Das Schiff
Roman
Die Hölle, das sind die anderen
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Produktinformationen zu „Das Schiff “
Die Hölle, das sind die anderen
Klappentext zu „Das Schiff “
Eine Irrfahrt von Island nach Südamerika. Neun Männer, auf denen die Vergangenheit lastet, sind leichte Opfer des Bösen. Das Schiff ist den Elementen ausgeliefert und für die Besatzung beginnt ein Kampf auf Leben und Tod. In seinem dramatischen Roman erzählt Stefán Máni vom Wesen des Menschen in einer klaustrophobischen Welt.Tiefe Sturmwolken hängen über der Stadt, als die Per se den Hafen von Grundartangi verlässt. Kapitän, Steuermann, ein Koch und sechs weitere Männer gehen auf lange Fahrt nach Surinam. Jeder von ihnen hat etwas zu verbergen, alle sind Getriebene. Schon bald vergiften Feindseligkeiten und Drohungen die Atmosphäre. Gerüchte um eine bevorstehende Meuterei verdichten sich. Vor allem Kölski, der "Teufel", sorgt für Unruhe. Auf dem Höhepunkt des Sturms bricht die Verbindung zum Festland ab und der Schiffsmotor wird zerstört. War es Kölski? Da entern Seeräuber das Schiff und zwingen die Männer, ein letztes Mal zusammenzustehen. Doch Surinam ist noch weit, es zu erreichen längst utopisch geworden. Stefán Máni stellt auf zwingende Weise existentielle Fragen und überzeugt durch ein beklemmendes Psychogramm seiner Protagonisten.
Lese-Probe zu „Das Schiff “
Das Schiff von Stefán MániIV
Das schwarze Telefon, das bei Jónas Bjarni Jónasson, dem Zweiten Steuermann des Frachtschiffes Per se, auf einem Häkeldeckchen auf dem Telefontisch im Flur steht, klingelt. Jónas wohnt in einer ziemlich neuen Doppelhaushälfte in Mosfellsbær.
Es ist zehn Minuten vor ein Uhr in der Nacht, und das Klingeln schrillt unangenehm laut durchs Haus. In den meisten Zimmern brennt Licht, und alle Gardinen sind sorgfältig zugezogen. Jónas steht, nur mit einer Unterhose bekleidet, wie angewurzelt da und starrt mit ausdruckslosen Augen das Telefon an, so als sei er sich nicht sicher, ob es wirklich klingelt oder ob er sich das Geräusch nur einbildet. Als das Telefon fast eine Minute lang geklingelt hat, legt Jónas den klebrigen Vorschlaghammer auf den Telefontisch und nimmt mit blutverschmierten Fingern den Hörer ab.
»Hallo?«
»Jónas, bist du das?«, fragt eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Eine lallende Stimme, die sich an einem Ort befindet, wo dröhnende Musik Fußboden und Wände erschüttert und sich mit lautem Stimmengewirr vermischt.
»Wer ist da?«, fragt Jónas. »Dein Schwager Kalli.«
»Was willst du?«, fragt Jónas leise. »Sag mal, du nimmst mich doch gleich mit, oder?«, fragt Kalli. »Nein. Ruf dir ein Taxi.«
Jónas sieht sich im Spiegel über dem Telefontisch, blutverschmiert von der Brust bis zu den Unterschenkeln. Mit Blut, das nicht von ihm stammt. Blut, das schon schwarz geworden ist und beginnt einzutrocknen.
»Ich hab nicht genug Geld«, sagt Kalli. »Ich kann doch mit dem Taxi zu dir kommen, und dann nimmst du mich mit, oder?«
»Okay, aber wenn ich schon weg bin, musst du ein Auto anhalten.«
»Bist du im
... mehr
Stress?«
»Nein.« Jónas räuspert sich. »Ich muss jetzt aufhören.«
»Wo ist meine Schwester?«, fragt Kalli unbekümmert.
»Sie ... sie hat sich hingelegt«, antwortet Jónas leise.
