Der unbekannte Islam
Sufismus - die religiöse Herausforderung
Die eigentliche Herausforderung des islamischenDogmatismus und Fundamentalismus
Eine friedliche Auseinandersetzung des Islam mit anderen Kulturen entwirft Gerhard Schweizer. Seine Reise führt in die islamische Welt zu Sufis und Derwischen. Diese pflegen...
Eine friedliche Auseinandersetzung des Islam mit anderen Kulturen entwirft Gerhard Schweizer. Seine Reise führt in die islamische Welt zu Sufis und Derwischen. Diese pflegen...
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Produktinformationen zu „Der unbekannte Islam “
Die eigentliche Herausforderung des islamischenDogmatismus und Fundamentalismus
Eine friedliche Auseinandersetzung des Islam mit anderen Kulturen entwirft Gerhard Schweizer. Seine Reise führt in die islamische Welt zu Sufis und Derwischen. Diese pflegen seit Jahrhunderten mystische Traditionen; sie überschreiten die üblichen Grenzen und überwinden die Begrenztheiten des Islam und anderer Religionen.
Eine friedliche Auseinandersetzung des Islam mit anderen Kulturen entwirft Gerhard Schweizer. Seine Reise führt in die islamische Welt zu Sufis und Derwischen. Diese pflegen seit Jahrhunderten mystische Traditionen; sie überschreiten die üblichen Grenzen und überwinden die Begrenztheiten des Islam und anderer Religionen.
Klappentext zu „Der unbekannte Islam “
Dem Westen sind viele islamische Traditionen wie der Sufismus unbekannt und kaum vertraut. Er kennt somit den friedlichen Islam und seine Geschichte nicht, also auch nicht die Chancen auf einen Ausgleich und ein Miteinander zwischen den Weltreligionen und Kulturen.Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer stellt Leben und Werk herausragender muslimischer Mystiker vor. Er zeigt ihre geistigen Verbindungen zu Christentum, Hinduismus und Buddhismus, entreißt eine große islamische Tradition dem Vergessen und vermittelt einen friedlichen Islam. Gerade der Sufismus überwindet begrenzte religiöse Sichtweisen und praktiziert Gelassenheit gegenüber anderen Erfahrungen und Kulturen. Dadurch wurde er zu einer ständigen Herausforderung für den Dogmatismus und Fundamentalismus im Islam. Exemplarisch wird Celaleddin Rumi 1207 - 1273) als religiöse Leitfigur vorgestellt. Seine Wirkung reicht bis in die Gegenwart und wird einen Höhepunkt im Jahr 2007 erleben, wenn die gesamte islamische Welt seinen 800. Geburtstag feiert.
Gerhard Schweizer ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt.
Dem Westen sind viele islamische Traditionen wie der Sufismus unbekannt und kaum vertraut. Er kennt somit den friedlichen Islam und seine Geschichte nicht, also auch nicht die Chancen auf einen Ausgleich und ein Miteinander zwischen den Weltreligionen und Kulturen.
Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer stellt Leben und Werk herausragender muslimischer Mystiker vor. Er zeigt ihre geistigen Verbindungen zu Christentum, Hinduismus und Buddhismus, entreißt eine große islamische Tradition dem Vergessen und vermittelt einen friedlichen Islam. Gerade der Sufismus überwindet begrenzte religiöse Sichtweisen und praktiziert Gelassenheit gegenüber anderen Erfahrungen und Kulturen. Dadurch wurde er zu einer ständigen Herausforderung für den Dogmatismus und Fundamentalismus im Islam. Exemplarisch wird Celaleddin Rumi 1207 - 1273) als religiöse Leitfigur vorgestellt. Seine Wirkung reicht bis in die Gegenwart und wird einen Höhepunkt im Jahr 2007 erleben, wenn die gesamte islamische Welt seinen 800. Geburtstag feiert.
Gerhard Schweizer ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt.
Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer stellt Leben und Werk herausragender muslimischer Mystiker vor. Er zeigt ihre geistigen Verbindungen zu Christentum, Hinduismus und Buddhismus, entreißt eine große islamische Tradition dem Vergessen und vermittelt einen friedlichen Islam. Gerade der Sufismus überwindet begrenzte religiöse Sichtweisen und praktiziert Gelassenheit gegenüber anderen Erfahrungen und Kulturen. Dadurch wurde er zu einer ständigen Herausforderung für den Dogmatismus und Fundamentalismus im Islam. Exemplarisch wird Celaleddin Rumi 1207 - 1273) als religiöse Leitfigur vorgestellt. Seine Wirkung reicht bis in die Gegenwart und wird einen Höhepunkt im Jahr 2007 erleben, wenn die gesamte islamische Welt seinen 800. Geburtstag feiert.
