Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Historischer Roman
Rosamund wird das "Mädchen mit den Teufelsaugen" genannt, da sie ein braunes und ein blaues Auge hat. Als in der Malerwerkstatt ihres Vaters ein Unglück geschieht, soll sie das Haus verlassen.
Doch dann taucht Matteo auf.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Mädchen mit den Teufelsaugen “
Rosamund wird das "Mädchen mit den Teufelsaugen" genannt, da sie ein braunes und ein blaues Auge hat. Als in der Malerwerkstatt ihres Vaters ein Unglück geschieht, soll sie das Haus verlassen.
Doch dann taucht Matteo auf.
Klappentext zu „Das Mädchen mit den Teufelsaugen “
Sie trägt das Zeichen des Bösen ...Die Frauen erschrecken und bekreuzigen sich, die Männer fliehen, wenn sie Rosamund sehen. Denn sie hat «Teufelsaugen», ein blaues und ein braunes. Ihr einziger Zufluchtsort: die Malerwerkstatt des Vaters. Dort lernt sie schnell, mit Pinseln und Pigmenten zu arbeiten. Doch dann geschieht ein Unglück in der Werkstatt - und alle erinnern sich an das Mädchen, das nur Unheil bringt ...
Lese-Probe zu „Das Mädchen mit den Teufelsaugen “
Das Mädchen mit den Teufelsaugen von Ines ThornErstes Kapitel
Frankfurt im Jahre 1530
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«Hast du nicht gehört? Es hat geklopft!» Lisbeth sah ihren Mann so vorwurfsvoll an, als wäre er der Störenfried.
Sie legte die Hände auf ihren hochschwangeren Bauch und die Füße auf einen Schemel: «Na, los doch.»
Ruppert erhob sich seufzend, ging die Treppe hinunter zur Haustür.
«Lass bloß keinen rein, hörst du?», rief seine Frau von oben. «Um diese Zeit klopfen nur noch Lügner und Betrüger.»
«Ja, ja.»
Er öffnete die Tür. Vor ihm stand eine junge Frau und sah ihn mit großen, dunklen Augen an. Sie trug ein verschlissenes grellbuntes Kleid, an ihren Handgelenken klapperten Armreifen aus billigem Holz. «Bitte!», sagte sie, sonst nichts.
Regenwasser rann aus den langen Haaren, färbte ihr viel zu dünnes Kleid dunkel. Sie zitterte am ganzen Leib. Ruppert trat einen Schritt zur Seite, ließ die junge Frau ein, ging vor ihr her in die Küche.
«Wer ist es?», rief seine Frau von oben.
Ruppert legte den Zeigefinger quer über den Mund und sah die junge Frau an. Sie nickte.
«Es ist nichts, Liebes. Nur ein Versehen», rief er nach oben.
Dann machte er Milch warm, schob dem Mädchen einen Becher hin.
«Was führt Euch her?», fragte er dann.
Das Mädchen trank, wischte sich mit dem Handrücken die Milch von der Oberlippe. «Ich bin eine Zigeunerin, das seht Ihr ja an meiner Kleidung. Heute auf dem Markt hat man mich erwischt, als ich einer Frau den Geldbeutel vom Gürtel geschnitten habe. Man hat mich ausgepeitscht, aber erst nach Toresschluss gehen lassen. Meine Leute sind weitergezogen, haben mein Neugeborenes mitgenommen. Und ich sitze hier fest, darf nicht aus der Stadt hinaus, darf auch nicht drinnen bleiben.»
«Warum habt Ihr ausgerechnet bei mir geklopft?»
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. «Die Blumentöpfe vor den Fenstern, das Kerzenlicht. Es sah so warm und gemütlich aus. Ich dachte, wer so lebt, kann kein schlechter Mensch sein.» Sie hob den Arm, um das nasse Haar zu lockern, und stöhnte dabei zum Gotterbarmen. «Die Wunden von der Peitsche», erklärte sie und drehte sich ein wenig.
Erst jetzt sah Ruppert, dass ihr Kleid am Rücken von Blut durchtränkt war.
«Wo bleibst du denn, Ruppert?», gellte eine Stimme durch das Haus.
«Ich komme, Liebes.»
