Der Tod des Inquisitors
Bernard Peyre von Prouille, ein dominikanischer Mönch und als Inquisitor Verfolger der verhaßten Ketzer, macht...
Bernard Peyre von Prouille, ein dominikanischer Mönch und als Inquisitor Verfolger der verhaßten Ketzer, macht sich an die Aufklärung des Mordes. Im 14. Jahrhundert müssen ketzerische Verbrechen im Namen der alleinseligmachenden Kirche gnadenlos ausgemerzt werden.
Doch nun wird Pater Bernhard durch seine Leidenschaft für eine geheimnisvolle Frau und ihre schöne Tochter verdächtigt. Als Ketzer und Mörder gejagt, muß er sich seinen Anklägern stellen, und nur wenn er sie von seiner Unschuld überzeugt, kann er sein Leben retten.
"Der Inquisitor" ist ein Kriminalroman und sogleich ein gründlich recherchierter historischer Roman, in erster Hinsicht jedoch der Roman vom Kampf eines Priesters in einem totalitären System, in dem er sich zunächst sehr wohl fühlte.
In der Tradition vom "Namen der Rose" und der "Päpstin" entführt Catherine Jinks in diesem großen Mittelalter-Schmöker ihre Leser in die spannende Welt der französischen Gesellschaft zwischen weltlicher Macht, Katharern, Katholiken und Eiferern aller Art.
Catherine Hinks ist Australierin mit einem Faible für das europäische Mittelalter. Der Epoche, in der auch der neue Roman der 41-Jährigen spielt.
DerTod des Inquisitors von Catherine Jinks
LESEPROBE
IM FINSTEREN TAL
Alsich Pater Augustin Duese zum ersten Mal begegnete,kam mir sofort der Gedanke: «Dieser Mann hebt im finsteren Tal.» Das betrafzunächst sein Äußeres, blutleer und fleischlos wie einer dergebleichten Knochen aus den Traumgesichten des Hesekiel. Erwar groß und sehr mager, die Schultern waren gebeugt, die Haut grau, die Wangeneingefallen, die Augen fast versunken in tiefen, schattendunklen Höhlen, dasHaar spärlich, die Zähne verfault, der Gang schleppend. Er glich einemwandelnden Leichnam, und das lag nicht nur an der Zahl seinerJahre. Ich spürte, dass der Tod über ihm schwebte, ihn unaufhörlich mit denWaffen der Krankheit angriff: Die Gelenke - vor allem der Hände undKnie - waren entzündet, die Verdauung schlecht, die Sehkraftgeschwächt, die Gedärme verstopft,das Wasserlassen schwierig. Nur sein Gehörhatte nicht gelitten, sondern war sogar überaus fein. (Ich glaube, dass sein inquisitorisches Geschicksich der Fähigkeit verdankte, aus derStimme der Befragten den falschen Ton herauszuhören.) Auch bin ichdavon überzeugt, dass die nur als Bußebegreifbare Qualität seiner Mahlzeiten den Verfall seines Magensbeschleunigt haben dürfte, war dieser dochgezwungen, Nahrung aufzunehmen, die selbst der hl. Dominikus verabscheut hätte, Nahrung, die so zu nennen ich zögern würde und die er in kleinstenMengen zu sich nahm. Ich würde gar soweit gehen zu behaupten, dass er alswirklich Toter vielleicht etwas mehr gegessen hätte, obwohl der Verzehr größerer Mengen der von ihmbevorzugten Lebensmittel - steinhartesBrot, gekochte Kartoffelschalen,Käserinden - mehr Schwierigkeiten bereitet hätte, als eine Dornenhecke herunterzuschlucken. Zweifellosbrachte er seine Leiden dem Herrn alsOpfer dar.
Ichselbst hin der Meinung, dass eine solche Ernährung mit etwasweniger Eifer betrieben werden sollte. Unser Doctor Angelicuslehrte, dass Enthaltsamkeit zum religiösen Leben gehöre, um das Fleisch zuzüchtigen, während ihre rücksichtslose Befolgung die Gefahr des Versagens in sichberge. Allerdingsstellte Pater Augustin seine Selbstzüchtigungennicht zur Schau; seine Abstinenz war keine jener eitlen undglaubenslosen Gesten, vor denen Christus uns warnt,wenn er die Heuchler verdammt, die mit trauernder Miene fasten und ihrGesicht entstellen, damit es keinem Menschen entgehe, wie sie sich kasteien. Zudiesen gehörte Pater Augustin nicht. Wenner das Fleisch züchtigte, so, weil er sich für unwürdig erachtete. Abermit seinem Verlangen nach fauligen Rüben undverschimmeltem Obst machte er sich die Schweinehirten der Priorei nicht zuFreunden. Abfall dieser Art wurdevon ihnen immer als ihr angestammtes Eigentumbetrachtet - insoweit ein dominikanischer Laienbruder auch nur einenKohlstrunk sein Eigen nennen darf. Ich bemerkte einmal gegenüber PaterAugustin, dass er mit seiner Hungerkost auchunsere Schweine hungern ließe, undein Schwein, das faste, sei niemandem von Nutzen.