Gerhard Schweizer ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt.
Lese-Probe zu „Der unbekannte Islam “
Begegnung mit einem ganz anderen IslamFaszination einer fremden Religiosität - und der Widerstreit der Meinungen
Es ist eine monotone und in ihrem Klang doch aufwühlende Musik. Männer blasen die Nai, eine aus einem Schilfrohr geschnittene Flöte, streichen die Rebab, eine zweisaitige Violine, schlagen dumpf die Trommel. Sie singen in kehligem Tonfall, dehnen melancholisch viele der Vokale. Sie singen Gedichte muslimischer Mystiker zu Ehren Gottes oder auch nur, in endloser Wiederholung, die islamische Bekenntnisformel "Es gibt keinen Gott außer Gott", auf arabisch: "la ilaha illa'llah". In hundertfacher Wiederholung tönt der Name Gottes. Die Sänger geraten zunehmend in Trance, schließlich ist nur noch "llah-llah-llah" undeutlich zu vernehmen.
Etliche der Männer lösen sich aus der Gruppe der Sänger, lösen sich aus den Reihen der Zuhörer und beginnen zu tanzen. Anfangs kreisen sie mit langsamen Bewegungen, sind dem Fließen der melancholischen Musik angepaßt. Sie breiten schließlich die Arme aus, wie zum Fliegen. Sie drehen sich immer schneller zum furios anschwellenden Klang von Flöten und Trommeln.
Ich schiebe mich durch die Menge der Versammelten, um die Männer aus nächster Nähe beobachten zu können. Ich habe ihre Gesichter direkt vor mir. Der Ausdruck in ihren Augen: verzückt ... ekstatisch ...
"Ya Allah", "Oh Gott" ... "Allah hu", "Gott, Er" ... "Al haqq", Der Wahre" ... Im Chor der Versammelten ein stark rhythmisierter Klang der Worte, erzeugt von Dutzenden oder gar Hunderten Stimmen ... Eine rhythmische Bewegung der Körper ... Viele der Versammelten geraten bei den ständigen Wiederholungen der Namen Gottes in einen Zustand der Trance ...
Ich habe Szenen dieser Art in etlichen Ländern der islamischen Welt wiederholt erlebt. Hierbei saß ich meist unter Zuhörern und Zuschauern, die mit ihrer Kleidung, mit Turban, Hemdbluse oder bis zum Boden reichendem Umhang, ihre Herkunft aus dem traditionellen Milieu der Altstadtviertel und Dörfer deutlich
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signalisierten. Es sind Szenen, wie wir sie heute immer noch in Pilgerzentren der Sufi s und Derwische, aber auch auf Dorfplätzen, ja auf öffentlichen Plätzen größerer Städte, von Dakar über Marrakesch, Kairo, Khartoum bis Lahore, Delhi und Jakarta, antreffen. Erst recht lassen sich solche Szenen, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, in Privathäusern und geschlossenen Höfen verwinkelter Altstädte erleben, sogar in Bretterhüttenslums am Rand der Städte. Immer noch! Wie lange noch?
Muslime der Bildungsschicht gaben mir mit wegwerfender Handbewegung zu verstehen: Dies seien Auswüchse einer volkstümlichen Religiosität, nicht mehr so recht zu einem modernen, zeitgemäßen Islam passend. Bald werde derartiges Brauchtum vollends verschwunden sein. Einige sagten sogar: Eine sehr obskure Religiosität sei das, die nicht viel mit dem Islam zu tun habe, eine Religiosität mit letztlich ketzerischen Tendenzen.
Andere Muslime der Bildungsschicht gaben mir jedoch zu verstehen: In dieser Religiosität würden sich Kräfte entfalten, die unterschätzt, ja verkannt würden. Keineswegs handle es sich hier um einen Ausdruck von Rückständigkeit. Im Gegenteil. Man müsse sich nur mit den geistigen Inhalten dieser Religiosität näher beschäftigen, um zu entdecken, welche Anregungen von ihr für eine moderne - jawohl, für eine moderne - Interpretation des Islam ausgehen könnten. Mehr noch: Auch andere Religionen könnten davon profi tieren. Was Europäer oft nicht wahrnähmen: daß diese Art der Religiosität eben auch bei philosophisch höchst gebildeten Muslimen Sympathisanten und Anhänger besitze.
