Echo der Angst / Deadly Bd.1
Deutsche Erstausgabe. Thriller
FBI-Agentin Monica Davenport ist eine sehr erfolgreiche Profilerin. Kaum jemandem gelingt es so gut wie ihr, sich in die Gedankenwelt von Serienmördern und anderen Verbrechern hineinzuversetzen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem attraktiven Agenten Luke...
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Produktinformationen zu „Echo der Angst / Deadly Bd.1 “
Klappentext zu „Echo der Angst / Deadly Bd.1 “
FBI-Agentin Monica Davenport ist eine sehr erfolgreiche Profilerin. Kaum jemandem gelingt es so gut wie ihr, sich in die Gedankenwelt von Serienmördern und anderen Verbrechern hineinzuversetzen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem attraktiven Agenten Luke Dante, soll sie einen Mörder finden, der sich die schlimmsten Ängste seiner Opfer zunutze macht. Während der Ermittlungen kommen sich Luke und Monica näher. Doch schon bald wird klar, dass sie sich den Geheimnissen und Ängsten ihrer eigenen Vergangenheit stellen müssen, wenn sie eine gemeinsame Zukunft haben wollen.
Lese-Probe zu „Echo der Angst / Deadly Bd.1 “
Echo der Angst von Cynthia Eden Prolog
»Lebt das Mädchen noch?«, fragte Special Agent Jonas Mc- Kall.
Er war seit etwas über zwei Jahren bei der Einheit, und Mörder jagte er schon viel länger - er hätte es wirklich besser wissen sollen.
Keith Hyde grunzte und griff nach seiner Waffe. »Heute ist der vierte Tag. Du weißt doch, wie dieser Täter vorgeht. Zwei Tage Spaß und Vergnügen.« In Gedanken setzte er hinzu: Krankes, durchgeknalltes Schwein.
Ob das Mädchen noch lebte? Wohl kaum. Sie hatten schon fünf Leichen gefunden, alles junge Mädchen, Teenager. Abgeschlachtet.
Katherine Daniels war zuletzt am vergangenen Montag an einer Bushaltestelle gesehen worden. Heute war es ihnen endlich gelungen, den Schlupfwinkel des Mörders aufzuspüren, aber Hydes Instinkt sagte ihm, dass sie zu spät kamen.
Wie immer.
»Geht vorsichtig rein«, ordnete er an. Schweiß rann ihm über den Rücken. Seine Mannschaft war für solche Situationen ausgebildet, aber er sprach die Warnung trotzdem aus. Der Kerl in der Hütte war ausgekocht. Ein Jahr lang hatte er es geschafft, Polizei und FBI zu narren.
Während er seelenruhig Mädchen aufschlitzte.
»Wir dürfen ihn nicht erschrecken - für den Fall, dass Katherine noch lebt.« Damit der Täter keine Gelegenheit bekam, sie noch schnell zu ermorden.
Die drei FBI-Agenten nickten.
»Sir, was ist mit ...« Die flüsternde nasale Stimme tat Hyde in den Ohren weh.
Trotzdem blieb er stehen und wandte sich zu dem Profiler um.
»Was ist mit Mary Jane Hill?«
Das dritte verschwundene Mädchen.
... mehr
Der Blick des Profilers wanderte zu der Hütte. »Wir haben ihre Leiche nie gefunden.«
Hyde biss die Zähne zusammen. »Weil das Schwein sie irgendwo im Wald abgeladen hat und die Tiere sie vor uns gefunden haben.« Die anderen Leichname hatten sie, völlig entstellt, gerade noch rechtzeitig gefunden, ehe Wildtiere sich über sie hatten hermachen können.
Mary Jane nicht.
Hyde ging davon aus, dass sie das Mädchen nie finden würden.
»Aber ...«
»Brown, sie ist seit über drei Monaten verschwunden. Sie ist tot.« Der Irre hielt sich unbeirrt an seine Zwei-Tage-Regel.
Gerade der Profiler sollte das doch wissen.
Doch Brown mit seinem perfekt gebügelten Anzug und den viel zu dicken Brillengläsern war erst ein paar Tage zuvor als Ersatzmann in ihr Team nachgerückt, kurz bevor sie zufällig auf eine brauchbare Spur gestoßen waren.
Sein Vorgänger, Jasper Peters, hatte sich aus dem Fall ausgeklinkt. Mit hochrotem Gesicht und zitternden Händen hatte er vor Hyde gestanden. »Ich halte diesen Mist nicht mehr aus«, hatte er gesagt. »Man kann diese Monster nicht aufhalten. Man wird sie nie aufhalten können.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, brummte Hyde. In der Ferne hörte man Grillen zirpen. Aus der Hütte drang schwaches Licht. »Warten Sie hier.«
Er hob die Hand. Gab das Startzeichen - und machte sich bereit, die Hölle zu betreten.
***
Hyde brach das Schloss auf und schob sich geräuschlos durch die Tür. Drinnen nahm ihm der Gestank fast den Atem. Blut und Verwesung. Ein ekelhafter Geruch, der schwer in der Luft hing.
Sie würden das Mädchen nicht lebend finden.
Er schluckte, um den gallebitteren Geschmack im Mund loszuwerden, und hielt die Waffe fest mit beiden Händen gepackt. Irgendwo in diesem Loch verbarg sich der Killer.
Sie hatten eine Karte der Gegend angefertigt. Es war ihnen sogar gelungen, den Mann ausfindig zu machen, der die Hütte mehr als zwanzig Jahre zuvor gebaut hatte. Sie hatte einen kleinen Keller - der perfekte Ort, um Menschen zu ermorden.
Dort verbarg sich »Romeo«.
Beim Anblick der stabilen Metalltür begann Hydes Herz zu rasen. Von einer Kette baumelte ein Vorhängeschloss.
Wenn er unterwegs ist, sperrt er sie ein, dachte er. Sie haben keine Chance zu fliehen.
Jetzt war das Schloss offen, weil das Schwein sich da unten gerade vergnügte.
Aber nicht mehr lange.
Hyde zog die Tür auf.
Das Quietschen peinigte seine Ohren wie ein lauter Schrei.
Verdammt.
Hyde hetzte die Treppe hinunter.
Noch am Leben?
Wohl kaum. Aber vielleicht, vielleicht ...
Die Lichter über ihm flackerten, fluoreszierendes Neonlicht, das alles erhellte und dennoch vieles im Dunkeln ließ.
Auf der letzten Stufe geriet er ins Stolpern, fing sich jedoch wieder und schrie: »FBI! Nehmen Sie ...«
Lachen. Laut und kräftig. Aus dem Schatten trat ein Mann. Er war jung, Mitte zwanzig, sah gut aus.
Der Profiler hatte recht gehabt.
»Er zwingt sie nicht mitzukommen. Er verführt sie. Hat etwas an sich, dem sie nicht widerstehen können«, hatte er gesagt.
Romeo, der die Mädchen zu einem gewagten Leben überredete.
»Hände hoch, Arschloch! So, dass ich sie sehen kann!« Die anderen FBI-Agenten kamen die Treppe heruntergepoltert und verteilten sich im Raum.
Romeo lächelte nur und zeigte seine Grübchen. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verborgen. Brust und Beine waren von einer langen weißen, mit roten Flecken übersäten Schürze bedeckt. »Zu spät«, wisperte er und trat einen Schritt nach vorn.
Hyde schüttelte den Kopf. »Ich jage dir eine Kugel ins Herz.«
Noch ein Schritt.
»Dann werdet ihr meine bezaubernde Katherine nie finden. «
Genau wie sie Mary Jane nie gefunden hatten.
Hyde spürte, wie sich sein Finger fester auf den Abzug legte. »Du wirst aber auch nie wieder ein Mädchen aufschlitzen. Das reicht mir völlig.«
Wieder flackerten die Lampen, und das Lächeln des Manns erlosch. »Sie wollen es also auf die harte Tour, Hyde?«
Der Killer kannte seinen Namen. Nicht unbedingt eine große Überraschung, nachdem Hydes Gesicht in den letzten Monaten dauernd in den Nachrichten zu sehen gewesen war.
»Sie ist nicht hier.« Das kam von Jonas.
Einen kurzen Moment wandte Hyde den Blick von Romeo ab und ließ ihn zu den Ketten an der Wand und dem Tablett mit den Chirurgeninstrumenten wandern.
Das Spielzimmer eines durchgeknallten Arschlochs. Aber kein Mädchen.