Dann schnitt er eine dicke Scheibe Brot von einem Kanten, schob eine Schüssel mit ausgelassenem Schweinefett zu dem Mädchen. «Esst, Ihr habt sicher Hunger. Wenn Ihr fertig seid, gebe ich Euch ein bisschen Leinenstoff für die Wunden. Ihr könnt in der Werkstatt schlafen. Dort ist es warm und trocken. Eine Decke gebe ich Euch auch.»
«Vergelt's Euch Gott.» Das Mädchen biss in das Brot, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen.
«Was ist hier los?» Lisbeth stand in der Küchentür, die Hände auf dem Bauch. «Wer ist das? Was will die hier?»
Ruppert seufzte. «Eine Zigeunerin. Sie weiß nicht wohin heute Nacht. In der Werkstatt wird sie schlafen.»
«Und was zahlt sie dafür?» Lisbeth rieb den Daumen gegen den Zeigefinger.
«Ich habe kein Geld», sagte das Mädchen.
Lisbeth trat einen Schritt vor, riss ihr das Brot aus der Hand, schob den Schmalztopf zur hintersten Tischkante. «Wer nicht zahlt, kriegt nichts.»
Das Mädchen sah dem Brot nach, schluckte, erhob sich und stöhnte dabei.
«Sie hat große Schmerzen», erklärte Ruppert. «Als Christenmenschen sollten wir sie lassen. Es ist kalt draußen, Sturm kommt auf. In der Werkstatt stört sie niemanden.»
Lisbeth schürzte die Lippen. «Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. So steht es in der Schrift. Sie kann bleiben, wenn sie dafür arbeitet.»
Lisbeth wandte sich an das Mädchen. «Was kannst du?»
«Singen und tanzen.»
«Pah! Das kann ich selbst. Den ganzen Tag kann ich um den gedeckten Tisch tanzen, wenn mir danach ist. Arbeit sieht anders aus. Also?»
Das Mädchen starrte auf die Tischplatte, dann auf Ruppert, der mit hängenden Schultern neben der Kochstelle stand.
«Ich kann Euch die Zukunft aus der Hand lesen.» Die Worte kamen leise.
Lisbeth legte eine Hand hinters Ohr. «Was hast du gesagt?»
«Ich kann Euch die Zukunft aus der Hand lesen, auch einiges über das Kind sagen, das Ihr erwartet.»
Lisbeth setzte sich. «Das ist Ketzerei, was du sagst. Weißt du das?»
Das Mädchen sah stumm auf den gefliesten Küchenboden.
«Ich kann dich anzeigen», drohte Lisbeth. «Du weißt, was mit Frauen wie dir geschieht? Man darf dem Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen.»
Sie drückte das Mädchen zurück auf die Bank, rückte nahe an sie heran, sodass ihre Schultern sich beinahe berührten.
«Jetzt lass sie doch», warf Ruppert ein.
Lisbeth fuhr herum, zeigte mit dem Finger auf ihren Mann: «Du sei still. Hast uns ja das hier alles eingebrockt.»
Sie schob ihren Ärmel hoch, streckte dem Mädchen ihre rechte Hand hin. «Da, lies, was drinnen steht. Aber ganz genau, ich will alles wissen.»
Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Die linke Hand muss es sein. Man liest aus der linken Hand, weil sie vom Herzen kommt.»
«So man ein Herz hat!» Rupperts Mundwinkel krochen nach oben.
«Halt den Mund!», zischte sein Weib und stieß ihre linke Hand wie einen Vogelschnabel in die Richtung des Mädchens. «Also? Was steht da?»
Das Mädchen betrachtete die Hand der Frau. Vorsichtig griff sie danach, zog sie zu sich heran.
«Ihr habt einen starken Willen», sagte sie. «Hier, das obere Daumenglied ist sehr ausgeprägt.»
Sie hatte vorhin gesehen, wie die Frau ihre Hand zur Faust geballt hatte. Der Daumen lag dabei über Zeige- und Ringfinger, als wolle er sie an einem Ausbruch hindern. Sie setzt ihren Willen durch, wo immer sie kann, hatte das Mädchen gedacht. Sie ist eine Despotin. Wäre sie ein Mann, so würde sie viel zu oft von ihren Fäusten Gebrauch machen.
«Und weiter?» Lisbeth wackelte mit der Hand vor dem Gesicht der Zigeunerin herum. «Was ist mit Geld und Ruhm? Wie lange lebe ich?»
