Der Angriff der Schatten
Deutsche Erstausgabe
Mit knapper Not entkommt Damlo dem >>Schatten<<, einer abgrundtief bösen Macht, die ihm zwei magische Gegenstände rauben will - Drachenzahn und Drachenschuppe. Getarnt als verletzter Ork, versucht Damlo die rettende Stadt Belsin zu...
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Produktinformationen zu „Der Angriff der Schatten “
Mit knapper Not entkommt Damlo dem >>Schatten<<, einer abgrundtief bösen Macht, die ihm zwei magische Gegenstände rauben will - Drachenzahn und Drachenschuppe. Getarnt als verletzter Ork, versucht Damlo die rettende Stadt Belsin zu erreichen. Sein Widersacher aber holt ihn ein und zwingt ihn zu einem tödlichen Duell. Doch was er nicht weiß: Damlo besitzt nicht nur magische Kräfte und geschickte Hände, sondern in seinem Innern lebt auch ein Drache, der ihm unermessliche Kräfte verleiht. Und so schließt Damlo die Augen und vertraut auf seine Zauberwaffe, den Drachenzahn.
Klappentext zu „Der Angriff der Schatten “
Mit knapper Not entkommt Damlo dem »Schatten«, einer abgrundtief bösen Macht, die ihm zwei magische Gegenstände rauben will Drachenzahn und Drachenschuppe. Getarnt als verletzter Ork, versucht Damlo die rettende Stadt Belsin zu erreichen. Sein Widersacher aber holt ihn ein und zwingt ihn zu einem tödlichen Duell. Doch was er nicht weiß: Damlo besitzt nicht nur magische Kräfte und geschickte Hände, sondern in seinem Innern lebt auch ein Drache, der ihm unermeßliche Kräfte verleiht. Und so schließt Damlo die Augen und vertraut auf seine Zauberwaffe, den Drachenzahn.
Lese-Probe zu „Der Angriff der Schatten “
1Damlo Rindgren suchte hinter dem erstbesten Baumstamm Deckung und rührte sich nicht. Die Furcht jagte ihm das Blut rasend schnell durch die Adern. Er holte tief Atem, erschauerte, zog den Kopf zwischen die Schultern und wäre mit dem Baumstamm am liebsten eins geworden. Doch der war dazu einfach zu dünn, stellte der Junge bedauernd fest. Also setzte er ein weiteres Mal zu einem Sprung an und landete hinter einem ausladenden Hortensienbusch. Dort kauerte er sich auf dem Boden zusammen und konzentrierte all seine Sinne. Doch es war überhaupt nichts Ungewöhnliches wahrzunehmen...
Am Himmel leuchtete die Sichel des abnehmenden Mondes, und der Park von Schloß Bedaran lag keineswegs in tiefer Dunkelheit. Nur in den geschmackvoll angelegten Wäldchen, zwischen den hohen Bäumen und dem dicht blühenden Buschwerk war es finster. Besonders günstige Bedingungen.
Sein Herz klopfte so stark, daß es dem Jungen wie Hammerschläge in den Ohren dröhnte, als er wagte, hinter den Hortensien hervorzulugen. Der nicht mehr benutzte Fußweg, den Damlo nehmen mußte, verlief unmittelbar vor seinen Augen. Am Tage gut sichtbar, war er zu dieser Stunde nur zu erkennen, wenn man wußte, wonach man suchen sollte. Der Pfad führte zu einem Seitentor des Schlossparks, einem Eingang, der sich zwischen zwei wie zufällig in die Mauer eingefügte Säulen drückte.
Der Junge bemühte sich, die Blätter der Hortensie möglichst wenig zu berühren, und spähte hinaus in die Dunkelheit. Eine kaum merkbare Brise strich über Bäume und Sträucher hinweg und verbreitete sanfte nächtliche Düfte. Hatte er da vorhin tatsächlich eine Bewegung wahrgenommen? Eine Verlagerung von etwas, das kein windgebeuteltes Blätterbüschel gewesen sein könnte?
Vielleicht doch nicht. Vielleicht hatte er sich geirrt. Aber wenn nicht...? Hatte er wie immer Angst - ohne jeden Grund? Oder waren seine Befürchtungen diesmal gerechtfertigt? Unter Zuhilfenahme seiner Zauberkräfte wäre es wohl ein leichtes gewesen, das herauszufinden.
... mehr
Aber leider wußte er sich ihrer noch nicht richtig zu bedienen.
So spitzte er die Ohren...doch außer dem gluckernden Murmeln des Baches hörte er nichts. Vielleicht weil ihm der Herzschlag so laut in den Ohren hämmerte... Ruhig Blut! versuchte er sich zu beschwichtigen: Niemand kann da sein! Es war alles gut organisiert, und dieser Teil des Parks schien völlig verlassen. Wieder holte er tief Atem. Doch dann schüttelte er den Kopf. Unsinn! Er hatte nicht nur eine undeutliche Bewegung wahrgenommen, sondern auch etwas gehört: ein merkwürdig unbekümmert wirkendes Geräusch - wie von einem großen Tier, das durch die Dunkelheit trampelte, ohne Rücksicht auf das Knacken und Rascheln, das es verursachte. Und dann war da noch dieses leise Raunen gewesen - wie von menschlichen Stimmen...
Doch die Wachmannschaften befanden sich in der Kaserne, und große Tiere beherbergte der Park, der hoch über der Hauptstadt der Hegemonie lag, nicht. Abgesehen natürlich von den zähnefletschenden Mastiffs der Wachen. Aber an diesem Abend waren ja auch sie weggesperrt.
