Der verbotene Fluss
Roman. Originalausgabe
1890: Charlotte nimmt eine Stelle in einem Herrenhaus bei London an. Dort ist sie für die junge Emily verantwortlich, die seit dem Tod ihrer Mutter von Albträumen geplagt wird und den nahe gelegenen Fluss fürchtet. Wie ist Lady Ellen wirklich gestorben?
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Produktinformationen zu „Der verbotene Fluss “
1890: Charlotte nimmt eine Stelle in einem Herrenhaus bei London an. Dort ist sie für die junge Emily verantwortlich, die seit dem Tod ihrer Mutter von Albträumen geplagt wird und den nahe gelegenen Fluss fürchtet. Wie ist Lady Ellen wirklich gestorben?
Klappentext zu „Der verbotene Fluss “
Ein meisterhaft erzählter Roman voller GeheimnisseCharlotte wagt einen großen Schritt, als sie 1890 Berlin verlässt und eine Stelle als Gouvernante in einem herrschaftlichen Haus bei London antritt. Dort ist sie für die junge Emily verantwortlich, die seit dem tragischen Verlust ihrer Mutter von schlimmen Albträumen verfolgt wird und den nahe gelegenen Fluss fürchtet. Besorgt um das Wohl des Mädchens versucht Charlotte, mehr über den Tod von Lady Ellen herauszufinden, doch niemand im Haus ist bereit, das Schweigen zu brechen. Erst mithilfe des Journalisten Tom kommt Charlotte einer dunklen Wahrheit auf die Spur ...
Lese-Probe zu „Der verbotene Fluss “
Der verbotene Fluss von Susanne Goga Prolog
Der Mond schien fahl in jener Nacht. Die Frau ging über den Rasen, der noch nass war vom Regen, vorbei an der Schaukel unter einer Ulme und verschwand zwischen den Bäumen, die das Haus wie stumme Wächter umgaben. Ihr Kleid schleifte über den Boden und hatte sich bis eine Handbreit über dem Saum dunkel gefärbt. Sie achtete nicht auf die Steinchen, die sich in ihre nackten Fußsohlen bohrten. Sie öffnete das schmiedeeiserne Tor in der Mauer und ging wie unter einem Zwang weiter, den Weg entlang und tiefer in den Wald hinein.
Es war still, als wären alle Lebewesen vor dem blassen Licht des Mondes geflohen. Einmal raschelte es leise - vielleicht eine Maus, die durch das Laub vom letzten Herbst huschte. Ansonsten hörte sie nur ihre eigenen Schritte auf dem weichen Boden.
Sie zog den Schal enger um die Schultern. Das Mondlicht malte geisterhafte Schatten auf die glatte Rinde der Bäume. Sie kannte den Wald wie ihr eigenes Haus, und als ein Zuhause hatte sie ihn stets empfunden. Jeder Busch rief nach ihr, jede Wegbiegung schien vertraut. Und doch war etwas anders.
Sie drehte sich um, als sie ein Geräusch hinter sich hörte, sah aber nur die Schatten der knorrigen Eiben, die ausladenden Äste, die sich wie krumme Arme nach ihr reckten. Verbarg sich dort jemand, der ihr heimlich folgte? Sie horchte in die Stille, doch nichts. Sie versuchte, ruhig zu atmen und die Schritte im Rhythmus ihres Atems zu setzen, einen nach dem anderen, es war nicht mehr weit.
... mehr
Dann glitt sie unvermittelt auf dem feuchten Laub aus und konnte sich gerade noch an einem Baumstamm abstützen. Ihr Herz schlug heftig. Sie biss die Zähne aufeinander und schloss für einen Moment die Augen. Auf einmal spürte sie die Kälte ihrer Füße, die eisige Feuchtigkeit, die hochstieg zu den Knöcheln, an den Beinen emporkroch, die Knie erreichte ...
Sie zwang sich weiterzugehen. Dies war ihr Wald, er hatte ihr schon als Mädchen gehört. Er war immer ihr Freund gewesen, vor ihm würde sie sich nicht fürchten. Als sich die Bäume lichteten, blieb sie stehen und holte tief Luft. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute empor zum Himmel, zum Mond. Dann breitete sie die Arme aus, als wollte sie die Nacht umfassen.