Ich fand - solange ich als junger Student von Marokko bis Indonesien unterwegs war - in all diesen Kommentaren eine nachvollziehbare Logik. Einerseits konnte ich in solchen Zeremonien nichts anderes sehen als Restbestände archaisch-religiöser Praktiken, die sich aus dem islamischen Mittelalter erhalten haben und im Gegensatz zum orthodoxen Islam stehen. Andererseits blieb für mich ein bemerkenswerter Widerspruch: Ich selber fühlte mich innerlich aufgewühlt durch den Klang der Musik, die Leidenschaft und Gefühlsintensität der Gesänge, durch den Anblick ekstatischer Tänze. Ich empfand eine Faszination, die ich nicht begründen konnte. Wie diesen Widerspruch auflösen?
Erst Jahre später, nachdem ich mich intensiv mit dem Islam als Religion und Kultur auseinandergesetzt hatte, sollte ich aufschlußreiche weitere Erfahrungen machen. Dies geschah zunächst aber nicht im islamischen Orient selber, sondern - in Deutschland.
Fremdes ganz nah: Beobachtungen in Deutschland
Im Publikum saßen neben deutschen Zuhörern etliche türkische Muslime, Angehörige eines bürgerlichen Mittelstandes, deren Familien schon eine oder mehrere Generationen in Deutschland lebten. Auch sie waren mit viel Interesse zu der Islam-Tagung gekommen, deren Oberthema die Frage war, ob sich denn muslimische Zuwanderer auf Dauer in Deutschland, ja überhaupt in Europa, kulturell und sozial integrieren ließen. Wieder einmal erlebte ich heftige Diskussionen darüber, ob nicht viele islamische Glaubensvorstellungen und Lebensformen letztlich unvereinbar mit "unseren westlichen Werten" seien. Ich selber war eingeladen, um über das Thema "Der Islam und religiöse Toleranz" zu referieren. Diese Tagung fand nicht zufällig in einem der industriellen Ballungszentren Deutschlands, im Großraum Mannheim-Ludwigshafen statt, in dem Muslime bereits mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Für den Abend war zur Ergänzung der Vorträge und Diskussionen eine besondere Veranstaltung angekündigt: Türkische Muslime singen Gedichte von Sufi s und Derwischen, hierbei begleiten sie die Gesänge auf ihren traditionellen Instrumenten.
Der Tagungsleiter wies in einer Ansprache darauf hin, daß an diesem Abend etwas geschehe, was nicht selbstverständlich sei: Sunnitische Muslime würden mit Aleviten eine besondere Art religiöser Musik aufführen. Dabei seien die Aleviten Angehörige einer schiitischen Glaubensrichtung, die in der Türkei von der sunnitischen Mehrheit als Ketzer abgelehnt oder bestenfalls mißtrauisch akzeptiert würden. Zwischen Sunniten und Aleviten bestünde ein spannungsgeladener Gegensatz, wie früher in Europa zwischen Katholiken und Protestanten. Daß aber Angehörige solch verschiedener Konfessionen gemeinsam religiöse Lieder sängen, das sei das Außergewöhnliche.
Ich war neugierig auf die Sänger und Musiker. Doch bevor die Veranstaltung am Abend begann, teilten Muslime einen Prospekt an die Tagungsteilnehmer aus, auf dessen Titelblatt zu lesen stand: "Sufi-Zentrum für kreative Spiritualität". Unter der Überschrift war ein Mann mit hoher, brauner Filzmütze und wehendem, weißen Rock abgebildet, in Tanzbewegung, mit der einen Hand zum Himmel, mit der anderen zur Erde weisend. Unverkennbar zeigte das Bild einen Angehörigen der türkischen Mevlevi-Bruderschaft, jener sogenannten "Tanzenden Derwische", deren geistiger Ahnherr Celaleddin Rumi ist, einer der bedeutendsten Mystiker und Dichter des Islam. Celaleddin Rumi wirkte im 13. Jahrhundert in der anatolischen Metropole Konya, wo er, der aus dem Iran stammte, in persischer Sprache dichtete, aber bei Iranern wie Türken, Arabern und Indern gleichermaßen höchstes Ansehen genoß - und bis heute genießt. (Ich werde Celaleddin Rumi im dritten Kapitel des Buches ausführlich vorstellen.)
Offenkundig handelte es sich hier um die Werbeschrift eines Vereins, dem hauptsächlich in Deutschland lebende Türken an gehörten. Träger des Vereins ist die "Gemeinde des Islam in Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien Mannheim". Der Verein sei, so konnte ich lesen, "aus den Bedürfnissen vieler junger Muslime nach lebendiger Begegnung mit islamischer Kunst und der spirituellen Kultur des Islam entstanden". Zu den Veranstaltungen des Vereins ausdrücklich eingeladen sind aber auch Christen! Denn es gelte, "für alle, die an kreativer Spiritualität interessiert sind, ein Sammelbecken zu schaffen. - Spiritualität verbindet ".