Noch während sie ihre Hand bewegte, stellte das Mädchen fest, dass die Haut einen Stich ins Gelbe aufwies. Trotz, dachte die Zigeunerin. Gelbe Hände stehen für Trotz, Leidenschaft, gieriges Wesen und galliges Temperament. Ich muss vorsichtig sein. Das zweite Glied des Daumens ist ziemlich kurz. So kurz wie ihr Verstand. Ich muss nicht nur vorsichtig, ich muss geradezu auf der Hut sein. Ein falsches Wort von mir, und sie übergibt mich der Inquisition.
Sie zog die Hand der Schwangeren näher zu sich, fuhr mit dem Zeigefinger eine Linie nach, die sich als Halbkreis vom Handgelenk neben dem Daumenballen nach oben bis zum Zeigefinger zog. «Seht her, das ist Eure Lebenslinie. Sie ist ziemlich lang.»
«Was heißt das? So lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.»
«Ihr werdet Eure Freunde überleben, aber vor Euren Feinden sterben.»
Lisbeth sah die Zigeunerin mit zusammengekniffenen Augen an. «Und wer steht dann an meinem Grab?», fragte sie.
Die Zigeunerin zögerte. «Vielleicht könntet Ihr Eure Feinde zu Euern Freunden machen? Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit.»
«Meine Feinde können mir den Buckel runterrutschen.» Lisbeth fuhr unruhig auf der Bank hin und her. «Was ist mit Geld und Ruhm?»
Das Mädchen zog die Hand noch dichter vor ihr Gesicht. Die Ruhmlinie, dachte sie. Wo ist bei dieser Frau die Ruhmlinie? Normalerweise befindet sie sich am Zeigefinger, geht direkt vom unteren Fingerglied in den Venusberg, den Daumenballen, aber hier ist nichts, rein gar nichts.
Das Mädchen wusste, was dies zu bedeuten hatte. Und sie wusste auch, dass die Handleserehre es verbot zu lügen. Sie war ein Mädchen mit Ehre und stahl nur, wenn es sich nicht umgehen ließ. Aber sie hatte noch nie gelogen.
«Der Ruhm, ja», sagte sie und drückte die Hand der Schwangeren ein wenig zusammen, in der Hoffnung, dass auf diese Art doch noch eine Linie sichtbar wurde. Doch da war nichts. «Der Ruhm», sagte sie schließlich und seufzte dabei, «muss hart erarbeitet werden.»
«Wie? Willst du etwa sagen, dass ich nicht hart arbeite?» Lisbeth zog mit einem Ruck ihre Hand zurück und funkelte das Mädchen zornig an.
«Nein, ich wollte gar nichts sagen. Ich lese nur, was in der Hand steht. Aber was wäre denn ein Ruhm wert, der nicht selbst erarbeitet ist?»
Lisbeth sah zu Ruppert. Der nickte. «Sie hat recht, Liebes.»
Lisbeth schob die Unterlippe schmollend vor, dann stieß sie ihre Hand wieder in Richtung des Mädchens. «Geld. Du hast nichts über Reichtum gesagt. Was ist damit?»
Das Mädchen zögerte.
«Was ist? Kannst du auf einmal nicht mehr lesen?»
Die Zigeunerin sah, wie sich der Kopf der Schwangeren plötzlich rot färbte. Ihre Lippen waren zusammengepresst, als ob sie Schmerzen leide.
«Geht es Euch gut?», fragte sie besorgt.
«Ja, ja. Es ist nichts, hat Zeit, bis du mir gesagt hast, wie viel Geld ich haben werde.»
Das Mädchen sah nur noch flüchtig in die Hand. «In Eurer Geldbörse wird immer das Nötige vorhanden sein.»
«Reichtum. Ich habe von Reichtum gesprochen. Guck genau hin.»
Mit dem Finger fuhr das Mädchen eine Linie entlang, stieß dabei auf eine zweite, die sie zusammenzucken ließ. Gütiger Gott, dachte sie. In ihrer Hand ist ein Ort des Todes und der Verdammnis eingezeichnet. Genau dort, wo sonst die Geldlinie liegt. Und die Saturnlinie wird an einer bestimmten Stelle vom Venusgürtel begrenzt. Das ist der Ort der Feinde.
Ohne es zu bemerken, presste das Mädchen die Hand der Schwangeren fest zusammen, schaute noch einmal genau hin - und ließ die Hand dann fahren, als wäre sie glühend heiß.
