Der Untergeher
Virtuos und fesselnd!
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Virtuos und fesselnd!
Bernhards Roman vom Klavierspieler Glenn Gould ist ein faszinierendes literarisches Spiel, in dem die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Es ist eine virtuos erzählte Geschichte vom Virtuosen, der sich immer tiefer in die Einsamkeit spielt.
Der Untergeher von Thomas Bernhard
LESEPROBE
Auch Glenn Gould, unser Freund undder wichtigste Klaviervirtuose
des Jahrhunderts, ist nureinundfünfzig geworden,
dachte ich beim Eintreten in dasGasthaus.
Nur hat der sich nicht wieWertheimer umgebracht, sondern
ist, wie gesagt wird, einesnatürlichen Todes gestorben.
Viereinhalb Monate New York undimmer wieder die
Goldbergvariationen und Die Kunst der Fuge, viereinhalb
Monate Klavierexerzitien, wieGlenn Gould immer
wieder nur in Deutsch gesagt hat,dachte ich.
Vor genau achtundzwanzig Jahrenhatten wir in Leopoldskron
gewohnt und bei Horowitz studiertund (was Wertheimer
und mich betrifft, nicht aber GlennGould naturgemäß),
während eines völlig verregnetenSommers von
Horowitz mehr gelernt als die achtJahre Mozarteum und
Wiener Akademie vorher. Horowitz hatalle unsere Professoren
null und nichtig gemacht. Aber diesefürchterlichen
Lehrer waren notwendig gewesen, umHorowitz zu begreifen.
Zweieinhalb Monate regnete esununterbrochen und
wir hatten uns in unseren Zimmern inLeopoldskron eingeschlossen
und arbeiteten Tag und Nacht, dieSchlaflosigkeit
(des Glenn Gould!) war zu unserementscheidenden
Zustand geworden, in der Nachterarbeiteten wir uns,
was uns Horowitz am Tag gelehrthatte. Wir aßen beinahe
nichts und hatten auch die ganzeZeit keine Rückenschmerzen,
die uns sonst immer gequält hatten,solange wir bei unseren alten
Professoren studierten; unterHorowitz
kamen diese Rückenschmerzen garnicht auf, weil wir
mit einer solchen Intensitätstudierten, daß sie nicht aufkommen
konnten. Als wir den Unterricht beiHorowitz
beendet hatten, war es klar, daß Glenn schon der bessere
Klavierspieler war als Horowitzselbst, plötzlich hatte
ich den Eindruck gehabt, Glennspiele besser als Horowitz,
und von diesem Augenblick an warGlenn der wichtigste
Klaviervirtuose auf der ganzen Weltfür mich, so viele
Klavierspieler ich auch von diesemAugenblick an hörte,
keiner spielte so wie Glenn, selbstRubinstein, den ich
immer geliebt habe, war nichtbesser. Wertheimer und ich
waren gleich gut, auch Wertheimer hatimmer wieder gesagt,
Glenn ist der Beste, wenn wir auchnoch nicht zu sagen
gewagt haben, daßer der Beste des Jahrhunderts sei.
Als Glenn nach Kanada zurückging,hatten wir tatsächlich
unseren kanadischen Freund verloren, wir dachten nicht,
ihn jemals wieder zu sehen, er warvon seiner Kunst in einer
Weise besessen gewesen, daß wir annehmen mußten,
er könne diesen Zustand nicht mehrlange hinausschieben
und werde in kurzer Zeit sterben.Aber zwei Jahre,
nachdem wir mit ihm bei Horowitzstudiert hatten, spielte
Glenn bei den Salzburger Festspielendie Goldbergvariationen,
die er zwei Jahre vorher mit uns am Mozarteum
Tag und Nacht geübt und immer wiedereinstudiert hatte.
Die Zeitungen schrieben nach seinemKonzert, daß noch
kein Pianist die Goldbergvariationen so kunstvollgespielt
habe, sie schrieben also nach seinemSalzburger Konzert
das, was wir schon zwei Jahre vorherbehauptet und gewußt
hatten. Wir hatten uns mit Glennnach seinem Konzert
verabredet, im Ganshof in Maxglan, einem alten, von
mir geliebten Gasthaus. Wir trankenWasser und redeten
nichts. Ohne zu Zögern hatte ich beiunserer Wiederbegegnung
zu Glenn gesagt, daßwir, Wertheimer (der aus Wien nach Salzburg
gekommen war) und ich, nicht einenAugenblick an ein Wiedersehen
mit ihm, Glenn, geglaubt hätten, wirhätten immer nur den einzigen
Gedanken gehabt, Glenn würde nachseiner Rückkehr aus Salzburg in
Kanada rasch zugrunde gehen anseiner Kunstbesessenheit,
an seinem Klavierradikalismus. Tatsächlichhatte ich
das Wort Klavierradikalismus zuihm gesagt. Mein Klavierradikalismus,
hat Glenn dann immer wieder gesagt undich weiß, daß er diesen
Ausdruck auch in Kanada und in Amerikaimmer wieder verwendet hat.
Schon damals, also beinahe dreißigJahre vor seinem Tod,
hat Glenn keinen anderen Komponistenmehr geliebt als Bach,
als zweitenHändel,Beethoven verachtete er, selbst Mozart war
nicht jener von mir wie kein anderergeliebter, wenn er
über ihn redete, dachte ich, als ichins Gasthaus eintrat.
Nicht einen einzigen Ton hat Glennjemals ohne seine
Singstimme angeschlagen, dachte ich,kein anderer Klavierspieler
hat diese Gewohnheit jemals gehabt.Von seiner
Lungenkrankheit sprach er, als wär sie seine zweite Kunst.
Daß wir zur gleichen Zeit dieselbeKrankheit gehabt
haben und dann immer gehabt haben,dachte ich, und letzten
Endes auch Wertheimer diese unsereKrankheit bekommen
hat. Aber Glenn ist nicht an dieserLungenkrankheit
zugrunde gegangen, dachte ich. DieAusweglosigkeit
hat ihn umgebracht, in welche ersich in beinahe vierzig
Jahren hineingespielt hat,dachte ich. Er hat das Klavierspiel
nicht aufgegeben, dachte ich,naturgemäß, während
Wertheimer und ich das Klavierspielaufgegeben haben,
weil wir es nicht zu dieserUngeheuerlichkeit gemacht haben
wie Glenn, der aus dieserUngeheuerlichkeit nicht
mehr herausgekommen ist, der auchgar nicht den Willen
dazu gehabt hat, aus dieserUngeheuerlichkeit herauszukommen.
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Autoren-Porträt vonThomasBernhard
ThomasBernhard, geboren am 9. Februar 1931, lebte in Ohlsdorf,Oberösterreich. 1951-54 Studium an der Akademie für Musik und darstellendeKunst in Salzburg und an der Hochschule für Musik in Wien. seit 1957Schriftsteller. Er starb am 12. Februar 1989 in Gmünden.
- Autor: Thomas Bernhard
- 2004, 157 Seiten, Maße: 12,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek
- ISBN-10: 3937793046
- ISBN-13: 9783937793047
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