Den Teufel an die Wand
Roman
Teresa Specht sucht einen Mann. Sie sucht ihn mit allen Mitteln. Sie studiert die Regeln von »Fischen und Jagen«. Sie lässt sich stylen. Sie kauft seidene Dessous.
So gerüstet, legt sich Teresa Anfang fünfzig, Büroangestellte, für Männer bisher...
So gerüstet, legt sich Teresa Anfang fünfzig, Büroangestellte, für Männer bisher...
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Buch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Den Teufel an die Wand “
Teresa Specht sucht einen Mann. Sie sucht ihn mit allen Mitteln. Sie studiert die Regeln von »Fischen und Jagen«. Sie lässt sich stylen. Sie kauft seidene Dessous.
So gerüstet, legt sich Teresa Anfang fünfzig, Büroangestellte, für Männer bisher unsichtbar auf die Lauer. Und als Dr. Mathias Herrwinkel Ehemann, Vater und Großvater auf einer Tagung ihren Weg kreuzt, schnappt die Falle erbarmungslos zu...
»Bestseller mit Witz und Wut!« (Brigitte)
So gerüstet, legt sich Teresa Anfang fünfzig, Büroangestellte, für Männer bisher unsichtbar auf die Lauer. Und als Dr. Mathias Herrwinkel Ehemann, Vater und Großvater auf einer Tagung ihren Weg kreuzt, schnappt die Falle erbarmungslos zu...
»Bestseller mit Witz und Wut!« (Brigitte)
Klappentext zu „Den Teufel an die Wand “
Teresa Specht sucht einen Mann, und sie sucht ihn mit allen Mitteln. Sie studiert die Regeln von »Fischen und Jagen«, lässt sich stylen und kauft sich ein seidenes Dessous. Solchermaßen gerüstet, legt sich Teresa - Anfang fünfzig, Büroangestellte, ledig und bisher für Männer eher »unsichtbar« auf die Lauer. Und als Mathias Herrwinkel ihren Weg kreuzt, schnappt die Falle zu. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen! Der Historiker Professor Dr. Mathias Herrwinkel, Ehemann, Vater und Großvater, hat diese Mahnung stets beherzigt. Bis er anlässlich einer Tagung das tut, was angeblich alle Männer in den besten Jahren tun: Er verbringt mit einer Unbekannten eine heiße Liebesnacht. Irritiert über sich selbst, trachtet er anschließend danach, das Erlebnis schnellstmöglich zu vergessen. Doch da hat er die Rechnung ohne Teresa Specht gemacht.
Lese-Probe zu „Den Teufel an die Wand “
1.Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!
Am Abend vor ihrem zweiundfünfzigsten Geburtstag traf Teresa Specht endlich den Mann, auf den sie seit ihrem siebzehnten Lebensjahr gewartet hatte.
Der Pfeil der Liebe traf sie spät, aber nicht unerwartet. In der Jahrzehnte andauernden Ereignislosigkeit, in der ein Jahr dem anderen gefolgt war, ohne dass sich das Blatt gewendet hätte, hatte sie sich eingeredet, dass alles seine Zeit brauche und man die Dinge nicht forcieren solle. Wer in Panik geriet, machte Fehler. Wer sich Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzte, würde es später bereuen.
Dies schien so etwas wie ein Gesetz zu sein.
Teresa, mit ihrer tiefen Abneigung gegen Unordnung, sagte sich, dass es geschickter sei, die Dinge nacheinander in die Wege zu leiten und das Leben einem Plan folgen zu lassen. Was in ihrem Fall hieß: Schulabschluss, Bürolehre, Stadtverwaltung.
In Mußestunden erfreute sich Teresa an der Auflösung des schwesterlichen Ehelebens.
Teresa hasste Rosalie, die ihr vor fünfunddreißig Jahren jenen Mann ausgespannt hatte, der der Richtige gewesen wäre und sich in einem gemeinsamen Leben mit ihr zum perfekten Ehemann und Vater entwickelt hätte - und nicht zu jenem unzuverlässigen Draufgänger, zu dem er an der Seite Rosalies verkommen war.
Im hinteren Teil des elterlichen Reihenhausgartens, zwischen Rhododendrenbusch und Rhabarberbeet, hatte Ben sie geküsst.
"Wir werden später ein eigenes Haus und einen Rosengarten haben", hatte Teresa in sein Ohr geflüstert, und er hatte ihr im fahlen Schein der Straßenlaterne zugelächelt und spielerisch eine ihrer dünnen Haarsträhnen durch die Finger gleiten lassen. Dann hatte er ihr jenes Bleigewicht ins Herz gesenkt, an dem sie künftig zu tragen hatte.
"Du kannst uns natürlich jederzeit besuchen, Schwägerin."
Ben plante, sich in Kürze offiziell mit Rosalie zu verloben, und genoss die letzten Tage in freier Wildbahn.
Er hatte sich noch einmal durch die Reihen der
... mehr
Vorstadtmädchen geschlafen und nebenbei herausfinden wollen, was es eigentlich mit Rosalies Schwester auf sich hatte, die so ganz anders war als alle Frauen, die er kannte. Er hatte das Geheimnis nicht lüften können, aber die Begegnung auf dem ausrangierten Sofa in der Laube des elterlichen Schrebergartens hatte eine verblüffende Erkenntnis gebracht: Unter dem flachen Busen der unscheinbaren Teresa schien ein geradezu Angst erregendes Feuer zu lodern.
Ein verzehrendes Feuer, wie er schaudernd feststellen musste.
Während sich Ben und Rosalie am Abgrund ihres Ehelebens entlang stritten - Teresa konstatierte zufrieden, wie das Feuer in den Augen beider Gatten erlosch, die Stimmen blechern wurden und die Kosenamen an Süße verloren -, nahm ihr eigenes Leben den ruhigen Verlauf, den es einmal eingeschlagen hatte.