»Legt ihm Handschellen an«, kam wie ein Grollen aus Hydes Kehle. Er hätte gern abgedrückt. Hätte diesem tollwütigen Tier nur zu gern den Gnadenschuss verpasst. Wenn er nur einen Vorwand gefunden hätte.
Jonas griff nach seinen Handschellen.
Plötzlich flogen Romeos Arme nach vorne. In der Hand hielt er eine Handfeuerwaffe, die er vorher hinten unter seinem Hemd verborgen hatte.
Der perfekte Vorwand. Dieser Gedanke huschte Hyde durch den Kopf, doch da hatte Romeo bereits abgedrückt.
»Nein!« Der schrille, laute Schrei einer Frau.
Hyde war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, weil sein Blick das Opfer suchte.
Romeo schoss, und im selben Augenblick warf sich eine Frau - nein, ein Mädchen - auf den Mörder, und sie stürzten beide zu Boden.
Ein Messer blitzte.
Die Klinge drang tief in Fleisch ein.
Lachen.
Schreie.
Hyde schüttelte den Kopf, packte das Mädchen und zog es hoch, während seine Männer sich auf den Killer stürzten. Das Mädchen versuchte, Hyde abzuschütteln. Die Hand, in der es das Messer hielt, bebte.
Woher zum Teufel war sie so plötzlich aufgetaucht?
»Schon gut«, flüsterte er beruhigend, obwohl er nicht gerade der Typ war, dem beruhigende Worte leicht über die Zunge kamen. »Er wird dir nichts mehr tun.«
Romeo warf den Kopf in den Nacken. Zwei FBI-Agenten knieten auf ihm. »Ich habe ihr nie etwas getan. Ich liebe sie. Sie gehört mir!«
Hydes rechte Schulter pochte furchtbar. Die Kugel hatte ihn getroffen, aber es war zum Glück nur ein Streifschuss.
Wieder versuchte das Mädchen, sich loszureißen. Hyde ignorierte den Schmerz in seiner Schulter und griff noch fester zu. »Ganz ruhig. Es ist vorbei.« Er wies mit dem Kopf auf Romeo. »Schafft ihn hier raus.«
Sie zitterte am ganzen Körper, als die Männer Romeo die Treppe hinaufzerrten. Hydes Blick wanderte nach links. Eine offene Tür. Verdammt, es sah eher aus, als stünde ein Teil der Mauer offen. Ein begehbarer Schrank. Nein, für einen begehbaren Schrank war die Öffnung nicht groß genug. Das waren höchstens sechzig Quadratzentimeter.
Hatte Romeo das Mädchen dort eingesperrt?
»Gehen wir raus, Katherine.« Das Team musste dieses stinkende Loch von oben bis unten durchsuchen.
Sie packte das Messer fester.
»Du musst das Messer jetzt fallen lassen.« Er wollte ihr nicht wehtun. Sie hatte bereits genug durchgemacht.
Eine Minute. Zwei.
Ganz langsam lockerten sich ihre Finger, und das Messer fiel scheppernd zu Boden.
»Braves Mädchen.«
Bei seinen Worten zuckte sie zusammen.
Das dunkle Haar hing ihr wirr ins Gesicht. In dem langen dunklen Hemd und der weiten Trainingshose schien sie schier zu verschwinden.
Sie lebte noch. Das war wirklich ein Wunder, das Jonas ihm noch lange unter die Nase reiben würde.
Hyde führte sie zur Treppe. Zögernd sah sie zur Tür hinauf.
»Verschlossen.« Ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.
Er spürte, wie sich eine Faust um sein Herz legte und zudrückte. »Diesmal nicht, Kleines.«
Sie nickte und stieg langsam die Treppenstufen hinauf. Eine nach der anderen. An der Tür zögerte sie. Dann hob sie die Hände und berührte mit ängstlichen Fingern das kalte Metall.
Hyde drückte die Tür auf und schob das Mädchen sanft über die Schwelle. »Ich bringe dich jetzt heim. Deine Eltern werden erleichtert sein ...«
Sie blieb plötzlich stehen. Dieser Teil der Hütte war hell erleuchtet, und keine der Birnen flackerte. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn aus Augen an, die so blau waren, wie er es noch nie gesehen hatte.
Romeo hatte einen besonderen Geschmack. Mädchen zwischen fünfzehn und achtzehn. Alle dunkelhaarig, alle mit blauen Augen.
Das Mädchen starrte ihn einen Augenblick lang an, dann schüttelte es den Kopf.
»Keine Angst, du bist in Sicherheit.«
»Ich ... bin nicht Katherine.« Immer noch das heisere Flüstern. Sie wandte den Blick ihrer irritierend blauen Augen nicht von ihm ab.
Ihr Gesicht war voller Schmutz. Ruß und Staub und wer weiß, was noch. Aber als Hyde sie genauer musterte, dämmerte es ihm.
Jäh wurde ihm klar, wer da vor ihm stand. Ein gottverdammtes Wunder. Ein Engel, der die Hölle überlebt hatte.
1
Sechzehn Jahre später.
»Stehen bleiben! FBI!« Natürlich beeindruckten die Worte den Täter nicht. Der Kerl mit der schwarzen Skimaske rannte nur noch schneller. Agent Luke Dante biss die Zähne zusammen und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Eine Frau schrie. Eine andere traf ihn mit ihrer Handtasche.
Also wirklich - das hatte man nun davon, dass man auf der Seite des Gesetzes stand.
In dieser Menschenansammlung konnte er unmöglich schießen. Es waren zu viele Leute unterwegs. Zu viele Kinder.
Luke sprang über einen Knaben auf einem Fahrrad hinweg und fluchte, als er mit dem Knöchel am Lenker hängenblieb.
Dreck. Das war wirklich nicht sein Tag.
Dabei hatte er auf dem Weg zur Arbeit nur schnell einen Kaffee trinken wollen. Nur eine Tasse.
Stattdessen war er in einen bewaffneten Raubüberfall geraten.
Der Täter lief in den Verkehr - das taten sie immer. Hupen erklangen, Bremsen quietschten. Luke schüttelte den Kopf. Der Verkehr war zum Stillstand gekommen, er konnte dem Typen also ruhig hinterherhechten.
Jetzt war er ihm so nah, dass er ihn schnaufen hörte.
Luke sprang, packte den Idioten, und schon gingen sie beide zu Boden.
Der raue Asphalt riss ihm den Arm auf. Er spürte, wie Blut über seine Haut lief. Der Täter wand sich fluchend unter ihm, trat nach ihm, versuchte, ihn abzuschütteln. Plötzlich hielt er einen Revolver in der Hand.
Luke verdrehte dem Mann das Handgelenk. Er jaulte auf, die Waffe fiel zu Boden.
»FBI«, brummte Luke. Sein Hemd war voller Blut. »Du hast dir den verkehrten Laden ausgesucht.«
Sirenen drangen an sein Ohr. Endlich. Im Zeitalter des Mobilfunks sollte man doch meinen, einer der Fußgänger hätte längst den Polizeinotruf gewählt.
»Verdammtes, dreckiges Schwein, lass mich los, lass mich ...«
Luke verlagerte sein Gewicht und drückte den Täter noch fester zu Boden. Durch die Schlitze der Skimaske starrten ihm funkelnde grüne Augen entgegen. »Waren die fünfzig Dollar das wert, du Genie?« Er riss ihm die Maske herunter - und sah ins Gesicht eines Jungen.
Die Täter wurden von Tag zu Tag jünger.
Das Gesicht des Burschen war mit Aknepickeln übersät. Kein Bartwuchs. Das rotblonde Haar hing ihm ungekämmt und ungewaschen um das runde Gesicht.
Meine Güte, der Junge hatte noch Babyspeck. »Wie alt bist du? Fünfzehn?«
»Verdammt, ich bringe dich um.« Die Adern an der Stirn des Jungen traten deutlich hervor.
Luke seufzte. Er kannte diesen Blick. Dieses glasige Starren. Dieses Beben. Der Junge war total zugedröhnt, und damit er das bleiben konnte, hatte er das Geschäft ausräumen wollen.
Der Lichtbalken des Streifenwagens blendete Luke. Türen knallten zu. Luke sah auf. Die Polizisten stürmten auf ihn zu.
»Stehen Sie auf und treten Sie zur Seite.« Der Sprecher hatte die Waffe auf Luke gerichtet.
»Ganz ruhig.« Ein nervöser Finger am Abzug - das konnte er nun wirklich nicht brauchen. »Ich bin vom FBI.«
Es war ein absolut beschissener Morgen.