Zusätzlich konnte ich lesen: "Die Sufi s waren und sind noch immer die kreativen Kräfte in der islamischen Gesellschaft, Kunst und Kultur." Und: "Sie [die Sufis] sind keine Mönche, die der Wirklichkeit den Rücken zuwenden, sondern sie handeln im Hier und Jetzt. [...] Die meisten von ihnen gehen einem Beruf nach, gründen eine Familie und stehen mit beiden Beinen in der Welt, ohne das Heilige und Spirituelle zu vernachlässigen."
In späteren Gesprächen fiel mir dann auf, daß sich etliche Mitglieder des Vereins selber als "Sufi" bezeichneten. Und daß sie den Interessierten - ob nun Männern oder Frauen, Muslimen oder Andersgläubigen - eine Einführung nicht nur in die religiös-philosophische Literatur, sondern auch in die Praxis einer "Sufi-Meditation " anboten.
Bevor die Veranstaltung begann, erhielt ich noch eine weitere Broschüre, in der sich auch ein Abschnitt über die Musiker-Gruppe befand. Es hieß dort: Sufi -Musik fördere "die Entwicklung einer meditativen Spiritualität". Auf musikalischer Ebene lasse sich besonders intensiv eine interreligiöse Bewegung verwirklichen. "Wenn in einer Veranstaltung die Sufi -Musik mit christlich-mystischer Musik oder ähnlichen Erscheinungen im jüdischen Bereich nebeneinander gestellt wird, treten die Verbindungen und Ähnlichkeiten hervor. Durch Musik und ästhetisches Erleben werden die Grenzen zwischen den Religionen aufgehoben."
In diesem Text bietet sich erst recht Erstaunliches. Nicht nur, daß die Autoren "Verbindungen und Ähnlichkeiten" der mystischen Musik dreier Weltreligionen - des Islam, Christentums und Judentums - hervorheben. Sie betonen auch, daß "die Grenzen zwischen den Religionen aufgehoben" sind! Wie das? Existieren nicht unüberwindbare Barrieren in der Dogmatik selbst der drei monotheistischen, geistig miteinander verwandten Glaubenslehren? Die hier angedeutete Grenzüberschreitung geht noch weit darüber hinaus, daß etwa Sunniten und Aleviten als konfessionell verschiedene Muslime geistige Barrieren gegenüber der jeweils anderen Richtung abbauen.
Keine Grenzen zwischen den Religionen! Beim genauen Lesen solcher Worte fragt man sich zu Recht, ob das nicht alles nur schönes Gerede ist und ob das nicht nur Leerformeln sind, mit denen real bestehende Unterschiede und Konfl ikte bloß kaschiert werden. Für uns bleiben ja bei aller aufgeklärt-säkularen Toleranz sehr wohl "Grenzen" und entsprechend hierarchisch abgestufte Wertungen zwischen den unterschiedlichen Religionen, Philosophien und Weltanschauungen bestehen. [...]
Muslime der Bildungsschicht gaben mir mit wegwerfender Handbewegung zu verstehen: Dies seien Auswüchse einer volkstümlichen Religiosität, nicht mehr so recht zu einem modernen, zeitgemäßen Islam passend. Bald werde derartiges Brauchtum vollends verschwunden sein. Einige sagten sogar: Eine sehr obskure Religiosität sei das, die nicht viel mit dem Islam zu tun habe, eine Religiosität mit letztlich ketzerischen Tendenzen.
Andere Muslime der Bildungsschicht gaben mir jedoch zu verstehen: In dieser Religiosität würden sich Kräfte entfalten, die unterschätzt, ja verkannt würden. Keineswegs handle es sich hier um einen Ausdruck von Rückständigkeit. Im Gegenteil. Man müsse sich nur mit den geistigen Inhalten dieser Religiosität näher beschäftigen, um zu entdecken, welche Anregungen von ihr für eine moderne - jawohl, für eine moderne - Interpretation des Islam ausgehen könnten. Mehr noch: Auch andere Religionen könnten davon profi tieren. Was Europäer oft nicht wahrnähmen: daß diese Art der Religiosität eben auch bei philosophisch höchst gebildeten Muslimen Sympathisanten und Anhänger besitze.
