Der Geist der Liturgie
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Vom Geist der Liturgie von BenediktXVI. (Joseph Kardinal Ratzinger)
LESEPROBE
Was ist das eigentlich - Liturgie? Was geschiehtdabei? Auf
welche Art von Wirklichkeit treffen wir da? In denzwanziger
Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Vorschlaggemacht, Liturgie
als »Spiel« zu verstehen; der Vergleichspunkt warzunächst, daß
Liturgie wie das Spiel ihre eigenen Regeln hat,ihre eigene Welt errichtet,
die gilt, indem man in sie eintritt, und die dannfreilich auch wieder
aufgelöst wird, wenn das »Spiel« zu Ende ist. Einweiterer Vergleichspunkt
war, daß das Spiel zwar sinnvoll, aber zugleichzweckfrei
sei und gerade so etwas Heilendes, ja, Befreiendesan sich habe, weil
es uns aus der Welt der alltäglichen Zwecke undihrer Zwänge herausführe
ins Absichtslose hinein, uns also für einige Zeitfreistelle
von all dem Lastenden unserer Arbeitswelt. DasSpiel wäre sozusagen
eine andere Welt, eine Oase der Freiheit, in derwir einen Augenblick
das Dasein frei strömen lassen können; solcheAugenblicke des Herausgehens
aus der Macht des Alltags bräuchten wir, um seineLast tragen
zu können. An alledem ist etwas Wahres, abergenügen kann eine
solche Auskunft nicht. Denn dann käme es im Grundegar nicht darauf
an, was wir da spielen; alles Gesagte läßt sich aufbeliebige Spiele
übertragen, deren notwendiger innerer Ernst derBindung an die
Regeln sehr bald seine eigene Last entwickelt undauch zu neuen Verzweckungen
führt: Ob wir an die heutige Sportwelt denken, an
Schachmeisterschaften oder an welche Spiele auchimmer - überall
zeigt sich, daß das Spiel schnell aus dem ganzanderen einer Gegenwelt
oder Nichtwelt zu einem Stück Welt mit eigenenGesetzen wird,
wenn es sich nicht in bloßer, leerer Spielereiverlieren soll.
Noch ein Aspekt dieser Spieltheorie ist zuerwähnen, der uns schon
näher an das besondere Wesen der Liturgieheranführt: Das Spiel der
Kinder erscheint in vielem als eine ArtAntizipation des Lebens, als
Einübung ins spätere Leben, ohne dessen Last undErnst in sich zu
tragen. So könnte Liturgie darauf verweisen, daßwir vor dem eigentlichen
Leben, auf das wir zugehen möchten, eigentlich alleKinder
bleiben oder es jedenfalls bleiben sollten;Liturgie wäre dann eine
ganz andere Art von Vorwegnahme, von Vor-Übung:Vorspiel des
künftigen, des ewigen Lebens, von dem Augustinussagt, daß es im
Gegensatz zum jetzigen Leben nicht mehr ausBedürfnis und Notwendigkeit
gewoben ist, sondern ganz aus der Freiheit desSchenkens
und Gebens. Dann wäre Liturgie Wiedererweckung deswahren Kindseins
in uns, der Offenheit auf das ausstehende Große,das mit dem
Erwachsenenleben wahrhaftig noch nicht erfüllt ist;sie wäre gestaltete
Form der Hoffnung, die das künftige, das wirklicheLeben jetzt
schon vor-lebt, uns auf das richtige Leben - dasder Freiheit, der
Gottunmittelbarkeit und der reinen Offenheit füreinander - einübt. So
würde sie auch dem scheinbar wirklichen Leben desAlltags die Vorzeichen
der Freiheit einprägen, die Zwänge aufreißen undden Himmel
in die Erde hereinscheinen lassen.
Eine solche Wendung der Spieltheorie hebt dieLiturgie wesentlich
vom allgemeinen Spielen ab, in dem wohl immer dieSehnsucht nach
dem wirklichen »Spiel«, nach dem ganz anderen einerWelt lebt, in der
Ordnung und Freiheit verschmolzen sind; sie läßtgegenüber dem Vordergründigen
und dann doch wieder Zweckhaften oder abermenschlich
ganz Leeren des gewöhnlichen Spiels das Besondereund Andere des
»Spiels« der Weisheit hervortreten, von dem dieBibel spricht und das
man dann mit der Liturgie in Verbindung setzendarf. Aber noch fehlt
uns eine inhaltliche Füllung dieses Entwurfs, weilder Gedanke des
künftigen Lebens einstweilen erst wie ein vagesPostulat erschienen
ist und der Blick auf Gott, ohne den das »künftigeLeben« nur Wüste
wäre, noch ganz unbestimmt blieb. So möchte icheinen neuen Anlauf
vorschlagen, diesmal aus dem Konkreten biblischerTexte heraus.