Damlo lauschte erneut in die Dunkelheit. Jetzt schien alles so, wie es sein sollte. Er hob die Schultern: Wie auch immer, hier konnte er nicht bleiben. Wenn er nicht zu seiner Verabredung auftauchte, mochte sich Tatini unter Umständen zu irgendeiner Dummheit hinreißen lassen. Zum Beispiel dazu, selbst in das Schloß einzusteigen. Nicht umsonst wurde er als der beste Einbrecher von ganz Eria betrachtet.
Ohne sich dessen bewußt zu sein, strich Damlo mit der Hand über das kleine Bündel, das er unter dem Hemd stecken hatte. Tatinis Plan hätte vorgesehen, das echte Siegel des Zanter zu stehlen; das jedoch durfte nicht in die Hände von Tatinis Auftraggeber fallen, sondern nur das falsche - die Kopie, die er, Damlo, mit einem Erkennungszeichen versehen hatte. Wieder tastete er unter dem Stoff danach.
Die Verschwörer beabsichtigten, bestimmte Papiere zu fälschen, um Gevan Bedaran, den Regenten, in Mißkredit zu bringen und die Regierung zu stürzen. Und dann, wenn in der Hegemonie Chaos herrschte, gedachten sie, die Macht ungehindert an sich zu reißen. Ein ausgeklügelter Plan, der - wenn er, Damlo, ihn nicht durchschaut hätte - gewiß leicht zu verwirklichen gewesen wäre. Und der, vernünftig betrachtet, immer noch Erfolg haben konnte. Vorausgesetzt, daß Tatini, der von all diesen Hintergründen nichts ahnte, seinem Auftraggeber das echte Siegel beschaffte. Und deshalb mußte er, Damlo, unbedingt zu diesem kleinen Seitentor in der Mauer gelangen - in aller Eile und ohne sich entdecken zu lassen. Denn im Schloß verbarg sich ein Verräter.
Plötzlich erstarrte der Junge. Konnte es nicht vielleicht genau dieser unbekannte Spion des Feindes sein, der sich dort in der Finsternis regte? Hatte der etwa herausgefunden, daß er, Damlo, die Absicht hatte, Tatini zu täuschen? Und stellte er nun ihm eine Falle?
Der Junge zwang sich, tief und langsam zu atmen. Nein, wer auch immer der Verräter war, er konnte nicht wissen, was Damlo im Sinn hatte. Nur Hauptmann Baldrin und Gevan Bedaran selbst waren auf dem laufenden. Außer Ticla natürlich, der Tochter des Regenten. Als er an das Mädchen dachte, spürte Damlo unverzüglich das Lächeln auf seinen Lippen. Doch was den Spion betraf, so würde dieser wohl - falls er wirklich von Damlos Vorhaben oder dem falschen Siegel Kenntnis erlangt hätte - keine Falle im Park vorbereiten, sondern einfach die Verschwörer benachrichtigen.
Was verbarg sich also hier...zwischen den Bäumen? Seit einigen Minuten schien alles völlig ruhig. Keinerlei Bewegung. Keinerlei Geräusch.
Ein Eichhörnchen möglicherweise? Vielleicht zwei oder drei, die sich um ein paar Eicheln stritten, anstatt zu schlafen? Es gab ja viele hier im Park... Nein. Die Geräusche, die Damlo gehört hatte, waren dafür zu laut gewesen - falls seine Einbildungskraft sie nicht maßlos verstärkt hatte. Es wäre wohl kaum das erste Mal, daß ihm seine Phantasie einen Streich spielte - jetzt vermutlich tatkräftig unterstützt von dieser ewigen Angst, der unzertrennlichen und zutiefst verabscheuten Begleiterin seines ganzen Lebens.
Vor Damlo schlängelte sich der Weg ein paar Dutzend Schritte zwischen Bäumen und Sträuchern dahin, ehe er sich gabelte. Der ausgetretenere der beiden Pfade führte nach rechts zu einem Pavillon, der sich zwischen Birken und Holundersträuchern versteckte. Der andere bog nach links ab, wo er erst einen dichten Bestand junger Erlen und Pappeln umrundete und sich dann davon löste, um wieder zu einem Weglein zu werden, das im Gras deutlicher erkennbar war. Dieses führte an älteren und höheren Bäumen entlang bis zu einem der Nebeneingänge des Schloßparks. Dem am wenigsten benutzten...
Eichhörnchen ja oder nein, jetzt mußte er sich sputen, entschied der Junge; Tatini würde nicht mehr lange warten. Die einzige Vorsichtsmaßnahme, die er noch ergreifen konnte, bestand darin, den Pfad zu verlassen und sich zwischen den jungen Erlen und Pappeln durchzukämpfen. Dort war der Boden zwar dicht mit Farnen überwachsen, aber Damlo konnte es auf diese Weise wenigstens vermeiden, in die Nähe des Pavillons zu kommen, wo am ehesten mit der Anwesenheit anderer Personen zu rechnen war - falls sich tatsächlich irgendeine Menschenseele in diesem Teil des Schloßparks aufhielt.
Geschickt sprang der Junge von einer Deckung in die nächste und erreichte so das letzte der Hortensiengebüsche. Von hier aus würde er wohl mit den dünnen Stämmen der Erlen und Pappeln vorliebnehmen müssen, wenn er ein Versteck suchte. Glücklicherweise hatte er seit einer ganzen Weile kein Rascheln mehr gehört, und nichts bewegte sich um ihn herum.
