Das vierte Opfer. Das falsche Urteil
Das vierte Opfer: Ein neuer Fall für Kommissar Van Veeteren: In einem ehemals beschaulichen Ferienort treibt ein brutaler Axtmörder sein Unwesen. Drei Menschen hat er schon auf dem Gewissen. Und bald ist auch das vierte Opfer in seiner Gewalt....
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Das vierte Opfer: Ein neuer Fall für Kommissar Van Veeteren: In einem ehemals beschaulichen Ferienort treibt ein brutaler Axtmörder sein Unwesen. Drei Menschen hat er schon auf dem Gewissen. Und bald ist auch das vierte Opfer in seiner Gewalt.
Das falsche Urteil:An einem sonnigen Augustmorgen verläßt ein Doppelmörder das Gefängnis. An einem regnerischen Apriltag wird seine verstümmelte Leiche gefunden. Wo ist die Verbindung?
Kommissar Van Veeteren sieht sich mit einer bizarren menschlichen Tragödie konfrontiert - und mit einem Fall, dessen Aufklärung weit in die Vergangenheit reicht.
Das vierte Opfer von Håkan Nesser
LESEPROBE
Wenn ErnstSimmel gewußt hätte, daß erkurz davor war, das zweite Opfer des Henkers zu werden, hätte er sichvermutlich noch ein paar kräftige Drinks in der Blauen Barke gegönnt. Doch sobegnügte er sich mit einem Cognac zum Kaffee und einem verdünnten Whisky in derBar, wobei er ziemlich frucht- los und ohne wirkliches Engagement versuchte,mit einer blondierten Frau Blickkontakt aufzunehmen, die schräg gegenüber amTreseneck saß. Offensichtlich war es eine der Neueingestellten unten in derKonservenfabrik. Er hatte sie noch nie gesehen, und er hatte einen gewissenÜberblick.
Rechts von ihm saß Herman Schalke von de Journaal und versuchte ihn für eine billige Wochenendreisenach Kaliningrad zu interessieren, oder irgendwas ähnliches, und wenn man späterversuchen würde, den Abend zu rekonstruieren, dann würde man zu dem Ergebniskommen, daß Schalke der letzte gewesen sein mußte, der in diesem Leben mit Simmel geredet hatte.
Das heißt, wenn man nicht davon ausging, daß der Henker ihm noch etwas mitzuteilen gehabt hatte,bevor er ihn umbrachte. Was allerdings nicht sehr wahrscheinlich war, denn derStich kam, genau wie beim ersten Fall, schräg von hinten und ein wenig vonunten. Was gab es da noch viel zu sagen? »Ach«, hatte Simmel geseufzt und dieletzten Tropfen in sich hineingekippt. Zeit, sich nach Hause aufzumachen, zurFrau. Wenn Schalke sich richtig erinnerte. Jedenfalls hatte er versucht, ihnnoch zu überreden. Erklärt, daß es doch erst elf Uhr wäreund die Nacht noch jung, aber Simmel war standhaft ge-blieben.
Ja, genau das, standhaft. War einfach vonseinem Stuhl ge- rutscht. Hatte seine Brillezurechtgerückt und das dünne, et- was lächerliche Haar quer über die Glatzegestrichen, wie er es immer tat, als ließe sich damit noch etwas kaschieren . .. hatte irgendwas gemurmelt und war gegangen. Das letzte, was Schalke von ihmsah, war sein lichtbeschienener Rücken, als er in derTür stand und zu zögern schien, welche Richtung er einschlagen sollte.
Was natürlich, im nachhineinbetrachtet, etwas merkwürdig war. Simmel mußte dochwohl wissen, wo er wohnte? Aber er konnte natürlich auch nur einfach einenMoment stehengeblieben sein, um sich die mildeAbendluft zu Gemüte zu führen. Es war ein heißer Tag gewesen, der Sommer warnoch nicht vorbei, und die Abende bekamen langsam diese satte Schwere, als lagertenimmer noch die Sonnenstunden mehrerer Monate in ihnen. Lagerten dort und wurdenimmer edler.
Wie geschaffen, um einen tiefen Atemzug davonzu nehmen, hatte jemand gesagt. Diese Nächte.
Im Nachhinein gesehen ein idealer Abend, umauf die andere Seite zu wechseln, wenn man es unter diesem Gesichtspunkt sah.Schalkes Gebiet bei de Journaal war zwar eher dersportliche und folkloristische Bereich, aber in seiner Eigenschaft als letzterZeuge hatte er doch wohl die Berechtigung dazu, einen Nachruf auf den soplötzlich dahingerafften Immobilienmakler zu schreiben . . . eine Stütze derGesellschaft, so durfte man wohl sagen, gerade erst in seine Heimatstadtzurückgekehrt nach einigen Jahren im Ausland (an der spanischen Sonnenküsteunter gleichgesinnten Steuerspekulanten, doch das mußte man in diesem Zusammenhang ja nicht erwähnen), Frauund zwei erwachsene Kinder hinterlassend, achtundfünfzig Jahre alt, aber immernoch in der Blüte seiner Jahre, ganz zweifellos. Die schwere Abendluft schlugihm wie ein Angebot entgegen, und er blieb zögernd in der Tür stehen.
Wäre doch keine schlechte Idee, noch eineRunde über den Fischmarkt und durchs Hafengebiet zu machen!
