Der Fall Deutschland
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Der FallDeutschland von Stefan Aust,Claus Richter und Gabor Steingart
LESEPROBE
Als am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation derDeutschen der Krieg in Europa zu Ende geht, bedeutet das für viele Familien indem besiegten Land nicht nur die wachsende Einsicht in den totalen moralischenRuin. Auch die wirtschaftliche Basis ist für Millionen verloren. Der Bombenkrieghat unzählige Wohnungen zerstört, die Sparguthaben sind entwertet und den ausOst- oder Westpreußen Vertriebenen bleibt bisweilen nur das, was sie am Körpertragen. »Lucky Strike oder »Camel Zigaretten ersetzen die Reichsmark alsalltägliche Währung. Die Besatzungsmächte verfolgen in der Behandlung dergeschlagenen Herrenmenschen keine einheitliche Linie. Bei dem NürnbergerProzess arbeiten Amerikaner, Sowjets, Briten und Franzosen noch halbwegszusammen - doch die Vorstellungen über die Zukunft des unheimlichen Landes, dasEuropa und die Welt zweimal in zwei Generationen mit Krieg überzogen hat, gehenauseinander. Die Sowjets demontieren eifrig und installieren in ihrer Zonepolitische Strukturen, die häufig bürgerlich camoufliert, immer aber von denKommunisten kontrolliert sind. Amerikaner und Briten bilden aus ihrenBesatzungsgebieten eine »Bizone Im Windschatten der Westmächte bildet sichlangsam wieder eine Parteienlandschaft; die SPD wird nach zwölf Jahren Verbotaktiv, bürgerliche Christen gründen die CDU und CSU, die Liberalen nennen sichbald FDP. Eine freie Presse entsteht. Die kann zunächst darüber berichten, dassdie Bewohner der einst stärksten europäischen Wirtschaftsmacht ihre Existenzunter archaischen Bedingungen fristen müssen. Im Hungerwinter 1946/47 sterbentausende entkräfteter Menschen; der Lebensunterhalt wird meist nicht verdient,sondern »organisiert». Gute Kontakte, versetzbarer Besitz oder enge Freundeauf dem Land sind für die Aufbesserung der kargen Rationen entscheidender als einGehalt. Der Schwarzmarkt liefert die Indizes für den Marktwert von Waren - undein gutes Training für die Cleversten.
Helmut Schmidt
HelmutSchmidt erlebt den Krieg als Soldat, 1945 gerät er als Oberleutnant inbritische Kriegsgefangenschaft. Ende 1945 beginnt er ein Studium derStaatswissenschaft und Volkswirtschaft in Hamburg und wird 1946 Mitglied derSPD
Bei Endedes Krieges war ich in englischer Gefangenschaft in Belgien und saß unterfreiem Himmel auf nacktem Erdboden. Das heißt, ich habe nicht miterlebt, washier in Deutschland geschehen ist. Als ich nach Deutschland zurückkam, bin ichmorgens immer erst mal aus den Latschen gekippt, weil ich völlig kraftlos war.Ich wurde fast jeden Morgen ohnmächtig und habe dann gelernt, langsamaufzustehen. Das Entscheidende damals war, dass man genug zu essen bekam ... bekamman aber nicht. Ich erinnere mich an einen Tag im Frühjahr 1946, als meineFrau und ich buchstäblich nichts zu essen hatten und des Hungers wegen nichtnur nachts, sondern auch tagsüber im Bett geblieben sind, weil das am wenigstenKraft kostete.
Meine Frauund ich hatten bereits 1942 geheiratet - ich war Soldat, und man wusste janicht, ob man den Krieg lebendig überstehen würde. Und nach dem Kriege, als wirwider Erwarten in Hunger und Trümmern uns wieder fanden, war zunächst dasWichtigste, zu essen zu bekommen und Holz zu stehlen und Kohlen zu klauen unddie Bildung nachzuholen, die in der Nazi-Zeit und während das Krieges sehrvernachlässigt worden war. Ich kann mich gut erinnern, ich habe mich Ende 1945an der Hamburger Universität einschreiben lassen. Ich war immerhin acht Jahrelang Wehrpflichtsoldat gewesen - es fiel dem Soldaten nicht ganz leicht, dieProfessoren wirklich ernst zu nehmen, einige spielten sich ein bisschen auf.Darüber habe ich großzügig aber spöttisch hinweggesehen. Wohl aber habe ich dasLesen und die bis dahin versäumte Bildung nachgeholt.
