Dem Himmel so fern
Roman
Eine Geschichte, die unter die Haut geht. Emilia und Jack sind ein Traumpaar. Emilia hat sich immer
für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Doch durch den Verlust ihrer Tochter Isabel verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie versinkt in...
für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Doch durch den Verlust ihrer Tochter Isabel verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie versinkt in...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dem Himmel so fern “
Eine Geschichte, die unter die Haut geht. Emilia und Jack sind ein Traumpaar. Emilia hat sich immer
für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Doch durch den Verlust ihrer Tochter Isabel verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie versinkt in Selbstmitleid. Sie erträgt auch keine Kinder mehr: Ihr oberschlauer fünfjähriger Stiefsohn raubt ihr den letzten Nerv. Als Emilia Vater und Sohn den Kampf ansagen will, macht der Junge ihr einen Strich durch die Rechnung... »So frech und mitfühlend zugleich ist selten ein Schicksal erzählt worden.« (Margaret Forster)
für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Doch durch den Verlust ihrer Tochter Isabel verliert sie den Boden unter den Füßen. Sie versinkt in Selbstmitleid. Sie erträgt auch keine Kinder mehr: Ihr oberschlauer fünfjähriger Stiefsohn raubt ihr den letzten Nerv. Als Emilia Vater und Sohn den Kampf ansagen will, macht der Junge ihr einen Strich durch die Rechnung... »So frech und mitfühlend zugleich ist selten ein Schicksal erzählt worden.« (Margaret Forster)
Klappentext zu „Dem Himmel so fern “
Sie sind ein Traumpaar: Emilia, die kluge Anwältin, Jack, der Teilhaber einer angesehenen Kanzlei. Doch der Verlust ihrer kleinen Tochter verändert Emilia. Plötzlich kann sie keine Kinder mehr ertragen. Schon gar nicht ihren altklugen fünfjährigen Stiefsohn William. Warum kapieren er und sein Vater nicht, dass Selbstmitleid ein Fulltimejob ist?Eine Geschichte, die unter die Haut geht: voller Leben und großer Gefühle.
Emilia hat sich immer für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Alles flog ihr zu: das Studium in Harvard, Jack, der ihretwegen sogar seine Familie verließ. Doch durch die Trauer um ihre Tochter Isabel verliert Emilia den Boden unter den Füßen. Sie verwandelt sich in einen selbstmitleidigen Trauerkloß und lässt sich von ihrem oberschlauen Stiefsohn den letzten Nerv rauben. Nicht nur, dass der Fünfjährige alle Fremdwörter richtig aussprechen kann, er will auch Isabels Wiege bei eBay verkaufen, da diese ja nutzlos sei. Emilia ist drauf und dran, Vater und Sohn den Kampf anzusagen. Und wieder ist es William, der ihr einen Strich durch die Rechnung macht ...
Sie sind ein Traumpaar: Emilia, die kluge Anwältin, Jack, der Teilhaber einer angesehenen Kanzlei. Doch der Verlust ihrer kleinen Tochter verändert Emilia. Plötzlich kann sie keine Kinder mehr ertragen. Schon gar nicht ihren altklugen fünfjährigen Stiefsohn William. Warum kapieren er und sein Vater nicht, dass Selbstmitleid ein Fulltimejob ist?
Eine Geschichte, die unter die Haut geht: voller Leben und großer Gefühle.
Emilia hat sich immer für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Alles flog ihr zu: das Studium in Harvard, Jack, der ihretwegen sogar seine Familie verließ. Doch durch die Trauer um ihre Tochter Isabel verliert Emilia den Boden unter den Füßen. Sie verwandelt sich in einen selbstmitleidigen Trauerkloß und lässt sich von ihrem oberschlauen Stiefsohn den letzten Nerv rauben. Nicht nur, dass der Fünfjährige alle Fremdwörter richtig aussprechen kann, er will auch Isabels Wiege bei eBay verkaufen, da diese ja nutzlos sei. Emilia ist drauf und dran, Vater und Sohn den Kampf anzusagen. Und wieder ist es William, der ihr einen Strich durch die Rechnung macht ...
"Man folgt Ayelet Waldmans Heldin bedingungslos, denn so frech und mitfühlend zugleich ist selten ein Schicksal erzählt worden.." - Margaret Forster
"Ein romantisches, schockierendes und manchmal schmerzliches Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will und welches das Undenkbare schafft: es erzählt tatsächlich etwas Neues und Interessantes über Frauen, Familien und die Liebe." - The New York Times Book Review
Eine Geschichte, die unter die Haut geht: voller Leben und großer Gefühle.
Emilia hat sich immer für eine zielstrebige, fröhliche Frau gehalten. Alles flog ihr zu: das Studium in Harvard, Jack, der ihretwegen sogar seine Familie verließ. Doch durch die Trauer um ihre Tochter Isabel verliert Emilia den Boden unter den Füßen. Sie verwandelt sich in einen selbstmitleidigen Trauerkloß und lässt sich von ihrem oberschlauen Stiefsohn den letzten Nerv rauben. Nicht nur, dass der Fünfjährige alle Fremdwörter richtig aussprechen kann, er will auch Isabels Wiege bei eBay verkaufen, da diese ja nutzlos sei. Emilia ist drauf und dran, Vater und Sohn den Kampf anzusagen. Und wieder ist es William, der ihr einen Strich durch die Rechnung macht ...