Sie bestieg jeden Morgen um acht Uhr dreißig die S-Bahn, fuhr zwei Stationen Richtung City und stieg am Stadthaus aus. Sie teilte ihr Büro mit Chris, einer jüngeren Kollegin, die während der Dienstzeit lange Telefonate mit ihrem Lover führte und gern von den zusätzlichen Eroberungen erzählte, die sie mithilfe des Internets machte. Schließlich heiratete sie Bernhard Schlüter, einen Kollegen aus der Verwaltung, und verließ ihren Arbeitsplatz, ohne dass dieser neu besetzt wurde.
Teresa Specht rückte auf.
Anstelle von Chris teilte sie das Büro künftig mit einer Reihe kleiner Bäumchen, die sie aus den Kernen von Apfelsinen zog. Sie wuchsen auf der Fensterbank zu stattlichen Pflanzen heran, bis sie während eines Urlaubs vom Hausmeister vernichtet wurden, weil sie die Arbeit der Putzfrauen behinderten.
"Sie können Ihre gärtnerischen Triebe zu Hause ausleben, Frau Specht", hatte er gesagt. "Und nehmen Sie die Ansichtskarten von der Wand, hier wird in Kürze renoviert."
Wortlos gab Teresa die Aufzucht von Apfelsinenbäumchen auf. Sie schmückte den Schreibtisch nicht mehr mit einem Blumenstrauß und kaufte keine neue Kaffeemaschine, als die alte den Geist aufgab.
Die wenigen Ansichtskarten, die sie im Laufe des Jahres erhielt, pinnte sie nicht mehr an die Wand hinter ihrem Schreibtisch, sondern entsorgte sie, nachdem sie den Text kurz überflogen hatte.
An sonnigen Tagen nahm sie, auf der Fensterbank sitzend, ihr Frühstück ein, wobei sie den Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ.
In unmittelbarer Nähe des Büros befand sich der städtische Kindergarten. Das Gelächter der Kleinen klang wie Vogelgezwitscher zu ihr herauf.
Manchmal überfiel sie eine tiefe Traurigkeit, von der sie nicht wusste, woher sie kam.
Mit dem gleichen Kribbeln, mit dem andere auf die Verkündung der Lottozahlen warten, erfüllt von der unverzichtbaren Hoffnung, dass sich ihr trostloses Dasein von einer Minute zur anderen ändern möge, näherte sich Teresa jedem Urlaubsziel.
Nur im Urlaub, in einer anderen Galaxie, davon war sie inzwischen überzeugt, konnte sich das Wunder einer lebensverändernden Begegnung entfalten.
Der Gedanke an die jeweils nächste Reise gab ihr die Kraft, das Jahr durchzustehen und jenem Tag entgegenzuleben, an dem die Pflicht von der Lust abgelöst wurde.
Pflicht - das waren der Job, der Haushalt, die ewig gleichen Gänge zu Supermarkt, Reinigung und Schuster. Das waren Vorsorgeuntersuchungen, Zahnarzt und Friseur, Handwerker und Wartungsdienste. Es war der Ablauf einer gleichförmigen Woche, der ein gleichförmiges Wochenende folgte.
Wochenenden, die Teresa nutzte, um ihre Kleidung in Ordnung zu bringen, vorzukochen und durch den Stadtpark zu laufen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Teresa den Spaziergang unterbrach, um im Parkcafé einen Kaffee zu trinken, aber sie hatte die Gewohnheit aufgegeben, als auch der Spaziergang und der Cafébesuch zur Pflicht geworden waren.
Gegen die Pflicht setzte sie die Lust.
Lust, das waren die Prospekte, die sie stapelweise aus den Reisebüros nach Hause schleppte. Lust waren die Vorbereitung der jeweils nächsten Reise und die belichteten Filme, die sie als Beute mit nach Hause brachte. Lust waren Einkäufe, die sommerliche Gefühle hervorriefen: leichte Kleidung, Strandsandalen und Badekappen.
Denn vielleicht würde ihr das Wunder in diesem Sommer begegnen. Aber die Jahre vergingen, und nichts geschah.
Urlauber reisten paarweise an und klammerten sich aneinander. Frauen streiften über die Strände und wurden fündig, so sie jung und gut gebaut oder alt und schwerreich waren. Singles bildeten Gruppen und besichtigten Kunstschätze und Kathedralen.
Teresa führte ein Reisetagebuch, in das sie die Namen der Orte, die Preise des Hotels und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten eintrug.
Von menschlichen Begegnungen berichtete sie nie.
Mit der Geduld eines Reptils wartete Teresa ihre Zeit ab und nahm es hin, dass alle um sie herum heirateten, Kinder in die Welt setzten und sich ein Nest bauten.
Schnellentschlossene ließen sich scheiden und heirateten erneut. Häuser wurden aufgegeben und durch andere ersetzt.
Fotos unbekannter Babys flatterten ins Haus.
Teresa schenkte jedem Foto eine Anstandsminute der intensiven Betrachtung, ehe sie es zerriss und in den Papierkorb warf.
Das Verschicken von Bildern würde ihrer Erfahrung nach spätestens nach der Einschulung ein Ende haben, und mit Fotos des Zweitgeborenen würde sie kaum noch belästigt werden.
Eingeladen wurde sie nie.
Nach den Ehefrauen begann Teresa auch die Mütter zu hassen.
Als Rosalie ihr weinend mitteilte, dass Ben eine Geliebte habe und Kathi, ihre Älteste, den höheren Schulabschluss nicht schaffen werde, schien dies die gerechte Belohnung dafür zu sein, dass sie sich in der Rolle der scheinbar interessierten Zuschauerin so tapfer gehalten hatte.
"Ich würde Kathi von der Schule nehmen und sie eine Ausbildung machen lassen", schlug sie vor und reichte Rosalie ein Taschentuch. "Die Stadtverwaltung ..."
"Ich glaube nicht, dass gerade du geeignet bist, diesbezüglich Ratschläge zu erteilen", erwiderte Rosalie.
Teresa antwortete nicht, aber sie hatte verstanden. Zuhören durfte sie jederzeit. Eine Meinung zu äußern, das stand ihr nicht zu.
Als sie neununddreißig Jahre alt wurde, unternahm sie mehrere Anläufe, das Ruder herumzureißen.