In den Berichten über die Vorgeschichte des AuszugsIsraels aus
Ägypten wie über dessen Verlauf selber erscheinenzwei unterschiedliche
Zielsetzungen für den Exodus. Die eine, uns allenbewußt,
ist das Erreichen des verheißenen Landes, in demIsrael endlich auf
eigenem Grund und Boden, in gesicherten Grenzen alsVolk mit seiner
eigenen Freiheit und Unabhängigkeit leben soll.Daneben steht
aber wiederholt eine andere Zielangabe. Derursprüngliche Befehl
Gottes an den Pharao lautet: »Gib mein Volk frei!Sie sollen mir in der
Wüste dienen!« (Ex 7,16). Dieses Wort »Gib meinVolk frei, daß sie mir
dienen« wird mit geringen Varianten viermal, dasheißt in allen Begegnungen
zwischen dem Pharao und Mose-Aaron, wiederholt (Ex7,26;
9,1; 9,13; 10,3). Im Lauf der Verhandlungen mit demPharao wird
das Ziel weiter konkretisiert. Der Pharao zeigtsich kompromißbereit.
Für ihn geht es in dem Streit um die Kultfreiheitder Israeliten, die
er zunächst in der folgenden Form zugesteht: »Gehtund opfert eurem
Gott hier im Land!« (Ex 8,21). Aber Mose besteht -dem Befehl Gottes
gemäß - darauf, daß zum Kult Auszug nötig sei. SeinOrt sei die
Wüste: »Drei Tage weit wollen wir in die Wüstehinausziehen und dort
dem Herrn, unserem Gott, ein Opferfest halten, wieer es von uns
verlangt hat« (8,23). Nach den folgenden Plagenerweitert der Pharao
sein Kompromißangebot. Er gestattet nun, daß derKult nach dem
Willen der Gottheit, also in der Wüste, sich vollziehe,will aber nur die
Männer hinausziehen lassen, während Frauen undKinder sowie das
Vieh zu Hause in Ägypten bleiben sollten. Er setzteine geläu.ge Kultpraxis
voraus, nach der nur die Männer aktive Träger desKultes waren.
Mose kann aber über die Art des Kultes nicht mitdem fremden Machthaber
verhandeln, den Kult nicht unter die Formpolitischer Kompromisse
stellen: Die Weise des Kultes ist nicht eine Fragedes politisch
Erreichbaren; er trägt sein Maß in sich selbst, dasheißt, er kann allein
vom Maß der Offenbarung, von Gott her geordnetwerden. Deshalb
wird auch der dritte, sehr weit gehendeKompromißvorschlag des
Herrschers zurückgewiesen, der nun anbietet, daßauch Frauen und
Kinder mitziehen dürfen. »Nur euer Kleinvieh undGroßvieh soll blei-
ben« (10,24). Dem hält Mose entgegen, daß allesVieh mitzunehmen
sei, denn »wir wissen nicht, womit wir dem Herrndienen können,
bevor wir dorthin gekommen sind« (10,26). Inalledem geht es nicht
um das Land der Verheißung; als einziges Ziel desExodus erscheint die
Anbetung, die allein nach Gottes Maß geschehen kannund daher den
Spielregeln des politischen Kompromisses entzogenist.
Israel zieht aus, nicht um ein Volk wie alleanderen zu sein; es zieht
aus, um Gott zu dienen. Das Ziel des Auszugs ist derGottesberg, der
noch unbekannte, das Gott-Dienen. Nun könnte maneinwenden,
die Fixierung auf den Kult in den Verhandlungen mitdem Pharao sei
taktischer Natur gewesen. Das wirkliche undletztlich einzige Ziel des
Auszugs sei nicht der Kult, sondern das Landgewesen, das ja den
eigentlichen Inhalt der Abrahamsverheißung bildete.Ich glaube nicht,
daß man damit dem Ernst gerecht wird, der in denTexten waltet. Im
Grunde ist die Entgegensetzung von Land und Kultsinnlos: Das Land
wird gegeben, damit eine Stätte der Verehrung deswahren Gottes sei.
Der bloße Landbesitz, die bloße nationale Autonomiewürde Israel
auf ein Niveau mit allen Völkern herunterstufen.Diese Zielsetzung
würde das Besondere der Erwählung verkennen: Dieganze Geschichte
der Richter- und der Königsbücher,wiederaufgenommen und neu
ausgelegt in der Chronik, zeigt gerade dies, daßdas Land als solches
und für sich genommen noch ein unbestimmtes Gutbleibt, das zum
wahren Gut, zur wirklichen Gabe erfüllterVerheißung nur wird, wenn
dort Gott herrscht; wenn das Land nicht irgendwieals ein autonomer
Staat existiert, sondern erst, wenn es der Raum desGehorsams ist,
in dem Gottes Wille geschieht und so die rechte Artmenschlicher
Existenz entsteht. Der Blick auf den biblischen Textgestattet uns aber
noch eine genauere Bestimmung des Verhältnisses derbeiden Ziele des
Auszugs. Das wandernde Israel erfährt zwar nochnicht nach drei
Tagen (wie im Gespräch mit dem Pharao angekündigt),welche Art von
Opfer Gott will. Wohl aber kommt es nach dreiMonaten, »an eben
dem Tag, an dem es ausgezogen war, in die WüsteSinai « (Ex 19,1).