Ich fand - solange ich als junger Student von Marokko bis Indonesien unterwegs war - in all diesen Kommentaren eine nachvollziehbare Logik. Einerseits konnte ich in solchen Zeremonien nichts anderes sehen als Restbestände archaisch-religiöser Praktiken, die sich aus dem islamischen Mittelalter erhalten haben und im Gegensatz zum orthodoxen Islam stehen. Andererseits blieb für mich ein bemerkenswerter Widerspruch: Ich selber fühlte mich innerlich aufgewühlt durch den Klang der Musik, die Leidenschaft und Gefühlsintensität der Gesänge, durch den Anblick ekstatischer Tänze. Ich empfand eine Faszination, die ich nicht begründen konnte. Wie diesen Widerspruch auflösen?
Erst Jahre später, nachdem ich mich intensiv mit dem Islam als Religion und Kultur auseinandergesetzt hatte, sollte ich aufschlußreiche weitere Erfahrungen machen. Dies geschah zunächst aber nicht im islamischen Orient selber, sondern - in Deutschland.
Fremdes ganz nah: Beobachtungen in Deutschland
Im Publikum saßen neben deutschen Zuhörern etliche türkische Muslime, Angehörige eines bürgerlichen Mittelstandes, deren Familien schon eine oder mehrere Generationen in Deutschland lebten. Auch sie waren mit viel Interesse zu der Islam-Tagung gekommen, deren Oberthema die Frage war, ob sich denn muslimische Zuwanderer auf Dauer in Deutschland, ja überhaupt in Europa, kulturell und sozial integrieren ließen. Wieder einmal erlebte ich heftige Diskussionen darüber, ob nicht viele islamische Glaubensvorstellungen und Lebensformen letztlich unvereinbar mit "unseren westlichen Werten" seien. Ich selber war eingeladen, um über das Thema "Der Islam und religiöse Toleranz" zu referieren. Diese Tagung fand nicht zufällig in einem der industriellen Ballungszentren Deutschlands, im Großraum Mannheim-Ludwigshafen statt, in dem Muslime bereits mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Für den Abend war zur Ergänzung der Vorträge und Diskussionen eine besondere Veranstaltung angekündigt: Türkische Muslime singen Gedichte von Sufi s und Derwischen, hierbei begleiten sie die Gesänge auf ihren traditionellen Instrumenten.
Der Tagungsleiter wies in einer Ansprache darauf hin, daß an diesem Abend etwas geschehe, was nicht selbstverständlich sei: Sunnitische Muslime würden mit Aleviten eine besondere Art religiöser Musik aufführen. Dabei seien die Aleviten Angehörige einer schiitischen Glaubensrichtung, die in der Türkei von der sunnitischen Mehrheit als Ketzer abgelehnt oder bestenfalls mißtrauisch akzeptiert würden. Zwischen Sunniten und Aleviten bestünde ein spannungsgeladener Gegensatz, wie früher in Europa zwischen Katholiken und Protestanten. Daß aber Angehörige solch verschiedener Konfessionen gemeinsam religiöse Lieder sängen, das sei das Außergewöhnliche.
Ich war neugierig auf die Sänger und Musiker. Doch bevor die Veranstaltung am Abend begann, teilten Muslime einen Prospekt an die Tagungsteilnehmer aus, auf dessen Titelblatt zu lesen stand: "Sufi-Zentrum für kreative Spiritualität". Unter der Überschrift war ein Mann mit hoher, brauner Filzmütze und wehendem, weißen Rock abgebildet, in Tanzbewegung, mit der einen Hand zum Himmel, mit der anderen zur Erde weisend. Unverkennbar zeigte das Bild einen Angehörigen der türkischen Mevlevi-Bruderschaft, jener sogenannten "Tanzenden Derwische", deren geistiger Ahnherr Celaleddin Rumi ist, einer der bedeutendsten Mystiker und Dichter des Islam. Celaleddin Rumi wirkte im 13. Jahrhundert in der anatolischen Metropole Konya, wo er, der aus dem Iran stammte, in persischer Sprache dichtete, aber bei Iranern wie Türken, Arabern und Indern gleichermaßen höchstes Ansehen genoß - und bis heute genießt. (Ich werde Celaleddin Rumi im dritten Kapitel des Buches ausführlich vorstellen.)
Offenkundig handelte es sich hier um die Werbeschrift eines Vereins, dem hauptsächlich in Deutschland lebende Türken an gehörten. Träger des Vereins ist die "Gemeinde des Islam in Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien Mannheim". Der Verein sei, so konnte ich lesen, "aus den Bedürfnissen vieler junger Muslime nach lebendiger Begegnung mit islamischer Kunst und der spirituellen Kultur des Islam entstanden". Zu den Veranstaltungen des Vereins ausdrücklich eingeladen sind aber auch Christen! Denn es gelte, "für alle, die an kreativer Spiritualität interessiert sind, ein Sammelbecken zu schaffen. - Spiritualität verbindet ".