Er bemühte sich, dem hübschen Strauchwerk, das den Boden bedeckte, keinen Schaden zuzufügen, als er in das Dickicht eindrang. Doch kaum hatte er drei Schritte gemacht, vernahm er ein Geräusch aus der Dunkelheit: kurz, rauh und leicht vibrierend - irgend etwas zwischen einem Hustenanfall und dem unvermittelt abbrechenden Knurren eines Tieres.
Damlo erstarrte. Diesmal gab es keinen Zweifel. Atemlos vor Schreck und mit dem Gefühl, sein Herz hüpfe plötzlich zwischen Bauch und Kehle auf und ab, drehte sich der Junge langsam um die eigene Achse, ohne die Sohlen vom Boden zu lösen. Erst dann hob er einen Fuß, um den Rückzug zu beginnen.
Diese Bewegung reichte aus: erneut durchbrach ein dunkles Geräusch, das nichts Gutes verhieß, die Stille. Ein langgezogener Laut diesmal - animalisch, grimmig und wild. Ein bedrohlich, gedehntes Grollen, das sich nach heißem, stinkendem Atem anhörte. Und nach spitzen Zähnen.
Ein Wolf, dachte der Junge und spürte sogleich die Woge von Angst, die ihn überrollte. Den Fuß immer noch in der Luft, zwang er sich zum Stillhalten. Einer der Wölfe des großen Feindes? Wenn sie von Orks geleitet wurden, waren es schreckliche Bestien! Aber nein, unmöglich: Wie hätte der Wolf in einen privaten Schloßpark mitten in der Hauptstadt eindringen können? Andererseits - dieses Knurren...
Halb kopflos vor Angst überlegte Damlo, was er tun sollte.
"Halt ihn doch fest, Idiot!" raunte in diesem Augenblick eine Stimme ganz in der Nähe. Sie klang leicht erstickt, so als wollte der Mann, dem sie gehörte, brüllen und flüstern zugleich.
"Er zieht aber wie verrückt!" entgegnete eine zweite, jüngere Stimme im gleichen raunenden Tonfall.
Diese Stimmen stammten nicht von Orks, stellte Damlo fest: wenigstens etwas!
"Na, klar zieht er!" zischte der erste Mann. "Das tun alle Hunde! Und schrei nicht so!"
Immer noch auf einem Bein stehend, atmete Damlo erleichtert auf. Ein Hund also. Sehr wahrscheinlich einer von den Mastiffs der Wachmannschaften. Und keineswegs ein Wolf... Verdammte Angst, die ihn immer gleich an das Schlimmste denken ließ! Aber dennoch: was tat dieses Tier außerhalb seines Zwingers? Glücklicherweise hielten die beiden es an der Leine; wäre es frei gelaufen, überlegte der Junge, hätte es sich wohl blitzartig auf ihn gestürzt.
"Wird er nicht nach mir schnappen, wenn er merkt, daß ich ihn festhalte?" flüsterte die jüngere Stimme.
"Wie kommst du auf diesen Blödsinn? Und red nicht so laut! Wenn Baldrin uns ertappt..."
Das mußten zwei Wachen sein, sagte sich der Junge. Zwei Soldaten, die den Befehl, in den Unterkünften zu bleiben, mißachtet hatten. Und die auf diese Weise, ohne es zu wissen, die ganze Hegemonie in Gefahr brachten. Denn falls sie ihn, Damlo, entdeckten und durchsuchten, mußten sie auf das Siegel stoßen. Und noch ehe Baldrin ihm aus der Patsche helfen könnte, würde es Tatini gelingen, das echte Siegel in die Hand zu bekommen. Daher durfte er sich auf keinen Fall entdecken lassen!
Tief und furchterregend rollte das Knurren des Mastiffs durch die Stille der Nacht.
Die Finsternis war zwar nicht ganz undurchdringlich, trotzdem stellte sie einen guten Schutz dar, das wußte Damlo; doch wenn es ihm gelang, sich unter den Farnen flach hinzulegen, sollte er noch weniger sichtbar sein!
Das stellte sich jedoch als Irrtum heraus. Unmittelbar nachdem der Junge den hochgehaltenen Fuß auf den Boden gestellt hatte, nahm das Knurren des Hundes deutlich an Lautstärke zu; und kaum beugte er sich zum Farnkraut hinab, verwandelte sich das dumpfe Grollen in wütendes Gebell. Und noch einen Augenblick später riß sich das Tier unter dem ärgerlichen Gefluche der beiden Wachen los.
Abgesehen von den Wölfen, die unter der Kontrolle der Orks standen, fürchtete Damlo die sogenannten "wilden" Tiere nicht - ebensowenig wie die Attacke eines Hundes, den man gar nicht auf ihn gehetzt hatte. Und zwar aus gutem Grund, darauf baute er nun. Doch ist es eine Sache, etwas nur zu wissen, aber eine ganz andere, mitten in der Nacht einer enormen schwarzen, haarigen Masse gegenüberzustehen, die sich mit hochgezogenen Lefzen und gefletschten Zähnen auf einen stürzte!
Die Angst überfiel den Jungen erneut mit unerwarteter Heftigkeit. Er ließ sich in die Farnwedel fallen und kauerte sich hastig zwischen die hervorstehenden Wurzeln einer Pappel. Eine Sekunde später landete der Mastiff auf ihm, und während er Damlo mit den Pfoten zu Boden drückte, packte er ihn mit den Zähnen am Nacken.
