Der menschliche Makel
Im Jahre 1998, als die Clinton-Affäre Amerika in eine Ekstase der Scheinheiligkeit versetzt, wird in einem kleinen Provinzstädtchen in Neuengland Coleman Silk, Professor für klassische Literatur, zum Rücktritt gezwungen. Er wird bezichtigt, ein Rassist zu...
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Im Jahre 1998, als die Clinton-Affäre Amerika in eine Ekstase der Scheinheiligkeit versetzt, wird in einem kleinen Provinzstädtchen in Neuengland Coleman Silk, Professor für klassische Literatur, zum Rücktritt gezwungen. Er wird bezichtigt, ein Rassist zu sein.
Der Vorwurf ist falsch, doch die Wahrheit über Silk würde selbst seine ärgsten Feinde überraschen.
''Philip Roth ist schlicht und einfach der größte Romancier, der heute in englischer Sprache schreibt.''
FAZ
Der menschliche Makel von Philip Roth
LESEPROBE
Als Colemanam nächsten Tag nach Athena fuhr, um sich zu erkundigen, was er dagegenunternehmen könne, um Farley ein für allemal daran zu hindern, sein Grundstückzu betreten, gab ihm sein Rechtsanwalt Nelson Primus einen Rat, den er nicht hörenwollte: er solle in Erwägung ziehen, sein Verhältnis mit Fauniazu beenden. Coleman hatte Primus erstmals zu Beginn der Affäre um die dunklenGestalten konsultiert, und da Primus ihn fundiert beraten hatte - und weil derjunge Anwalt nicht nur eine gewisse vorwitzige Unverblümtheitan den Tag legte, die ihn an sich selbst in Primus' Alter erinnerte, sondernauch keine Anstalten machte, seine Abneigung gegen Sentimentalitäten, dienichts zur Sache taten, hinter der kumpelhaften Lockerheit zu verbergen, die dieanderen Rechtsanwälte des Städtchens kennzeichnete, war er auch mit Delphine Roux' Brief zu ihm gegangen.
Primus warAnfang Dreißig, verheiratet mit einer jungen Philosophieprofessorin, dieColeman vier Jahre zuvor eingestellt hatte, und Vater zweier kleiner Kinder. Ineiner neuenglischen Universitätsstadt wie Athena, wo fast alle Selbständigenihrer Arbeit in geschmackvoll rustikaler Kleidung nachgingen, betrat dieser geschmeidiggutaussehende junge Mann mit den rabenschwarzenHaaren, groß, schlank, athletisch, seine Kanzlei jeden Morgen in elegantenMaßanzügen, auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhen und gestärkten weißenHemden mit diskret eingesticktem Monogramm, einer Aufmachung, die nicht nur einstarkes Selbstbewußtsein und ein Gefühl persönlicherBedeutung verriet, sondern auch einen Widerwillen gegen jede Art vonNachlässigkeit, und außerdem darauf schließen ließ, daßNelson Primus mehr wollte als eine Kanzlei über Talbots Geschäft gegenüber derGrünanlage. Seine Frau war hier Professorin, also arbeitete er hier. Aber nichtfür lange. Ein junger Panther mit Manschettenknöpfen und Nadelstreifen - einPanther auf dem Sprung.
»Ich habekeinen Zweifel daran, daß Farley ein Psychopath ist«,sagte Primus. Er sprach die Worte mit stakkatohafterPräzision und ließ Coleman dabei nicht aus den Augen. »Wenn er um michherumschleichen würde, wäre ich ernstlich besorgt. Aber ist er um Sie herumgeschlichen,bevor Sie ein Verhältnis mit seiner Exfrau angefangen haben? Damals wußte er nicht mal, daß Sieexistierten. Der Brief von dieser Roux ist etwas ganzanderes. Sie wollten, daß ich ihr einen Briefschreibe - wider bessere Einsicht habe ich das getan. Sie wollten einenSchriftexperten konsultieren - wider bessere Einsicht habe ich Ihnen einenvermittelt. Sie wollten, daß ich das Gutachten diesesExperten an ihren Anwalt schicke - wider bessere Einsicht habe ich es ihmzugeschickt. Obwohl ich mir wünschte, Sie hätten die Größe, ein läppischesÄrgernis als das zu behandeln, was es ist, habe ich alles getan, was Sie miraufgetragen haben. Aber Lester Farley ist kein läppisches Ärgernis. Delphine Roux kann ihm nicht das Wasser reichen, weder alsPsychopathin noch als Gegnerin. Farley ist die Welt, die Faunianur mit knapper Not überlebt hat und die sie zwangsläufig mitbringt, wenn sie durchIhre Tür tritt. Lester Farley arbeitet beim Straßenbau, stimmt's?Wenn wir eine einstweilige Verfügung gegen ihn beantragen, wird sehr bald Ihrganzes friedliches Provinzstädtchen Ihr Geheimnis kennen. Und wenig später wirddieses Städtchen Ihr Geheimnis kennen, und dann das College - und Ihre jetzigeSituation ist nichts im Vergleich zu dem bösartigen Puritanismus, der Ihnenentgegenschlägt, wenn man Sie teert und federt. Ich weiß noch, mit welcherPräzision das hiesige wöchentliche Käseblatt den lachhaften Vorwurf gegen Sieund die Beweggründe für Ihren Rücktritt mißverstandenhat. »Rassismusvorwurf zwingt Exdekan zum Rücktritt«. Ich erinnere mich auch andie Bildunterschrift: »Eine herabsetzende Bemerkung im Seminar beendetProfessor Silks akademische Karriere. « Ich weißnoch, wie es damals für Sie war, ich glaube zu wissen, wie es jetzt für Sieist, und ich kann mir ziemlich genau vorstellen, wie es für Sie sein wird, wennder ganze Landkreis über die sexuellen Eskapaden des Mannes informiert ist, denein Rassismusvorwurf zum Rücktritt gezwungen hat. Ich will damit nicht sagen,dag das, was sich hinter Ihrer Schlafzimmertür abspielt, irgendjemanden außerIhnen etwas angeht. Ich weiß, daß es nicht so seinsollte. immerhin leben wir im Jahr 1998. Es ist schon eine Weile her, seitJanis Joplin und Norman 0. Brown die Dinge zum Besseren verändert haben. Aberwir haben hier in den Berkshires Leute -Hinterwäldler oder Collegeprofessoren -, die sicheinfach weigern, ihre Wertvorstellungen zu revidieren und der sexuellenRevolution freundlich freie Bahn zu gewähren. Es gibt engstirnige Kirchgänger,Schicklichkeitsfanatiker und alle möglichen rückständigen Spießer, die nurdarauf warten, einen Mann wie Sie bloßzustellen und zu bestrafen.
ã Hanser Verlag
Aus demAmerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren
- Autor: Philip Roth
- 2006, 413 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Gunsteren, Dirk van
- Verlag: Spiegel-Verlag
- ISBN-10: 3877630170
- ISBN-13: 9783877630174
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