Anderson, Chris
Chris Anderson zeigt in seinem Buch, wie der "lange Schwanz" all der Produkte, die sich vielleicht nur einmal im Jahr verkaufen, für immer mehr ausgeschlafene Unternehmen zum Umsatzbringer wird. Einfach deshalb, weil sich im Internet praktisch unbegrenzt viele Produkte zu minimalen Kosten bereithalten lassen. Vermeintliche Flops werden so auf einmal zum höchst profitablen Geschäft. Massenanbieter sehenschweren Zeiten entgegen, für neue Unternehmen bieten sich immense Chancen. Wie Sie die nutzen können und was diese neue Wirtschaft für uns alle bedeutet, zeigt Anderson.
Was geschieht, wenn eine praktisch unbegrenzte Zahl von Produkten und Dienstleistungen für alle verfügbar wird? Wenn der Wert all der Millionen von Nischenprodukten, die nur einen Mausklick entfernt im Internet angeboten werden, weit über dem der klassischen Top-Seller liegt? Dann verändert sich die Wirtschaft von Grund auf.
Exakt das passiert gerade. Chris Anderson zeigt in seinem Buch, wie der "lange Schwanz" all der Produkte, die sich vielleicht nur einmal im Jahr verkaufen, für immer mehr ausgeschlafene Unternehmen zum Umsatzbringer wird. Einfach deshalb, weil sich im Internet praktisch unbegrenzt viele Produkte zu minimalen Kosten bereithalten lassen. Vermeintliche Flops werden so auf einmal zum höchst profitablen Geschäft.
Massenanbieter sehen schweren Zeiten entgegen, für neue Unternehmen bieten sich immense Chancen. Wie sie die nutzen können und was diese neue Wirtschaft für uns alle bedeutet, zeigt Anderson in seinem revolutionären Buch, das seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht.Ein Buch für alle Manager, CIOs, Vertriebsleiter.
The Long Tail - Der lange Schwanz von ChrisAnderson
LESEPROBE
Einleitung
Wir sindförmlich davon besessen, Bestsellerlisten zu erstellen. Unsere Kultur ist imGrunde nichts anderes als ein Ringen um Beliebtheit. Wir sind völlig von Hitsin Anspruch genommen - wir machen Hits, wählen sie aus, reden darüber undverfolgen ihren Aufstieg und Niedergang. Jedes Wochenende findet eine Schlachtan den Kinokassen statt, und jeden Donnerstag wird in den USA anhand der Quotendie Fernsehsendung ermittelt, die in einem darwinistischen Überlebenskampf demGeschmack der Zuschauer am besten entsprach. Dann sehen wir zu, wie sie eineweitere Woche überlebt. Im Radio werden ein paar Hits im Dauereinsatz gespielt,während die Bosse der Unterhaltungsindustrie im Schweiße ihres Angesichts nachdem nächsten großen Wurf suchen.
Das ist dieWelt, die sich die Hits, Blockbuster und Bestsellerselbst geschaffen haben. Die riesige Unterhaltungs- und Medienmaschinerie vonheute entstand in den vergangenen 50 Jahren im Gefolge von Kinokassenknüllern,Goldenen Schallplatten und zweistelligen Fernseheinschaltquoten. Da überraschtes kaum, dass Hits und Bestseller zur Linse wurden, durch die wir unsere eigeneKultur betrachten. Wir definieren uns über Prominente und Produkte desMassenmarkts - sie bilden das verbindende Element unserer kollektivenErfahrungen. Das Starsystem, das vor 80 Jahren von den großen Hollywoodstudiosgeschaffen wurde, ist mittlerweile bis in den letzten Winkel desKonsumgütermarkts vorgedrungen und reicht von Schuhen bis zu Starköchen.
In denMedien dreht sich alles um die Frage, was in und was out ist. Kurz gesagt, Hitsbeherrschen den Markt.
Doch wennman ein bisschen genauer hinsieht, stellt man fest, dass dieses Bild, das nachdem Krieg in der großen Zeit des Radios und Fernsehens entstand, inzwischenerste Auflösungserscheinungen zeigt. Hits sind, Schreck lass nach, nichtmehr so dominant. Die Nummer eins ist immer noch die Nummer eins, aber diedamit verbundenen Verkaufszahlen sind nicht mehr das, was sie einmal waren.
DerGroßteil der 50 meistverkauften Musikalben aller Zeiten wurde in den 70er- und80er-Jahren aufgenommen (unter anderem von den Eaglesund Michael Jackson), in den vergangenen fünf Jahren ist dagegen kein einzigesentstanden. Die Einnahmen Hollywoods an der Kinokasse gingen 2005 um über sechsProzent zurück, was zeigt, dass die Zahl der Kinogänger trotz desBevölkerungswachstums sinkt.1
Jahr fürJahr verlieren die amerikanischen Network-Fernsehsenderimmer mehr Zuschauer an die zahlreichen Kabelsender, die sich in den Nischenetabliert haben. Männer zwischen 18 und 34 Jahren, die begehrteste Zielgruppefür die Werbung, schalten den Fernseher immer häufiger ganz ab und verbringenihre »Bildschirmzeit« mit Internet und Videospielen. Die Einschaltquoten derFernsehsendungen sinken seit Jahrzehnten; eine Sendung, die heute ganz vornerangiert, hätte es 1970 nicht einmal in die Top Ten geschafft.2
Kurz,obwohl wir immer noch von Hits und Megasellernbesessen sind, stellen sie nicht mehr die wirtschaftliche Kraft dar, die sieeinst waren. Und wohin wenden sich die wankelmütigen Verbraucher stattdessen? Esgibt kein bestimmtes Ziel. Sie sind in alle Winde verstreut, weil sich derMarkt auf unzählige Nischen verteilt hat. Das Internet ist der großeWachstumsmarkt, aber mit seinen Millionen Möglichkeiten lässt es sich nichtkategorisieren, jede Richtung widerlegt auf ihre Weise die konventionelle Logikder Medien und des Marketings.
