Defekt / Kay Scarpetta Bd.14
Kay Scarpettas neuer Fall macht diesmal auch nicht vor ihrer eigenen Familie halt: Der Arzt Johnny Swift und eine junge Frau mit bizarren Tätowierungen wurden ermordet. Während Kays Freund sich mit der Erforschung der Gehirne von Serientätern beschäftigt,...
Kay Scarpettas neuer Fall macht diesmal auch nicht vor ihrer eigenen Familie halt: Der Arzt Johnny Swift und eine junge Frau mit bizarren Tätowierungen wurden ermordet. Während Kays Freund sich mit der Erforschung der Gehirne von Serientätern beschäftigt, lernt ihre Nichte Lucy eine Frau kennen, die dieselben seltsamen Tattoos wie die Tote trägt. Als dann auch noch ein geheimnisvoller anonymer Anruf auf eine Verbindung zwischen Lucy und Dr. Swift hindeutet, macht sich Kay große Sorgen: Ist ihre Nichte in tödlicher Gefahr?
Scarpetta-Thriller führt
in den Abgrund des
menschlichen Wesens.
Wer erschoss den Arzt Johnny Swift? Und was hat das mit dem Mord an der attraktiven, bizarr tätowierten Frau zu tun? Kay Scarpetta braucht in ihrem neuen Fall die ganze Unterstützung ihres Teams und sieht sich schließlich mit einer erschreckenden Erkenntnis über ihre Nichte Lucy konfrontiert.
Hatte Lucy irgendetwas mit dem Ermordeten zu tun? Der anonyme Anruf eines Mannes, der sich die "Hand Gottes" nennt, deutet jedenfalls beängstigend darauf hin. Scarpettas Geliebter Benton Wesley ist unterdessen mit einem geheimen For-schungsprojekt zur Gehirnstruktur von Serienkillern befasst. Er wird im Fall einer ermordeten jungen Frau hinzugezogen, die auf die gleiche Weise ums Leben kam wie der Arzt. Ein Rätsel für Benton: Was haben die tätowierten Handabdrücke auf den Brüsten, am Gesäß und zwischen den Schenkeln der Frau zu bedeuten? Während Scarpetta bei ihren Ermittlungen auf das Schicksal einer spurlos verschwundenen Familie stößt, hat Lucy einen One-Night-Stand. An ihrer Gespielin fällt ihr etwas Seltsames auf: die bizarren Handabdrücke auf den Brüsten, am Gesäß und zwischen den Schenkeln ...
Defekt von Patricia Cornwell
LESEPROBE
1
Es istSonntagnachmittag. Dr. Kay Scarpetta sitzt in ihrem Büro in der NationalForensic Academy in Hollywood, Florida. Draußen ziehen Wolken auf, die wiedereinmal ein Gewitter verheißen. Eigentlich dürfte es im Februar nicht so schwülund regnerisch sein. Schüsse sind zu hören, und Stimmen rufen Wortfetzen, die sienicht verstehen kann. An den Wochenenden sind Kampfübungen ein beliebterZeitvertreib. Dann können Special Agents in schwarzen Overalls wild um sichballern, ohne dass sie - außer Scarpetta - jemand hört, und auch sie nimmt esinzwischen kaum noch wahr. Stattdessen beschäftigt sie sich weiter mit dem vorläufigenGutachten eines Gerichtsmediziners aus Louisiana.
Er hateine Patientin untersucht, die später fünf Menschen ermordet hat; angeblicherinnert sie sich an nichts. Vermutlich wäre diese Patientin kaum einegeeignete Kandidatin für das Forschungsprogramm mit dem Namen Biometrische Evaluationund Systematisierung von Tötungsverlangen aufgrund idiopathischer Enzephalanomalien,kurz BESTIE, denktScarpetta, während sie hört, wie ein Motorrad über das Akademiegelände näherkommt.
