Der Spiegel-Komplex
Der Spiegel...
Der Spiegel galt einmal als kritisches Nachrichtenmagazin. Hat Stefan Aust das Blatt gründlich gewendet? Wie kein Zweiter hat er die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte begleitet: von der Auseinandersetzung mit der Nazi-Generation über den Protest gegen Vietnam, die 68er, APO, RAF, Friedensbewegung und das Aufkommen der Grünen bis zur Wiedervereinigung und zum Reformprojekt Rot-Grün. In dieser Zeit hat sich Aust vom linken Redakteur bei konkret und den St. Pauli Nachrichten über einen engagierten kritischen Fernsehjournalisten bei Panorama zu einem der einflussreichsten Journalisten Deutschlands gewandelt.
Umfassende Recherchen und zahlreiche Interviews mit Zeitgenossen und Weggefährten sind die Grundlage dieser ersten kritischen Biographie des Spiegel-Chefs, die hinter die Kulissen des Magazins schaut.
Der Spiegel galt einmal als kritisches Nachrichtenmagazin. Hat Stefan Aust das Blatt gründlich gewendet? Wie kein Zweiter hat er die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte begleitet: von der Auseinandersetzung mit der Nazi-Generation über den Protest gegen Vietnam, die 68er, APO, RAF, Friedensbewegung und das Aufkommen der Grünen bis zur Wiedervereinigung und zum Reformprojekt Rot-Grün. In dieser Zeit hat sich Aust vom linken Redakteur bei konkret und den St. Pauli Nachrichten über einen engagierten kritischen Fernsehjournalisten bei Panorama zu einem der einflussreichsten Journalisten Deutschlands gewandelt.
Umfassende Recherchen und zahlreiche Interviews mit Zeitgenossen und Weggefährten sind die Grundlage dieser ersten kritischen Biographie des Spiegel-Chefs, die hinter die Kulissen des Magazins schaut.
Der Spiegel-Komplex von OliverGehrs
LESEPROBEAußer dem Spiegel sind alle Kreisklasse
Stefan Aust sieht alles. Wenn er aus seinen Fenstern im elftenStock des Spiegel-Hauses an der Hamburger Brandstwiete schaut, streiftsein Blick weit über die Stadt. Zu den Kränen im Freihafen, zur Kirchturmspitzedes Michel, hinab zu den roten Lagerhäusern der sanierten Speicherstadt. Und daunten im urigen Restaurant Zippelhaus finden immer die Bewerbungsgesprächestatt, bei denen die Ressortleiter den nervösen Neuen erklären, dass sie baldin der Champions League spielen und nicht mehr in der Kreisklasse. Kreisklasseist beim Spiegel alles außer dem Spiegel.
Wenn Stefan Aust seinen schwarzen Chefsessel um hundertachtzigGrad dreht, dann sieht er, was mit seinem Blatt so los ist. Hinter seinemSchreibtisch hängt eine große Magnettafel mit vielen kleinen Bildchen drauf,die um eine Linie tanzen. Die Bildchen sind die Spiegel-Titel dervergangenen Monate, die Linie ist die durchschnittliche Auflagenzahl desVorjahres. Es ist so etwas wie die Lebenslinie des Spiegel, dasKardiogramm des Nachrichtenmagazins. Wenn die Bildchen drüber sind, ist es gut,darunter ist schlecht. Wenn mehrere Bildchen hintereinander unter die Liniefallen, dann sinkt bei Aust die Stimmung.
Oft kommt das nicht vor. Denn Aust hat die Auflage des Spiegelmerklich gesteigert, und selbst die Krise, unter der alle Medien inDeutschland gelitten haben, hat dem Spiegel wenig anhaben können. ImGegenteil: Je mehr Redakteure bei den Zeitungen entlassen werden, desto mehrMenschen greifen zum Hamburger Nachrichtenmagazin, weil ihnen ihr ausgezehrtes
Regionalblatt nicht mehr genügend Lesestoff bietet. Undselbst seine Kritiker bestätigen Aust ein besonderes Händchen für Titelthemen.Ehrfürchtig erzählt man sich beim Spiegel die Geschichte, wie in den USA landesweit dieLichter ausgingen und Stefan Aust mal eben auf dem Bahnsteig zwischen zweiwichtigen Terminen einen passenden Titel mit Schlagzeile erdachte: »Weltmachtohne Strom«, und dazu ein Bild von der Freiheitsstatue mit Kerze.