iTunes Killed the Radio Star
Ichverbrachte meine Jugend in einer Zeit, die rückblickend betrachtet denHöhepunkt der Massenkultur darstellt - die 70er- und 80er- Jahre. Damals hatteein durchschnittlicher amerikanischer Teenager Zugang zu einem halben DutzendFernsehsendern, und fast alle sahen sich die gleichen Fernsehsendungen an. Injeder Stadt gab es drei oder vier Radiosender, die Rock- und Popmusik spielten,und im Grunde gab das Radio vor, welche Songs gehört wurden; nur ein paarbegüterte Jugendliche legten Plattensammlungen an, die über die allgemeinen Hörgewohnheitenhinausgingen.
Wir allesahen die gleichen Filme im Kino und bezogen unsere Informationen aus dengleichen Zeitungen und Nachrichtensendungen. Es gab nur ganz wenigeMöglichkeiten, vom breiten Pfad der Massenkultur abzuweichen, etwa die Büchereiund der Comicladen. Soweit ich mich erinnern kann, erreichte mich die einzigeForm von Kultur jenseits des Massengeschmacks in Form von Büchern und in dem,was meine Freunde und ich uns ausdachten, aber auch dabei blickten wir kaumüber den eigenen Tellerrand.
Vergleichenwir meine Jugend einmal mit der von Ben, einem 16- Jährigen, der mit demInternet aufgewachsen ist. Er ist das einzige Kind wohlhabender Eltern imnoblen North Berkeley Hills, hat einen Mac im Zimmer, einen gut bestückten iPod (für den er sich wöchentlich Songs bei iTunes herunterladen darf) und Freunde, die genauso leben.Wie seine Teenagerkumpels hat Ben eine Welt ohne Breitband, Handy, MP3- Player, Festplattenrekorder und Onlineshopping nie kennengelernt. Die Folge dieser Vernetzung ist derunbegrenzte, ungefilterte Zugang zu Kultur und Informationen aller Art, vom Mainstream bis zu den äußersten Rändern der Subkultur. Benwächst in einer ganz anderen Welt auf als ich, einer Welt, die deutlich wenigervon den traditionellen Medien oder der Unterhaltungsindustrie geprägt ist. WennSie sich auf den folgenden Seiten des Buchs nicht wiedererkennen,stellen Sie sich einfach Ben vor. Seine Welt zeigt uns, wie unsere Welt inZukunft aussehen wird.
Benbetrachtet Kultur als ein nahtloses Kontinuum von oben nach unten, bei demkommerzielle und von Amateuren bereitgestellte Inhalte gleichermaßen um seineAufmerksamkeit buhlen. Er unterscheidet ganz einfach nicht zwischen Mainstream-Hits und Nischenprodukten - er sucht sich auseinem unbegrenzten Angebot, bei dem Hollywoodfilme und 3-D-Animationsfilme, diemithilfe von Computerspielen erzeugt wurden, gleichberechtigt nebeneinanderstehen, ganz einfach das aus, was ihm gefällt.
Ben schautnur ungefähr zwei Stunden in der Woche fern, meistens West Wing (zeitversetzt, versteht sich) und Firefly, eine abgesetzte Raumschiffserie, die er aufseinem TiVo3 gespeichert hat. Auch die Animes, die ersich bei BitTorrent (einem Dateientauschsystem)herunterlädt, zählen für ihn zum Fernsehen, weil sieursprünglich im japanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden (die englischenUntertitel werden oft von den Fans selbst eingefügt).
Bei Filmenist Ben Science-Fiction-Fan und entspricht damit ziemlich dem Durchschnitt. Erist begeisterter Anhänger von Star Wars und derMatrix-Reihe. Er sieht sich aber auch Filme an, die er sich heruntergeladen hat, darunter Amateur-Machinima(Filme, die mithilfe von Game-Engines, also aufGrundlage von Videospielen, erstellt werden) und unabhängige Produktionen wie StarWars Revelations, einenvon Fans gedrehten Film mit Spezialeffekten, die es durchaus mit den Originalenvon Lucas aufnehmen können.
Ein Teilder Musik auf Bens iPod stammt von iTunes, doch die meisten Songs hat er von seinen Freunden.Wenn einer aus der Clique eine CD kauft, kopiert er sie für alle anderen. Benbevorzugt größtenteils Classic Rock (Led Zeppelin und Pink Floyd), gemischt mit den Soundtracks vonVideospielen. Radio hört er nur, wenn seine Eltern im Auto National PublicRadio einschalten.