"Man folgt Ayelet Waldmans Heldin bedingungslos, denn so frech und mitfühlend zugleich ist selten ein Schicksal erzählt worden.." - Margaret Forster
"Ein romantisches, schockierendes und manchmal schmerzliches Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will und welches das Undenkbare schafft: es erzählt tatsächlich etwas Neues und Interessantes über Frauen, Familien und die Liebe." - The New York Times Book Review
Lese-Probe zu „Dem Himmel so fern “
Mit eingezogenem Kopf und zügigen Schritten schaffe ich es meistens, den Spielplatz an der Einundachtzigsten Straße zu passieren. Im Aufzug wappne ich mich bereits und behalte den großen Messingpfeil im Auge, wenn er vom siebten in den sechsten, fünften, vierten Stock hinunterwandert. Manchmal hält der Aufzug, und einer meiner Nachbarn steigt ein, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Panzer abzulegen, hinter dem ich mich verschanzt habe, und mich höflich zu geben. Wenn es sich um einen der Jüngeren handelt, wie den Gitarrenspieler mit dem roten Pferdeschwanz und dem pickeligen Gesicht oder den Filmproduzenten mit den zerknitterten Jeans und der speckigen Lederjacke, reicht ein kurzes Kopfnicken. Die Älteren verlangen schon etwas mehr Aufmerksamkeit. Bei den Damen mit den Betonfrisuren und den demonstrativ unkonventionellen Garderoben - violette Röcke, die unter schwarzen, wollenen Capes hervorlugen - ist Smalltalk angesagt, über das Wetter oder die durchgewetzte Stelle auf dem Orientteppich in der Eingangshalle oder über den Leitartikel im Kulturteil der Tageszeitung. Es ist fast nicht zu ertragen. Sehen sie denn nicht, dass ich beschäftigt bin? Kapieren sie nicht, dass zwanghaftes Selbstmitleid einen voll und ganz in Anspruch nimmt? Wissen sie nicht, dass der Eingang zum Park direkt neben dem Spielplatz auf der Einundachtzigsten Straße liegt und dass ich, wenn ich nicht hundertprozentig vorbereitet bin, wenn ich nicht völlig abschalte und alle Geräusche außer meinem eigenen Atem ausblende, dass ich dann garantiert vor dem Spielplatztor zusammenbreche, während die schrillen Kinderstimmen mir das Trommelfell zerreißen? Können diese reichen Bankierswitwen mit ihren Unterschriftenlisten und ihren voluminösen Tod's-Handtaschen nicht begreifen, dass ich es nicht am Spielplatz vorbei und in den Park schaffe, wenn ich mich von ihnen und ihrem Geschwätz ablenken lasse, über den Wahlbetrug der Republikaner oder über Mrs. Katz von Nummer 2B, die letzten Dienstagabend
... mehr
Anthony, den neuen Portier, schlafend hinter seinem Tresen erwischt hat? Ahnen sie nicht, dass sie mich mit ihren penetranten Stimmen und ihren ungeduldig klopfenden Lucite-Spazierstöcken, während sie auf meine Antwort warten, daran hindern, an den einzigen Ort in der Stadt zu gelangen, an dem ich mich halbwegs entspannen kann? Dass sie mich dazu nötigen, stattdessen die Durchgangsstraße an der Neunundsiebzigsten zu nehmen, mich bis zur East Side an der verrußten Mauer entlangzudrücken und die Auspuffgase der Linienbusse einzuatmen? Oder schlimmer noch, dass sie mich zwingen, mit dem Taxi zu fahren?
Diesmal bleibt der Aufzug Gott sei Dank bis ins Erdgeschoss leer.
"Einen angenehmen Spaziergang, Mrs. Woolf", sagt Ivan, während er mir die Tür aufhält.
Das macht er seit dem Tag unserer Hochzeit. Anfangs habe ich versucht, ihm zu erklären, dass ich immer noch Ms. Greenleaf bin. Ich weiß genau, dass Ivan mich verstanden hat. Er ist schließlich kein Idiot. Er lächelte, nickte und sagte: "Selbstverständlich, Ms. Greenleaf", nur um mich am nächsten Tag wieder mit "Guten Morgen, Mrs. Woolf" zu grüßen. Aber das war noch vergleichsweise harmlos. Damals, als ich gerade bei Jack eingezogen war, hatte ich irgendwas gemurmelt wie: "Nein, nein, nennen Sie mich doch Emilia." Ivan hatte es nicht einmal über sich gebracht, zu lächeln oder zu nicken. Er starrte mich nur durch seine dicken Brillengläser an und schüttelte den Kopf, wie ein Lehrer, der enttäuscht darüber war, dass ich meine Hausaufgaben vergessen oder, schlimmer noch, mich ihm gegenüber unflätig ausgedrückt hatte. "Nein, Ms. Greenleaf", war das Einzige, was er sagte. Nicht etwa: "Das kann ich nicht" oder "Das wäre mir unangenehm". Nur einfach: "Nein, Ms. Greenleaf." Denn natürlich würde er niemals jemanden aus dem Haus mit Vornamen anreden, so etwas war einfach undenkbar, und es ihm anzubieten, zeugte von Instinktlosigkeit.
Heute lächle ich, nicke zum Gruß und marschiere zur Tür hinaus - über die Straße und in den Park.
Der Februar ist der längste Monat des Jahres.
Der Winter dauert nun schon so lange, und es scheint, als würde der Frühling nie kommen. Der Himmel ist grau und mit dicken Wolken verhangen, die Sorte Wolken, die die Stadt zu bedrohen scheinen, die keinen Weihnachtspostkartenschnee bringen und auch keinen reinigenden Schauer kalten, sauberen Regens, sondern peitschende Tropfen, scharf wie Nadeln, die den Schnee sofort schmelzen lassen, sodass das, was vom Himmel herunterkommt, sich anfühlt wie gelbgrauer Matsch. Die Gehwege sind gesäumt von schwarz geränderten Schneehaufen, und bei jedem Schritt vom Bordstein läuft man Gefahr, bis zu den Knöcheln in eiskaltem Wasser zu versinken. Normalerweise verkrieche ich mich in dieser Zeit zu Hause; ich zünde ein Feuer im Kamin an, schlüpfe in wollene Socken, wickle mich in Chenilledecken, lese zum x-ten Mal Jane Austen und hoffe inständig, dass die dunklen Tage schneller vergehen. Aber dieses Jahr kann ich es gar nicht erwarten, dass der Februar endlich anfängt. Ich sehne mich nach der düsteren Trostlosigkeit New Yorks im Februar. Dieses Jahr brauche ich den Februar. Schon jetzt, Ende Januar, ist es, als spürte die Stadt meine Schwermut und bemühte sich, mir ihr Mitgefühl zu bezeugen. Die Bäume im Park wirken mehr als kahl; sie recken ihre leblosen Äste in den trüben Himmel, als hätten sie nicht nur ihr Laub, sondern auch alle Hoffnung auf neues Grün verloren. Das Gras ist so verfault und niedergetreten, dass nur noch ein dünner, eisiger, von Hundekot durchsetzter Sumpf übrig geblieben ist. Der Reitweg und der Fußgängerweg am Reservoir entlang sind matschig und voller tiefer Löcher, überall ragen knorrige Wurzeln aus dem Boden, Stolpersteine für die in Fleece-Jacken gehüllten Jogger.