«Was ist?», schrillte Lisbeth. Auch Ruppert war hinzugetreten, sah auf die Hand seiner Frau, in die aufgerissenen Augen des Mädchens.
«Nichts», stammelte die Zigeunerin. «Nichts, ich habe nichts gesehen. Es ist dunkel, vielleicht sollte ich morgen noch einmal schauen.»
«Das Mädchen hat recht. Es ist spät, Lisbeth, wir sollten alle zu Bett gehen.»
Ruppert legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter, doch Lisbeth rührte sich nicht. Sie saß wie angenäht, den Blick starr auf das flackernde Licht der Kerze. «Mir wird ... mir wird so komisch», keuchte sie. Schweiß trat auf ihre Oberlippe, ihre Augen bekamen einen fiebrigen Glanz.
Sofort sprang das Mädchen auf, legte beide Hände auf den dicken Bauch, stieß dann Luft zwischen den Zähnen hervor.
«Jemand sollte die Hebamme holen», sagte sie leise, aber so bestimmt, dass Ruppert wortlos nach der Öllampe griff und das Haus verließ.
Lisbeth war unterdessen kreidebleich geworden. Ihre Finger hatten sich in den Rand der Tischplatte gekrallt, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Augen quollen beinahe aus den Höhlen, fixierten das Mädchen. «Hast du mich verhext?», fragte sie.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Ich bin keine Hexe, ich bin Zigeunerin. Nur aus der Hand lesen kann ich, sonst nichts.»
«Hilf mir hoch!» Lisbeth hatte eine Hand vom Tisch gelöst und griff nach dem Mädchen. «Ich will aufstehen, will weg von dir.»
Das Mädchen fasste den Oberarm der Frau und zog daran so fest sie konnte. Langsam kam Lisbeth nach oben, das Gesicht schmerzverzerrt. Stoßweise kam der Atem aus ihrem offenen Mund. Die Kleider klebten ihr am Leib.
Da schrie sie plötzlich auf, und eine grüne Flüssigkeit schoss aus dem Leib der Frau.
Vorsichtig und unter Aufbietung aller Kräfte bettete die Zigeunerin die Frau auf die Küchenbank, schob ein Kissen unter ihren Kopf. Die Frau starrte sie an, doch das Mädchen wusste nicht, ob die Schwangere überhaupt etwas wahrnahm.
Dann entfachte sie das Feuer in der Kochstelle und stellte den gefüllten Wasserkessel darauf. Dabei blickte sie immer wieder zu Lisbeth, deren Gesicht in Schweiß gebadet war. Ihr Mund war halb geöffnet, wimmernde Laute waren zu hören, der hohe Bauch bewegte sich von Zeit zu Zeit in Wellen.
Das Mädchen füllte einen Becher mit Wasser, gab der Frau zu trinken, saß bei ihr, hielt ihre Hand und betete halblaut zu Gott, dass die Hebamme kommen möge. Dabei hielt sie den Blick fest auf die linke Hand der Schwangeren gerichtet, als könnten ihre Blicke auslöschen, was sie darin gelesen hatte.
Als das Wasser im Kessel zu kochen begann, stürzte Ruppert in die Küche, eine dürre ältere Frau mit harten Augen im Schlepptau.
«Was ist passiert?» Die laute Stimme der Hebamme hallte durch den Raum.
«Da.» Das Mädchen wies auf die grünliche Pfütze am Boden. «Ihr ist Wasser abgegangen.»
Die Hebamme tunkte einen Finger in die Nässe, roch daran, verzog das Gesicht ein wenig und leckte den Finger dann ab.
«Es wird höchste Zeit. Sie hat das Kind schon viel zu lange im Bauch.» Dann krempelte sie sich die Ärmel hoch und fuhr der Hausfrau unter den Rock, ohne sich vorher die Hände zu waschen.
Das Mädchen stand dabei, bereit, auf jeden Zuruf zu reagieren.
«Los, bring ein Handtuch.»
«Hole Wasser.»
«Eine Schere, rasch.»
Als das Kind endlich auf die Welt gebracht war, Lisbeth ohne Bewusstsein lag und die Hebamme sich eine blutbeschmierte Schürze vom Leib riss, war das Mädchen so erschöpft, als hätte sie selbst gerade geboren.
Sie hielt ein angewärmtes, weiches Leinentuch bereit, hüllte das Kind darin ein, wiegte es in den Armen, klopfte sanft auf seinen Po. «Mein Guterle, mein Herzensschönchen», sagte sie und lachte auf, als es zu schreien begann.