1
September 1890, Dover
Charlotte Pauly stand an der Reling und blickte über das graue Wasser, wo aus dem Dunst allmählich ein weißer Schimmer auftauchte. Beim Näherkommen schien sich wie von selbst ein Bild zu formen, nahmen die verschwommenen Konturen Gestalt an und wurden zu einer breiten Kette weißer Klippen, gekrönt von noch sommerlich grünen Wiesen. Es sah aus, als hätte eine gewaltige Axt ein Stück Land mit einem Hieb abgetrennt, sodass sich das Übriggebliebene nicht sanft zum Ufer hin absenkte, sondern abrupt an der Meeresküste endete. Charlotte stellte sich vor, wie das abgetrennte Stück ins Meer gekippt und inmitten einer gewaltigen Welle versunken war.
Die weißen Klippen wirkten nicht abweisend, sondern winkten sie herbei, luden sie ein in dieses Land, das ihr neues Zuhause werden sollte. Charlotte atmete tief durch, um die widerstreitenden Gefühle, die in ihr tobten, zu besänftigen. Vorfreude, Anspannung, Heimweh, Entschlossenheit, Zweifel - all das kämpfte in ihrem Inneren um die Oberhand. Sie spürte, wie das Land hinter ihr, der Kontinent, den sie verlassen hatte, sanft an ihr zog und sie gleichzeitig fortstieß. Natürlich war Deutschland ihre Heimat, dort hatte sie ihr bisheriges Leben verbracht, und der Gedanke, vorerst nicht dorthin zurückzukehren, nicht mehr die vertraute Sprache zu hören, lag wie ein Schatten auf ihrer Seele.
Andererseits hatten die vergangenen Monate Wunden hinterlassen, die in der Heimat nicht verheilt wären. Die Suche nach einer Stelle in England, der Abschied von ihrer Familie, das Packen der Koffer und das Buchen der Überfahrt nach Dover waren dringend nötig gewesen, rasche Schnitte, die einem langsamen, schmerzhaften Zerreißen vorzuziehen waren.
Ihre Mutter hatte kein Verständnis für ihren Schritt gezeigt. »Was ist denn geschehen, Kind?«
Charlotte hatte nur den Kopf geschüttelt.
»Du kannst nicht einfach fortlaufen, weil du unglücklich oder mit deiner Stellung unzufrieden warst, das ist unvernünftig. Du hättest dir eine neue Arbeit anderswo in Deutschland suchen können. In Bayern vielleicht. München soll sehr schön sein, dann hättest du mit den Herrschaften in die Alpen oder nach Italien reisen können ...«
Um weitere unerwünschte Fragen zu vermeiden, hatte Charlotte erwidert, sie müsse Erfahrungen im Ausland sammeln, um ihre Schülerinnen und Schüler später besser Englisch lehren zu können.
»Wer braucht denn Englisch? Französisch ist die Sprache der eleganten Gesellschaft«, hatte die Mutter geantwortet. »Wenn du schon einen Beruf ergreifen musst, statt zu heiraten wie deine Schwestern, kannst du ihn wenigstens in der Heimat ausüben. Es gehört sich nicht für eine junge Frau, allein ins Ausland zu reisen. Und in einer guten Stellung ergibt sich vielleicht die Gelegenheit, einen passablen jungen Mann ...«
Bevor ihre Mutter den Satz zu Ende sprechen konnte, hatte Charlotte die Tür der Stube hinter sich zugeschlagen. In den folgenden Tagen hatte die Mutter wiederholt versucht, sie umzustimmen, und ihr Vorwürfe gemacht, sie sei hartherzig und lasse sie, die doch verwitwet sei, allein zurück. Da ihre beiden verheirateten Töchter allerdings in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten, konnte Charlotte diesen Versuch, ihr ein schlechtes Gewissen zu bereiten, nicht ernst nehmen. Sie waren nicht im Streit, aber doch in einer Missstimmung auseinandergegangen, was Charlotte bedauerte. Umgestimmt hatte es sie nicht.
»Immer wieder ein schöner Anblick«, sagte eine tiefe, rau klingende Männerstimme neben ihr.
Charlotte tauchte aus ihren Gedanken auf und schaute den Herrn an, der an ihre Seite getreten war. Sein dichter Schnurrbart war vom Tabak gelb verfärbt, doch ansonsten wirkte er gepflegt und lüftete den Hut, als stünde er einer Lady gegenüber.
»Sie sind in England zu Hause?«, fragte Charlotte.
»In der Tat. Darf ich mich vorstellen? William Hershey. Ich bin Kaufmann und weit gereist«, er machte eine vage Handbewegung in die Richtung, die hinter ihnen lag und die vermutlich Frankreich, Europa und den Rest der Welt umfassen sollte, »doch nichts rührt mein Herz wie der Anblick dieser Klippen. Sie gestatten? « Er hob die rechte Hand, in der er eine Pfeife hielt, worauf Charlotte nickte.