»Ach so. Hör zu, ich wollte nur ...«, setzt Kalli an, aber Jónas legt auf, bevor er weiterreden kann. Jónas nimmt den Hörer wieder ab, lauscht auf das Freizeichen und wählt dann eine Nummer. »Mama? Hier ist Jonni«, sagt er, als seine betagte Mutter abnimmt.
»Ach, Jonni, ist alles in Ordnung?«, fragt sie mit müder Stimme. »Entschuldige, Mama, ich wollte dich nicht wecken.«
Jónas räuspert sich. »Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass María die Kinder morgen nicht abholen kann.«
»Nein?«, fragt seine Mutter verwirrt. »Warum denn nicht?«
»Es ist was dazwischengekommen«, sagt Jónas und holt tief Luft. »Sie muss für ein paar Tage wegfahren. Vielleicht sogar für eine Woche.«
»Eine ganze Woche?«, fragt seine Mutter verwundert. »Aber dein Vater und ich fliegen in drei Tagen auf die Kanaren. Wir können nicht ...«
»Mama! Ich bin spät dran. Ich hab jetzt keine Zeit für Diskussionen«, sagt Jónas mit bebender Stimme. »Ich erklär's dir später. Ich kann jetzt nicht ...«
Jónas legt den Hörer auf und zieht das Telefonkabel aus der Steckdose. Dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn und schmiert sich dabei Blut ins Gesicht. Auf dem Fußboden im Schlafzimmer liegt María nackt auf einer ausgebreiteten Zeltplane. Sie liegt auf dem Rücken in einer klebrigen Blutlache und starrt mit leeren Augen an die Decke.
Jónas zieht die blutigen Bettbezüge ab und deckt damit den auskühlenden Körper seiner Frau zu. Am Kopfende der Matratze auf ihrer Bettseite prangt ein tellergroßer Blutfleck. Sie hat geschlafen, als er ihr mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen hat. Jónas holt ein sauberes Handtuch und breitet es über den Fleck. Dann wickelt er die mit den Bettbezügen zugedeckte Leiche in die Zeltplane und bindet alles mit den Schnüren zu, die an der Plane befestigt sind und spezielle Schlaufen für die Heringe haben. Nachdem er sich das Blut unter der heißen Dusche abgewaschen und sich sorgfältig vom Scheitel bis zur Fußsohle abgetrocknet hat, bezieht Jónas die Bettdecken und Kissen neu. Dann steckt er alles, was mit dem Blut seiner toten Frau in Berührung gekommen sein könnte, in eine Plastiktüte: den Hammer, das Telefon, das Häkeldeckchen vom Telefontisch, die Seife aus der Dusche und das Handtuch, mit dem er sich abgetrocknet hat.
Er tunkt einen Lappen in heißes Wasser und wischt unsichtbare Fingerabdrücke und imaginäre Blutflecken vom Fußboden, von Türgriffen, Türrahmen, Wänden, Nachttischchen und Bettpfosten. Anschließend wandert der Lappen in die Tüte zu dem Hammer und den übrigen Sachen. Er verknotet die Tüte und steckt sie in eine zweite Tüte, die er ebenfalls mit einem Knoten verschließt.
Dann zieht er Hose, Hemd und eine leichte Jacke an und schleift die Leiche zum Jeep. Der Wagen ist ein zehn Jahre alter weißer Cherokee mit zusätzlichen Frontscheinwerfern und einem Skiträger auf dem Dach.
Jónas fährt rückwärts vom Parkplatz neben der Doppelhaushälfte und beobachtet dabei die Straße in dem friedlichen Wohnviertel. Nirgends Licht in den Fenstern, keine Menschenseele unterwegs. Jónas stellt die Automatikschaltung auf Drive und fährt langsam die Straße entlang. Plötzlich bremst er scharf, legt den Rückwärtsgang ein und setzt zurück bis zu seinem Haus.
Am Rückspiegel hängt ein Rosenkranz mit einem schwarzen Kruzifix aus Holz, das gemächlich vor und zurück baumelt. Hat er auch wirklich alle Lampen im Haus ausgeschaltet? Ja. Hinter den Gardinen liegen die Zimmer im Dunkeln. Hat er daran gedacht abzuschließen? Verdammt, das spielt doch keine Rolle!
