Der Judas des Leonardo
Ein spannender historischer Roman, der die Themen Liebe, Geld und Verrat wie auch Kunst und Künstlertum formvollendet miteinander verknüpft.
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Ein spannender historischer Roman, der die Themen Liebe, Geld und Verrat wie auch Kunst und Künstlertum formvollendet miteinander verknüpft.
Mailand an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Leonardo da Vinci möchte im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie endlich sein Gemälde >Das Abendmahl< vollenden, doch ihm fehlt das Modell für den Kopf des Judas. Er macht sich auf die Suche nach dem »allerschlechtesten Menschen in ganz Mailand«.
Er findet ihn schließlich in dem böhmischen Kaufmann Joachim Behaim, der, wie Judas, fähig ist, aus Stolz einen Verrat zu begehen. Die Geschichte des Kaufmanns steht im Mittelpunkt dieses spannenden historischen Romans, der Liebe und Geld ebenso zum Thema hat wie Kunst und Künstlertum.
DerJudas des Leonardo von Leo Perutz
LESEPROBE
Im März des Jahres1498, an einem Tage, der der lombardischen Ebene Regenschauer, unterbrochenvon Windstößen und verspätetem Schneefall, brachte, begab sich der Prior desDominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in die Burg zu Mailand, um demHerzog Ludovico Maria Sforza, den man den Moro nannte, seine Aufwartung zu machenund um des Herzogs Beistand in einer Sache zu erlangen, die ihm seit geraumerZeit andauernd Kummer und Verdruß bereitete.
Der Herzog vonMailand war in jenen Tagen nicht mehr der kühn denkende und rasch zugreifendeKriegs- und Staatsmann von einst, dem es so oft gelungen war, den Krieg vonseinem Herzogtum fernzuhalten, indem er, Unruhe in allen Nachbarländernstiftend, den feindlichen Kräften eine andere Richtung gab und seine eigeneMacht vermehrte. Sein Glück und Ansehen waren im Niedergang begriffen, und wasdas Glück anlangt, so ist manchmal, wie der Herzog selbst zu sagen pflegte,eine Unze davon mehr wert als wohlgewogene zehn Pfund Weisheit. Vorüber wardie Zeit, in der er den Papst Alexander Vl. seinen Kaplan, den König vonFrankreich seinen stets bereiten Kurier, die »Serenissima« - die RepublikVenedig - seinen schwerbeladenen Packesel und den römischen Kaiser seinenbesten Kondottiere nannte. Jener König von Frankreich, Karl VIII., war tot,und sein Nachfolger, Ludwig XII., erhob als Enkel eines Visconti Ansprüche aufdas Herzogtum Mailand. Maximilian, der römische Kaiser, war in so vielerleiHändel verstrickt, daß er selbst der Hilfe bedurfte, und was die »Serenissima«betraf, so hatte sie sich als solch ein unruhiger Nachbar erwiesen, daß derMoro ihr kundgetan hatte, er werde sie, falls es ihr beifiele, sich der Ligaseiner Gegner anzuschließen, zum Fischfang weit ins Meer hinausschicken und ihrnicht einen Fußbreit festen Bodens lassen, um Korn darauf zu säen. Denn nochbesaß er etliche Tonnen Gold, um notfalls damit Krieg zu führen.
Der Moro empfing denPrior des Klosters Maria delle Grazie in seiner alten Burg, im »Saal der Götterund Giganten«, der seinen Namen den Fresken verdankte, die zwei seiner Wändebedeckten, indes die dritte mit ihren stark verblaßten und zum Teilabgeblätterten Farben eine »Vision des Ezechiel« aus den Tagen der Viscontisgerade noch erkennen ließ. Hier pflegte der Herzog in den Vormittagsstundeneinen Teil der Staatsgeschäfte zu erledigen. Nur selten traf man ihn hierbeiallein an, denn zu jeder Stunde des Tages mußte er vertraute Gesichter inseiner Nähe oder doch in Rufweite haben. Das Alleinsein, mochte es auch nurMinuten währen, beunruhigte und bedrückte ihn, es erschien ihm dann, als wäreer schon von allen verlassen, und eine trübe Vorahnung ließ ihm den weitestenRaum zu einer Kerkerzelle sich verengen.