»Es sieht wirklich sehr schön aus.«
»Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?« Er paffte mehrfach an der Pfeife, bis sie zog, dann warf er das Zündholz über die Reling. »Ich höre einen leichten Akzent. Niederlande? Skandinavien? «
»Charlotte Pauly. Ich komme aus Deutschland.«
»Deutschland, ausgezeichnet. Bin öfter dort unterwegs, Berlin, Hannover, Hamburg. Gute Geschäftsleute, sparsam und gewitzt. Hamburg gefällt mir, der Hafen, die Eleganz und die feine Lebensart. Berlin ist auf seine Art auch beeindruckend, wenn gleich ein bisschen ungemütlich. Kalte Pracht, wenn Sie mich verstehen. Preußische Strenge.«
»Ich habe eine Weile dort gearbeitet«, erwiderte Charlotte.
»Gearbeitet?« Mr. Hershey klang verwundert, als würde ihm erst in diesem Augenblick bewusst, dass Charlotte keine Lady war.
»Als Hauslehrerin bei einer Familie.«
»Verstehe, eine Gouvernante.« Sie meinte, eine leichte Herablassung in seiner Stimme zu hören. Charlotte war Snobismus gewöhnt und antwortete ruhig: »Ich betrachte mich vor allem als Lehrerin. Im Deutschen hat der Begriff Gouvernante etwas Altmodisches und Strenges, das nicht meinem Wesen entspricht. Viele Leute wollen ihre Kinder in ein Korsett von Anstandsregeln zwängen, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Das ist nicht meine Art.«
Mr. Hershey überraschte sie mit seinem dröhnenden Gelächter. »Das ist gut, Miss Pauly, wirklich gut. Eine Frau, die sagt, was sie denkt.«
»Sollten das nicht alle Frauen tun?«
»Hm, mir scheint, dass die meisten dazu erzogen werden, gerade das nicht zu tun«, erwiderte er unbekümmert. »Ich für meinen Teil habe nur Söhne, bei denen nimmt man das nicht so genau. Da gilt eine gewisse Forschheit sogar als Charakterstärke und soll tunlichst gefördert werden. Wie halten Sie es denn mit Ihren Schützlingen, wenn ich fragen darf?«
Sie lächelte. Ein neugieriger Mann, aber nicht unsympathisch. »Nun, ich bemühe mich, die Mädchen zu Ehrlichkeit und Höflichkeit zu erziehen. Natürlich gibt es Situationen, in denen allzu große Ehrlichkeit verletzen kann. Dies zu erkennen und taktvolles Verhalten zu lehren betrachte ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben neben der Vermittlung von Schulwissen.«
Er nahm erneut den Hut ab. »Chapeau, Miss Pauly, Sie sind eine verständige Frau. Ich will ehrlich sein: Eigentlich bin ich ganz froh, dass meine Frau und ich nur Söhne haben. Das macht vieles einfacher. Schule, Sport, ein bisschen Raufen, sich behaupten lernen, das ist doch das Wichtigste. Zwei meiner Jungen sind in die Firma eingetreten, der dritte fährt zur See. Bekommt demnächst sein Kapitänspatent. Da gibt es kein Getue, keine Empfindlichkeiten, jeder erledigt seine Arbeit und erntet den Lohn dafür.«
Charlotte wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. »In Deutschland habe ich auch Jungen unterrichtet und gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. Wenn man sie richtig zu nehmen weiß, sind sie fleißig und folgsam. Bei uns existiert die Sitte nicht, Jungen mit acht Jahren in ein Internat zu schicken. In England werde ich hingegen nur ein kleines Mädchen unterrichten.«
»Darf ich fragen, in welche Gegend es Sie zieht?«
»Nach Surrey, in die Nähe von Dorking«, entgegnete Charlotte.
»Die Hügel von Surrey, eine reizende Landschaft mit hübschen Orten. Dort gibt es Wälder, die seit Cromwells Zeiten keine Axt gesehen haben. Sie können sich glücklich schätzen.« Er warf einen Blick auf den näher rückenden Hafen von Dover, über dem eine trutzige Burg aufragte. »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie sich in unserem Land wohlfühlen«, sagte er herzlich und lüftete zum Abschied noch einmal den Hut.
