Das Treibhaus
Das Treibhaus von WofgangKoeppen
LESEPROBE
Er reiste im Schutz der Immunität,denn er war nicht auf frischer Tatertappt worden. Aber wenn es sich zeigte, daß er ein Verbrecher war, ließen sie ihn natürlich fallen, lieferten ihn freudig aus, sie, die sich das Hohe Hausnannten, und welch ein Fressen war esfür sie, welch ein Glück, welche Befriedigung, daß er mit einem so großen, mit einem so unvorhergesehenen Skandal abging, in die Zelle verschwand,hinter den Mauern der Zuchthäuservermoderte, und selbst in seinerFraktion würden sie bewegt von der Schmach sprechen, die sie alle durch ihn erlitten (sie alle, sie alle Heuchler), doch insgeheim würden sie sich die Hände reiben,würden froh sein, daß er sichausgestoßen hatte, daß er gehen mußte, denner war das Korn Salz gewesen, der Bazillus der Unruhe in ihrem milden trägen Parteibrei, ein Gewissensmensch und somit ein Ärgernis. Er saß im Nibelungenexpreß. Es dunstete nachneuem Anstrich, nach Renovation undRestauration; es reiste sich gut mitder Deutschen Bundesbahn; und außen waren die Wagen blutrot lackiert. Basel, Dortmund, Zwerg Alberich und die Schlote des Reviers; Kurswagen Wien Passau,Fememörder Hagen hatte sich s bequemgemacht; Kurswagen Rom München, derPurpur der Kardinäle lugte durch die Ritzen verhangener Fenster; Kurswagen Hoek van Holland London, die Götterdämmerung der Exporteure, dieFurcht vor dem Frieden. Wagalaweia, rollten die Räder. Er hatte esnicht getan. Er hatte nicht gemordet.Wahrscheinlich war es ihm nicht gegeben zu morden; aber er hätte morden können, und die bloße Vorstellung, daß er es getan hatte, daß erdas Beil gehoben und zugeschlagenhatte, diese Annahme stand so klar, solebendig vor seinen Augen, daß sie ihn stärkte. Die Mordgedanken liefen wie Ströme hochgespannter Energiedurch Leib und Seele, sie beflügelten,sie erleuchteten, und für eine Weilehatte er das Gefühl, es würde nun alles gut werden, er würde alles besser anpacken, er würde zupacken, er würde sich durchsetzen, er würde zur Tat gelangen,sein Leben ausschöpfen, in neue Reichevorstoßen - nur leider hatte er wiedernur in seiner Phantasie gemordet, war er der alte Keetenheuve geblieben, ein Träumer von des GedankenBlässe angekränkelt. Er hatte seine Frau beerdigt. Und da ersich im bürgerlichen Leben nichtgefestigt fühlte, erschreckte ihn der Akt der Grablegung, so wie ihn auch Kindtaufen und Hochzeiten entsetzten und jedes Geschehen zwischen zweiMenschen, wenn die Öffentlichkeit daranteilnahm und gar noch die Ämter sicheinmischten. Dieser Tod schmerzte ihn, er empfand tiefste Trauer, würgenden Kummer, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde, das Liebste war ihmgenommen, und wenn auch das Wort durchMillionen Trauerkarten glücklicher Erbenentwertet war, ihm war das Liebste genommen, die Geliebte wurde verscharrt, und das Gefühl für immer für immer verloren ich werde sie nichtwiedersehen nicht im Himmel und aufErden ich werde sie suchen und nicht finden das hätte ihn weinen lassen, aber er konnte hier nicht weinen, obwohl ihn nur Frau Wilms auf dem Friedhofbeobachtete. Frau Wilms war seineAufwartefrau. Sie überreichte Keetenheuve einen Strauß geknickter Astern aus dem Schrebergarten ihres Schwagers. Zur Hochzeit hatte FrauWilms einen ähnlichen Strauß geknickterAstern gebracht. Damals sagte sie: »Siesind ein schönes Paar!« Jetzt schwieg sie. Er war kein schöner Witwer. Immer fiel ihm Komischesein. In der Schule hatte er, statt demLehrer zuzuhören, an Lächerliches gedacht, in den Ausschüssen, im Plenum sah er die würdigen Kollegen wie Clowns in der Manege agieren,und selbst in der Lebensgefahr war ihmdas immer auch Groteske der Situation nichtentgangen. Witwer war ein komisches Wort, ein schaurig komisches Wort, ein etwas verstaubter Begriff aus einer geruhsameren Zeit. Keetenheuve entsannsich, als Kind einen Witwer gekannt zuhaben, Herrn Possehl. Herr Possehl, Witwer,lebte noch in Eintracht mit einer geordneten Welt; die kleine Stadt respektierte ihn. Herr Possehl hatte sich eine Witwertracht zugelegt, einen steifenschwarzen Hut, einen Schwalbenschwanzrock,gestreifte Hosen und später eine immer etwasschmutzige weiße Weste, über die sich eine golde- ne Uhrkette spannte, an der ein Eberzahn hing; ein Symbol, daß das Tier besiegt sei. So war HerrPossehl, wenn er beim Bäcker Labahnsein Brot kaufte, eine lebendige Allegorie der Treue über den Tod hinaus, eine rührende und achtbare Gestalt der Verlassenheit. Keetenheuve war nicht achtbar, und er rührte auch niemand. Er besaß weder einen steifen noch einengewöhnlichen Hut, und zur Beerdigunghatte er seinen windig modischen Trenchcoatangezogen. Das Wort Witwer, das Frau Wilmsnicht gesprochen hatte, das ihm aber bei Frau Wilms geknickten Astern eingefallen war, verfolgte und verbitterte ihn. Er war ein Ritter von der traurigen, erwar ein Ritter von der komischenGestalt. Er verließ den Friedhof, und seine Gedanken eilten seinem Verbrechen zu. Er handelte diesmal im Denken nicht intellektuell, er handelte instinktmäßig, wutgemäß, und Elke, die ihmstets vorgeworfen hatte, daß er nur inder Welt der Bücher lebe, Elke würdesich gefreut haben, wie geradewegs und folgerichtig er auf seine Tat zuging und dabei noch aufSicherheit bedacht war, wie der Heldeines Filmes. Er sah sich die Althändlergasse durchstreifen, sah sich in Kellern und Winkeln die Witwertracht kaufen. Er erstand die gestreifte Hose, denSchwalbenschwanzrock, die weiße Weste(schmutzig wie bei Herrn Possehl), densteifen würdigen Hut, eine goldene Uhrkette, und nur den Eberzahn vermochte er nicht aufzu treiben und so auch keinen Sieg über das Tier zuerringen. Im großen Kaufhof trug ihndie Rolltreppe in die Abteilung für Berufskleidung, und er erwarb einen weißen Mantel, wie ihn die Viehtreiber brauchen. Auf einemHolzplatz stahl er das Beil. Es warganz einfach; die Zimmerleute vesperten, und er nahm das Beil aus einem Haufen Späne und ging langsam davon.
Lizenzausgabe der Süddeutsche Zeitung GmbH, München für dieSüddeutsche Zeitung Bibliothek 2004
© 1953 by Scherz&Goverts Verlag GmbH, Stuttgart
- Autor: Wolfgang Koeppen
- 2004, 171 Seiten, Maße: 12 x 18 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek
- ISBN-10: 3937793259
- ISBN-13: 9783937793252
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