Der Tod des Seneca
Roman
Rom brennt... Seneca, einst Erzieher und Berater Neros, hat dessen Gunst längst verloren. So lebt er als »persona non grata« in der Verbannung. Dennoch ringt Seneca diesem Zustand Lust, Erkenntnis und Freundschaft ab. Voller Vitalität und Verzweiflung...
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Produktinformationen zu „Der Tod des Seneca “
Rom brennt... Seneca, einst Erzieher und Berater Neros, hat dessen Gunst längst verloren. So lebt er als »persona non grata« in der Verbannung. Dennoch ringt Seneca diesem Zustand Lust, Erkenntnis und Freundschaft ab. Voller Vitalität und Verzweiflung arbeitet er an seinem philosophischen Werk und verbringt die Tage im Kreise seiner literarischen Freunde. Bis Nero ihn zum Selbstmord zwingt. Ein Roman über Leben und Sterben eines Menschen, der bis zum letzten Atemzug dem Ideal der Humanität treu blieb...
Lese-Probe zu „Der Tod des Seneca “
1Wie Bussarde, die jagend ihre Runden ziehen, stien die Trauerweiber ihre spitzen Schreie aus. Theatralisch schlugen sie ihre Brte, rauften sie ihre schmutzigen Haare. Dumpfe, schwere Trommelschle hallten durch den schmalen Vicus Tuscus, lten sich von den Fellen der Trommeln, schwere, erreife Frhte. Unter den Slenben der Basilica Iulia stritt sich die schaulustige Menge, der Pel flte den Vorplatz des Augustus-Tempels.
"Platz da, Platz da!" schrie der Ausrufer, ein kahlkfiger, verwachsener Zwerg mit hoher Fistelstimme. "Die Gens Calpurnia trauert, Lucius Calpurnius Piso ist tot!"
Hinter dem gnomenhaften, kreischenden Krpel zog die Trauerfamilie durch die Stra, Calpurnier von vier Generationen schritten langsam zum Takt der Trommeln einher, gekleidet in blenwei Trauertogen. Die jgeren von ihnen trugen die Totenmasken ihrer Ahnen vor den Gesichtern. In der Mitte der wein Menschentraube, auf einer Bahre aus einfachem Holz, Lucius Calpurnius Piso, mit Linnen zugedeckt, geschmkt mit Gold und grem Laub. Sein zusammengeschrumpeltes, kleines Greisenhaupt war kalkwei Die rot geschminkten Wangen erinnerten nicht an die Glut feuriger Jugend, sondern an die Verfrungskste einer in die Jahre gekommenen Hure.
Seneca und Lucilius waren den Vicus Tuscus hinaufgekommen, sie wollten zum Forum. Jetzt steckten sie inmitten der Menschenmassen, zusammengepre, den Hauch des Pels atmend.
"Meide die Menge!" scherzte Lucilius, indem er Seneca anlachte.
"Die schlimmste Gesellschaft bist du dir selbst", gab Seneca zurk, als plzlich ein ungeheures Geschrei durch die Menge ging. Reiter aus der kaiserlichen Prorianerkohorte preschten rksichtslos durch die enge Gasse, geradewegs hinein in den Trauerzug. Man stob auseinander, sprang zur Seite, rettete sein Leben. Ein hinterer Huf traf einen Jungen in den Bauch, der Knabe brach zusammen, spuckte Blut. Die Leichentrer lien die Bahre fahren, der tote Lucius Calpurnius Piso rollte seitwts herab, rutschte er die Blutlache und
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fiel Seneca vor die Fe. Seneca, vornergebeugt, schaute in das starre, grinsende Gesicht des rotbkigen Toten. Dessen kstliche Haare waren durch den Sturz verschoben, und die Totenmaske, die sein jgster Enkel auf einem Psterchen vorangetragen hatte, war neben ihm in den Dreck der Stra gefallen. Von satyrischem Schabernack getrieben, nahm Seneca die schr verrkte Perke, setzte sie sich auf, hob die Wachsmaske aus dem Rinnstein, hielt sie vors Gesicht, wandte sich um zu Lucilius: "Ich bin der Tod, Jgling!" hnte er mit hohler Stimme, und Lucilius, bleich vor Schrecken, sank das Herz wie eine schlfrige Kre in den Bausch der Toga.