Zusätzlich konnte ich lesen: "Die Sufi s waren und sind noch immer die kreativen Kräfte in der islamischen Gesellschaft, Kunst und Kultur." Und: "Sie [die Sufis] sind keine Mönche, die der Wirklichkeit den Rücken zuwenden, sondern sie handeln im Hier und Jetzt. [...] Die meisten von ihnen gehen einem Beruf nach, gründen eine Familie und stehen mit beiden Beinen in der Welt, ohne das Heilige und Spirituelle zu vernachlässigen."
In späteren Gesprächen fiel mir dann auf, daß sich etliche Mitglieder des Vereins selber als "Sufi" bezeichneten. Und daß sie den Interessierten - ob nun Männern oder Frauen, Muslimen oder Andersgläubigen - eine Einführung nicht nur in die religiös-philosophische Literatur, sondern auch in die Praxis einer "Sufi-Meditation " anboten.
Bevor die Veranstaltung begann, erhielt ich noch eine weitere Broschüre, in der sich auch ein Abschnitt über die Musiker-Gruppe befand. Es hieß dort: Sufi -Musik fördere "die Entwicklung einer meditativen Spiritualität". Auf musikalischer Ebene lasse sich besonders intensiv eine interreligiöse Bewegung verwirklichen. "Wenn in einer Veranstaltung die Sufi -Musik mit christlich-mystischer Musik oder ähnlichen Erscheinungen im jüdischen Bereich nebeneinander gestellt wird, treten die Verbindungen und Ähnlichkeiten hervor. Durch Musik und ästhetisches Erleben werden die Grenzen zwischen den Religionen aufgehoben."
In diesem Text bietet sich erst recht Erstaunliches. Nicht nur, daß die Autoren "Verbindungen und Ähnlichkeiten" der mystischen Musik dreier Weltreligionen - des Islam, Christentums und Judentums - hervorheben. Sie betonen auch, daß "die Grenzen zwischen den Religionen aufgehoben" sind! Wie das? Existieren nicht unüberwindbare Barrieren in der Dogmatik selbst der drei monotheistischen, geistig miteinander verwandten Glaubenslehren? Die hier angedeutete Grenzüberschreitung geht noch weit darüber hinaus, daß etwa Sunniten und Aleviten als konfessionell verschiedene Muslime geistige Barrieren gegenüber der jeweils anderen Richtung abbauen.
Keine Grenzen zwischen den Religionen! Beim genauen Lesen solcher Worte fragt man sich zu Recht, ob das nicht alles nur schönes Gerede ist und ob das nicht nur Leerformeln sind, mit denen real bestehende Unterschiede und Konfl ikte bloß kaschiert werden. Für uns bleiben ja bei aller aufgeklärt-säkularen Toleranz sehr wohl "Grenzen" und entsprechend hierarchisch abgestufte Wertungen zwischen den unterschiedlichen Religionen, Philosophien und Weltanschauungen bestehen. [...]
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Inhaltsverzeichnis zu „Der unbekannte Islam “
Begegnung mit einem ganz anderen IslamFaszination einer fremden Religiosität - und der Widerstreit der Meinungen
Fremdes ganz nah: Beobachtungen in Deutschland
Sufi , Derwisch, Mystiker - und viele Mißverständnisse
Pilgerzentren des Sufismus - Überraschungen für westliche Besucher
Das Mausoleum des Celaleddin Rumi in Konya: der vielfältige Nimbus eines Klassikers
"Tanzende Derwische" - ein kommerzialisierter Mythos
Im Gespräch mit einem "ungläubigen" Muslim: ein anderes Verständnis von Religion
Zeremonie in einem unscheinbaren Derwisch-Heiligtum: Muslime neben Andersgläubigen.
Auf einem Pilgerweg bei Ajmer, dem "Mekka Indiens" "Das Göttliche ist in allen Religionen!"
Rituale an der Grabstätte von Muinuddin Chisti, Indiens populärstem Sufi
"Gott" jenseits aller Dogmen.
Celaleddin Rumi - Höhepunkt sufischer Klassik im 13. Jahrhundert
Ein Leben im Iran und in Anatolien
Vom östlichen Iran nach Konya
Die anstößige Liebe zu Shamseddin, der "Sonne des Glaubens"
"Ich bin weder Christ noch Jude noch Muslim!"
