Der lange Weg
Roman
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen eine...
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Produktinformationen zu „Der lange Weg “
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert.
Klappentext zu „Der lange Weg “
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert. Mit jedem Kriegstag zerbricht etwas in ihnen, und die beiden Freunde werden sich selbst immer fremder.
Über den Zusammenstoß zweier Welten, Krieg und Entfremdung, Hoffnung und Freundschaft
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen - eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert. Mit jedem Kriegstag zerbricht etwas in ihnen, und die beiden Freunde werden sich selbst immer fremder.
"Mit seinem vielschichtigen Roman stieg Boyden zum Literaturstar Kanadas auf." Welt am Sonntag
"Bewegend und grandios erzählt." DER SPIEGEL
"Ein fulminantes Romandebüt." Neue Zürcher Zeitung
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen - eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert. Mit jedem Kriegstag zerbricht etwas in ihnen, und die beiden Freunde werden sich selbst immer fremder.
"Mit seinem vielschichtigen Roman stieg Boyden zum Literaturstar Kanadas auf." Welt am Sonntag
"Bewegend und grandios erzählt." DER SPIEGEL
"Ein fulminantes Romandebüt." Neue Zürcher Zeitung
Lese-Probe zu „Der lange Weg “
Wir stapfen durch den Schnee, folgen unserem Pfad hinaus zu den Schlingen bei den Weiden. Ich gehe voraus, halb im Schlaf.Eiseskälte. Beißt in der Brust. Elijah läuft in meiner Spur. Die Sonne kommt.
Ich breche bei jedem Schritt durch die Schneedecke. Es war zu kalt letzte Nacht. Elijah versucht leise zu gehen, aber seine Schritte sind schwer.
Er und ich sind gleich alt. Wir zählen zwölf Winter.
Die Bäume ächzen und knacken. Es klingt wie sterben.
"Glaubst du, wir haben was gefangen?", fragt Elijah.
Ich bleibe stehen und drehe mich um. "Sei still."
Hier sind überall Spuren. Abdrücke im Schnee. Flache Abdrücke. Hohle Schatten im Weiß.
Weiter vorn hängt die dunkle Leine in der Luft. Mein Herz klopft schneller.
"Haben wir was gefangen, Xavier?"
Ein Marder ist uns in die Falle gegangen. Er baumelt über dem Schnee, als würde er schweben. Aus der Nähe kann ich die Rohlederschlinge um seinen Hals erkennen. Sein Pelz ist dicht. Tantchen wird stolz auf uns sein.
Elijah drängt sich an mir vorbei, greift nach dem Marder und packt seinen langen Körper mit den Handschuhen. Er dreht sich um und lächelt mich an. Der Marder faucht und windet sich. Erschrocken lässt Elijah ihn los. Wir haben nicht gesehen, dass er noch lebt.
Wir treten einen Schritt zurück und starren auf den kämpfenden Marder. Seine schwarzen Augen heften sich auf mich. Er will nicht sterben.
"Was machen wir jetzt, Xavier?"
"Du musst ihn erschlagen."
Elijah sucht sich einen Stock und geht auf das Tier zu. Er dreht sich zu mir um. "Tu's."
Er zögert, dann holt er aus. Das Tier schreit auf, dass ich Angst bekomme. "Fester!"
Wieder holt Elijah aus, und wieder schreit der Marder. Mir wird schlecht. Ich nehme ein schwereres Holzstück, gehe näher heran und schlage dem Marder kräftig auf den Kopf. Die Lederschlinge reißt, und er fällt zu Boden. Er rührt sich nicht mehr. Ich schlage ihm noch einmal auf den Kopf.
Elijah starrt mich an.
"Wir mussten es tun", sage
... mehr
ich.
"Wir mussten es tun", wiederholt er. "Unsere erste Nacht allein draußen, und schon haben wir ein Tier gefangen. Deine Tante wird staunen."
Ich nicke lächelnd.
Ich streife die Schlinge vom Hals des Marders, hole mein Messer heraus und fange an, ihm das Fell abzuziehen. Ganz vorsichtig, damit der Pelz keinen Schaden nimmt und der Körper unversehrt bleibt. Tantchen soll sehen, dass ich nichts verschwende.
Elijah schaut zu. Nichts entgeht ihm. Er zieht einen Handschuh aus und bückt sich, um den nackten Leib des Marders zu berühren. "Wir sind große Jäger, nicht wahr, Xavier?"
"Ja, Elijah", sage ich.
"Wir sind große Jäger und die besten Freunde, stimmt's?" "Ja", sage ich.
RÜCKKEHR
Ekiiwaniwahk
Seit vielen tagen halte ich mich im Wald in der Nähe der Stadt versteckt, komme nur heraus, wenn ich das Signal höre, um nach ihm Ausschau zu halten. Diese Stadt ist hässlich, viel größer noch als Moose Factory. Es ist eine Stadt, in der ich noch nie war und in die ich nie wieder kommen werde. Mehr wemistikoshiw, als ich sehen möchte, laufen in ihren komischen Kleidern auf den staubigen Straßen herum, angezogen wie für kaltes Wetter, obwohl die Sonne hoch am Himmel steht und es sommerlich heiß ist.