"Was fchtest du dich?" fragte Seneca und nahm die Maske grinsend vom Gesicht. "Ich bin, dein Freund, Seneca!" [. . .]
62
Phahons Himmelswagen war vom Himmel herab auf Rom gestzt. Die Stadt glich einer Sonne, einem gasglenden Feuerball, aus dem feurige Fonten in den Himmel schossen. Rom atmete Hitze und Feuer, sprte Funken und Glut wie ein Eisen, das im Ofen zum Schwert geschlagen wird. Am Tag verblich die Sonne, in der Nacht war es Tag. Graue Asche bedeckte die Vororte, lag knheltief wie Schnee auf den Stran und Hsern. Der Wind, ein unermlicher Blasebalg, blies in die Glut, entfachte neue Brde, gab dem wenden Feuer neue Nahrung. Sechs Tage kpften die Flammen gegen die Stadt, die noch keinen Krieg verloren hatte. Diesem Feind erlag sie ohne Widerstand. 63
Leichenberge empfingen Seneca, als er mit dem Wagen durch Roms Vorstte fuhr. Am Stranrand lagen verkohlte Arme, Beine, Rpfe, den Ratten und Raubveln willkommene Nahrung. Verletzte, Verbrannte, Halbtote siechten in eilends erbauten Lazaretten dahin, schrien ihr unertrliches Leid in den Gestank ihrer verfaulenden Verwandten. Slicher Geruch von verbranntem Menschenfleisch stigte die Luft, Aasgestank von verwesenden Kadavern stieg in den Himmel, in dem keine Gter wohnten.
Im Wagen mue sich Seneca ergeben. Zu Fuging er in die ausgelchte Stadt. Grauer Rauch verdeckte die Sonne, eine runde, blasse, kraftlose Scheibe. Einzelne Mauerfronten stachen verwaist in das graue Nichts, verkohlte Balken sengten sinnlos vor sich hin. Die Stran smten Schutt, Haufen von verbrannten Ziegeln, Kalkstein, Mtel, Marmorplatten. Wohin das Auge blickte: Ruinen, hinauf bis zum Horizont, hinab in die Ter, quer er die Hel Roms.
Seneca watete durch die schwarze, noch warme Asche, die bis zu seinen Knien reichte. Was er sah, konnte er nicht fassen. Sein Verstand konnte die vlige Vernichtung, den absoluten Untergang nicht verstehen. Das Nichts war zu gro zu gewaltig, es lag jenseits von Schmerz und Trauer, jenseits von Verstehen und Handeln, es war von einer Gre und Unvorstellbarkeit, die kein menschlicher Geist im voraus erahnen, im nachhinein ertragen konnte.
Dies war der Untergang der Welt. Die Stadt, einst Mittelpunkt der Macht, des Rechts und der Bildung, war zu einer Wte geworden, zu einer Landschaft eines unbewohnten, lebensfeindlichen Planeten. Der Menschen Leben wurde vernichtet, als we es wertloser Abfall. Seneca sah nicht das Antlitz des Todes, nicht die Spuren von Krankheit oder Krieg, er sah die leibhaftige Sinnlosigkeit, die Fratze des Wahnsinns.
Aus einem brennenden Haus torkelte eine verkohlte, verbrannte Gestalt, eine lebende Leiche. Es war ein Mann, in den Hden trug er einen schwarzen Klumpen, sein verbranntes Kind. Er legte es auf die Stra, neben die Rpfe seiner Frau, seiner beiden Sne. Rundherum tobte das Feuer. Als er Seneca bemerkte, der wie gelmt an der Stra stand und auf sein unfassbares Leid starrte, ging er taumelnd auf ihn zu. Ein Auge hing aus seinem verbrannten Gesicht, unter dem braunen, gekochten Fleisch waren die Knochen des Kiefers zu sehen.
"Ich weine nicht", rief er Seneca zu. "Ich habe nichts verloren." Und er brach in ein irres Lachen aus. "Komm, tanz mit mir, das Leben ist kurz, tanz mit mir!"