Richard von Weizsäcker
Richardvon Weizsäcker wird während des Krieges mehrfach verwundet. Nach Kriegsendestudiert er Jura und Geschichte in Göttingen
Ich wardarauf aus, mein Studium wieder aufzunehmen, nachdem ich sieben Jahre langSoldat gewesen war. Meine Eltern waren nicht in Deutschland. Ich war zur Genesungvon meiner Verwundung bei meiner Schwester gelandet, die ihren Mann im Kriegverloren hatte. Vorher hatte sie ihre ostpreußische Heimat verlassen müssen mitihren Kindern. Mit anderen Worten, es war das leidvolle Schicksal vielerFamilien, das auch unsere Familie betraf. Meinerseits habe ich dann das Glück gehabt,wieder als Student zugelassen zu werden an der ersten der beiden Universitäten,die gleich nach dem Krieg wieder aufmachten, das war in Göttingen im Wintersemester1945/46.
Wir nahmendas Studium wirklich mit Hunger und Wissbegierde auf, nachdem man zuvor diesephysisch schweren, moralisch unerträglichen und geistig spröden Zeiten erlebthatte. Ich begann ein juristisches Studium, habe aber mehr Vorlesungen aus demBereich Geschichte und Theologie gehört. Wir waren ausgetrocknete Schwämmeund dankbar dafür, nun endlich etwas nachholen zu können. Auf der einen Seitewaren wir noch unreif, weil wir so wenig gelernt hatten, auf deranderen Seite aber in einem menschlichen Sinne eher reifer, als normalerweisejunge Studenten sind. Wir waren ja auch schon Mitte oder Ende zwanzig. Die Lebensbedingungenwaren recht schlicht. Ich weiß noch, im ersten oder zweiten Wintersemester,wenn ich aus der Universität in meine möblierte Bude kam, legte ich mich zumLesen und Schreiben ins Bett. Es gab keine Heizung, nur im Bett war es warm.
Klaus von Dohnanyi
Klausvon Dohnanyi verliert im April 1945 seinen Vater. Hans von Dohnanyi wird vonden Nazis hingerichtet. 1946 nimmt der Sohn in München sein Studium auf
Sie konnten in keinem Hörsaal Platz finden. Viele Studentensaßen irgendwo auf den Treppen draußen, es gab aber keine richtigen Lautsprecher,und man konnte den Professor kaum hören. So ging man denn etwas früher in dieVorlesung und hat sich viele Papiere besorgt, um zu Hause zu lernen. Ich habetrotzdem während meiner Studienzeit viel gemalt, gebildhauert und bin viel ins Theatergegangen. In der Oper habe ich unter Georg Solti als Komparse gearbeitet, umein paar Mark hinzu zu verdienen.
Man hat gelebt von selbstgemahlener Grütze aus Weizenkörnern,die man sich irgendwo auf dem Lande organisiert hat. Die hat man dann aufeinem Holzofen gekocht und bald in eine Kochkiste gestellt, damit man nicht so vielHolz verbrauchen würde. Denn in der Kochkiste, die mit Watte und solchen Dingenausgefüllt war, da kocht das von alleine weiter, das ist eine erstaunlicheSache.
Ich habe manches möglicherweise gar nicht so wahrgenommen,weil ich mein Studium schnell absolvieren und nach Amerika gehen wollte. Ichhatte auch diese schrecklichen Erinnerungen an die Nazizeit, ich wollte dashinter mich bringen, ich wollte raus. Ja, ich erinnere mich an einigeDiskussionen über die Rolle meines Vaters und Äußerungen von Kriegsteilnehmern,die dafür kein Verständnis hatten, obwohl sie ja wegen Hitler fast ihr Lebenverloren hätten oder schon ein Bein. Es waren viele Kriegsversehrte dabei. Aberich kann mich nicht an viele Debatten über den Krieg erinnern: Wenn man jungist, sieht man nicht auf die Vergangenheit, man schaut auf die Zukunft.
© Piper Verlag, München 2005
- Autoren: Stefan Aust , Claus Richter , Gabor Steingart
- 2005, 2. Aufl., 279 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: Ziemann, Matthias
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492048315
- ISBN-13: 9783492048316
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