Der Freitag NACH DEM Freitag nach dem SONNTAG
Als Mängelexemplar
Der Freitag nach dem Freitag nachdem Sonntag von Clare Sambrook
LESEPROBE
DieErwachsenen stellten Nachforschungen an, wie es dazu kommen konnte, dass einKind verschwand, nannten aber keine Namen, wie sie es tun, wenn Kinder etwasausfressen. Sie sprachen von einem ganzen «Katalog von Fehlern», als kämendiese mit der Post und müssten irgendwann später bezahlt werden.
Ich habemir meine eigenen Gedanken gemacht. Für mich war der Fahrer schuld und dann, inunterschiedlicher Reihenfolge, je nachdem, wie ich mich gerade fühlte: Mr. Plapp - ja, so hieß der wirklich -, der lustigste Lehrer anunserer Schule, der so relaxed war, dass er sichnicht die Mühe machte, im Bus durchzuzählen.
Mein BruderDaniel Pickles, fast fünf, obwohl man ihn leicht für jünger gehalten hätte, sowie er sich manchmal aufführte.
Dansunsichtbarer Freund Biffo.
Und ichselbst, Harry Pickles, in jenem Sommer etwas über neun Jahre alt.
Jetzt, wogenügend Zeit verstrichen ist, dass ich darüber reden kann, scheint es mirrichtig, nicht mit der Busfahrt zu beginnen und dem Tag, an dem alles schieflief, sondern mit dem Tag davor, an dem meine Tante Joan Otis geheiratet hat,was, wie die Leute dauernd sagten, der Beginn von etwas Wunderbarem war.
Ich muss anmeine Mum denken, wie sie in ihrem knallengen Silberkleiddie Treppe hinuntergestapft kam.
«Was machstdu da?»
Ich saß aufDaniels Gesicht. Es war offensichtlich, was ich da machte. Ich tat so, als wäreMo nicht da, und ließ noch einen fahren.
«Boah», sagte Daniel.
«Harry! Dasist ekelhaft!» Wenn sie sauer war, klang sie immer besonders irisch. «Hörsofort auf damit. Was soll das?»
Auf dieIdee, uns voneinander loszureißen, kam sie nicht. Ich zählte achtBaumwollbällchen zwischen ihren Zehen, bewunderte die dunkelrot glitzerndenNägel und ließ mir Zeit, während Dan zwischen meinen Beinen keuchte undzappelte.
«Dan hatmich wieder geärgert.»
«Daniel,was sagst du dazu?»
Man hörtenur ein gedämpftes Wimmern.
«Soll icheuch beiden den Hintern versohlen?» Das tat sie sowieso nie. Ich beschloss,dass es an der Zeit war, abzusteigen.
«Harry willmir nicht helfen, Bang Bang zu suchen», winselteDaniel.
«Wir habenheute keine Zeit, uns um Bang Bang zu kümmern. Harry,ich weiß nicht, warum du deinen Bruder immer quälen musst, und Daniel, warumlässt du dir das überhaupt gefallen?»
Eigentlichwar die Antwort offensichtlich.
«Schaut nureure Kleider an!»
Sie warenzerknittert.
«Raus ausden Hemden, sie müssen nochmal gebügelt werden.» Siescheuchte uns in die Waschküche, und wir zogen uns die fürchterlichen rosaHemden aus.
«Ich willFeuerwehrmann sein», sagte Daniel.
In dem Fallwar ich seiner Meinung. Wir hatten echte Feuerwehruniformen, die beim Gehenknisterten, mit coolen Silberstreifen, die im Dunkeln leuchteten, und richtigenHelmen, nicht solchen Plastikteilen. Zur Hochzeit durften wir sie nichtanziehen. O nein. Wir mussten alberne rosa Hemden tragen, passend zu denBrautjungfern.
Mit nacktemOberkörper hockten wir auf dem Trockner. Ich versuchte, nicht mit den Fersendagegen zu trommeln. Mo bügelte gerade unter den Knöpfen. Ihre fast schwarzen Augenbrauenschmiegten sich enger aneinander. Ich konnte ihr in den Ausschnitt gucken.
«Für heutegilt absolutes Streitverbot», sagte sie. «Ihr wisst genau, was von eucherwartet wird.»
Woran ichmich auf keinen Fall halten würde.
«Joan hatnur uns», sagte sie. Damit meinte sie, dass sie und Joan keine Eltern mehrhatten.
«Ihr wolltJoan doch nicht ihren großen Tag verderben, oder?»
Das wolltenwir nicht. Das wollten wir wirklich nicht. Also reichten wir uns die Hände.
« tschuldige, Harry.»
« tschuldige, Daniel.»
Daniellächelte mich an. Ich lächelte nicht zurück. Mo stellte das Bügeleisen weg.«Ich muss euch um einen kleinen Gefallen bitten», sagte sie und half Daniel in seinHemd.
Dankreischte. Jetzt lächelte ich.
Mo zog ihmdas Hemd wieder aus und schüttelte es, damit es abkühlte. Dan beklagte sichnicht - typisch. Sie half ihm wieder rein.