Bei derLektüre bevorzugt Ben Star Wars-Romane und japanische Mangas,dazu kommen noch zahlreiche Comics aus dem Internet. Er und einige Freunde sindvon der japanischen Subkultur so begeistert, dass sie in der Schule Japanischlernen. In meiner Schulzeit lernten manche Japanisch, weil Japan einedominierende Wirtschaftsmacht war und man dachte, mit entsprechendenSprachfähigkeiten hätte man bessere Karrierechancen. Aber heute büffelnJugendliche Japanisch, weil sie ihre eigenen Anime-Untertitelschreiben und sich intensiver mit Mangas beschäftigenwollen, denn die Mangas, die als Übersetzung erscheinen,orientieren sich relativ stark am Geschmack der breiten Masse.
Benverbringt einen Großteil seiner Freizeit im Internet, wobei er gleichermaßenziellos surft oder bestimmte Foren besucht, in denen über das Videospiel Halooder Star Wars diskutiert wird. FürNachrichten interessiert er sich nicht (er liest keine Zeitungen und sieht sichkeine Nachrichtensendungen im Fernsehen an), verfolgt aber die Meldungen überneue technische Entwicklungen und Klatsch und Tratsch zur Subkultur aufWebsites wie Slashdot (Informationen fürComputerfreaks mit Diskussionsforum) und Fark(schräge Nachrichten). Mit seinen zehn besten Freunden tauscht er ständig Instant Messages aus.
Er selbstverschickt nicht viele SMS auf seinem Handy, einige seiner Freunde dagegenschon. (SMS wird von den Jugendlichen bevorzugt, die viel unterwegs sind; IMsind die bevorzugte Chat-Methode all jener, die viel Zeit in den eigenen vierWänden verbringen.) Er spielt Videospiele mit seinen Freunden, meistens online.Er findet Halo 2 cool, vor allem die Levels, die von den Nutzernmodifiziert wurden. Ich vermute einmal, wenn ich 25 Jahre später geboren wordenwäre, hätte meine Teenagerzeit ganz ähnlich ausgesehen. Der große Unterschied zwischenBens Jugend und meiner eigenen liegt ganz einfach in den Auswahlmöglichkeiten.Ich war auf das beschränkt, was über die Radiowellen gesendet wurde. Er hat dasInternet. Ich hatte keinen Festplattenrekorder (ja, nicht einmalKabelfernsehen); er hat das alles und dazu noch BitTorrent(ein Filesharing-Protokoll zur schnellen Verbreitung großerDateien). Ich wusste nicht einmal, dass es Mangas gibt,und noch viel weniger, wo man sie bekam. Ben hat zu all dem Zugang.
Hätte ichmir die Wiederholungen von Gilligans Insel angesehen,wenn ich stattdessen zusammen mit Freunden online einen Clan bei World ofWarcraft4 hätte aufbauen können? Ich bezweifle es. Fernsehsendungen waren inden 70er-Jahren beliebter als heute. Das liegt nicht daran, dass sie damalsbesser waren, nein, es gab einfach weniger Alternativen, die um unsereBildschirmzeit konkurrierten. Damals gab es in Hollywood auch nicht mehrTalente als heute; was wir für einen Trend in der Populärkultur hielten, hattemehr mit Herdentrieb und der begrenzten Zahl von Fernsehsendern zu tun.
Fernseh-und Radiosendungen haben den Vorteil, dass man mit einer Sendung MillionenMenschen erreichen kann, eine Effektivität, die ihresgleichen sucht. Allerdingslässt sich dieser Effekt nicht umkehren - man kann nicht mit einer MillionSendungen eine Einzelperson beglücken. Genau das ist die Stärke des Internets.Die Ära des Fernsehens und Radios erforderte Hits - Quotenknüller -, denn nurwenn man ein großes Publikum erreichte, arbeitete man wirtschaftlich. Die Breitbandärafolgt ganz anderen wirtschaftlichen Gesetzen, sie stellt diese Gleichung aufden Kopf. Millionen Menschen dieselben Daten gleichzeitig zur Verfügung zustellen ist für ein Verteilernetzwerk, das für die Punkt-zu-Punkt-Kommunikationoptimiert wurde, enorm kostspielig und unwirtschaftlich.
DieNachfrage nach den großen Kassenknüllern besteht nach wie vor, aber sie bildennicht länger den einzigen Markt. Heute konkurrieren Hits mit einer unbegrenztenZahl von Nischenmärkten jeder Größe. Und die Verbraucher bevorzugen inzunehmendem Maße die Märkte mit der größten Auswahl. Das Zeitalter des »one size fitsall« geht dem Ende zu, und an seine Stelle tritt etwas Neues, ein Markt derVielfalt. Mein Buch befasst sich mit diesem Markt.
Dass sichder Verbrauchergeschmack nun in Millionen und Abermillionen Richtungenauffächert, beunruhigt die traditionellen Medien und die Unterhaltungsindustriesehr. Nachdem in den Führungsetagen jahrzehntelang daran gefeilt wurde,Kassenschlager zu produzieren, auszusuchen und dafür zu werben, genügen dieHits auf einmal nicht mehr. Das Publikum wendet sich anderen Dingen zu, die nurschwer fassbar sind, weswegen wir auch keine richtige Bezeichnung dafür haben.Es sind keine Flops, weil die meisten gar nicht nach allumfassender Berühmtheitstreben. Gemeint sind Dinge, die bisher in die Kategorie unter »ferner liefen«fielen.