Aber auf dem Diana-Ross-Spielplatz wimmelt es von Kindern. New Yorker Kinder spielen bei jedem Wetter draußen, weil ihre Mütter und Kindermädchen die vier Wände noch der geräumigsten Wohnungen nicht lange ertragen. Selbst wenn die Schaukeln so nass sind, dass keine wasserdichte Schneehose Schutz bietet, wenn der teure Mulchbelag steinhart gefroren ist, wenn das letzte Stück Metall der garantiert verletzungsgefahrlosen Spielgeräte so kalt ist, dass jede rosafarbene Kinderzunge daran kleben bleibt, bis ein unerschütterliches dominikanisches Kindermädchen den Rest seines heißen Starbucks-Kaffees opfert, um den Unglücksraben aus seiner misslichen Lage zu befreien - selbst dann sind die Kleinen draußen und erfüllen den Park mit Kreischen und Lachen. Ich beschleunige meine Schritte, falle in einen schwerfälligen Trott, spüre die überflüssigen Pfunde auf meinen Hüften, spüre meine Knochen, die bei jedem Schritt schmerzen.
Erst wenn die Kinderstimmen leiser werden und sich mit den anderen Hintergrundgeräuschen im Park vermischen, halte ich keuchend inne und gehe dann langsamer weiter. Im Sommer klingt es im Central Park, als sei man auf dem Land - wenn man hinnimmt, dass sich in das Vogelgezwitscher das Surren von Skateboardrädern und die Musik peruanischer Flötenspieler mischt, die Andenmelodien à la Simon & Garfunkel darbieten. Im Frühling, wenn die Kirschbäume in voller Blüte stehen und die Hügel um Sheep Meadow herum mit gelben Narzissen bedeckt sind, ist es keine Kunst, den Central Park zu lieben. Auch nicht im Sommer, wenn es im Shakespeare Garden von Blüten und Hochzeitsgesellschaften nur so wimmelt und man keine zwei Schritte gehen kann, ohne über ein Asternbeet oder einen Frisbee spielenden Hund zu stolpern. Aber im Winter, da flattern die Tauben um kahle Ulmen und scharen sich um einsame alte Damen, die mit ihren Papiertüten mit Brotresten auf den Bänken der Promenade sitzen; im Winter gehört der Park denjenigen, die ihn wirklich lieben, denjenigen, die keine Glyciniengirlanden brauchen, denen die schneeschweren Robinien, die schlammbedeckten Hügel und das Rauschen des Windes in den kahlen Ästen genügen. Was die dreihundertvierzig Hektar des Central Park vor allem auszeichnet, ist, dass sie einem jederzeit Zuflucht gewähren. Frühling und Sommer mit ihren karnevalesken Pastellfarben und der Herbst mit seinen leuchtenden Rot- und Orangetönen sind nur glitzerndes Blendwerk.
Ich biege nach Norden ab, auf den Weg, der um den See herumführt. An einem Spielplatz muss ich noch vorbei, aber der liegt weit genug von meiner Strecke entfernt, sodass ich den Blick von dem riesigen hölzernen Klettergerüst und der rot-gelben Rutsche abwenden kann. Die Mütter mit ihren Babyjoggern sind in der Regel früher unterwegs, und wenn ich Glück habe, werde ich heute verschont. Vergangenen Mittwoch bin ich ein paar Stunden früher losgegangen, um mich mit einer Freundin zu treffen, die meinte, ein morgendlicher Bummel durch ein paar Schuhläden würde mich aus meiner Lethargie reißen und in eine Frau zurückverwandeln, mit der sie was anfangen könne. So hat Mindy sich natürlich nicht ausgedrückt. Mindy sagte, ihr Mann hätte ihr Manolo-Blahnik-Schuhe zum Geburtstag geschenkt, und zwar in der Größe, die zu haben sie ihm vorgeflunkert hatte, und nun wolle sie sich in dem Laden erkundigen, ob sie die Schuhe auch in Größe zweiundvierzig hätten.
An dem Tag bin ich ganzen Scharen von frischgebackenen Müttern begegnet, die vor ihren dreirädrigen Kinderwagen hockten, den von der Schwangerschaft noch gut gepolsterten Hintern rausgestreckt, die Hände um die Lenkstange gekrallt, und sich dann streckten und dehnten, den Blick verzückt auf ihre warm eingepackten, quiekenden und lachenden oder schlafenden Sprösslinge gerichtet, die in den Siebenhundertfünfzig-Dollar-Joggern lagen, "Bugaboo Frogs", wie der, der bei uns im Hausflur neben dem kleinen Tisch mit den künstlichen Orchideen steht, der Bugaboo aus dunkelblauem Denim, dessen Anblick mir jedes Mal den Magen umdreht, wenn ich auf den Aufzug warte. Wie abgesprochen machten diese jungen Mütter ihre Übungen neben den Kinderwagen, und keine einzige sagte ein Wort, als ich vor ihnen stehen blieb und stöhnte, als hätte mir jemand eine Faust in die Magengrube gerammt. Sie schauten erst einander, dann wieder mich an, doch keine sagte etwas, weder als ich anfing zu weinen, noch als ich mich umdrehte und davonlief, den Weg zurückrannte, am ersten Spielplatz vorbei und dann am zweiten und weiter in den Central Park West.