Die Befragung würde mit Sicherheit so lange dauern, dass er zu spät zu seiner neuen Arbeitsstelle kam, und das am ersten Arbeitstag.
Mit dem Einstieg würde er seinen neuen Chef bestimmt beeindrucken.
***
Mit zerkratzten Armen und Blut auf dem Hemd betrat Luke zwei Stunden später das J.-Edgar-Hoover-Gebäude. Dennoch drückte er die Brust heraus und hielt den Kopf gerade. Er war nicht zum ersten Mal hier. Sein Einsatzort war zwar Atlanta gewesen, aber sporadisch hatte es Fälle gegeben, die eine Fahrt nach Washington erfordert hatten. Doch diesmal kam er nicht als Gast.
Seine Handflächen waren trocken, als er den Knopf im Lift drückte. Er ließ die Etagenanzeige nicht mehr aus den Augen. Drei. Vier. Fünf ...
Ein gedämpftes »Bing« ertönte, dann öffneten sich die Türen. Vor ihm lag ein langer Flur, der in einer T-Kreuzung endete. Nach rechts ging es dort zum kriminaltechnischen Labor, nach links zur SSD - Serial Services Division, der Abteilung, die für Serientäter zuständig war.
Diese Abteilung gab es noch nicht lange, und Luke wusste, dass eine Menge FBI-Agenten alles getan hätten, um dort arbeiten zu dürfen.
Aber mich haben sie genommen, dachte er. Er hatte sich den Arsch aufgerissen, um diese Stelle zu kriegen, und jetzt, wo er sie hatte, würde er alles tun, sie auch zu behalten.
Während er den Flur entlangging, spürte er deutlich das Gewicht von Waffe und Holster an der Hüfte. Am Ende des Flursbog er nach links ab. SSD. Luke stieß die makellose Glastür auf. Klingelnde Telefone. Stimmengewirr. Luke holte tief Luft, sah sich um und fragte sich, ob es ihm wohl gelingen würde, unbemerkt ...
»Das wurde auch Zeit, Partner.«
Lukes Blick schoss nach rechts.
»Ich dachte schon, Sie würden mich im Stich lassen, und ... oh ...« Der große, schlanke Mann mit dem kurzgeschorenen dunklen Haar zuckte zurück und kniff die grauen Augen zusammen. »Gab wohl Ärger zu Hause?«
Es klang ein wenig ironisch.
Luke gab einen Grunzlaut von sich. »Bewaffneter Raubüberfall. Ich musste den Täter überwältigen.«
»Aufschneider.« Der Mann schüttelte den Kopf, streckte Luke aber die Hand hin. »Sie wollen uns also gleich an Ihrem ersten Tag schlecht aussehen lassen? Das macht sich gar nicht gut.«
Luke nahm die Hand, drückte zu und ließ gleich wieder los. »Tut mir leid«, sagte er und räusperte sich. »Vielleicht lasse ich den Bösewicht nächstes Mal einfach entkommen.«
Der Mann lachte. »Mein Name ist Kenton Lake. Dante, ich glaube, es wird interessant, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Hier. Die einzige Abteilung im FBI, die sich rein mit der Verfolgung von Serientätern beschäftigte - Vergewaltiger, Killer, Kidnapper.
»Ich habe gehört, Sie können ziemlich ... energisch sein, wenn es um Ihre Arbeit geht«, sagte Kenton.
Luke konnte sich gut vorstellen, von wem der Typ das gehört hatte. Wobei er ziemlich sicher war, dass das entsprechende Adjektiv nicht »energisch« gelautet hatte. »Ich halte es für wichtig, gute Arbeit zu leisten.«
Kenton hob eine Braue. »Koste es, was es wolle?«
»So könnte man das ausdrücken.« Er war schon mit anderen Kollegen aneinandergeraten. Falls dieser Typ ihn für rücksichtslos hielt, weil er lieber dem Täter hinterhergejagt war, dann wäre er nicht der erste und nicht der letzte.
»Wir sind ein Team. Keine Ein-Mann-Show. Vergessen Sie das nicht, dann kommen Sie prima klar.«
Luke neigte den Kopf. Ihm ging es nicht um Berühmtheit. Ihm ging es darum, Opfern zu helfen. Sein Blick glitt über die Schreibtischreihen. »Gehören alle hier zum Team?«
»Größtenteils, aber nicht zum inneren Zirkel. Der wartet auf Sie.« Er wies mit dem Daumen auf die geschlossene Tür eines Konferenzzimmers. »Da drinnen.«
Er musste diesen Leuten mit seinem blutbefleckten Hemd gegenübertreten. Das hatte er nun davon.
»Nach Ihnen.«
Das Lächeln wurde breiter. »Ich kann mich noch nicht recht entscheiden, aber ich glaube, ich werde Sie mögen.«
Damit drehte Lake sich um und ging auf den Konferenzraum zu. Luke holte tief Luft.
Als er über die Schwelle trat, fiel sein Blick als Erstes ...
... auf sie. Oh, Mist, dachte er.
Luke war sich nicht bewusst, dass er nach Luft geschnappt hatte. Er spürte nur, dass sein Schwanz zuckte und die Luft im Raum unerwartet sehr ...
Neben ihm ertönte ein schnaubendes Geräusch. »Vergessen Sie's. Keine Chance.«
Aber während Kenton und er sich auf zwei freie Stühle setzten, gelang es ihm nicht, die Frau aus den Augen zu lassen.
Sie stand vorne im Raum, ihre Hände lagen an den Seiten eines Rednerpults. Das schwarze halblange Haar umspielte ihr Gesicht und betonte ihr leicht spitzes Kinn. Ihre Haut war glatt, bleich, makellos, und ihre Augen ...
So blau.
Monica Davenport. Eine Legende im FBI, obwohl sie gerade mal knapp über dreißig war. Eine der besten Profilerinnen. Drei, vier (?) Studienabschlüsse und verdammt viel praktische Erfahrung. Eine FBI-Agentin, die sich nichts vormachen ließ und die den Ruf hatte, eiskalt zu sein.
Wie schade, denn so, wie sie aussah, war sie der feuchte Traum in Person.
Seiner zumindest.
Der Blick ihrer glänzenden Augen bohrte sich in seinen, doch sie ließ sich nicht im Geringsten anmerken, dass sie ihn kannte.
Eis.
Mit ihrer angenehmen, weichen Stimme fuhr sie fort, als sei nichts geschehen. »Mit Hilfe unseres Teams konnte die Polizei den Täter gestern Abend in Waylon, Virginia, festnehmen. Das letzte Opfer des Mitternachtsmörders, Julia Marcus, konnten wir der Familie lebend zurückbringen.«
Beifall. Ein Pfiff von einer Frau in der ersten Reihe, die wie Lucy Liu aussah.
»Seit der Gründung vor sechs Monaten ist dies der neunte Fall, den die SSD zum Abschluss gebracht hat.«
»Genau, und wir fangen gerade erst an«, hallte eine tiefe Stimme durch den Raum, als habe Gott persönlich gesprochen. Luke richtete sich auf. Die Stimme kannte er. Keith Hyde. Verdammt, der Typ war quasi die SSD. Die Abteilung war seine Idee gewesen, sein Baby, und er hatte jeden einzelnen Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt.
In der ersten Auswahlrunde hatte er Luke übergangen, aber als Mark Lane ein Sabbatjahr genommen hatte, hatte Luke sich erneut beworben und es schließlich geschafft, in den heiligen Hallen aufgenommen zu werden. Hier hatte er hingewollt. Hier gehörte er hin.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte Monicas volle Lippen, als sie Hyde das Rednerpult überließ.
Hyde nickte den versammelten Agenten zu. Er war riesengroß, hatte breite Schultern und war schwarz wie die Nacht. Er lächelte - ein echtes Lächeln, nicht wie das Monicas - und ließ dabei seine perfekten weißen Zähne aufblitzen. »Wir machen ihnen Dampf, Leute, und ich bin auf jeden von Ihnen stolz.«
Einige Agenten jubelten, einige grinsten, und die angespannten Gesichter wirkten gleich viel offener.
»Aber wir haben gerade erst losgelegt. Neun sind geschnappt, der Rest läuft noch frei herum.« Sein Blick richtete sich auf Luke. »Wir haben einen neuen Kollegen, der uns endlich die Ehre gibt, hier anzutanzen.«
Luke zuckte zusammen.