Er zog dem Jungen die Mütze vom Kopf, biß aber nicht zu. Ganz im Gegenteil, er hörte auch mit dem Knurren und Bellen auf; einen Moment lang beschnüffelte er Damlo noch und sabberte ihm den Haaransatz voll, doch dann hob er den Kopf, ließ von ihm ab und zog sich gleichgültig ein paar Schritte zurück - offenbar wollte er so tun, als wäre eigentlich gar nichts passiert.
Eine Sekunde später tauchten die Wachen aus der Dunkelheit auf und stürzten auf das Tier zu. Der - nach seiner Stimme zu urteilen - ältere der beiden Männer schickte einen Fluch zum Himmel, der wohl als eine Art Danksagung an seine Götter gedacht war.
"Du bist wirklich ein Idiot!" raunte er nun seinem Kameraden zu. "Warum hast du ihn nur losgelassen?"
"Die Leine hat mir fast die Finger abgeschnitten!"
"Ich hätte wirklich nicht auf deine Schwester hören sollen. Die Arbeit mit den Hunden ist kein Kinderspiel."
Unter halblautem Gemurmel stapften die beiden weiter, nur wenige Zoll von jener Stelle entfernt, wo Damlo unter den Farnen lag, und einmal setzte ein Stiefelabsatz knapp vor seinem Gesicht auf. Hoffentlich kitzelt mich der Staub nicht in der Nase, dachte der Junge. Ein komischer Gedanke, daß die Hegemonie an einem Niesen zerbrechen könnte! Oder so komisch nun auch wieder nicht...
"Warum hat er denn so gezogen?" fragte der jüngere der beiden Soldaten den anderen und blieb stehen.
"Sprich doch leiser! Er wird ein Eichhörnchen gehört haben. Es gibt ja viele hier im Park."
"Oder vielleicht das Äffchen der kleinen Bedaran?"
"Vielleicht. Na, jedenfalls muß es schon weit weg sein."
"Woher weißt du das?"
"Wenn es irgendwo in der Nähe herumgelaufen wäre, hätte Knurro es längst erwischt und würde es schon zerfleischen. Er hätte sich nicht wieder einfangen lassen. Das sind Dinge, die müssen dir blitzartig klar sein, wenn du mit Hunden arbeiten willst."
"Da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt..."
"Bedank dich bei den schönen Augen deiner Schwester und halt den Mund. Außerdem, hör mal, für heute reicht's mit dem Unterricht. Gehen wir zurück in die Kaserne."
"Schade", schmollte der Jüngere, während die beiden langsam weitergingen, "wäre so 'ne gute Gelegenheit, da doch niemand unterwegs ist!"
"So merkst du dir wenigstens, daß man den Hund nicht losläßt, wenn er zieht!"
"Aber die Leine hat mir ins Fleisch geschnitten!"
"Daran mußt du dich gewöhnen. Nächstes Mal zieh dir Handschuhe an."
Langsam entfernte sich das Gemurmel, und das Rascheln der Schritte verklang. Erst jetzt hob Damlo den Kopf und ging daran, sich die Geiferreste vom Nacken zu wischen. Verdammte Haare, dachte er, während er sich immer wieder mit den Fingern durch die nassen Strähnen fuhr. Wie er diesen dichten Pagenkopf in der Farbe schlummernder Glut verabscheute! Das sonderbare Rot hatte ihm schon in Waelton, seinem Heimatort, nur Feindseligkeit eingebracht. Es bedeute Unglück, sagten die Dorfbewohner, und tatsächlich litten alle Kinder, die mit solchen Haaren zur Welt kamen, unter entsetzlichen Krampfanfällen und starben für gewöhnlich, noch ehe sie neun Jahre alt waren. Er, Damlo, war seit Menschengedenken der erste Junge, der länger überlebt hatte. Auch wenn er weiterhin unter diesen Anfällen litt. "Damlo, der Rote", nannten sie ihn im Dorf. Und gingen ihm aus dem Weg.
Wenn sie bloß wüßten, was er mittlerweile herausgefunden hatte...
Nicht zufällig hatte der Mastiff so getan, als wäre der Junge Luft; bei den Waeltonern machten es alle wilden Tiere so. Andererseits - wie sollte sich ein Tier verhalten, wenn sich das, was es für eine leichte Beute gehalten hatte, als halber Drache herausstellte?
Der Junge stand auf und setzte mit möglichst lautlosen Schritten seinen Weg fort. Wie all die anderen ahnungslosen Waeltoner stammte auch er von der Drachin Kaxalandrill ab, die zu ihrer Zeit wohl das letzte Exemplar ihrer Art gewesen war. Vor mehr als tausend Jahren, so berichtete die Legende, hatte sich die Drachin in einen Menschenmann namens Maspo Gemmalampo verliebt und durch einen Zauber in eine Menschenfrau verwandelt. Zusammen hatten die beiden dann Waelton gegründet.
Damlo erschauerte. In den Adern der "Roten" rann mehr Drachenblut als in jenen der anderen Waeltoner - und das war die Ursache der Krampfanfälle: Während der ersten Lebensjahre des Kindes schlief das Ungeheuer noch - so stellte sich der Junge die Sache jedenfalls vor. Doch dann erwachte es, und weil es sich in einem Körper fand, den es nicht als seinen eigenen erkannte, versuchte es, daraus auszubrechen. Doch aus sich selbst auszubrechen, das ging eben nicht, und so endete dieser Kampf immer mit dem Tod.