An diesem Tage nunund zu dieser Stunde befand sich beim Herzog der Staatsrat Simone di Treio, derihm soeben Vortrag darüber gehalten hatte, wie man den Groß-Seneschall desKönigreichs Neapel, den man bei Hof erwartete, zu empfangen habe. Weiters einSekretär der herzoglichen Kanzlei, der sich Notizen machte. In einer Fensternischestanden der Schatzmeister Landriano und der Feldhauptmann da Corte, von dem esschon damals hieß, daß er die französischen Goldkronen jeder anderen Münzevorzöge, und beide Herren blickten mit sachverständiger Miene auf zwei Pferde,einen großen Berber und einen Sizilianer, die von Reitknechten unten im altenHof auf und nieder geführt wurden, indes der Stallmeister des Herzogs mit ihremEigentümer, einem deutschen Roßkamm, wegen des Preises verhandelte, und mansah den Deutschen immer nur den Kopf schütteln. Im Hintergrund des Saales,nicht weit vom Kaminfeuer und zu Füßen eines an die Wand gemalten greulichenRiesen, der in furchterregender Weise die Backen aufblies, saß die DameLucrezia Crivelli, die als die Geliebte des Herzogs galt. Sie war inGesellschaft zweier Herren: des Hofdichters Bellincioli, eines hageren Mannes,dessen Gesicht den melancholischen Ausdruck eines brustkranken Affen zeigte,und des Lyraspielers Migliorotti, den man bei Hof den »Fenchel« nannte. Denn sowie die mit Fenchel zubereiteten Süßigkeiten und Leckereien erst am Schluß derMahlzeit, wenn alle schon gesättigt sind, aufgetragen werden, so ließ derHerzog auch den Lyraspieler zumeist dann zu sich rufen, wenn er jeglicherUnterhaltung überdrüssig war. Dieser »Fenchel« war ein wortkarger Mensch, undwenn er einmal irgend etwas sagte, so klang es plump und gewöhnlich, auchhatte er ein krächzendes Organ, und darum schwieg er lieber. Aber er verstandes, alle seine Gedanken und Meinungen sehr geschickt und verständlich durch dieTöne seiner Lyra auszudrücken. Und jetzt eben, während der Moro den Prior mitliebenswürdigen Worten willkommen hieß und ihn sodann zu einem Armstuhlgeleitete, intonierte der »Fenchel« in einer feierlich-getragenen Weise, sodaß es wie ein Kirchenchoral klang, einen Mailänder Gassenhauer, dessen Textmit den Worten begann:
»Diebe schleichen inder Nacht. Gib auf Deinen Beutel acht!«
Denn jedermann beiHofe wußte, daß es sich der Prior zur Regel gemacht hatte, die Freigebigkeitdes Herzogs bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot, in Anspruch zu nehmen, undgewöhnlich leitete er sein Anliegen damit ein, daß er klagte, die Reben auf denbeiden Klostergütern hätten in diesem Jahr zufolge der schlechten Witterungnicht angesetzt, und dies sei eine Sache, die ihn in die schwerste Bedrängnis gestürzthabe oder noch stürzen werde.
Die Geliebte desHerzogs, die sich von ihrem Sitz beim Kaminfeuer erhoben hatte und auf den Priorzuging, wandte den Kopf und warf dem »Fenchel« einen strafenden Blick zu. Siewar fromm erzogen, und wenn sie auch nicht mehr in jedem Priester oder Mönchden Vertreter Gottes auf Erden sah, so schien ihr dennoch Geld, das der Kirche zufloß,wohlangewandtes Geld zu sein, von dem man sich den größten Nutzen erwartendurfte.
