Der Gesandte des Papstes
Das heilige Land. Eine geheime Mission. Eine unsterbliche Liebe. Ein Buch wie opulentes, großes Kino.
Im Jahr 1303 reist der todkranke Ritter Raoul von Bazerat im Auftrag des Papstes nach Jerusalem. Im Gepäck hat er ein altes Manuskript, das den Weg zum...
Im Jahr 1303 reist der todkranke Ritter Raoul von Bazerat im Auftrag des Papstes nach Jerusalem. Im Gepäck hat er ein altes Manuskript, das den Weg zum...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
19.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Gesandte des Papstes “
Das heilige Land. Eine geheime Mission. Eine unsterbliche Liebe. Ein Buch wie opulentes, großes Kino.
Im Jahr 1303 reist der todkranke Ritter Raoul von Bazerat im Auftrag des Papstes nach Jerusalem. Im Gepäck hat er ein altes Manuskript, das den Weg zum legendären Stab des heiligen Antonius weisen soll. Doch seine Reise ist mehr als eine harmlose Pilgerfahrt. Raoul findet sich bald im Zentrum von Intrigen und Machtkämpfen wieder. Auf der Flucht vor päpstlichen Handlangern und den Söldnern von Sultan an-Nasir schließt sich ihm die geheimnisvolle Ägypterin Jada an. Und sie ist die Einzige, die ihm die Wahrheit über den mysteriösen Stab des Antonius offenbaren kann...
Im Jahr 1303 reist der todkranke Ritter Raoul von Bazerat im Auftrag des Papstes nach Jerusalem. Im Gepäck hat er ein altes Manuskript, das den Weg zum legendären Stab des heiligen Antonius weisen soll. Doch seine Reise ist mehr als eine harmlose Pilgerfahrt. Raoul findet sich bald im Zentrum von Intrigen und Machtkämpfen wieder. Auf der Flucht vor päpstlichen Handlangern und den Söldnern von Sultan an-Nasir schließt sich ihm die geheimnisvolle Ägypterin Jada an. Und sie ist die Einzige, die ihm die Wahrheit über den mysteriösen Stab des Antonius offenbaren kann...
"In seinem literarischen Debüt verknüpft Christoph Lode vor dem Hintergrund sich überstürzender weltpolitischer Ereignisse eine packende Handlung." Frizz
"Eine Geschichte mit ungewöhnlichen Schauplätzen, prall voll Abenteuern und farbigen Landschaftsschilderungen; mit immer neuen Ausblicken und unerwarteten Wendungen." literatur-fast-pur.de
"Die Figuren agieren nicht vor Kulissen, sondern vor einem fundiert recherchierten historischen Hintergrund." NDR (Neue Bücher)
"Eine Geschichte mit ungewöhnlichen Schauplätzen, prall voll Abenteuern und farbigen Landschaftsschilderungen; mit immer neuen Ausblicken und unerwarteten Wendungen." literatur-fast-pur.de
"Die Figuren agieren nicht vor Kulissen, sondern vor einem fundiert recherchierten historischen Hintergrund." NDR (Neue Bücher)
Lese-Probe zu „Der Gesandte des Papstes “
Oberlothringen, Frühjahr 1303 Das Mädchen regte sich unter der Decke und murmelte etwas. Zwei, drei Worte in der Sprache der Träumenden, ein unverständlicher Seufzer, in dem ein vages Unbehagen mitschwang. Die junge Frau stammte aus dem Dorf und war recht hübsch anzusehen mit ihren blonden Locken und dem runden, fröhlichen Gesicht.Raoul von Bazerat dachte an die letzte Nacht, als sie mit ihm ausgelassen und lachend um das Feuer getanzt hatte. Im Schein der Flammen war sie ihm hübscher erschienen als im kalten Licht des Morgens, mit verquollenem Gesicht und übel riechendem Atem. Aber so erging es ihm immer. Jeden Tag dasselbe Gesicht zu sehen, dieselbe Stimme zu hören, dieselben Lippen zu schmecken - an einem Morgen wie diesem fragte er sich, wie sein Bruder das nur ertrug.
Weil er eben- Jacques ist, dachte Raoul und lachte in sich hinein. Der gute, alte, langweilige Jacques. Sein Bruder war mit Lysanne verheiratet, der Tochter eines Edelfreien aus dem Moseltal. Schön, aber genauso langweilig wie ihr Gatte. Raoul wünschte ihnen alles Glück der Erde und dankte gleichzeitig dem Herrn, dass ihm als Zweitgeborenem ein solches Leben erspart blieb.
Vorsichtig, um das Mädchen nicht zu wecken, schlug er die grobe Decke zur Seite und stand auf. Es war kalt in seiner Kammer, das Feuer im Kamin seit einigen Stunden erloschen. Er hob seine Hose vom Boden auf, Beinkleider aus weichem Leder, schlüpfte hinein und streifte sein Wams über. Während er die hölzernen Knöpfe schloss, ging er zum Fenster. Noch kältere Luft strömte herein, als er die Läden aufklappte - so kalt, dass sein Atem Wölkchen bildete. Der Winter war kraftlos und schneearm gewesen, doch es schien, als wolle er im April nachholen, was er in den Monaten zuvor versäumt hatte. Schnee lag keiner auf den bewaldeten Hügeln hinter dem Landgut, aber Raoul hielt es für möglich, dass in den nächsten Stunden welcher fiel. Der Wind roch danach.
Vielleicht war es die kalte Luft, vielleicht aber auch der Gedanke an
... mehr
einen möglichen Wintereinbruch, die seinen Rachen reizten. Raoul hustete derart heftig, dass er sich auf dem Fenstersims abstützen musste, bis der Anfall vorüber war. Himmel, wann hört das endlich auf?, dachte er, als sich der Schmerz in seiner Brust legte. Der Husten war das Überbleibsel eines leichten Fiebers vor fünf Wochen. Blaise, der Leibarzt der Familie, hatte ihm, bevor er nach Speyer abgereist war, geraten, weniger zu feiern, früher ins Bett zu gehen und eine Weile die Finger von den Mädchen zu lassen. Blaise hatte zu lange die Heilkunst der Sarazenen studiert, um noch zu glauben, Krankheiten seien der gerechte Lohn für Sünden. Aber als der alte Arzt auf sein Pferd aufgestiegen war, hatte Raoul ein Aufflackern von Schadenfreude in den dunklen, stechenden Augen gesehen. Er konnte Blaises Gedanken förmlich hören: Das hast du jetzt davon, du Schürzenjäger. Wie oft habe ich gesagt, dass du dir ein Beispiel an deinem Bruder nehmen sollst? Raoul hatte das getan, was er meistens mit Blaises Ratschlägen tat: sie ignoriert. Blaise war nicht nur der Arzt der Familie, sondern auch ihr Kaplan. Alle um ihn herum sollten wie Mönche leben, damit die alte Krähe nicht ständig daran erinnert wurde, was sie verpasste.
Nicht mit mir, dachte Raoul, während er aus dem Fenster schaute. Ein Ritt durch die Hügel hilft so gut wie ein Tag im Bett. Ich sollte den Bogen mitnehmen. Es dürfte nicht schwer sein, Wildschweine zu finden Das Wetter war günstig für die Jagd. Es war kalt, aber klar, und wenn der Schnee ausblieb, konnte es sonnig werden. Raoul atmete die frostige Morgenluft ein und musste wieder husten. Diesmal war es nicht ganz so schmerzhaft, aber als er dem Fenster den Rücken kehren wollte, sah er etwas auf dem Sims glitzern: zwei winzige Rubine auf dem grauen Stein. Raoul berührte sie und betrachtete seine Fingerkuppe. Blut.
Leiser Zorn regte sich in ihm. Zum Teufel damit! Er würde ausreiten und heute Abend ein heißes Bad nehmen, und spätestens übermorgen war der verfluchte Husten verschwunden.
"Geht es dir gut?"
Erschrocken fuhr Raoul herum. Das Mädchen stand nackt neben dem Bett und sah ihn forschend an.
Schnell verrieb er das Blut zwischen den Fingern. "Alles in Ordnung." Er lächelte. "Was du mit mir angestellt hast, steckt man in meinem Alter eben nicht mehr so leicht weg."