Er trat an Seneca heran, nahm ihn an der Hand und begann zu zucken, seine Glieder herumzuwerfen, zu tanzen wie ein tollwiges Pferd. Ohnmhtig machte Seneca seine Schritte mit, halb gezwungen, halb in Trance. Da knickte der tanzende Tote ein, fiel zu Boden, und wrend er zuckte, verlieihn das spottende Leben.
Seneca war vom Schicksal entwaffnet. Er hatte nichts, diesem Toten zu begegnen. Er war entwdigt, ein Tier. Er selbst war ein Tier, gefllos, wortlos, hilflos. Es gab keine Geste, keinen Gott, kein Gebet, das ihn wieder zum Menschen gemacht hte, es gab keine Tre, die ihn Mitleid empfinden lie kein Wort, das Sinn stiftete.
Ein herrenloser Hund lief vorbei, hob das Bein und pisste an einen verkohlten Holzpfosten. Es zischte. Der Hund schaute kurz zurk, schnupperte am Pfosten. Dann lief er weiter.
Seneca setzte sich auf einen Schutthaufen, griff mit der rechten Hand in die warme Asche und wog sie in der Hand. Die Asche war federleicht. Der Wind fuhr hinein, blies sie ihm aus der Hand. Wie Schneeflocken flogen die kleinen Partikel davon: verbrannte Hser, verbrannte Mel, verbrannte Bher, verbrannte Menschen, verbrannte Liebe. Schwereloser Staub, bedeutungslos einhertreibend im wirbelnden Sog der Luft.
"Was fchtest du dich?" fragte Seneca und nahm die Maske grinsend vom Gesicht. "Ich bin, dein Freund, Seneca!" [. . .]
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Phahons Himmelswagen war vom Himmel herab auf Rom gestzt. Die Stadt glich einer Sonne, einem gasglenden Feuerball, aus dem feurige Fonten in den Himmel schossen. Rom atmete Hitze und Feuer, sprte Funken und Glut wie ein Eisen, das im Ofen zum Schwert geschlagen wird. Am Tag verblich die Sonne, in der Nacht war es Tag. Graue Asche bedeckte die Vororte, lag knheltief wie Schnee auf den Stran und Hsern. Der Wind, ein unermlicher Blasebalg, blies in die Glut, entfachte neue Brde, gab dem wenden Feuer neue Nahrung. Sechs Tage kpften die Flammen gegen die Stadt, die noch keinen Krieg verloren hatte. Diesem Feind erlag sie ohne Widerstand. 63
Leichenberge empfingen Seneca, als er mit dem Wagen durch Roms Vorstte fuhr. Am Stranrand lagen verkohlte Arme, Beine, Rpfe, den Ratten und Raubveln willkommene Nahrung. Verletzte, Verbrannte, Halbtote siechten in eilends erbauten Lazaretten dahin, schrien ihr unertrliches Leid in den Gestank ihrer verfaulenden Verwandten. Slicher Geruch von verbranntem Menschenfleisch stigte die Luft, Aasgestank von verwesenden Kadavern stieg in den Himmel, in dem keine Gter wohnten.
Im Wagen mue sich Seneca ergeben. Zu Fuging er in die ausgelchte Stadt. Grauer Rauch verdeckte die Sonne, eine runde, blasse, kraftlose Scheibe. Einzelne Mauerfronten stachen verwaist in das graue Nichts, verkohlte Balken sengten sinnlos vor sich hin. Die Stran smten Schutt, Haufen von verbrannten Ziegeln, Kalkstein, Mtel, Marmorplatten. Wohin das Auge blickte: Ruinen, hinauf bis zum Horizont, hinab in die Ter, quer er die Hel Roms.
Seneca watete durch die schwarze, noch warme Asche, die bis zu seinen Knien reichte. Was er sah, konnte er nicht fassen. Sein Verstand konnte die vlige Vernichtung, den absoluten Untergang nicht verstehen. Das Nichts war zu gro zu gewaltig, es lag jenseits von Schmerz und Trauer, jenseits von Verstehen und Handeln, es war von einer Gre und Unvorstellbarkeit, die kein menschlicher Geist im voraus erahnen, im nachhinein ertragen konnte.
Dies war der Untergang der Welt. Die Stadt, einst Mittelpunkt der Macht, des Rechts und der Bildung, war zu einer Wte geworden, zu einer Landschaft eines unbewohnten, lebensfeindlichen Planeten. Der Menschen Leben wurde vernichtet, als we es wertloser Abfall. Seneca sah nicht das Antlitz des Todes, nicht die Spuren von Krankheit oder Krieg, er sah die leibhaftige Sinnlosigkeit, die Fratze des Wahnsinns.