Es ist seltsam,dass diese Kategorie so lange übersehen wurde. Schließlich sprechen wir von dergroßen Mehrheit, von fast allem anderen. Die wenigsten Filme sind Hits, diewenigsten Musikaufnahmen erreichen die Top 100, die wenigsten Bücher sindBestseller, die wenigsten Sendungen werden von Nielsen Media Research erfasstoder sorgen zur besten Sendezeit für Traumquoten. Dennoch erreichen vieleweltweit ein Publikum, das in die Millionen geht. Weil sie nicht zu den Hitszählen, glaubt man, sie würden gar nicht zählen. Doch genau in diese Richtungentwickelt sich der ehemals kalkulierbare Massenmarkt. Aus dem einfachen Bildmit wenigen großen Hits, die zählten, und all den anderen Filmen, Songs oderBüchern, die nicht zählten, ist mittlerweile ein verwirrendes Mosaik mitMillionen von Minimärkten und Mikrostars geworden. Der Massenmarkt zerfällt inzunehmendem Maße in unzählige Nischen.
DieseNischen hat es immer gegeben, doch erst jetzt, da sie leichter und günstiger zuerreichen sind (Verbraucher finden Nischenprodukte, und Nischenprodukte findenihre Abnehmer), entwickelt sich daraus plötzlich eine kulturelle undwirtschaftliche Kraft, die nicht mehr ignoriert werden kann.
Der neueNischenmarkt ersetzt nicht den traditionellen Markt mit seinen Bestsellern undHits, er teilt sich nur zum ersten Mal mit ihm das Rampenlicht. Ein Jahrhundertlang haben wir die Spreu vom Weizen getrennt, um die kostspielige Regalfläche,den begrenzten Sendeplatz, die wenigen Übertragungsmöglichkeiten und dieAufmerksamkeit so effektiv wie möglich zu nutzen. Heute, in einer Zeit, in der dieVerbraucher vernetzt sind und nahezu alles digital ist, hat sich die Ökonomiedes Vertriebs radikal verändert, da das Internet jede Bran-che, mit der es in Kontakt kommt, absorbiert und dieFunktion von Lager, Kino und Sendeanstalt übernimmt - und das zu einemBruchteil der bisherigen Kosten.
Diesesinkenden Vertriebskosten muss man sich als sinkenden Pegelstand odereinsetzende Ebbe vorstellen. Mit sinkendem Wasserspiegel wird neues Landfreigelegt, das schon immer vorhanden, aber von Wasser bedeckt war. Nischensind die weißen Flecken auf der Landkarte des Konsums - mit Produkten, die manbisher nicht rentabel anbieten konnte. Viele Produkte hat es schon immergegeben, sie waren nur sehr unauffällig oder schwer zu finden. Ich spreche vonFilmen, die es nicht bis ins Kino Ihrer Stadt geschafft haben, von Musik, dievon den Radiosendern nicht gespielt wurde, von Sportartikeln, die nicht bei Wal-Mart angeboten wurden. Jetzt kann man sie haben, bei Netflix, iTunes, Amazon oder in einem abgelegenen Laden, den man bei Google ausfindig gemacht hat. Der unsichtbare Markt istsichtbar geworden. Andere Nischenprodukte dagegen sind neu, wurden von einersich gerade erst entwickelnden Industrie an der Nahtstelle zwischenkommerzieller und nicht kommerzieller Welt geschaffen, einem Bereich, von demman nur schwer sagen kann, wo noch Profis am Werk sind und wo die Amateureschon übernommen haben. Das ist die Welt der Blogger,Videomacher und Garagenbands, die dank der wirtschaftlichen Vorteile desdigitalen Vertriebs ihr Publikum gefunden haben.
Die98-Prozent-Regel
Am Anfangdieses Buchs stand eine Schätzaufgabe. Als Chefredakteur von Wired halte ich unter anderem auch Vorträgeüber neue technologische Trends. Weil ich meine berufliche Laufbahn alsNaturwissenschaftler begann und mich mit Wirtschaft erst im Rahmen meiner Tätigkeitbei der Zeitschrift The Economist beschäftigte,betrachte ich solche Trends zuerst anhand der Fakten. Und glücklicherweise gibtes heutzutage eine Fülle von Daten, mehr als je zuvor. Der Schlüssel zu denGeheimnissen der Wirtschaft im 21. Jahrhundert liegt auf den Servern der großenUnternehmen wie eBay und Wal-Martverborgen. Man kommt zwar nicht immer so leicht an die nackten Zahlen heran, dochdie Manager, die jeden Tag mit den Zahlen arbeiten, haben ein Gespür dafürentwickelt, welche Zahlen von Bedeutung sind und welche nicht. Der Trick beimErkennen von Trends ist daher einfach: Man muss nur die richtigen Leute fragen.
Das tat ichdann auch im Januar 2004 im Büro von Robbie Vann- Adibé, CEO von Ecast, einemUnternehmen für »digitale Musikboxen «.5 Eine digitale Musikbox ist eigentlichnichts anderes als eine normale Musikbox - eine große Anlage mit Lautsprechernund blinkenden Lichtern, wie sie in vielen Bars und Kneipen zu finden ist.Allerdings hat die digitale Musikbox nicht nur ein paar hundert CDs im Angebot,sondern verfügt über eine Internetverbindung. Die Besitzer können aus TausendenSongs auswählen, die heruntergeladen und auf einerFestplatte gespeichert werden.