Das Mädchen erwiderte das Lächeln, aber es lag Unsicherheit darin. "Es ist kalt. Komm wieder ins Bett."
"Nein. Ich reite aus."
"Dann nimm mich mit."
Raoul wusste, was der flehende Unterton zu bedeuten hatte. Für einen Augenblick erwog er, den Ausritt zu verschieben, doch dann blieb er bei seinem Entschluss. Er hasste es, wenn es so kam. Dabei hatte es so gut angefangen ^ so unbeschwert. Aber er hätte es wissen müssen, denn das Mädchen war erst siebzehn oder achtzehn, ein Alter, in dem man sich leicht verliebte. "Es ist Sonntag. Hast du niemanden, der auf dich wartet?"
"Es ist mir egal, wer auf mich wartet. Ich will bei dir bleiben."
"Du gibst nicht so leicht auf, wie?" Er setzte sich auf den Hocker und begann, seine Stiefel anzuziehen. Plötzlich spürte er eine Hand, die durch sein Haar fuhr. Die junge Frau setzte sich, nackt wie sie war, auf seinen Schoß und nahm sein Gesicht in die Hände. Sie lächelte spöttisch.
"Was ich heute Nacht getan habe, kann ich wieder tun. Oder reichen dafür Eure Kräfte nicht aus, mein Gebieter?"
Unwillkürlich musste er lachen. Wenigstens versuchte sie es nicht mit Tränen und Vorwürfen. "Mit meinen Kräften ist alles in Ordnung. Pass auf!" Er schob ihr einen Arm unter die Beine, hob sie hoch und warf sie aufs Bett, wo sie kreischend landete. Dann warf er sich mit halb angezogenen Stiefeln auf sie, und Gelächter und Geschrei erfüllten das Zimmer, als sie miteinander rangelten.
Sie alberten eine Weile herum, doch Raoul achtete darauf, dass nicht mehr daraus wurde. Als er genug hatte, setzte er sich auf und suchte seinen linken Stiefel, der während der Rauferei in den Kissen verloren gegangen war. Das Mädchen kauerte am Kopfteil des Bettes und zog die Decke zum Kinn. Es beobachtete jede seiner Bewegungen.
"Versprich mir, dass wir uns wiedersehen."
Raoul blickte aus dem Fenster. Die Sonne beschien die Hänge hinter dem Anwesen, die Felsen auf den Hügelkämmen, die Tannen und Fichten und vertrieb allmählich die Kälte. Es war ein schöner Tag, zu schön für Tränen und gebrochene Herzen, und er wollte, dass es so blieb. Der Preis dafür war eine Lüge, aber was sollte er anderes tun? Er hatte der jungen Frau niemals etwas anderes in Aussicht gestellt als diese eine Nacht. Wenn sie sich mehr erhoffte ^ nun, dann war es ihre eigene Schuld. Man konnte ihm höchstens vorwerfen, dass sie zu jung war - wenngleich es ihr nicht gerade an Erfahrung mangelte.
Warum, bei allen Höllen, musste sie ihn nur in diese Lage bringen? Hätte sie die Nacht nicht einfach genießen und dann nach Hause gehen können?
Schließlich sagte er: "Versprochen."
Sie fiel ihm um den Hals, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und begann endlich, sich anzuziehen.
Kurz darauf führte Raoul sie aus dem Zimmer über die schmale Holztreppe hinunter zum Vorhof aus gestampfter Erde. Das Wohnhaus war das einzige Gebäude von Bazerat, das - abgesehen vom hölzernen Dach und der Treppe - vollständig aus Stein bestand. Im Erdgeschoss waren die Unterkünfte des Gesindes, verschiedene Werkstätten und Lagerräume für das Feuerholz untergebracht. Im Obergeschoss wohnten die Mitglieder der Familie: Raoul, Jacques und Lysanne sowie deren Söhne, Gerard und Jean. Die Wände waren über zwei Ellen dick, die Fenster schmal, und außer der Holztreppe hatte der obere Stock keine Zugänge. Bazerat war in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte noch nie angegriffen worden, aber sollte es einmal dazu kommen, würden sich die Familie, die elfköpfige Gesindeschar und die drei Waffenknechte in das leicht zu verteidigende Haus zurückziehen. Der Saal hinter der Eingangstür bot genug platz für alle.
Die übrigen Gebäude umstanden den Platz: Blaises Haus, die nagelneue Kornkammer auf fünf mannshohen Balken (die alte war im vergangenen Jahr vom Blitz getroffen worden, glücklicherweise bevor sie gefüllt worden war), die Küche, deren Kamin dünne Rauchschwaden in den Morgenhimmel entließ, der Pferdestall, hinter dem, verborgen unter dichten Brombeerhecken, der Bach floss. Für einen Ringwall und die Männer, die zur Verteidigung einer solchen Anlage notwendig gewesen wären, hatte die Familie kein Geld; also umgab lediglich ein hölzerner Zaun aus angespitzten Pflöcken das Landgut.
Bazerat lag in einem Seitental des Seilletals, zwei Wegstunden südlich von Metz, der Hauptstadt des Herzogtums oberlothringen. Einige Täler weiter westlich gehörten bereits zur französischen Krone. Es war eine liebliche Gegend mit ausgedehnten Wäldern und Weinbergen an den Hängen der felsigen Hügel zwischen Seille und Mosel. Raoul und Jacques waren Ritter von Herzog Friedrich II. von Metz, aber seit Raouls Ritterschlag vor zehn Jahren hatte er sein Schwert nicht mehr in den Dienst seines Lehnsherren stellen müssen. Zum einen war das Herzogtum von größeren Kriegen verschont geblieben, zum anderen waren die Bazerats zwar treue, aber unbedeutende Vasallen.
Als Raoul und das Mädchen die Treppe herabstiegen, waren die anderen Bewohner des Landguts schon lange auf den Beinen. François, der älteste der Waffenknechte, hob gerade das Vorderbein eines Pferdes hoch. Es lahmte seit einigen Tagen. Jacques untersuchte den Huf nach Ursachen. Die anderen Soldaten und die Mägde und Knechte warteten am Tor. Sie wollten zum Dorf, um dort die Sonntagsmesse zu hören.
Raoul küsste das Mädchen zum Abschied. Es sollte ein flüchtiger Kuss werden, aber das Mädchen vergrub seine Hand in seinem Haar und schob ihm die Zunge in den Mund, sodass sich die Angelegenheit länger hinzog als beabsichtigt. Schließlich löste er sich von ihm. "Jetzt geh", sagte er lächelnd. "Ich will nicht warten, bis dich deine Brüder mit Gewalt holen kommen."
"Bis heute Abend", flüsterte es ihm zu, dann entfernte es sich mit wiegenden Hüften. Raoul war nicht entgangen, dass die Gruppe am Tor zu ihnen gesehen hatte. Gut, sie sollten ihren Spaß haben. Er tat, als starre er dem Mädchen auf den Hintern, schloss die Augen und ließ sich nach hinten in einen Haufen Heu fallen, was bei den Knechten Gelächter und anzügliche Bemerkungen hervorrief. Raoul lachte ebenfalls, dann wischte er sich das Heu von der Kleidung und ging zu Jacques.
Sein Bruder hatte François das Pferd zurück in den Stall bringen lassen und sprach mit Jean, seinem jüngsten Sohn. Der Sechsjährige hielt den Bogen in den Händen, den Raoul für ihn gemacht hatte. Er schoss damit auf alles, das ihm in die Quere kam - Steine, Vögel, streunende Katzen -, und war bereits erstaunlich treffsicher. Raoul liebte ihn und Gerard wie seine eigenen Söhne. Gerard diente als Page am Hof in Metz und kam nur an Weihnachten und Ostern nach Bazerat oder wenn der Herzog mit seinem Gefolge nach Nancy zog. Er geriet ganz nach seinem Vater: genauso ernst und pflichtbewusst, weshalb er oft für zwölf oder dreizehn gehalten wurde, obwohl er noch keine elf war. Jean würde erst nächsten Sommer Page werden, aber er redete schon jetzt von nichts anderem mehr. Mit seinem Temperament hielt er das ganze Anwesen auf Trab, und jede Art von Gefahr zog ihn magisch an. Die Tage im Jahr, an denen er keine aufgeschlagenen Knie und Ellbogen oder ein verschrammtes Gesicht hatte, waren die seltene Ausnahme.