Sieschreibt eine E-Mail an den forensischen Psychologen Benton Wesley: EineFrau in der Studie könnte zwar interessant sein, aber wären die gewonnenenDaten nicht irrelevant? Ich dachte, du beschränkst dich bei BESTIE aufMänner.
DasMotorrad donnert mit Vollgas auf das Gebäude zu und kommt direkt unterScarpettas Fenster zum Stehen. Pete Marino will sie wieder ärgern, denkt siemissmutig und liest Bentons Antwort:
Louisianawürde sie wahrscheinlich sowieso nicht rausrücken. Die sind viel zu scharf aufHinrichtungen. Aber das Essen ist dort spitze.
Scarpettablickt aus dem Fenster, während Marino den Motor zum Verstummen bringt,absteigt, sich in Machopose wirft und in alle Richtungen umschaut. Es isttypisch für ihn, dass er sich ständig beobachtet fühlt. Gerade schließt sie dieBESTIE-Unterlagenin der Schreibtischschublade ein, als er, ohne anzuklopfen, hereinkommt undunaufgefordert Platz nimmt.
»Was weißtdu über den Fall Johnny Swift?«, fragt er. Gewaltige tätowierte Arme ragen ausder Jeansweste, auf deren Rücken dasLogo von Harley-Davidson prangt. Marino ist der Chefermittler der Akademie undgeht außerdem im Auftrag des Gerichtsmedizinischen Instituts von Broward Countyverdächtigen Todesfällen nach. Seit einiger Zeit sieht er aus wie die Karikatureines Bikers. Er legt seinen Helm auf den Tisch, eine abgestoßene schwarzeHalbschale, übersät mit Aufklebern, die Einschusslöcher darstellen sollen.
»Hilfmeinem Gedächtnis mal auf die Sprünge. Übrigens ist dieses Ding da nichtsweiter als Deko.« Scarpetta weist auf den Helm. »Absolut nutzlos, falls du mitdeinem Organspender-Motorrad einen Unfall hast.« Marino wirft eine Akte aufihren Schreibtisch. »Ein Arzt aus San Francisco mit Praxis in Miami. Besaßzusammen mit seinem Bruder ein Strandhaus hier in Hollywood, nicht weit weg vonden Renaissance-Doppeltürmen - du kennst doch sicher den Eigentumswohnblock inder Nähe des John Lloyd State Park. Vor etwa drei Monaten, so um Thanksgivingrum, war Swift hier und wurde von seinem Bruder auf dem Sofa gefunden. Tot, miteiner Schrotladung in der Brust. Er hatte gerade eine missglückte
Handgelenkoperationhinter sich. Auf den ersten Blick eindeutig Selbstmord.«
»Damalswar ich noch nicht am Gerichtsmedizinischen Institut«, entgegnet Scarpetta.
Sie warzwar bereits als Leiterin für forensische Wissenschaften und Medizin an derAkademie tätig, doch die Stelle als beratende forensische Pathologin amGerichtsmedizinischen Institut von Broward County hat sie erst im vergangenenDezember angenommen, als Dr. Bronson, der Chef, sein Stundendeputat
zurückgefahrenund immer öfter von der Rente geredet hat.
»Aber icherinnere mich, davon gehört zu haben«, fährt sie fort. Sie fühlt sich nichtwohl in Marinos Gegenwart und freut sich in letzter Zeit nur noch selten, ihnzu sehen. »Dr. Bronson hat die Autopsie durchgeführt«, sagt er, betrachtet dieGegenstände auf Scarpettas Schreibtisch und lässt den Blick in alle Richtungenschweifen, nur Scarpetta schaut er nicht an.