Aus einem brennenden Haus torkelte eine verkohlte, verbrannte Gestalt, eine lebende Leiche. Es war ein Mann, in den Hden trug er einen schwarzen Klumpen, sein verbranntes Kind. Er legte es auf die Stra, neben die Rpfe seiner Frau, seiner beiden Sne. Rundherum tobte das Feuer. Als er Seneca bemerkte, der wie gelmt an der Stra stand und auf sein unfassbares Leid starrte, ging er taumelnd auf ihn zu. Ein Auge hing aus seinem verbrannten Gesicht, unter dem braunen, gekochten Fleisch waren die Knochen des Kiefers zu sehen.
"Ich weine nicht", rief er Seneca zu. "Ich habe nichts verloren." Und er brach in ein irres Lachen aus. "Komm, tanz mit mir, das Leben ist kurz, tanz mit mir!"
Er trat an Seneca heran, nahm ihn an der Hand und begann zu zucken, seine Glieder herumzuwerfen, zu tanzen wie ein tollwiges Pferd. Ohnmhtig machte Seneca seine Schritte mit, halb gezwungen, halb in Trance. Da knickte der tanzende Tote ein, fiel zu Boden, und wrend er zuckte, verlieihn das spottende Leben.
Seneca war vom Schicksal entwaffnet. Er hatte nichts, diesem Toten zu begegnen. Er war entwdigt, ein Tier. Er selbst war ein Tier, gefllos, wortlos, hilflos. Es gab keine Geste, keinen Gott, kein Gebet, das ihn wieder zum Menschen gemacht hte, es gab keine Tre, die ihn Mitleid empfinden lie kein Wort, das Sinn stiftete.
Ein herrenloser Hund lief vorbei, hob das Bein und pisste an einen verkohlten Holzpfosten. Es zischte. Der Hund schaute kurz zurk, schnupperte am Pfosten. Dann lief er weiter.
Seneca setzte sich auf einen Schutthaufen, griff mit der rechten Hand in die warme Asche und wog sie in der Hand. Die Asche war federleicht. Der Wind fuhr hinein, blies sie ihm aus der Hand. Wie Schneeflocken flogen die kleinen Partikel davon: verbrannte Hser, verbrannte Mel, verbrannte Bher, verbrannte Menschen, verbrannte Liebe. Schwereloser Staub, bedeutungslos einhertreibend im wirbelnden Sog der Luft.
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Autoren-Porträt von Beat Schönegg
Beat Schönegg wurde 1967 in Basel geboren. Nach der Matura Studium der Klassischen Philologie und Geschichte, zugleich Musikstudium (Klavier und Komposition). Dissertation über den römischen Philosophen Seneca. Roman "Der Tod des Seneca". Arbeitet als freischaffender Komponist und unterrichtet in der Erwachsenenbildung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beat Schönegg
- 2001, 167 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Reclam, Ditzingen
- ISBN-10: 3150104866
- ISBN-13: 9783150104866
Rezension zu „Der Tod des Seneca “
Der Tod des Seneca ist ein rätselhaftes Ereignis in der Philosophie-Geschichte.(...) Nun liegt ein Roman vor, der den Tod des Seneca zu entschlüsseln sucht. Dem Autor, der über Seneca promovierte, fehlt es darum nicht an Kenntnissen, die ihm eine solide Grundlage für das Verfassen eines Romans bieten. Süddeutsche ZeitungDie letzten Jahre Senecas - vom Zerwürfnis mit seinem Schüler Nero bis zu seinem Freitod im Jahre 65 - sind Gegenstand des Romans "Der Tod des Seneca" von Beat Schönegg. Die privaten Beziehungen zu seinem Schützling Lucilius und seiner Frau Paulina sowie die Verwicklungen Senecas in die politischen Wirren zur Regierungszeit Neros stehen im Mittelpunkt der Handlung. Im Rahmen dieser Handlung werden auch philosophische Ansätze Senecas - oft in Dialogform - dargestellt. der blaue reiter. Journal für Philosophie
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