Indessen hatte sichder Prior mit einem leisen Ächzen in den Armstuhl fallen lassen. Die Frage desHerzogs nach seinem Befinden beantwortete er mit Klagen darüber, daß es ihmschon seit vielen Wochen an Eßlust fehle, wobei er Gott zum Zeugen dafüranrief, daß er in zwei Tagen nicht mehr als einen Bissen Brot und einen halbenRebhuhnflügel zu sich zu nehmen imstande gewesen sei. Wenn das so weiterginge,- fügte er hinzu, - werde er noch gänzlich von Kräften kommen.
Und nun erwies essich, daß er diesmal erstaunlicherweise nicht, um eine Beihilfe in Geld zuerlangen, gekommen war, denn er erwähnte mit keinem Wort die Reben, diesicherlich auch in diesem Jahr nicht angesetzt hatten, er kam vielmehr sogleichauf den Gegenstand zu sprechen, dem er die Schuld an seinem schlechtenGesundheitszustand gab.
»Es ist dieserChristus mit seinen Aposteln«, sagte er, indem er sich Luft zufächelte, »dasheißt, wenn es überhaupt ein Christus ist, denn zu erkennen ist noch garnichts, abgesehen von ein paar Beinen und Armen, die ich weiß nicht welchem vonden Aposteln zugehören. Ich habe es satt. Dieser Mensch treibt es zu arg.Monatelang läßt er sich nicht blicken, und wenn er dann endlich einmal kommt, dannsteht er den halben Tag über vor dem Bild, ohne daß er den Pinsel auch nur indie Hand nimmt. Glaubt mir, er hat diese Malerei nur begonnen, um mich mit ihrzu Tode zu ärgern.«
Diese ganze Redehatte der »Fenchel« mit einer neuen Melodie begleitet, und diesmal war es einSpottlied, das die geringen Leute in Mailand zu singen pflegten, wenn sie eine schlechte,langatmige und langweilige Predigt nicht länger anhören mochten, und der Textdieses Liedes lautete:
»Auf! Nach Hause!Gott zum Gruß! Was er spricht, ist Zwiebelmus.«
»Ihr seid,hochwürdiger Vater«, ließ sich jetzt der Herzog vernehmen, »in eine Schmiedegekommen, in der ich mich andauernd zwischen dem Amboß und dem Hammer befinde,denn es vergeht selten ein Tag, ohne daß mir eine solche oder eine andere Klagegegen diesen Menschen zugetragen wird, dem ich, jedermann weiß es, wie einemBruder zugetan bin, und ich werde niemals aufhören, ihn zu lieben. Es ist,scheint es, in vielen seiner Künste bei ihm eine Windstille eingetreten, undseit er sich, ich weiß nicht, ob aus Trotz oder aus echtem Eifer, denExperimenten und der Mathematik zugewendet hat, ist von ihm nicht einmal einekleine holdselige Madonna zu erlangen, dies, sagt er, sei eine Sache, die denSalai anginge, seinen Schüler, der ihm bis zum vorigen Jahr die Farben geriebenhat.«
»Ich glaube«, warfder Dichter Bellincioli ein, »daß er sich gerade jetzt mehr denn je mit denProblemen der Malerei befaßt. Erst gestern sprach er zu mir mit der ihm eigenengroßen Eindringlichkeit von den zehn hohen Amtern, die das Auge des Malers zuverwalten habe, und er zählte sie mir auf. Schatten und Licht, Umriß und Farbe,Figur und Hintergrund, Entfernung und Nähe, Bewegung und Ruhe. Und ferner sagteer mit der allerernstesten Miene, daß die Malerei über die Kunst der Ärzte zustellen sei, denn ihr gelänge es, die längst Verstorbenen zu erwekken und dienoch Lebenden dem Tode streitig zu machen. So spricht nicht einer, der anseiner Kunst verzweifelt.«
»Er ist ein Träumerund Märchenerzähler geworden«, sagte der Feldhauptmann da Corte, der seineAufmerksamkeit für kurze Zeit den beiden Pferden unten im Hof entzog. »Ichglaube nicht, daß ich seine tragbaren Brücken für Flüsse mit hohen und mitniedrigen Ufern jemals woanders als auf dem Papier zu sehen bekommen werde. Erbeginnt das Höchste und beendet nichts.«