Was hatte er um diese Zeit schon zu Hause zuerwarten? Das Bild von Gretes schwerem Körper stieg in seinem Kopf auf, und dersüßliche Schlafzimmergeruch kam ihm in den Sinn, und er entschied sich füreinen kleinen Spaziergang. Nur einen kleinen. Schon allein die laue Nachtluftwar die Mühe wert, auch wenn er nichts finden würde.
Er überquerte die Lange Straße und bog zur Bungeskirche ab. Im gleichen Moment löste sich der Schattenseines Mörders aus dem Dunkel unter den Linden im Leisnerparkund nahm die Verfolgung auf. Still und vorsichtig . . . in sicherem Abstand undauf Gummisohlen. Das war der dritte Versuch heute abend, noch hatte er sich im Griff. Er wußte, welche Aufgabe er sich gestellt hatte, und das letzte,was ihm in den Sinn gekommen wäre, war, übereifrig zu reagieren.
Simmel ging weiter die Hoistraatentlang und die Treppen hinunter zum Hafen. Am Fischmarkt wurde er langsamer. Bummeltegemächlich schräg über den menschenleeren Kopfsteinpflasterplatz zurMarkthalle. Zwei Frauen unterhielten sich an der Ecke zur Doomsgasse,aber sie schienen ihn nicht weiters zu interessieren. Vielleicht wußte er nicht so recht, woran er bei ihnen war, vielleichthielt ihn etwas anderes zurück.
Vielleicht hatte er auch einfach keine Lust.Unten am Kai blieb er ein paar Minuten stehen, rauchte eine Zigarette und betrachtetedie Touristenboote, die im Hafen vor sich hindümpelten. Auch der Mörder gönntesich in diesem Moment eine Zigarette, im Schatten der Lagergebäude auf deranderen Seite der Esplanade. Er hielt sie tief inseiner hohlen Hand verborgen, damit die Glut ihn nicht verriet, und er ließsein Opfer keine Sekunde aus den Augen.
Als Simmel seine Kippe ins Wasser warf undseine Schritte zum Stadtwald hin ausrichtete, war dem Mörder klar, daß es an diesem Abend soweit war.
Zwar waren es von der Esplanadenach Rikken, dem halb- mondänen Stadtteil, in demSimmel wohnte, kaum mehr als dreihundert Meter durch den Wald, und es gab auchgenügend Lampen entlang dem Spazierweg, aber diverse Feste im Sommer undVeranstaltungen im Freien hatten die eine oder andere zum Bruch gebracht { unddreihundert Meter können ein langer Weg sein . . . Als Simmel einen leichtenSchritt hinter sich hörte, war er jedenfalls noch nicht weiter als fünfzigMeter in den Wald gekommen, und die Dunkelheit hielt ihn dicht umfangen.
Warm und verheißungsvoll, wie gesagt, aberauch dicht. Vermutlich hatte er gar keine Zeit, um Angst zu haben. Und wenn, dannhöchstens in den allerletzten Bruchteilen der letzten Sekunde. Die scharfgeschliffene Klinge drang von hinten zwischen dem zweiten und viertenNackenwirbel ein. Sie spaltete den dritten diagonal in zwei Teile, durchschnittdie Wirbelsäule, die Speiseröhre und die Halsschlagader. Wenn die Klinge nurein paar Zentimeter tiefer geführt worden wäre, hätte sie den Kopfwahrscheinlich ganz und gar vom Körper abgetrennt.
Was an und für sich natürlich sehr spektakulärgewesen wäre, aber für das Ergebnis an sich nur von untergeordneter Bedeutung.
Allen denkbaren Kriterien zufolge mußte Ernst Simmel bereits tot gewesen sein, als er zuBoden fiel. Sein Gesicht traf mit voller Wucht auf den hartgetretenenKiesweg, die Brille zersplitterte, und es kam zu einigen sekundärenVerletzungen. Das Blut spritzte aus der Kehle, von oben und von unten, und währendder Mörder ihn vorsichtig in die Büsche zog, konnte er immer noch ein schwachesBlubbern hören. Er wartete leise in der Hocke, bis die vier oder fünfJugendlichen vorbei waren, wischte seine Waffe dann im Gras ab und begab sichzurück zum Hafen.
Zwanzig Minuten später saß er an seinemKüchentisch mit einer dampfenden Tasse Tee und hörte, wie sich die Badewanne langsamfüllte. Wenn seine Frau noch bei ihm gewesen wäre, hätte sie ihn sichergefragt, ob er einen anstrengenden Tag gehabt hätte und ob er sehr müde sei.
»Nicht besonders«, hätte er wahrscheinlichgeantwortet. »Es dauert nur seine Zeit, aber es geht alles nach Plan.«
»Das ist gut, mein Liebling«, hätte sie daraufantworten können. Wäre vielleicht zu ihm gekommen und hätte ihm eine Hand aufdie Schulter gelegt. »Das ist gut . . .«
Er nickte und führte die Tasse zum Mund.
© btb Verlag
Übersetzung:Christel Hildebrandt
- Autor: Hakan Nesser
- 2006, Sonderausg., 596 Seiten, Maße: 11,8 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christel Hildebrandt, Gabriele Haefs
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442735289
- ISBN-13: 9783442735280
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