»Hattestdu was damit zu tun?«
»Nein. Ichwar nicht in der Stadt. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, weil die Polizeivon Hollywood vermutet, dass mehr dahinterstecken könnte. Sie haben Laurel imVerdacht.«
»Laurel?«
»JohnnySwifts Bruder, eineiige Zwillinge. Aber es gab keine Beweise, und allmählichist Gras über die Sache gewachsen. Doch dann habe ich am Freitagmorgen so gegendrei einen Anruf gekriegt, von einem Spinner, und das auch noch bei mir zu Hause.Wir haben das Telefonat nach Boston zurückverfolgen
können.«
»Boston inMassachusetts?«
»Da, wodie Tea Party stattgefunden hat.«
»Ichdachte, du hättest eine Geheimnummer.«
»Icheigentlich auch.«
Marinozieht ein zusammengefaltetes, ziemlich zerfleddertes Stück braunes Papier ausder Gesäßtasche seiner Jeans und streicht es glatt.
»Ich lesedir vor, was der Typ gesagt hat, ich habe es Wort für Wort mitgeschrieben. Ernannte sich Hog.«
»Hog wieSchwein?« Während Scarpetta ihn ansieht, fragt sie sich, ob das ein schlechterScherz ist und ob er sie zum Narren halten will. Das tut Marino in letzter Zeithäufig.
»Er sagtenur: Ich bin Hog. Du hast ihnen eine Strafe gesandt, die sie zum Gespöttmachte. Was zum Teufel das auch immer heißen mag. Dann weiter: Es gibteinen Grund, warum am Fundort von Johnny Swifts Leiche einige Gegenstände gefehlthaben, und wenn du nur einen Funken Verstand hast,prüfst du nach, was ChristianChristian passiert ist. Es gibt keine Zufälle. Am besten fragst du Scarpetta,denn die Hand Gottes wird alle Perversen zermalmen, auch ihre Nichte, diese lesbischeSchlampe.«
Scarpettalässt sich ihre Gefühle nicht anmerken, als sie erwidert:
»Bist dusicher, dass das seine genauen Worte waren?«
»Sehe ichvielleicht aus wie ein Romanautor?«
»ChristianChristian?«
»KeineAhnung, was das soll. Der Typ schien nicht gerade aufgeschlossen für Fragenoder bereit, etwas zu buchstabieren. Er hat sehr leise gesprochen, absolutemotionslose Stimme, und dann aufgelegt.«
»Hat erLucy namentlich erwähnt oder nur ?«
»Ich habeihn wörtlich zitiert«, unterbricht er sie. »Sie ist doch deine einzige Nichte,oder? Also kann er nur Lucy gemeint haben. Und HOG dürfte für Hand of God stehen - also die HandGottes -, falls du noch nicht selbst drauf gekommen sein solltest. Um mich kurzzu fassen: Ich habe die Polizei von
Hollywoodverständigt, die uns daraufhin gebeten hat, den Fall Johnny Swift so schnellwie möglich unter die Lupe zu nehmen.
Offenbarstimmt etwas mit den Untersuchungsergebnissen nicht, denn er ist anscheinendsowohl aus einiger Entfernung als auch aus nächster Nähe erschossen worden.Tja, und das schließt sich wohl gegenseitig aus, oder?«
»Wenn nurein Schuss abgegeben wurde, schon. Offenbar wurde da etwasdurcheinandergebracht. Wissen wir, wer Christian Christian ist? Ist damitüberhaupt eine Person gemeint?«
»Bis jetzthat der Computer nichts Hilfreiches zutage gefördert.«
»Und warumerzählst du mir das alles erst jetzt? Ich war das ganze Wochenende hier.«
»Ich hattezu tun.«
»Wenn duInformationen über einen Fall wie diesen hast, solltest du nicht zwei Tagewarten, ehe du damit zu mir kommst«, gibt sie so ruhig wie möglich zurück.
»Vielleichtsolltest du, was das Zurückhalten von Informationen angeht, besser ganz ruhigsein.«
»WelcheInformationen?«, entgegnet sie irritiert.
»Seilieber ein bisschen vorsichtiger. Mehr sage ich dazu nicht.«
»DeineGeheimnistuerei ist nicht eben hilfreich, Marino.«
»Fasthätte ich es vergessen. Hollywood interessiert sich für Bentons berufliche Meinungzu diesem Thema«, fügt Marino wiebeiläufig hinzu.