"Gott" und "Ich": Wo Mystiker eine Tabugrenze überschreiten.
Einheit von "Gott" und "Mensch". Die ganz andere Erfahrung vieler Sufis
Das Bild vom Meer und den Wellen - ein zentrales Symbol der Mystik
Was bleibt von "Gott"? Konsequenzen einer nichtdualistischen Welterfahrung
"Ketzerische" und "orthodoxe" Mystik
Einheitsmystik und Personenmystik - Gegensätze und ihre Folgen
"Zerbrich die Schale und finde das Innere!" Die grundsätzliche Spannung zwischen Sufismus und religiöser Dogmatik
Einflüsse aus Indien
Das Gleichnis vom Elefanten - ein neuer Zugang zum Problem der "Wahrheit"
Hat Rumi von Buddha gelernt?
Ekstase und Meditation
Musik und Tanz als "Weg" zur Erfahrung der mystischen "Einheit"
"Berauscht vom Wein der Mystik". Was ein Sufi unter "Wein" versteht
Religiöse und politische Folgen
Aufstieg und Niedergang der Mevlevi-Bruderschaft
Celaleddin Rumis Nachruhm in Orient und Okzident
"Ich bin Gott!" - Die radikale Konsequenz
... mehr
der Mystik
Die Provokation durch den Mystiker Hallaj
Hallaj und sein Mythos als Ketzer
Omar Chaijam, Naturwissenschaftler und "ungläubiger" Mystiker
Ghasali, der größte Theologe des Islam - und seine "orthodoxe Mystik"
Der Mystiker "erschafft Gott" - Die Ketzerei des Ibn al-Arabi
Von Sevilla über Mekka nach Damaskus: eine maurisch-arabische Biographie
Hüte dich davor, dich an eine bestimmte Bekenntnisformel zu binden!".
Eindrücke im Mausoleum des Mystikers
Größter Meister" - oder "Ketzer"? Die noch immer aktuelle Frage
Der Punkt in der Mitte". Gespräch mit einem Verehrer Ibn al-Arabis
Mystik als "Weg für die vielen" - Aufstieg der Derwisch-Bruderschaften
Die Struktur der Bruderschaften
Religion und Politik
Außerhalb der etablierten Bruderschaften: die Wanderderwische
Frauen in untergeordneter Rolle
Erste Reformen zugunsten der Frauen
Gemeinsamkeiten mit dem Sufismus? -
Mystik in anderen Religionen. Hinduismus als Beispiel
Der Blick über den Sufi smus hinaus
Was den Hinduismus grundsätzlich von Islam und Christentum unterscheidet
Einheit" jenseits aller Glaubensbekenntnisse. Der Hindu-Mystiker Ramakrishna
In euren Herzen werdet ihr beide, Allah und Rama, finden!" - Muslimische Mystiker in Indien
Die Chistiya, Indiens größte Bruderschaft
Der Rote Königsfalke und andere Mystiker der Indus-Ebene
Muslim oder Hindu? Der Mystiker Kabir jenseits aller festen Zuordnung
Sai Baba von Shirdi - in der Nachfolge Kabirs
Die Chistiya und die Mogul-Kaiser: ein religiös-politisches Bündnis mit Folgen
Die Musik der Chisti-Derwische und ihre indischen Wurzeln
Der "Universelle Gottesdienst" des Inayat Khan
Zwischen Mystik und Politik - Die vielen Gesichter der Bektashi-Bruderschaft
Im Pilgerzentrum Hacibektas
Der "ketzerische" Islam der türkischen Aleviten
Haji Bektash und Balim Sultan - die "Väter"
Politische Verfl echtungen und Niedergang
Yunus Emre und der türkische Nationalismus
"Heiliger Krieg" und Fundamentalismus - Derwisch-Bruderschaften in der Krise
Naqshband und die Mystik der "Rechtgläubigen"
Abgrenzung gegen "Unglauben". Die Naqshbandiya in Indien und Zentralasien
Die zwiespältige Rolle der Naqshbandiya in der Türkei
Der Fundamentalismus der Senussi-Bruderschaft
"Heiliger Krieg" gegen westlichen Kolonialismus
Von der Derwisch-Bruderschaft zur Muslim-Bruderschaft der Islamisten
Modernisten gegen die "Dekadenz" des Derwischwesens
Mystik im Islam - Herausforderung auch im 21. Jahrhundert
Sufismus - Schwierigkeiten und Chancen in der islamischen Welt
Sufismus und die religiösen Umbrüche in der westlichen Welt
Nachbemerkung
Anhang
Zeittafel
Anmerkungen
Ausgewählte Literatur
Personenregister
Die Provokation durch den Mystiker Hallaj
Hallaj und sein Mythos als Ketzer
Omar Chaijam, Naturwissenschaftler und "ungläubiger" Mystiker
Ghasali, der größte Theologe des Islam - und seine "orthodoxe Mystik"
Der Mystiker "erschafft Gott" - Die Ketzerei des Ibn al-Arabi
Von Sevilla über Mekka nach Damaskus: eine maurisch-arabische Biographie
Hüte dich davor, dich an eine bestimmte Bekenntnisformel zu binden!".
