein Mann, der seine Aufgabe sehr ernst nahm. Und sie, sie würde ihn begleiten und ihn unterstützen. Was für eine großartige Aufgabe stand ihr bevor! Oh, Papa, dachte sie, ich weiß, dass du stolz auf mich wärst! Auch Vera, ihre Kollegin, war ganz außer sich vor Aufregung.
»Emma, wie wunderbar!«, rief sie aus und klatschte in ihre dicken Hände. »Nach Australien! Das wird das Abenteuer deines Lebens! Und er ist so ein stattlicher Mann! Wie ich dich beneide! Wenn ich doch auch nur so eine Chance bekäme! Aber wer heiratet schon eine Krankenschwester?«
Emma hatte gelächelt. In der Tat sahen es die Oberinnen nicht gern, wenn Krankenschwestern heirateten. Sie sollten sich ganz der Pflege der Patienten widmen. Dass das Ganze kein Abenteuer würde, sondern eine klare Entscheidung für ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben war, hatte sie Vera zwar zu erklären versucht, doch die hatte sie nur mit großen Augen angesehen. Der Kommentar ihrer Mutter war gewesen: »Jeder geht. Ich bleibe.« Dann hatte sie sich wieder ihren Putzarbeiten gewidmet. Die Krankenhausleitung wünschte ihr alles Gute. »Wir sind stolz auf Sie«, hatte Senator Hinrichs gesagt und ihr persönlich die Hand geschüttelt. Sie war errötet und hatte gedacht, dass doch gar niemand wusste, am wenigsten sie selbst, was sie in diesem fernen, fremden Land erwarten würde.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Originalausgabe 2007 by Manuela Martini
Ja, sie mochte sein Gesicht. Die blauen Augen mit den hellen, fast weißen Wimpern, die breiten Wangenknochen, die flächige Stirn, die Sommersprossen überall, sein eckiges Kinn mit dem Grübchen und seinen Mund mit den festen Lippen. Schon als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sein Anblick irgendetwas in ihr berührt. Sie hatte es nicht benennen können und eigentlich,
wenn sie genauer darüber nachdachte, konnte sie es heute - knapp fünf Wochen später - immer noch nicht. Vielleicht war es diese Kraft, dieser Wille, eine Aufgabe zu übernehmen und sich dieser voll und ganz zu widmen? Zu viele Menschen, denen sie nach dem Krieg begegnet war, waren mutlos geworden oder verroht, oder sie redeten nur davon, dass man etwas verändern müsse. Paul aber tat etwas. Und sie war seine Gefährtin.
»Oh, Verzeihung!«
Emma stöhnte auf und drehte sich um. Eine beleibte Person in einem grell gemusterten Sommerkleid hatte ihren fleischigen Arm in Emmas Rücken gestoßen. Ihr feistes Pfannkuchengesicht war kalkweiß unter dem Puder und dem Rouge. Sie presste ein Taschentuch vor den Mund und stolperte hastig auf dünnen Absätzen davon.
Oje, dachte Emma, hoffentlich werde ich nicht seekrank! Paul, der Emmas Blick aufgefangen, aber den Ellbogenstoß nicht mitbekommen hatte, hob fragend die Augenbrauen.
»Ich hoffe, dass ich nicht seekrank werde«, sagte Emma und rieb sich den schmerzenden Rücken. Paul erwiderte nichts. Hatte er sie überhaupt gehört?
»Hoffentlich werde ich nicht seekrank! «, wiederholte sie etwas lauter.
»Bestimmt nicht«, erwiderte er mit einem kurzen Lächeln und legte den Arm um sie. »Außerdem ist für die nächsten Tage gutes Wetter angesagt.«
Er schafft es einfach, mir alle Angst zu nehmen, dachte sie und schmiegte sich an ihn.