Sie schaltete eine Kontaktanzeige, auf die sich zwei Herren meldeten. Der eine suchte eine kapitalkräftige Partnerin zur Gründung eines Geschäftes, der andere war verheiratet.
Die Einladung zum gemeinsamen Wandern an den allein stehenden Vermögensberater, der die Wohnung gegenüber bewohnte, wurde erstaunt abgelehnt.
"Ich soll mit Ihnen spazieren gehen?", hatte Wolf Schröder gefragt. "Aber um Gottes willen, warum denn?"
Eines Abends rief sie Ben an, der sich inzwischen eine eigene Wohnung gemietet hatte.
Der Hörer wurde abgenommen, und Fetzen von Musik drangen in Teresas Stille.
You get what you see.
Eine Frau lachte schrill.
Jemand rief: "Benny, der Schampus ist alle."
Ohne ihren Namen zu nennen, legte Teresa den Hörer zurück auf die Gabel.
Sie klappte das Bügelbrett auf und begann die Blusen für die kommende Woche zu bügeln.
You get what you see ...
Im Fernsehen lief die hundertste Folge einer Familienserie.
Wem schenkt man sein Herz, wenn niemand da ist, der es haben will?
Topfpflanzen bieten sich an, oder Kuscheltiere.
Teresa leistete sich einen Gummibaum, den sie "Benny" nannte und dessen grünfleischige Blätter sie regelmäßig polierte. Manchmal sprach sie mit ihm oder spielte ihm Beethovens Neunte vor, was nicht verhinderte, dass immer mehr Blätter gelb wurden und zusammengerollt auf dem Teppich lagen, wenn sie am Abend nach Hause zurückkehrte.
2.
Was gibt uns wohl den schönsten Frieden, als frei am eignen Glück zu schmieden?
Nachdem auch der fünfundvierzigste Geburtstag verstrichen war, ohne dass sich an ihrer Situation etwas geändert hatte, fand Teresa, dass sich das Problem allmählich lösen müsse. Sie ging ja nicht nur ohne Mann durchs Leben, ihr fehlte auch ein Freundeskreis.
Am Abend nahm sie Papier und Bleistift und stellte eine Liste all derjenigen zusammen, die ihr nahe standen.
"Rosalie", schrieb sie mit zusammengepressten Lippen. "Lydia Tanner ..."
Sie stellte fest, dass ihr Rosalie nicht wirklich nahe stand und Lydia Tanner eine reine Zweckfreundschaft war, geschlossen zwischen zwei allein stehenden Frauen, die hin und wieder einen Urlaub miteinander verbrachten.
Teresa überlegte, ob sie einen weiteren Namen unter den von Lydia setzen könnte, aber ihr fielen nur die Namen der anderen Hausbewohner und die der Kollegen ein, die sie hin und wieder auf den Fluren des Stadthauses traf.
Es musste etwas geschehen, aber was?
Teresa begann, die Leihbücherei aufzusuchen und ein oder zwei Stunden in der angeschlossenen Lesehalle zu verbringen, weil ihr jemand gesagt hatte, dass die dort sitzenden Rentner einer Bekanntschaft nicht abgeneigt seien.
Überdies könnten sie lesen, und das sei doch schon ein Pluspunkt, wenn man bedächte, was sonst so "in freier Wildbahn" herumlaufe.
Was "in freier Wildbahn" herumlief, konnte Teresa nicht beurteilen, da sie die freie Wildbahn nicht kannte, aber dass von den Greisen, die sich hinter den Zeitungen versteckten oder stumpf vor sich hinstierten, keiner infrage kam, sah sie sofort.
Dennoch gewöhnte sie sich an, die Bücherei einmal in der Woche aufzusuchen, sich in eine der Leseecken zurückzuziehen, in Atlanten und Reisebüchern zu blättern und die anderen Bibliotheksbesucher zu beobachten.
An einem Nachmittag bemerkte sie eine Dame, die selbstvergessen in einem Buch las, aus dem sie ganze Passagen abschrieb. Manchmal hob sie den Blick und starrte eine Weile vor sich hin, versunken in eine innere Welt.
Es dämmerte bereits, als die Dame die Lektüre zur Seite legte und die Bücherei verließ.
Teresa erhob sich, ging zu deren Platz hinüber und nahm das Buch zur Hand.
Es trug den Titel: "Die andere Seite der Macht".
Untertitel: "Nutze dein Unterbewusstsein".
Der Autor war Cary William Curson.
Teresa schlug die erste Seite auf.
"Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird sich Ihr Leben verändern. Wenn Sie mithilfe dieses Buches Ihr Unterbewusstsein aktiviert haben, wird jeder Ihrer Wünsche in Erfüllung gehen. Sie können sich den Staatspräsidenten von Burma bis in Ihr Bett hineinwünschen, wenn Sie sich sein Bild nur fest genug einprägen."
Teresa war es nicht gewöhnt, nach den Sternen zu greifen. Ihr hätte der Vermögensberater von gegenüber genügt, und sie hatte sich viele Abende detailliert vorgestellt, wie es wäre, wenn er über den Flur kommen und den Finger auf den Klingelknopf zu ihrer Wohnung legen würde.
Aber anstatt bei ihr hatte er an der Wohnung im Parterre geklingelt, in die die junge Lehrerin gezogen war, und kurz darauf hatte er sie geheiratet.
Es war eine Junihochzeit voller Rosen gewesen, und dass Rosen Dornen hatten, hatte Teresa ein wenig getröstet.
Das schlechte Ergebnis ihres intensiven Wunschdenkens gab Teresa zu denken, aber die Zeit verflog, und irgendwann konnte sie es sich nicht mehr leisten, an der Existenz von Wundern zu zweifeln.
Geschockt von der plötzlichen Gewissheit, dass das Leben endlich und auch ihre Zeit begrenzt war, wurde der Glaube an Cursons Lehre zwingend notwendig. Auch hatte er für ihr Versagen auf dem Gebiet des suggestiven Wunschdenkens eine einfache Erklärung: Teresa hatte sich den Geliebten nicht intensiv genug vorgestellt.