Heute habe ich Glück. Die Mütter sind zu Hause geblieben, oder sie sitzen nach ihrer Morgengymnastik irgendwo bei einem Caffè latte zusammen. Erst auf dem Reitweg auf der East Side entdecke ich eine. Sie läuft so schnell an mir vorbei, dass ich kaum Zeit habe, ihre festen Wadenmuskeln in den glänzenden, pinkfarbenen, farblich zu ihren Ohrenschützern passenden Leggings wahrzunehmen. Die Babys in ihrem Zwillingswagen huschen als winzige, lilafarbene Bündel und rosige Nasen an mir vorbei. Zu schnell, um mir mehr als einen klitzekleinen Stich zu versetzen.
Als ich den Park durchquert habe und sicher an der Neunzigsten Straße ankomme, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Mist. Ich bin mal wieder viel zu spät dran, mir bleiben nur noch fünf Minuten, um bis zur Neunundzwanzigsten und dann rüber zur Lexington Avenue zu laufen. Ich gehe so schnell ich kann, halte mir den Leib, weil ich Seitenstechen habe. Mit der anderen Hand versuche ich, meinen langen Mantel zuzuhalten, der mir um die Beine flattert. Ich kann ihn inzwischen wieder zuknöpfen, aber es sieht schauderhaft aus, denn so dick, wie ich geworden bin, spannt der Stoff über meinem Bauch, und es sieht aus, als würden die Knöpfe jeden Moment abspringen. Zwar bin ich nicht eitel genug, um mir einen neuen Wintermantel zu kaufen - ich denke nicht daran, mehrere hundert Dollar für ein Kleidungsstück auszugeben, das ich garantiert in einem Monat nicht mehr brauchen werde -, aber so stilbewusst bin ich dann doch, dass ich den Mantel lieber offen lasse und mir einen langen, dicken Schal umbinde, um mich gegen die Kälte zu schützen.
Erst als ich die weißen Absperrzäune und die Blumenkübel umkurvt, dem Wachmann meinen Ausweis gezeigt und den Metalldetektor passiert habe, fällt mir - vor den Aufzügen von einem Fuß auf den anderen tretend - wieder ein, dass ich für genau diesen Fall meine Uhr um eine Viertelstunde vorgestellt habe, damit ich nicht schon wieder zu spät komme und Carolyn nicht schon wieder einen Grund hat, Jack anzurufen und sich bei ihm über meine Nachlässigkeit gegenüber allem, was ihr heilig ist, zu beschweren. Ich spüre, wie ich zusammensacke, so als wären meine Aufregung und mein schlechtes Gewissen das Einzige gewesen, was mich aufrecht gehalten hat. Als der Aufzug kommt, bin ich auf Mausgröße geschrumpft - ein Däumling im "Y"-Haus der Zweiundneunzigsten Straße.
Ein paar Frauen folgen mir in den Aufzug. Zwei sind schwanger, eine trägt ihr Baby in einem schwarzen, ledernen "Baby Björn"-Tragesitz vor dem Bauch. Die Letzte schiebt einen Bugaboo-Kinderwagen, exakt das Modell, das in meinem Flur steht. Und das Verrückteste an der Sache ist, dass ich, die Expertin im Kartographieren eines kinderlosen Central Park, auf dem Weg in die Höhle des Löwen bin. Mein Fußmarsch endet im Kindergarten des jüdischen Kulturzentrums, dem sogenannten "Y".
Im Central Park hätte mich die Konfrontation mit dieser geballten Demonstration von Fruchtbarkeit völlig aus dem Gleis geworfen. Der Central Park ist mein Refugium, und die Invasion der Babybrigade treibt mich zur Weißglut und zur Verzweiflung. Im Kindergarten dagegen bin ich ein gewisses Maß an Kummer gewohnt. Dort habe ich mich noch nie besonders wohl gefühlt. Und dass ich im Aufzug beim Anblick eines rosigen, milchtrunkenen Säuglings einen Heulkrampf kriege, gehört praktisch zum Programm.
Die Frauen im Aufzug nehmen meine Anwesenheit mit der Andeutung eines Nickens zur Kenntnis, demselben Nicken, das ich den jüngeren meiner Nachbarn zuteil werden lasse. Ich erwidere ihr Desinteresse und hefte meinen Blick auf die erleuchteten Ziffern über der Tür, die unseren Aufstieg in den fünften Stock des Gebäudes anzeigen.
Der Korridor des Kindergartens ist wie immer mit bunten Kinderbildern dekoriert, die sich mit jedem jüdischen Feiertag ändern. Zurzeit feiern wir Tu bi Schewat, und die Kinder haben alle mögliche Arten von Bäumen gezeichnet. Alles an diesem Korridor kündet von der vorbildlichen pädagogischen Betreuung, deren der Kindergarten sich rühmt. Man sieht, dass die Kinder hier mit Geduld und Hingabe unterrichtet werden, dass ihre Kreativität unterstützt und gefördert wird und dass der Kindergarten im Bereich bildnerisches Gestalten über ein Budget zu verfügen scheint, das jenes der School of Visual Arts in den Schatten stellt. Ich überfliege die Bilder, um zu sehen, ob William auch eins gemalt hat. Er ist ein begabter Zeichner für sein Alter, der kleine William. Er hat die zarten, geschickten Finger seiner Mutter geerbt. Meistens malt er Bilder vom Meer: Fische und Kraken, Haie mit vielen Zähnen und Muränen. Sein neuestes Werk hängt neben der Tür zu seinem Gruppenraum. Offenbar ist William der Einzige, der kein Bild vom Neujahr der Bäume gemalt hat. Zuerst denke ich, er hat bloß das ganze Blatt mit roter Malkreide voll gekritzelt, aber als ich näher herangehe, entdecke ich am unteren Rand einen regenbogenfarbenen Papageienfisch. Der Papageienfisch liegt auf der Seite, weil ein Schwertfisch ihm ein Loch in den Bauch gebohrt hat. Das rote Gekritzel ist Blut, das aus den Wunden des Fisches spritzt. Vielleicht ist das Bild als Allegorie gedacht, und der Papageienfisch soll symbolisieren, wie es den Juden erginge, wenn sie ihre Beziehung zum Land verlören. Aber vermutlich wohl eher nicht.