Jónas stöhnt und fährt wieder los, biegt einmal links ab und zweimal rechts, und dann ist er schon auf dem Vesturlandsvegur, der Nationalstraße Nummer eins. Als Jónas an dem Abzweig ins Mosfellsdalur und nach Þingvellir vorbeifährt, fängt es an zu regnen. Erst landen nur ein paar Tropfen auf der schmutzigen Windschutzscheibe, dann werden es immer mehr.
Jónas schaltet die Scheibenwischer ein, die mit ihrer porösen Gummibeschichtung die Regentropfen verteilen und eingetrockneten Dreck auf der Scheibe verschmieren. Jónas versucht, Reinigungsflüssigkeit auf die Scheibe zu spritzen, aber der Tank der Waschanlage ist leer. Dabei fällt Jónas' Blick auf die Nadel, die die Füllhöhe des Hundert-LiterBenzintanks anzeigt. Sie befindet sich schon ganz unten im roten Bereich, Jónas weiß jedoch aus Erfahrung, dass die etwa zwanzig Liter, die noch im Tank sind, locker bis ans Ende des Hvalfjörðurs oder sogar noch weiter reichen.
Als Jónas rechts blinkt und Richtung Hvalfjörður abbiegt, ist aus dem Regen ein Wolkenbruch geworden. Die Scheibenwischer peitschen über die Frontscheibe, und die dicken, eiskalten Regentropfen haben fast den gesamten Dreck von der Scheibe gespült. Jónas klammert sich mit den Händen ans Lenkrad, der Motor schnurrt unter der Haube, die Scheibenwischer schlagen in schnellem Takt, die Heizung bollert, und seine müden Augen starren in die Finsternis, die den Jeep anzieht wie ein schwarzes Loch.
Nachdem Jónas bei der alten Walfangstation im Vierradantrieb zum Strand hinuntergefahren ist, holt er eine Schaufel aus dem Kofferraum und gräbt seiner Frau beim Licht der Autoscheinwerfer ein feuchtes Grab im schwarzen Sand. Dampfwölkchen steigen von Jónas auf, der mit dem einbrechenden Sand und dem hineinströmenden Wasser zu kämpfen hat.
In der Ferne brechen Wellen mit dumpfen Schlägen und wühlen Kies und Tang auf. In wenigen Stunden wird die Brandung das Grab überspülen, das langsam tiefer wird und sich allmählich mit Meerwasser und Regen füllt. Jónas schleudert die Schaufel weg und hastet zum Jeep, um die Leiche zu holen. Das Paket ist klobig und unhandlich und wird mit jedem Schritt schwerer. Jónas' Füße versinken im weichen Sand, und der Regen prasselt auf die zerknautschte Zeltplane.
Als er die Last in das Loch fallen lässt, spritzt Wasser nach allen Seiten. Er schichtet vom Meerwasser geschliffene Steine auf die Leiche, bevor er das Grab zuschaufelt. Riesige Flohkrebse zappeln im nassen Sand. Leichenblasse, fast durchsichtige Vielfüßler, die sich von totem Fleisch ernähren. Heißhungrige Nachkommen der Millionen Flohkrebse, die sich zur Zeit des isländischen Walfangs hervorragend vermehrt haben.
Jónas stützt sich auf die Schaufel und kotzt lauwarmes Bier und giftgrüne Galle auf das flache Grab. Dann geht er völlig durchnässt zum Jeep, der oben am Strand im Leerlauf surrt. Als er zu dem Abzweig kommt, der an der Nordseite des Hvalfjörðurs nach Grundartangi führt, ist es sieben Minuten vor drei. Er biegt links ab und fährt den Hang hinunter, und im selben Moment beginnt die Benzinanzeige auf dem Armaturenbrett zu blinken. Er lässt den Jeep über die Straße segeln wie ein kleines Boot auf einem Fluss, der in einer breiten Mündung im Meer endet. Als er auf den Kai fährt, wo das erleuchtete Schiff vertäut ist, warten der Bootsmann Rúnar und der Erste Matrose Sæli an der Landgangsbrücke und winken ihn heran.
