Der Geist der Madame Chen
Die amüsante Geschichte einer höchst ungewöhnlichen Frau - und einer spannenden Reise ins Herz von Burma!
In San Francisco gibt es kaum jemanden, der nicht wüsste, wer sie ist - die exzentrische Chinesin Bibi Chen. Dank ihrer glamourösen Erscheinung und ihres mitreißenden Temperaments ist sie sehr beliebt, und ihr Geschäft für asiatische Kunstobjekte floriert. Die Bestürzung ist daher groß, als Bibi Chen eines Tages unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. Niemand hat eine Erklärung für ihr unvermutetes Ableben, am wenigsten ihre zwölf Freunde, mit denen sie eine große Reise nach Burma unternehmen wollte. Doch so schnell lässt sich die lebenslustige Madame Chen nicht zur letzten Ruhe betten: Ihr ebenso reger wie rebellischer Geist beschließt, ihre Freunde zu begleiten! Alsbald wird Bibi aber Zeugin äußerst turbulenter Ereignisse, denn die geplante Bildungsreise in eine fremde Kultur gerät zu einer abenteuerlichen Odyssee, als die Gruppe eines Morgens spurlos im burmesischen Dschungel verschwindet ...
"Ein geistreiches Buch über das Lernen, das Leben und das Lieben. Amy Tan gelingt es, auf jeder Seite eine eigene kleine Geschichte zu erzählen. So ist der Roman ein Strauß an Ideen, der durchgehend blüht - voller Tragik, aber auch voll mit Momenten des Glücks." - Bild am Sonntag (Alex Dengler)
"'Der Geist der Madame Chen' ist ein Reiseroman besonderer Art. Ihre Bücher laden zum Nachdenken, besonders zum Umdenken ein, ohne ihren Unterhaltungswert im Geringsten zu opfern.' - Die Welt
"Amy Tan hat ein fast magisches Abenteuer erschaffen, das sich Seite für Seite in eine Metapher über die menschlichen Beziehungen verwandelt." - Isabel Allende
Der Geist der Madame Chen von Amy Tan
LESEPROBE
EIN ABRISS MEINESVERKÜRZTEN LEBENS
Meine Schuld wares nicht. Wäre die Gruppe einfach meiner ursprünglichen Reiseroute gefolgt,statt sie hinten und vorne zu ändern, wäre dieses Debakel niemals passiert.Doch es sollte anders kommen, und so hatten alle die Bescherung, so Leid es mirauch tat.
»In denFußstapfen Buddhas« lautete das Motto unserer Reise. Sie hätte in dersüdwestlichen Ecke Chinas beginnen sollen, in der Provinz Yunnan,mit Ausblicken auf den Himalaya und die dort ganzjährigblühenden Frühjahrsblumen, und uns dann nach Süden über die berühmte Burma Roadführen sollen. So hätten wir den großartigen Einfluss diverser religiöserKulturen auf die buddhistische Kunst über tausend Jahre und tausend Meilenzurückverfolgen können - eine grandiose Reise in die Vergangenheit. Ich solltesowohl Reiseleiterin spielen als auch die Führungen übernehmen, was das Ganzezu einem echten Erlebnis gemacht hätte. Doch in den frühen Morgenstunden deszweiten Dezember und nur vierzehn Tage vor unserem geplanten Aufbruch passierteetwas Schreckliches ich starb. Da. Jetzt habe ich es endlich ausgesprochen, sounfassbar es klingen mag. Ich sehe immer noch die Schlagzeile vor mir: »Prominentebei Ritualmord getötet«.
Der Artikelwar recht lang: zwei Spalten links auf der Titelseite, mit einem Farbfoto vonmir, auf dem ich mit einem alten, chinesischen Stoff zugedeckt bin, einem sehrerlesenen, den man nun allerdings nie mehr wird verkaufen können.
Der Berichtlas sich fürchterlich: »Gestern wurde die Leiche der 63-jährigen Bibi Chen imSchaufenster ihres Ladens Die Unsterblichen am Union Square aufgefunden. DerLaden ist bekannt für seine erlesenen Chinoiserien « So ein grässliches Wort - »Chinoiserien«-, geschraubt und verniedlichend gleichzeitig. Der Artikel fuhr fort mit einerreichlich nebulösen Beschreibung der Waffe: ein kleiner, harkenartigerGegenstand hatte mir die Kehle durchtrennt, und dazu war mir ein Seil um denHals geschnürt, was vermuten ließ, dass jemand versucht hatte, mich zuerdrosseln, nachdem das mit dem Erstechen nicht geklappt hatte. Die Tür war aufgebrochenworden, und blutige Abdrücke von Männerschuhen der Größe 46 führten weg von demPodest, wo ich gestorben war, zur Tür hinaus und die Straße entlang. Nebenmeiner Leiche lagen Schmuck und zerbrochene Figurinen. Offenbar fand man einBlatt, auf dem sich ein Satanskult damit brüstete, wieder zugeschlagen zu haben.