Ich nehme Williams Anorak und Mütze vom Haken und warte darauf, dass die Tür zum roten Raum sich öffnet. In diesem Jahr gehört William zur roten Gruppe. Letztes Jahr war er noch in der blauen, und davor in der orangenen. Orange hat ihm am besten gefallen, wie er uns immer wieder erklärt. Offenbar ist Orange eine besonders interessante Farbe. Viele von Williams Lieblingsdingen sind orange. Apfelsinen gehören nicht dazu. Viel zu banal. Nicht dass William etwas gegen Obst hätte. Zum Beispiel isst er gern Kumquats, vor allem eingelegte. Aber zu den orangenen Dingen, die er liebt, gehören Paella mit Safran, Monarchfalter, die Oranier in Nordirland und die Oranier der Syracuse University, und vor allem die leuchtend orangefarbenen Leitkegel. Außerdem diskutiert er gern über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Dromaeosauriden, vor allem beim Dromaeosaurus und Velociraptor, ferner darüber, wie sein persönlicher Dämon aussehen würde (wie die Katze von Will Parry, natürlich), und ob Pluto zum Kuiper-Gürtel gezählt werden sollte oder nicht. (William ist dagegen. Er meint, es wäre Diebstahl. William findet, da Pluto seit seiner Entdeckung durch Clyde Tombaugh am 18.Februar 1930 als Planet gilt, soll er es auch bleiben.) William ist fünf Jahre alt, aber manchmal redet er wie ein zwergwüchsiger Zweiundsechzigjähriger. Mit seinen Bemerkungen erntet er überall Bewunderung, alle sind von seiner Frühreife entzückt.
Alle außer mir. Ich finde William unerträglich.
Was muss man für ein Mensch sein, um einem unschuldigen Kind gegenüber so zu empfinden? Einem Kind, das einen korrigiert, wenn man das Wort "chamois" falsch ausspricht, das einem den Body-Mass-Index ausrechnet, während man gerade ein Stück Schokoladentorte verschlingt, das jeden Versuch, ihm eine Freude zu bereiten, mit einem spöttischen Grinsen abschmettert, das eher einem pickelgesichtigen Halbstarken anstehen würde als einem pausbäckigen Vorschulkind? Ich bin die Erwachsene und sollte wohl in der Lage sein, dieses Kind zu lieben - trotz seiner Eigenarten und trotz der Schuldgefühle, die mich plagen, weil ich seine Familie zerstört habe.
Ich öffne Williams Butterbrotdose und kippe die Essensreste in den Mülleimer, mit angehaltenem Atem - es riecht nach saurer Milch und Plastik. Einen Augenblick zu spät bemerke ich, dass die Mütter mich beobachten. Irgendeine von ihnen wird Carolyn garantiert brühwarm berichten, dass ich die Reste weggeworfen habe, ohne vorher genau zu überprüfen, was William übrig gelassen hat. Ein weiterer Beweis für meine Unzuverlässigkeit. Zufällig begegne ich dem Blick der Mutter mit dem Tragesitz. Ich erröte, sie dagegen nicht. Sie wendet sich ab und schmiegt ihre Wange gegen den Kopf des Babys. Ich spüre die weiche Haut des Babys an meiner Wange, das flaumige Haar an meinen Lippen, den zarten Puls unter der Fontanelle. Ich blinzle eine Träne fort und tue so, als würde ich Williams blutrünstige Zeichnung eingehend betrachten.Inzwischen ist der Korridor überfüllt mit Müttern und Kindermädchen. Die Türen der Gruppenräume öffnen sich, und eine Erzieherin streckt den Kopf heraus. "Ist Noras Kindermädchen hier?" Dann schickt sie ein dickes, rotgesichtiges Mädchen hinaus.
Diesmal bleibt der Aufzug Gott sei Dank bis ins Erdgeschoss leer.
"Einen angenehmen Spaziergang, Mrs. Woolf", sagt Ivan, während er mir die Tür aufhält.
Das macht er seit dem Tag unserer Hochzeit. Anfangs habe ich versucht, ihm zu erklären, dass ich immer noch Ms. Greenleaf bin. Ich weiß genau, dass Ivan mich verstanden hat. Er ist schließlich kein Idiot. Er lächelte, nickte und sagte: "Selbstverständlich, Ms. Greenleaf", nur um mich am nächsten Tag wieder mit "Guten Morgen, Mrs. Woolf" zu grüßen. Aber das war noch vergleichsweise harmlos. Damals, als ich gerade bei Jack eingezogen war, hatte ich irgendwas gemurmelt wie: "Nein, nein, nennen Sie mich doch Emilia." Ivan hatte es nicht einmal über sich gebracht, zu lächeln oder zu nicken. Er starrte mich nur durch seine dicken Brillengläser an und schüttelte den Kopf, wie ein Lehrer, der enttäuscht darüber war, dass ich meine Hausaufgaben vergessen oder, schlimmer noch, mich ihm gegenüber unflätig ausgedrückt hatte. "Nein, Ms. Greenleaf", war das Einzige, was er sagte. Nicht etwa: "Das kann ich nicht" oder "Das wäre mir unangenehm". Nur einfach: "Nein, Ms. Greenleaf." Denn natürlich würde er niemals jemanden aus dem Haus mit Vornamen anreden, so etwas war einfach undenkbar, und es ihm anzubieten, zeugte von Instinktlosigkeit.
