Das Schneekind
Voller Klarheit und Poesie erzählt der Abenteurer Nicolas Vanier vom großen Familientraum in der Wildnis.
Ein...
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Voller Klarheit und Poesie erzählt der Abenteurer Nicolas Vanier vom großen Familientraum in der Wildnis.
Ein wunderbarer Reisebericht zum Mitfiebern und Mitreisen.
"Nicolas Vanier ist ein ebenso unerschrockener Abenteurer wie einfühlsamer Chronist seiner Erlebnisse. Bei Vanier wird aus dem Trip eine große Liebeserklärung an die Natur." (Vogue)
Das Schneekind von Nicolas Vanier
LESEPROBE
Wir sind noch keine halbeStunde unterwegs und schon weint Montaine. Sie fühlt sich auf dem Zweiersattelnicht wohl, obwohl wir sie zu Hause in der Sologne daran gewöhnt haben.
»Hat sie schon genug?«
»Sieht so aus, als hätte sieAngst.«
Ein gezwungenes Lächelnhuscht über Dianes Gesicht.
Tatsächlich sind wir nichtso guter Dinge oder so glücklich, wie wir es eigentlich sein sollten, heute, amersten Tag eines Abenteuers, von dem wir schon vor der Geburt Montaines voranderthalb Jahren geträumt haben.
Statt dessen steht uns dieAngst ins Gesicht geschrieben. Auch unsere vier Pferde haben Angst. Angst vordem schwammigen Boden, dem Gepäck, das wir ihnen auf den Rücken gebunden haben,den Menschen, die ihnen noch fremd sind ...
Und so kommt es, wie eskommen muß. Fünf Minuten später, als wir auf einem steinigen, von jungenFichten überragten Hang am Fluß entlangreiten, geht das hintere, mit 60 KiloAusrüstung und Proviant bepackte Pferd plötzlich durch. Mehrmals ausschlagendjagt es in kopfloser Flucht an mir vorbei und reißt mein Pferd mit, und das,auf dem Diane und das Kind sitzen. Montaine erschrickt und fängt zu schreienan. Diane, eine gute Reiterin, fällt ihrem Pferd in die Zügel, doch die beidenPacktiere preschen in vollem Galopp davon und verstreuen hinter sich Töpfe,Proviantsäcke, Seile, das Gewehr und Patronen.
Das fängt ja gut an!
Wir steigen ab. Montainetrocknet sich die Tränen, die sich in ihrem kleinen, braungebrannten Gesichtmit den Regentropfen vermischen.
»Alles in Ordnung, meinSchatz?«
Montaine reibt sich dieAugen und unterdrückt einen Schluchzer.
»Und was machen wir jetzt?«
Diane starrt den Wegentlang, auf dem die beiden verschwundenen Pferde große Hufabdrücke im Morasthinterlassen haben. Seile liegen im Gras, ein Stück weiter dieAusrüstungsteile, die bei jedem Bocksprung aus den Säcken und Kistengeschleudert worden sind.
Der Regen wird stärker.Wütend prasselnd zieht er glitzernde Furchen in den Boden.
Damit Montaine nichtklatschnaß wird, setze ich sie in den eigens für sie angefertigten Rucksack ausSegeltuch und Leder, den Diane auf dem Rücken trägt.
Erstens, die Pferdeeinfangen.
Zweitens, die Pferde wiederbepacken, das heißt, die Ausrüstung, die mehrere hundert Meter weit verstreutliegt, wieder einsammeln, auf die Packsättel verteilen und festzurren.
Drittens, Montaine wärmen,denn sie zittert schon vor Kälte.
Nein, umgekehrteReihenfolge.
Zuerst Montaine wärmen, dannder Rest.
Eine Grundregel, die wir vonnun an stets befolgen müssen, worin der Rest auch bestehen mag.