Wie sollte das Unterbewusstsein tätig werden, wenn nicht eindeutig feststand, wie der Typ beschaffen sein sollte, den es herbeizudenken galt?
Zugegebenermaßen war sie nach Dienstschluss oft müde gewesen und hatte die Übungen ausfallen lassen.
Von nun an nahm sie sich jeden Abend eine halbe Stunde Zeit, um in ihrem Kopf das Bild des Zukünftigen entstehen zu lassen. Sie nannte ihn "Mathias", nach ihrem verstorbenen Vater, was nicht gut war, denn die Vision nahm automatisch die väterlichen Gesichtszüge an, die sich im Laufe weniger Wochen überdies veränderten.
Anfangs hatte Mathias dichte dunkle Haare gehabt, war aber rasch gealtert, und anstelle der feschen Tolle war ihm nur ein Haarkranz geblieben, der sich grau-weiß-meliert über den Ohren kräuselte.
Was nicht alterte, war sein Mund.
Mathias' Lippen waren jung, wie die von Ben es gewesen waren, als er sie zwischen Rhododendronbusch und Rhabarberbeet im Garten ihrer Eltern geküsst hatte.
Als sie ihren fünfzigsten Geburtstag nahen sah, beschloss Teresa, das Problem dreidimensional anzugehen. Laut Curson sollte man den Boden, auf dem die Realisierung eines Wunsches stattfinden sollte, gut vorbereiten.
Wünschte man sich ein Reitpferd, so war es unumgänglich, vorher aufs Land zu ziehen, und wollte man in einer Modeboutique Haute Couture verkaufen, so würde sich wiederum ein Geschäft in einem Dorf nicht lange halten.
Wie also sah das Bild aus, dem Teresa sich in ihren Träumen hingab? In welcher Kulisse traf sie sich am häufigsten mit dem Geliebten?
Die Frage war nicht schwer zu beantworten, denn wenn man das Doppelbett einmal außer Acht ließ, das zu visualisieren unmöglich war, da es sich in völliger Dunkelheit befand und Teresa sich sogar in ihren Träumen den Wunsch versagte, die Szene zu beleuchten, so traf sie sich meistens mit Mathias an einem sonnigen Frühlingsmorgen.
Sie saßen an einem schön gedeckten Tisch im Garten und frühstückten - inmitten blühender Forsythien.
Das Suchen und Finden der neuen Behausung machte keine Schwierigkeiten. Teresa folgte Cursons Regeln, als sie sein Prinzip "Wisse genau, was du suchst" anwandte, und nur wenige Wochen später besichtigte sie ein zweistöckiges Haus mit Garten.
Das Haus befand sich in einer stillen Straße in einer Reihe von Häusern gleicher Art, aber das spielte keine Rolle. Es war exakt das Zuhause, das sie für sich und Mathias gesucht hatte.
Teresa nahm diesen Umstand als Beweis dafür, dass Cursons Lehre funktionierte.
Das Häuschen hatte unten ein geräumiges Wohnzimmer, eine Einbauküche, Bad und Gästetoilette und ein Zimmer, das Mathias als Arbeitszimmer dienen würde.
Teresa ließ dieses Zimmer unmöbliert. Mathias sollte kein fertig eingerichtetes Haus vorfinden, sondern Raum haben für persönliche Gestaltung.
Außerdem hatte er ja irgendwo ein Zuhause und würde einige der gewohnten Gegenstände mitbringen wollen.
An dieser Stelle drängte sich eine unangenehme Frage auf: War Mathias eigentlich verheiratet?
Eine Frage, die Curson unbeantwortet ließ.
Dass die Einrichtung ihrer bisherigen Behausung reichlich abgenutzt war, war in der alten Wohnung nicht weiter aufgefallen, aber nun waren die Möbel dem Sonnenlicht ausgesetzt, und Teresa musste ihrem sparsamen Herzen mehrere Stöße versetzen, bis sie imstande war, sich nach neuen Möbeln umzusehen.
Die Couchgarnitur aus Büffelleder, die sie nach langer Überlegung wählte, platzierte sie an die Hauptwand des Wohnzimmers, mit Blick auf den Bücherschrank, den sie von ihrem Vater geerbt hatte und auf dessen unterem Brett die stattliche Reihe nummerierter Fotoalben einen Platz fand.
Direkt darüber standen achtzehn Jahrgänge Das Beste, Ergebnis der Sammelleidenschaft einer lange verstorbenen Cousine, und darüber der große Brockhaus aus dem Jahre siebenundfünfzig, Band für Band zusammengetragen.
Ganz oben waren die Reisebücher untergebracht, und in der zweiten Reihe die Abenteuerromane und Schilderungen von Expeditionen mit ungewissem Ausgang, Teresas bevorzugte Lektüre, die sie ebenso geheim hielt wie die ihrer Kitschromane.
Neben dem Schrank in der rechten Ecke, halb schräg, stand der Fernseher, ein älteres Modell, das selten in Betrieb war, und daneben bekam "Benny", der in der Düsternis der alten Wohnung beinahe aufgegeben hatte, eine letzte Chance.
Das Schlafzimmer, bestehend aus einem sechstürigen Kleiderschrank, Nachtkonsölchen und Doppelbett, alles in einem freundlichen Esche-Imitat, übernahm sie von ihren Vorgängern. Die Bettelbachs wollten in ein Altersheim ziehen, in dem das Mitbringen eigener Möbel unerwünscht war.
Sie hatten ihr das Schlafzimmer geschenkt.
Anfangs war es ein wenig merkwürdig, sich abends in einem Zimmer zur Ruhe zu legen, in dem ein fremdes Paar geschlafen, gelitten und bis zuletzt geliebt hatte.
Die Gegenstände in der Nachttischschublade, die die Bettelbachs vergessen hatten, sprachen jedenfalls dafür.
Teresa hatte sie, auf der Bettkante hockend, mit klopfendem Herzen betrachtet. Sie waren ein Zeichen dafür, dass das eheliche Leben vom Alter unberührt blieb.
