Der schwarze Brunnen
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Der schwarze Brunnen von Arthur W. Upfield
LESEPROBE
Wenn man von Perth aus nachNorden fliegt, zweitausendfünfhundert
Kilometer am Indischen Ozeanentlang und dann
noch fünfhundert Kilometerlandeinwärts, wird man vielleicht
Agar s Lagune entdecken; vomFlugzeug aus gesehen
eine winzige Siedlung, dievon einem Wall zerbrochener Flaschen
umgeben ist.
Eine andere Lagune gibt esda weit und breit nicht, denn der
steingefüllte Bach, der andiesem »Städtchen« entlangfließt,
hat es viel zu eilig, dasvom Kimberleygebirge abströmende
Wasser fortzutragen und esin den ewig dürstenden Sand der
großen Binnenlandwüste zuentleeren.
Der kleine Fluss ist längstnicht so romantisch wie der auf
tausend Tonnen geschätzteFlaschenring, den Generationen
von Hoteldienern gebauthaben, indem sie die leeren Flaschen
aus der Kneipe des Hotelsmit allen möglichen Fahrzeugen,
vom Achsenwagen bis zum FordModell T, dort hinbrachten.
Und es ist die einzigeMöglichkeit, da es bei der großen Entfernung
unwirtschaftlich wäre, dieleeren Flaschen bis nach Perth
zu schaffen. So verbreitertesich der Kranz zwangsläufig nach
außen, andernfalls wären dasHotel, das Polizeigebäude und
zehn Wohnhäuser schließlichunter Glas begraben worden.
In Agar s Lagune erschieneines Tages Kriminalinspektor
Bonaparte, auf der Reise vonBroome, wo er die Ermittlungen
in einer Mordsacheabgeschlossen hatte, nach seiner Heimatprovinz.
Ein Flugzeugdefekt hielt ihnin Agar s Lagune fest.
In diesem nördlichen Winkeldes fünften Kontinents, wo die
Flugzeiten nicht nachpräzisem Fahrplan festgelegt werden
können, war er gezwungen,Logis in dem baufälligen Hotel zu
nehmen, da er die kleineSiedlung wie ausgestorben vorfand.
Sogar der Ortspolizist warnicht anwesend.
Das Hotel ließ sich mit denKneipen im früheren Amerika
vergleichen, den sogenannten Saloons, denn es war aus Bretterwänden,
Eisen und Stampfbetongebaut. Es war gleichsam
eine Oase in einem mehreretausend Quadratmeilen großen
Gebiet, das von etwas überhundert weißen Viehzüchtern,
Schafhirten und Goldsuchernbewohnt war, abgesehen von
den unvermeidlichenRegierungsbeamten.
Bonaparte war der einzigeGast im Hotel, und der einzige
Mensch, mit dem er sich dortunterhalten konnte, war der
Hausdiener, zugleichKellner, ein kleines dürres Männchen
namens John Brown, wennseine Eintragung im Einwohnerverzeichnis
stimmte. Er gehörte ganz zudiesem Gebäude und
passte auch in die raueLandschaft. Allgemein wurde er nur
»der Hunne« genannt. Bonysollte bald erfahren, dass er diesen
Namen im Ersten Weltkriegbekommen hatte, denn damals
hatte er einen gepflegtenSchnurrbart à la Kaiser Wilhelm
getragen. Nach dem Sturz desKaisers fanden die Deutschen
diesen Schnurrbart nochimmer aggressiv, und so behielt
Brown den Beinamen, wennauch sein Bart mit den Jahren ergraute
und Bierflecke bekam. Geborenwar er in Birmingham,
aber hier war und blieb erder Hunne, und sogar die im Ort
ansässigen Deutschen nanntenihn so, ohne das etwa unfreundlich
zu meinen.
An diesem Abend hockte erauf der Veranda neben dem
einzigen Sessel, in demInspektor Napoleon Bonaparte sich
niedergelassen hatte, undahnte noch nichts vom Beruf und
Ruf seines Gastes, der inallen Polizeibezirken des Landes hohes
Ansehen genoss. Auf demsteinigen Fahrweg zog eine
Herde Ziegen vorüber,vorangetrieben von einem kleinen
weißen Jungen und einemebenso kleinen schwarzen im gleichen
Alter. Hinter dem jetztstaubtrockenen Bachbett brannte
die untergehende Sonne hartgegen die steinernen Bastionen
der Schwarzen Berge.