Montaine, Montaine,Montaine! Wir sind erst eine Stunde unterwegs, und schon wird mir bewußt,welches Wagnis wir eingehen. Natürlich haben wir mit gewissen Schwierigkeitengerechnet, aber nicht damit. Der Auftakt ist ernüchternd und holt uns aus denschönen Träumen der letzten Jahre in die Wirklichkeit zurück. Zwei Pferde vorSchreck durchgegangen, Tränen, Regen und trister Alltag. So sieht dieWirklichkeit aus! Wir haben uns vorgestellt, wie wir bei strahlendemSonnenschein gemütlich durch sattgrüne Täler reiten, wie Montaine lachend mitihren kleinen Händen auf Schmetterlinge und Eichhörnchen zeigt, die vor demvergnügt vorausgaloppierenden Otchum flüchten. Denkste! Nichts von alledem.Selbst Otchum läßt traurig den Kopf hängen und rollt sich, müde und durchnäßt,im Schutz einer dichten Kiefer zu einer Kugel zusammen.
Diane sucht Hoffnung inmeinem Blick. Ich würde gern Zuversicht ausstrahlen, doch auch ich werde vonZweifeln geplagt.
Erstens, Montaine wärmen.
Wir binden die beiden Pferdean zwei Kiefern am Wegrand, dann ziehe ich einen Armvoll trockenes Reisig untereiner Fichte hervor und entzünde ein Feuer.
Diane blickt mit dererschöpften Montaine in die Flammen und wiegt sie in den Schlaf, und ich machemich auf die Suche nach den Pferden.
Das erste finde ich ziemlichschnell. Es grast auf einer Lichtung. Das zweite ist ein Stück weiterstehengeblieben. Die Seile des Packsattels haben sich in den Erlen verheddertund es in seiner Flucht gestoppt. Ich sammele die Seile ein, dann die Planen,mit denen wir das Gepäck abdecken, alle zwei auf zwei Meter groß undwasserundurchlässig. Der Abend dämmert bereits, als ich zum Feuer zurückkehre.
Der Anblick Montaines, dieim Schein des heruntergebrannten Feuers in den Armen ihrer triefnassen Mutterschläft, versetzt mir einen Stich.
Diane lächelt mich durch denRegen an.
»Sie ist eingeschlafen.«
»Wir rasten hier.«
»Schon?«
»Na ja, in einer knappenStunde ist es dunkel. Wir sind spät aufgebrochen, und für heute haben wir,glaube ich, genug.«
»Ja, vor allem Montaine.«
Im Regen schlagen wir das Zeltauf. Im Regen verschlingen wir hastig unser Abendessen. Im Regen fesseln wirden Pferden die Vorderläufe und lassen sie frei. Im Regen kriechen wir insZelt. Im selben Augenblick erwacht Montaine und beginnt, die Arme ihrer Muttersuchend, zu weinen.
»Pst, sonst weckst duOtchum. Er schläft.«
Montaine hält die Tränenzurück und ruft leise nach Otchum.
»Tschu-Tschu!«
»Pst, er schläft.«
Dann kuschelt sie sich anihre Mutter und schläft wieder ein.
Ich habe eine unruhigeNacht. Der Regen trommelt mit deprimierender Gleichmäßigkeit aufs Zelt.Montaine wälzt sich im Schlaf und rutscht irgendwann aus dem Schlafsack. Damitsie sich nicht erkältet, wache ich über sie. Ernüchtert, wie ich bin, male ichdas Bild unseres ersten Reisetags in den schwärzesten Farben.
Endlich dämmert es. FahlesLicht dringt durch das Grau. Ich schlüpfe in meine feuchte Hose und krieche insFreie. Nebel verhüllt die Berge, so daß man sich im Flachland wähnen könnte.Überall Wasser. Am Himmel, am Boden, es trieft von den Bäumen, steht im Gras.
Und keine Spur von denPferden. Nicht einmal ein fernes Bimmeln der Glöckchen. Nur das nervtötendePrasseln des Regens, der einfach nicht nachlassen will.
