Der letzte Weynfeldt
Der letzte Weynfeldt - Adrian Weynfeldt, Mitte fünfzig, Junggeselle, großbürgerlicher Herkunft, Kunstexperte bei einem internationalen Auktionshaus - lebt in einer riesigen Wohnung im Stadtzentrum.
Mit der Liebe hat er...
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Der letzte Weynfeldt - Adrian Weynfeldt, Mitte fünfzig, Junggeselle, großbürgerlicher Herkunft, Kunstexperte bei einem internationalen Auktionshaus - lebt in einer riesigen Wohnung im Stadtzentrum.
Mit der Liebe hat er abgeschlossen. Bis ihn eines Abends eine jüngere Frau dazu bringt, sie - entgegen seinen Gepflogenheiten - mit nach Hause zu nehmen. Am nächsten Morgen steht sie außerhalb der Balkonbrüstung und droht zu springen. Adrian vermag sie davon abzuhalten, doch von nun an macht sie ihn für ihr Leben verantwortlich. Immer wieder nötigt sie ihn, sie aus ihren Schwierigkeiten zu befreien. Weynfeldts geregeltes Leben gerät aus den Fugen - bis er schließlich merkt, dass nichts ist, wie es scheint.
Bis ihn eines Abends eine jüngere Frau dazu bringt, sie - entgegen seinen Gepflogenheiten - mit nach Hause zu nehmen. Am nächsten Morgen steht sie außerhalb der Balkonbrüstung und droht zu springen. Adrian vermag sie davon abzuhalten, doch von nun an macht sie ihn für ihr Leben verantwortlich. Immer wieder nötigt sie ihn, sie aus ihren Schwierigkeiten zu befreien.
Weynfeldts geregeltes Leben gerät aus den Fugen - bis er schließlich merkt, dass nichts ist, wie es scheint.
Der letzte Weynfeldtvon Martin Suter
LESEPROBE
14
Manchmalwar es Adrian Weynfeldt unheimlich, nach Hause zukommen. Das grelle unbarmherzige Neonlicht im Flur zwischen der knarrendenEingangstür aus Eiche und der lautlosen Schiebewand aus Sicherheitsglas. DasBewusstsein, dass jede seiner Bewegungen aufgezeichnet und zwei Monateaufbewahrt wurde. Der Aufzug, der ihn lautlos an den auch für ihnverschlossenen Stockwerken seines eigenen Hauses vorbeibeförderte. DieStahltür, die aufglitt und ihn in den getäfelten Hausflurmit Eichenparkett entließ. Die doppelflügeligeWohnungstür, in deren Milchglasscheiben Art-déco-Motivegeätzt waren.
An solchenAbenden kam es ihm vor, als würde er durch einen Stahltunnel in eine andereWelt und Zeit geschleust. Und wenn er seine Wohnung betrat, fühlte er sich wieder einzige Überlebende einer weit zurückliegenden Katastrophe. Kein Menschwohnte in diesem Haus. Und keiner in den umliegenden Häusern. Er war ganzallein mit seiner Sammlung von Gemälden und Möbeln. Zeugen eineruntergegangenen Kultur, die niemand je wieder aufrufen würde.
Er öffnetedie Tür mit dem Schlüssel, den schon sein Vater und dessen Vater benutzthatten, machte Licht und war froh, dass er sich auch in der Frage des Parkettsnicht gegen Casutt hatte durchsetzen können. So wardas alte, in allen Tonlagen knarrende Tafelparkett nicht restauriert, sondern durchein massives Schiffbodenparkett aus Eiche ersetzt worden, über das er jetzt indie Küche gehen konnte, ohne fremde Schritte hinter sich zu hören.
Frau Hauserhatte ihm mit ihrer kleinen säuberlichen Schrift ihre übliche Liste mit einemMagnet in Form eines gelben Entchens an die Chromstahlfront geheftet, hinterder sich die Kühl-, Gefrier- und Klimaschränke, die Backöfen, Dampfbacköfen,Mikrowellenöfen und Wärmeschubladen befanden.
Kaspar Casutt hatte Weynfeldt eineprofessionelle Küche verschrieben, deren Chromstahloberflächen allein einengroßen Teil der Arbeitskraft von Frau Hausers haufigwechselnden Helferinnen beanspruchten. Nicht auszudenken, wenn Casutt das Magnetentchen entdecken würde.
