Der Vatikan und Hitler
Perter Godman hat die Unterlagen gesichtet und die Politik des Heiligen Stuhls der Jahre 1933 bis 1939 analysiert. ...
Perter Godman hat die Unterlagen gesichtet und die Politik des Heiligen Stuhls der Jahre 1933 bis 1939 analysiert.
Und er findet Antworten auf die Fragen: Wurde Pius XII. über die Judenvenichtung falsch informiert? Warum wurde ein kritischer Enzyklika-Text von 1936 nie veröffentlicht?
Der Vatikan und Hitler von Peter Godman
LESEPROBE
Warum hat diekatholische Kirche nicht ihre Stimme erhoben gegen die Grausamkeiten desRassismus, die Brutalität des Totalitarismus und die Unterdrückung der Freiheitim Dritten Reich? Hat das beharrliche Schweigen Roms hinsichtlich der Nazis denAnspruch des Vatikans auf moralische Autorität unterminiert? Man hat dieseFragen nicht unvoreingenommen, sondern stets mit einer bestimmten Stoßrichtunggestellt: Die mit viel Spekulation gewürzte Polemik zielte auf »Hitlers Papst«,Pius XII. Was man nicht wusste, war, dass der Heilige Stuhl bereits in dendreißiger Jahren, also schon lange, bevor Pacelli diePapstkrone erhielt, an einer Verurteilung der Irrtümer des Nationalsozialismusin Angelegenheiten von Moral und Lehre arbeitete. Diese Verurteilung war inFormulierungen gekleidet, die auch Adolf Hitler verstehen konnte, wie zumBeispiel:
»Die Kirche verurteiltfolgende Lehrmeinung als häretisch: Die menschliche Natur ist nicht in allenMenschen essentiell dieselbe. Die Menschheit, die nun die Erde bevölkert,besteht nämlich aus Rassen ..., die untereinander so verschieden sind, dass dieniedrigste von der höchsten ebensoweit entfernt istwie von der höchsten Art der Tiere, die dem Menschen am nächsten ist.«
Wäre dieserUrteilsspruch je veröffentlicht worden, so hätte Hitler die geachtete Meinungmit Sicherheit wiedererkannt, denn er selbst hattesie in seiner »Siegesrede« verkündet, die er am 3. November 1933 vor demReichsparteitag der NSDAP halten hatte. Und vermutlich hätte die kirchliche Kritikden Führer in heftige Rage versetzt: Rassismus war eine tragende Säule imGlaubensbekenntnis der Nazis.
Die Pläne des Vatikansreichten weit. Sie zielten auf Ansichten, die Hitler in Mein Kampf und inanderen Schriften oder Reden geäußert hatte, und richteten sich somit aufgrundlegende Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie wie das »Blut«und seine »Reinheit«
»Die Kirche verurteiltdie Ansicht: >Jegliche Vermischung des Blutes mit einer fremden undniedrigeren Rasse, insbesondere aber die Vermischung der arischen mit dersemitischen, ist bereits allein aufgrund dieser Vermischung ein abscheulichesVerbrechen wider die Natur und hinterlässt im Gewissen schwere Schuld.<«
Die Attacke auf denFührer machte hier nicht halt. In verschiedenen aufeinanderfolgendenEntwürfen verdammte der Vatikan Hitlers Ideen und die anderer Nazigrößen zuThemen wie »Eugenik« und »Unfruchtbarmachung«, Erziehung, Führerschaft undRechte des Individuums, wie sie in folgenden Zitaten zum Ausdruck kamen:
»Wer zur Sorge Anlassgibt, aus ihm entspringe minderwertiger Nachwuchs, kann - ansonsten durchauszur Ehe fähig - vom Eingehen oder Ausüben einer fruchtbaren Verbindungabgehalten und, auch gegen seinen Willen, sterilisiert werden; haben solcheEltern aber bereits Nachwuchs gezeugt, kann dieser durch umgehende Vornahmeeines Schwangerschaftsabbruchs beseitigt werden.«
Oder:
»Das erste und obersteErziehungsrecht liegt in den Händen desjenigen, der auch das erste und obersteRecht innehat, für die Rasse zu sorgen: also beim Staat und nicht bei Kircheoder Eltern.
Durch die Erziehungsoll die Jugend nicht in erster Linie von religiösem Fühlen, Gottesliebe undGottesfurcht erfüllt werden, sondern von begeisterter Liebe zur Rasse, und zwarso, dass sie auf dieser Erde nichts höher hält und sich mehr angelegen seinlässt als die Rasse und den Staat, der auf dem Fundament der Art der Rasseberuht. «
Oder:
»Dem gesetzmäßigen Weg,dem die Natur bei der Selektion der Rassen und Individuen folgt, entspricht alsHerrschaftsform im Staat allein die absolute und uneingeschränkte Führerschafteines einzigen Mannes.