Tagsüber verstecke ich mich gut, aber wenn dieses Geräusch an meine Ohren dringt, bleibt mir nichts anderes übrig, als herauszukommen und mich unter sie zu mischen. Sie starren mich an, zeigen auf mich und reden, als hätten sie noch nie eine von meiner Art gesehen. In ihren Augen muss ich eine dürre, wilde Alte sein, ein indianisches Tier direkt aus der Wildnis. Bald werden meine Vorräte nur noch für unsere Heimreise reichen, deshalb habe ich angefangen, rings um mein Lager Fallen aufzustellen. Aber die Kaninchen haben offenbar genauso viel Angst vor diesem Ort wie ich.
Wo das Ding zum Stehen kommt, befindet sich eine einfache hölzerne Plattform mit einem kleinen Unterstand, der bei einem Wetterumschwung Schutz bietet. Die Straße dorthin ist staubbedeckt. Automobile so wie jenes, das Old Man Ferguson in Moose Factory fährt, brausen jeden zweiten Tag um die gleiche Zeit dorthin. Ich habe gesehen, wie sie etwas, das wie Laternenöl riecht, auf die Straße gossen, aber der Staub steigt trotzdem weiter auf, überzieht das Innere meiner Nase und reizt meine Augen. Wenigstens kann ich mich in dem Staub ein bisschen verstecken, so dass mich nicht so viele von ihnen sehen können.
An der Stelle, zu der ich immer gehe, ist alles rußig, so dass ich jeden Tag, wenn ich wieder ohne ihn von dort zurückkehre, das Bedürfnis habe zu baden. Ich schlafe nachts nicht mehr, vor lauter Sorge, dass die Nachricht nicht gestimmt hat, dass er niemals kommen wird und ich hier warten werde, bis ich sterbe.
Auch heute höre ich wieder das Signal. Auch heute warte ich wieder, bis die anderen dort sind, bevor ich mich zu ihnen geselle.
Die Alten nennen es den Eisenschlitten. Wenn ich sehe, wie dieses Ding sich nähert und mit gellendem Pfiff Qualmwolken in die Sommerhitze speit, kann ich keinerlei Ähnlichkeit mit einem Schlitten erkennen. Beängstigender als die Menge um mich herum sind das eine helle Auge, das im Sonnenlicht leuchtet, und die eiserne Nase, die an den Gleisen schnüffelt.
Zu viele Menschen. Ich bin noch nie unter so vielen wemistikoshiw zugleich gewesen. Sie laufen herum, drängeln, reden, rufen. Ich schaue auf die Fichten jenseits des Bahngleises. Rußgeschwärzt und gebeugt ergeben sie sich in ihr Schicksal.
Ich trete in den Schatten des Unterstandes zurück und beobachte, wie die Leute vor mir sich aufrichten, als das Ding näher kommt, und dann an das Gleis herantreten statt davon weg, wie ich es erwartet hätte. Die Frauen hier sehen ganz anders aus als ich, sie tragen lange Kleider aus zu viel Stoff und große Hüte. Sie halten sich gebogene Stoffschilde über den Kopf. Die Männer haben schwarze, braune oder graue Anzüge an, und die Schuhe an ihren Füßen glänzen, und zwar so sehr, dass ich mich frage, von welchem Tier dieses Leder wohl stammt. Auch die Männer tragen Hüte. Mitten im Sommer tragen diese Leute Hüte. Ich verstehe bei den wemistikoshiw vieles nicht.
Das Ding pfeift, als schrie ein riesiger Adler, jetzt so nah, dass ich mir die Ohren zuhalten muss.
Ich bin viele Tage lang allein gegen die Strömung des großen Flusses hierher gepaddelt. Gedankenleer. Mein einziger lebender Verwandter ist an einem fernen Ort gestorben, und ich bin hier, um seinen Freund Elijah in Empfang zu nehmen.
Elijah
Whiskeyjack ist der Mensch, der für mich einem Verwandten am nächsten kommt, und ich werde ihn nach Hause paddeln.
Joseph Netmaker hat mir den Brief gebracht. Der Winter legte sich gerade über das Land. Joseph kam auf Schneeschuhen aus der Stadt zu mir heraus. "Das ist für dich, Niska", sagte er. "Es ist von dem kanadischen Boss, ihrem hookimaw."
Sobald ich den braunen Umschlag und die englischen Wörter darauf sah, wusste ich, was er enthielt. Ich setzte mich neben das Feuer und stocherte mit einem Stock darin herum, während Joseph vorlas, erst in seinem holprigen Englisch, dann für mich in unserer Sprache.
""
Ich wartete auf mehr, doch das war alles. Als Joseph ging, war ich allein.
Viele Monde später, als sich das Wintereis zurückzog und es schwierig war, sich fortzubewegen, kam Joseph mit einem weiteren Brief. Er erklärte, es gehe darin um Elijah, und Old Man Ferguson habe ihm den Brief mit der Bitte gegeben, ihn mir zu bringen,da ich einer Verwandten Elijahs noch am nächsten käme.
In dem Brief stand, Elijah sei verwundet worden und habe nur noch ein Bein, er habe versucht, einen anderen Soldaten zu retten, und eine Tapferkeitsmedaille bekommen. Er sei zwar noch schwach, aber so weit genesen, dass er reisen könne, und werde voraussichtlich in demselben Ort ankommen, von dem aus Xavier und er vor so langer Zeit aufgebrochen waren.