Sehr gut verkaufte sich auch der Titel »Lachnummer Deutschland«,eine Geschichte, die für den neuen Spiegel steht. Ein launiges, gut geschriebenes Stück mitvielen Pointen und dem Fazit, dass die deutschen Politiker Pappnasen sind.Gleich dreizehn Spiegel-Autoren hatten sich über das Land lustig gemacht und beschrieben,dass im Grunde nichts läuft: das Mautsystem, die BahnCard, diePendlerpauschale, das Gesundheitssystem - alles bürokratischer Irrsinn. Danachwaren viele Leserbriefe gekommen, in denen stand, dass das alles mal gesagtwerden musste und man als Leser oft gelacht habe.
Auch der Titel über das Dosenpfand lief gut. Auch darüber musstenviele lachen. Darin stand, dass das rot-grüne Lieblingsprojekt einüberflüssiger Wahnsinn sei und dringend abgeblasen gehöre. In den Jahren zuvorhatte der Spiegel schon maleine andere Meinung gehabt - ganz am Anfang fand er das Dosenpfand sogar malrichtig gut. Es heißt, ein Pferd von Stefan Aust habe sich auf den Reitwegen imAlten Land bei Cuxhaven an einer herumliegenden Dose verletzt, woraufhin Austeinen Redakteur beauftragt habe, über die Notwendigkeit des Dosenpfands zuschreiben. Der Redakteur hieß Gerd Rosenkranz, damals taufte man ihn internDosenkranz. Aust sagt natürlich, das sei Unsinn.
Inzwischen funktioniert das Dosenpfand ganz gut. Die Dosensind weitgehend aus den Regalen verschwunden, auf den Straßen und im Waldliegen sie auch nicht mehr herum, aber darüber liest man im Spiegel nichtsmehr.
Generell laufen Geschichten gut, die sich flüssiger lesenals die politischen Spiegel-Artikel von früher und den Leser nicht mit Tiefgangquälen, sondern ihm spannende Details berichten. Zum Beispiel, welchesAfter-shave Mohammed Atta aufgetragen hat, bevor er sich auf den Weg zumFlughafen machte, oder dass der Redenschreiber von Gerhard Schröder genau um 5Uhr 36 ins Bett geht. Das klingt so, als wüssten Spiegel-Redakteureeinfach alles.
Im Jahr 2003 fand Stefan Aust die Agenda 2010 noch gut undden Kanzler mutig. Das hat sich geändert. Wer den Spiegel aufmerksamliest, weiß, dass Deutschland nicht wie das Land werden soll, das GerhardSchröder sich wünscht, sondern so eins wie England, das einst von MargaretThatcher ohne soziale Sentimentalitäten auf Vordermann gebracht wurde. Das wäredann ein Land, in dem die Gewerkschaften nichts mehr zu melden haben, die Bahnaber auch nicht besser funktioniert und die Menschen monatelang aufmedizinische Versorgung warten. Ein Land, das aber - von Hamburg, Brandstwiete19, aus gesehen - irgendwie moderner und besser wirkt.
Stefan Aust trägt ein blauweiß gestreiftes Hemd, einegelockerte Krawatte, eine helle Jeans und braune Segelschuhe mit groberGummisohle und einem Lederriemen, der sich wie eine Reling um den Schuhwindet. Es sind Schuhe für Menschen, die gern draußen sind. Und Aust ist oftdraußen bei seinen Pferden, fährt mit dem Trecker über das platte Land undwuchtet mit der Mistgabel Heuballen. Arbeit an der frischen Luft tut gut, sagter, auch wenn er sich manchmal nach einem Wochenende auf seinem Gestüt sofühlt, als bräuchte er Urlaub. Die Pferdezucht sei halt kein Hobby mehr, sagtAust, es sei ein kleines Wirtschaftsunternehmen mit vielen Angestellten. Esgibt Jahre, da verdient er sogar Geld damit.
© 2005 DroemerVerlag
Interview mit Oliver Gehrs
Der „Spiegel“ ist Deutschlands mächtigstes Magazin. Sein Chefredakteur Stefan Aust bestimmt, worüber in der Republik gesprochen wird. Diese Machtposition weiß er zu nutzen – allerdings nicht immer so, wie man es von einem guten Journalisten erwarten sollte. So beschreibt es Oliver Gehrs in der Stefan-Aust-Biographie „Der Spiegel-Komplex“.
Stefan Aust hat diese Biographie nicht autorisiert. Einer seiner Büroleiter beim „Spiegel“ hat Sie recht unverhohlen davor gewarnt, das Buch zu schreiben. Warum will Stefan Aust nicht, dass Sie über ihn schreiben?