In ihm hingegen, Damlo, existierte im Unterschied zu den anderen "Roten" ein ganz besonderes Gleichgewicht - unsicher zwar, aber ausreichend, um es gar nicht erst zu einem ernsthaften Kampf kommen zu lassen - ihn am Auflodern zu hindern, sobald er sich abzeichnete. So als ob das Ungeheuer in seinem Inneren beschlossen hätte, noch eine Zeitlang zu schlafen. Und wenn dieser Zustand weiter andauerte, Jahre vielleicht, dann sollte der Drache bei seinem Erwachen wohl reif genug sein, um zu begreifen, daß er keinen Kampf beginnen durfte. Und nur in diesem Fall würden sie beide überleben.
Plötzlich hoben sich in der Finsternis die vagen Umrisse des Seiteneinganges ab. Der Augenblick war gekommen, an Tatini und das falsche Siegel zu denken. Damlo schlich sich an die schweren Türflügel heran und lugte zwischen den Stäben des kleinen Gitters, das als Guckloch diente, nach draußen. Sein Blick fiel auf die Reihe von Pappeln am Rande der Wiese, drüben, auf der anderen Seite der sauber gefegten Straße. Von dem Meistereinbrecher jedoch keine Spur.
"Er wird sich versteckt halten", murmelte der Junge vor sich hin.
Er packte den Riegel und bemerkte verblüfft, daß er sich problemlos heben ließ. Irgend jemand mußte ihn geölt haben, gewiß auf Baldrins Geheiß. Ein kluger Kopf, der Hauptmann. Auch die Angeln waren gefettet, und so schwang das Tor völlig lautlos auf.
So spitzte er die Ohren...doch außer dem gluckernden Murmeln des Baches hörte er nichts. Vielleicht weil ihm der Herzschlag so laut in den Ohren hämmerte... Ruhig Blut! versuchte er sich zu beschwichtigen: Niemand kann da sein! Es war alles gut organisiert, und dieser Teil des Parks schien völlig verlassen. Wieder holte er tief Atem. Doch dann schüttelte er den Kopf. Unsinn! Er hatte nicht nur eine undeutliche Bewegung wahrgenommen, sondern auch etwas gehört: ein merkwürdig unbekümmert wirkendes Geräusch - wie von einem großen Tier, das durch die Dunkelheit trampelte, ohne Rücksicht auf das Knacken und Rascheln, das es verursachte. Und dann war da noch dieses leise Raunen gewesen - wie von menschlichen Stimmen...
Doch die Wachmannschaften befanden sich in der Kaserne, und große Tiere beherbergte der Park, der hoch über der Hauptstadt der Hegemonie lag, nicht. Abgesehen natürlich von den zähnefletschenden Mastiffs der Wachen. Aber an diesem Abend waren ja auch sie weggesperrt.
Damlo lauschte erneut in die Dunkelheit. Jetzt schien alles so, wie es sein sollte. Er hob die Schultern: Wie auch immer, hier konnte er nicht bleiben. Wenn er nicht zu seiner Verabredung auftauchte, mochte sich Tatini unter Umständen zu irgendeiner Dummheit hinreißen lassen. Zum Beispiel dazu, selbst in das Schloß einzusteigen. Nicht umsonst wurde er als der beste Einbrecher von ganz Eria betrachtet.
Ohne sich dessen bewußt zu sein, strich Damlo mit der Hand über das kleine Bündel, das er unter dem Hemd stecken hatte. Tatinis Plan hätte vorgesehen, das echte Siegel des Zanter zu stehlen; das jedoch durfte nicht in die Hände von Tatinis Auftraggeber fallen, sondern nur das falsche - die Kopie, die er, Damlo, mit einem Erkennungszeichen versehen hatte. Wieder tastete er unter dem Stoff danach.
Die Verschwörer beabsichtigten, bestimmte Papiere zu fälschen, um Gevan Bedaran, den Regenten, in Mißkredit zu bringen und die Regierung zu stürzen. Und dann, wenn in der Hegemonie Chaos herrschte, gedachten sie, die Macht ungehindert an sich zu reißen. Ein ausgeklügelter Plan, der - wenn er, Damlo, ihn nicht durchschaut hätte - gewiß leicht zu verwirklichen gewesen wäre. Und der, vernünftig betrachtet, immer noch Erfolg haben konnte. Vorausgesetzt, daß Tatini, der von all diesen Hintergründen nichts ahnte, seinem Auftraggeber das echte Siegel beschaffte. Und deshalb mußte er, Damlo, unbedingt zu diesem kleinen Seitentor in der Mauer gelangen - in aller Eile und ohne sich entdecken zu lassen. Denn im Schloß verbarg sich ein Verräter.
Plötzlich erstarrte der Junge. Konnte es nicht vielleicht genau dieser unbekannte Spion des Feindes sein, der sich dort in der Finsternis regte? Hatte der etwa herausgefunden, daß er, Damlo, die Absicht hatte, Tatini zu täuschen? Und stellte er nun ihm eine Falle?