Ich ließ mir von Joseph erklären, wie der Kalender der wemistikoshiw funktioniert, in welchem Monat ich dort sein sollte, und traf sorgfältige Vorbereitungen für meine Fahrt mit dem Kanu zu der Stadt, in der Elijah ankommen würde. Ich brach im Frühsommer auf und paddelte den Fluss entlang. Es war mühsam. Ich bin nicht mehr die Jüngste, doch ich reiste mit leichtem Gepäck. Joseph wollte mitkommen, aber ich sagte nein.
Ich fuhr allein.
Ich beobachte, wie das Ungetüm zum Stehen kommt und einen langen Seufzer ausstößt, als wäre es sehr müde von seiner langen Reise, während von den Seiten Rauch nach oben quillt. Menschen winken aus den Fenstern, und die Menschen draußen winken zurück, so wie ich es schon seit Tagen erlebe. Dann steigen die neu angekommenen Männer, Frauen und Kinder aus, in die Umarmung anderer. Ich sehe ein paar Soldaten und suche nach Elijahs Gesicht mit seinem listigen Grinsen. Die Menge zerstreut sich, und wieder ist kein indianischer Soldat mit nur einem Bein dabei.
Ich drehe mich gerade um und will gehen, da entdecke ich durch eines der Fenster die Silhouette eines Mannes. Er schleppt sich durch den Gang, auf Krücken, in Uniform, eine kleine Tasche über der Schulter. Ich trete aus dem Schatten der Wand.
Er trägt einen Hut, genau wie die wemistikoshiw, doch es ist ein Hut ihrer Armee, und ich kann sein Gesicht nicht erkennen, da er nach unten schaut, während er langsam auf seinen Krücken die Stufen hinuntersteigt. Ein alter Mann, denke ich. Und so mager. Das kann nicht der Elijah sein, den ich kenne. Sein eines Hosenbein ist hochgesteckt, hängt leer ein Stückchen herunter.
Als er die Stufen hinabgestiegen ist, entferne ich mich langsam, denn ich denke, er ist es nicht. Er blickt auf, und ich sehe sein Gesicht, schmal und bleich, hohe Wangenknochen, Ohren, die unter seinem Hut abstehen. Ich taumle, das Blut weicht mir aus dem Gesicht. Der Geist meines Neffen Xavier schaut mich an.
Er sieht mich im selben Moment, und ich beobachte, wie seine Augen nur ganz allmählich erkennen, was sie sehen, doch als sie es tun, beginnt er, sich auf seinen Krücken vor und zurück zu wiegen. Er fällt zu Boden. Ich eile zu ihm, knie mich neben ihn, greife nach seinen warmen Händen. Er ist kein Geist. Ich drücke ihn an mich. Sein Herz schlägt schwach. Mir wird schlagartig bewusst, dass er sehr krank ist.
"Neffe", flüstere ich. "Du bist zu Hause. Du bist zu Hause."
Ich umarme ihn, und als er die Augen öffnet, schaue ich hinein. Sie sind glasig. Selbst im Schatten der Bahnstation sind seine Pupillen Nadelspitzen.
"Man hat mir gesagt, du wärst tot, Tantchen", flüstert er.
"Und mir hat man gesagt, du wärst tot", sage ich.
Wir bleiben eine Weile auf dem Boden sitzen, beide zu schwach, um aufzustehen. Wir blicken einander an und weinen. Mehrere wemistikoshiw bleiben stehen und gaffen. Ich helfe Xavier auf, damit wir hier wegkommen, zum Fluss hinunter, wo er Wasser trinken und ich ihn besser beschützen kann.
Wir bleiben nicht lang in der Stadt. Sie macht mich nervös. Überall diese Automobile. Wir müssen die staubige Straße überqueren, auf der sie fahren, damit wir zum Fluss gelangen können, wo mein Kanu liegt. Neffe geht langsam auf seinen Krücken, mit gesenktem Blick. Die Leute starren uns an. Früher, bevor er weggegangen ist, hätte er ihr Gaffen erwidert, und Elijah ebenso, sie hätten sich nicht von ihnen einschüchtern lassen.
Was ist mit Elijah? Wenn ihnen hinsichtlich Xaviers Tod ein Fehler unterlaufen ist, dann vielleicht auch in Bezug auf Elijah. Ich möchte danach fragen, werde jedoch warten, bis er bereit ist zu sprechen.
Wir versuchen über die Straße zu kommen, doch gleich trötet ein Automobil wie eine Gans und macht einen Schlenker. Ich beobachte die Straße aufmerksam, und es dauert lange, bis ich das Gefühl habe, dass wir sie sicher überqueren können.
Ich führe Xavier zum Fluss. Ich habe das Kanu ein Stück weiter unten am felsigen Ufer versteckt. Ich sage ihm, dass er am besten hier warten soll, während ich das Kanu hole. Er antwortet nicht, setzt sich nur schwerfällig hin. Ich gehe, so schnell ich kann. Es ist dumm, mir Sorgen zu machen, nur weil ich ihn ein paar Minuten allein lasse. Er war in den letzten Jahren größeren Gefahren ausgesetzt, als sie einem einzelnen Menschen in hundert Leben begegnen sollten. Aber ich sorge mich trotzdem.