Ererwiderte natürlich nichts darauf. Die meisten Inquisitoren verstehenes, mit treffsicherer Genauigkeit zu schweigen.
Jedenfallssah Pater Augustin nicht nur wie ein Sterbender aus und fühlte sich gewiss auchso, sondern er benahm sich zudem wie jemand, der dem Tode geweiht ist. erschien nämlich immer in großer eile zu sein, als zähle er die ihm verbleibenden Tage.Um ein Beispiel für diesen seltsamen Drang zu geben, will ich euch beschreiben, was kurz nachseiner Ankunft in Lazet,keine drei Monate vor seinem Hinscheiden, geschah, als ich ihn darum bat, mir bei der lobenswerten Aufgabe behilflich zu sein, «die kleinen Füchse zufangen, die im Weinberg des Herrnwildern» - das heißt, gewisse Feindeaufzuspüren, von denen die Kirche umgeben ist wie eine Lilie unter den Dornen. Zweifellos sind euchdiese Feinde bekannt. Vielleichtseid Ihr ihnen gar schon selbst begegnet,diesen Vertretern der Ketzerlehre, die da Zwietracht säen, die Kirche spalten, die Einheit zerstören,die vom Heiligen Stuhl verkündeteeinzige Wahrheit bezweifeln und den ReinenGlauben mit ihren diversen Irrlehren beschmutzen. Immerhin wurden sogar die ersten Väter der Kirchevon derlei Sendboten des Satansgepeinigt. (War es nicht der hl. Paulusselbst, der uns versicherte, es müsse Ketzereien geben, damit die erprobten unter uns sich offenbarenkönnen?) Hier, im Süden, kämpfen wir gegen viele verderbte Lehren, viele abscheuliche Sekten, deren Namen undPraktiken je unterschiedlich seinmögen, deren Gift aber jedes Mal gleich schädlich wirkt. Hier, im Süden, haben die alten Samenkörner der vomhl. Augustinus verdammten Ketzerei der Manichäer tiefe Wurzeln geschlagen und treiben immer noch Blüten, trotz aller frommen Bemühungen des vom hl. Dominikus begründeten Ordens.
© Rowohlt Verlag
Übersetzung: Michael Haupt
Autoren-Porträt von Catherine Jinks
Catherine Jinks, geboren 1963 in Brisbane (Queensland), studiertemittelalterliche Geschichte in Sydney, bevor sie einige Jahre als Journalistinarbeitete. Sie veröffentlichte mehrere Kinderbücher (mit denen sie Literaturpreisegewann). Mit diesem Roman und ihrem Erstling "Der Notar" (der 2003 bei unserscheint) eroberte sie die australischen Bestsellerlisten. Sie lebt mit ihrerFamilie in den Blue Mountains.
Interview mitCatherine Jinks
Wiekommt man im heißen und sonnigen Australien überhaupt auf die Idee,mittelalterliche Geschichte zu studieren und darüber hinaus Romane über düstereMachenschaften im Frankreich des Mittelalters zu schreiben? Was fasziniert Siean dieser Zeit oder auch an Europa?
Es ist nicht ganz so einfach, einem Europäer zu erklären,was es heißt, von europäischer Abstammung zu sein und in einem Land zu leben,das weit weg ist von diesem Kontinent. Jeder Australier, der kein Aborigine-Blut in sich hat, hat so ein Bewusstsein für dasExildasein. Junge Australier bereisen denn auch andere Kontinente, sobald sienur können. Das bedeutet, dass Menschen wie ich absolut fasziniert sind voneiner Kultur, die ja zu gewissen Teilen auch zu uns gehört, die aber auch sehrfremd ist. Wenn man mit europäischer Geschichte in Berührung kommt, dann istdas, als würde man sich mit der eigenen Identität auseinandersetzen. Identitätist ein großes Thema in Australien.
"Der Notar vonAvignon und auch "Der Tod des Insuisitors" sindhistorische Krimis, in denen Ihnen eine farbenprächtige und lebendigeSchilderung der klerikalen Welt gelingt. Man hat den Eindruck, Sie hätten alleshautnah und "live" miterlebt. Woher kennen Sie diese Welt so gut?
Ich habemittelalterliche Geschichte studiert und konnte schon während dieser Zeit eineMenge interessanter Fakten zusammentragen. Der Trick, in eine historischePeriode eintauchen zu können, besteht darin, so vertraut mit den Details desalltäglichen Lebens zu werden, dass man beim Schreiben nicht mehr lange darübernachdenken muss. Diese Details sind dann einfach Teil des Hintergrundes, denman beim Schreiben braucht. Noch wichtiger allerdings als die alltäglichenDetails ist zu beachten, wie die Leute damals gedacht haben. Das zu meistern,ist schwierig. Wenn man nicht eine sehr genaue Vorstellung davon hat, wie dieLeute in einer bestimmten Periode gedacht haben, schreibt man einfach nur überzeitgenössische Charaktere in altertümlichen Kostümen. Es gilt, den Balanceaktzu meistern, Leute glaubwürdig, aber nicht zu abstoßend zu skizzieren. Dermittelalterliche Geist ist nicht in jeder Hinsicht kompatibel zu unserenheutigen Vorstellungen.