»Was Ihr, gnädigsterHerr, eine Windstille zu nennen beliebtet«, wandte sich der SchatzmeisterLandriano an den Herzog, »das entspringt vielleicht seiner Furcht, Irrtümer zubegehen. Und diese Furcht wächst in ihm von Jahr zu Jahr in dem Maße, als seinWissen zunimmt und sein Können reift. Er müßte ein Weniges von seiner Kunst undseinem Wissen vergessen, um wieder schöne Werke zustande zu bringen.«
»Das mag sein«,erklärte der Prior mit gelangweilter Miene. »Aber er sollte doch vor allemdaran denken, daß ein Refektorium dazu da ist, sich darin zum Speisen niederzulassen,nicht aber, um seine Sünden darin abzubüßen. Ich kann den Anblick des Gerüstesund der Schwingbrücke mit der gerade nur angepinselten Wand dahinter nicht längerertragen und noch weniger den Geruch des Mörtels, des Leinöls, des Lacks undder Farben, den ich dauernd zu spüren bekomme. Und wenn er sechsmal im Tagefeuchtes Holz in Brand setzt, daß uns der dicke Rauch in die Augen beißt, nurum, wie er sagt, zu erfahren, in welcher Farbe dieser Rauch aus einigerEntfernung gesehen, sich dem Auge darbietet, - was das mit dem>Abendmahl< zu tun hat, das soll mir einer sagen.«
»Wir haben nun«,meinte der Herzog, »drei oder vier verschiedene Anschauungen über denStillstand in Messer Leonardos Arbeit gehört, und es ist billig, daß wir jetztihn selbst in seiner Sache zu Wort kommen lassen. Er ist in meinem Hause. Aberich rate Euch, hochwürdiger Vater: Sprecht sachte zu ihm, denn zwingen läßt ersich zu nichts.«
Und er gab demSekretär den Auftrag, den Meister Leonardo herbeizuholen.
Der Sekretär fand denMaler in einem Winkel des alten Hofes barhäuptig im Regen kauernd, mit demSkizzenbuch auf den Knien, in dem er die Bewegungen des großen Berbers und dieMaße seines ausgestreckten Hinterbeins mit dem Stifte festgehalten hatte. Alser hörte, um was es sich handelte, und daß der Prior des Klosters Santa Maria delleGrazie beim Herzog sei, schlug er sein Skizzenbuch zu und ging wortlos und inGedanken versunken hinter dem Sekretär über den Hof und die Treppe hinauf. Vorder Türe des Saales blieb er stehen und fügte der Zeichnung des Pferdebeinesnoch einige Striche hinzu. Dann trat er ein, und so weit abseits war er nochimmer mit seinen Gedanken, daß er Miene machte, den »Fenchel« zuallererst zubegrüßen, bevor er noch dem Herzog und dem Prior seine Reverenz erwiesen hatte,während er die übrigen Anwesenden anfangs gar nicht zu bemerken schien.
»Ihr seid, MesserLeonardo, der Anlaß des uns sehr willkommenen Besuches, mit dem derhochwürdige Vater hier uns schon so früh am Tage überrascht hat«, sagte derHerzog, und jedermann, der mit seinen Gewohnheiten vertraut war, konnte ausdiesen Worten erkennen, daß der Vorwurf, den sie enthielten, weniger dem MesserLeonardo als dem Prior galt, denn Überraschungen liebte der Moro nicht, und einunangesagter Besuch war ihm niemals willkommen.
© DeutscherTaschenbuch Verlag
- Autor: Leo Perutz
- 2005, 10. Aufl., 224 Seiten, Maße: 12,4 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben: Hans-Harald Müller
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 342313304X
- ISBN-13: 9783423133043
- Erscheinungsdatum: 01.03.2005
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