Mit einem warmen Gefühl in der Herzgegend legte Teresa Cursons Ratgeber zu den anderen Dingen in die Schublade ihres Nachttisches und sich selbst in Frau Bettelbachs Bett.
Die Stelle, die sie abends vor dem Einschlafen regelmäßig lesen würde, hatte sie rot markiert: "Mache dir bei der Visualisierung deines Partners eines deutlich: Der Mann ist keine Vision, er lebt! Vielleicht auf einem anderen Kontinent, vielleicht in der Nachbarstadt.
Vielleicht ganz in deiner Nähe!
Möglich, dass er schon morgen deinen Weg kreuzt."
Um für die bevorstehende Begegnung gerüstet zu sein, erstand Teresa in der Wäscheabteilung des örtlichen Kaufhauses einen seidenen Unterrock.
Dann stellte sie Überlegungen an, in welchem Urlaubsort ihr ein Mann wie Mathias - gebildet, mittleren Alters und konservativ - am ehesten über den Weg laufen könnte.
Sie entschied sich für Karlsbad.
3.
Bist du in deinem Hause Fürst? Ich bin's!
Mathias Herrwinkel betrachtete sich im Spiegel und war mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden. Er fuhr mit zwei Fingern glättend über die Brauen und zupfte mit dem Stilkamm seiner Frau die Locken hinter den Ohren zurecht. Dann strich er sich mit der Hand prüfend über die Stirn.
Das Haar war inzwischen stark zurückgewichen, aber Mathias Herrwinkel gehörte zu den Männern, denen eine Halbglatze gut steht.
Sie krönte das Gesicht des Intelligenzlers, und die gute Kopfform mit dem lockigen, melierten Haarkranz (Pfeffer und Salz nannte seine Frau Lisa diese Farbe) hatte ihm im Alter einen kleinen künstlerischen Touch verliehen. Die kraus hinter den Ohren abstehenden Haarbüschel zeugten von Wissen, Humor und Freigeist. ...
Wenn der Job an der Uni, ..., erst vorüber wären (was er sich allerdings vor Beendigung des sechsten Lebensjahrzehnts nicht vorstellen konnte), dann wollte Mathias Herrwinkel Bücher schreiben.
Ein verzehrendes Feuer, wie er schaudernd feststellen musste.
Während sich Ben und Rosalie am Abgrund ihres Ehelebens entlang stritten - Teresa konstatierte zufrieden, wie das Feuer in den Augen beider Gatten erlosch, die Stimmen blechern wurden und die Kosenamen an Süße verloren -, nahm ihr eigenes Leben den ruhigen Verlauf, den es einmal eingeschlagen hatte.
Sie bestieg jeden Morgen um acht Uhr dreißig die S-Bahn, fuhr zwei Stationen Richtung City und stieg am Stadthaus aus. Sie teilte ihr Büro mit Chris, einer jüngeren Kollegin, die während der Dienstzeit lange Telefonate mit ihrem Lover führte und gern von den zusätzlichen Eroberungen erzählte, die sie mithilfe des Internets machte. Schließlich heiratete sie Bernhard Schlüter, einen Kollegen aus der Verwaltung, und verließ ihren Arbeitsplatz, ohne dass dieser neu besetzt wurde.
Teresa Specht rückte auf.
Anstelle von Chris teilte sie das Büro künftig mit einer Reihe kleiner Bäumchen, die sie aus den Kernen von Apfelsinen zog. Sie wuchsen auf der Fensterbank zu stattlichen Pflanzen heran, bis sie während eines Urlaubs vom Hausmeister vernichtet wurden, weil sie die Arbeit der Putzfrauen behinderten.
"Sie können Ihre gärtnerischen Triebe zu Hause ausleben, Frau Specht", hatte er gesagt. "Und nehmen Sie die Ansichtskarten von der Wand, hier wird in Kürze renoviert."
Wortlos gab Teresa die Aufzucht von Apfelsinenbäumchen auf. Sie schmückte den Schreibtisch nicht mehr mit einem Blumenstrauß und kaufte keine neue Kaffeemaschine, als die alte den Geist aufgab.
Die wenigen Ansichtskarten, die sie im Laufe des Jahres erhielt, pinnte sie nicht mehr an die Wand hinter ihrem Schreibtisch, sondern entsorgte sie, nachdem sie den Text kurz überflogen hatte.
An sonnigen Tagen nahm sie, auf der Fensterbank sitzend, ihr Frühstück ein, wobei sie den Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ.
In unmittelbarer Nähe des Büros befand sich der städtische Kindergarten. Das Gelächter der Kleinen klang wie Vogelgezwitscher zu ihr herauf.
Manchmal überfiel sie eine tiefe Traurigkeit, von der sie nicht wusste, woher sie kam.
Mit dem gleichen Kribbeln, mit dem andere auf die Verkündung der Lottozahlen warten, erfüllt von der unverzichtbaren Hoffnung, dass sich ihr trostloses Dasein von einer Minute zur anderen ändern möge, näherte sich Teresa jedem Urlaubsziel.
Nur im Urlaub, in einer anderen Galaxie, davon war sie inzwischen überzeugt, konnte sich das Wunder einer lebensverändernden Begegnung entfalten.
Der Gedanke an die jeweils nächste Reise gab ihr die Kraft, das Jahr durchzustehen und jenem Tag entgegenzuleben, an dem die Pflicht von der Lust abgelöst wurde.
Pflicht - das waren der Job, der Haushalt, die ewig gleichen Gänge zu Supermarkt, Reinigung und Schuster. Das waren Vorsorgeuntersuchungen, Zahnarzt und Friseur, Handwerker und Wartungsdienste. Es war der Ablauf einer gleichförmigen Woche, der ein gleichförmiges Wochenende folgte.
Wochenenden, die Teresa nutzte, um ihre Kleidung in Ordnung zu bringen, vorzukochen und durch den Stadtpark zu laufen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Teresa den Spaziergang unterbrach, um im Parkcafé einen Kaffee zu trinken, aber sie hatte die Gewohnheit aufgegeben, als auch der Spaziergang und der Cafébesuch zur Pflicht geworden waren.