Auf demZettel stand: »Roastbeef und gemischter Salat im Klimaschrank. Salatsauce ditoseparat. Sauce Remoulade dito. Toastbrot bereits vorgetoastet imMikrowellenherd. Eine Minute (gelber Knopf). Keine Nachrichten auf dem Beantworter. Guten Appetit! Hauser.«
Adrianöffnete mehrere Türen, bis er die des Klimaschranks fand. Dort befanden sichGemüse, Früchte und andere Lebensmittel in getrennten Klimazonen, jede mitihrer eigenen Temperatur- und Luftfeuchteregelung. Ernahm das Tablett mit dem Roastbeef und dem Salat heraus, goss die Salatsauceüber die Blätter und mischte sie mit dem Designersalatbesteck, das ebenfalls Casutt ausgesucht hatte. Danach drückte er auf den gelbenKnopf des Mikrowellenofens, wartete das Beebeep derElektronik ab, nahm die Toasts mit der bereitgelegten Brotzange heraus undlegte sie in das ebenfalls bereitgestellte, mit einer Serviette ausgeschlagene Brotkörbchen.Das war ungefähr das Höchste an Kochkunst, was er beherrschte.
Er fand aufAnhieb den Weinklimaschrank, wählte einen Blauburgunder aus der Region und trugdas Tablett den weiten Weg zu seinem Arbeitszimmer, dem einzigen Raum außer demSchlafzimmer, in dem er sich an solchen Abenden wohl fühlte.
Er machteLicht. Die indirekte Beleuchtung des Raumes ging an, und ein Spot warf seinenLichtkegel auf den Vallotton in der Mitte des Raumes.
Adrianknipste die Tischlampe an und das indirekte Licht aus, schuf etwas Platz aufseinem Arbeitstisch und deckte auf. Er legte eine cd in die Anlage - J.J.Cale, Musik aus seiner Jugend -, schenkte das Glas vollund begann zu essen.
Das Lichtim Raum wurde eine Schattierung dunkler - draußen in einem der Geschäftshäuserwar eine Reihe Bürofenster erloschen. Er saß im Kegel seiner Arbeitslampe,einsam wie der Mann im Mond. Ein paar Meter vor ihm kniete VallottonsModell vor dem Salamander, auch sie nur von einer einzigen Lichtquelleangeleuchtet.
Warum hatteVallotton ihre unteren Extremitäten unterschlagen? Einvirtuoser Zeichner und geübter Anatom wie er? Hatte Marina Ducrey,die Verfasserin seines Werkkatalogs, recht, dass er sich damit auf die kykladischen Idole von 2000 v. Chr. bezog? Und dass erdamit Man Rays »Le Violon d Ingres«,diesen phallischen weiblichen Torso mit den F-Geigenlöchern, vorwegnahm?
J. J. Cales heisere, sanfte Stimme sang »After Midnight«. Adrian stocherte in seinem Salat und sortiertedie Radieschen aus. Er mochte keine Radieschen, sie stießen ihm auf. Irgendwannvor vielen Jahren hatte er die Gelegenheit verpasst, es Frau Hauser zu sagen,seither ließ er auf mehr oder weniger erfindungsreiche Art Radieschenverschwinden. Manchmal hatte er Frau Hauser im Verdacht, dass sie es schon langewusste und ihn aus pädagogischen Gründen so lange damit quälte, bis er sich einHerz fasste und es ihr beichtete.
SeineGedanken wanderten zu dem seltsamen Mittag - essen mit Rolf Strasser. Wie hattesich all das aufstauen können, ohne dass er es bemerkte? Gab es noch andere,denen es ähnlich ging mit ihm? Wie wenig er doch von seinen Freunden wusste.Rolf hielt ihn für überheblich. Betrachtete seine Höflichkeit als eine Form vonHerablassung. Litt unter seiner Großzügigkeit. Kannte Baier. Ging eine Zeitlangjeden Tag zu ihm, zum Malen.
Was malteRolf bei Baier?
Er legteeine Scheibe Roastbeef auf ein inzwischen erkaltetes Stück Toast und bestrichdas Ganze gedankenverloren mit Remoulade.
Was hatteRolf Strasser bei Baier jeden Tag gemalt?
Weynfeldtlegte den angebissenen Roastbeeftoast auf den Teller zurück, stand auf und gingkauend zur Staffelei mit dem Vallotton.