Heute lächle ich, nicke zum Gruß und marschiere zur Tür hinaus - über die Straße und in den Park.
Der Februar ist der längste Monat des Jahres.
Der Winter dauert nun schon so lange, und es scheint, als würde der Frühling nie kommen. Der Himmel ist grau und mit dicken Wolken verhangen, die Sorte Wolken, die die Stadt zu bedrohen scheinen, die keinen Weihnachtspostkartenschnee bringen und auch keinen reinigenden Schauer kalten, sauberen Regens, sondern peitschende Tropfen, scharf wie Nadeln, die den Schnee sofort schmelzen lassen, sodass das, was vom Himmel herunterkommt, sich anfühlt wie gelbgrauer Matsch. Die Gehwege sind gesäumt von schwarz geränderten Schneehaufen, und bei jedem Schritt vom Bordstein läuft man Gefahr, bis zu den Knöcheln in eiskaltem Wasser zu versinken. Normalerweise verkrieche ich mich in dieser Zeit zu Hause; ich zünde ein Feuer im Kamin an, schlüpfe in wollene Socken, wickle mich in Chenilledecken, lese zum x-ten Mal Jane Austen und hoffe inständig, dass die dunklen Tage schneller vergehen. Aber dieses Jahr kann ich es gar nicht erwarten, dass der Februar endlich anfängt. Ich sehne mich nach der düsteren Trostlosigkeit New Yorks im Februar. Dieses Jahr brauche ich den Februar. Schon jetzt, Ende Januar, ist es, als spürte die Stadt meine Schwermut und bemühte sich, mir ihr Mitgefühl zu bezeugen. Die Bäume im Park wirken mehr als kahl; sie recken ihre leblosen Äste in den trüben Himmel, als hätten sie nicht nur ihr Laub, sondern auch alle Hoffnung auf neues Grün verloren. Das Gras ist so verfault und niedergetreten, dass nur noch ein dünner, eisiger, von Hundekot durchsetzter Sumpf übrig geblieben ist. Der Reitweg und der Fußgängerweg am Reservoir entlang sind matschig und voller tiefer Löcher, überall ragen knorrige Wurzeln aus dem Boden, Stolpersteine für die in Fleece-Jacken gehüllten Jogger.
Aber auf dem Diana-Ross-Spielplatz wimmelt es von Kindern. New Yorker Kinder spielen bei jedem Wetter draußen, weil ihre Mütter und Kindermädchen die vier Wände noch der geräumigsten Wohnungen nicht lange ertragen. Selbst wenn die Schaukeln so nass sind, dass keine wasserdichte Schneehose Schutz bietet, wenn der teure Mulchbelag steinhart gefroren ist, wenn das letzte Stück Metall der garantiert verletzungsgefahrlosen Spielgeräte so kalt ist, dass jede rosafarbene Kinderzunge daran kleben bleibt, bis ein unerschütterliches dominikanisches Kindermädchen den Rest seines heißen Starbucks-Kaffees opfert, um den Unglücksraben aus seiner misslichen Lage zu befreien - selbst dann sind die Kleinen draußen und erfüllen den Park mit Kreischen und Lachen. Ich beschleunige meine Schritte, falle in einen schwerfälligen Trott, spüre die überflüssigen Pfunde auf meinen Hüften, spüre meine Knochen, die bei jedem Schritt schmerzen.
Erst wenn die Kinderstimmen leiser werden und sich mit den anderen Hintergrundgeräuschen im Park vermischen, halte ich keuchend inne und gehe dann langsamer weiter. Im Sommer klingt es im Central Park, als sei man auf dem Land - wenn man hinnimmt, dass sich in das Vogelgezwitscher das Surren von Skateboardrädern und die Musik peruanischer Flötenspieler mischt, die Andenmelodien à la Simon & Garfunkel darbieten. Im Frühling, wenn die Kirschbäume in voller Blüte stehen und die Hügel um Sheep Meadow herum mit gelben Narzissen bedeckt sind, ist es keine Kunst, den Central Park zu lieben. Auch nicht im Sommer, wenn es im Shakespeare Garden von Blüten und Hochzeitsgesellschaften nur so wimmelt und man keine zwei Schritte gehen kann, ohne über ein Asternbeet oder einen Frisbee spielenden Hund zu stolpern. Aber im Winter, da flattern die Tauben um kahle Ulmen und scharen sich um einsame alte Damen, die mit ihren Papiertüten mit Brotresten auf den Bänken der Promenade sitzen; im Winter gehört der Park denjenigen, die ihn wirklich lieben, denjenigen, die keine Glyciniengirlanden brauchen, denen die schneeschweren Robinien, die schlammbedeckten Hügel und das Rauschen des Windes in den kahlen Ästen genügen. Was die dreihundertvierzig Hektar des Central Park vor allem auszeichnet, ist, dass sie einem jederzeit Zuflucht gewähren. Frühling und Sommer mit ihren karnevalesken Pastellfarben und der Herbst mit seinen leuchtenden Rot- und Orangetönen sind nur glitzerndes Blendwerk.
Ich biege nach Norden ab, auf den Weg, der um den See herumführt. An einem Spielplatz muss ich noch vorbei, aber der liegt weit genug von meiner Strecke entfernt, sodass ich den Blick von dem riesigen hölzernen Klettergerüst und der rot-gelben Rutsche abwenden kann. Die Mütter mit ihren Babyjoggern sind in der Regel früher unterwegs, und wenn ich Glück habe, werde ich heute verschont. Vergangenen Mittwoch bin ich ein paar Stunden früher losgegangen, um mich mit einer Freundin zu treffen, die meinte, ein morgendlicher Bummel durch ein paar Schuhläden würde mich aus meiner Lethargie reißen und in eine Frau zurückverwandeln, mit der sie was anfangen könne. So hat Mindy sich natürlich nicht ausgedrückt. Mindy sagte, ihr Mann hätte ihr Manolo-Blahnik-Schuhe zum Geburtstag geschenkt, und zwar in der Größe, die zu haben sie ihm vorgeflunkert hatte, und nun wolle sie sich in dem Laden erkundigen, ob sie die Schuhe auch in Größe zweiundvierzig hätten.