Gegen die Pflicht setzte sie die Lust.
Lust, das waren die Prospekte, die sie stapelweise aus den Reisebüros nach Hause schleppte. Lust waren die Vorbereitung der jeweils nächsten Reise und die belichteten Filme, die sie als Beute mit nach Hause brachte. Lust waren Einkäufe, die sommerliche Gefühle hervorriefen: leichte Kleidung, Strandsandalen und Badekappen.
Denn vielleicht würde ihr das Wunder in diesem Sommer begegnen. Aber die Jahre vergingen, und nichts geschah.
Urlauber reisten paarweise an und klammerten sich aneinander. Frauen streiften über die Strände und wurden fündig, so sie jung und gut gebaut oder alt und schwerreich waren. Singles bildeten Gruppen und besichtigten Kunstschätze und Kathedralen.
Teresa führte ein Reisetagebuch, in das sie die Namen der Orte, die Preise des Hotels und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten eintrug.
Von menschlichen Begegnungen berichtete sie nie.
Mit der Geduld eines Reptils wartete Teresa ihre Zeit ab und nahm es hin, dass alle um sie herum heirateten, Kinder in die Welt setzten und sich ein Nest bauten.
Schnellentschlossene ließen sich scheiden und heirateten erneut. Häuser wurden aufgegeben und durch andere ersetzt.
Fotos unbekannter Babys flatterten ins Haus.
Teresa schenkte jedem Foto eine Anstandsminute der intensiven Betrachtung, ehe sie es zerriss und in den Papierkorb warf.
Das Verschicken von Bildern würde ihrer Erfahrung nach spätestens nach der Einschulung ein Ende haben, und mit Fotos des Zweitgeborenen würde sie kaum noch belästigt werden.
Eingeladen wurde sie nie.
Nach den Ehefrauen begann Teresa auch die Mütter zu hassen.
Als Rosalie ihr weinend mitteilte, dass Ben eine Geliebte habe und Kathi, ihre Älteste, den höheren Schulabschluss nicht schaffen werde, schien dies die gerechte Belohnung dafür zu sein, dass sie sich in der Rolle der scheinbar interessierten Zuschauerin so tapfer gehalten hatte.
"Ich würde Kathi von der Schule nehmen und sie eine Ausbildung machen lassen", schlug sie vor und reichte Rosalie ein Taschentuch. "Die Stadtverwaltung ..."
"Ich glaube nicht, dass gerade du geeignet bist, diesbezüglich Ratschläge zu erteilen", erwiderte Rosalie.
Teresa antwortete nicht, aber sie hatte verstanden. Zuhören durfte sie jederzeit. Eine Meinung zu äußern, das stand ihr nicht zu.
Als sie neununddreißig Jahre alt wurde, unternahm sie mehrere Anläufe, das Ruder herumzureißen.
Sie schaltete eine Kontaktanzeige, auf die sich zwei Herren meldeten. Der eine suchte eine kapitalkräftige Partnerin zur Gründung eines Geschäftes, der andere war verheiratet.
Die Einladung zum gemeinsamen Wandern an den allein stehenden Vermögensberater, der die Wohnung gegenüber bewohnte, wurde erstaunt abgelehnt.
"Ich soll mit Ihnen spazieren gehen?", hatte Wolf Schröder gefragt. "Aber um Gottes willen, warum denn?"
Eines Abends rief sie Ben an, der sich inzwischen eine eigene Wohnung gemietet hatte.
Der Hörer wurde abgenommen, und Fetzen von Musik drangen in Teresas Stille.
You get what you see.
Eine Frau lachte schrill.
Jemand rief: "Benny, der Schampus ist alle."
Ohne ihren Namen zu nennen, legte Teresa den Hörer zurück auf die Gabel.
Sie klappte das Bügelbrett auf und begann die Blusen für die kommende Woche zu bügeln.
You get what you see ...
Im Fernsehen lief die hundertste Folge einer Familienserie.
Wem schenkt man sein Herz, wenn niemand da ist, der es haben will?
Topfpflanzen bieten sich an, oder Kuscheltiere.
Teresa leistete sich einen Gummibaum, den sie "Benny" nannte und dessen grünfleischige Blätter sie regelmäßig polierte. Manchmal sprach sie mit ihm oder spielte ihm Beethovens Neunte vor, was nicht verhinderte, dass immer mehr Blätter gelb wurden und zusammengerollt auf dem Teppich lagen, wenn sie am Abend nach Hause zurückkehrte.
2.
Was gibt uns wohl den schönsten Frieden, als frei am eignen Glück zu schmieden?
Nachdem auch der fünfundvierzigste Geburtstag verstrichen war, ohne dass sich an ihrer Situation etwas geändert hatte, fand Teresa, dass sich das Problem allmählich lösen müsse. Sie ging ja nicht nur ohne Mann durchs Leben, ihr fehlte auch ein Freundeskreis.
Am Abend nahm sie Papier und Bleistift und stellte eine Liste all derjenigen zusammen, die ihr nahe standen.
"Rosalie", schrieb sie mit zusammengepressten Lippen. "Lydia Tanner ..."
Sie stellte fest, dass ihr Rosalie nicht wirklich nahe stand und Lydia Tanner eine reine Zweckfreundschaft war, geschlossen zwischen zwei allein stehenden Frauen, die hin und wieder einen Urlaub miteinander verbrachten.
Teresa überlegte, ob sie einen weiteren Namen unter den von Lydia setzen könnte, aber ihr fielen nur die Namen der anderen Hausbewohner und die der Kollegen ein, die sie hin und wieder auf den Fluren des Stadthauses traf.
Es musste etwas geschehen, aber was?
Teresa begann, die Leihbücherei aufzusuchen und ein oder zwei Stunden in der angeschlossenen Lesehalle zu verbringen, weil ihr jemand gesagt hatte, dass die dort sitzenden Rentner einer Bekanntschaft nicht abgeneigt seien.
Überdies könnten sie lesen, und das sei doch schon ein Pluspunkt, wenn man bedächte, was sonst so "in freier Wildbahn" herumlaufe.