»Besser spät als nie, nicht wahr, Kumpel?«, brummte Kenton.
Als Hyde die Augen zusammenkniff, sprang Luke auf. »Sir. Ich freue mich, für Ihre Abteilung arbeiten zu dürfen.«
»Das sollten Sie auch. Wir sind die Besten.« Er wies auf die Frau neben sich. Lucy Liu. Oh nein, sie war ... »Das ist Kim Donalds. Lassen Sie sich nicht davon täuschen, dass sie so klein ist. Sie ist eine der hartgesottensten Agentinnen, die ich je gesehen habe.«
Kim wandte ihm das Gesicht zu. Grüne mandelförmige Augen sahen ihn abwägend an. Begutachtend.
Ihre Nase war mit Sommersprossen übersät. Sie war klein, zierlich ...
... brandgefährlich.
Auch von Kim hatte er schon gehört. Ihr attraktives Äußeres verbarg nur unzulänglich die vollkommene Jägerin.
»Kenton kennen Sie schon.«
Kenton hob grüßend die Hand.
»Das ist Jon Ramirez. Er ist...«
»... ehemaliger Scharfschütze.« Luke nickte dem Mann mit dem durchdringenden Blick zu. »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, Sir.« Ramirez war als Soldat im Nahen Osten gewesen und hatte sich als besonders guter Schütze erwiesen. Nach Ableistung seines Dienstes war er zum FBI gegangen.
»Dann kennen Sie mich auch?« Eine weitere Frau, mittelgroß, schlank, rothaarig, Brille mit Drahtgestell. Sie sah ihn an und spitzte die Lippen.
»Samantha Kennedy, Computergenie.« Ja, er hatte von ihr gehört. Sie war noch keine achtzehn gewesen, als sie ihr Diplom in Informatik gemacht hatte. Noch im selben Jahr hatte die Regierung sie eingestellt, und erst vor ein paar Monaten war sie zum FBI gewechselt.
Samantha errötete und senkte den Blick. »Ja. Das bin ich.«
»Tja, und Sie sind Luke Dante.« Eine tiefe, raue Stimme.
Monica.
»Der tolle Hecht aus dem Süden, der ganz allein den Studentinnen- Stalker gestellt hat.« Eine ihrer dunklen Brauen glitt nach oben. »Eindrucksvoll.«
Eigentlich nicht. Auf der Suche nach Zeuginnen war er zufällig auf den Dreckskerl gestoßen. Er hatte Glück gehabt - fünf Zentimeter weiter, und Carl Malones Messer hätte sein Herz durchbohrt, statt eine Narbe zu hinterlassen, die seinen Ruf als knallharter Typ festigte.
Er rang sich ein Lächeln ab. »Man tut, was man kann.«
Hyde sah zwischen den beiden hin und her. »Dann kennen Sie vermutlich auch unsere leitende Profilerin, Monica Davenport.«
Ja. »Wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen.«
Eiskalte blaue Augen starrten ihn an.
»Gut.« Hyde griff in seine Mappe und zog einen Stapel A-4Umschläge heraus. Einen gab er Luke, einen Monica. »Sie fliegen nach Jasper, Mississippi, in ...« Kurzer Blick auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk. »... drei Stunden.« Kenton und Samantha bekamen auch je einen Umschlag. »Sie unterstützen die beiden.«
Luke starrte wie gebannt auf das Aktenbündel. »Der Sheriff da unten glaubt, er hätte einen Serienmörder.«
Monica legte den Kopf schief. »Hat er?«
»Keine Ahnung. Das herauszufinden ist Ihre und Dantes Aufgabe. Der Sheriff hat zwei Leichen. Nicht dieselbe Vorgehensweise, aber er glaubt, es war ein und derselbe Killer.«
Normalerweise brachten Serienmörder ihre Opfer immer auf die gleiche Art um. Es war, als müssten sie dasselbe Ritual immer wieder vollziehen. Unterschiedliche Vorgehensweisen passten nicht in das Schema.
»Lesen Sie die Akten«, befahl Hyde, »und dann machen Sie sich auf zum Flughafen.«
Er klatschte in die Hände. »Das war's, zurück an die Arbeit - und machen Sie sie tunlichst gut!«
Luke hielt den Blick fest auf die Dokumente gerichtet. Kenton klopfte ihm auf die Schulter. »Na los. Knacken Sie die Nuss. Sieht aus, als könnten Sie ...«
»Ich dachte, hier geht es um Teamarbeit, Partner«, fiel Luke ihm ins Wort.
Kenton grinste über das ganze Gesicht. So ein Grinsen hätte Lukes Vater garantiert als ›wölfisch‹ bezeichnet. »Mann, das war doch nur ein Scherz. Die Teams wechseln hier jede Woche. Entweder vertrauen Sie uns allen, oder Sie trauen niemandem.«
Gut zu wissen.
Kenton beugte sich näher. »Viel Glück mit Eis.«
Eis.
Monica hatte die Dokumente in ihre Tasche gesteckt und kam auf Luke zu. Der Raum hatte sich geleert, außer Kenton befanden sich nur noch Monica und er darin.
»Wenn Sie Mist bauen, zieht sie Ihnen bei lebendigem Leib die Haut ab.« Ein weiterer Klaps auf die Schulter. »Viel Spaß im Süden.«
Aus dem Süden war er gerade erst gekommen. Da unten war es im Augenblick heiß wie in der Hölle. Die Luftfeuchtigkeit brachte einen schier um. Aber er liebte den breiten Slang der Südstaatler.
Ein Slang, wie man ihn, wenn man genau hinhörte, ganz leicht noch in Monicas Aussprache wahrnehmen konnte.
Monica ging wortlos an ihm vorbei.
Verdammt. Eine herzliche Begrüßung konnte er sich offensichtlich abschminken.
Ein bisschen mehr hatte er schon von der Frau erwartet, mit der er den bisher besten Sex seines Lebens gehabt hatte.
Eis ... Scheiße, ja.
***
Verdammt, hatte sie ein Pech!
Monica holte zwei-, dreimal tief Luft. Ihr Herz raste.
Es gab so viele Abteilungen und Teams beim FBI, und ausgerechnet hier musste Luke auftauchen.
»Was hältst du von dem Typen?«
Sie schloss die Augen. Samantha.
»Hast du den gesehen?«
Es wäre nicht einfach gewesen, ihn nicht zu sehen, schließlich war er bei dem Termin dabei gewesen. Sie hob die Augenlider.
Samantha stieß einen tiefen Seufzer aus. »Als er den Blick auf mich richtete - und hast du gesehen, was für Augen der hat? -, da habe ich richtig gespürt, wie meine Haut anfing zu brennen.«
Monica stieß sich mit dem rechten Fuß ab und rollte mit ihrem Schreibtischstuhl vom Fenster weg. Dann drehte sie den Sitz so, dass sie Samantha ansehen konnte. »Kann ich dir irgendwie helfen? « Sie gab sich keine Mühe, ihre Ungeduld zu verbergen. Sie hatte keine Zeit, sich Sams entzückten Wortschwall anzuhören. Das mochte gemein sein ... na und?
Wenn man kalt und gemein war, konnte man solchen Unterhaltungen gut aus dem Weg gehen. Normalerweise.
Das hier war kein Internat, wo Mädchen die ganze Zeit tuschelten. Das hier war das FBI, verdammt noch mal. Aber Samantha, die gerade erst dreiundzwanzig war, tat sich manchmal schwer damit, sich entsprechend zu verhalten.
Samanthas Augen weiteten sich.
Wunderkind. Superklug, aber linkisch im Umgang mit Menschen.
»Oh. Ich ... ich hatte nur ...«
Klasse. Jetzt fühlte Monica sich, als hätte sie einem Welpen einen Tritt gegeben. Einem mit riesengroßen nussbraunen Augen.
»Hyde wollte, dass ich dir das gebe.«
Noch ein Aktenbündel.
Monica griff danach. »Danke, Sam.« Eine Entschuldigung? Wäre wahrscheinlich angebracht gewesen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Für jemanden, der sich angeblich so gut in Leute hineinversetzen konnte, waren ihre sozialen Fähigkeiten auch nicht die besten.
Samantha drehte sich um und eilte auf die Tür zu.
»Sam.«
Samantha blieb schlagartig stehen.
»Danke, dass du mir die Akte gebracht hast«, sagte Monica leise.
Samantha nickte.
Dann schloss sie die Tür hinter sich. Sie schlug sie nicht zu, zog sie einfach nur ins Schloss.
