Der kleine Herr Friedemann
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Thomas Mann an Otto Grautoff, 21. Juli 1897
Der kleine Herr Friedemannvon Thomas Mann
LESEPROBE
Im Juli desselben Jahres ereignete sich jener Wechsel inder Bezirkskommandantur, der alle Welt in Erregung versetzte. Der beleibte,joviale Herr, der lange Jahre hindurch diesen Posten innegehabt hatte, war inden gesellschaftlichen Kreisen sehr beliebt gewesen, und man sah ihn ungernscheiden. Gott weiß, infolge welches Umstandes nun ausgemacht Herr vonRinnlingen aus der Hauptstadt hierher gelangte.
Der Tausch schien übrigens nicht übel zu sein, denn der neueOberstlieutenant, der verheiratet aber kinderlos war, mietete in dersüdlichen Vorstadt eine sehr geräumige Villa, woraus man schloß, daß er einHaus zu machen gedachte. Jedenfalls wurde das Gerücht, er sei ganzaußerordentlich vermögend, auch dadurch bestätigt, daß er vier Dienstboten,fünf Reit- und Wagenpferde, einen Landauer und einen leichten Jagdwagen mitsich brachte.
Die Herrschaften begannen bald nach ihrer Ankunft bei denangesehenen Familien Besuche zu machen, und ihr Name war in aller Munde; das Hauptinteresseaber nahm schlechterdings nicht Herr von Rinnlingen selbst in Anspruch,sondern seine Gattin. Die Herren waren verblüfft und hatten vorderhand nochkein Urteil; die Damen aber waren geradeheraus nicht einverstanden mit demSein und Wesen Gerdas von Rinnlingen.
»Daß man die hauptstädtische Luft verspürt«, äußerte sichFrau Rechtsanwalt Hagenström gesprächsweise gegen Henriette Friedemann, - »nun,das ist natürlich. Sie raucht, sie reitet - einverstanden! Aber ihr Benehmenist nicht nur frei, es ist burschikos, und auch das ist noch nicht das rechte Wort...Sehen Sie, sie ist durchaus nicht häßlich, man könnte sie sogar hübsch finden:und dennoch entbehrt sie jedes weiblichen Reizes, und ihrem Blick, ihremLachen, ihren Bewegungen fehlt alles, was Männer lieben. Sie ist nicht kokett,und ich bin, Gott weiß es, die letzte, die das nicht lobenswert fände; aberdarf eine so junge Frau - sie ist vierundzwanzig Jahre alt - die natürlicheanmutige Anziehungskraft... vollkommen vermissen lassen? Liebste, ich binnicht zungenfertig, aber ich weiß, was ich meine. Unsere Herren sind jetzt nochwie vor den Kopf geschlagen: Sie werden sehen, daß sie sich nach ein paarWochen gänzlich degoutiert von ihr abwenden...«
»Nun«, sagte Fräulein Friedemann, »sie ist ja vortrefflichversorgt. «
»Ja, ihr Mann!« rief Frau Hagenström. »Wie behandelt sieihn? Sie sollten es sehen! Sie werden es sehen! Ich bin die erste, die daraufbesteht, dass eine verheiratete Frau gegen das andere Geschlecht bis zu einemgewissen Grade abweisend zu sein hat. Wie aber benimmt sie sich gegen ihreneigenen Mann? Sie hat eine Art, ihn eiskalt anzusehen und mit einermitleidigen Betonung >Lieber Freund< zu ihm zu sagen, die mich empört!Denn man muß ihn dabei sehen - korrekt, stramm, ritterlich, ein prächtigkonservierter Vierziger, ein glänzender Offizier! Vier Jahre sind sieverheiratet ... Liebste ... «
© 1966, 1967 Katia Mann
- Autor: Thomas Mann
- 2005, 5. Aufl., 76 Seiten, Maße: 11,3 x 18,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3103481268
- ISBN-13: 9783103481266
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