Die Hebamme warf ihr einen Blick zu. «Kümmere dich um das Kind, ich habe mit der hier zu tun. Lass den Vater zum Pfarrer gehen, besser ist besser.»
In diesem Augenblick schlug das Kind die Äuglein auf. Das Mädchen erstarrte, schaute wie gebannt auf das winzige Kind, auf sein Gesicht, auf seine Augen, von denen eines blau und das andere braun war.
...
Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Hast du nicht gehört? Es hat geklopft!» Lisbeth sah ihren Mann so vorwurfsvoll an, als wäre er der Störenfried.
Sie legte die Hände auf ihren hochschwangeren Bauch und die Füße auf einen Schemel: «Na, los doch.»
Ruppert erhob sich seufzend, ging die Treppe hinunter zur Haustür.
«Lass bloß keinen rein, hörst du?», rief seine Frau von oben. «Um diese Zeit klopfen nur noch Lügner und Betrüger.»
«Ja, ja.»
Er öffnete die Tür. Vor ihm stand eine junge Frau und sah ihn mit großen, dunklen Augen an. Sie trug ein verschlissenes grellbuntes Kleid, an ihren Handgelenken klapperten Armreifen aus billigem Holz. «Bitte!», sagte sie, sonst nichts.
Regenwasser rann aus den langen Haaren, färbte ihr viel zu dünnes Kleid dunkel. Sie zitterte am ganzen Leib. Ruppert trat einen Schritt zur Seite, ließ die junge Frau ein, ging vor ihr her in die Küche.
«Wer ist es?», rief seine Frau von oben.
Ruppert legte den Zeigefinger quer über den Mund und sah die junge Frau an. Sie nickte.
«Es ist nichts, Liebes. Nur ein Versehen», rief er nach oben.
Dann machte er Milch warm, schob dem Mädchen einen Becher hin.
«Was führt Euch her?», fragte er dann.
Das Mädchen trank, wischte sich mit dem Handrücken die Milch von der Oberlippe. «Ich bin eine Zigeunerin, das seht Ihr ja an meiner Kleidung. Heute auf dem Markt hat man mich erwischt, als ich einer Frau den Geldbeutel vom Gürtel geschnitten habe. Man hat mich ausgepeitscht, aber erst nach Toresschluss gehen lassen. Meine Leute sind weitergezogen, haben mein Neugeborenes mitgenommen. Und ich sitze hier fest, darf nicht aus der Stadt hinaus, darf auch nicht drinnen bleiben.»
«Warum habt Ihr ausgerechnet bei mir geklopft?»
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. «Die Blumentöpfe vor den Fenstern, das Kerzenlicht. Es sah so warm und gemütlich aus. Ich dachte, wer so lebt, kann kein schlechter Mensch sein.» Sie hob den Arm, um das nasse Haar zu lockern, und stöhnte dabei zum Gotterbarmen. «Die Wunden von der Peitsche», erklärte sie und drehte sich ein wenig.
Erst jetzt sah Ruppert, dass ihr Kleid am Rücken von Blut durchtränkt war.
«Wo bleibst du denn, Ruppert?», gellte eine Stimme durch das Haus.
«Ich komme, Liebes.»
Dann schnitt er eine dicke Scheibe Brot von einem Kanten, schob eine Schüssel mit ausgelassenem Schweinefett zu dem Mädchen. «Esst, Ihr habt sicher Hunger. Wenn Ihr fertig seid, gebe ich Euch ein bisschen Leinenstoff für die Wunden. Ihr könnt in der Werkstatt schlafen. Dort ist es warm und trocken. Eine Decke gebe ich Euch auch.»
«Vergelt's Euch Gott.» Das Mädchen biss in das Brot, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen.
«Was ist hier los?» Lisbeth stand in der Küchentür, die Hände auf dem Bauch. «Wer ist das? Was will die hier?»
Ruppert seufzte. «Eine Zigeunerin. Sie weiß nicht wohin heute Nacht. In der Werkstatt wird sie schlafen.»
«Und was zahlt sie dafür?» Lisbeth rieb den Daumen gegen den Zeigefinger.
«Ich habe kein Geld», sagte das Mädchen.