Auch fürKinder haben Sie Bücher geschrieben, beispielsweise die Geschichten um den16-jährigen Pagan Kidrouk, der sichzur Zeit des Zweiten Kreuzzuges Templern anschließt und sich auf abenteuerlicheReisen begibt. Gab es dafür ein reales Vorbild in der Geschichte, an dem Siesich orientiert haben?
Bei denmeisten meiner historischen Romane versuche ich, so viel wie möglich an Fakteneinfließen zu lassen und diese mit fiktiven Elementen zu verschmelzen. Inmeinem ersten und meinem vierten Pagan-Roman gab eseine Menge historischer Figuren. Ich glaube, Alexandre Dumas war ein Meister indieser Art des Schreibens - ich versuche, ihm darin nachzueifern.
BevorSie begannen, Romane zu schreiben, arbeiteten sie u.a. als Journalistin. WidmenSie sich heute nur noch dem Schreiben von fiktionaler Literatur, oder gibt esdoch hin und wieder aktuelle Themen, die Sie besonders bewegen und über die SieArtikel, beispielsweise für Tageszeitungen, verfassen?
Ichschreibe keine Sachbücher oder Artikel. Aber ich recherchiere eine Menge fürmeine Bücher. Mein journalistischer Hintergrund hilft mir, wenn ich Leute fürRomane mit zeitgenössischen Themen interviewe - Lastwagenfahrer, Behördenmitarbeiter, Bestatterusw. Um aktuelle Probleme zu beschreiben, sind diese Recherchen sehrinteressant. Die Ergebnisse fließen oft in meine Science Fiction-und Fantasy-Bücher ein. Das Phänomen Internet hatmich inspiriert für ein Kinderbuch. Und das Thema moderner Mütter, die mitKarriere und Familie klar kommen müssen, ist mir sehr nahe. Darüber habe ichauch ein Buch geschrieben. Sie sehen also, ich springe etwas zwischen denGenres hin und her!
Sieleben mit Ihrer Familie in Sydney. Was lieben Sie an Australien und denMenschen dort besonders, was stört Sie am meisten? Könnten Sie sich vorstellen,irgendwo anders zu leben?
Mir das vorzustellen, fällt mirnicht schwer! Ich habe schon woanders gelebt. Als Kind habe ich einige Jahre inPapua-Neuguinea verbracht. Und ich habe für anderthalbe Jahre in Kanada, inNova Scotia (Neuschottland), gelebt, denn mein Mannist Kanadier. Beides hat mich in gewisser Weise beeinflusst. So habe ich einenRoman geschrieben, der in Nova Scotia spielt. Aberich musste auch nach der Zeit feststellen, die ich als Erwachsene im Auslandverbracht habe, dass ich nicht so sicher bin, ob ich wirklich für längere Zeitvon zu Hause wegkönnte. Als Schriftstellerin bin ich sehr auf meine genauenKenntnisse über Australien angewiesen, wenn ich Bücher schreibe, die in der Gegenwartspielen. Es würde sehr, sehr lange brauchen, bis ich ähnliche Kenntnisse übereine andere Kultur erworben hätte. Bei meinen historischen Romanen ist dasnicht so wichtig, weil es niemanden gibt, der meine Schilderungen aus dem 14.Jahrhundert auf ihre Richtigkeit überprüfen kann.
Aber direkt in Sydney zu leben, kannich mir nicht mehr vorstellen. Ich lebe in einem Ort, der Blue Mountains heißt,von dort aus braucht man mit dem Auto 90 Minuten nach Sydney. Ich mag es dortviel mehr, weil es billiger, ruhiger und schöner ist. Am meisten mag ich anAustralien die Landschaft. Und das Gefühl von Weite, das man hier hat - zumindestüberall außerhalb von Sydney, wo mittlerweile ein Fünftel der australischenBevölkerung lebt!
Was die Menschen anbelangt, bin ichetwas skeptisch geworden, seit John Howard, einer der sklavischsten Anbeter vonGeorge Bush, zum vierten Mal in Folge gewählt wurde. Das zeigt, dass dieMehrheit der Australier nicht sehr weit über den Tellerrand hinausschaut. Aberich glaube, letztlich haben viele Australier eine Einstellung, die uns am Enderetten wird. Es ist schwer, das jemandem zu erklären, der noch nicht hier war.Die Australier sind von Natur aus skeptisch. Das hat weniger mit Bildung oderVerstand zu tun. Die Leute hier sind eher apathisch als extrem - Ersteres istLetzterem wohl vorzuziehen. Ich habe den Verdacht, dass das mit unserenVorfahren zu tun hat, die Strafgefangene waren. Solche Leute betrachtenAutoritäten natürlich mit besonders argwöhnischen Augen.
Die Fragen stellte Babett Haugk,literaturtest.de.
- Autor: Catherine Jinks
- 2004, 512 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Haupt, Michael
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499236559
- ISBN-13: 9783499236556
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