Als der Junge ihn entdeckte, schrie er "Onkel Raoul!" und stürmte auf ihn zu. Raoul riss Jean hoch in die Luft und nahm ihn auf den Arm.
"Beim heiligen Kreuz, du wirst schwer, kleiner Meisterschütze. Dein Onkel kann dich bald nicht mehr tragen."
"Gehst du heute jagen, Onkel Raoul? Nimmst du mich wieder mit?"
"Mal sehen ^ Hast du mit dem Bogen geübt, wie ich es dir gesagt habe? Ich kann keinen Gehilfen gebrauchen, der nichts vom Bogenschießen versteht."
"Ich übe jeden Tag!", verkündete der Junge. "Ich treffe das Auge auf zehn Schritt!"
"Sehr gut", sagte Raoul und setzte Jean ab. "Wenn das so ist, darfst du mitkommen."
Jean brach in wilden Jubel aus, der allerdings nur so lange währte, bis sein Vater sich zu ihnen gesellte. "Du kannst heute nicht auf die Jagd gehen", sagte Jacques. "Deine Mutter möchte, dass du Sachen für den Sommer anprobierst. Geh zu ihr. Sie wartet schon."
Der Junge murrte über diese Eröffnung, doch dann begriff er, dass es seinem Vater ernst war, und stapfte missmutig davon. Raoul war der Meinung, dass Jacques zu streng mit Jean umsprang. Sie stritten oft deswegen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, wieder damit anzufangen. Zwar sah Jacques streitlustig aus, aber offensichtlich aus anderen Gründen.
"Wer war dieses Mädchen?", fragte er.
"Ein Mädchen aus dem Dorf. Es wohnt bei der Brücke."
"Hat es auch einen Namen?"
"Margerit ^ nein, warte ^ Anne." Raoul lachte. "Herrgott, Jacques, glaubst du, ich merke mir all die Namen? Verlang nicht das Unmögliche von mir."
Jacques konnte diesem Scherz nichts abgewinnen. "Du spielst mit diesen Mädchen, Raoul. Du brichst ihnen das Herz. Kümmert dich das nicht?"
Sein schlechtes Gewissen regte sich erneut, und der Vorwurf traf ihn. "Ich spiele mit niemandem", erwiderte Raoul gereizt. "Anne, oder Margerit, wusste von Anfang an, woran sie bei mir war. Ich habe ihr nichts versprochen, das sie nicht auch bekommen hat."
"Sicher. Daran zweifle ich nicht", sagte sein Bruder ruhig und musterte ihn lange. Er war einunddreißig Jahre alt, drei Jahre älter als Raoul, und sein schwarzes Haar war bereits von einigen grauen Strähnen durchsetzt. Im Gegensatz zu Raoul, der es kurz trug, fiel es Jacques bis auf die Schultern. Sie kamen beide nach ihrem Vater: blaue Augen, hell wie Eiskristalle, am Kinn einen kurzen Bart, der jede Woche sorgfältig geschnitten wurde, ein schlankes Gesicht. Raoul hatte außerdem die vorspringenden Wangenknochen ihrer Mutter geerbt, wodurch sein Gesicht fast hager wirkte. Er selbst hielt es für durchschnittlich, obwohl viele Frauen anderer Meinung zu sein schienen. Mit seinen dreieinhalb Ellen war er etwas größer als die meisten Männer des Tals, aber eine Handbreit kleiner als Jacques.
"Du solltest heiraten", fuhr sein Bruder fort. "Weiber, Turniere, Feste ^ soll das ewig so weitergehen?"
"Du hörst dich an wie Blaise."
"Er hat recht. Du benimmst dich wie ein frühreifer Page. Willst du mit dem Erwachsenwerden warten, bis du sechzig bist?"
Raoul grinste. "Ein Langweiler in der Familie genügt, Jacques Er wollte seinen Spott noch weitertreiben, aber ein neuer Hustenanfall hinderte ihn daran. Er wandte sich von Jacques ab und hustete in die Armbeuge. Erleichtert stellte er fest, dass er diesmal kein Blut spuckte.
Der Ärger in Jacques' Gesicht verschwand augenblicklich. So war es immer: Sie konnten streiten, bis sie kurz davor waren, sich zu schlagen, doch sowie Jacques glaubte, sich Sorgen um Raoul machen zu müssen, war sein Unmut wie weggeblasen. Ein ärgerlicher Wesenszug, fand Raoul.
"Blaise ist heute Morgen zurückgekommen. Er soll dich untersuchen. Sicher kennt er ein Mittel, das dir hilft."
"Es ist nichts", erwiderte Raoul ungehalten. "Nur ein Husten. Er wird schon verschwinden."
"Wie lange geht das jetzt schon? Einen Monat? Geh zu ihm", beharrte sein Bruder.
"Himmel, Jacques, du wirst von Jahr zu Jahr schlimmer! Na schön, ich gehe zu Blaise. Aber erst heute Abend. Nach meinem Ausritt. Gönnst du mir wenigstens diesen Spaß? Oder hast du Angst, ich würde das Pferd nur benutzen?" Raoul ließ ihn stehen und ging zu den Stallungen, wütend auf Jacques, den verdammten Husten, das Mädchen, die ihm mit vereinten Kräften den Morgen verleidet hatten.
Das Mädchen - Anne oder Margerit oder wie auch immer es hieß ^ Er durfte nicht vergessen, François anzuweisen, es nicht zu ihm vorzulassen, sollte es noch einmal beim Tor auftauchen.
Es war früher Abend, als er zurückkehrte. Raoul galoppierte den Weg zum Anwesen hinauf, rief François und Hughes, die am Tor in der Sonne saßen, einen Gruß zu und schwang sich aus dem Sattel, bevor das Pferd zum Stehen gekommen war. Philippe, der Pferdeknecht, eilte ihm auf dem Hof entgegen. Raoul überließ ihm das Tier und wies ihn an, die Jagdtasche zur Küche zu bringen. Seine schlechte Laune vom Morgen war vergessen. Er hatte zwei Frischlinge geschossen; einen im Wäldchen in der Talsohle, den anderen in einer Senke in den Hügeln, die sein Vater "Gottes Steinacker" genannt hatte, wegen der unzähligen schiefergrauen Findlinge, die verstreut herumlagen, als wären sie wie Pilze aus dem Boden gesprossen. Das Wetter hatte gehalten, und im Lauf des Nachmittags war es immer wärmer geworden. Raoul fühlte sich prächtig ^ bis er entdeckte, dass in den Fenstern von Blaises Haus, die einen Monat lang dunkel gewesen waren, Licht brannte. Ihm fiel das Versprechen wieder ein, das er Jacques gegeben hatte. Zum- Teufel mit Jacques' überflüssigen Sorgen, dachte er, doch er wusste, sein Bruder würde ihn nicht in Ruhe lassen, bis er mit Blaise gesprochen hatte. Um des Friedens willen öffnete Raoul die Tür, zog unter dem niedrigen Balken den Kopf ein und betrat das Haus des Arztes.
Blaise lebte seit über fünfünddreißig Jahren auf dem Anwesen. Das Bistum hatte ihn einst geshickt, um der Familie Baze- rat als Kaplan und Arzt zu Diensten zu sein. Als Raouls Vater ins Heilige Land gezogen war, um gegen die Sarazenen zu kämpfen, hatte Blaise ihn begleitet. Die beiden Männer waren enge Freunde geworden, und bei ihrer Rückkehr hatte Gerard von Bazerat Blaise dieses Haus bauen lassen. Bald hatte sich der Kaplan nicht mehr nur um das gesundheitliche und seelische Wohl der Familie gekümmert, sondern auch die Erziehung von Gerards Söhnen übernommen. Dass Raoul sich nicht nur auf den Umgang mit Schwert, Lanze und Bogen verstand, sondern auch lesen und schreiben konnte und Latein beherrschte, verdankte er weder seinem Vater noch seinen Ausbildern am Hof des Herzogs; es war allein Blaises Verdienst.
Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen Raum, der bis zum Dachgebälk reichte; ein ewiges Halbdunkel, in das wegen der schmalen Fensterschlitze kaum Tageslicht drang. Eine Leiter führte zu einer hölzernen Empore unter dem Dachgebälk. Dort oben hatte Blaise in jüngeren Jahren geschlafen. Jetzt gestatteten ihm seine Gelenke den Aufstieg nicht mehr, und auf den Balken sammelte sich der Staub. Auch der ebenerdige Teil des Hauses war voller Staub: Er lag in Ecken und Winkeln, auf Truhen, Hockern, Tischen und erfüllte die Luft. Blaise war ein reinlicher Mensch, doch vor seiner Abreise vor einem Monat hatte er den Mägden verboten, während seiner Abwesenheit zu putzen. Er fürchtete, ungeschickte Hände könnten seine kostbaren Schriften in Mitleidenschaft ziehen. Der Arzt besaß davon eine beeindruckende Sammlung: etwa drei Dutzend Schriftrollen und Bücher standen in den Regalen, die den Raum in verwinkelte Abschnitte unterteilten, darunter Texte aus dem Morgenland, von denen es im Reich höchstens ein Dutzend Exemplare gab. Seine Kenntnisse der arabischen Sprache waren es auch, die ihn nach Speyer geführt hatten. Im Auftrag des Erzbischofs hatte er dort ein Buch über Heilkunst übersetzt.
Raoul konnte die Lichtquelle in dem Labyrinth aus Büchergestellen und Vorhängen nirgendwo ausmachen, also ging er zum hinteren Teil des Raumes, wo Blaise zu arbeiten pflegte. Regale voller Tiegel, Fläschchen und Steintöpfe bildeten die Wände des schmalen Flurs, den er entlangging. Es roch nach Minze, Kampfer, scharfem Pfeffer, Kamille und anderen Dingen, deren Namen Raoul nicht kannte. Die trockene, staubige Luft ließ ihn husten. Kaum war der Anfall vorüber, stand Blaise vor ihm.
"Raoul", sagte er. Es war ihm schwer gefallen, das Landgut und Raoul und Jacques und den Rest der Familie für mehrere Wochen zu verlassen, sehr schwer sogar. Aber das hieß nicht, dass er sich beim Anblick von Raoul zu einem Lächeln hinreißen ließ. Sein knochiges, blasses Gesicht schien zu einem solchen Ausdruck nicht fähig zu sein.
"Blaise, du alte Krähe! Komm her!"
Raoul vergaß, warum er gekommen war, und umarmte seinen alten Lehrer voller Wiedersehensfreude. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob der Kaplan im letzten Monat um Jahre gealtert war, denn dessen Leib schien um einiges magerer, das Haar um einiges dünner als vor der Abreise zu sein. Der Ritt und die Arbeit in Speyer mussten ihm zugesetzt haben.
Sie gingen nach hinten zu einer geräumigen Nische zwischen den Regalen mit einem Tisch voller Schriftstücke. Zwei dicke Talgkerzen brannten dort. Raoul erkundigte sich nach der Reise, aber der Kaplan ging nicht darauf ein. Er nahm einige Pergamente vom Hocker, legte sie zu den anderen auf den Tisch und bedachte Raoul mit einem kurzen, aber durchdringenden Blick.
"Was ist das für ein Husten? Bist du wieder krank gewesen?" Blaise hielt nichts von müßigem Geschwätz; er kam immer sofort zur Sache.
Raoul setzte sich. "Es ist derselbe Husten wie bei deiner Abreise."
"Derselbe Husten seit fünf Wochen? Gütiger Gott, wieso bist du nicht zu einem Arzt gegangen?"
"Du warst fort, weißt du noch?"
"Ich bin nicht der einzige Arzt im Herzogtum. Du hättest nach Metz reiten können. Oder nach Nancy."
"Hätte mir ein Arzt in Metz einen anderen Rat gegeben, als mich auszuruhen und ein Keuschheitsgelübde abzulegen?"
"Nein. Aber wenn du dafür bezahlt hättest, hättest du es vielleicht eher geglaubt als aus dem Mund deines alten Lehrers." Der Kaplan setzte sich. Er trug ein weites Gewand aus grobem Tuch, in dem seine dürre Gestalt nahezu verschwand. Er sah müde aus, erschöpft von den Wochen im Skriptorium und den Tagen auf dem Rücken seines Pferdes. Doch nichts auf der Welt würde ihn davon abhalten, dieses Gespräch fortzusetzen. Es gab niemanden in Bazerat, der seine Pflichten ernster nahm als Blaise, nicht einmal Jacques. "Entkleide dich", wies er Raoul an. "Ich muss dich untersuchen."
Raoul unternahm einen letzten Versuch. "Blaise, ich bin kein alter Mann, bei dem jedes Wehwehchen gleich das Ende bedeutet. Gib mir eins von deinen Wundermitteln, und ich verspreche dir, es zu nehmen, bis der Husten weg ist."
Blaise stand auf. Der Klang seiner Stimme duldete keinen Widerspruch. "Ausziehen. Das Wams genügt."
Seufzend öffnete Raoul die Knöpfe und legte das Wams ab. Er musste sitzen bleiben, während Blaise ihn mit seinen immer noch scharfen Augen musterte. Der Blick des Kaplans blieb kurz an der langen Narbe unter dem Schlüsselbein hängen. Raoul wusste, dass Blaise an den Tag dachte, als Raoul zwar verwundet, aber als frischgebackener Ritter nach Hause gekommen war. Während der wochenlangen Kämpfe gegen Raubritter, die in den Vogesen ihr Unwesen trieben, hatte Raoul nicht nur erfahren, wie es sich anfühlt, wenn einem Stahl in den Körper drang, sondern auch, was es heißt, einen Mann mit eigenen Händen zu töten.
"Du hast abgenommen", stellte Blaise fest. "Isst du zu wenig?"
"Der Winter ist vorbei. Ich sitze nicht mehr nur faul herum."
Der Kaplan trat hinter ihn und betastete seinen Hals, den Kiefer, das Schlüsselbein. "Tut das weh?"
"Nein."
"Hattest du noch einmal Fieber?"
"Nein, Blaise. Es ist alles in Ordnung. Es ist nur ein Husten."
">Nur ein Husten< gibt es nicht. Alles hat eine Ursache." Blaise stellte ihm eine Reihe von Fragen, die Raoul alle verneinte. Schließlich setzte sich der alte Mann wieder an den Tisch und schwieg.
"Was denkst du?", fragte Raoul. "Muss ich mit einer Glocke herumlaufen, damit sich alle rechtzeitig vor mir in Sicherheit bringen können?"
Blaise reagierte auf den Scherz mit einem missbilligenden Blick. "Meine größte Sorge war, dass du den Schwund hast. Aber nichts deutet darauf hin. Es scheint sich um eine harmlose Reizung des Rachens zu handeln."
"Gut. Das beruhigt mich." Raoul nahm sein Wams und wollte es überstreifen, doch der Kaplan sagte:
"Warte. Wir sind noch nicht fertig."
Raoul wusste Blaises Bemühungen zu schätzen, doch er fand, dass dieser es allmählich übertrieb. "Was denn noch? Du weißt doch jetzt, woran es liegt."
"Du bist genauso ein Dummkopf wie dein Vater. In Akkon hat er mir einmal verboten, ihm zu helfen, als ihm ein Pfeil im Bein und ein zweiter in der Schulter steckte."
Raoul grinste. "Wir Bazerats sind eben robust."
"Töricht wäre das passendere Wort." Blaise zog eine Kiste unter dem Tisch hervor, öffnete sie und nahm einen kupfernen Trichter heraus. "Versuch zu husten", sagte er und horchte mit dem Trichter Raouls Rücken ab.
Raoul kam der Aufforderung nach, was ihm nicht schwerfiel. Der nachgeahmte Husten rief auf der Stelle einen echten hervor. Er hielt die Hand vor den Mund und betrachtete sie, als der Husten vorüber war. Blut glitzerte auf seinem Handteller, mehr als am Morgen.