Im Verlaufunseres Gesprächs forderte mich Vann-Adibé auf, zu schätzen,wie hoch auf der Musikbox der Prozentsatz der 10 000 Alben sei, von denenmindestens ein Song pro Quartal verkauft werde. Mir war natürlich klar, dass Vann-Adibé mir eine Fangfrage stellte. Normalerweise würdedie Antwort aufgrund der 80:20-Regel, die, wie wir aus Erfahrung wissen,praktisch überall gilt, 20 Prozent lauten. Das heißt: Mit 20 Prozent derProdukte erzielt man 80 Prozent des Umsatzes (und normalerweise 100 Prozent desGewinns).
Doch bei Vann-Adibé ging es um digitale Inhalte, da galten andere Gesetze.Ich wagte also die Schätzung, dass von 50 Prozent der insgesamt 10 000 Albenmindestens ein Song pro Quartal verkauft werden würde, und dachte, damit würdeich mich sehr weit vorwagen. Wenn man genauer hinschaut, ist dieser Prozentsatzabsurd hoch. Die Hälfte der 10 000 Buchtitel in einem typischen amerikanischen Buchkaufhausverkauft sich im Quartal nicht ein einziges Mal. Die Hälfte der 10 000 CDs bei Wal-Mart geht pro Quartal nicht einmal über den Ladentisch;tatsächlich führt Wal-Mart nicht halb so viele CD-Titel.Man kann sich nur schwer einen Markt vorstellen, bei dem ein so hoher Bruchteileines so großen Bestands verkauft wird. Aber ich dachte, im digitalen Bereichwäre das anders, daher wagte ich mich mit der hohen Zahl so weit vor.
Ich brauchewohl nicht zu sagen, dass ich weit danebenlag. Die Antwort lautete 98 Prozent.
»Das isterstaunlich, nicht wahr?«, meinte Vann-Adibé.»Da liegt jeder falsch.« Selbst er war verblüfft: Als Ecast mehr Titel in sein An- gebot aufnahm, das den Bestandder meisten CD-Läden ohnehin bei Weitem übertraf und tief in die Welt derNischen und Subkulturen vordrang, verkauften sich auch diese Titel. Und je mehrTitel das Unternehmen hinzufügte, desto mehr wurden verkauft. Die Nachfragenach Musik jenseits aller Hits schien grenzenlos. Natürlich verkauften sich dieSongs nicht in hoher Stückzahl, aber fast alle fanden einen Abnehmer. Und weiles sich nur um Bits auf einer Datenbank handelte, deren Speicherung undÜbertragung so gut wie nichts kosteten, rechneten sich in der Summe auch dieKleinbeträge.
Vann-Adibéhatte entdeckt, dass der Markt für Nischenmusik riesig und im Grunde grenzenloswar. Er bezeichnete das als die »98- Prozent-Regel«. Später erklärte er mir:»In einer Welt, in der die Verpackungskosten fast bei null liegen und man beidiesem Format sofortigen Zugang zu fast jedem Inhalt hat, zeigen dieVerbraucher ein einheitliches Verhalten: Sie sehen sich fast alles an. MeinerAnsicht nach erfordert das gravierende Veränderungen bei den Anbietern derInhalte - ich weiß nur nicht genau, wie diese Veränderungen aussehen!« Ich machte mich daran, eine Antwort auf diese Frage zufinden. Ich erkannte, dass die Verkaufsstatistik von Ecast,die allen bisherigen Erfahrungen widersprach, eine aufschlussreiche Erkenntnisüber die Ökonomie der Unterhaltungsindustrie im digitalen Zeitalter enthielt. Beieinem unbegrenzten Angebot sind unsere Annahmen über die relative Rolle vonHits und Nischenprodukten falsch. Knappheit erfordert Hits - wenn es nur einpaar Lücken im Regal oder nur wenige Radiosender gibt, ist es nur vernünftig,sie mit den Titeln zu belegen, die sich am besten verkaufen. Und wenn nur dieseTitel angeboten werden, kaufen die Verbraucher auch nichts anderes.
Aber wennes unendlich viel »Regalfläche« gibt? Vielleicht sieht man dieUnterhaltungsindustrie völlig falsch, wenn man sie nur unter dem Blickwinkelder Hits betrachtet. Schließlich gibt es viel mehr »Nicht- Hits« als Hits, undheutzutage stehen beide gleichermaßen zur Verfügung. Was wäre, wenn die»Nicht-Hits« (von ordentlichen Nischenprodukten bis zu völligen Flops) zusammengenommen einen Markt ergeben, der so groß ist wie der Markt für Hits, wennnicht sogar noch größer? Die Antwort darauf ist klar: Dadurch würden sicheinige der größten Märkte der Welt radikal verändern.