Jede andereHerrschaftsform weicht mehr oder weniger von der natürlichen Ordnung ab. «
Oder:
»Einzelne Menschen undprivate Gesellschaften haben weder durch göttliches noch durch natürlichesRecht irgendwelche dem Staat vorrangige oder von ihm unabhängigeRechtsansprüche. Der Staat bestimmt nicht nur die Ausübung der Rechte, sondernauch ihren Ursprung und ihre bloße Existenz. «
Schon Jahre bevor PiusXII. 1939 den Thron des heiligen Petrus bestieg, war man dabei, das Programmdes Nationalsozialismus und seine Umsetzung als unvereinbar mit dem Christentumzu brandmarken. Sein Vorgänger, Plus XI., und andereführende Vertreter des Establishments der Kurie glaubten jedoch, dass manderartige Verlautbarungen in Deutschland als eine spiritueileKriegserklärung auffassen würde.
Wie aber plante diekatholische Kirche die Verurteilung der Nazis? Was waren ihre Gründe? Und waswurde aus den Plänen? Die bislang unbekannte Geschichte dieser Verdammung lässtdie Vorgänge im Innern des Vatikans am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in einemneuen Licht erscheinen. Zuvor unzugängliche Quellen versetzen uns in die Lage,hinter die Kulissen vorzudringen und zu verstehen, wie man in Rom dachte undhandelte, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren.
Das Vorgehen derrömischen Autoritäten (die nicht immer ein Vorbild an Effizienz waren) erwuchsaus einer schlecht abgestimmten Bürokratie, die Prozeduren folgte, welche sichüber Jahrhunderte hinweg entwickelt hatten. Die Mitglieder der Kurieorientierten sich an Präzedenzfällen aus der Vergangenheit, die ihnen mehreremögliche Verurteilungsformen mit jeweils verschiedenem Feierlichkeitsgraderöffneten.
Die jeweilige Form, inder Rom sich äußerte, sowie die Umstände, unter denen diese Äußerungenveröffentlicht wurden, konnten subtilere, aber auch präzisere Botschaftenübermitteln, als es die öffentlichen Erklärungen eines weltlichen Staats zu tunvermochten. So lag beispielsweise ein bedeutender Unterschied darin, ob der Osservatore Romano als halbamtliche Zeitung des Vatikansvon einer päpstlichen Missbilligung berichtete oder ob der Papst selbst alsOberhaupt des Höchsten Tribunals der Kirche eine Ächtung verkündete. Glichersteres nur dem bedrohlichen, doch fernen Grollen des Donners, so ähnelteletzteres dem Strahl eines Blitzes, der darauf zielte, eine Irrlehre mit Stumpfund Stiel zu vernichten.
Ein vom Papstunterzeichnetes Dekret des Höchsten Tribunals war für Katholiken in SachenLehre und Moral bindend. Das Urteil des Papstes war in diesen grundlegendenDingen endgültig. Wenn er eine Irrlehre mit dem vollen Gewicht seinerunfehlbaren Autorität verurteilte, so wurde dies von jenem päpstlichen Tribunalverkündet, das man seit dem sechzehnten Jahrhundert als römische Inquisitionoder Heiliges Offizium kennt. Zu den strengstenUrteilssprüchen, die als Bestrafung erlassen wurden, gehörte dieExkommunikation - der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gläubigen, der AdolfHitler nominell angehörte.
Weniger hart in derWirkung und positiver im Ansatz waren die sogenanntenEnzykliken oder päpstlichen Hirtenbriefe, die das magisterium(»die Lehre«) des Papstes zum Ausdruck brachten. Diese Dokumente, die in seinemNamen erlassen wurden und oftmals auf Beiträgen von Angehörigen dervatikanischen Bürokratie basierten, stellten Grundsatzerklärungen desOberhaupts der katholischen Kirche dar. Unterhalb dieses Doppelgipfels derFeierlichkeit - Enzyklika und Inquisitionsdekret konnte der Vatikan seineHaltung durch eine Reihe weiterer Bekanntmachungsformensignalisieren.
Schriften konnten aufden Index der verbotenen Bücher gesetzt werden, was hieß, dass ihre Lektüre denKatholiken fortan untersagt war; als Zeichen des Protests oder zur Klarstellungkonnten diplomatische Noten mit fremden Regierungen ausgetauscht werden; undorthodoxen Bildungseinrichtungen konnte man Instruktionen zukommen lassen, umsie dazu aufzurufen, verdächtigem Gedankengut den Kampf anzusagen. Sämtlichedieser Möglichkeiten wurden im Lauf der dreißiger Jahre von Rom angewandt oderzumindest erwogen. Wann und warum man sie gebrauchte oder verwarf und wer diestat, das waren Fragen, die Hitler aufmerksam verfolgte.
© Ullstein Verlag
Übersetzung:Jens Brandt
- Autor: Peter Godman
- 2004, 368 Seiten, Maße: 15,2 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 342627308X
- ISBN-13: 9783426273081
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