Blaise bemerkte es. Schneidend fragte er: "Seit wann hast du das? Warum hast du mir nichts davon gesagt?" Er trat vor Raoul. Seine Erschöpfung schien schlagartig verschwunden zu sein, und auf sein Gesicht legte sich ein Schatten.
"Seit heute Morgen", antwortete Raoul und schloss sein Wams. "Nach dem Aufwachen."
Wortlos nahm Blaise seine Hand und betrachtete das Blut. Der Griff der knochigen, aber äußerst kräftigen Finger um sein Handgelenk schmerzte Raoul. Er war Jacques zuliebe hergekommen, weil er es nicht ertrug, wenn andere sich Sorgen um ihn machten - Sorgen, die er für maßlos übertrieben hielt. Doch als er die Dunkelheit in Blaises Augen bemerkte, beschlich ihn zum ersten Mal ein Gefühl der Beunruhigung. "Was habe ich, Blaise?", fragte er. "Was ist das für eine Krankheit?"
Blaise ließ ihn los und gab ihm ein Tuch für das Blut. Er bemühte sich vergeblich um einen sachlichen Ton. "Es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren. Ich muss nachlesen, bevor ich dir eine Antwort gebe."
"Aber du hast einen Verdacht, nicht wahr?"
Die Kieferknochen des Kaplans mahlten. Schließlich sagte er: "Mir sind nur wenige Krankheiten bekannt, die sich durch blutigen Auswurf bemerkbar machen. Eine ist der Schwund. Aber die typischen Anzeichen der Weißen Pest fehlen bei dir. Vielleicht treten sie in den nächsten Tagen auf, aber das wäre unwahrscheinlich."
"Und die anderen? Wie heißen die anderen Krankheiten?"
Blaise sank unmerklich in sich zusammen, als wäre seine Müdigkeit plötzlich zurückgekehrt, stärker als zuvor. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. "Wie gesagt, es ist zu früh. Lass mich bei ibn-Sina und Galenos nachlesen. Alles andere wäre Er wollte aufstehen, doch Zorn wallte in Raoul auf, und er packte seinen alten Lehrer am Arm.
"Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren!"
Blaise verharrte einen Moment reglos, und sein stechender Blick haftete an Raoul. Dann sank er langsam zurück auf die Bank. "Am ehesten kommt karkinos in Frage", sagte er leise.
Raoul ließ ihn los. "Was bedeutet das?"
"Es ist ein fressendes Geschwür." Blaise stockte, und sein Adamsapfel bewegte sich. "Eine Geschwulst, die immer weiter wächst und den Leib von innen aufzehrt. In deinem Fall sitzt sie in der Lunge und zerstört sie, weitaus rascher als der Schwund."
Raoul stand auf. Das Zimmer, die Regale, die Kerzen - alles schwankte vor seinen Augen. Er spürte, wie das Kribbeln wiederkam. Langsam und unaufhaltsam stieg es seinen Rachen hinauf. Raoul glaubte, nicht mehr atmen zu können. "Was heißt >rasch
Nicht mit mir, dachte Raoul, während er aus dem Fenster schaute. Ein Ritt durch die Hügel hilft so gut wie ein Tag im Bett. Ich sollte den Bogen mitnehmen. Es dürfte nicht schwer sein, Wildschweine zu finden Das Wetter war günstig für die Jagd. Es war kalt, aber klar, und wenn der Schnee ausblieb, konnte es sonnig werden. Raoul atmete die frostige Morgenluft ein und musste wieder husten. Diesmal war es nicht ganz so schmerzhaft, aber als er dem Fenster den Rücken kehren wollte, sah er etwas auf dem Sims glitzern: zwei winzige Rubine auf dem grauen Stein. Raoul berührte sie und betrachtete seine Fingerkuppe. Blut.
Leiser Zorn regte sich in ihm. Zum Teufel damit! Er würde ausreiten und heute Abend ein heißes Bad nehmen, und spätestens übermorgen war der verfluchte Husten verschwunden.
"Geht es dir gut?"
Erschrocken fuhr Raoul herum. Das Mädchen stand nackt neben dem Bett und sah ihn forschend an.
Schnell verrieb er das Blut zwischen den Fingern. "Alles in Ordnung." Er lächelte. "Was du mit mir angestellt hast, steckt man in meinem Alter eben nicht mehr so leicht weg."
Das Mädchen erwiderte das Lächeln, aber es lag Unsicherheit darin. "Es ist kalt. Komm wieder ins Bett."
"Nein. Ich reite aus."
"Dann nimm mich mit."
Raoul wusste, was der flehende Unterton zu bedeuten hatte. Für einen Augenblick erwog er, den Ausritt zu verschieben, doch dann blieb er bei seinem Entschluss. Er hasste es, wenn es so kam. Dabei hatte es so gut angefangen ^ so unbeschwert. Aber er hätte es wissen müssen, denn das Mädchen war erst siebzehn oder achtzehn, ein Alter, in dem man sich leicht verliebte. "Es ist Sonntag. Hast du niemanden, der auf dich wartet?"
"Es ist mir egal, wer auf mich wartet. Ich will bei dir bleiben."
"Du gibst nicht so leicht auf, wie?" Er setzte sich auf den Hocker und begann, seine Stiefel anzuziehen. Plötzlich spürte er eine Hand, die durch sein Haar fuhr. Die junge Frau setzte sich, nackt wie sie war, auf seinen Schoß und nahm sein Gesicht in die Hände. Sie lächelte spöttisch.
"Was ich heute Nacht getan habe, kann ich wieder tun. Oder reichen dafür Eure Kräfte nicht aus, mein Gebieter?"
Unwillkürlich musste er lachen. Wenigstens versuchte sie es nicht mit Tränen und Vorwürfen. "Mit meinen Kräften ist alles in Ordnung. Pass auf!" Er schob ihr einen Arm unter die Beine, hob sie hoch und warf sie aufs Bett, wo sie kreischend landete. Dann warf er sich mit halb angezogenen Stiefeln auf sie, und Gelächter und Geschrei erfüllten das Zimmer, als sie miteinander rangelten.
Sie alberten eine Weile herum, doch Raoul achtete darauf, dass nicht mehr daraus wurde. Als er genug hatte, setzte er sich auf und suchte seinen linken Stiefel, der während der Rauferei in den Kissen verloren gegangen war. Das Mädchen kauerte am Kopfteil des Bettes und zog die Decke zum Kinn. Es beobachtete jede seiner Bewegungen.
"Versprich mir, dass wir uns wiedersehen."
Raoul blickte aus dem Fenster. Die Sonne beschien die Hänge hinter dem Anwesen, die Felsen auf den Hügelkämmen, die Tannen und Fichten und vertrieb allmählich die Kälte. Es war ein schöner Tag, zu schön für Tränen und gebrochene Herzen, und er wollte, dass es so blieb. Der Preis dafür war eine Lüge, aber was sollte er anderes tun? Er hatte der jungen Frau niemals etwas anderes in Aussicht gestellt als diese eine Nacht. Wenn sie sich mehr erhoffte ^ nun, dann war es ihre eigene Schuld. Man konnte ihm höchstens vorwerfen, dass sie zu jung war - wenngleich es ihr nicht gerade an Erfahrung mangelte.
Warum, bei allen Höllen, musste sie ihn nur in diese Lage bringen? Hätte sie die Nacht nicht einfach genießen und dann nach Hause gehen können?
Schließlich sagte er: "Versprochen."
Sie fiel ihm um den Hals, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und begann endlich, sich anzuziehen.
Kurz darauf führte Raoul sie aus dem Zimmer über die schmale Holztreppe hinunter zum Vorhof aus gestampfter Erde. Das Wohnhaus war das einzige Gebäude von Bazerat, das - abgesehen vom hölzernen Dach und der Treppe - vollständig aus Stein bestand. Im Erdgeschoss waren die Unterkünfte des Gesindes, verschiedene Werkstätten und Lagerräume für das Feuerholz untergebracht. Im Obergeschoss wohnten die Mitglieder der Familie: Raoul, Jacques und Lysanne sowie deren Söhne, Gerard und Jean. Die Wände waren über zwei Ellen dick, die Fenster schmal, und außer der Holztreppe hatte der obere Stock keine Zugänge. Bazerat war in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte noch nie angegriffen worden, aber sollte es einmal dazu kommen, würden sich die Familie, die elfköpfige Gesindeschar und die drei Waffenknechte in das leicht zu verteidigende Haus zurückziehen. Der Saal hinter der Eingangstür bot genug platz für alle.