Wie immerist sein Versuch, seine Gefühle für Benton Wesley zu verbergen, nicht sehrerfolgreich.
»Ich kannihn natürlich bitten, sich den Fall anzusehen«, erwidert Scarpetta, »aber esist seine Entscheidung.«
»Die inHollywood möchten, dass er untersucht, ob der Anruf von diesem durchgeknalltenHog nur ein schlechter Scherz war. Ich habe ihnen schon erklärt, dass das ohneBandaufnahme schwierig ist, zumal wir uns nur auf mein Privatsteno auf einer Papiertütestützen können.«
Als Marinoaufsteht, wirkt er riesig, und Scarpetta fühlt sich in seiner Gegenwart nochkleiner als sonst. Er greift nach seinem nutzlosen Helm und setzt dieSonnenbrille auf. Während des gesamten Gesprächs hat er sie kein einziges Malangeblickt, und nun kann sie seine Augen gar nicht mehr sehen und ihren
Ausdruckdeuten.
»Ich werdemich darum kümmern. Sofort«, antwortet sie, während er zur Tür geht. »Wenn dumöchtest, können wir die Fakten später gemeinsam sichten.«
»Hm.«
»Warumkommst du nicht zu mir nach Hause?«
»Hm«,wiederholt er. »Wann?«
»Umsieben«, erwidert sie.
Übersetzung:Karin Dufner
© Verlag Hoffmann und Campe
Autoren-Porträt von Patricia Cornwell
"Werde Teil dessen, was Du erschaffst. Versuche nicht, eszu kontrollieren. Lass zu, dass die Dinge Dir etwas beibringen, anstatt sieimmer nur selbst zu lenken. Das ist meine Philosophie als Autorin. Ich habeschon vor langer Zeit festgestellt, dass man über sich selbst hinaus wächst,wenn man loslassen kann."
Patricia Cornwell wurde 1956 inMiami, Florida, als mittleres von drei Kindern geboren. Sie war gerade fünfJahre alt, als sich ihre Eltern trennten und sie mit ihrer Mutter und ihrenGeschwistern nach North Carolina zog. Auf dem College, wo sie bereits für dieSchülerzeitung schrieb, lernte sie ihren späteren Ehemann, Dr. Charles Cornwell, kennen. Nach ihrem Abschluss arbeitete Patricia Cornwell als Journalistin für die Tageszeitung CharlotteObserver. Parallel dazu begann sie, Kriminalgeschichten zu schreiben, undwar zudem als Computerspezialistin in der forensischen Medizin tätig. Ihreersten Romane, die während dieser Zeit entstanden, schickte sie erfolglos anzahlreiche Verlagshäuser. Der entscheidende Hinweis, der ihr später zumDurchbruch als Autorin verhalf, kam von Sara Ann Freed.Die Mitarbeiterin eines Verlages, an den Cornwell ihrManuskript geschickt hatte, riet ihr, die Pathologin Dr. Kay Scarpetta als zentrale Figur auszubauen und deren Arbeit inden Vordergrund zu stellen. Diesen Ratschlag befolgend, gelang es Cornwell 1990, ihren ersten Kriminalroman "Postmortem" zu veröffentlichen, für den sie im selben Jahrvöllig unerwartet gleich mit mehreren nationalen und internationalen Preisenausgezeichnet wurde. Seitdem gehört Patricia Cornwellzu den erfolgreichsten Autorinnen dieses Genres.
Neben ihrer Tätigkeit als Autorin setzt sich Cornwell auch für den schriftstellerischen Nachwuchs einund unterstützt besonders begabte Studenten mit einem Stipendium. 1999 war sieaußerdem Mitbegründerin des Virginia Institute of ForensicScience and Medicine, einer Einrichtung, in derPathologen und Wissenschaftler ausgebildet werden.
- Autor: Patricia Cornwell
- 2007, 412 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Dufner, Karin
- Übersetzer: Karin Dufner
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455400116
- ISBN-13: 9783455400113
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