Das Lichtdes Spots fiel schräg auf das Bild und verlieh ihm einen matten Glanz. Es warwie fast alle Détrempes von Vallottonnicht gefirnisst. Einige dieser Arbeiten in Tempera trugen auf der Rückseite Vallottons eigenhändige Notiz:
»Niemals firnissen.«
Der matteGlanz, den das Bild aufwies, war die Patina der Zeit. Staub, Nikotin,Temperaturschwankungen und die Staub lappengewissenhafter Dienstmädchen hatten auf der Oberfläche des Bildes einen dünnenFilm hinterlassen, wie eine matte Politur aus Wachs#. In einer der vierSchubladen der schwarzen Anrichte von Paul Antaria,einem Einzelstück aus dem Jahr 1930, das Weynfeldt alsWerkzeugmöbel diente, lag eine große Lupe. Er holte sie und inspizierte dieBildoberfläche.
Kaum einPinselstrich zu sehen. Vallotton hatte in dieser Technikmit möglichst großen Pinseln und möglichst homogenen Flächen gearbeitet.
Adriannäherte seinen Weynfeldtzinken dem Bild. Es roch vertrautund kaum wahrnehmbar nach etwas Altem, Organischem. Karton und dem Bindemittel -Knochenleim? Eigelb? -, das der Maler verwendet hatte.
Oben rechtswar das Bild signiert. »F. Vallotton. 1900«. Weynfeldt kannte die Signatur. Und auch die kleine Manie desMalers, nach seinem Nachnamen einen Punkt zu setzen, war ihm vertraut.
Im Rot desFauteuils, der von rechts ins Bild ragte, waren ein paar Stockflecken zu sehen,groß genug, dass sie auch in einer Reproduktion sichtbar sein müssten. Stockfleckenwaren keine schlüssigen Beweise für die Echtheit eines Bildes. Fälscherstellten sie routinemäßig her. Mit gefriergetrocknetem Kaffeepulver. Mitverdünntem Rost. Oder einfach mit stark verdünntem Umbra Natur.
Er ging zurBücherwand, nahm den zweiten Band von VallottonsWerkverzeichnis heraus, suchte unter dem Jahr 1900 und fand das Bild. Über einehalbe Seite hatte Marina Ducrey allein der Abbildunggewidmet.
Die Stockflecken waren da. In gleicher Anzahl, an gleicherStelle. Er ließ ein letztes Mal die große Lupe über die Abbildung gleiten.Alles stimmte. Auch die Unterschrift.
Weynfeldtklappte das Buch zu, holte seinen Toast und konzentrierte sich wieder auf dasBild. Mit vollen Backen kauend suchte er es ab, er wusste nicht, wonach. Erschob sich den letzten Bissen in den Mund und suchte weiter.
Der Punkt!
Mit dreiSchritten war Weynfeldt beim Werkverzeichnis, lecktedie Reste der Remoulade von den Fingern - etwas, was er nie tat, nie! -, riebsie im Innern seiner Hosentasche trocken und blätterte, bis die Seite mit demBild wieder vor ihm lag.
Er nahm dieLupe, knipste ihr Lämpchen an und vergrößerte die Signatur. »F. Vallotton 1900«. Ohne Punkt nach dem Nachnamen.
Wenn manvon einem Bild erst einmal weiß, dass es eine Fälschung ist, ist es einfach,die Hinweise darauf zu finden. Weynfeldt rahmte esaus und entdeckte in kurzer Zeit gleich zehn. Zum Beispiel war die Farbe - daskonnte er an einer vom Rahmen verdeckten Farbverdickung mit dem Fingernagel prüfen- zu frisch und zu elastisch.
Das Bildwar grundiert, aber Vallotton arbeitete immer mitnicht grundiertem Zeichnungskarton.
Der matteGlanz der Oberfläche - das ergab ein Test mit dem Feuerzeug an einer verdecktenStelle - stammte nicht von der Patina der Zeit, sondern von einem dünnen Film ausmattem Wachsfirnis.
Es dauertekeine Stunde, bis Adrian Weynfeldt mit letzter Sicherheitwusste, woran Rolf Strasser in Klaus Baiers Haus jeden Tag gemalt hatte.
© DiogenesVerlag
Martin Suter ist am 29. März 2004 in Zürich mit der Goldenen Diogenes Eule ausgezeichnet worden.
- Autor: Martin Suter
- 2008, 1, 313 Seiten, Maße: 12 x 18,8 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257066309
- ISBN-13: 9783257066302
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