Die übrigen Gebäude umstanden den Platz: Blaises Haus, die nagelneue Kornkammer auf fünf mannshohen Balken (die alte war im vergangenen Jahr vom Blitz getroffen worden, glücklicherweise bevor sie gefüllt worden war), die Küche, deren Kamin dünne Rauchschwaden in den Morgenhimmel entließ, der Pferdestall, hinter dem, verborgen unter dichten Brombeerhecken, der Bach floss. Für einen Ringwall und die Männer, die zur Verteidigung einer solchen Anlage notwendig gewesen wären, hatte die Familie kein Geld; also umgab lediglich ein hölzerner Zaun aus angespitzten Pflöcken das Landgut.
Bazerat lag in einem Seitental des Seilletals, zwei Wegstunden südlich von Metz, der Hauptstadt des Herzogtums oberlothringen. Einige Täler weiter westlich gehörten bereits zur französischen Krone. Es war eine liebliche Gegend mit ausgedehnten Wäldern und Weinbergen an den Hängen der felsigen Hügel zwischen Seille und Mosel. Raoul und Jacques waren Ritter von Herzog Friedrich II. von Metz, aber seit Raouls Ritterschlag vor zehn Jahren hatte er sein Schwert nicht mehr in den Dienst seines Lehnsherren stellen müssen. Zum einen war das Herzogtum von größeren Kriegen verschont geblieben, zum anderen waren die Bazerats zwar treue, aber unbedeutende Vasallen.
Als Raoul und das Mädchen die Treppe herabstiegen, waren die anderen Bewohner des Landguts schon lange auf den Beinen. François, der älteste der Waffenknechte, hob gerade das Vorderbein eines Pferdes hoch. Es lahmte seit einigen Tagen. Jacques untersuchte den Huf nach Ursachen. Die anderen Soldaten und die Mägde und Knechte warteten am Tor. Sie wollten zum Dorf, um dort die Sonntagsmesse zu hören.
Raoul küsste das Mädchen zum Abschied. Es sollte ein flüchtiger Kuss werden, aber das Mädchen vergrub seine Hand in seinem Haar und schob ihm die Zunge in den Mund, sodass sich die Angelegenheit länger hinzog als beabsichtigt. Schließlich löste er sich von ihm. "Jetzt geh", sagte er lächelnd. "Ich will nicht warten, bis dich deine Brüder mit Gewalt holen kommen."
"Bis heute Abend", flüsterte es ihm zu, dann entfernte es sich mit wiegenden Hüften. Raoul war nicht entgangen, dass die Gruppe am Tor zu ihnen gesehen hatte. Gut, sie sollten ihren Spaß haben. Er tat, als starre er dem Mädchen auf den Hintern, schloss die Augen und ließ sich nach hinten in einen Haufen Heu fallen, was bei den Knechten Gelächter und anzügliche Bemerkungen hervorrief. Raoul lachte ebenfalls, dann wischte er sich das Heu von der Kleidung und ging zu Jacques.
Sein Bruder hatte François das Pferd zurück in den Stall bringen lassen und sprach mit Jean, seinem jüngsten Sohn. Der Sechsjährige hielt den Bogen in den Händen, den Raoul für ihn gemacht hatte. Er schoss damit auf alles, das ihm in die Quere kam - Steine, Vögel, streunende Katzen -, und war bereits erstaunlich treffsicher. Raoul liebte ihn und Gerard wie seine eigenen Söhne. Gerard diente als Page am Hof in Metz und kam nur an Weihnachten und Ostern nach Bazerat oder wenn der Herzog mit seinem Gefolge nach Nancy zog. Er geriet ganz nach seinem Vater: genauso ernst und pflichtbewusst, weshalb er oft für zwölf oder dreizehn gehalten wurde, obwohl er noch keine elf war. Jean würde erst nächsten Sommer Page werden, aber er redete schon jetzt von nichts anderem mehr. Mit seinem Temperament hielt er das ganze Anwesen auf Trab, und jede Art von Gefahr zog ihn magisch an. Die Tage im Jahr, an denen er keine aufgeschlagenen Knie und Ellbogen oder ein verschrammtes Gesicht hatte, waren die seltene Ausnahme.
Als der Junge ihn entdeckte, schrie er "Onkel Raoul!" und stürmte auf ihn zu. Raoul riss Jean hoch in die Luft und nahm ihn auf den Arm.
"Beim heiligen Kreuz, du wirst schwer, kleiner Meisterschütze. Dein Onkel kann dich bald nicht mehr tragen."
"Gehst du heute jagen, Onkel Raoul? Nimmst du mich wieder mit?"
"Mal sehen ^ Hast du mit dem Bogen geübt, wie ich es dir gesagt habe? Ich kann keinen Gehilfen gebrauchen, der nichts vom Bogenschießen versteht."
"Ich übe jeden Tag!", verkündete der Junge. "Ich treffe das Auge auf zehn Schritt!"
"Sehr gut", sagte Raoul und setzte Jean ab. "Wenn das so ist, darfst du mitkommen."
Jean brach in wilden Jubel aus, der allerdings nur so lange währte, bis sein Vater sich zu ihnen gesellte. "Du kannst heute nicht auf die Jagd gehen", sagte Jacques. "Deine Mutter möchte, dass du Sachen für den Sommer anprobierst. Geh zu ihr. Sie wartet schon."
Der Junge murrte über diese Eröffnung, doch dann begriff er, dass es seinem Vater ernst war, und stapfte missmutig davon. Raoul war der Meinung, dass Jacques zu streng mit Jean umsprang. Sie stritten oft deswegen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, wieder damit anzufangen. Zwar sah Jacques streitlustig aus, aber offensichtlich aus anderen Gründen.
"Wer war dieses Mädchen?", fragte er.
"Ein Mädchen aus dem Dorf. Es wohnt bei der Brücke."
"Hat es auch einen Namen?"
"Margerit ^ nein, warte ^ Anne." Raoul lachte. "Herrgott, Jacques, glaubst du, ich merke mir all die Namen? Verlang nicht das Unmögliche von mir."
Jacques konnte diesem Scherz nichts abgewinnen. "Du spielst mit diesen Mädchen, Raoul. Du brichst ihnen das Herz. Kümmert dich das nicht?"
Sein schlechtes Gewissen regte sich erneut, und der Vorwurf traf ihn. "Ich spiele mit niemandem", erwiderte Raoul gereizt. "Anne, oder Margerit, wusste von Anfang an, woran sie bei mir war. Ich habe ihr nichts versprochen, das sie nicht auch bekommen hat."
"Sicher. Daran zweifle ich nicht", sagte sein Bruder ruhig und musterte ihn lange. Er war einunddreißig Jahre alt, drei Jahre älter als Raoul, und sein schwarzes Haar war bereits von einigen grauen Strähnen durchsetzt. Im Gegensatz zu Raoul, der es kurz trug, fiel es Jacques bis auf die Schultern. Sie kamen beide nach ihrem Vater: blaue Augen, hell wie Eiskristalle, am Kinn einen kurzen Bart, der jede Woche sorgfältig geschnitten wurde, ein schlankes Gesicht. Raoul hatte außerdem die vorspringenden Wangenknochen ihrer Mutter geerbt, wodurch sein Gesicht fast hager wirkte. Er selbst hielt es für durchschnittlich, obwohl viele Frauen anderer Meinung zu sein schienen. Mit seinen dreieinhalb Ellen war er etwas größer als die meisten Männer des Tals, aber eine Handbreit kleiner als Jacques.
"Du solltest heiraten", fuhr sein Bruder fort. "Weiber, Turniere, Feste ^ soll das ewig so weitergehen?"
"Du hörst dich an wie Blaise."
"Er hat recht. Du benimmst dich wie ein frühreifer Page. Willst du mit dem Erwachsenwerden warten, bis du sechzig bist?"