Als ich in meinem Kanu zu ihm paddle, sehe ich, dass er die
Jacke ausgezogen hat und mit einer Hand seinen dünnen Arm hält. Ich komme näher und erkenne, dass er etwas in seinen Arm gesteckt hat, das er gerade wieder herauszieht. Sein Körper hat sich entspannt, und seine Augen schauen einen Moment lang schuldbewusst drein, doch bis ich die Stelle erreicht habe, wo er sitzt, sind sie dunkel geworden wie der Fluss in der Sonne.
Ich fühle mich besser, als er im Kanu sitzt und wir von der Stadt fortpaddeln. Sie riecht genau wie Moose Factory, ein Geruch nach brennendem Holz, der einen anderen, fauligen Geruch nicht ganz überdeckt. Neffe paddelt eine Weile, aber lustlos.
Ich sage ihm, dass er sich auf sein Bündel legen und ausruhen soll, dass wir nach Norden fahren, ich also die Strömung endlich einmal nicht gegen mich habe und wir gut vorankommen. Er scheint mich nicht zu hören. Ich tippe ihm mit der Paddelspitze auf die Schulter. Er dreht sich um. Ich sage das Gleiche noch einmal, und er starrt konzentriert auf meinen Mund. Er legt sich wieder hin, ohne etwas zu sagen, und ich paddle uns in die Wildnis zurück und schaue ab und zu auf sein schmales Gesicht in der Sonne, dieses Gesicht, das zu schnell alt geworden ist. Er schläft, doch es ist kein erholsamer Schlaf. Er zuckt, seine Hände zittern. Dann schreit er und erwacht davon. Er setzt sich auf, taucht seine Hand ins Wasser, fährt sich übers Gesicht. Sein Hemd ist schweißnass. Er ist sehr krank. Irgendein Fieber verbrennt ihn von innen. Ich paddle schweigend weiter.
Ich lasse mir Zeit, finde es angenehm, nicht gegen die Strömung ankämpfen zu müssen. Noch vor ein paar Tagen habe ich mich mit jedem Paddelschlag geplagt, bis meine Arme kraftlos waren und mein Kreuz sich anfühlte, als wäre es gebrochen. Jetzt beim Heimfahren genieße ich den Luxus der Strömung, die mit mir nach Norden strebt, zur Großen Salzbucht, die von denen, die meinen Neffen nahmen, Hudson Bay genannt wird. Es hat mich eine Woche harter Arbeit gekostet, den Fluss hinaufzupaddeln, doch wenn Wind und Wetter günstig sind, wird die Fahrt nach Hause nur drei Tage dauern. Ich habe viele Fragen an Xavier, und innerlich bin ich wie ein Kind, das sie loswerden will. Aber ich habe Geduld. Ich kann gut warten.
Wir sind noch nicht weit gekommen, als mir die Sonne sagt, dass es Zeit ist, unser Lager aufzuschlagen. Ich will es ohnehin geruhsam angehen mit ihm. Keine Hetze. Es ist Sommer.
Die Insekten sind kurz vor und während der Dämmerung am schlimmsten; deshalb halte ich nach einer Insel im Fluss Ausschau, wo sie uns nicht zu sehr quälen werden. Vor uns taucht eine geeignete Insel auf, mit einem Sandstrand und viel totem Geäst für ein Feuer.
Wir ziehen das Kanu ans Ufer, und ich fange an, Holz zu sammeln. Neffe versucht mir zu helfen, doch seine Krücken sinken im weichen Sand ein, und er ist bald entmutigt. Ich könnte weinen, als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie er sich bückt und immer wieder versucht Äste aufzuheben, bis er sich schließlich hinsetzt und langsam Steine heranzieht, um einen Feuerkreis zu bauen.
Ich fälle mit der Axt einige junge Bäume, schleife sie zu ihm, binde sie an einem Ende zusammen und errichte das Gerüst für ein kleines Tipi. Dann hole ich ein Stück Zeltleinwand aus dem Kanu und befestige sie an dem Gerüst. Im Moment sieht der Himmel aus, als würde die Nacht sternenklar werden, aber der Wind sagt mir etwas anderes. Wir sind noch nicht so weit von der Bucht entfernt, dass uns nicht ein Sturm überraschen könnte. Nachdem ich unsere paar Habseligkeiten ins Tipi geschafft habe, hole ich etwas zu essen heraus und breite es aus. Neffe hat ein schönes Feuer in Gang gebracht.
Auf einen Stein lege ich gesalzenen Fisch, auf einen anderen etwas Elchfleisch und auf einen dritten frische Blaubeeren, die ich im Wald gesammelt habe. Ich nehme einen Stock und spitze ihn an. Neffe schaut auf den Fluss hinaus. Ich spieße ein Stück Fleisch auf und halte es über die Flamme. Er dreht den Kopf, als das Fleisch warm wird und er den Geruch wiedererkennt.
"Das habe ich lange nicht mehr gerochen", sagt er mit schüchternem Lächeln. Es sind seine ersten Worte seit der Stadt.
Ich reiche ihm etwas zu essen, doch er will nichts. In der untergehenden Sonne hat seine Haut die Farbe von Zedernasche.
Am Abend krieche ich ins Tipi und sage ihm, er soll schlafen gehen, wann immer ihm danach ist. Er starrt ins Feuer.