Lisbeth trat einen Schritt vor, riss ihr das Brot aus der Hand, schob den Schmalztopf zur hintersten Tischkante. «Wer nicht zahlt, kriegt nichts.»
Das Mädchen sah dem Brot nach, schluckte, erhob sich und stöhnte dabei.
«Sie hat große Schmerzen», erklärte Ruppert. «Als Christenmenschen sollten wir sie lassen. Es ist kalt draußen, Sturm kommt auf. In der Werkstatt stört sie niemanden.»
Lisbeth schürzte die Lippen. «Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. So steht es in der Schrift. Sie kann bleiben, wenn sie dafür arbeitet.»
Lisbeth wandte sich an das Mädchen. «Was kannst du?»
«Singen und tanzen.»
«Pah! Das kann ich selbst. Den ganzen Tag kann ich um den gedeckten Tisch tanzen, wenn mir danach ist. Arbeit sieht anders aus. Also?»
Das Mädchen starrte auf die Tischplatte, dann auf Ruppert, der mit hängenden Schultern neben der Kochstelle stand.
«Ich kann Euch die Zukunft aus der Hand lesen.» Die Worte kamen leise.
Lisbeth legte eine Hand hinters Ohr. «Was hast du gesagt?»
«Ich kann Euch die Zukunft aus der Hand lesen, auch einiges über das Kind sagen, das Ihr erwartet.»
Lisbeth setzte sich. «Das ist Ketzerei, was du sagst. Weißt du das?»
Das Mädchen sah stumm auf den gefliesten Küchenboden.
«Ich kann dich anzeigen», drohte Lisbeth. «Du weißt, was mit Frauen wie dir geschieht? Man darf dem Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen.»
Sie drückte das Mädchen zurück auf die Bank, rückte nahe an sie heran, sodass ihre Schultern sich beinahe berührten.
«Jetzt lass sie doch», warf Ruppert ein.
Lisbeth fuhr herum, zeigte mit dem Finger auf ihren Mann: «Du sei still. Hast uns ja das hier alles eingebrockt.»
Sie schob ihren Ärmel hoch, streckte dem Mädchen ihre rechte Hand hin. «Da, lies, was drinnen steht. Aber ganz genau, ich will alles wissen.»
Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Die linke Hand muss es sein. Man liest aus der linken Hand, weil sie vom Herzen kommt.»
«So man ein Herz hat!» Rupperts Mundwinkel krochen nach oben.
«Halt den Mund!», zischte sein Weib und stieß ihre linke Hand wie einen Vogelschnabel in die Richtung des Mädchens. «Also? Was steht da?»
Das Mädchen betrachtete die Hand der Frau. Vorsichtig griff sie danach, zog sie zu sich heran.
«Ihr habt einen starken Willen», sagte sie. «Hier, das obere Daumenglied ist sehr ausgeprägt.»
Sie hatte vorhin gesehen, wie die Frau ihre Hand zur Faust geballt hatte. Der Daumen lag dabei über Zeige- und Ringfinger, als wolle er sie an einem Ausbruch hindern. Sie setzt ihren Willen durch, wo immer sie kann, hatte das Mädchen gedacht. Sie ist eine Despotin. Wäre sie ein Mann, so würde sie viel zu oft von ihren Fäusten Gebrauch machen.
«Und weiter?» Lisbeth wackelte mit der Hand vor dem Gesicht der Zigeunerin herum. «Was ist mit Geld und Ruhm? Wie lange lebe ich?»
Noch während sie ihre Hand bewegte, stellte das Mädchen fest, dass die Haut einen Stich ins Gelbe aufwies. Trotz, dachte die Zigeunerin. Gelbe Hände stehen für Trotz, Leidenschaft, gieriges Wesen und galliges Temperament. Ich muss vorsichtig sein. Das zweite Glied des Daumens ist ziemlich kurz. So kurz wie ihr Verstand. Ich muss nicht nur vorsichtig, ich muss geradezu auf der Hut sein. Ein falsches Wort von mir, und sie übergibt mich der Inquisition.
Sie zog die Hand der Schwangeren näher zu sich, fuhr mit dem Zeigefinger eine Linie nach, die sich als Halbkreis vom Handgelenk neben dem Daumenballen nach oben bis zum Zeigefinger zog. «Seht her, das ist Eure Lebenslinie. Sie ist ziemlich lang.»
«Was heißt das? So lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.»
«Ihr werdet Eure Freunde überleben, aber vor Euren Feinden sterben.»