Monica schüttelte den Kopf. Oh ja, sie wusste, wie man Freunde gewann. Darin war sie immer gut gewesen.
Sie warf einen Blick auf die Akte, öffnete sie ...
... und starrte auf eine entstellte Frauenleiche.
Blut und Tod - davon verstand sie was.
***
Monica verließ gerade ihr Büro, als Hyde ihr in den Weg trat. »Kommen Sie klar mit dem Fall?«, fragte er.
Sie standen im Flur, direkt vor ihrem Büro. Monica sah nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich halte es nicht für eine gute Idee, Dante ins Team zu holen.« Oh ja, das hatte sie ihm mehr als einmal gesagt.
Aber Hyde zuckte nur die Achseln. »Von Dante spreche ich nicht. Den brauchen wir.« Er seufzte. »Sie sind für die Killer zuständig, er für die Opfer. Das ergänzt sich perfekt.«
Da mochte er recht haben, aber gefallen musste ihr das deshalb noch lange nicht.
»Wenn Sie mich brauchen, melden Sie sich, ja?«
Sie nickte. Hyde war immer ansprechbar. Für all seine Leute. »Mache ich.« Aber sie würde schon klarkommen - mit dem Fall und mit Luke.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Der Blick des Profilers wanderte zu der Hütte. »Wir haben ihre Leiche nie gefunden.«
Hyde biss die Zähne zusammen. »Weil das Schwein sie irgendwo im Wald abgeladen hat und die Tiere sie vor uns gefunden haben.« Die anderen Leichname hatten sie, völlig entstellt, gerade noch rechtzeitig gefunden, ehe Wildtiere sich über sie hatten hermachen können.
Mary Jane nicht.
Hyde ging davon aus, dass sie das Mädchen nie finden würden.
»Aber ...«
»Brown, sie ist seit über drei Monaten verschwunden. Sie ist tot.« Der Irre hielt sich unbeirrt an seine Zwei-Tage-Regel.
Gerade der Profiler sollte das doch wissen.
Doch Brown mit seinem perfekt gebügelten Anzug und den viel zu dicken Brillengläsern war erst ein paar Tage zuvor als Ersatzmann in ihr Team nachgerückt, kurz bevor sie zufällig auf eine brauchbare Spur gestoßen waren.
Sein Vorgänger, Jasper Peters, hatte sich aus dem Fall ausgeklinkt. Mit hochrotem Gesicht und zitternden Händen hatte er vor Hyde gestanden. »Ich halte diesen Mist nicht mehr aus«, hatte er gesagt. »Man kann diese Monster nicht aufhalten. Man wird sie nie aufhalten können.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, brummte Hyde. In der Ferne hörte man Grillen zirpen. Aus der Hütte drang schwaches Licht. »Warten Sie hier.«
Er hob die Hand. Gab das Startzeichen - und machte sich bereit, die Hölle zu betreten.
***
Hyde brach das Schloss auf und schob sich geräuschlos durch die Tür. Drinnen nahm ihm der Gestank fast den Atem. Blut und Verwesung. Ein ekelhafter Geruch, der schwer in der Luft hing.
Sie würden das Mädchen nicht lebend finden.
Er schluckte, um den gallebitteren Geschmack im Mund loszuwerden, und hielt die Waffe fest mit beiden Händen gepackt. Irgendwo in diesem Loch verbarg sich der Killer.
Sie hatten eine Karte der Gegend angefertigt. Es war ihnen sogar gelungen, den Mann ausfindig zu machen, der die Hütte mehr als zwanzig Jahre zuvor gebaut hatte. Sie hatte einen kleinen Keller - der perfekte Ort, um Menschen zu ermorden.
Dort verbarg sich »Romeo«.
Beim Anblick der stabilen Metalltür begann Hydes Herz zu rasen. Von einer Kette baumelte ein Vorhängeschloss.
Wenn er unterwegs ist, sperrt er sie ein, dachte er. Sie haben keine Chance zu fliehen.
Jetzt war das Schloss offen, weil das Schwein sich da unten gerade vergnügte.
Aber nicht mehr lange.
Hyde zog die Tür auf.
Das Quietschen peinigte seine Ohren wie ein lauter Schrei.
Verdammt.
Hyde hetzte die Treppe hinunter.
Noch am Leben?
Wohl kaum. Aber vielleicht, vielleicht ...
Die Lichter über ihm flackerten, fluoreszierendes Neonlicht, das alles erhellte und dennoch vieles im Dunkeln ließ.
Auf der letzten Stufe geriet er ins Stolpern, fing sich jedoch wieder und schrie: »FBI! Nehmen Sie ...«
Lachen. Laut und kräftig. Aus dem Schatten trat ein Mann. Er war jung, Mitte zwanzig, sah gut aus.
Der Profiler hatte recht gehabt.
»Er zwingt sie nicht mitzukommen. Er verführt sie. Hat etwas an sich, dem sie nicht widerstehen können«, hatte er gesagt.
Romeo, der die Mädchen zu einem gewagten Leben überredete.
»Hände hoch, Arschloch! So, dass ich sie sehen kann!« Die anderen FBI-Agenten kamen die Treppe heruntergepoltert und verteilten sich im Raum.
Romeo lächelte nur und zeigte seine Grübchen. Die Hände hielt er hinter dem Rücken verborgen. Brust und Beine waren von einer langen weißen, mit roten Flecken übersäten Schürze bedeckt. »Zu spät«, wisperte er und trat einen Schritt nach vorn.
Hyde schüttelte den Kopf. »Ich jage dir eine Kugel ins Herz.«
Noch ein Schritt.
»Dann werdet ihr meine bezaubernde Katherine nie finden. «
Genau wie sie Mary Jane nie gefunden hatten.
Hyde spürte, wie sich sein Finger fester auf den Abzug legte. »Du wirst aber auch nie wieder ein Mädchen aufschlitzen. Das reicht mir völlig.«
Wieder flackerten die Lampen, und das Lächeln des Manns erlosch. »Sie wollen es also auf die harte Tour, Hyde?«
Der Killer kannte seinen Namen. Nicht unbedingt eine große Überraschung, nachdem Hydes Gesicht in den letzten Monaten dauernd in den Nachrichten zu sehen gewesen war.
»Sie ist nicht hier.« Das kam von Jonas.
Einen kurzen Moment wandte Hyde den Blick von Romeo ab und ließ ihn zu den Ketten an der Wand und dem Tablett mit den Chirurgeninstrumenten wandern.
Das Spielzimmer eines durchgeknallten Arschlochs. Aber kein Mädchen.
»Legt ihm Handschellen an«, kam wie ein Grollen aus Hydes Kehle. Er hätte gern abgedrückt. Hätte diesem tollwütigen Tier nur zu gern den Gnadenschuss verpasst. Wenn er nur einen Vorwand gefunden hätte.
Jonas griff nach seinen Handschellen.
Plötzlich flogen Romeos Arme nach vorne. In der Hand hielt er eine Handfeuerwaffe, die er vorher hinten unter seinem Hemd verborgen hatte.
Der perfekte Vorwand. Dieser Gedanke huschte Hyde durch den Kopf, doch da hatte Romeo bereits abgedrückt.
»Nein!« Der schrille, laute Schrei einer Frau.
Hyde war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, weil sein Blick das Opfer suchte.
Romeo schoss, und im selben Augenblick warf sich eine Frau - nein, ein Mädchen - auf den Mörder, und sie stürzten beide zu Boden.
Ein Messer blitzte.
Die Klinge drang tief in Fleisch ein.
Lachen.
Schreie.
Hyde schüttelte den Kopf, packte das Mädchen und zog es hoch, während seine Männer sich auf den Killer stürzten. Das Mädchen versuchte, Hyde abzuschütteln. Die Hand, in der es das Messer hielt, bebte.
Woher zum Teufel war sie so plötzlich aufgetaucht?
»Schon gut«, flüsterte er beruhigend, obwohl er nicht gerade der Typ war, dem beruhigende Worte leicht über die Zunge kamen. »Er wird dir nichts mehr tun.«
Romeo warf den Kopf in den Nacken. Zwei FBI-Agenten knieten auf ihm. »Ich habe ihr nie etwas getan. Ich liebe sie. Sie gehört mir!«
Hydes rechte Schulter pochte furchtbar. Die Kugel hatte ihn getroffen, aber es war zum Glück nur ein Streifschuss.