Am dritten Tag ereignet sich dann der AbstiegGottes auf die Höhe des
Berges (19,16.20). Nun spricht Gott zum Volk, gibtihm in den heiligen
zehn Worten (20,1-17) seinen Willen kund undschließt durch
Mose den Bund (Ex 24), der sich in einer minutiösgeregelten Form von
Kult konkretisiert. So ist das dem Pharaoangegebene Ziel des Wanderns
in die Wüste eingelöst: Israel lernt, Gott auf dievon ihm selbst
gewollte Weise zu verehren. Zu dieser Verehrunggehört der Kult, die
Liturgie im eigentlichen Sinn; zu ihr gehört aberauch das Leben gemäß
dem Willen Gottes, das ein unverzichtbarer Teil derrechten Anbetung
ist. »Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendeMensch, das Leben des
Menschen aber ist es, Gott zu sehen«, sagt derheilige Irenäus einmal
(Adv. haer. IV 20,7) und trifft damit genau das,worum es in der Begegnung
am Berg in der Wüste ging: Letztlich ist das Lebendes Menschen
selbst, der recht lebende Mensch die wahre AnbetungGottes,
aber das Leben wird zu wirklichem Leben nur, wennes seine Form aus
dem Blick auf Gott hin empfängt. Der Kult ist dazuda, diesen Blick zu
vermitteln und so Leben zu geben, das Ehre wird fürGott.
Dreierlei ist für unsere Frage wichtig: Am Sinaierhält das Volk
nicht nur Kultanweisungen, sondern eine umfassendeRechts- und
Lebensordnung. So erst wird es als Volkkonstituiert. Ein Volk ohne
gemeinschaftliche Ordnung des Rechts kann nichtleben. Es zerstört
sich in der Anarchie, die die Parodie auf dieFreiheit ist, ihre Aufhebung
in der Rechtlosigkeit eines jeden, die seineFreiheitslosigkeit ist. In
der Bundesordnung am Sinai - das ist das Zweite -sind die drei Aspekte
Kult - Recht - Ethos unlöslich miteinanderver.ochten: Das ist ihre
Größe, aber auch ihre Grenze, wie sich im Übergangvon Israel zur
Kirche der Heiden zeigen wird, in der dieseVer.echtung aufgelöst
werden sollte, um vielfältigen Rechtsgestaltungenund politischen
Ordnungen Raum zu geben. Aber nach diesernotwendigen Ent-
.echtung, die in der Neuzeit schließlich zurtotalen Säkularisierung
des Rechts führte und den Blick auf Gott völlig ausder Gestaltung
des Rechts ausschließen wollte, darf doch nichtvergessen werden,
daß ein wesentlicher innerer Zusammenhang der dreiOrdnungen
tatsächlich besteht: Recht, das nicht moralischgegründet ist, wird zu
Unrecht; Moral und Recht, die nicht aus dem Blickauf Gott kommen,
degradieren den Menschen, weil sie ihn seineshöchsten Maßes und
seiner höchsten Möglichkeit berauben, ihm den Blickauf das Unendliche
und Ewige absprechen: Mit dieser scheinbarenBefreiung wird er
der Diktatur der herrschenden Mehrheitenunterworfen, zufälligen
menschlichen Maßen, die ihn letztlich vergewaltigenmüssen. So
kommen wir zu einer dritten Feststellung, die unsnun wieder auf
unseren Ausgangspunkt, auf die Frage nach dem Wesenvon Kult und
Liturgie zurückführt: Eine Ordnung der menschlichenDinge, die
Gott nicht kennt, verkleinert den Menschen. Darumsind letztlich
auch Kult und Recht nicht gänzlich voneinander zutrennen: Gott hat
ein Recht auf die Antwort des Menschen, auf denMenschen selbst,
und wo dieses Recht Gottes gänzlich verschwindet,löst sich auch die
menschliche Rechtsordnung auf, weil ihr derEckstein fehlt, der das
Ganze zusammenhält.
© VerlagHerder
- Autor: Joseph Ratzinger
- 2006, Neuaufl., 208 Seiten, Maße: 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451272474
- ISBN-13: 9783451272479
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