Lisbeth sah die Zigeunerin mit zusammengekniffenen Augen an. «Und wer steht dann an meinem Grab?», fragte sie.
Die Zigeunerin zögerte. «Vielleicht könntet Ihr Eure Feinde zu Euern Freunden machen? Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit.»
«Meine Feinde können mir den Buckel runterrutschen.» Lisbeth fuhr unruhig auf der Bank hin und her. «Was ist mit Geld und Ruhm?»
Das Mädchen zog die Hand noch dichter vor ihr Gesicht. Die Ruhmlinie, dachte sie. Wo ist bei dieser Frau die Ruhmlinie? Normalerweise befindet sie sich am Zeigefinger, geht direkt vom unteren Fingerglied in den Venusberg, den Daumenballen, aber hier ist nichts, rein gar nichts.
Das Mädchen wusste, was dies zu bedeuten hatte. Und sie wusste auch, dass die Handleserehre es verbot zu lügen. Sie war ein Mädchen mit Ehre und stahl nur, wenn es sich nicht umgehen ließ. Aber sie hatte noch nie gelogen.
«Der Ruhm, ja», sagte sie und drückte die Hand der Schwangeren ein wenig zusammen, in der Hoffnung, dass auf diese Art doch noch eine Linie sichtbar wurde. Doch da war nichts. «Der Ruhm», sagte sie schließlich und seufzte dabei, «muss hart erarbeitet werden.»
«Wie? Willst du etwa sagen, dass ich nicht hart arbeite?» Lisbeth zog mit einem Ruck ihre Hand zurück und funkelte das Mädchen zornig an.
«Nein, ich wollte gar nichts sagen. Ich lese nur, was in der Hand steht. Aber was wäre denn ein Ruhm wert, der nicht selbst erarbeitet ist?»
Lisbeth sah zu Ruppert. Der nickte. «Sie hat recht, Liebes.»
Lisbeth schob die Unterlippe schmollend vor, dann stieß sie ihre Hand wieder in Richtung des Mädchens. «Geld. Du hast nichts über Reichtum gesagt. Was ist damit?»
Das Mädchen zögerte.
«Was ist? Kannst du auf einmal nicht mehr lesen?»
Die Zigeunerin sah, wie sich der Kopf der Schwangeren plötzlich rot färbte. Ihre Lippen waren zusammengepresst, als ob sie Schmerzen leide.
«Geht es Euch gut?», fragte sie besorgt.
«Ja, ja. Es ist nichts, hat Zeit, bis du mir gesagt hast, wie viel Geld ich haben werde.»
Das Mädchen sah nur noch flüchtig in die Hand. «In Eurer Geldbörse wird immer das Nötige vorhanden sein.»
«Reichtum. Ich habe von Reichtum gesprochen. Guck genau hin.»
Mit dem Finger fuhr das Mädchen eine Linie entlang, stieß dabei auf eine zweite, die sie zusammenzucken ließ. Gütiger Gott, dachte sie. In ihrer Hand ist ein Ort des Todes und der Verdammnis eingezeichnet. Genau dort, wo sonst die Geldlinie liegt. Und die Saturnlinie wird an einer bestimmten Stelle vom Venusgürtel begrenzt. Das ist der Ort der Feinde.
Ohne es zu bemerken, presste das Mädchen die Hand der Schwangeren fest zusammen, schaute noch einmal genau hin - und ließ die Hand dann fahren, als wäre sie glühend heiß.
«Was ist?», schrillte Lisbeth. Auch Ruppert war hinzugetreten, sah auf die Hand seiner Frau, in die aufgerissenen Augen des Mädchens.
«Nichts», stammelte die Zigeunerin. «Nichts, ich habe nichts gesehen. Es ist dunkel, vielleicht sollte ich morgen noch einmal schauen.»
«Das Mädchen hat recht. Es ist spät, Lisbeth, wir sollten alle zu Bett gehen.»
Ruppert legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter, doch Lisbeth rührte sich nicht. Sie saß wie angenäht, den Blick starr auf das flackernde Licht der Kerze. «Mir wird ... mir wird so komisch», keuchte sie. Schweiß trat auf ihre Oberlippe, ihre Augen bekamen einen fiebrigen Glanz.
Sofort sprang das Mädchen auf, legte beide Hände auf den dicken Bauch, stieß dann Luft zwischen den Zähnen hervor.