Wieder versuchte das Mädchen, sich loszureißen. Hyde ignorierte den Schmerz in seiner Schulter und griff noch fester zu. »Ganz ruhig. Es ist vorbei.« Er wies mit dem Kopf auf Romeo. »Schafft ihn hier raus.«
Sie zitterte am ganzen Körper, als die Männer Romeo die Treppe hinaufzerrten. Hydes Blick wanderte nach links. Eine offene Tür. Verdammt, es sah eher aus, als stünde ein Teil der Mauer offen. Ein begehbarer Schrank. Nein, für einen begehbaren Schrank war die Öffnung nicht groß genug. Das waren höchstens sechzig Quadratzentimeter.
Hatte Romeo das Mädchen dort eingesperrt?
»Gehen wir raus, Katherine.« Das Team musste dieses stinkende Loch von oben bis unten durchsuchen.
Sie packte das Messer fester.
»Du musst das Messer jetzt fallen lassen.« Er wollte ihr nicht wehtun. Sie hatte bereits genug durchgemacht.
Eine Minute. Zwei.
Ganz langsam lockerten sich ihre Finger, und das Messer fiel scheppernd zu Boden.
»Braves Mädchen.«
Bei seinen Worten zuckte sie zusammen.
Das dunkle Haar hing ihr wirr ins Gesicht. In dem langen dunklen Hemd und der weiten Trainingshose schien sie schier zu verschwinden.
Sie lebte noch. Das war wirklich ein Wunder, das Jonas ihm noch lange unter die Nase reiben würde.
Hyde führte sie zur Treppe. Zögernd sah sie zur Tür hinauf.
»Verschlossen.« Ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.
Er spürte, wie sich eine Faust um sein Herz legte und zudrückte. »Diesmal nicht, Kleines.«
Sie nickte und stieg langsam die Treppenstufen hinauf. Eine nach der anderen. An der Tür zögerte sie. Dann hob sie die Hände und berührte mit ängstlichen Fingern das kalte Metall.
Hyde drückte die Tür auf und schob das Mädchen sanft über die Schwelle. »Ich bringe dich jetzt heim. Deine Eltern werden erleichtert sein ...«
Sie blieb plötzlich stehen. Dieser Teil der Hütte war hell erleuchtet, und keine der Birnen flackerte. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn aus Augen an, die so blau waren, wie er es noch nie gesehen hatte.
Romeo hatte einen besonderen Geschmack. Mädchen zwischen fünfzehn und achtzehn. Alle dunkelhaarig, alle mit blauen Augen.
Das Mädchen starrte ihn einen Augenblick lang an, dann schüttelte es den Kopf.
»Keine Angst, du bist in Sicherheit.«
»Ich ... bin nicht Katherine.« Immer noch das heisere Flüstern. Sie wandte den Blick ihrer irritierend blauen Augen nicht von ihm ab.
Ihr Gesicht war voller Schmutz. Ruß und Staub und wer weiß, was noch. Aber als Hyde sie genauer musterte, dämmerte es ihm.
Jäh wurde ihm klar, wer da vor ihm stand. Ein gottverdammtes Wunder. Ein Engel, der die Hölle überlebt hatte.
1
Sechzehn Jahre später.
»Stehen bleiben! FBI!« Natürlich beeindruckten die Worte den Täter nicht. Der Kerl mit der schwarzen Skimaske rannte nur noch schneller. Agent Luke Dante biss die Zähne zusammen und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Eine Frau schrie. Eine andere traf ihn mit ihrer Handtasche.
Also wirklich - das hatte man nun davon, dass man auf der Seite des Gesetzes stand.
In dieser Menschenansammlung konnte er unmöglich schießen. Es waren zu viele Leute unterwegs. Zu viele Kinder.
Luke sprang über einen Knaben auf einem Fahrrad hinweg und fluchte, als er mit dem Knöchel am Lenker hängenblieb.
Dreck. Das war wirklich nicht sein Tag.
Dabei hatte er auf dem Weg zur Arbeit nur schnell einen Kaffee trinken wollen. Nur eine Tasse.
Stattdessen war er in einen bewaffneten Raubüberfall geraten.
Der Täter lief in den Verkehr - das taten sie immer. Hupen erklangen, Bremsen quietschten. Luke schüttelte den Kopf. Der Verkehr war zum Stillstand gekommen, er konnte dem Typen also ruhig hinterherhechten.
Jetzt war er ihm so nah, dass er ihn schnaufen hörte.
Luke sprang, packte den Idioten, und schon gingen sie beide zu Boden.
Der raue Asphalt riss ihm den Arm auf. Er spürte, wie Blut über seine Haut lief. Der Täter wand sich fluchend unter ihm, trat nach ihm, versuchte, ihn abzuschütteln. Plötzlich hielt er einen Revolver in der Hand.
Luke verdrehte dem Mann das Handgelenk. Er jaulte auf, die Waffe fiel zu Boden.
»FBI«, brummte Luke. Sein Hemd war voller Blut. »Du hast dir den verkehrten Laden ausgesucht.«
Sirenen drangen an sein Ohr. Endlich. Im Zeitalter des Mobilfunks sollte man doch meinen, einer der Fußgänger hätte längst den Polizeinotruf gewählt.
»Verdammtes, dreckiges Schwein, lass mich los, lass mich ...«
Luke verlagerte sein Gewicht und drückte den Täter noch fester zu Boden. Durch die Schlitze der Skimaske starrten ihm funkelnde grüne Augen entgegen. »Waren die fünfzig Dollar das wert, du Genie?« Er riss ihm die Maske herunter - und sah ins Gesicht eines Jungen.
Die Täter wurden von Tag zu Tag jünger.
Das Gesicht des Burschen war mit Aknepickeln übersät. Kein Bartwuchs. Das rotblonde Haar hing ihm ungekämmt und ungewaschen um das runde Gesicht.
Meine Güte, der Junge hatte noch Babyspeck. »Wie alt bist du? Fünfzehn?«
»Verdammt, ich bringe dich um.« Die Adern an der Stirn des Jungen traten deutlich hervor.
Luke seufzte. Er kannte diesen Blick. Dieses glasige Starren. Dieses Beben. Der Junge war total zugedröhnt, und damit er das bleiben konnte, hatte er das Geschäft ausräumen wollen.
Der Lichtbalken des Streifenwagens blendete Luke. Türen knallten zu. Luke sah auf. Die Polizisten stürmten auf ihn zu.
»Stehen Sie auf und treten Sie zur Seite.« Der Sprecher hatte die Waffe auf Luke gerichtet.
»Ganz ruhig.« Ein nervöser Finger am Abzug - das konnte er nun wirklich nicht brauchen. »Ich bin vom FBI.«
Es war ein absolut beschissener Morgen.
Die Befragung würde mit Sicherheit so lange dauern, dass er zu spät zu seiner neuen Arbeitsstelle kam, und das am ersten Arbeitstag.
Mit dem Einstieg würde er seinen neuen Chef bestimmt beeindrucken.
***
Mit zerkratzten Armen und Blut auf dem Hemd betrat Luke zwei Stunden später das J.-Edgar-Hoover-Gebäude. Dennoch drückte er die Brust heraus und hielt den Kopf gerade. Er war nicht zum ersten Mal hier. Sein Einsatzort war zwar Atlanta gewesen, aber sporadisch hatte es Fälle gegeben, die eine Fahrt nach Washington erfordert hatten. Doch diesmal kam er nicht als Gast.
Seine Handflächen waren trocken, als er den Knopf im Lift drückte. Er ließ die Etagenanzeige nicht mehr aus den Augen. Drei. Vier. Fünf ...
Ein gedämpftes »Bing« ertönte, dann öffneten sich die Türen. Vor ihm lag ein langer Flur, der in einer T-Kreuzung endete. Nach rechts ging es dort zum kriminaltechnischen Labor, nach links zur SSD - Serial Services Division, der Abteilung, die für Serientäter zuständig war.
Diese Abteilung gab es noch nicht lange, und Luke wusste, dass eine Menge FBI-Agenten alles getan hätten, um dort arbeiten zu dürfen.
Aber mich haben sie genommen, dachte er. Er hatte sich den Arsch aufgerissen, um diese Stelle zu kriegen, und jetzt, wo er sie hatte, würde er alles tun, sie auch zu behalten.
Während er den Flur entlangging, spürte er deutlich das Gewicht von Waffe und Holster an der Hüfte. Am Ende des Flursbog er nach links ab. SSD. Luke stieß die makellose Glastür auf. Klingelnde Telefone. Stimmengewirr. Luke holte tief Luft, sah sich um und fragte sich, ob es ihm wohl gelingen würde, unbemerkt ...