Als Charlotte allein war, schaute sie wieder hinüber zur Felsküste und stellte sich vor, wie viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Absichten und Hoffnungen diese Meerenge überquert hatten - fromme Mönche, die das Christentum unter den heidnischen Briten verbreiten wollten; kriegerische Normannen auf hölzernen Schiffen, bereit, das Land hinter den Kreidefelsen zu erobern; französische Soldaten, niederländische Kaufleute, Reformatoren, Flüchtlinge. Flöße, Ruderboote, stolze Segler, Lastkähne und mit Dampf betriebene Schiffe, eine nicht enden wollende Kette, die Menschen, Waren und Waffen hin und her beförderte. Sie schloss die Augen und sah den Kanal, wie er vor Jahrhunderten gewesen war, ein schmaler Streifen Wasser und doch immer eine Gefahr, denn nicht alle Schiffe erreichten sicher ihr Ziel. Hier war vor fast achthundert Jahren das Schiff des englischen Thronfolgers gesunken. Von diesen Küsten aus waren Kriegsflotten in beide Richtungen aufgebrochen, um das verlockend nah erscheinende andere Ufer zu erobern.
Und wonach suchte sie? Wer in die Fremde aufbrach, wollte für gewöhnlich etwas hinter sich lassen. Natürlich hätte sie weiter in Deutschland arbeiten können, doch der Drang, neu zu beginnen, war stärker gewesen. Sie wollte die Begegnung mit alten Bekannten aus Berlin verhindern, wollte an einem Ort leben, an dem es keine wissenden Blicke und tuschelnden Münder gab. Sie hatte sich für eine Stelle auf dem Land entschieden, während sie zuletzt in der Großstadt Berlin gewohnt hatte. Sie wollte alles anders machen als bisher.
Charlotte holte tief Luft und straffte die Schultern, während sie das Gesicht in den Wind hielt. Ein neues Land, ein neuer Anfang. Ein Abenteuer.
Das Bahnhofsgebäude, das unmittelbar am Hafen lag, besaß einen hübschen Turm, der ihm etwas Italienisches verlieh. Charlotte hatte einen Gepäckträger gefunden, der ihre schweren Koffer vom Schiff dorthin schleppte.
Es herrschte reger Betrieb. Überall ankerten kleine und große Schiffe, Dampfer und altmodische Segler, Pferdewagen wurden be- und entladen, Passagiere stiegen in wartende Kutschen, ein Güterzug hielt pfeifend auf dem nahen Bahnsteig. Die englischen Wörter, die an Charlottes Ohr schlugen, klangen fremd und völlig anders als die ihrer Lehrerinnen. Dies hier war kein Klassenzimmer, sondern die Wirklichkeit. Hier war sie die Fremde, deren Sprache kaum jemand verstand.
Bevor ihr das Herz schwer werden konnte, drückte sie die Handtasche an sich, um sie im Gedränge zu schützen, und eilte hinter dem Gepäckträger her, der ihre Koffer ins Bahnhofsgebäude wuchtete. Sie gab ihm einige Pennys, die er mit einem Nicken einsteckte, bevor er in der Menge verschwand. Charlotte schaute auf den vergilbten Fahrplan, der in einem Glaskasten hing.
Der Sekretär von Sir Andrew Clayworth, einem Parlamentsabgeordneten, der ihr künftiger Arbeitgeber sein würde, hatte ihr einen Brief mit genauen Reiseanweisungen geschickt. Sie musste von Dover aus den Zug nach Dorking in der Grafschaft Surrey nehmen, wo ein Wagen sie am Bahnhof abholen würde. Die Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Schiff und Eisenbahn waren genau aufeinander abgestimmt. Charlotte schaute besorgt auf die Uhr, da es schon später Nachmittag war. Sie würde Dorking gewiss erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Der Zug sollte um halb sechs kommen, ließ aber auf sich warten. Andere Fahrgäste schlenderten unruhig umher, rauchten, schauten wiederholt zur Uhr hinauf oder warfen einen Blick auf den Fahrplan. Die Schatten wurden länger, und eine herbstliche Kühle vertrieb die letzte Wärme des Septembernachmittags. Ein Windstoß wirbelte Laub umher und zerrte an den Hüten der Wartenden.
Um acht Minuten nach sechs trat der Stationsvorsteher in seiner schmucken Uniform zwischen die Fahrgäste und verkündete, der Zug werde wegen eines Unfalls an der Strecke kurz vor Dover an diesem Tag nicht mehr verkehren. Ein Pferdefuhrwerksei auf den Gleisen verunglückt, man werde die Strecke nicht kurzfristig räumen können. Die Arbeiten bei Laternenlicht würden bis in den späten Abend andauern.
Charlotte stand wie betäubt da. Einige Passagiere zuckten nur mit den Schultern und verließen das Bahnhofsgebäude, während sich andere zögernd umschauten. Vermutlich waren sie ähnlich verunsichert wie Charlotte.