Und so kamich zu einem Forschungsobjekt, das mich zu den Marktführern der digitalenUnterhaltungsindustrie führte, von Ama- zon bis iTunes. Überall hörte ichdie gleiche Geschichte: Hits sind wunderbar, aber die Nischen entwickeln sichzu dem großen neuen Markt. Die 98-Prozent-Regel erwies sich fast alsallgemeingültig. Bei Apple sagte man mir, dass sich jeder der damals eineMillion Titel bei iTunes mindestens einmal verkaufthatte (inzwischen ist das Angebot doppelt so groß). Bei Netflixschätzte man, dass 95 Prozent des Sortiments von 25000 DVDs(mittlerweile 55 000) mindestens einmal im Quartal ausgeliehen wurden. Amazon nannte keine genaue Zahl, doch unabhängige wissenschaftlicheUntersuchungen zu den Buchverkaufszahlen bei Amazonbesagen, dass 98 Prozent der ersten 100 000 Titel auf der Verkaufsranglisteebenfalls mindestens einmal im Quartal einen Abnehmer finden. Und so ging esweiter, von Unternehmen zu Unternehmen. Bei jeder Firma war man beeindruckt vonder Nachfrage in Kategorien, die zuvor als wirtschaftlicher Randbereich abgetanworden waren, von DVDs mit britischen Fernsehserien,die sich bei Netflix überraschender Beliebtheiterfreuen, bis zum Back-Katalog für Musik bei iTunes.Ich erkannte, dass wir zum ersten Mal die wahre Form der Nachfrage in unsererKultur betrachten konnten, die sich ungestört von den wirtschaftlichen Gesetzender Knappheit entfaltete.
Und dieseForm ist, das müssen wir klarstellen, überaus seltsam. Es ist eine seltsameVorstellung, dass einfach alles, was man irgendwo anbietet, eine Nachfragedeckt. Seltsam, weil wir normalerweise nicht in Maßstäben denken, bei denen esum den Verkauf einer Einheit pro Quartal geht. Wenn wir an den klassischenEinzelhandel denken, dann denken wir an Artikel, die sich gut verkaufen. Dortinteressiert man sich nicht für Produkte, die nur ab und zu einen Abnehmerfinden, denn im klassischen Einzelhandel benötigt eine CD, die sich nur einmalim Quartal verkauft, genau die gleichen 1,7 Zentimeter Regalplatz wie eine CD,von der im Quartal 1 000 Stück abgesetzt werden. Dieser Regalplatz kostet Geld(Miete, laufende Betriebskosten, Personal und so weiter), das durch einebestimmte Verkaufsquote im Monat wieder hereinkommen muss. Anders ausgedrückt,mit Artikeln, die sich nur ein- oder zweimal verkaufen, verschenkt man kostbareRegalfläche.
Wenn dieserPlatz jedoch nichts kostet, kann man die Artikel, die sich nur gelegentlichverkaufen, plötzlich wieder in Betracht ziehen, denn dann haben sie einen Wert.Diese Erkenntnis führte zur Entstehung von Amazon, Netflix und all den anderen Unternehmen, mit de- ren Mitarbeitern ich sprach. Sie alle erkannten, dass dort,wo dem klassischen Einzelhandel die Puste ausging, der Onlinehandel erst so richtigin Schwung kam. Die Artikel verkauften sich immer noch nur in kleinerStückzahl, aber es gab so unsagbar viele davon, dass sie zusammen genommenkräftig für Umsatz sorgten.
Im erstenHalbjahr 2004 machte ich diese Erkenntnis zum Thema meiner Vorträge, wobei sichmeine These bei jedem Vortrag weiterentwickelte. Ursprünglich hieß mein Vortrag»Die 98-Prozent-Regel«.
Dann »NeueRegeln für die New Economy derUnterhaltungsindustrie« (nicht gerade einer meiner besten Momente bei derNamensgebung). Bis dahin verfügte ich dank Rhapsody,einem Onlinemusikanbieter, über harte Zahlen. Ich hatte von Rhapsodydie Nutzungsdaten der Kunden für einen Monat erhalten, und als ich diese ineinem Schaubild darstellte, musste ich feststellen, dass die Kurve ganz anders ausfielals alles, was ich bisher gesehen hatte.
Sie begannwie jede andere Nachfragekurve, die anhand der Beliebtheit eines Produkteserstellt wird. Ein paar Hits an der Spitze der Kurve wurden sehr häufig heruntergeladen, dann fiel die Kurve zu den wenigerbeliebten Songs steil ab. Interessant war dabei jedoch, dass sie nie die Nullerreichte. Ich ging zum Musiktitel auf Verkaufsrang 100000, zoomte näher undstellte fest, dass er immer noch über 1 000- mal imMonat heruntergeladen wurde. Und die Kurve ging immerweiter: 200 000, 300 000, 400 000 Songs - kein Ladengeschäft könnte je so vielMusik anbieten. Und so weit ich auch blickte, es gab immer eine Nachfrage. Ganzam Ende der Kurve wurden die Songs nur vieroder fünfmalim Monat heruntergeladen, aber die Kurve lag immer nochnicht bei null.
In derStatistik werden solche Kurven zur Häufigkeitsverteilung »Long Tailed« genannt, weil der Schwanz der Kurve im Vergleich zuihrer Spitze sehr lang ist, ein regelrechter Rattenschwanz. Ich konzentrierte micheinfach auf diesen »Schwanz«, machte ihn zum festen Begriff, und der »Long Tail« war geboren. Er begann sein Leben als Folie Nummer 20bei einem meiner Vorträge über die »Neuen Regeln «. Wenn ich mich richtigerinnere, war es Reed Hastings, der CEO von Netflix,der mich überzeugte, dass ich die wichtigste Information im Text versteckte undnicht genügend hervorhob. Im Sommer 2004 war »TheLong Tail« nicht nur der Titel meiner Vorträge,sondern auch eines Artikels für Wired, an demich arbeitete.