Der Junge zwang sich, tief und langsam zu atmen. Nein, wer auch immer der Verräter war, er konnte nicht wissen, was Damlo im Sinn hatte. Nur Hauptmann Baldrin und Gevan Bedaran selbst waren auf dem laufenden. Außer Ticla natürlich, der Tochter des Regenten. Als er an das Mädchen dachte, spürte Damlo unverzüglich das Lächeln auf seinen Lippen. Doch was den Spion betraf, so würde dieser wohl - falls er wirklich von Damlos Vorhaben oder dem falschen Siegel Kenntnis erlangt hätte - keine Falle im Park vorbereiten, sondern einfach die Verschwörer benachrichtigen.
Was verbarg sich also hier...zwischen den Bäumen? Seit einigen Minuten schien alles völlig ruhig. Keinerlei Bewegung. Keinerlei Geräusch.
Ein Eichhörnchen möglicherweise? Vielleicht zwei oder drei, die sich um ein paar Eicheln stritten, anstatt zu schlafen? Es gab ja viele hier im Park... Nein. Die Geräusche, die Damlo gehört hatte, waren dafür zu laut gewesen - falls seine Einbildungskraft sie nicht maßlos verstärkt hatte. Es wäre wohl kaum das erste Mal, daß ihm seine Phantasie einen Streich spielte - jetzt vermutlich tatkräftig unterstützt von dieser ewigen Angst, der unzertrennlichen und zutiefst verabscheuten Begleiterin seines ganzen Lebens.
Vor Damlo schlängelte sich der Weg ein paar Dutzend Schritte zwischen Bäumen und Sträuchern dahin, ehe er sich gabelte. Der ausgetretenere der beiden Pfade führte nach rechts zu einem Pavillon, der sich zwischen Birken und Holundersträuchern versteckte. Der andere bog nach links ab, wo er erst einen dichten Bestand junger Erlen und Pappeln umrundete und sich dann davon löste, um wieder zu einem Weglein zu werden, das im Gras deutlicher erkennbar war. Dieses führte an älteren und höheren Bäumen entlang bis zu einem der Nebeneingänge des Schloßparks. Dem am wenigsten benutzten...
Eichhörnchen ja oder nein, jetzt mußte er sich sputen, entschied der Junge; Tatini würde nicht mehr lange warten. Die einzige Vorsichtsmaßnahme, die er noch ergreifen konnte, bestand darin, den Pfad zu verlassen und sich zwischen den jungen Erlen und Pappeln durchzukämpfen. Dort war der Boden zwar dicht mit Farnen überwachsen, aber Damlo konnte es auf diese Weise wenigstens vermeiden, in die Nähe des Pavillons zu kommen, wo am ehesten mit der Anwesenheit anderer Personen zu rechnen war - falls sich tatsächlich irgendeine Menschenseele in diesem Teil des Schloßparks aufhielt.
Geschickt sprang der Junge von einer Deckung in die nächste und erreichte so das letzte der Hortensiengebüsche. Von hier aus würde er wohl mit den dünnen Stämmen der Erlen und Pappeln vorliebnehmen müssen, wenn er ein Versteck suchte. Glücklicherweise hatte er seit einer ganzen Weile kein Rascheln mehr gehört, und nichts bewegte sich um ihn herum.
Er bemühte sich, dem hübschen Strauchwerk, das den Boden bedeckte, keinen Schaden zuzufügen, als er in das Dickicht eindrang. Doch kaum hatte er drei Schritte gemacht, vernahm er ein Geräusch aus der Dunkelheit: kurz, rauh und leicht vibrierend - irgend etwas zwischen einem Hustenanfall und dem unvermittelt abbrechenden Knurren eines Tieres.
Damlo erstarrte. Diesmal gab es keinen Zweifel. Atemlos vor Schreck und mit dem Gefühl, sein Herz hüpfe plötzlich zwischen Bauch und Kehle auf und ab, drehte sich der Junge langsam um die eigene Achse, ohne die Sohlen vom Boden zu lösen. Erst dann hob er einen Fuß, um den Rückzug zu beginnen.
Diese Bewegung reichte aus: erneut durchbrach ein dunkles Geräusch, das nichts Gutes verhieß, die Stille. Ein langgezogener Laut diesmal - animalisch, grimmig und wild. Ein bedrohlich, gedehntes Grollen, das sich nach heißem, stinkendem Atem anhörte. Und nach spitzen Zähnen.
Ein Wolf, dachte der Junge und spürte sogleich die Woge von Angst, die ihn überrollte. Den Fuß immer noch in der Luft, zwang er sich zum Stillhalten. Einer der Wölfe des großen Feindes? Wenn sie von Orks geleitet wurden, waren es schreckliche Bestien! Aber nein, unmöglich: Wie hätte der Wolf in einen privaten Schloßpark mitten in der Hauptstadt eindringen können? Andererseits - dieses Knurren...
Halb kopflos vor Angst überlegte Damlo, was er tun sollte.
"Halt ihn doch fest, Idiot!" raunte in diesem Augenblick eine Stimme ganz in der Nähe. Sie klang leicht erstickt, so als wollte der Mann, dem sie gehörte, brüllen und flüstern zugleich.
"Er zieht aber wie verrückt!" entgegnete eine zweite, jüngere Stimme im gleichen raunenden Tonfall.
Diese Stimmen stammten nicht von Orks, stellte Damlo fest: wenigstens etwas!
"Na, klar zieht er!" zischte der erste Mann. "Das tun alle Hunde! Und schrei nicht so!"