Sie schluckte. Ruhe bewahren, das war am wichtigsten. Sie musste eine Unterkunft für die Nacht finden und gleich am nächsten Morgen den ersten Zug nehmen. Eine Möglichkeit, ihren Arbeitgeber zu benachrichtigen, gab es nicht. Oder vielleicht doch - mit einem Telegramm? Was würde das wohl kosten? Aber das Postamt hatte sicher schon geschlossen.
Während sie noch unschlüssig dastand, trat der Stationsvorsteher, ein freundlicher Herr mit weißem Schnurrbart, auf sie zu.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?«
Charlotte schilderte ihre heikle Lage, worauf er mitfühlend nickte. »In der Tat, das Postamt hat geschlossen. Auch weiß ich nicht, ob ein Telegramm rechtzeitig angekommen wäre, wenn Ihr Ziel, wie Sie sagen, ein Stück außerhalb von Dorking liegt. Am besten nehmen Sie sich ein Zimmer. Der erste Zug morgen geht um halb neun. Ihre Fahrkarte bleibt gültig; ich werde einen Vermerk anbringen.«
»Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Charlotte und fasste neuen Mut. »Können Sie mir vielleicht eine Pension empfehlen, in der ich ein - günstiges Zimmer bekomme?«
Er lächelte. »Zufällig ja, Miss. Meine verwitwete Schwester wohnt unweit vom Hafen und vermietet Zimmer an Durchreisende. Ein kräftiges Frühstück ist im Preis inbegriffen.«
»Ich danke Ihnen vielmals.« Sie warf einen Blick auf ihre Koffer.
»Wenn Sie das Nötige in Ihre Tasche packen, schließe ich die Koffer hier im Bahnhof für Sie ein.«
Der Bahnhofsvorsteher wehrte ihren Dank ab, notierte Namen und Adresse seiner Schwester und trat mit Charlotte vor das Gebäude, um ihr den Weg zu erklären.
Als sie allein auf der Straße stand, atmete sie tief durch. Der Wagen von Sir Andrew würde in Dorking vergeblich auf sie warten. Es machte keinen guten Eindruck, wenn sie schon bei der Ankunft unzuverlässig war. Hoffentlich bekam der Kutscher mit, dass ihr Zug gar nicht kommen würde. Sie schluckte und biss sich auf die Lippen. In ihren Augen brannten Tränen.
Wie von Zauberhand durchbrach in diesem Augenblick die Sonne noch einmal die Wolken und warf einen fächerförmigen Strahl auf die Klippen jenseits des Hafens. Sie tauchte die grauen Mauern der Burg in ein goldenes Licht. Hingerissen stand Charlotte da und betrachtete die trutzigen Mauern und Türme, die von ihrem Platz aus so unversehrt und stark erschienen, als wäre das Zeitalter der Ritter nie zu Ende gegangen.
Charlotte betätigte den Türklopfer an dem Reihenhaus aus rotem Backstein, das ihr der Bahnhofsvorsteher genannt hatte. Durch ein großes Erkerfenster neben der grün gestrichenen Haustür fiel ein schwacher Lichtschein auf die Straße.
Mrs. Ingram entpuppte sich als korpulente Frau mittleren Alters, die schnaufend die Tür öffnete, als wäre sie die Treppe heruntergelaufen. Sie schob eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, und schaute Charlotte fragend an.
»Guten Abend, Mrs. Ingram. Ich soll Sie von Ihrem Bruder, dem Stationsvorsteher, grüßen. Mein Zug ist ausgefallen, und er sagte, Sie hätten vielleicht ein Zimmer für mich.«
Mrs. Ingram musterte sie streng. »Sie reisen allein?«
»Ja. Ich fahre morgen weiter nach Surrey.«
»Sie sind nicht von hier?«
Charlotte schüttelte den Kopf und stellte sich vor.
»Aus Deutschland? Da haben Sie eine weite Reise hinter sich.« Die Frau wirkte nun etwas nachgiebiger. »Kommen Sie herein. Martin hat ein weiches Herz. Er schickt mir immer seine verlorenen Passagiere.«
Charlotte trat in den Flur, in dem es angenehm nach Bohnerwachs und Zitrone roch. Mrs. Ingram deutete auf eine Tür. »Dort gibt es Frühstück, von sieben bis halb neun. Ihr Zimmer ist oben.«
Charlotte erkundigte sich nach dem Preis, worauf Mrs. Ingram eine Summe in Shilling und Pence nannte, die ihr nichts sagte, bis sie sie im Kopf umgerechnet hatte. Der Preis war angemessen.