Er war ausgerutscht, eine Treppe hinuntergefallen, hatte sich dabei mehrere Rippen und den Arm gebrochen im(] war ins Krankenhaus von Neumünster gebracht worden, auf die Station, auf der Emma seit drei Jahren als Krankenschwester arbeitete.
Er war sehr wortkarg gewesen. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, sie wolle ihn ausfragen, so beschränkten sich ihre Gespräche in der ersten Woche auf das Nötigste. Erst in der zweiten Woche erfuhr sie, dass er aus einer Familie mit sechs Kindern stammte und dass sein Vater Pastor war. Er, Paul, war am Evangelisch-lutherischen Missionsinstitut in Neumünster angenommen worden und hatte bereits eine Mission in Aussicht, als der Krieg ausbrach. Als Pastor wurde er zu einer Lazarett-Einheit geschickt. Er überlebte einen Angriff in Frankreich, konnte aber seitdem auf dem rechten Ohr nichts mehr hören. jetzt war er zweiunddreißig. Ein kräftiger, für sein Alter vielleicht ein wenig zu massiger Mann mit einer weichen, weißen Haut, die an den Armen und im Gesicht über und über mit Sommersprossen bedeckt war.
Oh, was für ein ungeduldiger Patient er gewesen war! Emma musste lächeln, wenn sie daran dachte.
»Wie lange wird das noch dauern?«, fragte er sie jeden Tag, wenn sie ins Zimmer kam, sein Bett aufschüttelte, das Kissen richtete, die Temperatur und den Puls maß.
»Es braucht eben seine Zeit«, gab sie dann meist zur Antwort, worauf er seufzte, bis sie eines Tages fragte: »Warum sind Sie so ungeduldig?«
Da zögerte er, und sein Gesicht bekam einen gequälten Ausdruck. Er antwortete jedoch nicht. Eine Woche später geschah etwas völlig Unerwartetes, etwas, woran sie niemals auch nur im Traum gedacht hätte.
Wie gewöhnlich war sie am Morgen durch die Krankenzimmer gegangen, hatte Fieber gemessen, die Patienten neu gebettet. Als sie zu ihm gekommen war, hatte er mit einer Hand auf den Bettrand geklopft. »Schwester Emma, ich muss mit Ihnen reden. Bitte, setzen Sie sich.«
Er sagte dies so bestimmt, dass sie gar nicht daran dachte, abzulehnen. Sie setzte sich also und sah ihn erwartungsvoll an.
»Sie wissen, dass ich Pastor bin?«
Das wusste sie nun schon, seit er hier lag. Sie musste ihn fragend angesehen haben, denn er winkte ab. »Sicher, natürlich wissen Sie das.« Er räusperte sich. »Unser Missionsinstitut hat es sich zur Auf-
gabe gemacht, Gottes Wort in der Welt zu verbreiten. In vielen Ländern der Erde gibt es Menschen, die weder lesen noch schreiben können und auch noch nie etwas von Jesus Christus erfahren haben.«
Emma hörte zu, aufmerksam und neugierig, worauf er wohl hinauswollte.
»Ich habe heute etwas sehr Bedeutendes erfahren.«
Sie konnte sich noch immer keinen Reim auf seine Bemerkungen machen und wartete.
»Ich übernehme eine Missionsstation.«
»Oh, das ist wirklich etwas Bedeutendes.« Er wird nach Afrika geschickt werden, dachte sie. Er nickte.
»Unser Missionsinstitut hat mit der evangelisch-lutherischen Synode von Süd ...« Er brach ab und sah sie sehr ernst an. »Schwester Emma?«
»Ja?« Was wollte er?
Er schluckte. Seine blauen Augen leuchteten jetzt, er richtete sich mühsam auf, holte Luft und stieß dann hervor: »Würden Sie meine Frau werden und mich nach Australien begleiten?"