Raoul grinste. "Ein Langweiler in der Familie genügt, Jacques Er wollte seinen Spott noch weitertreiben, aber ein neuer Hustenanfall hinderte ihn daran. Er wandte sich von Jacques ab und hustete in die Armbeuge. Erleichtert stellte er fest, dass er diesmal kein Blut spuckte.
Der Ärger in Jacques' Gesicht verschwand augenblicklich. So war es immer: Sie konnten streiten, bis sie kurz davor waren, sich zu schlagen, doch sowie Jacques glaubte, sich Sorgen um Raoul machen zu müssen, war sein Unmut wie weggeblasen. Ein ärgerlicher Wesenszug, fand Raoul.
"Blaise ist heute Morgen zurückgekommen. Er soll dich untersuchen. Sicher kennt er ein Mittel, das dir hilft."
"Es ist nichts", erwiderte Raoul ungehalten. "Nur ein Husten. Er wird schon verschwinden."
"Wie lange geht das jetzt schon? Einen Monat? Geh zu ihm", beharrte sein Bruder.
"Himmel, Jacques, du wirst von Jahr zu Jahr schlimmer! Na schön, ich gehe zu Blaise. Aber erst heute Abend. Nach meinem Ausritt. Gönnst du mir wenigstens diesen Spaß? Oder hast du Angst, ich würde das Pferd nur benutzen?" Raoul ließ ihn stehen und ging zu den Stallungen, wütend auf Jacques, den verdammten Husten, das Mädchen, die ihm mit vereinten Kräften den Morgen verleidet hatten.
Das Mädchen - Anne oder Margerit oder wie auch immer es hieß ^ Er durfte nicht vergessen, François anzuweisen, es nicht zu ihm vorzulassen, sollte es noch einmal beim Tor auftauchen.
Es war früher Abend, als er zurückkehrte. Raoul galoppierte den Weg zum Anwesen hinauf, rief François und Hughes, die am Tor in der Sonne saßen, einen Gruß zu und schwang sich aus dem Sattel, bevor das Pferd zum Stehen gekommen war. Philippe, der Pferdeknecht, eilte ihm auf dem Hof entgegen. Raoul überließ ihm das Tier und wies ihn an, die Jagdtasche zur Küche zu bringen. Seine schlechte Laune vom Morgen war vergessen. Er hatte zwei Frischlinge geschossen; einen im Wäldchen in der Talsohle, den anderen in einer Senke in den Hügeln, die sein Vater "Gottes Steinacker" genannt hatte, wegen der unzähligen schiefergrauen Findlinge, die verstreut herumlagen, als wären sie wie Pilze aus dem Boden gesprossen. Das Wetter hatte gehalten, und im Lauf des Nachmittags war es immer wärmer geworden. Raoul fühlte sich prächtig ^ bis er entdeckte, dass in den Fenstern von Blaises Haus, die einen Monat lang dunkel gewesen waren, Licht brannte. Ihm fiel das Versprechen wieder ein, das er Jacques gegeben hatte. Zum- Teufel mit Jacques' überflüssigen Sorgen, dachte er, doch er wusste, sein Bruder würde ihn nicht in Ruhe lassen, bis er mit Blaise gesprochen hatte. Um des Friedens willen öffnete Raoul die Tür, zog unter dem niedrigen Balken den Kopf ein und betrat das Haus des Arztes.
Blaise lebte seit über fünfünddreißig Jahren auf dem Anwesen. Das Bistum hatte ihn einst geshickt, um der Familie Baze- rat als Kaplan und Arzt zu Diensten zu sein. Als Raouls Vater ins Heilige Land gezogen war, um gegen die Sarazenen zu kämpfen, hatte Blaise ihn begleitet. Die beiden Männer waren enge Freunde geworden, und bei ihrer Rückkehr hatte Gerard von Bazerat Blaise dieses Haus bauen lassen. Bald hatte sich der Kaplan nicht mehr nur um das gesundheitliche und seelische Wohl der Familie gekümmert, sondern auch die Erziehung von Gerards Söhnen übernommen. Dass Raoul sich nicht nur auf den Umgang mit Schwert, Lanze und Bogen verstand, sondern auch lesen und schreiben konnte und Latein beherrschte, verdankte er weder seinem Vater noch seinen Ausbildern am Hof des Herzogs; es war allein Blaises Verdienst.
Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen Raum, der bis zum Dachgebälk reichte; ein ewiges Halbdunkel, in das wegen der schmalen Fensterschlitze kaum Tageslicht drang. Eine Leiter führte zu einer hölzernen Empore unter dem Dachgebälk. Dort oben hatte Blaise in jüngeren Jahren geschlafen. Jetzt gestatteten ihm seine Gelenke den Aufstieg nicht mehr, und auf den Balken sammelte sich der Staub. Auch der ebenerdige Teil des Hauses war voller Staub: Er lag in Ecken und Winkeln, auf Truhen, Hockern, Tischen und erfüllte die Luft. Blaise war ein reinlicher Mensch, doch vor seiner Abreise vor einem Monat hatte er den Mägden verboten, während seiner Abwesenheit zu putzen. Er fürchtete, ungeschickte Hände könnten seine kostbaren Schriften in Mitleidenschaft ziehen. Der Arzt besaß davon eine beeindruckende Sammlung: etwa drei Dutzend Schriftrollen und Bücher standen in den Regalen, die den Raum in verwinkelte Abschnitte unterteilten, darunter Texte aus dem Morgenland, von denen es im Reich höchstens ein Dutzend Exemplare gab. Seine Kenntnisse der arabischen Sprache waren es auch, die ihn nach Speyer geführt hatten. Im Auftrag des Erzbischofs hatte er dort ein Buch über Heilkunst übersetzt.
Raoul konnte die Lichtquelle in dem Labyrinth aus Büchergestellen und Vorhängen nirgendwo ausmachen, also ging er zum hinteren Teil des Raumes, wo Blaise zu arbeiten pflegte. Regale voller Tiegel, Fläschchen und Steintöpfe bildeten die Wände des schmalen Flurs, den er entlangging. Es roch nach Minze, Kampfer, scharfem Pfeffer, Kamille und anderen Dingen, deren Namen Raoul nicht kannte. Die trockene, staubige Luft ließ ihn husten. Kaum war der Anfall vorüber, stand Blaise vor ihm.
"Raoul", sagte er. Es war ihm schwer gefallen, das Landgut und Raoul und Jacques und den Rest der Familie für mehrere Wochen zu verlassen, sehr schwer sogar. Aber das hieß nicht, dass er sich beim Anblick von Raoul zu einem Lächeln hinreißen ließ. Sein knochiges, blasses Gesicht schien zu einem solchen Ausdruck nicht fähig zu sein.
"Blaise, du alte Krähe! Komm her!"
Raoul vergaß, warum er gekommen war, und umarmte seinen alten Lehrer voller Wiedersehensfreude. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob der Kaplan im letzten Monat um Jahre gealtert war, denn dessen Leib schien um einiges magerer, das Haar um einiges dünner als vor der Abreise zu sein. Der Ritt und die Arbeit in Speyer mussten ihm zugesetzt haben.
Sie gingen nach hinten zu einer geräumigen Nische zwischen den Regalen mit einem Tisch voller Schriftstücke. Zwei dicke Talgkerzen brannten dort. Raoul erkundigte sich nach der Reise, aber der Kaplan ging nicht darauf ein. Er nahm einige Pergamente vom Hocker, legte sie zu den anderen auf den Tisch und bedachte Raoul mit einem kurzen, aber durchdringenden Blick.
"Was ist das für ein Husten? Bist du wieder krank gewesen?" Blaise hielt nichts von müßigem Geschwätz; er kam immer sofort zur Sache.
Raoul setzte sich. "Es ist derselbe Husten wie bei deiner Abreise."
"Derselbe Husten seit fünf Wochen? Gütiger Gott, wieso bist du nicht zu einem Arzt gegangen?"
"Du warst fort, weißt du noch?"
"Ich bin nicht der einzige Arzt im Herzogtum. Du hättest nach Metz reiten können. Oder nach Nancy."