»Ist was?«, fragt Jónas, nachdem er auf der Fahrerseite das Fenster heruntergekurbelt hat. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, und seine blutleeren Hände krallen sich um das Lenkrad.
»Hast du deinen Schwager nicht mitgebracht?«, fragt Rúnar.
»Kalli? Nein.« Jónas räuspert sich, um Spucke in seinem trockenen Mund zu sammeln.
»Ist er noch nicht da?«
»Nee«, sagt Rúnar barsch, »sonst wären wir ja nicht hier.«
»Er ist bestimmt getrampt«, murmelt Jónas und blinzelt mit den Augen.
»Du musst noch mal los, ihn suchen.« Rúnar schnippt seine brennende Kippe in die Dunkelheit. »Wir legen in fünf Minuten ab mit oder ohne ihn!«
»Ich muss rauf zur Brücke. Meine Wache fängt um vier Uhr an.« Jónas schaltet in den Leerlauf und nimmt den Rosenkranz mit dem Kruzifix vom Rückspiegel, bevor er aussteigt.
»Kannst du noch mal eben zurückfahren? Er kommt bestimmt zu Fuß vom Abzweig hier runter.«
»In Ordnung«, murmelt Rúnar und steigt in den Jeep. »Wo soll ich die Kutsche abstellen?« »Irgendwo.« Jónas zuckt mit den Schultern.
»Ist mir völlig egal.«
»Okay.« Rúnar fährt mit dem fast leeren Tank los.
»Ist der Alte schon da?«, fragt Jónas zerstreut und zündet sich eine Zigarette an, während er die Landgangsbrücke hinaufgeht.
»Klar«, antwortet Sæli und zieht den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke bis zum Hals hoch. Es hat aufgehört zu regnen, aber die Nacht ist immer noch kalt und feucht. Sæli, die Hände in den Jackentaschen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ruft Jónas etwas hinterher. Am Ende der Landgangsbrücke dreht sich der Zweite Steuermann um: »Was ist?«
»Hast du keinen Seesack oder irgendwelches Gepäck dabei?«, fragt Sæli und zuckt mit den Schultern. »Du weißt schon Klamotten, Zigaretten und so?«
»Nein«, antwortet Jónas nur und blickt hinauf in den schwarzen Himmel, als erwarte er irgendeine Antwort von dort oben. »Ich ... ich hab's vergessen.«
»Vergessen ...?«, sagt Sæli grinsend.
»Ja«, antwortet Jónas mit hohler Stimme und springt an Bord.
»Wenn du meinst. Wir sehen uns dann gleich!«, ruft Sæli, bevor Jónas hinter dem Deckshaus verschwindet. Sæli hat von drei bis sechs Nachtwache und darf Jónas' Gesellschaft noch bis zum frühen Morgen genießen. Der Westwind frischt auf, der mächtige Schiffsrumpf steigt tänzelnd nach oben, so dass sich die kräftigen Taue immer wieder straffen, erzittern, sich um die Stahlpoller spannen und Regenwasser und brackiges Meerwasser ausspeien. Es scheint ganz so, als versuche das hundert Meter lange und viertausend Tonnen schwere Frachtschiff, sich von seinen Fesseln zu befreien...
»Nein.« Jónas räuspert sich. »Ich muss jetzt aufhören.«
»Wo ist meine Schwester?«, fragt Kalli unbekümmert.
»Sie ... sie hat sich hingelegt«, antwortet Jónas leise.
»Ach so. Hör zu, ich wollte nur ...«, setzt Kalli an, aber Jónas legt auf, bevor er weiterreden kann. Jónas nimmt den Hörer wieder ab, lauscht auf das Freizeichen und wählt dann eine Nummer. »Mama? Hier ist Jonni«, sagt er, als seine betagte Mutter abnimmt.