Ihr verschlug es die Sprache. Damit hatte sie nicht gerechnet. Australien? Das Land auf der anderen Seite der Weltkugel? Sie war noch nie weiter als bis zum Hof ihrer Großeltern gereist, das waren gerade mal achtzig Kilometer - Australien?
Was war in diesem Moment in ihrem Kopf vorgegangen? War es die Vorstellung, die nächsten Jahre ihres Lebens abends zu einer verbitterten Mutter zurückkehren zu müssen? War es das Schuldgefühl, zu Hause geblieben zu sein und den Krieg überlebt zu haben? War es der Gedanke, dass das alles ihrem Vater, der so gern die Welt gesehen hätte, gefallen hätte? Oder war es die Anziehungskraft, die sie zu diesem fremden Mann spürte?
Auch im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, nur noch an jenen Moment, als sie den Mund öffnete und eine fremde Stimme sagte: »Ja.«
Er drückte ihre Hand, und sie stand auf. Ohne sich noch einmal
umzudrehen, ging sie hinaus, als sei gerade das Selbstverständlichste geschehen. Im Flur lehnte sie sich an die kalkweiße, kalte Wand und versuchte wieder zu atmen.
Eine Woche später fand in der Kirche des Missionsinstituts die Hochzeit statt. Emma stammte aus einer evangelisch-lutherischen Familie, und das stellte die Missionsleitung, die auch über die Eignung der Ehefrauen entscheiden musste, zufrieden. Nicht nur ihr Beruf erschien dem Gremium besonders willkommen, auch ihre zusätzlichen Fähigkeiten und Kenntnisse hatten sie beeindruckt. So verfügte sie dank des Bruders ihrer Mutter, der lange Zeit in England verbracht und einige Jahre mit ihnen zusammengewohnt hatte, über recht gute Englischkenntnisse, und stets hatte sie die Ferien auf dem Hof ihrer Großeltern väterlicherseits verbracht, wodurch sie mit allen praktischen Tätigkeiten vertraut war, was ihr auf einer Missionsstation zugute kommen würde. Noch nie im Leben war sie so überzeugt gewesen, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie würde etwas für die Menschheit tun, und Paul war ein Mann, der seine Aufgabe sehr ernst nahm. Und sie, sie würde ihn begleiten und ihn unterstützen. Was für eine großartige Aufgabe stand ihr bevor! Oh, Papa, dachte sie, ich weiß, dass du stolz auf mich wärst! Auch Vera, ihre Kollegin, war ganz außer sich vor Aufregung.
»Emma, wie wunderbar!«, rief sie aus und klatschte in ihre dicken Hände. »Nach Australien! Das wird das Abenteuer deines Lebens! Und er ist so ein stattlicher Mann! Wie ich dich beneide! Wenn ich doch auch nur so eine Chance bekäme! Aber wer heiratet schon eine Krankenschwester?«
Emma hatte gelächelt. In der Tat sahen es die Oberinnen nicht gern, wenn Krankenschwestern heirateten. Sie sollten sich ganz der Pflege der Patienten widmen. Dass das Ganze kein Abenteuer würde, sondern eine klare Entscheidung für ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben war, hatte sie Vera zwar zu erklären versucht, doch die hatte sie nur mit großen Augen angesehen. Der Kommentar ihrer Mutter war gewesen: »Jeder geht. Ich bleibe.« Dann hatte sie sich wieder ihren Putzarbeiten gewidmet. Die Krankenhausleitung wünschte ihr alles Gute. »Wir sind stolz auf Sie«, hatte Senator Hinrichs gesagt und ihr persönlich die Hand geschüttelt. Sie war errötet und hatte gedacht, dass doch gar niemand wusste, am wenigsten sie selbst, was sie in diesem fernen, fremden Land erwarten würde.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Originalausgabe 2007 by Manuela Martini
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Bibliographische Angaben
- Autor: Manuela Martini
- 527 Seiten, Maße: 13,2 x 19 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828989438
- ISBN-13: 9783828989436
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