An dem Tag bin ich ganzen Scharen von frischgebackenen Müttern begegnet, die vor ihren dreirädrigen Kinderwagen hockten, den von der Schwangerschaft noch gut gepolsterten Hintern rausgestreckt, die Hände um die Lenkstange gekrallt, und sich dann streckten und dehnten, den Blick verzückt auf ihre warm eingepackten, quiekenden und lachenden oder schlafenden Sprösslinge gerichtet, die in den Siebenhundertfünfzig-Dollar-Joggern lagen, "Bugaboo Frogs", wie der, der bei uns im Hausflur neben dem kleinen Tisch mit den künstlichen Orchideen steht, der Bugaboo aus dunkelblauem Denim, dessen Anblick mir jedes Mal den Magen umdreht, wenn ich auf den Aufzug warte. Wie abgesprochen machten diese jungen Mütter ihre Übungen neben den Kinderwagen, und keine einzige sagte ein Wort, als ich vor ihnen stehen blieb und stöhnte, als hätte mir jemand eine Faust in die Magengrube gerammt. Sie schauten erst einander, dann wieder mich an, doch keine sagte etwas, weder als ich anfing zu weinen, noch als ich mich umdrehte und davonlief, den Weg zurückrannte, am ersten Spielplatz vorbei und dann am zweiten und weiter in den Central Park West.
Heute habe ich Glück. Die Mütter sind zu Hause geblieben, oder sie sitzen nach ihrer Morgengymnastik irgendwo bei einem Caffè latte zusammen. Erst auf dem Reitweg auf der East Side entdecke ich eine. Sie läuft so schnell an mir vorbei, dass ich kaum Zeit habe, ihre festen Wadenmuskeln in den glänzenden, pinkfarbenen, farblich zu ihren Ohrenschützern passenden Leggings wahrzunehmen. Die Babys in ihrem Zwillingswagen huschen als winzige, lilafarbene Bündel und rosige Nasen an mir vorbei. Zu schnell, um mir mehr als einen klitzekleinen Stich zu versetzen.
Als ich den Park durchquert habe und sicher an der Neunzigsten Straße ankomme, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Mist. Ich bin mal wieder viel zu spät dran, mir bleiben nur noch fünf Minuten, um bis zur Neunundzwanzigsten und dann rüber zur Lexington Avenue zu laufen. Ich gehe so schnell ich kann, halte mir den Leib, weil ich Seitenstechen habe. Mit der anderen Hand versuche ich, meinen langen Mantel zuzuhalten, der mir um die Beine flattert. Ich kann ihn inzwischen wieder zuknöpfen, aber es sieht schauderhaft aus, denn so dick, wie ich geworden bin, spannt der Stoff über meinem Bauch, und es sieht aus, als würden die Knöpfe jeden Moment abspringen. Zwar bin ich nicht eitel genug, um mir einen neuen Wintermantel zu kaufen - ich denke nicht daran, mehrere hundert Dollar für ein Kleidungsstück auszugeben, das ich garantiert in einem Monat nicht mehr brauchen werde -, aber so stilbewusst bin ich dann doch, dass ich den Mantel lieber offen lasse und mir einen langen, dicken Schal umbinde, um mich gegen die Kälte zu schützen.
Erst als ich die weißen Absperrzäune und die Blumenkübel umkurvt, dem Wachmann meinen Ausweis gezeigt und den Metalldetektor passiert habe, fällt mir - vor den Aufzügen von einem Fuß auf den anderen tretend - wieder ein, dass ich für genau diesen Fall meine Uhr um eine Viertelstunde vorgestellt habe, damit ich nicht schon wieder zu spät komme und Carolyn nicht schon wieder einen Grund hat, Jack anzurufen und sich bei ihm über meine Nachlässigkeit gegenüber allem, was ihr heilig ist, zu beschweren. Ich spüre, wie ich zusammensacke, so als wären meine Aufregung und mein schlechtes Gewissen das Einzige gewesen, was mich aufrecht gehalten hat. Als der Aufzug kommt, bin ich auf Mausgröße geschrumpft - ein Däumling im "Y"-Haus der Zweiundneunzigsten Straße.
Ein paar Frauen folgen mir in den Aufzug. Zwei sind schwanger, eine trägt ihr Baby in einem schwarzen, ledernen "Baby Björn"-Tragesitz vor dem Bauch. Die Letzte schiebt einen Bugaboo-Kinderwagen, exakt das Modell, das in meinem Flur steht. Und das Verrückteste an der Sache ist, dass ich, die Expertin im Kartographieren eines kinderlosen Central Park, auf dem Weg in die Höhle des Löwen bin. Mein Fußmarsch endet im Kindergarten des jüdischen Kulturzentrums, dem sogenannten "Y".
Im Central Park hätte mich die Konfrontation mit dieser geballten Demonstration von Fruchtbarkeit völlig aus dem Gleis geworfen. Der Central Park ist mein Refugium, und die Invasion der Babybrigade treibt mich zur Weißglut und zur Verzweiflung. Im Kindergarten dagegen bin ich ein gewisses Maß an Kummer gewohnt. Dort habe ich mich noch nie besonders wohl gefühlt. Und dass ich im Aufzug beim Anblick eines rosigen, milchtrunkenen Säuglings einen Heulkrampf kriege, gehört praktisch zum Programm.
Die Frauen im Aufzug nehmen meine Anwesenheit mit der Andeutung eines Nickens zur Kenntnis, demselben Nicken, das ich den jüngeren meiner Nachbarn zuteil werden lasse. Ich erwidere ihr Desinteresse und hefte meinen Blick auf die erleuchteten Ziffern über der Tür, die unseren Aufstieg in den fünften Stock des Gebäudes anzeigen.