Otchum liegt unter einerFichte im Trockenen. Seine Schnauze hebt sich kurz zum Morgengruß und sinktdann wieder in die warme Kuhle seines angewinkelten Beins, so daß gerade nochein Auge hervorschaut, dem nicht die kleinste meiner Bewegungen entgeht.
»So ein Sauwetter, was,Otchum?«
Ein Blinzeln und einleichtes Zucken der Ohren als Antwort.
Ich sammele Reisig, reißeRinde von einer Birke und lege alles unter einen alten, borkigen Baumstamm, derdie ersten Flammen schützt, ehe er selbst zu glimmen beginnt. Ich sammele mehroder weniger trockenes Holz und mache ein großes Feuer.
Der Morgen erscheint mir nunnicht mehr ganz so düster. Ich mache mich auf die Suche nach den Pferden. DieSpuren führen den Weg entlang nach Norden und verlieren sich auf einer Lichtungim hohen Gras. Die blühende Wiese ist mit blauen Geranien, Rittersporn,Goldruten und Heidelbeersträuchern übersät. Alle Blüten recken die bunten Köpfezum Licht, wie um das Grau des Morgens zu durchdringen und etwas weiter zusehen.
Am Saum eines Tannen- undKiefernwaldes, in dem auch vereinzelte, meist abgestorbene Birken stehen, stoßeich wieder auf die Spuren der Pferde. Ich irre eine Weile umher, schmunzeleüber die Eichhörnchen, die mich mit schrillen Schreien beschimpfen, dann habeich die Pferde endlich aufgestöbert. Sie sind zusammengeblieben und glotzen,schmutzig und triefend vor Nässe, verdrossen unter hohen Kiefern hervor, dietrotz ihres dichten Geästs den Regen durchlassen.
Ich bringe sie zum Lagerzurück. Diane und Montaine sitzen am Feuer und trocknen sich an den Flammen.
»Waren sie weit weg?«
»Es geht.«
Montaine hebt den Finger.
»Ferde.«
»Ja, Montaine, das sindPferde.«
»Willst du weiter?«
»Hmmm ...«
Wir trinken heißen Kaffeeund sprechen nicht viel, nur über die Verletzung des Dicken, wie wir dasdickste unserer vier Pferde getauft haben.
Überhaupt haben wir bei denNamen für die Tiere unsere Phantasie nicht sonderlich angestrengt und demPraktischen den Vorzug gegeben: der Dicke, wie gesagt, der Junge, der Alte undder Weiße. Einfacher geht's nicht.
Wir haben sie in derUmgebung von Prince George zwei Tage lang probegeritten, ehe wir sie gekaufthaben. Wir haben uns insgesamt ein Dutzend angesehen. Ein Rancher aus derGegend hatte sie nach den Kriterien, die wir ihm aus Frankreich übermittelthatten, ausgesucht: »Ruhige, sehr ruhige Pferde. Sie dürfen gern etwas ältersein, sollten aber Erfahrung als Lasttiere haben, vor allem Erfahrung«, hatteich verlangt und auf packing horses bestanden - in Erinnerung an einunerfreuliches Erlebnis mit Pferden, die nie zuvor einen Packsattel getragenhatten. Eine sehr amüsante Geschichte, zugegeben, aber für die Beteiligtennicht ungefährlich ... Jeder Versuch, die Tiere erst abzurichten, wäreWahnsinn, wenn man ein Kleinkind dabei hat. Und die gesamte Expedition ist bisins Kleinste so geplant, daß das Risiko für das Kind praktisch gleich Null ist.Ich habe als einziger nie daran gezweifelt, daß das möglich ist ... und zuzweit wollten wir es beweisen!