»Ach, Jonni, ist alles in Ordnung?«, fragt sie mit müder Stimme. »Entschuldige, Mama, ich wollte dich nicht wecken.«
Jónas räuspert sich. »Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass María die Kinder morgen nicht abholen kann.«
»Nein?«, fragt seine Mutter verwirrt. »Warum denn nicht?«
»Es ist was dazwischengekommen«, sagt Jónas und holt tief Luft. »Sie muss für ein paar Tage wegfahren. Vielleicht sogar für eine Woche.«
»Eine ganze Woche?«, fragt seine Mutter verwundert. »Aber dein Vater und ich fliegen in drei Tagen auf die Kanaren. Wir können nicht ...«
»Mama! Ich bin spät dran. Ich hab jetzt keine Zeit für Diskussionen«, sagt Jónas mit bebender Stimme. »Ich erklär's dir später. Ich kann jetzt nicht ...«
Jónas legt den Hörer auf und zieht das Telefonkabel aus der Steckdose. Dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn und schmiert sich dabei Blut ins Gesicht. Auf dem Fußboden im Schlafzimmer liegt María nackt auf einer ausgebreiteten Zeltplane. Sie liegt auf dem Rücken in einer klebrigen Blutlache und starrt mit leeren Augen an die Decke.
Jónas zieht die blutigen Bettbezüge ab und deckt damit den auskühlenden Körper seiner Frau zu. Am Kopfende der Matratze auf ihrer Bettseite prangt ein tellergroßer Blutfleck. Sie hat geschlafen, als er ihr mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen hat. Jónas holt ein sauberes Handtuch und breitet es über den Fleck. Dann wickelt er die mit den Bettbezügen zugedeckte Leiche in die Zeltplane und bindet alles mit den Schnüren zu, die an der Plane befestigt sind und spezielle Schlaufen für die Heringe haben. Nachdem er sich das Blut unter der heißen Dusche abgewaschen und sich sorgfältig vom Scheitel bis zur Fußsohle abgetrocknet hat, bezieht Jónas die Bettdecken und Kissen neu. Dann steckt er alles, was mit dem Blut seiner toten Frau in Berührung gekommen sein könnte, in eine Plastiktüte: den Hammer, das Telefon, das Häkeldeckchen vom Telefontisch, die Seife aus der Dusche und das Handtuch, mit dem er sich abgetrocknet hat.
Er tunkt einen Lappen in heißes Wasser und wischt unsichtbare Fingerabdrücke und imaginäre Blutflecken vom Fußboden, von Türgriffen, Türrahmen, Wänden, Nachttischchen und Bettpfosten. Anschließend wandert der Lappen in die Tüte zu dem Hammer und den übrigen Sachen. Er verknotet die Tüte und steckt sie in eine zweite Tüte, die er ebenfalls mit einem Knoten verschließt.
Dann zieht er Hose, Hemd und eine leichte Jacke an und schleift die Leiche zum Jeep. Der Wagen ist ein zehn Jahre alter weißer Cherokee mit zusätzlichen Frontscheinwerfern und einem Skiträger auf dem Dach.
Jónas fährt rückwärts vom Parkplatz neben der Doppelhaushälfte und beobachtet dabei die Straße in dem friedlichen Wohnviertel. Nirgends Licht in den Fenstern, keine Menschenseele unterwegs. Jónas stellt die Automatikschaltung auf Drive und fährt langsam die Straße entlang. Plötzlich bremst er scharf, legt den Rückwärtsgang ein und setzt zurück bis zu seinem Haus.
Am Rückspiegel hängt ein Rosenkranz mit einem schwarzen Kruzifix aus Holz, das gemächlich vor und zurück baumelt. Hat er auch wirklich alle Lampen im Haus ausgeschaltet? Ja. Hinter den Gardinen liegen die Zimmer im Dunkeln. Hat er daran gedacht abzuschließen? Verdammt, das spielt doch keine Rolle!
Jónas stöhnt und fährt wieder los, biegt einmal links ab und zweimal rechts, und dann ist er schon auf dem Vesturlandsvegur, der Nationalstraße Nummer eins. Als Jónas an dem Abzweig ins Mosfellsdalur und nach Þingvellir vorbeifährt, fängt es an zu regnen. Erst landen nur ein paar Tropfen auf der schmutzigen Windschutzscheibe, dann werden es immer mehr.