»Zahlbar im Voraus«, fügte die Zimmerwirtin hinzu.
Charlotte öffnete ihre Handtasche, holte die Geldbörse hervor und zählte die Münzen ab.
»Leider kann ich Ihnen heute Abend nichts mehr zu essen anbieten, da ich Besuch erwarte. Ich zeige Ihnen das Zimmer und werde Ihnen den Weg zu einem kleinen Gasthaus in der Nachbarschaft erklären, in dem Sie als allein reisende Frau eine warme Mahlzeit bekommen.«
Charlotte nickte dankbar und folgte Mrs. Ingram, die mit einer Petroleumlampe den Weg leuchtete, die schmale, mit einem dunkelgrünen Läufer ausgelegte Treppe in den ersten Stock hinauf. Das Haus war peinlich sauber, aber dunkel. Die Holztäfelung der Wände, die Tapeten und Möbel waren in Braun- und dunklen Grüntönen gehalten, die an einen dichten Wald erinnerten.
Mrs. Ingram öffnete eine Tür und ließ Charlotte eintreten. Das Zimmer besaß ein Fenster, das auf den Hafen blickte, und war ebenso sauber und düster wie das übrige Haus. Selbst die Bilder an den Wänden zeigten Herbstlandschaften, die sich nahtlos in die Atmosphäre des Hauses fügten.
Dennoch war Charlotte dankbar, für die Nacht günstig untergekommen zu sein. »Das ist sehr angenehm, Mrs. Ingram, vielen Dank. Ich würde gern etwas essen und mich dann zurückziehen.«
Die Zimmerwirtin begleitete sie wieder ins Erdgeschoss, trat mit ihr vor die Haustür und deutete auf ein hell beleuchtetes Eckhaus, das etwa hundert Meter entfernt lag. »Sie sehen, es ist ganz in der Nähe. Wenn Sie zurückkehren, bin ich unabkömmlich. Unter diesem Blumenkübel liegt ein Schlüssel. Gehen Sie bitte leise nach oben.«
Charlotte bedankte sich noch einmal und spazierte in der herbstlichen Dämmerung zu dem Gasthaus hinüber.
Wie Mrs. Ingram prophezeit hatte, empfing man sie ohne Neugier, wies ihr einen angenehmen Platz am Kamin zu und bediente sie rasch und zuvorkommend. Sie bestellte eine Pastete mit einer Füllung aus Fleisch und Gemüse, die sich als durchaus wohlschmeckend erwies, und trank dazu eine kleine Kanne Tee. Als sie satt war, lehnte sie sich auf der Sitzbank zurück und gestattete sich einen Moment der Zufriedenheit.
Hätte man ihr vor einigen Monaten gesagt, sie würde sich eine Stelle im Ausland suchen und allein den Ärmelkanal überqueren, hätte sie es nicht geglaubt. Schon der Schritt von dem kleinen Dorf in Brandenburg nach Berlin war gewaltig gewesen, doch in nichts mit diesem Sprung übers Wasser zu vergleichen.
Charlotte bezahlte, zog ihre Jacke an und machte sich auf den Heimweg.
Ein frischer Wind zerrte an ihrem Rock, und vom Wasser her ertönte Möwengeschrei. Sie war froh, dass sie trotz der Jahreszeit eine vergleichsweise ruhige Überfahrt erlebt hatte. Wenn richtige Herbststürme tobten, hätte sie sich sicher nicht aufs Meer gewagt.
Die Burg ragte wie ein dunkler Schatten über der Stadt empor. Charlotte nahm sich vor, einmal im Sommer herzukommen und über die Klippen zu spazieren, die gewiss eine atemberaubende Sicht auf den Kanal boten. Vielleicht konnte man bei klarem Wetter sogar bis ans französische Ufer blicken.
Vor dem Haus angekommen, fischte sie den Schlüssel unter dem Blumenkübel hervor und schloss die Tür auf. Sie legte ihn zurück, trat ein und wollte auf Zehenspitzen zur Treppe gehen, als ein Geräusch sie innehalten ließ. Es kam aus dem vorderen Zimmer, dessen Erkerfenster auf die Straße blickte.
Charlotte wollte eigentlich nicht lauschen, doch die Laute, die aus dem Zimmer drangen, waren so sonderbar, dass sie unwillkürlich die Ohren spitzte.