Immer noch auf einem Bein stehend, atmete Damlo erleichtert auf. Ein Hund also. Sehr wahrscheinlich einer von den Mastiffs der Wachmannschaften. Und keineswegs ein Wolf... Verdammte Angst, die ihn immer gleich an das Schlimmste denken ließ! Aber dennoch: was tat dieses Tier außerhalb seines Zwingers? Glücklicherweise hielten die beiden es an der Leine; wäre es frei gelaufen, überlegte der Junge, hätte es sich wohl blitzartig auf ihn gestürzt.
"Wird er nicht nach mir schnappen, wenn er merkt, daß ich ihn festhalte?" flüsterte die jüngere Stimme.
"Wie kommst du auf diesen Blödsinn? Und red nicht so laut! Wenn Baldrin uns ertappt..."
Das mußten zwei Wachen sein, sagte sich der Junge. Zwei Soldaten, die den Befehl, in den Unterkünften zu bleiben, mißachtet hatten. Und die auf diese Weise, ohne es zu wissen, die ganze Hegemonie in Gefahr brachten. Denn falls sie ihn, Damlo, entdeckten und durchsuchten, mußten sie auf das Siegel stoßen. Und noch ehe Baldrin ihm aus der Patsche helfen könnte, würde es Tatini gelingen, das echte Siegel in die Hand zu bekommen. Daher durfte er sich auf keinen Fall entdecken lassen!
Tief und furchterregend rollte das Knurren des Mastiffs durch die Stille der Nacht.
Die Finsternis war zwar nicht ganz undurchdringlich, trotzdem stellte sie einen guten Schutz dar, das wußte Damlo; doch wenn es ihm gelang, sich unter den Farnen flach hinzulegen, sollte er noch weniger sichtbar sein!
Das stellte sich jedoch als Irrtum heraus. Unmittelbar nachdem der Junge den hochgehaltenen Fuß auf den Boden gestellt hatte, nahm das Knurren des Hundes deutlich an Lautstärke zu; und kaum beugte er sich zum Farnkraut hinab, verwandelte sich das dumpfe Grollen in wütendes Gebell. Und noch einen Augenblick später riß sich das Tier unter dem ärgerlichen Gefluche der beiden Wachen los.
Abgesehen von den Wölfen, die unter der Kontrolle der Orks standen, fürchtete Damlo die sogenannten "wilden" Tiere nicht - ebensowenig wie die Attacke eines Hundes, den man gar nicht auf ihn gehetzt hatte. Und zwar aus gutem Grund, darauf baute er nun. Doch ist es eine Sache, etwas nur zu wissen, aber eine ganz andere, mitten in der Nacht einer enormen schwarzen, haarigen Masse gegenüberzustehen, die sich mit hochgezogenen Lefzen und gefletschten Zähnen auf einen stürzte!
Die Angst überfiel den Jungen erneut mit unerwarteter Heftigkeit. Er ließ sich in die Farnwedel fallen und kauerte sich hastig zwischen die hervorstehenden Wurzeln einer Pappel. Eine Sekunde später landete der Mastiff auf ihm, und während er Damlo mit den Pfoten zu Boden drückte, packte er ihn mit den Zähnen am Nacken.
Er zog dem Jungen die Mütze vom Kopf, biß aber nicht zu. Ganz im Gegenteil, er hörte auch mit dem Knurren und Bellen auf; einen Moment lang beschnüffelte er Damlo noch und sabberte ihm den Haaransatz voll, doch dann hob er den Kopf, ließ von ihm ab und zog sich gleichgültig ein paar Schritte zurück - offenbar wollte er so tun, als wäre eigentlich gar nichts passiert.
Eine Sekunde später tauchten die Wachen aus der Dunkelheit auf und stürzten auf das Tier zu. Der - nach seiner Stimme zu urteilen - ältere der beiden Männer schickte einen Fluch zum Himmel, der wohl als eine Art Danksagung an seine Götter gedacht war.
"Du bist wirklich ein Idiot!" raunte er nun seinem Kameraden zu. "Warum hast du ihn nur losgelassen?"
"Die Leine hat mir fast die Finger abgeschnitten!"
"Ich hätte wirklich nicht auf deine Schwester hören sollen. Die Arbeit mit den Hunden ist kein Kinderspiel."
Unter halblautem Gemurmel stapften die beiden weiter, nur wenige Zoll von jener Stelle entfernt, wo Damlo unter den Farnen lag, und einmal setzte ein Stiefelabsatz knapp vor seinem Gesicht auf. Hoffentlich kitzelt mich der Staub nicht in der Nase, dachte der Junge. Ein komischer Gedanke, daß die Hegemonie an einem Niesen zerbrechen könnte! Oder so komisch nun auch wieder nicht...
"Warum hat er denn so gezogen?" fragte der jüngere der beiden Soldaten den anderen und blieb stehen.
"Sprich doch leiser! Er wird ein Eichhörnchen gehört haben. Es gibt ja viele hier im Park."
"Oder vielleicht das Äffchen der kleinen Bedaran?"
"Vielleicht. Na, jedenfalls muß es schon weit weg sein."
"Woher weißt du das?"
"Wenn es irgendwo in der Nähe herumgelaufen wäre, hätte Knurro es längst erwischt und würde es schon zerfleischen. Er hätte sich nicht wieder einfangen lassen. Das sind Dinge, die müssen dir blitzartig klar sein, wenn du mit Hunden arbeiten willst."
"Da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt..."
"Bedank dich bei den schönen Augen deiner Schwester und halt den Mund. Außerdem, hör mal, für heute reicht's mit dem Unterricht. Gehen wir zurück in die Kaserne."