Stunden später erwache ich und höre leichten Regen auf die Zeltwand trommeln. Ich öffne die Augen und lausche. Der Rauch des Feuers im Regen riecht gut. Ich stelle fest, dass ich allein hier liege. Selbst bei diesem Wetter ist Neffe nicht hereingekommen. Ich luge hinaus. Das Feuer knistert und knackt, und meine Angst kehrt wieder, als ich sehe, dass er nicht dort sitzt.
Die restliche Nacht finde ich keinen Schlaf. Ich wälze mich unter meiner Decke hin und her. Mein Körper pulsiert von Xaviers Schmerzen und der Erkenntnis, dass er nur nach Hause gekommen ist, um zu sterben.
ANKUNFT
TakoshininaaniwanRegen prasselt auf den Sand um mich herum heute Nacht, sickert langsam durch die Wolle der Uniform, die ich immer noch trage und deren animalischer Geruch mich zu den Schlachtfeldern zurückzieht. Ich will nie wieder dorthin. Tantchen schlummert in ihrem kleinen Tipi, aber ich kann nicht schlafen. Wenn ich es tue, besuchen mich die toten Freunde, die ich nicht sehen will. Sie werfen mir Taten vor, die ich nicht begangen habe. Und andere, die ich begangen habe. Wir alle haben da drüben Dinge getan, über die man besser nicht spricht. Vor allem Elijah. Er ist der wahre Könner. Obwohl ich einmal der bessere Schütze war. Niemand erinnert sich mehr daran. Elijah, er ist der Gesegnete.
"Wir mussten es tun", wiederholt er. "Unsere erste Nacht allein draußen, und schon haben wir ein Tier gefangen. Deine Tante wird staunen."
Ich nicke lächelnd.
Ich streife die Schlinge vom Hals des Marders, hole mein Messer heraus und fange an, ihm das Fell abzuziehen. Ganz vorsichtig, damit der Pelz keinen Schaden nimmt und der Körper unversehrt bleibt. Tantchen soll sehen, dass ich nichts verschwende.
Elijah schaut zu. Nichts entgeht ihm. Er zieht einen Handschuh aus und bückt sich, um den nackten Leib des Marders zu berühren. "Wir sind große Jäger, nicht wahr, Xavier?"
"Ja, Elijah", sage ich.
"Wir sind große Jäger und die besten Freunde, stimmt's?" "Ja", sage ich.
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Ekiiwaniwahk
Seit vielen tagen halte ich mich im Wald in der Nähe der Stadt versteckt, komme nur heraus, wenn ich das Signal höre, um nach ihm Ausschau zu halten. Diese Stadt ist hässlich, viel größer noch als Moose Factory. Es ist eine Stadt, in der ich noch nie war und in die ich nie wieder kommen werde. Mehr wemistikoshiw, als ich sehen möchte, laufen in ihren komischen Kleidern auf den staubigen Straßen herum, angezogen wie für kaltes Wetter, obwohl die Sonne hoch am Himmel steht und es sommerlich heiß ist.
Tagsüber verstecke ich mich gut, aber wenn dieses Geräusch an meine Ohren dringt, bleibt mir nichts anderes übrig, als herauszukommen und mich unter sie zu mischen. Sie starren mich an, zeigen auf mich und reden, als hätten sie noch nie eine von meiner Art gesehen. In ihren Augen muss ich eine dürre, wilde Alte sein, ein indianisches Tier direkt aus der Wildnis. Bald werden meine Vorräte nur noch für unsere Heimreise reichen, deshalb habe ich angefangen, rings um mein Lager Fallen aufzustellen. Aber die Kaninchen haben offenbar genauso viel Angst vor diesem Ort wie ich.
Wo das Ding zum Stehen kommt, befindet sich eine einfache hölzerne Plattform mit einem kleinen Unterstand, der bei einem Wetterumschwung Schutz bietet. Die Straße dorthin ist staubbedeckt. Automobile so wie jenes, das Old Man Ferguson in Moose Factory fährt, brausen jeden zweiten Tag um die gleiche Zeit dorthin. Ich habe gesehen, wie sie etwas, das wie Laternenöl riecht, auf die Straße gossen, aber der Staub steigt trotzdem weiter auf, überzieht das Innere meiner Nase und reizt meine Augen. Wenigstens kann ich mich in dem Staub ein bisschen verstecken, so dass mich nicht so viele von ihnen sehen können.
An der Stelle, zu der ich immer gehe, ist alles rußig, so dass ich jeden Tag, wenn ich wieder ohne ihn von dort zurückkehre, das Bedürfnis habe zu baden. Ich schlafe nachts nicht mehr, vor lauter Sorge, dass die Nachricht nicht gestimmt hat, dass er niemals kommen wird und ich hier warten werde, bis ich sterbe.
Auch heute höre ich wieder das Signal. Auch heute warte ich wieder, bis die anderen dort sind, bevor ich mich zu ihnen geselle.
Die Alten nennen es den Eisenschlitten. Wenn ich sehe, wie dieses Ding sich nähert und mit gellendem Pfiff Qualmwolken in die Sommerhitze speit, kann ich keinerlei Ähnlichkeit mit einem Schlitten erkennen. Beängstigender als die Menge um mich herum sind das eine helle Auge, das im Sonnenlicht leuchtet, und die eiserne Nase, die an den Gleisen schnüffelt.