Sie hörte eine Frauenstimme, die in einer Art Singsang sprach. Im ersten Augenblick vermutete sie ein Gebet. Aber nein, es klang anders, irgendwie befremdlich. Charlotte spürte, wie ihr Herz heftiger schlug, und machte einen weiteren Schritt zur Treppe hin. Das Murmeln von drinnen wurde lauter, und sie konnte einzelne Sätze verstehen: »Sprich zu uns« und »Wir rufen dich«. Argwöhnisch drehte sich Charlotte zu der verschlossenen Tür um und wünschte sich, sie könnte mit den Augen das Holz durchdringen.
Die Geräusche behagten ihr nicht, und die Vorstellung, die Nacht in diesem Haus zu verbringen, erschien ihr plötzlich nicht mehr so verlockend. Sie konnte entweder leise nach oben gehen, heimlich ihre Tasche holen und sich aus dem Haus schleichen - aber wohin? - oder leise nach draußen gehen und versuchen, einen Blick durchs Fenster zu werfen, um zu klären, was hier vor sich ging. Vielleicht wäre sie danach beruhigt. Die letzte Möglichkeit entsprach am ehesten ihrem Naturell. Also kehrte sie zur Haustür zurück, wobei sie kaum zu atmen wagte, schlüpfte hinaus, lehnte die Tür an und schob sich an der Hauswand entlang, um einen vorsichtigen Blick durchs Fenster zu wagen. Die Vorhänge waren geschlossen, doch sie entdeckte einen Spalt zwischen Vorhang und Mauer, durch den sie einen Teil des Raumes einsehen konnte.
Das Wohnzimmer war ähnlich dunkel eingerichtet wie das übrige Haus. Die linke Hälfte war verdeckt, doch an einem kleinen Tisch bemerkte sie Mrs. Ingram, die mit dem Rücken zu ihr saß, und eine weitere Dame. Der Raum wurde lediglich von drei weißen Kerzen erhellt, die auf dem Tisch brannten. Beide Frauen hatten einen Finger auf ein umgedrehtes Glas gelegt, das zwischen ihnen auf dem Tisch stand. Die ihr unbekannte Frau hatte die Augen geschlossen und bewegte den Mund.
Eine spiritistische Sitzung! Charlotte hatte davon gehört, eine derartige Veranstaltung aber noch nie miterlebt. In Berlin schienen sie nicht sonderlich verbreitet zu sein, schon gar nicht bei ihren letzten Arbeitgebern, die sehr sachlich und materialistisch gewesen waren. Fasziniert und belustigt schaute sie durch den Spalt, konnte aber nicht erkennen, ob sich das Glas auf dem Tisch bewegte. Als Schritte auf der Straße erklangen, glitt Charlotte ins Haus zurück und zog die Tür hinter sich zu. Sie atmete tief durch und begab sich rasch in ihr Zimmer, wo sie vorsichtshalber die Tür abschloss.
Dann tastete sie sich im Dunkeln zu der Petroleumlampe, die sie vorhin auf dem Tisch gesehen hatte, und zündete sie mit den bereitliegenden Zündhölzern an. Anschließend zog sie die Jacke aus, stellte die Tasche auf einen Stuhl und streifte ihre Stiefel ab. Trotz der langen Reise war sie jedoch zu aufgewühlt, um sich schon schlafen zu legen.
Sie setzte sich aufs Bett und dachte an die seltsame Sitzung, die sich in der unteren Etage abspielte. Mrs. Ingram hatte recht bodenständig gewirkt, daher war es umso verwunderlicher, dass sie eine solche Veranstaltung in ihrem Haus abhielt. Oder war es hier in England ein gewöhnlicher Zeitvertreib wie Handarbeiten oder Kartenspielen?
Dann kam ihr ein Gedanke. Im Flur unten hatte sie die Fotografie eines stattlichen Herrn mit grauem Vollbart bemerkt. Der Rahmen war mit einem Trauerflor geschmückt. Vielleicht versuchte die Witwe, auf diese Weise Kontakt zu ihrem verstorbenen Mann aufzunehmen. Der Gedanke milderte Charlottes Verwunderung, wenngleich ihr die Vorstellung, dass sich Mrs. Ingram mit Hilfe eines Glases bemühte, in diesem Haus einen Geist heraufzubeschwören, einen leisen Schauer über den Rücken jagte. So amüsant ihr der Anblick vorhin erschienen war, wirkte die Vorstellung nun, da sie allein in ihrem Zimmer in diesem fremden Haus saß, ein wenig beunruhigend.
Sie schüttelte sich, als wollte sie die irrationale Furcht abstreifen, und holte den Brief hervor, den Sir Andrew Clayworth ihr geschickt hatte.
