Der freie Wille und andere Illusionen

"Ein Meisterstück der Schöpfung", schrieb Ende des 18. Jahrhunderts der Göttinger Physikprofessor Georg Christoph Lichtenberg in eines seiner Sudelbücher, "ist der Mensch auch schon deswegen, daß er bei allem Determinismus glaubt, er agiere als freies Wesen". Der vorliegende Text leitet aus Erkenntnissen der Neurobiologie, der Verhaltensforschung und der Evolutionsbiologie ab, wie dieses Meisterwerk aus naturwissenschaftlicher Sicht funktioniert. Ein anschauliches Modell zeigt, wie unser Verhalten gesteuert wird und warum wir uns Vorstellungen über unsere Verhaltenssteuerung wie die eines freien Willens machen. Vorstellungen, die aus Sicht der Naturwissenschaften Täuschungen und Irreführungen sind. Diese Illusionen, auch darauf weist dieser fachübergreifende naturwissenschaftliche Blick auf unsere Verhaltenssteuerung hin, lenken das Zusammenleben in überschaubaren und relativ autonomen Gruppen optimal. So führt beispielsweise die Vorstellung der Willensfreiheit zu Lernprozessen, die es ohne sie in dieser Effektivität nicht geben würde. In modernen Massengesellschaften dagegen wirken sich unsere Illusionen nicht nur positiv aus. Dort könnten durch eine gewisse Desillusionierung die Bedürfnisse der Menschen insgesamt besser befriedigt werden, als dies bei dem heutigen Umfang der verhaltenssteuernden Illusionen der Fall ist. Tendenzen zu einer solchen Desillusionierung sind erkennbar. Überlegungen darüber, wie ein zweckmäßiger Gebrauch der Illusionen erreicht werden könnte, schließen die Arbeit ab.