Zu viele Menschen. Ich bin noch nie unter so vielen wemistikoshiw zugleich gewesen. Sie laufen herum, drängeln, reden, rufen. Ich schaue auf die Fichten jenseits des Bahngleises. Rußgeschwärzt und gebeugt ergeben sie sich in ihr Schicksal.
Ich trete in den Schatten des Unterstandes zurück und beobachte, wie die Leute vor mir sich aufrichten, als das Ding näher kommt, und dann an das Gleis herantreten statt davon weg, wie ich es erwartet hätte. Die Frauen hier sehen ganz anders aus als ich, sie tragen lange Kleider aus zu viel Stoff und große Hüte. Sie halten sich gebogene Stoffschilde über den Kopf. Die Männer haben schwarze, braune oder graue Anzüge an, und die Schuhe an ihren Füßen glänzen, und zwar so sehr, dass ich mich frage, von welchem Tier dieses Leder wohl stammt. Auch die Männer tragen Hüte. Mitten im Sommer tragen diese Leute Hüte. Ich verstehe bei den wemistikoshiw vieles nicht.
Das Ding pfeift, als schrie ein riesiger Adler, jetzt so nah, dass ich mir die Ohren zuhalten muss.
Ich bin viele Tage lang allein gegen die Strömung des großen Flusses hierher gepaddelt. Gedankenleer. Mein einziger lebender Verwandter ist an einem fernen Ort gestorben, und ich bin hier, um seinen Freund Elijah in Empfang zu nehmen.
Elijah
Whiskeyjack ist der Mensch, der für mich einem Verwandten am nächsten kommt, und ich werde ihn nach Hause paddeln.
Joseph Netmaker hat mir den Brief gebracht. Der Winter legte sich gerade über das Land. Joseph kam auf Schneeschuhen aus der Stadt zu mir heraus. "Das ist für dich, Niska", sagte er. "Es ist von dem kanadischen Boss, ihrem hookimaw."
Sobald ich den braunen Umschlag und die englischen Wörter darauf sah, wusste ich, was er enthielt. Ich setzte mich neben das Feuer und stocherte mit einem Stock darin herum, während Joseph vorlas, erst in seinem holprigen Englisch, dann für mich in unserer Sprache.
""
Ich wartete auf mehr, doch das war alles. Als Joseph ging, war ich allein.
Viele Monde später, als sich das Wintereis zurückzog und es schwierig war, sich fortzubewegen, kam Joseph mit einem weiteren Brief. Er erklärte, es gehe darin um Elijah, und Old Man Ferguson habe ihm den Brief mit der Bitte gegeben, ihn mir zu bringen,da ich einer Verwandten Elijahs noch am nächsten käme.
In dem Brief stand, Elijah sei verwundet worden und habe nur noch ein Bein, er habe versucht, einen anderen Soldaten zu retten, und eine Tapferkeitsmedaille bekommen. Er sei zwar noch schwach, aber so weit genesen, dass er reisen könne, und werde voraussichtlich in demselben Ort ankommen, von dem aus Xavier und er vor so langer Zeit aufgebrochen waren.
Ich ließ mir von Joseph erklären, wie der Kalender der wemistikoshiw funktioniert, in welchem Monat ich dort sein sollte, und traf sorgfältige Vorbereitungen für meine Fahrt mit dem Kanu zu der Stadt, in der Elijah ankommen würde. Ich brach im Frühsommer auf und paddelte den Fluss entlang. Es war mühsam. Ich bin nicht mehr die Jüngste, doch ich reiste mit leichtem Gepäck. Joseph wollte mitkommen, aber ich sagte nein.
Ich fuhr allein.
Ich beobachte, wie das Ungetüm zum Stehen kommt und einen langen Seufzer ausstößt, als wäre es sehr müde von seiner langen Reise, während von den Seiten Rauch nach oben quillt. Menschen winken aus den Fenstern, und die Menschen draußen winken zurück, so wie ich es schon seit Tagen erlebe. Dann steigen die neu angekommenen Männer, Frauen und Kinder aus, in die Umarmung anderer. Ich sehe ein paar Soldaten und suche nach Elijahs Gesicht mit seinem listigen Grinsen. Die Menge zerstreut sich, und wieder ist kein indianischer Soldat mit nur einem Bein dabei.
Ich drehe mich gerade um und will gehen, da entdecke ich durch eines der Fenster die Silhouette eines Mannes. Er schleppt sich durch den Gang, auf Krücken, in Uniform, eine kleine Tasche über der Schulter. Ich trete aus dem Schatten der Wand.
Er trägt einen Hut, genau wie die wemistikoshiw, doch es ist ein Hut ihrer Armee, und ich kann sein Gesicht nicht erkennen, da er nach unten schaut, während er langsam auf seinen Krücken die Stufen hinuntersteigt. Ein alter Mann, denke ich. Und so mager. Das kann nicht der Elijah sein, den ich kenne. Sein eines Hosenbein ist hochgesteckt, hängt leer ein Stückchen herunter.
Als er die Stufen hinabgestiegen ist, entferne ich mich langsam, denn ich denke, er ist es nicht. Er blickt auf, und ich sehe sein Gesicht, schmal und bleich, hohe Wangenknochen, Ohren, die unter seinem Hut abstehen. Ich taumle, das Blut weicht mir aus dem Gesicht. Der Geist meines Neffen Xavier schaut mich an.