«Nicht allewissen wie ihr, dass Joan und Otis schon zusammen wohnen, und an diesemwichtigen Tag ist es nicht nötig, dass ihr unpassende Bemerkungen macht.Verstanden?»
«Verstanden»,sagte ich. Es klang wie ein Geheimnis, und eigentlich sollten wir doch keineGeheimnisse haben. Dan fummelte an seinen Knöpfen herum. «Ich fand es schön,als Joan bei uns gewohnt hat», sagte er in seiner verträumten Art, «damals, alsOtis die Freundin hatte.»
Mo schossuns beiden einen Woher-wusstet-ihr-dasdenn?- Blickzu. Ich wusste nicht, dass Joan deshalb bei uns gewohnt hatte. Unvorstellbar,dass Otis uns für eine andere Frau verlassen konnte.
Mo bisssich auf die Lippe, ganz vorsichtig, sie hatte bereits ihr Hochzeitsgesichtaufgemalt.
«Für Joanund Otis beginnt heute etwas Wunderbares. Wir wollen die Vergangenheitvergessen.»
Ich sagtedazu nichts mehr, aber vergessen würde ich sie nicht.
Dan sprangvom Trockner - «Da-da-da-daaah!» - und präsentierteuns seine Knöpfe.
Mo sagte:«Braver Junge, ganz alleine!» Was sollte das denn? War das etwa eine Kunst?
Dan sagte:«Wenn wir einen Fernseher hätten, könnten wir ihn jetzt einschalten und »
«Nichtjetzt, Dan.» Ich bewegte stumm die Lippen, genau gleichzeitig mit Mo, die eslaut sagte.
Dan und ichwurden gefüttert, gebürstet, gebügelt und geschniegelt. Wir rangelten gerade umeinen Platz im Sonnenlicht, als Pa in die Küche kam, todschick und nachLimetten riechend. Er trug kein Rosa. Er breitete die Arme aus: «MeineSchönen!» Tante Joan sagte immer, wir hätten große braune Augen mit langenWimpern und einen verträumten Blick, genau wie Pa. «Jungen sind nicht schön,Jungen sind schlau», sagte Daniel. «Ihr beide seid schön und schlau», sagte Pa.«Und fast ein bisschen spät dran. Los jetzt. Gerade wir sollten heute pünktlichsein.» Die Hochzeit fand in Notting Hill statt,direkt bei uns um die Ecke. Wir mussten nur aus dem Haus raus, durch dieGrünanlage, dann um die Ecke und die Kirchentreppe hoch. FünfundvierzigSekunden, wenn man sich etwas beeilte. Ich hatte es schon gestoppt. «EinZelt!», keuchte Dan, als wir aus dem Haus traten. Man hätte meinen können, dieMarsmännchen seien gerade gelandet. «Das ist ein Pavillon, Daniel», sagte ich.«Für später, nach der Trauung», falls er es immer noch nicht verstanden hatte. ImGarten des Nachbarhauses saß der Schüchterne Geoffrey und schaute hinter seinerTimes hervor. Er sagte etwas zu uns, wahrscheinlich etwas Nettes. «AllesGute» oder «Eine Schöne Hochzeit» oder so etwas in der Art. Genau konnte manihn nie verstehen, weil er immer so nuschelte. Draußen auf dem Platz bekam Mrs.Gomez gerade einen Wutanfall, weil irgendjemand, Den Sie Ganz Genau Kannte, denGartenschlauch angelassen hatte. Sie hielt kurz inne, um uns bewundernd hinterherzupfeifen. «Hübsches Kleid, Mo», sagte Sebastianos Mutter, als wir an ihr vorbeigingen. Wenigspäter bellte sie in die Büsche: «Entweder kalt oder gar nicht!» Die Blätterbewegten sich, doch von Sebastiano, der ein Meisterim Tarnen war und allergisch auf Häuser, keine Spur. Wir kamen an der Budevorbei. Cal blies ein Salut auf der Muschel. Pa winkte. Mo sagte: «Na, da hastdu sie ja wieder, Callum.» Ich, Cal und die anderengroßen Jungen hatten Herr der Fliegen gespielt, bis Millys Dades nicht mehr lustig fand und die Muschel kassierte. Milly war ein Schwein, daswir mit Speeren jagten. Sie war erst zwei. Ihr machte es nichts aus. Sie halfuns, Feuerholz für unter den Spieß zu sammeln. «Callum,hast du Sebastiano gesehen?», rief Sebs Mutter. Cal sammelte Steine für seine Schleuder undtat so, als würde er nichts hören. Schließlich herrschte bei uns einEhrenkodex. Als wir an die Ecke kamen, ließ Mo ihren Schlüssel fallen undbückte sich, um ihn aufzuheben. Pa gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Sieschlug ihn auf den Arm. «Lass das, Dominic!» Doch ich wusste, dass sie es mochte.Zum Glück zielte Cal gerade auf die einäugige Katze und hatte nichts gesehen. ( )
© KindlerVerlag
Übersetzung:Anne Rademacher
- Autor: Clare Sambrook
- 2006, 1, 288 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Rademacher, Anne
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463404893
- ISBN-13: 9783463404899
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