Was "in freier Wildbahn" herumlief, konnte Teresa nicht beurteilen, da sie die freie Wildbahn nicht kannte, aber dass von den Greisen, die sich hinter den Zeitungen versteckten oder stumpf vor sich hinstierten, keiner infrage kam, sah sie sofort.
Dennoch gewöhnte sie sich an, die Bücherei einmal in der Woche aufzusuchen, sich in eine der Leseecken zurückzuziehen, in Atlanten und Reisebüchern zu blättern und die anderen Bibliotheksbesucher zu beobachten.
An einem Nachmittag bemerkte sie eine Dame, die selbstvergessen in einem Buch las, aus dem sie ganze Passagen abschrieb. Manchmal hob sie den Blick und starrte eine Weile vor sich hin, versunken in eine innere Welt.
Es dämmerte bereits, als die Dame die Lektüre zur Seite legte und die Bücherei verließ.
Teresa erhob sich, ging zu deren Platz hinüber und nahm das Buch zur Hand.
Es trug den Titel: "Die andere Seite der Macht".
Untertitel: "Nutze dein Unterbewusstsein".
Der Autor war Cary William Curson.
Teresa schlug die erste Seite auf.
"Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird sich Ihr Leben verändern. Wenn Sie mithilfe dieses Buches Ihr Unterbewusstsein aktiviert haben, wird jeder Ihrer Wünsche in Erfüllung gehen. Sie können sich den Staatspräsidenten von Burma bis in Ihr Bett hineinwünschen, wenn Sie sich sein Bild nur fest genug einprägen."
Teresa war es nicht gewöhnt, nach den Sternen zu greifen. Ihr hätte der Vermögensberater von gegenüber genügt, und sie hatte sich viele Abende detailliert vorgestellt, wie es wäre, wenn er über den Flur kommen und den Finger auf den Klingelknopf zu ihrer Wohnung legen würde.
Aber anstatt bei ihr hatte er an der Wohnung im Parterre geklingelt, in die die junge Lehrerin gezogen war, und kurz darauf hatte er sie geheiratet.
Es war eine Junihochzeit voller Rosen gewesen, und dass Rosen Dornen hatten, hatte Teresa ein wenig getröstet.
Das schlechte Ergebnis ihres intensiven Wunschdenkens gab Teresa zu denken, aber die Zeit verflog, und irgendwann konnte sie es sich nicht mehr leisten, an der Existenz von Wundern zu zweifeln.
Geschockt von der plötzlichen Gewissheit, dass das Leben endlich und auch ihre Zeit begrenzt war, wurde der Glaube an Cursons Lehre zwingend notwendig. Auch hatte er für ihr Versagen auf dem Gebiet des suggestiven Wunschdenkens eine einfache Erklärung: Teresa hatte sich den Geliebten nicht intensiv genug vorgestellt.
Wie sollte das Unterbewusstsein tätig werden, wenn nicht eindeutig feststand, wie der Typ beschaffen sein sollte, den es herbeizudenken galt?
Zugegebenermaßen war sie nach Dienstschluss oft müde gewesen und hatte die Übungen ausfallen lassen.
Von nun an nahm sie sich jeden Abend eine halbe Stunde Zeit, um in ihrem Kopf das Bild des Zukünftigen entstehen zu lassen. Sie nannte ihn "Mathias", nach ihrem verstorbenen Vater, was nicht gut war, denn die Vision nahm automatisch die väterlichen Gesichtszüge an, die sich im Laufe weniger Wochen überdies veränderten.
Anfangs hatte Mathias dichte dunkle Haare gehabt, war aber rasch gealtert, und anstelle der feschen Tolle war ihm nur ein Haarkranz geblieben, der sich grau-weiß-meliert über den Ohren kräuselte.
Was nicht alterte, war sein Mund.
Mathias' Lippen waren jung, wie die von Ben es gewesen waren, als er sie zwischen Rhododendronbusch und Rhabarberbeet im Garten ihrer Eltern geküsst hatte.
Als sie ihren fünfzigsten Geburtstag nahen sah, beschloss Teresa, das Problem dreidimensional anzugehen. Laut Curson sollte man den Boden, auf dem die Realisierung eines Wunsches stattfinden sollte, gut vorbereiten.
Wünschte man sich ein Reitpferd, so war es unumgänglich, vorher aufs Land zu ziehen, und wollte man in einer Modeboutique Haute Couture verkaufen, so würde sich wiederum ein Geschäft in einem Dorf nicht lange halten.
Wie also sah das Bild aus, dem Teresa sich in ihren Träumen hingab? In welcher Kulisse traf sie sich am häufigsten mit dem Geliebten?
Die Frage war nicht schwer zu beantworten, denn wenn man das Doppelbett einmal außer Acht ließ, das zu visualisieren unmöglich war, da es sich in völliger Dunkelheit befand und Teresa sich sogar in ihren Träumen den Wunsch versagte, die Szene zu beleuchten, so traf sie sich meistens mit Mathias an einem sonnigen Frühlingsmorgen.
Sie saßen an einem schön gedeckten Tisch im Garten und frühstückten - inmitten blühender Forsythien.
Das Suchen und Finden der neuen Behausung machte keine Schwierigkeiten. Teresa folgte Cursons Regeln, als sie sein Prinzip "Wisse genau, was du suchst" anwandte, und nur wenige Wochen später besichtigte sie ein zweistöckiges Haus mit Garten.
Das Haus befand sich in einer stillen Straße in einer Reihe von Häusern gleicher Art, aber das spielte keine Rolle. Es war exakt das Zuhause, das sie für sich und Mathias gesucht hatte.
Teresa nahm diesen Umstand als Beweis dafür, dass Cursons Lehre funktionierte.
Das Häuschen hatte unten ein geräumiges Wohnzimmer, eine Einbauküche, Bad und Gästetoilette und ein Zimmer, das Mathias als Arbeitszimmer dienen würde.
Teresa ließ dieses Zimmer unmöbliert. Mathias sollte kein fertig eingerichtetes Haus vorfinden, sondern Raum haben für persönliche Gestaltung.