«Jemand sollte die Hebamme holen», sagte sie leise, aber so bestimmt, dass Ruppert wortlos nach der Öllampe griff und das Haus verließ.
Lisbeth war unterdessen kreidebleich geworden. Ihre Finger hatten sich in den Rand der Tischplatte gekrallt, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Augen quollen beinahe aus den Höhlen, fixierten das Mädchen. «Hast du mich verhext?», fragte sie.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Ich bin keine Hexe, ich bin Zigeunerin. Nur aus der Hand lesen kann ich, sonst nichts.»
«Hilf mir hoch!» Lisbeth hatte eine Hand vom Tisch gelöst und griff nach dem Mädchen. «Ich will aufstehen, will weg von dir.»
Das Mädchen fasste den Oberarm der Frau und zog daran so fest sie konnte. Langsam kam Lisbeth nach oben, das Gesicht schmerzverzerrt. Stoßweise kam der Atem aus ihrem offenen Mund. Die Kleider klebten ihr am Leib.
Da schrie sie plötzlich auf, und eine grüne Flüssigkeit schoss aus dem Leib der Frau.
Vorsichtig und unter Aufbietung aller Kräfte bettete die Zigeunerin die Frau auf die Küchenbank, schob ein Kissen unter ihren Kopf. Die Frau starrte sie an, doch das Mädchen wusste nicht, ob die Schwangere überhaupt etwas wahrnahm.
Dann entfachte sie das Feuer in der Kochstelle und stellte den gefüllten Wasserkessel darauf. Dabei blickte sie immer wieder zu Lisbeth, deren Gesicht in Schweiß gebadet war. Ihr Mund war halb geöffnet, wimmernde Laute waren zu hören, der hohe Bauch bewegte sich von Zeit zu Zeit in Wellen.
Das Mädchen füllte einen Becher mit Wasser, gab der Frau zu trinken, saß bei ihr, hielt ihre Hand und betete halblaut zu Gott, dass die Hebamme kommen möge. Dabei hielt sie den Blick fest auf die linke Hand der Schwangeren gerichtet, als könnten ihre Blicke auslöschen, was sie darin gelesen hatte.
Als das Wasser im Kessel zu kochen begann, stürzte Ruppert in die Küche, eine dürre ältere Frau mit harten Augen im Schlepptau.
«Was ist passiert?» Die laute Stimme der Hebamme hallte durch den Raum.
«Da.» Das Mädchen wies auf die grünliche Pfütze am Boden. «Ihr ist Wasser abgegangen.»
Die Hebamme tunkte einen Finger in die Nässe, roch daran, verzog das Gesicht ein wenig und leckte den Finger dann ab.
«Es wird höchste Zeit. Sie hat das Kind schon viel zu lange im Bauch.» Dann krempelte sie sich die Ärmel hoch und fuhr der Hausfrau unter den Rock, ohne sich vorher die Hände zu waschen.
Das Mädchen stand dabei, bereit, auf jeden Zuruf zu reagieren.
«Los, bring ein Handtuch.»
«Hole Wasser.»
«Eine Schere, rasch.»
Als das Kind endlich auf die Welt gebracht war, Lisbeth ohne Bewusstsein lag und die Hebamme sich eine blutbeschmierte Schürze vom Leib riss, war das Mädchen so erschöpft, als hätte sie selbst gerade geboren.
Sie hielt ein angewärmtes, weiches Leinentuch bereit, hüllte das Kind darin ein, wiegte es in den Armen, klopfte sanft auf seinen Po. «Mein Guterle, mein Herzensschönchen», sagte sie und lachte auf, als es zu schreien begann.
Die Hebamme warf ihr einen Blick zu. «Kümmere dich um das Kind, ich habe mit der hier zu tun. Lass den Vater zum Pfarrer gehen, besser ist besser.»
In diesem Augenblick schlug das Kind die Äuglein auf. Das Mädchen erstarrte, schaute wie gebannt auf das winzige Kind, auf sein Gesicht, auf seine Augen, von denen eines blau und das andere braun war.
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Autoren-Porträt von Ines Thorn
Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie. Sie lebt und arbeitet in Nordhessen und schreibt seit Langem erfolgreich historische Romane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ines Thorn
- 2012, 1. Auflage, 384 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499253720
- ISBN-13: 9783499253720
- Erscheinungsdatum: 23.01.2012
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