Stefan Aust ist jemand, der alles gern unter Kontrolle hat, und das gilt natürlich auch für die Wahrnehmung seiner Person in der Öffentlichkeit. Außerdem haben in Deutschland ausgerechnet die Chefredakteure, die davon leben, über andere zu berichten, größte Probleme damit, wenn sie selbst kritisch betrachtet werden.
Sie werfen Aust unter anderem vor, er kumpele mit Wirtschaftsbossen und verhindere, dass im „Spiegel“ negativ über sie berichtet wird. Damit vertreibe er sogar langjährige Redakteure, die ihr Magazin kaum mehr wiedererkennen. Betreibt Deutschlands mächtigster Journalist in Wahrheit das Gegenteil von gutem Journalismus?
Ganz so einfach ist es nicht. Aber ich habe bei meinen Recherchen festgestellt, dass der Spiegel oft nach anderen als journalistischen Mechanismen funktioniert. Den ausufernden Berichten über die Tsunami-Katastrophe, noch Wochen nachdem alles schon geschrieben schien, merkte man zum Beispiel an, dass da schon ein Buch in Vorbereitung war. Auch die ständigen Berichte über den Niedergang von Rot-Grün gibt es bereits in Buchform. Ich nenne das Marketing-Journalismus.
Bevor er „Spiegel“-Chef wurde, so stellen Sie es dar, war Aust ein brillianter Rechercheur und glühender Gegner der Springer-Presse. Jetzt verhindert er ungenehme Enthüllungen und versteht sich mit der „Bild“ beängstigend gut. Wie kam es zu dieser Kehrtwende?
Aust sagt von sich selbst, dass er nie ein Linker war, was auf den ersten Blick wenig Sinn macht, schließlich hat er früher vehement gegen Springer und die USA angeschrieben. Aber er hat Recht, denn er war immer nur ein genialer Vermarkter linker Themen, die damals gut liefen. Heute ist links nicht mehr so en vogue, da ist auch Aust und mit ihm der Spiegel nicht mehr so links. Ich denke, dass Aust heute genauso wenig wie damals eine politische Überzeugung interessiert, sondern nur die Auflage.
Ihr Buch verrät viel Erstaunliches über die Arbeit in der „Spiegel“-Redaktion, aber Ihre Quellen bleiben meist anonym. Warum? Und warum sollte man Ihren Darstellungen dennoch glauben?
Ich bin bei meinen Recherchen gerade in der Spiegel-Redaktion offene Türen eingerannt. Es gibt einen ungeheuren Mitteilungsdrang, weil Diskussionen intern gar nicht stattfinden. Da wird den Hierarchien schon beim Anbieten der Themen entgegengedacht. Da herrscht ein Klima der Angst, weswegen sich die meisten nicht mit Namen zitieren lassen. Daher sind die Aussagen aber nicht weniger wert und wichtig.
Hat sich Stefan Aust nach Erscheinen Ihres Buches schon dazu geäußert (oder wird er den Teufel tun)?
Ich weiß nur, dass im Umfeld des Spiegel verbreitet wird, ich sei damals gekündigt worden und das Buch sei ein Racheakt. Selbst Manfred Bissinger hat das in einer Rezension recht perfide insinuiert. Dabei ist das Unsinn. Ich habe damals den Spiegel verlassen, weil ich ein Angebot von der Süddeutschen Zeitung hatte. Aber an dieser Diskreditierung kann man sehen, dass Diskussion weder inner- noch außerhalb des Spiegel gewünscht ist. Dabei ist es doch für die Gesellschaft interessant, wenn das wichtigste Medium des Landes alle 50 Jahre mal kritisch betrachtet wird.
Ein kollektives Aufbegehren der „Spiegel“-Belegschaft gegen den Chefredakteur: Ist das nur eine Frage der Zeit oder wird Aust den „Spiegel“ auf ewig weichspülen?
Es geht nicht um weichspülen, sondern um das Aufweichen der Substanz. Dadurch, dass viele mutige und rechercheeifrige Redakteure das Blatt verlassen haben zugunsten von Autoren, die sehr pointiert beschreiben können, welche Flasche Rotwein neulich wieder beim Bundeskanzler auf dem Tisch stand, verliert der Spiegel seinen Status als Sturmgeschütz der Demokratie. Ein mutiges Blatt kann man nur mit mutigen Leuten machen, und davon gibt es beim Spiegel nicht mehr viele.
Die Fragen stellte Roland Schnitter / lorenzspringer medien
- Autor: Oliver Gehrs
- 2005, 1, 334 Seiten, 18 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 18 Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426273438
- ISBN-13: 9783426273432
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