Als derArtikel »The Long Tail« imOktober 2004 in Wired herauskam, wurdeer schnell zum meistzitierten Artikel, der je in unserem Magazin erschienenwar. Die drei wichtigsten Feststellungen - erstens, der »Long Tail« der verfügbaren Vielfalt ist viel länger, als wirdenken, zweitens, er ist mittlerweile ökonomisch machbar, und drittens, alle Nischenergeben zusammen genommen einen bedeutenden Markt - schienen unstrittig, vorallem, da sie von neuen Zahlen und Fakten gestützt wurden.
Derallgegenwärtige Rattenschwanz
Einbesonders ermutigender Aspekt der Reaktionen auf meinen Artikel war, dass er inganz unterschiedlichen Branchen auf große Resonanz stieß. Der Artikel warursprünglich als Analyse der New Economy in derUnterhaltungsindustrie und den Medien gedacht, und ich erweiterte ihn nur mitder beiläufigen Bemerkung, dass auch Unternehmen wie eBay(mit Gebrauchtwaren) und Google (mit kleinen Werbekunden)zu den Unternehmen des »Long Tail« gehören. Die Leserdagegen sahen überall einen solchen Rattenschwanz, von der Politik bis zurÖffentlichkeitsarbeit, von Musiknoten bis zum Universitätssport. Sie hattenintuitiv verstanden, dass die verbesserte Effizienz bei Vertrieb, Herstellungund Vermarktung nun neu definierte, was kommerziell machbar war. Am bestenbeschreibt man diese Kräfte damit, dass sie unrentable Kunden, Produkte undMärkte rentabel machen. Dieses Phänomen tritt zwar am deutlichsten in denMedien und der Unterhaltungsindustrie zutage, doch man braucht nur den Sprungzu eBay zu machen, um zu sehen, wie es auf breiterBasis funktioniert, von Autos bis zum Kunsthandwerk.
Allgemeinbetrachtet geht es beim »Long Tail« um die Ökonomie desÜberflusses - um die Frage, was passiert, wenn der Engpass, der bisher zwischenAngebot und Nachfrage stand und sie kanalisierte, allmählich verschwindet undalles für alle verfügbar ist. Ich werde oft gebeten, eine Produktkategorie zunennen, für die der »Long Tail« nicht gilt.Normalerweise antworte ich, dass es ein un- differenziertes Gebrauchsgut seinmüsste, bei dem Vielfalt nicht nur fehlt, sondern gar nicht gebraucht wird, wiezum Beispiel Mehl. Soweit ich mich erinnere, wurde Mehl früher im Supermarkt ingroßen Tüten mit der schlichten Aufschrift »Mehl« verkauft. Doch dann betrat ichzufällig einmal unseren örtlichen Bioladen und musste erkennen, dass ich völligfalsch lag: Heute werden im Lebensmittelladen oft bis zu 20 verschiedene SortenMehl verkauft, darunter so normale wie Vollkornmehl und Mehl aus biologischemAnbau, aber auch exotische Sorten wie Amarantmehl oder Maismehl aus blauemMais. So erstaunlich das klingen mag, auch bei Mehl gibt es also einen Long Tail. Unser wachsender Wohlstand ermöglicht es uns, beimEinkaufen nicht mehr nur auf den Preis zu achten, sondern bestimmteMarkenprodukte oder schlicht Produkte zu kaufen, die uns zu Mini-Feinschmeckernmachen. Wir verwöhnen unseren Gaumen mit tausend kleinen Genüssen, um uns vonden anderen abzuheben. Heute legen wir eine ganze Reihe neuerKonsumgewohnheiten an den Tag, die mit bewusst vieldeutig klingenden Begriffenumschrieben werden: »Massclusivity « (Individualitätim massenhaften Luxuskonsum), Slivercasting (Fernsehproduktionenfür ein kleines, fachlich spezialisiertes Publikum), »MassCustomization« (kundenindividuelle Massenproduktion).Sie alle deuten in die gleiche Richtung: noch mehr Long Tails.
EinAusblick auf die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts
Dieses Buchist unter anderem auch ein Forschungsprojekt, das mit der Hilfe und derBeteiligung von Studenten und Professoren aus Stanford, Harvard und vom MITumgesetzt wurde. Es ist das Ergebnis von über 100 Vorträgen,Brainstorming-Sitzungen und Besuchen bei Unternehmen und Branchenvertretern,die miterleben, wie der Long Tail ihre Weltverändert. Für mein Buch arbeitete ich mit einem Dutzend Unternehmen undManagern zusammen, die mir viele Megabytes interner Daten zur Verfügungstellten und mir so einen Einblick in die sich entwickelnde Mikroökonomie derMärkte im Onlinezeitalter ermöglichten. Wir sind derzeit Zeuge einerfaszinierenden Entwicklung: Die Umrisse der Wirtschaft des 21. Jahrhundertslassen sich bereits in den Datenbanken von Unternehmen wie Google,Amazon, Netflix und iTunes erkennen. In diesen vielen Terabytesan Informationen zum Nutzerverhalten liegt die Antwort auf die Frage, wie sichdie Verbraucher in einem Markt der unbegrenzten Vielfalt verhalten werden, eineFrage, die bis vor Kurzem ohne Bedeutung war, jetzt aber immer wichtiger wird. Überraschenderweisebeschäftigen sich nur wenige Wirtschaftswissenschaftler mit diesen Daten,bisher haben sie sich wohl nicht um einen Zugang bemüht (die meistenAkademiker, mit denen ich zusammenarbeitete, lehren an der Universität, dochnur wenige im Bereich Wirtschaftswissenschaften). Es gibt ein paar Ausnahmen: Hal Varian, Wirtschaftswissenschaftleran der University of California Berkeley, arbeitetzeitweise für Google. Und dann gibt es nochWirtschaftswissenschaftler, die sich mit Auktionstheorien befassen, sie lieben(wer hätte das gedacht) eBay - aber diese Ausnahmensind selten. Ein Teil der Daten in diesem Buch wurde zuvor noch nieveröffentlicht.