Zwei Tagespäter folgte ein weiterer Artikel, allerdings kürzer und ohne Foto: »NeueErkenntnisse im Fall der ermordeten Kunsthändlerin «. Ein Polizeisprecher gabbekannt, dass sie es nie als Ritualmord bezeichnet hätten. Der Kommissar habemit dem von ihm erwähnten »Blatt« eine Boulevardzeitung gemeint, und als er vonden Journalisten gefragt worden war, was in dem Blatt stand, hatte er dieSchlagzeile dieser Zeitung zitiert: »Satanskult will wieder zuschlagen.« DerSprecher fuhr fort, sie hätten weitere Beweismittel gefunden und eineVerhaftung vorgenommen. Ein Polizeihund verfolgte die Spur mit meinem Blut. Wasfür das menschliche Auge unsichtbar ist, so der Sprecher, enthält dennoch»Duftmoleküle, die gut trainierte Hunde noch etwa eine Woche nach dem Ereignisaufspüren können.« (Mein Tod war also ein Ereignis?)Die Spur führte in eine Seitengasse, wo sie eine blutbefleckte Hose in einemEinkaufswagen fanden, der ansonsten mit Müll gefüllt war. Nicht weit von dortentdeckten sie ein Zelt aus blauer Plane und Kartons. Der Bewohner des Zeltswurde festgenommen. Es handelte sich um einen Obdachlosen, der die Schuhe trug,die die verräterischen Abdrücke hinterlassen hatten. Der Verdächtige war nichtvorbestraft, hatte aber in der Vergangenheit immer wieder psychiatrischeProbleme gehabt. Fall gelöst.
Odervielleicht auch nicht. Kurz nachdem meine Freunde in Burma als vermisstgemeldet wurden, änderte die Zeitung schon wieder ihre Meinung: »Tod derLadenbesitzerin war doch schlicht ein Unfall.«
Kein Grund,kein Sinn, kein Schuldiger, einfach nur »schlicht«, dieses hässliche Wort standnun für alle Zeiten neben meinem Namen. Und warum war ich zur »Ladenbesitzerin«degradiert worden? In dem Artikel stand weiter, dass nach der DNS-Analyse derVerdacht gegen den Obdachlosen fallen gelassen worden war.
Wer alsowar in meine Galerie eingedrungen und hatte die Abdrücke hinterlassen? Deutetedas nicht ganz klar auf ein Verbrechen hin? Wer genau hat denn diesen Unfallverursacht? Aber es war nicht die Rede von weiteren Untersuchungen, eineSchande. Im selben Artikel sprach der Reporter von »einem merkwürdigen Zufall«.Und zwar, dass »Madame Chen jene Bildungsreise nach Burma organisiert hatte,auf der elf Menschen spurlos verschwunden waren.« SehenSie, wie mit zitterndem Finger auf die Schuldige gezeigt wird? Zumindest wurdeangedeutet, dass ich an allem schuld sein könnte. Man brachte mich dreist mitetwas in Verbindung, wofür man keine schlüssige Erklärung hatte, als hätte ich eineReise veranstaltet, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. BlankerUnsinn.
DasSchlimmste an allem ist, dass ich mich nicht erinnere, wie ich gestorben bin. Washabe ich in meinen letzten Momenten gemacht? Wen sah ich das Todeswerkzeugführen? Tat es weh? Vielleicht war es so schrecklich, dass ich es aus meinemGedächtnis verbannt habe. So etwas wäre nur menschlich. Und schließlich bin ichimmer noch ein Mensch, auch wenn ich jetzt tot bin, nicht wahr?
DieAutopsie ergab, dass ich nicht erdrosselt wurde, sondern ver- blutet war. Eswar schauderhaft. Bislang hat keine dieser Informationen auch nur das Mindestegenützt. Eine kleine Harke in der Kehle, ein Seil um den Hals - das soll einUnfall gewesen sein? Man musste schon wirklich einfältig sein, um so etwasernsthaft in Erwägung zu ziehen, aber da gab es offensichtlich einige.
Bei derObduktion wurden Fotos gemacht, besonders von der scheußlichen Stelle am Hals.Meine Leiche wurde für weitere Untersuchungen in ein Metallschubfach gesteckt.Dort blieb ich mehrere Tage liegen, dann wurden Proben von mir genommen - einAbstrich hiervon, ein Scheibchen davon, Haarfollikel, Blut und Verdauungssäfte.Es vergingen zwei weitere Tage, weil der Chef der Gerichtsmedizin auf Urlaubnach Maui fuhr, und da ich eine bekanntePersönlichkeit war und in der Kunstwelt einen Namen hatte - und zwar nicht nurbei den Einzelhändlern, wie es der San Francisco Chronicleunterstellt hatte -, wollte sich der Oberpathologe persönlich um michkümmern. Neugierige Mitarbeiter aus der Rechtsmedizin kamen in ihrerMittagspause vorbei, um grausige Spekulationen darüber abzugeben, was zu meinemvorzeitigen Ableben geführt haben könnte. Tagelang schoben sie mich hinein undwieder heraus und kommentierten recht brutal meinen Mageninhalt, den Zustandder Blutgefäße in meinem Gehirn, meine persönlichen Gewohnheiten und frühereUntersuchungsergebnisse.
Manchesdavon waren eher unfeine Angelegenheiten, die man lieber nicht so offen vonFremden diskutiert haben möchte, die gerade ihre Lunchpakete verzehren.
In diesemgekühlten Land der obduzierten Leichen dachte ich, ich wäre in die Unterweltgekommen, wirklich. Die unglücklichsten Menschen waren dort - eine wütendeFrau, die über die Van Ness Avenue gerannt war, um ihrem Freund einen Schreckeneinzujagen, ein junger Mann, der von der Golden GateBridge gesprungen war und es sich auf halbem Weg anders überlegt hatte, einKriegsveteran und Alkoholiker, der an einem FKK-Strand verschieden war.Tragödien, unglaubliche Peinlichkeiten, unglückliche Ausgänge, allesamt. Aberwarum war ich dort? ( )
© GoldmannVerlag
Übersetzung:Elke Link
- Autor: Amy Tan
- 3, 539 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 344230704X
- ISBN-13: 9783442307043
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