»Das wurde auch Zeit, Partner.«
Lukes Blick schoss nach rechts.
»Ich dachte schon, Sie würden mich im Stich lassen, und ... oh ...« Der große, schlanke Mann mit dem kurzgeschorenen dunklen Haar zuckte zurück und kniff die grauen Augen zusammen. »Gab wohl Ärger zu Hause?«
Es klang ein wenig ironisch.
Luke gab einen Grunzlaut von sich. »Bewaffneter Raubüberfall. Ich musste den Täter überwältigen.«
»Aufschneider.« Der Mann schüttelte den Kopf, streckte Luke aber die Hand hin. »Sie wollen uns also gleich an Ihrem ersten Tag schlecht aussehen lassen? Das macht sich gar nicht gut.«
Luke nahm die Hand, drückte zu und ließ gleich wieder los. »Tut mir leid«, sagte er und räusperte sich. »Vielleicht lasse ich den Bösewicht nächstes Mal einfach entkommen.«
Der Mann lachte. »Mein Name ist Kenton Lake. Dante, ich glaube, es wird interessant, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Hier. Die einzige Abteilung im FBI, die sich rein mit der Verfolgung von Serientätern beschäftigte - Vergewaltiger, Killer, Kidnapper.
»Ich habe gehört, Sie können ziemlich ... energisch sein, wenn es um Ihre Arbeit geht«, sagte Kenton.
Luke konnte sich gut vorstellen, von wem der Typ das gehört hatte. Wobei er ziemlich sicher war, dass das entsprechende Adjektiv nicht »energisch« gelautet hatte. »Ich halte es für wichtig, gute Arbeit zu leisten.«
Kenton hob eine Braue. »Koste es, was es wolle?«
»So könnte man das ausdrücken.« Er war schon mit anderen Kollegen aneinandergeraten. Falls dieser Typ ihn für rücksichtslos hielt, weil er lieber dem Täter hinterhergejagt war, dann wäre er nicht der erste und nicht der letzte.
»Wir sind ein Team. Keine Ein-Mann-Show. Vergessen Sie das nicht, dann kommen Sie prima klar.«
Luke neigte den Kopf. Ihm ging es nicht um Berühmtheit. Ihm ging es darum, Opfern zu helfen. Sein Blick glitt über die Schreibtischreihen. »Gehören alle hier zum Team?«
»Größtenteils, aber nicht zum inneren Zirkel. Der wartet auf Sie.« Er wies mit dem Daumen auf die geschlossene Tür eines Konferenzzimmers. »Da drinnen.«
Er musste diesen Leuten mit seinem blutbefleckten Hemd gegenübertreten. Das hatte er nun davon.
»Nach Ihnen.«
Das Lächeln wurde breiter. »Ich kann mich noch nicht recht entscheiden, aber ich glaube, ich werde Sie mögen.«
Damit drehte Lake sich um und ging auf den Konferenzraum zu. Luke holte tief Luft.
Als er über die Schwelle trat, fiel sein Blick als Erstes ...
... auf sie. Oh, Mist, dachte er.
Luke war sich nicht bewusst, dass er nach Luft geschnappt hatte. Er spürte nur, dass sein Schwanz zuckte und die Luft im Raum unerwartet sehr ...
Neben ihm ertönte ein schnaubendes Geräusch. »Vergessen Sie's. Keine Chance.«
Aber während Kenton und er sich auf zwei freie Stühle setzten, gelang es ihm nicht, die Frau aus den Augen zu lassen.
Sie stand vorne im Raum, ihre Hände lagen an den Seiten eines Rednerpults. Das schwarze halblange Haar umspielte ihr Gesicht und betonte ihr leicht spitzes Kinn. Ihre Haut war glatt, bleich, makellos, und ihre Augen ...
So blau.
Monica Davenport. Eine Legende im FBI, obwohl sie gerade mal knapp über dreißig war. Eine der besten Profilerinnen. Drei, vier (?) Studienabschlüsse und verdammt viel praktische Erfahrung. Eine FBI-Agentin, die sich nichts vormachen ließ und die den Ruf hatte, eiskalt zu sein.
Wie schade, denn so, wie sie aussah, war sie der feuchte Traum in Person.
Seiner zumindest.
Der Blick ihrer glänzenden Augen bohrte sich in seinen, doch sie ließ sich nicht im Geringsten anmerken, dass sie ihn kannte.
Eis.
Mit ihrer angenehmen, weichen Stimme fuhr sie fort, als sei nichts geschehen. »Mit Hilfe unseres Teams konnte die Polizei den Täter gestern Abend in Waylon, Virginia, festnehmen. Das letzte Opfer des Mitternachtsmörders, Julia Marcus, konnten wir der Familie lebend zurückbringen.«
Beifall. Ein Pfiff von einer Frau in der ersten Reihe, die wie Lucy Liu aussah.
»Seit der Gründung vor sechs Monaten ist dies der neunte Fall, den die SSD zum Abschluss gebracht hat.«
»Genau, und wir fangen gerade erst an«, hallte eine tiefe Stimme durch den Raum, als habe Gott persönlich gesprochen. Luke richtete sich auf. Die Stimme kannte er. Keith Hyde. Verdammt, der Typ war quasi die SSD. Die Abteilung war seine Idee gewesen, sein Baby, und er hatte jeden einzelnen Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt.
In der ersten Auswahlrunde hatte er Luke übergangen, aber als Mark Lane ein Sabbatjahr genommen hatte, hatte Luke sich erneut beworben und es schließlich geschafft, in den heiligen Hallen aufgenommen zu werden. Hier hatte er hingewollt. Hier gehörte er hin.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte Monicas volle Lippen, als sie Hyde das Rednerpult überließ.
Hyde nickte den versammelten Agenten zu. Er war riesengroß, hatte breite Schultern und war schwarz wie die Nacht. Er lächelte - ein echtes Lächeln, nicht wie das Monicas - und ließ dabei seine perfekten weißen Zähne aufblitzen. »Wir machen ihnen Dampf, Leute, und ich bin auf jeden von Ihnen stolz.«
Einige Agenten jubelten, einige grinsten, und die angespannten Gesichter wirkten gleich viel offener.
»Aber wir haben gerade erst losgelegt. Neun sind geschnappt, der Rest läuft noch frei herum.« Sein Blick richtete sich auf Luke. »Wir haben einen neuen Kollegen, der uns endlich die Ehre gibt, hier anzutanzen.«
Luke zuckte zusammen.
»Besser spät als nie, nicht wahr, Kumpel?«, brummte Kenton.
Als Hyde die Augen zusammenkniff, sprang Luke auf. »Sir. Ich freue mich, für Ihre Abteilung arbeiten zu dürfen.«
»Das sollten Sie auch. Wir sind die Besten.« Er wies auf die Frau neben sich. Lucy Liu. Oh nein, sie war ... »Das ist Kim Donalds. Lassen Sie sich nicht davon täuschen, dass sie so klein ist. Sie ist eine der hartgesottensten Agentinnen, die ich je gesehen habe.«
Kim wandte ihm das Gesicht zu. Grüne mandelförmige Augen sahen ihn abwägend an. Begutachtend.
Ihre Nase war mit Sommersprossen übersät. Sie war klein, zierlich ...
... brandgefährlich.
Auch von Kim hatte er schon gehört. Ihr attraktives Äußeres verbarg nur unzulänglich die vollkommene Jägerin.
»Kenton kennen Sie schon.«
Kenton hob grüßend die Hand.
»Das ist Jon Ramirez. Er ist...«
»... ehemaliger Scharfschütze.« Luke nickte dem Mann mit dem durchdringenden Blick zu. »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, Sir.« Ramirez war als Soldat im Nahen Osten gewesen und hatte sich als besonders guter Schütze erwiesen. Nach Ableistung seines Dienstes war er zum FBI gegangen.
»Dann kennen Sie mich auch?« Eine weitere Frau, mittelgroß, schlank, rothaarig, Brille mit Drahtgestell. Sie sah ihn an und spitzte die Lippen.
»Samantha Kennedy, Computergenie.« Ja, er hatte von ihr gehört. Sie war noch keine achtzehn gewesen, als sie ihr Diplom in Informatik gemacht hatte. Noch im selben Jahr hatte die Regierung sie eingestellt, und erst vor ein paar Monaten war sie zum FBI gewechselt.