InAnbetracht des unbekannten Terrains holte ich mir Hilfe bei Experten allermöglichen Fachrichtungen. Im Rahmen eines Experiments bearbeitete ich viele derkomplizierteren konzeptionellen Fragen in allerÖffentlichkeit, als Blog auf thelongtail.com.Normalerweise lief es folgendermaßen ab: Ich postete zum Beispiel eine halbgareErklärung dazu, wie die 80:20-Regel sich verändert, und dann schrieben Dutzendeschlauer Leser Kommentare, E-Mails oder eigene Blog Posts mit Verbesserungsvorschlägen. Irgendwie schaffte esdieses ungewöhnliche öffentliche Brainstorming, im Schnitt mehr als 5 000 Leseram Tag anzulocken.
Bei derSoftwareentwicklung geben die Programmierer frühe (»Beta«) Versionen ihresCodes an die eifrigsten Nutzer weiter. Zum Dank für diesen privilegiertenfrühen Zugang testen die Nutzer die Software auf ihren eigenen Computern undfinden so Fehler, die dem Entwickler entgangen sind. Diese Betatests sindunverzichtbar für die Entwicklung robuster Softwareanwendungen. Ich hoffe, dassder gleiche Vorgang (meine Ideen einer Art Belastungstest in der Öffentlichkeitzu unterziehen) zu einem besseren oder zumindest fundierterenBuch geführt hat.
Ich solltean dieser Stelle vielleicht noch die Unterschiede zwischen dem öffentlichenBetatest von Ideen und dem tatsächlichen Verfassen eines Buchs nennen. Es wurdeschon oft versucht, ein Buch unter Einbeziehung der Öffentlichkeit zu schreiben(etwa, indem Kapitelentwürfe ins Netz gestellt wurden oder manchmal sogar derganze Text zum öffentlichen Redigieren freigegeben wurde). Ich hatte mich entschieden,in meinem Blog eine Art öffentliches Tagebuch übermeine aktuelle Forschungsarbeit zu führen. Das eigentliche Schreiben des Buchsfand offline statt, ebenso die Formulierung meiner Gedanken und Thesen.
Zum Schlussnoch ein Wort zur Herkunft. Ich habe zwar den Begriff »Long Tail«kreiert, kann jedoch nicht für mich in Anspruch nehmen, das Konzept erfunden zuhaben, die effiziente Ökonomie des Onlinehandels zu nutzen und damit ein großesSortiment an relativ schlecht verkäuflichen Artikeln zu schaffen. Diese Ehregebührt Jeff Bezos von Amazon,der etwa 1994 auf die Idee kam. Vieles von dem, was ich erfahren habe, stammtaus direkten Gesprächen mit ihm oder seinen Kollegen bei Netflixund Rhapsody und vielen anderen, die seit Jahrendamit zu tun haben.
DieseUnternehmer sind die eigentlichen Pioniere. Ich habe nur versucht, dieErgebnisse in einen Rahmen einzuordnen. Denn darin besteht die eigentlicheAufgabe der Wirtschaftswissenschaften: ordentliche, leicht verständliche Rahmenzu finden, die Phänomene in der Realität beschreiben. Einen solchen Rahmen zuentwickeln ist ein gewagtes Unterfangen, aber nichts im Vergleich zum Wagemutderer, die das Phänomen zuerst entdeckten und entsprechend umsetzten.
© Hanser Verlag
Übersetzung:Michael Bayer und Heike Schlatterer
- Autor: Chris Anderson
- 2007, 287 Seiten, Maße: 15,8 x 23,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Bayer, Michael; Schlatterer, Heike
- Übersetzer: Michael Bayer, Heike Schlatterer
- Verlag: Hanser Fachbuchverlag
- ISBN-10: 3446409904
- ISBN-13: 9783446409903
"Das Ende der Hitparade, wie wir sie kennen: Der US-Journalist Chris Anderson beschreibt in seinem neuen Buch 'The Long Tail', wie das Internet den Konsum radikal verändert - und warum dies der Wirtschaft die Demokratie bringt." Welt am Sonntag, 4. März 2007
"Sehr anregend!" Financial Times Deutschland enable, 11. April 2007
"Anderson trägt seine Thesen überzeugend vor und untermauert sie mit handfesten wirtschaftswissenschaftlichen Beobachtungen und Erkenntnissen. Sein Stil ist sachlich, aber keinesfalls trocken, und er verzettelt sich nicht in Details. Am Ende hat er soger nützliche Ratschläge für all diejenigen parat, die sich den 'Long-Tail'-Effekt zunutze machen wollen." c't, 1. Oktober 2007
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