Jónas schaltet die Scheibenwischer ein, die mit ihrer porösen Gummibeschichtung die Regentropfen verteilen und eingetrockneten Dreck auf der Scheibe verschmieren. Jónas versucht, Reinigungsflüssigkeit auf die Scheibe zu spritzen, aber der Tank der Waschanlage ist leer. Dabei fällt Jónas' Blick auf die Nadel, die die Füllhöhe des Hundert-LiterBenzintanks anzeigt. Sie befindet sich schon ganz unten im roten Bereich, Jónas weiß jedoch aus Erfahrung, dass die etwa zwanzig Liter, die noch im Tank sind, locker bis ans Ende des Hvalfjörðurs oder sogar noch weiter reichen.
Als Jónas rechts blinkt und Richtung Hvalfjörður abbiegt, ist aus dem Regen ein Wolkenbruch geworden. Die Scheibenwischer peitschen über die Frontscheibe, und die dicken, eiskalten Regentropfen haben fast den gesamten Dreck von der Scheibe gespült. Jónas klammert sich mit den Händen ans Lenkrad, der Motor schnurrt unter der Haube, die Scheibenwischer schlagen in schnellem Takt, die Heizung bollert, und seine müden Augen starren in die Finsternis, die den Jeep anzieht wie ein schwarzes Loch.
Nachdem Jónas bei der alten Walfangstation im Vierradantrieb zum Strand hinuntergefahren ist, holt er eine Schaufel aus dem Kofferraum und gräbt seiner Frau beim Licht der Autoscheinwerfer ein feuchtes Grab im schwarzen Sand. Dampfwölkchen steigen von Jónas auf, der mit dem einbrechenden Sand und dem hineinströmenden Wasser zu kämpfen hat.
In der Ferne brechen Wellen mit dumpfen Schlägen und wühlen Kies und Tang auf. In wenigen Stunden wird die Brandung das Grab überspülen, das langsam tiefer wird und sich allmählich mit Meerwasser und Regen füllt. Jónas schleudert die Schaufel weg und hastet zum Jeep, um die Leiche zu holen. Das Paket ist klobig und unhandlich und wird mit jedem Schritt schwerer. Jónas' Füße versinken im weichen Sand, und der Regen prasselt auf die zerknautschte Zeltplane.
Als er die Last in das Loch fallen lässt, spritzt Wasser nach allen Seiten. Er schichtet vom Meerwasser geschliffene Steine auf die Leiche, bevor er das Grab zuschaufelt. Riesige Flohkrebse zappeln im nassen Sand. Leichenblasse, fast durchsichtige Vielfüßler, die sich von totem Fleisch ernähren. Heißhungrige Nachkommen der Millionen Flohkrebse, die sich zur Zeit des isländischen Walfangs hervorragend vermehrt haben.
Jónas stützt sich auf die Schaufel und kotzt lauwarmes Bier und giftgrüne Galle auf das flache Grab. Dann geht er völlig durchnässt zum Jeep, der oben am Strand im Leerlauf surrt. Als er zu dem Abzweig kommt, der an der Nordseite des Hvalfjörðurs nach Grundartangi führt, ist es sieben Minuten vor drei. Er biegt links ab und fährt den Hang hinunter, und im selben Moment beginnt die Benzinanzeige auf dem Armaturenbrett zu blinken. Er lässt den Jeep über die Straße segeln wie ein kleines Boot auf einem Fluss, der in einer breiten Mündung im Meer endet. Als er auf den Kai fährt, wo das erleuchtete Schiff vertäut ist, warten der Bootsmann Rúnar und der Erste Matrose Sæli an der Landgangsbrücke und winken ihn heran.
»Ist was?«, fragt Jónas, nachdem er auf der Fahrerseite das Fenster heruntergekurbelt hat. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, und seine blutleeren Hände krallen sich um das Lenkrad.
»Hast du deinen Schwager nicht mitgebracht?«, fragt Rúnar.
»Kalli? Nein.« Jónas räuspert sich, um Spucke in seinem trockenen Mund zu sammeln.
»Ist er noch nicht da?«
»Nee«, sagt Rúnar barsch, »sonst wären wir ja nicht hier.«
»Er ist bestimmt getrampt«, murmelt Jónas und blinzelt mit den Augen.