"Schade", schmollte der Jüngere, während die beiden langsam weitergingen, "wäre so 'ne gute Gelegenheit, da doch niemand unterwegs ist!"
"So merkst du dir wenigstens, daß man den Hund nicht losläßt, wenn er zieht!"
"Aber die Leine hat mir ins Fleisch geschnitten!"
"Daran mußt du dich gewöhnen. Nächstes Mal zieh dir Handschuhe an."
Langsam entfernte sich das Gemurmel, und das Rascheln der Schritte verklang. Erst jetzt hob Damlo den Kopf und ging daran, sich die Geiferreste vom Nacken zu wischen. Verdammte Haare, dachte er, während er sich immer wieder mit den Fingern durch die nassen Strähnen fuhr. Wie er diesen dichten Pagenkopf in der Farbe schlummernder Glut verabscheute! Das sonderbare Rot hatte ihm schon in Waelton, seinem Heimatort, nur Feindseligkeit eingebracht. Es bedeute Unglück, sagten die Dorfbewohner, und tatsächlich litten alle Kinder, die mit solchen Haaren zur Welt kamen, unter entsetzlichen Krampfanfällen und starben für gewöhnlich, noch ehe sie neun Jahre alt waren. Er, Damlo, war seit Menschengedenken der erste Junge, der länger überlebt hatte. Auch wenn er weiterhin unter diesen Anfällen litt. "Damlo, der Rote", nannten sie ihn im Dorf. Und gingen ihm aus dem Weg.
Wenn sie bloß wüßten, was er mittlerweile herausgefunden hatte...
Nicht zufällig hatte der Mastiff so getan, als wäre der Junge Luft; bei den Waeltonern machten es alle wilden Tiere so. Andererseits - wie sollte sich ein Tier verhalten, wenn sich das, was es für eine leichte Beute gehalten hatte, als halber Drache herausstellte?
Der Junge stand auf und setzte mit möglichst lautlosen Schritten seinen Weg fort. Wie all die anderen ahnungslosen Waeltoner stammte auch er von der Drachin Kaxalandrill ab, die zu ihrer Zeit wohl das letzte Exemplar ihrer Art gewesen war. Vor mehr als tausend Jahren, so berichtete die Legende, hatte sich die Drachin in einen Menschenmann namens Maspo Gemmalampo verliebt und durch einen Zauber in eine Menschenfrau verwandelt. Zusammen hatten die beiden dann Waelton gegründet.
Damlo erschauerte. In den Adern der "Roten" rann mehr Drachenblut als in jenen der anderen Waeltoner - und das war die Ursache der Krampfanfälle: Während der ersten Lebensjahre des Kindes schlief das Ungeheuer noch - so stellte sich der Junge die Sache jedenfalls vor. Doch dann erwachte es, und weil es sich in einem Körper fand, den es nicht als seinen eigenen erkannte, versuchte es, daraus auszubrechen. Doch aus sich selbst auszubrechen, das ging eben nicht, und so endete dieser Kampf immer mit dem Tod.
In ihm hingegen, Damlo, existierte im Unterschied zu den anderen "Roten" ein ganz besonderes Gleichgewicht - unsicher zwar, aber ausreichend, um es gar nicht erst zu einem ernsthaften Kampf kommen zu lassen - ihn am Auflodern zu hindern, sobald er sich abzeichnete. So als ob das Ungeheuer in seinem Inneren beschlossen hätte, noch eine Zeitlang zu schlafen. Und wenn dieser Zustand weiter andauerte, Jahre vielleicht, dann sollte der Drache bei seinem Erwachen wohl reif genug sein, um zu begreifen, daß er keinen Kampf beginnen durfte. Und nur in diesem Fall würden sie beide überleben.
Plötzlich hoben sich in der Finsternis die vagen Umrisse des Seiteneinganges ab. Der Augenblick war gekommen, an Tatini und das falsche Siegel zu denken. Damlo schlich sich an die schweren Türflügel heran und lugte zwischen den Stäben des kleinen Gitters, das als Guckloch diente, nach draußen. Sein Blick fiel auf die Reihe von Pappeln am Rande der Wiese, drüben, auf der anderen Seite der sauber gefegten Straße. Von dem Meistereinbrecher jedoch keine Spur.
"Er wird sich versteckt halten", murmelte der Junge vor sich hin.
Er packte den Riegel und bemerkte verblüfft, daß er sich problemlos heben ließ. Irgend jemand mußte ihn geölt haben, gewiß auf Baldrins Geheiß. Ein kluger Kopf, der Hauptmann. Auch die Angeln waren gefettet, und so schwang das Tor völlig lautlos auf.
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Autoren-Porträt von Luca Trugenberger
Luca Trugenberger, geboren 1955, ist Sohn eines Schweizers und einer Sizilianerin. Er studierte Medizin und war lange Jahre Schauspieler. In seinem »Verlangen nach tieferem Wissen um die Beschaffenheit der menschlichen Seele« beschloß er, Fantasy-Romane zu schreiben. Sein Erstling »Il risveglio dell'Ombra« wurde aus dem Stand heraus ein großer Erfolg. Luca Trugenberger lebt als Psychotherapeut in Rom.
Bibliographische Angaben
- Autor: Luca Trugenberger
- 2008, 350 Seiten, Maße: 12,1 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Italien. v. Biggy Winter
- Übersetzer: Biggy Winter
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492266533
- ISBN-13: 9783492266536
Rezension zu „Der Angriff der Schatten “
»Ein literarisches Ereignis!« La Repubblica
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