Samantha errötete und senkte den Blick. »Ja. Das bin ich.«
»Tja, und Sie sind Luke Dante.« Eine tiefe, raue Stimme.
Monica.
»Der tolle Hecht aus dem Süden, der ganz allein den Studentinnen- Stalker gestellt hat.« Eine ihrer dunklen Brauen glitt nach oben. »Eindrucksvoll.«
Eigentlich nicht. Auf der Suche nach Zeuginnen war er zufällig auf den Dreckskerl gestoßen. Er hatte Glück gehabt - fünf Zentimeter weiter, und Carl Malones Messer hätte sein Herz durchbohrt, statt eine Narbe zu hinterlassen, die seinen Ruf als knallharter Typ festigte.
Er rang sich ein Lächeln ab. »Man tut, was man kann.«
Hyde sah zwischen den beiden hin und her. »Dann kennen Sie vermutlich auch unsere leitende Profilerin, Monica Davenport.«
Ja. »Wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen.«
Eiskalte blaue Augen starrten ihn an.
»Gut.« Hyde griff in seine Mappe und zog einen Stapel A-4Umschläge heraus. Einen gab er Luke, einen Monica. »Sie fliegen nach Jasper, Mississippi, in ...« Kurzer Blick auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk. »... drei Stunden.« Kenton und Samantha bekamen auch je einen Umschlag. »Sie unterstützen die beiden.«
Luke starrte wie gebannt auf das Aktenbündel. »Der Sheriff da unten glaubt, er hätte einen Serienmörder.«
Monica legte den Kopf schief. »Hat er?«
»Keine Ahnung. Das herauszufinden ist Ihre und Dantes Aufgabe. Der Sheriff hat zwei Leichen. Nicht dieselbe Vorgehensweise, aber er glaubt, es war ein und derselbe Killer.«
Normalerweise brachten Serienmörder ihre Opfer immer auf die gleiche Art um. Es war, als müssten sie dasselbe Ritual immer wieder vollziehen. Unterschiedliche Vorgehensweisen passten nicht in das Schema.
»Lesen Sie die Akten«, befahl Hyde, »und dann machen Sie sich auf zum Flughafen.«
Er klatschte in die Hände. »Das war's, zurück an die Arbeit - und machen Sie sie tunlichst gut!«
Luke hielt den Blick fest auf die Dokumente gerichtet. Kenton klopfte ihm auf die Schulter. »Na los. Knacken Sie die Nuss. Sieht aus, als könnten Sie ...«
»Ich dachte, hier geht es um Teamarbeit, Partner«, fiel Luke ihm ins Wort.
Kenton grinste über das ganze Gesicht. So ein Grinsen hätte Lukes Vater garantiert als ›wölfisch‹ bezeichnet. »Mann, das war doch nur ein Scherz. Die Teams wechseln hier jede Woche. Entweder vertrauen Sie uns allen, oder Sie trauen niemandem.«
Gut zu wissen.
Kenton beugte sich näher. »Viel Glück mit Eis.«
Eis.
Monica hatte die Dokumente in ihre Tasche gesteckt und kam auf Luke zu. Der Raum hatte sich geleert, außer Kenton befanden sich nur noch Monica und er darin.
»Wenn Sie Mist bauen, zieht sie Ihnen bei lebendigem Leib die Haut ab.« Ein weiterer Klaps auf die Schulter. »Viel Spaß im Süden.«
Aus dem Süden war er gerade erst gekommen. Da unten war es im Augenblick heiß wie in der Hölle. Die Luftfeuchtigkeit brachte einen schier um. Aber er liebte den breiten Slang der Südstaatler.
Ein Slang, wie man ihn, wenn man genau hinhörte, ganz leicht noch in Monicas Aussprache wahrnehmen konnte.
Monica ging wortlos an ihm vorbei.
Verdammt. Eine herzliche Begrüßung konnte er sich offensichtlich abschminken.
Ein bisschen mehr hatte er schon von der Frau erwartet, mit der er den bisher besten Sex seines Lebens gehabt hatte.
Eis ... Scheiße, ja.
***
Verdammt, hatte sie ein Pech!
Monica holte zwei-, dreimal tief Luft. Ihr Herz raste.
Es gab so viele Abteilungen und Teams beim FBI, und ausgerechnet hier musste Luke auftauchen.
»Was hältst du von dem Typen?«
Sie schloss die Augen. Samantha.
»Hast du den gesehen?«
Es wäre nicht einfach gewesen, ihn nicht zu sehen, schließlich war er bei dem Termin dabei gewesen. Sie hob die Augenlider.
Samantha stieß einen tiefen Seufzer aus. »Als er den Blick auf mich richtete - und hast du gesehen, was für Augen der hat? -, da habe ich richtig gespürt, wie meine Haut anfing zu brennen.«
Monica stieß sich mit dem rechten Fuß ab und rollte mit ihrem Schreibtischstuhl vom Fenster weg. Dann drehte sie den Sitz so, dass sie Samantha ansehen konnte. »Kann ich dir irgendwie helfen? « Sie gab sich keine Mühe, ihre Ungeduld zu verbergen. Sie hatte keine Zeit, sich Sams entzückten Wortschwall anzuhören. Das mochte gemein sein ... na und?
Wenn man kalt und gemein war, konnte man solchen Unterhaltungen gut aus dem Weg gehen. Normalerweise.
Das hier war kein Internat, wo Mädchen die ganze Zeit tuschelten. Das hier war das FBI, verdammt noch mal. Aber Samantha, die gerade erst dreiundzwanzig war, tat sich manchmal schwer damit, sich entsprechend zu verhalten.
Samanthas Augen weiteten sich.
Wunderkind. Superklug, aber linkisch im Umgang mit Menschen.
»Oh. Ich ... ich hatte nur ...«
Klasse. Jetzt fühlte Monica sich, als hätte sie einem Welpen einen Tritt gegeben. Einem mit riesengroßen nussbraunen Augen.
»Hyde wollte, dass ich dir das gebe.«
Noch ein Aktenbündel.
Monica griff danach. »Danke, Sam.« Eine Entschuldigung? Wäre wahrscheinlich angebracht gewesen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Für jemanden, der sich angeblich so gut in Leute hineinversetzen konnte, waren ihre sozialen Fähigkeiten auch nicht die besten.
Samantha drehte sich um und eilte auf die Tür zu.
»Sam.«
Samantha blieb schlagartig stehen.
»Danke, dass du mir die Akte gebracht hast«, sagte Monica leise.
Samantha nickte.
Dann schloss sie die Tür hinter sich. Sie schlug sie nicht zu, zog sie einfach nur ins Schloss.
Monica schüttelte den Kopf. Oh ja, sie wusste, wie man Freunde gewann. Darin war sie immer gut gewesen.
Sie warf einen Blick auf die Akte, öffnete sie ...
... und starrte auf eine entstellte Frauenleiche.
Blut und Tod - davon verstand sie was.
***
Monica verließ gerade ihr Büro, als Hyde ihr in den Weg trat. »Kommen Sie klar mit dem Fall?«, fragte er.
Sie standen im Flur, direkt vor ihrem Büro. Monica sah nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich halte es nicht für eine gute Idee, Dante ins Team zu holen.« Oh ja, das hatte sie ihm mehr als einmal gesagt.
Aber Hyde zuckte nur die Achseln. »Von Dante spreche ich nicht. Den brauchen wir.« Er seufzte. »Sie sind für die Killer zuständig, er für die Opfer. Das ergänzt sich perfekt.«
Da mochte er recht haben, aber gefallen musste ihr das deshalb noch lange nicht.
»Wenn Sie mich brauchen, melden Sie sich, ja?«
Sie nickte. Hyde war immer ansprechbar. Für all seine Leute. »Mache ich.« Aber sie würde schon klarkommen - mit dem Fall und mit Luke.
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Cynthia Eden
Cynthia Eden fühlte sich schon immer magisch von allem angezogen, was nicht mit "rechten Dingen" zugeht. Sie stellte sich gern die berühmte Frage: Was wäre, wenn ... Nach dem Studium machte sie aus ihrer Leidenschaft dann eine Profession und widmete sich fortan dem Schreiben von (übersinnlichen) Liebesromanen. Cynthia Eden lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in den Südstaaten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cynthia Eden
- 2011, 400 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Mrugalla, Katrin; Betzenbichler, Richard
- Übersetzer: Richard Betzenbichler, Katrin Mrugalla
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802586212
- ISBN-13: 9783802586217
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