»Wie lange ich schon hierbin?«, wiederholte der Hunne
Bonys Frage. »Bin 1914 hergekommen.War alles schon genau
wie jetzt, die Gaststube,die Polizeiwache und die Wohnhäuser.
Zwei Jahre später habe ichmit Paddy, den wir den Bastard
nannten, dieQueen-Victoria-Mine entdeckt, und wir haben in
drei Jahren dreimal einVermögen gewonnen und verloren.
Und das alles geschah indieser Kneipe. Ein Jahr nach Paddys
Tod habe ich die Erzgrube anein Syndikat verkauft, für tausend
Pfund.«
»Bare, echte tausendPfund?«, murmelte Bony.
»Leider ja. Wie gewonnen, sozerronnen. Paddy hat sich
totgesoffen, hier auf dieserVeranda. Der Polizist und fünf
Mann waren nötig, um ihnbeim letzten Tobsuchtsanfall festzuhalten.«
»Muss ja wirklich einstarker Bursche gewesen sein.«
Der Hunne hielt einStreichholz an die tabakähnliche Mixtur
im Kopf seiner halbzerbrochenen Pfeife. Obgleich er
schon jahrelang hier wohnte,sprach er noch mit fremdem Akzent.
Sein Lachen ähnelte demaufgeregten Krähen eines Hahnes.
»Stark?«, sagte er. »Als ichmir mal in der Erzgrube das Bein
gebrochen hatte, trug ermich hierher, gute dreizehn Kilometer!
Wenn der einen anspuckte,dann ging der aus wie ne Kerze.
Einmal hat er sich mit SilasBreen gestritten, welcher Gaul
1900 den Großen Preis vonMelbourne gewonnen hätte, und
da haben sie eine Wochemiteinander geboxt und nur Pausen
zum Essen gemacht. Einwunderbarer Kamerad war der Paddy,
ich hab nach seinem Tod soeinen nicht wieder gefunden.
Nanu - da schlag doch einerlang hin, die Breens kommen zur
Stadt!«
Die lethargische Ruhe derSiedlung wurde durch den Lärm
eines großen Lastautoszerrissen, das über die holprige Straße
heranpolterte. Die Hühnerzogen sich schleunigst auf die
Pfefferbäume zurück, dieHunde rannten Kopf an Kopf neben
dem Fahrzeug her, bis es vorden Stufen zum Hotel anhielt.
Eine Staubwolke wehte vorder Veranda entlang, und als sie
verflogen war, sah Bony dieHinterpartie eines riesenhaften
Mannes, der von demLastwagen stieg. Er drehte sich, während
er seine Gabardinehosehochzog, ein wenig zur Seite, sodass
Bony sein Gesicht sehenkonnte. Ein kantiges, robustes,
aber verkniffenes Gesicht. Dasdicke graue Haar war ungekämmt
und der lange,herunterhängende Schnurrbart ebenso
aggressiv wie der desHunnen.
Er blieb beim Wagen stehen,während ein zweiter Mann
von ebenso imposanterGestalt vorsichtig herunterkletterte,
nicht ganz so groß, aberebenso breit und stämmig wie der andere.
Sein Haar ließ von seinemvorgerückten Alter kaum etwas
merken, es war schwarz, soschwarz wie der eckig geschnittene
Spitzbart. Er nickte kurz,als sein Begleiter etwas
zu ihm sagte, und ging zurVeranda voraus, deren drei hölzerne
Stufen er mühsam erklomm. SeinGesicht war weiß, wo der
Bart es nicht verdeckte,unnatürlich weiß in einer so heißen
Gegend. Die Augen glänztenwie im Fieber.
»Tag, Hunne«, sagte er zudem Hoteldiener.