Eindrücke im Mausoleum des Mystikers
Größter Meister" - oder "Ketzer"? Die noch immer aktuelle Frage
Der Punkt in der Mitte". Gespräch mit einem Verehrer Ibn al-Arabis
Mystik als "Weg für die vielen" - Aufstieg der Derwisch-Bruderschaften
Die Struktur der Bruderschaften
Religion und Politik
Außerhalb der etablierten Bruderschaften: die Wanderderwische
Frauen in untergeordneter Rolle
Erste Reformen zugunsten der Frauen
Gemeinsamkeiten mit dem Sufismus? -
Mystik in anderen Religionen. Hinduismus als Beispiel
Der Blick über den Sufi smus hinaus
Was den Hinduismus grundsätzlich von Islam und Christentum unterscheidet
Einheit" jenseits aller Glaubensbekenntnisse. Der Hindu-Mystiker Ramakrishna
In euren Herzen werdet ihr beide, Allah und Rama, finden!" - Muslimische Mystiker in Indien
Die Chistiya, Indiens größte Bruderschaft
Der Rote Königsfalke und andere Mystiker der Indus-Ebene
Muslim oder Hindu? Der Mystiker Kabir jenseits aller festen Zuordnung
Sai Baba von Shirdi - in der Nachfolge Kabirs
Die Chistiya und die Mogul-Kaiser: ein religiös-politisches Bündnis mit Folgen
Die Musik der Chisti-Derwische und ihre indischen Wurzeln
Der "Universelle Gottesdienst" des Inayat Khan
Zwischen Mystik und Politik - Die vielen Gesichter der Bektashi-Bruderschaft
Im Pilgerzentrum Hacibektas
Der "ketzerische" Islam der türkischen Aleviten
Haji Bektash und Balim Sultan - die "Väter"
Politische Verfl echtungen und Niedergang
Yunus Emre und der türkische Nationalismus
"Heiliger Krieg" und Fundamentalismus - Derwisch-Bruderschaften in der Krise
Naqshband und die Mystik der "Rechtgläubigen"
Abgrenzung gegen "Unglauben". Die Naqshbandiya in Indien und Zentralasien
Die zwiespältige Rolle der Naqshbandiya in der Türkei
Der Fundamentalismus der Senussi-Bruderschaft
"Heiliger Krieg" gegen westlichen Kolonialismus
Von der Derwisch-Bruderschaft zur Muslim-Bruderschaft der Islamisten
Modernisten gegen die "Dekadenz" des Derwischwesens
Mystik im Islam - Herausforderung auch im 21. Jahrhundert
Sufismus - Schwierigkeiten und Chancen in der islamischen Welt
Sufismus und die religiösen Umbrüche in der westlichen Welt
Nachbemerkung
Anhang
Zeittafel
Anmerkungen
Ausgewählte Literatur
Personenregister
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Autoren-Porträt von Gerhard Schweizer
Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft. Er ist Experte für den Islam und hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht, die als Standardwerke gelten. Er lebt als freier Schriftsteller in Wien. Einem breiten Publikum wurde er vor allem durch seine Bücher über den asiatischen und arabischen Raum bekannt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gerhard Schweizer
- 2007, 334 Seiten, 16 farbige Abbildungen, Maße: 13,6 x 21,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Klett-Cotta
- ISBN-10: 3608944516
- ISBN-13: 9783608944518
Rezension zu „Der unbekannte Islam “
"... Für Muslime, die sich dem Sufismus nahe fühlen, scheint eine Spiritualität im Vordergrund zu stehen, die sich für Religionsrichtungen und deren Grenzen nicht interessiert. Das ist der Ausgangspunkt für Schweizers "Der unbekannte Islam", in denen sich der Autor auf Spurensuche nach den alten Traditionen begibt und jenseits des längst kommerzialisierten Bild der tanzenden Derwische die überlieferten Texte ebenso befragt, wie die moderne heutige Praxis."(Berliner Zeitung, 17.04.2007)
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