Er sieht mich im selben Moment, und ich beobachte, wie seine Augen nur ganz allmählich erkennen, was sie sehen, doch als sie es tun, beginnt er, sich auf seinen Krücken vor und zurück zu wiegen. Er fällt zu Boden. Ich eile zu ihm, knie mich neben ihn, greife nach seinen warmen Händen. Er ist kein Geist. Ich drücke ihn an mich. Sein Herz schlägt schwach. Mir wird schlagartig bewusst, dass er sehr krank ist.
"Neffe", flüstere ich. "Du bist zu Hause. Du bist zu Hause."
Ich umarme ihn, und als er die Augen öffnet, schaue ich hinein. Sie sind glasig. Selbst im Schatten der Bahnstation sind seine Pupillen Nadelspitzen.
"Man hat mir gesagt, du wärst tot, Tantchen", flüstert er.
"Und mir hat man gesagt, du wärst tot", sage ich.
Wir bleiben eine Weile auf dem Boden sitzen, beide zu schwach, um aufzustehen. Wir blicken einander an und weinen. Mehrere wemistikoshiw bleiben stehen und gaffen. Ich helfe Xavier auf, damit wir hier wegkommen, zum Fluss hinunter, wo er Wasser trinken und ich ihn besser beschützen kann.
Wir bleiben nicht lang in der Stadt. Sie macht mich nervös. Überall diese Automobile. Wir müssen die staubige Straße überqueren, auf der sie fahren, damit wir zum Fluss gelangen können, wo mein Kanu liegt. Neffe geht langsam auf seinen Krücken, mit gesenktem Blick. Die Leute starren uns an. Früher, bevor er weggegangen ist, hätte er ihr Gaffen erwidert, und Elijah ebenso, sie hätten sich nicht von ihnen einschüchtern lassen.
Was ist mit Elijah? Wenn ihnen hinsichtlich Xaviers Tod ein Fehler unterlaufen ist, dann vielleicht auch in Bezug auf Elijah. Ich möchte danach fragen, werde jedoch warten, bis er bereit ist zu sprechen.
Wir versuchen über die Straße zu kommen, doch gleich trötet ein Automobil wie eine Gans und macht einen Schlenker. Ich beobachte die Straße aufmerksam, und es dauert lange, bis ich das Gefühl habe, dass wir sie sicher überqueren können.
Ich führe Xavier zum Fluss. Ich habe das Kanu ein Stück weiter unten am felsigen Ufer versteckt. Ich sage ihm, dass er am besten hier warten soll, während ich das Kanu hole. Er antwortet nicht, setzt sich nur schwerfällig hin. Ich gehe, so schnell ich kann. Es ist dumm, mir Sorgen zu machen, nur weil ich ihn ein paar Minuten allein lasse. Er war in den letzten Jahren größeren Gefahren ausgesetzt, als sie einem einzelnen Menschen in hundert Leben begegnen sollten. Aber ich sorge mich trotzdem.
Als ich in meinem Kanu zu ihm paddle, sehe ich, dass er die
Jacke ausgezogen hat und mit einer Hand seinen dünnen Arm hält. Ich komme näher und erkenne, dass er etwas in seinen Arm gesteckt hat, das er gerade wieder herauszieht. Sein Körper hat sich entspannt, und seine Augen schauen einen Moment lang schuldbewusst drein, doch bis ich die Stelle erreicht habe, wo er sitzt, sind sie dunkel geworden wie der Fluss in der Sonne.
Ich fühle mich besser, als er im Kanu sitzt und wir von der Stadt fortpaddeln. Sie riecht genau wie Moose Factory, ein Geruch nach brennendem Holz, der einen anderen, fauligen Geruch nicht ganz überdeckt. Neffe paddelt eine Weile, aber lustlos.
Ich sage ihm, dass er sich auf sein Bündel legen und ausruhen soll, dass wir nach Norden fahren, ich also die Strömung endlich einmal nicht gegen mich habe und wir gut vorankommen. Er scheint mich nicht zu hören. Ich tippe ihm mit der Paddelspitze auf die Schulter. Er dreht sich um. Ich sage das Gleiche noch einmal, und er starrt konzentriert auf meinen Mund. Er legt sich wieder hin, ohne etwas zu sagen, und ich paddle uns in die Wildnis zurück und schaue ab und zu auf sein schmales Gesicht in der Sonne, dieses Gesicht, das zu schnell alt geworden ist. Er schläft, doch es ist kein erholsamer Schlaf. Er zuckt, seine Hände zittern. Dann schreit er und erwacht davon. Er setzt sich auf, taucht seine Hand ins Wasser, fährt sich übers Gesicht. Sein Hemd ist schweißnass. Er ist sehr krank. Irgendein Fieber verbrennt ihn von innen. Ich paddle schweigend weiter.
Ich lasse mir Zeit, finde es angenehm, nicht gegen die Strömung ankämpfen zu müssen. Noch vor ein paar Tagen habe ich mich mit jedem Paddelschlag geplagt, bis meine Arme kraftlos waren und mein Kreuz sich anfühlte, als wäre es gebrochen. Jetzt beim Heimfahren genieße ich den Luxus der Strömung, die mit mir nach Norden strebt, zur Großen Salzbucht, die von denen, die meinen Neffen nahmen, Hudson Bay genannt wird. Es hat mich eine Woche harter Arbeit gekostet, den Fluss hinaufzupaddeln, doch wenn Wind und Wetter günstig sind, wird die Fahrt nach Hause nur drei Tage dauern. Ich habe viele Fragen an Xavier, und innerlich bin ich wie ein Kind, das sie loswerden will. Aber ich habe Geduld. Ich kann gut warten.