»Ta-ag, Jasper«, erwiderteder. »Ta-ag, Silas. Na, was macht
die Kunst?«
»Es geht so«, antwortete derSchwarzbärtige. »Kommst du
mit rein, einen zwitschern?«
Jasper und Silas Breenbetraten das Hotel. Der Hunne sagte:
»Das ist ein Befehl.« Und zuBony: »Sie kommen gleich
mit, sonst gibt s erst nochStreit.«
»Streit mag ich nicht«,erklärte Bony, indem er sich erhob.
»Habt ihr hier noch mehrLeute von diesem Kaliber?«
»Masse«, erwiderte der Hunnestolz. »Ezra Breen zum Beispiel,
der ist viel jünger und nochstärker als diese beiden.«
Er schlurfte zur Theke. DieBreens standen schon davor,
und der Wirt Ted Ramsayfragte, was sie trinken wollten. Er
war groß, dick aufgeschwemmtund würde voraussichtlich in
einem halben Jahr imDelirium sterben. Das Licht der unter
der Plankendecke hängendenÖllampe kämpfte bereits mit
dem schwindenden Tag. DieRegale hinter dem Schanktisch
standen vollerSchnapsflaschen mit grellbunten Etiketten, auf
dem Fußboden standen Kästenmit Flaschenbier, denn Fassbier
hielt sich nicht auf demTransport von Perth bis hierher.
»Na, sag schon, was für neJauche du trinken willst, Ted«,
rief Silas Breen dröhnend.»Setz uns deinen besten Whisky
vor. Verdammt noch mal, wirBreens haben hier schon zweihundert
Mal so viel versoffen, wiedein Saftladen wert ist!«
»Vierhundert Mal«,verbesserte Ramsay. »Allein seitdem
ich hier bin, habt ihr ihnschon hundert Mal bezahlt.«
Er setzte eine FlascheWhisky, Gläser und einen Krug Wasser
auf die Theke. Der ältereBreen rief mit einer Stimme, die
im ganzen Hause zu hörensein musste, Bony zu: »Was wollen
Sie trinken, Mister?«
»Für mich bitte Bier«,antwortete Bony.
»Mir dasselbe«, piepste derHunne. »Bist du nicht auf dem
Damm, Jasper? Siehst nichtgut aus.«
»Nee. Bin von meinem Gaulgefallen. Hat mich ordentlich
durchgeschüttelt, weiternichts. Pech!«
»Vom Pferd gefallen!«, murmelteder Hunne. »Glaube eher,
dass das Pferd auf ihngestürzt ist.«
»Doktor in der Stadt?«,fragte Silas den Wirt.
»Ja, ist abersternhagelvoll. Seit heute Morgen. Hast du
schwere Verletzungen,Jasper?«
»Nein. Bisschen verstauchtund ein paar Beulen, nichts gebrochen.«
»Doktor Morley soll sich jabeeilen, dass er morgen früh
nüchtern ist!«, drohte Silasin ganz unnötiger Lautstärke.
»Am liebsten würde ich ihngleich verbimsen, bis er zu sich
kommt. Fühlst du dich jetztbesser, mein kleiner Jasper?«
»Wird schon werden«, sagtesein schwarzbärtiger Bruder
großsprecherisch. »Na los,Ted, schenk wieder ein.«
Bony legte eine Pfundnoteauf den Tisch, in der Absicht,
eine Runde auszugeben, dochder Hunne schob sie ihm gleich
unauffällig wieder zu undflüsterte: »Hätte ich Ihnen sagen
sollen, kein Mensch darfhier was bestellen, wenn die Breens
da sind. Die bezahlenrestlos alles, bis sie wieder abfahren.«
»Fix, gieß ein, Ted!«,brüllte Silas. »Was ist denn mit dir los
heute? Besorg dein Geschäft,die Herren verdursten ja.«
Ein fünfter Gast trat in dasLokal. Er hatte eine lange rote
Nase, sein eigenartigerHaarschopf hing in Strähnen um den
halb kahlen Kopf. Hemd undHose waren anders als die Kleidung
der Männer vom Busch. (...)
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Arno Dohm
- Autor: Arthur W. Upfield
- 2006, 191 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Arno Dohm
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442002249
- ISBN-13: 9783442002245
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