"Hätte mir ein Arzt in Metz einen anderen Rat gegeben, als mich auszuruhen und ein Keuschheitsgelübde abzulegen?"
"Nein. Aber wenn du dafür bezahlt hättest, hättest du es vielleicht eher geglaubt als aus dem Mund deines alten Lehrers." Der Kaplan setzte sich. Er trug ein weites Gewand aus grobem Tuch, in dem seine dürre Gestalt nahezu verschwand. Er sah müde aus, erschöpft von den Wochen im Skriptorium und den Tagen auf dem Rücken seines Pferdes. Doch nichts auf der Welt würde ihn davon abhalten, dieses Gespräch fortzusetzen. Es gab niemanden in Bazerat, der seine Pflichten ernster nahm als Blaise, nicht einmal Jacques. "Entkleide dich", wies er Raoul an. "Ich muss dich untersuchen."
Raoul unternahm einen letzten Versuch. "Blaise, ich bin kein alter Mann, bei dem jedes Wehwehchen gleich das Ende bedeutet. Gib mir eins von deinen Wundermitteln, und ich verspreche dir, es zu nehmen, bis der Husten weg ist."
Blaise stand auf. Der Klang seiner Stimme duldete keinen Widerspruch. "Ausziehen. Das Wams genügt."
Seufzend öffnete Raoul die Knöpfe und legte das Wams ab. Er musste sitzen bleiben, während Blaise ihn mit seinen immer noch scharfen Augen musterte. Der Blick des Kaplans blieb kurz an der langen Narbe unter dem Schlüsselbein hängen. Raoul wusste, dass Blaise an den Tag dachte, als Raoul zwar verwundet, aber als frischgebackener Ritter nach Hause gekommen war. Während der wochenlangen Kämpfe gegen Raubritter, die in den Vogesen ihr Unwesen trieben, hatte Raoul nicht nur erfahren, wie es sich anfühlt, wenn einem Stahl in den Körper drang, sondern auch, was es heißt, einen Mann mit eigenen Händen zu töten.
"Du hast abgenommen", stellte Blaise fest. "Isst du zu wenig?"
"Der Winter ist vorbei. Ich sitze nicht mehr nur faul herum."
Der Kaplan trat hinter ihn und betastete seinen Hals, den Kiefer, das Schlüsselbein. "Tut das weh?"
"Nein."
"Hattest du noch einmal Fieber?"
"Nein, Blaise. Es ist alles in Ordnung. Es ist nur ein Husten."
">Nur ein Husten< gibt es nicht. Alles hat eine Ursache." Blaise stellte ihm eine Reihe von Fragen, die Raoul alle verneinte. Schließlich setzte sich der alte Mann wieder an den Tisch und schwieg.
"Was denkst du?", fragte Raoul. "Muss ich mit einer Glocke herumlaufen, damit sich alle rechtzeitig vor mir in Sicherheit bringen können?"
Blaise reagierte auf den Scherz mit einem missbilligenden Blick. "Meine größte Sorge war, dass du den Schwund hast. Aber nichts deutet darauf hin. Es scheint sich um eine harmlose Reizung des Rachens zu handeln."
"Gut. Das beruhigt mich." Raoul nahm sein Wams und wollte es überstreifen, doch der Kaplan sagte:
"Warte. Wir sind noch nicht fertig."
Raoul wusste Blaises Bemühungen zu schätzen, doch er fand, dass dieser es allmählich übertrieb. "Was denn noch? Du weißt doch jetzt, woran es liegt."
"Du bist genauso ein Dummkopf wie dein Vater. In Akkon hat er mir einmal verboten, ihm zu helfen, als ihm ein Pfeil im Bein und ein zweiter in der Schulter steckte."
Raoul grinste. "Wir Bazerats sind eben robust."
"Töricht wäre das passendere Wort." Blaise zog eine Kiste unter dem Tisch hervor, öffnete sie und nahm einen kupfernen Trichter heraus. "Versuch zu husten", sagte er und horchte mit dem Trichter Raouls Rücken ab.
Raoul kam der Aufforderung nach, was ihm nicht schwerfiel. Der nachgeahmte Husten rief auf der Stelle einen echten hervor. Er hielt die Hand vor den Mund und betrachtete sie, als der Husten vorüber war. Blut glitzerte auf seinem Handteller, mehr als am Morgen.
Blaise bemerkte es. Schneidend fragte er: "Seit wann hast du das? Warum hast du mir nichts davon gesagt?" Er trat vor Raoul. Seine Erschöpfung schien schlagartig verschwunden zu sein, und auf sein Gesicht legte sich ein Schatten.
"Seit heute Morgen", antwortete Raoul und schloss sein Wams. "Nach dem Aufwachen."
Wortlos nahm Blaise seine Hand und betrachtete das Blut. Der Griff der knochigen, aber äußerst kräftigen Finger um sein Handgelenk schmerzte Raoul. Er war Jacques zuliebe hergekommen, weil er es nicht ertrug, wenn andere sich Sorgen um ihn machten - Sorgen, die er für maßlos übertrieben hielt. Doch als er die Dunkelheit in Blaises Augen bemerkte, beschlich ihn zum ersten Mal ein Gefühl der Beunruhigung. "Was habe ich, Blaise?", fragte er. "Was ist das für eine Krankheit?"
Blaise ließ ihn los und gab ihm ein Tuch für das Blut. Er bemühte sich vergeblich um einen sachlichen Ton. "Es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren. Ich muss nachlesen, bevor ich dir eine Antwort gebe."
"Aber du hast einen Verdacht, nicht wahr?"
Die Kieferknochen des Kaplans mahlten. Schließlich sagte er: "Mir sind nur wenige Krankheiten bekannt, die sich durch blutigen Auswurf bemerkbar machen. Eine ist der Schwund. Aber die typischen Anzeichen der Weißen Pest fehlen bei dir. Vielleicht treten sie in den nächsten Tagen auf, aber das wäre unwahrscheinlich."
"Und die anderen? Wie heißen die anderen Krankheiten?"
Blaise sank unmerklich in sich zusammen, als wäre seine Müdigkeit plötzlich zurückgekehrt, stärker als zuvor. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. "Wie gesagt, es ist zu früh. Lass mich bei ibn-Sina und Galenos nachlesen. Alles andere wäre Er wollte aufstehen, doch Zorn wallte in Raoul auf, und er packte seinen alten Lehrer am Arm.
"Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren!"
Blaise verharrte einen Moment reglos, und sein stechender Blick haftete an Raoul. Dann sank er langsam zurück auf die Bank. "Am ehesten kommt karkinos in Frage", sagte er leise.
Raoul ließ ihn los. "Was bedeutet das?"
"Es ist ein fressendes Geschwür." Blaise stockte, und sein Adamsapfel bewegte sich. "Eine Geschwulst, die immer weiter wächst und den Leib von innen aufzehrt. In deinem Fall sitzt sie in der Lunge und zerstört sie, weitaus rascher als der Schwund."
Raoul stand auf. Das Zimmer, die Regale, die Kerzen - alles schwankte vor seinen Augen. Er spürte, wie das Kribbeln wiederkam. Langsam und unaufhaltsam stieg es seinen Rachen hinauf. Raoul glaubte, nicht mehr atmen zu können. "Was heißt >rasch
... weniger
Autoren-Porträt von Christoph Lode
Christoph Lode, geboren 1977, ist in Hochspeyer bei Kaiserslautern aufgewachsen. Er studierte in Ludwigshafen am Rhein und arbeitet heute hauptberuflich in einer psychiatrischen Klinik bei Heidelberg. Er lebt mit seiner Frau in Mannheim. Der Autor ist Mitglied bei 'Quo Vadis Autorenkreis historischer Roman'.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christoph Lode
- 2008, 480 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Page & Turner
- ISBN-10: 3442203260
- ISBN-13: 9783442203260
Rezension zu „Der Gesandte des Papstes “
"Die Figuren agieren nicht vor Kulissen, sondern vor einem fundiert recherchierten historischen Hintergrund."
Kommentar zu "Der Gesandte des Papstes"
0 Gebrauchte Artikel zu „Der Gesandte des Papstes“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Gesandte des Papstes".
Kommentar verfassen