Wir sind noch nicht weit gekommen, als mir die Sonne sagt, dass es Zeit ist, unser Lager aufzuschlagen. Ich will es ohnehin geruhsam angehen mit ihm. Keine Hetze. Es ist Sommer.
Die Insekten sind kurz vor und während der Dämmerung am schlimmsten; deshalb halte ich nach einer Insel im Fluss Ausschau, wo sie uns nicht zu sehr quälen werden. Vor uns taucht eine geeignete Insel auf, mit einem Sandstrand und viel totem Geäst für ein Feuer.
Wir ziehen das Kanu ans Ufer, und ich fange an, Holz zu sammeln. Neffe versucht mir zu helfen, doch seine Krücken sinken im weichen Sand ein, und er ist bald entmutigt. Ich könnte weinen, als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie er sich bückt und immer wieder versucht Äste aufzuheben, bis er sich schließlich hinsetzt und langsam Steine heranzieht, um einen Feuerkreis zu bauen.
Ich fälle mit der Axt einige junge Bäume, schleife sie zu ihm, binde sie an einem Ende zusammen und errichte das Gerüst für ein kleines Tipi. Dann hole ich ein Stück Zeltleinwand aus dem Kanu und befestige sie an dem Gerüst. Im Moment sieht der Himmel aus, als würde die Nacht sternenklar werden, aber der Wind sagt mir etwas anderes. Wir sind noch nicht so weit von der Bucht entfernt, dass uns nicht ein Sturm überraschen könnte. Nachdem ich unsere paar Habseligkeiten ins Tipi geschafft habe, hole ich etwas zu essen heraus und breite es aus. Neffe hat ein schönes Feuer in Gang gebracht.
Auf einen Stein lege ich gesalzenen Fisch, auf einen anderen etwas Elchfleisch und auf einen dritten frische Blaubeeren, die ich im Wald gesammelt habe. Ich nehme einen Stock und spitze ihn an. Neffe schaut auf den Fluss hinaus. Ich spieße ein Stück Fleisch auf und halte es über die Flamme. Er dreht den Kopf, als das Fleisch warm wird und er den Geruch wiedererkennt.
"Das habe ich lange nicht mehr gerochen", sagt er mit schüchternem Lächeln. Es sind seine ersten Worte seit der Stadt.
Ich reiche ihm etwas zu essen, doch er will nichts. In der untergehenden Sonne hat seine Haut die Farbe von Zedernasche.
Am Abend krieche ich ins Tipi und sage ihm, er soll schlafen gehen, wann immer ihm danach ist. Er starrt ins Feuer.
Stunden später erwache ich und höre leichten Regen auf die Zeltwand trommeln. Ich öffne die Augen und lausche. Der Rauch des Feuers im Regen riecht gut. Ich stelle fest, dass ich allein hier liege. Selbst bei diesem Wetter ist Neffe nicht hereingekommen. Ich luge hinaus. Das Feuer knistert und knackt, und meine Angst kehrt wieder, als ich sehe, dass er nicht dort sitzt.
Die restliche Nacht finde ich keinen Schlaf. Ich wälze mich unter meiner Decke hin und her. Mein Körper pulsiert von Xaviers Schmerzen und der Erkenntnis, dass er nur nach Hause gekommen ist, um zu sterben.
ANKUNFT
TakoshininaaniwanRegen prasselt auf den Sand um mich herum heute Nacht, sickert langsam durch die Wolle der Uniform, die ich immer noch trage und deren animalischer Geruch mich zu den Schlachtfeldern zurückzieht. Ich will nie wieder dorthin. Tantchen schlummert in ihrem kleinen Tipi, aber ich kann nicht schlafen. Wenn ich es tue, besuchen mich die toten Freunde, die ich nicht sehen will. Sie werfen mir Taten vor, die ich nicht begangen habe. Und andere, die ich begangen habe. Wir alle haben da drüben Dinge getan, über die man besser nicht spricht. Vor allem Elijah. Er ist der wahre Könner. Obwohl ich einmal der bessere Schütze war. Niemand erinnert sich mehr daran. Elijah, er ist der Gesegnete.
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Autoren-Porträt von Joseph Boyden
Joseph Boyden, 1967 in Kanada geboren, hat indianische Vorfahren.Bettina Münch, Jg. 1962, lebt und arbeitet als freie Lektorin, Übersetzerin und Autorin mit Mann und Tochter in Frankfurt am Main.Kathrin Razum übersetzte u. a. T. C. Boyle, John le Carré, Agatha Christie, Vikram Chandra, V. S. Naipaul, Edna O'Brien und Susan Sontag. Sie lebt in Heidelberg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joseph Boyden
- 2008, 447 Seiten, Maße: 12,1 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Münch, Bettina; Razum, Kathrin
- Übersetzer: Bettina Münch, Kathrin Razum
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442737826
- ISBN-13: 9783442737826
Rezension zu „Der lange Weg “
"Ein fulminantes Romandebüt."
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