»Du musst noch mal los, ihn suchen.« Rúnar schnippt seine brennende Kippe in die Dunkelheit. »Wir legen in fünf Minuten ab mit oder ohne ihn!«
»Ich muss rauf zur Brücke. Meine Wache fängt um vier Uhr an.« Jónas schaltet in den Leerlauf und nimmt den Rosenkranz mit dem Kruzifix vom Rückspiegel, bevor er aussteigt.
»Kannst du noch mal eben zurückfahren? Er kommt bestimmt zu Fuß vom Abzweig hier runter.«
»In Ordnung«, murmelt Rúnar und steigt in den Jeep. »Wo soll ich die Kutsche abstellen?« »Irgendwo.« Jónas zuckt mit den Schultern.
»Ist mir völlig egal.«
»Okay.« Rúnar fährt mit dem fast leeren Tank los.
»Ist der Alte schon da?«, fragt Jónas zerstreut und zündet sich eine Zigarette an, während er die Landgangsbrücke hinaufgeht.
»Klar«, antwortet Sæli und zieht den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke bis zum Hals hoch. Es hat aufgehört zu regnen, aber die Nacht ist immer noch kalt und feucht. Sæli, die Hände in den Jackentaschen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ruft Jónas etwas hinterher. Am Ende der Landgangsbrücke dreht sich der Zweite Steuermann um: »Was ist?«
»Hast du keinen Seesack oder irgendwelches Gepäck dabei?«, fragt Sæli und zuckt mit den Schultern. »Du weißt schon Klamotten, Zigaretten und so?«
»Nein«, antwortet Jónas nur und blickt hinauf in den schwarzen Himmel, als erwarte er irgendeine Antwort von dort oben. »Ich ... ich hab's vergessen.«
»Vergessen ...?«, sagt Sæli grinsend.
»Ja«, antwortet Jónas mit hohler Stimme und springt an Bord.
»Wenn du meinst. Wir sehen uns dann gleich!«, ruft Sæli, bevor Jónas hinter dem Deckshaus verschwindet. Sæli hat von drei bis sechs Nachtwache und darf Jónas' Gesellschaft noch bis zum frühen Morgen genießen. Der Westwind frischt auf, der mächtige Schiffsrumpf steigt tänzelnd nach oben, so dass sich die kräftigen Taue immer wieder straffen, erzittern, sich um die Stahlpoller spannen und Regenwasser und brackiges Meerwasser ausspeien. Es scheint ganz so, als versuche das hundert Meter lange und viertausend Tonnen schwere Frachtschiff, sich von seinen Fesseln zu befreien...
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Autoren-Porträt von Stefán Máni
Stefán Máni wurde 1970 in Reykjavík geboren. Aufgewachsen ist er in Ólafsvík in West Island. Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Gärtner, Tischler und Buchbinder, in der Fischindustrie und auch als Sozialarbeiter mit Jugendlichen und in psychiatrischen Kliniken.Tina Flecken, geboren 1968 in Köln. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Verlagslektorin arbeitet sie seit 2005 als freie Übersetzerin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stefán Máni
- 2010, 416 Seiten, Maße: 12,7 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Flecken, Tina
- Übersetzer: Tina Flecken
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548609465
- ISBN-13: 9783548609461
Rezension zu „Das Schiff “
»Stefán Máni schafft eine so beunruhigende und bedrohliche Atmosphäre, dass es für den Leser kein Entkommen aus den Fängen der Mannschaft dieses unheilvollen Schiffes gibt. Stil und Sprache des Autors haben die Jury tief beeindruckt.« Aus der Begründung der Jury des Isländischen Krimipreises »So gleicht dieser Roman einem Alptraum, der einen immer wieder an Punkte zurückbefördert, wo ein neuer Schrecken begonnen hat. Ein verlässlicher Begleiter für Nächte voller Fieber und Kälteschauer.« spiegel.de / 7.01.2009 / Ulrich Baron »Stefán Máni ist mit Das Schiff einer der herausragenden, genreübergreifenden Krimis des noch jungen Jahres geglückt.« TZ, München / 16.01.09 / Matthias Bieber
Kommentar zu "Das Schiff"
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