Außerdem hatte er ja irgendwo ein Zuhause und würde einige der gewohnten Gegenstände mitbringen wollen.
An dieser Stelle drängte sich eine unangenehme Frage auf: War Mathias eigentlich verheiratet?
Eine Frage, die Curson unbeantwortet ließ.
Dass die Einrichtung ihrer bisherigen Behausung reichlich abgenutzt war, war in der alten Wohnung nicht weiter aufgefallen, aber nun waren die Möbel dem Sonnenlicht ausgesetzt, und Teresa musste ihrem sparsamen Herzen mehrere Stöße versetzen, bis sie imstande war, sich nach neuen Möbeln umzusehen.
Die Couchgarnitur aus Büffelleder, die sie nach langer Überlegung wählte, platzierte sie an die Hauptwand des Wohnzimmers, mit Blick auf den Bücherschrank, den sie von ihrem Vater geerbt hatte und auf dessen unterem Brett die stattliche Reihe nummerierter Fotoalben einen Platz fand.
Direkt darüber standen achtzehn Jahrgänge Das Beste, Ergebnis der Sammelleidenschaft einer lange verstorbenen Cousine, und darüber der große Brockhaus aus dem Jahre siebenundfünfzig, Band für Band zusammengetragen.
Ganz oben waren die Reisebücher untergebracht, und in der zweiten Reihe die Abenteuerromane und Schilderungen von Expeditionen mit ungewissem Ausgang, Teresas bevorzugte Lektüre, die sie ebenso geheim hielt wie die ihrer Kitschromane.
Neben dem Schrank in der rechten Ecke, halb schräg, stand der Fernseher, ein älteres Modell, das selten in Betrieb war, und daneben bekam "Benny", der in der Düsternis der alten Wohnung beinahe aufgegeben hatte, eine letzte Chance.
Das Schlafzimmer, bestehend aus einem sechstürigen Kleiderschrank, Nachtkonsölchen und Doppelbett, alles in einem freundlichen Esche-Imitat, übernahm sie von ihren Vorgängern. Die Bettelbachs wollten in ein Altersheim ziehen, in dem das Mitbringen eigener Möbel unerwünscht war.
Sie hatten ihr das Schlafzimmer geschenkt.
Anfangs war es ein wenig merkwürdig, sich abends in einem Zimmer zur Ruhe zu legen, in dem ein fremdes Paar geschlafen, gelitten und bis zuletzt geliebt hatte.
Die Gegenstände in der Nachttischschublade, die die Bettelbachs vergessen hatten, sprachen jedenfalls dafür.
Teresa hatte sie, auf der Bettkante hockend, mit klopfendem Herzen betrachtet. Sie waren ein Zeichen dafür, dass das eheliche Leben vom Alter unberührt blieb.
Mit einem warmen Gefühl in der Herzgegend legte Teresa Cursons Ratgeber zu den anderen Dingen in die Schublade ihres Nachttisches und sich selbst in Frau Bettelbachs Bett.
Die Stelle, die sie abends vor dem Einschlafen regelmäßig lesen würde, hatte sie rot markiert: "Mache dir bei der Visualisierung deines Partners eines deutlich: Der Mann ist keine Vision, er lebt! Vielleicht auf einem anderen Kontinent, vielleicht in der Nachbarstadt.
Vielleicht ganz in deiner Nähe!
Möglich, dass er schon morgen deinen Weg kreuzt."
Um für die bevorstehende Begegnung gerüstet zu sein, erstand Teresa in der Wäscheabteilung des örtlichen Kaufhauses einen seidenen Unterrock.
Dann stellte sie Überlegungen an, in welchem Urlaubsort ihr ein Mann wie Mathias - gebildet, mittleren Alters und konservativ - am ehesten über den Weg laufen könnte.
Sie entschied sich für Karlsbad.
3.
Bist du in deinem Hause Fürst? Ich bin's!
Mathias Herrwinkel betrachtete sich im Spiegel und war mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden. Er fuhr mit zwei Fingern glättend über die Brauen und zupfte mit dem Stilkamm seiner Frau die Locken hinter den Ohren zurecht. Dann strich er sich mit der Hand prüfend über die Stirn.
Das Haar war inzwischen stark zurückgewichen, aber Mathias Herrwinkel gehörte zu den Männern, denen eine Halbglatze gut steht.
Sie krönte das Gesicht des Intelligenzlers, und die gute Kopfform mit dem lockigen, melierten Haarkranz (Pfeffer und Salz nannte seine Frau Lisa diese Farbe) hatte ihm im Alter einen kleinen künstlerischen Touch verliehen. Die kraus hinter den Ohren abstehenden Haarbüschel zeugten von Wissen, Humor und Freigeist. ...
Wenn der Job an der Uni, ..., erst vorüber wären (was er sich allerdings vor Beendigung des sechsten Lebensjahrzehnts nicht vorstellen konnte), dann wollte Mathias Herrwinkel Bücher schreiben.
... weniger
Autoren-Porträt von Claudia Keller
Claudia Keller, geboren 1944 in Schlesien, aufgewachsen im Ruhrgebiet und mittlerweile sesshaft im hessischen Frankfurt. 1977 erstes Romandebüt, seit Anfang der 80er Jahre folgten mehrere Romane und Kurzgeschichten. Ausgezeichnet mit dem 'Frankfurter Fabrikschreiberpreis', dem 'Aachener Literaturpreis' und dem 'Hafispreis'.
Bibliographische Angaben
- Autor: Claudia Keller
- 2004, 341 Seiten, Maße: 13,8 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764501367
- ISBN-13: 9783764501365
Rezension zu „Den Teufel an die Wand “
"Claudia Keller schreibt Bestseller mit Witz und Wut." (Brigitte)"Mit Biss, Witz und Selbstironie beschreibt Claudia Keller den täglichen (Beziehungs-)Frust." (Hessischer Rundfunk)
"Nicht knatschig, freudlos und duster, sondern bissig und selbstironisch." (Der Spiegel)
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