Der Korridor des Kindergartens ist wie immer mit bunten Kinderbildern dekoriert, die sich mit jedem jüdischen Feiertag ändern. Zurzeit feiern wir Tu bi Schewat, und die Kinder haben alle mögliche Arten von Bäumen gezeichnet. Alles an diesem Korridor kündet von der vorbildlichen pädagogischen Betreuung, deren der Kindergarten sich rühmt. Man sieht, dass die Kinder hier mit Geduld und Hingabe unterrichtet werden, dass ihre Kreativität unterstützt und gefördert wird und dass der Kindergarten im Bereich bildnerisches Gestalten über ein Budget zu verfügen scheint, das jenes der School of Visual Arts in den Schatten stellt. Ich überfliege die Bilder, um zu sehen, ob William auch eins gemalt hat. Er ist ein begabter Zeichner für sein Alter, der kleine William. Er hat die zarten, geschickten Finger seiner Mutter geerbt. Meistens malt er Bilder vom Meer: Fische und Kraken, Haie mit vielen Zähnen und Muränen. Sein neuestes Werk hängt neben der Tür zu seinem Gruppenraum. Offenbar ist William der Einzige, der kein Bild vom Neujahr der Bäume gemalt hat. Zuerst denke ich, er hat bloß das ganze Blatt mit roter Malkreide voll gekritzelt, aber als ich näher herangehe, entdecke ich am unteren Rand einen regenbogenfarbenen Papageienfisch. Der Papageienfisch liegt auf der Seite, weil ein Schwertfisch ihm ein Loch in den Bauch gebohrt hat. Das rote Gekritzel ist Blut, das aus den Wunden des Fisches spritzt. Vielleicht ist das Bild als Allegorie gedacht, und der Papageienfisch soll symbolisieren, wie es den Juden erginge, wenn sie ihre Beziehung zum Land verlören. Aber vermutlich wohl eher nicht.
Ich nehme Williams Anorak und Mütze vom Haken und warte darauf, dass die Tür zum roten Raum sich öffnet. In diesem Jahr gehört William zur roten Gruppe. Letztes Jahr war er noch in der blauen, und davor in der orangenen. Orange hat ihm am besten gefallen, wie er uns immer wieder erklärt. Offenbar ist Orange eine besonders interessante Farbe. Viele von Williams Lieblingsdingen sind orange. Apfelsinen gehören nicht dazu. Viel zu banal. Nicht dass William etwas gegen Obst hätte. Zum Beispiel isst er gern Kumquats, vor allem eingelegte. Aber zu den orangenen Dingen, die er liebt, gehören Paella mit Safran, Monarchfalter, die Oranier in Nordirland und die Oranier der Syracuse University, und vor allem die leuchtend orangefarbenen Leitkegel. Außerdem diskutiert er gern über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Dromaeosauriden, vor allem beim Dromaeosaurus und Velociraptor, ferner darüber, wie sein persönlicher Dämon aussehen würde (wie die Katze von Will Parry, natürlich), und ob Pluto zum Kuiper-Gürtel gezählt werden sollte oder nicht. (William ist dagegen. Er meint, es wäre Diebstahl. William findet, da Pluto seit seiner Entdeckung durch Clyde Tombaugh am 18.Februar 1930 als Planet gilt, soll er es auch bleiben.) William ist fünf Jahre alt, aber manchmal redet er wie ein zwergwüchsiger Zweiundsechzigjähriger. Mit seinen Bemerkungen erntet er überall Bewunderung, alle sind von seiner Frühreife entzückt.
Alle außer mir. Ich finde William unerträglich.
Was muss man für ein Mensch sein, um einem unschuldigen Kind gegenüber so zu empfinden? Einem Kind, das einen korrigiert, wenn man das Wort "chamois" falsch ausspricht, das einem den Body-Mass-Index ausrechnet, während man gerade ein Stück Schokoladentorte verschlingt, das jeden Versuch, ihm eine Freude zu bereiten, mit einem spöttischen Grinsen abschmettert, das eher einem pickelgesichtigen Halbstarken anstehen würde als einem pausbäckigen Vorschulkind? Ich bin die Erwachsene und sollte wohl in der Lage sein, dieses Kind zu lieben - trotz seiner Eigenarten und trotz der Schuldgefühle, die mich plagen, weil ich seine Familie zerstört habe.
Ich öffne Williams Butterbrotdose und kippe die Essensreste in den Mülleimer, mit angehaltenem Atem - es riecht nach saurer Milch und Plastik. Einen Augenblick zu spät bemerke ich, dass die Mütter mich beobachten. Irgendeine von ihnen wird Carolyn garantiert brühwarm berichten, dass ich die Reste weggeworfen habe, ohne vorher genau zu überprüfen, was William übrig gelassen hat. Ein weiterer Beweis für meine Unzuverlässigkeit. Zufällig begegne ich dem Blick der Mutter mit dem Tragesitz. Ich erröte, sie dagegen nicht. Sie wendet sich ab und schmiegt ihre Wange gegen den Kopf des Babys. Ich spüre die weiche Haut des Babys an meiner Wange, das flaumige Haar an meinen Lippen, den zarten Puls unter der Fontanelle. Ich blinzle eine Träne fort und tue so, als würde ich Williams blutrünstige Zeichnung eingehend betrachten.Inzwischen ist der Korridor überfüllt mit Müttern und Kindermädchen. Die Türen der Gruppenräume öffnen sich, und eine Erzieherin streckt den Kopf heraus. "Ist Noras Kindermädchen hier?" Dann schickt sie ein dickes, rotgesichtiges Mädchen hinaus.
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Autoren-Porträt von Ayelet Waldman
Ayelet Waldman arbeitete als Strafverteidigerin und lebt heute mit Pulitzer-Preisträger Michael Chabon und ihren drei Kindern in Berkeley, Kalifornien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ayelet Waldman
- 2006, 383 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Breuer, Charlotte
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453290062
- ISBN-13: 9783453290068
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