Das Muster
Das Muster von DieterForte
LESEPROBE
Einen Tag vor der Hochzeit bemerkte Maria entsetzt, daßFriedrich tatsächlich keinen guten Anzug besaß, das, was er da so trug, hatteer Freunden abgekauft, und er trug es salopp mit der Bemerkung: »So schlechtsieht das doch nicht aus.« Er hatte keinen guten Anzug, das war nun mal so,überflüssig so ein Ding, wozu brauchte man einen guten Anzug? »Für die Hochzeitin der Kirche«, antwortete Maria und gab ihm Geld.
Friedrich zockelte los und kam mit dem Geld bis zum Rollo, eineSchnapsdestille für Boxer und Rennradfahrer, die hier auf ihre Siege undNiederlagen wetteten, vorwiegend auf die Niederlagen, da hatten sie danachwenigstens den Wettgewinn, Friedrich hatte hier viele Freunde, und das Geld warim Handumdrehen weg. Maria gab ihm noch einmal etwas, Friedrich ging mit denbesten Vorsätzen los, schlich sich durch stille Nebenstraßen nach dem Motto»Und führe mich nicht in Versuchung«, kam auf diese Weise bis in die Altstadt,wo die Freunde gleich im Dutzend auf ihn warteten und jeder der Meinung war,»Nur auf ein Bier.« In Schräglage spazierte er spät abends wieder zur Türherein, rechtfertigte sich damit, nur ein Bier getrunken zu haben, aber ebenmit sehr vielen Leuten, alles alten guten treuen Freunden, denen man das nichtabschlagen konnte, jedenfalls, das Geld war wieder weg.
Maria, die sich gerade mit Gustav um die Benutzung der Küchestritt, denn sie hatte es gerne »dibsche dobsche«, was soviel wie sauber undschön bedeutete, während Gustav mehr »aus der Lamäng« arbeitete, sich in derKüche enorm ausbreitete und vieles für den nächsten Tag liegen ließ, schrieFriedrich an: »Hol dir deinen Anzug, wo du willst. Wenn du morgen früh nichtanständig angezogen vor der Kirche stehst, wird nicht geheiratet.« Gustavmurmelte so etwas wie: »Das hat man davon, wenn man sich mit Pfaffen einläßt«und wischte sich danach das rotgesprenkelte Gesicht ab, weil Maria kurz undhart eine Kelle in die Barszcz-Suppe schlug.
Friedrich machte kehrt, marschierte in eine SA-Kneipe, wo esauch viele alte Freunde gab, erklärte die Situation, fand Verständnis,unterschrieb einen Wisch, lieh sich von einem ehemaligen Genossen eine halbwegspassende SA-Uniform und zog sie noch in der Kneipe an. In der Uniform schliefer bei einem Freund auf dem Sofa, am anderen Morgen erschien er punkt zehn Uhrvor der Josephskirche in seinen braunen Klamotten und sagte zu Maria, die schonauf ihn wartete: »Das ist der neue Anzug«, worauf ihm Maria eine solcheOhrfeige verpaßte, daß selbst der Pfarrer, der gerade aus dem Kirchenportaltrat, erschrak und fragte, ob es sich da um das Brautpaar handele. Friedrich,dem der Begriff »peinliche Situation« völlig fremd war, sagte: »Ja«, Mariasagte: »Nein.«
Die Situation wurde gerettet durch den guten Hermann, der sichin einem artistischen Sprung, dabei den Anlasser durchtretend, auf seinMotorrad warf und nach wenigen Minuten einhändigfahrend wieder erschien, mitder anderen Hand präsentierte er seinen schwarzen Anzug. Friedrich zog sich inder Sakristei um, bekam vom Pfarrer noch ein Chemisettchen, das er sich umband,beides paßte nicht, aber es ergänzte sich, so daß es schon wieder flott aussah.Maria war jedenfalls bereit, ihr Nein zurückzunehmen und zusammen mit Friedrichdie Kirche zu betreten, wobei Fin ihnen noch rasch zuflüsterte: »Laßt euch Zeitmit der Trauung, Gustav wird mit der Pistole schon auf euch warten.« (...)
© S. Fischer Verlag
- Autor: Dieter Forte
- 2006, 345 Seiten, Maße: 12,4 x 19,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Gruner + Jahr
- ISBN-10: 3570195236
- ISBN-13: 9783570195239
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