Wir haben also ein DutzendPferde gesattelt und beladen, ehe wir uns für zwei entscheiden: »den Alten«,der mit seinen 15 Jahren mindestens so ruhig wie kräftig ist, und »den Weißen«,einen relativ ruhigen Schecken mit weißbraunem Kopf und sicherem Tritt, derhinter dem Alten laufen soll.
Und als Reittiere nahmen wir»den Dicken«, einen gemütlichen Rotfuchs für Diane und das Kind, und »den Jungen«,ein kleines rassiges Pferd mit guten Reiteigenschaften und athletischem Bau,vielleicht etwas lebhaft, aber wie dafür geschaffen, an der Spitze zu laufenund, wenn nötig, einen Sprint hinzulegen. Das ist das Team!
Die Probleme begannennatürlich gleich auf dem Lastwagen, wo der Alte den anderen zeigen wollte, werder Chef ist. Der Dicke bekam trotz seiner Körperfülle eine tüchtige Abreibung,und seitdem klafft ein tiefer Riß unter seinem Auge.
Darüber sprechen wir heutemorgen und untersuchen die Wunde. Kein schöner Anblick. Sie ist leichtvereitert und zu groß, um von allein zu verheilen.
»Du hättest sie nähensollen.«
»Zu spät.«
Die Feuchtigkeit macht allesnoch schlimmer. Diane reinigt die Wunde mit einem Antiseptikum, während ichMontaine auf dem Arm habe. Sie kann hier nicht laufen, denn der Boden ist mitErlen überwuchert und mit dichtem Gras bedeckt, das zu hoch für sie ist.
© Piper Verlag
Übersetzung: Reiner Pfleiderer
Autoren-Porträt von Nicolas Vanier
Nicolas Vanier, geboren 1962 im Senegal, ist wie sein Vorbild JackLondon Abenteurer und Schriftsteller zugleich. Seine Erlebnisberichte standenlange auf den Bestsellerlisten. Er lebt als Züchter von Schlittenhunden,Publizist und Filmemacher mit seiner Familie in Frankreich und Kanada. Zuletzterschienen von ihm auf deutsch sein zweiter Roman »Derweiße Sturm« und der Bildband »Das Schneekind«.
Interviewmit Nicolas Vanier
In "Das Schneekind" beschreiben Sie eine Reise,die Sie gemeinsam mit Ihrer Frau und der damals 1 1/2 jährigen Tochterunternahmen. Teilt Ihre Tochter heute Ihre Faszination für Schneelandschaften?
Seit dieser Reise ist sie häufignach Kanada zurückgekehrt und wir haben gemeinsam einige der Sachen wiederholt,die wir vorher gemacht haben. Mittlerweile beherrscht sie einHundeschlittengespann genauso souverän wie ihr Bruder. Sie liebt das geradezu.
Planten Sie, von Ihren Erlebnissen in einem Buch zuberichten, als Sie zu der einjährigen Reise nach Alaska und Kanada aufbrachen?War diese Reise auch eine Art Experiment?
Ja, ich hatte das Buch überdiese Reise immer im Kopf. Ich liebe das Schreiben.
Sie sind im Senegal geboren und lebendie meiste Zeit des Jahres in Frankreich. Woher stammt Ihre tiefe Begeisterungfür die Landschaften des hohen Nordens?
Dasweiß ich selber nicht. Ich glaube das hängt mit meiner angeborenen Liebe fürdie Natur zusammen.
Was fasziniert Sie am ewigen Eis?
Seinepure Strenge vielleicht, sein Licht, einfach alles...
Sie leben heute als Schriftsteller undZüchter von Schlittenhunden in Frankreich und Kanada. Gibt es einen Traum, denSie sich noch erfüllen möchten?
Ja,besonders die Verfilmung meines letzten Romans "L'Or sous la neige"liegt mir am Herzen.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth,literaturtest.de.
- Autor: Nicolas Vanier
- 2004, 347 Seiten, 35 farbige Abbildungen, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492261116
- ISBN-13: 9783492261111
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