Chalk Hill, Juli 1890
Sehr geehrte Miss Pauly,
es freut mich, dass wir zu einer Übereinkunft gelangt sind und Sie die Position der Gouvernante bei meiner Tochter Emily übernehmen werden. Nachdem Sie bereits in Ihrer Korrespondenz mit meinem Sekretär die grundlegenden Fragen erörtert und diesbezügliche Vereinbarungen getroffen haben, sehe ich Ihrer Ankunft mit Freude entgegen. Damit Sie Ihre Stelle nicht gänzlich unvorbereitet antreten, möchte ich Sie kurz auf Ihre Begegnung mit meiner Tochter Emily vorbereiten.
Emily hat in diesem Monat ihren achten Geburtstag gefeiert. Sie ist ein liebes und folgsames Mädchen, das allen, die sie kennen, nur Freude bereitet. Sie liebt es zu zeichnen und kleine Bastelarbeiten anzufertigen. Auch zeigt sie ein gewisses musikalisches Talent und spielt seit geraumer Zeit Klavier. Leider entsprachen ihre bisherigen Lehrerinnen nicht meinen Erwartungen, weshalb ich Ihre ausgezeichneten Referenzen in dieser Hinsicht zu schätzen weiß. Handarbeiten gehören nicht zu Emilys bevorzugten Beschäftigungen, wenngleich ich hoffe, dass sich dies unter Ihrer fachkundigen Anleitung ändernwird.
Emily ist ein gesundes und kräftiges Mädchen, was mich sehr dankbar stimmt, da sie viele Jahre kränklich gewesen ist. Diese Schwäche scheint nun zum Glück überwunden zu sein, und einer maßvollen sportlichen Betätigung, die ich auch bei Mädchen als förderlich erachte, steht nichts im Wege. Daher erwarte ich, dass regelmäßige Spaziergänge, Krocketpartien und ähnliche Betätigungen einen festen Platz in ihrem Tagesablauf finden. Neben der reinen Bewegung ist ein solcher Zeitvertreib auch geeignet, um kindliche Flausen und Träumereien zu vertreiben und Emily zu einem charakterstarken und nüchternen Mädchen zu erziehen, das sich im täglichen Leben zurechtfindet.
Wie ich bereits erwähnte, weilt meine Frau und Emilys gute Mutter seit diesem Frühjahr nicht mehr unter uns, was für mich und meine Tochter ein schwerer Schlag gewesen ist, der seither wie ein Schatten über unserem Haus liegt. Ich hoffe jedoch, dass Sie Emily mit liebevoller Strenge und abwechslungsreichem Unterricht den Weg in die Zukunft ebnen werden.
Über die weiteren Regeln und Grundlagen unseres Zusammenlebens werde ich Sie in Kenntnis setzen, wenn wir uns in Chalk Hill sehen. Wie vereinbart wird der Kutscher Sie am Bahnhof von Dorking abholen.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise und verbleibe mit den besten Grüßen,
Andrew Clayworth
Charlotte legte den Brief beiseite und lehnte sich ans Kopfende des Bettes. Ein bisschen steif, aber nicht unfreundlich, dachte sie. Die Beschreibung des Mädchens traf wohl auf die meisten Achtjährigen zu, daran war nichts Auffälliges. Dass die Kleine um ihre Mutter trauerte, die sie erst vor wenigen Monaten verloren hatte, war ganz natürlich; mit der nötigen Güte und Umsicht würde es Charlotte sicher gelingen, dem Mädchen über die schwere Zeit hinwegzuhelfen.
Sie steckte den Brief wieder in die Tasche, wusch sich in der Porzellanschüssel Gesicht und Hände und trocknete sich mit dem Handtuch ab, das leicht nach Lavendel roch. Dann zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus, legte die Kleidungsstücke über Stuhl- und Sessellehne und löste ihre Frisur.
Mit langen, gleichmäßigen Strichen bürstete Charlotte ihr aschblondes Haar und betrachtete sich dabei im Spiegel - die grauen Augen, die gerade Nase, den schön geschwungenen Mund. Sie war keine auffällige Schönheit, aber mit ihrem Aussehen immer recht zufrieden gewesen. Sie legte die Bürste beiseite, straffte sich und warf die Haare mit einer Kopfbewegung über die Schultern. Als Kind hatte sie die Haare immer offen tragen wollen und sich damit gegen ihre Mutter aufgelehnt, die strenge Zöpfe vorschrieb. Sobald sie mit ihren Schwestern allein im Zimmer war, hatte sie die Bänder gelöst und ihre Haare wild geschüttelt, bis sich Elisabeth und Frieda vor Lachen bogen. Dabei hatte sie an das Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff gedacht.
Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass' gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare.
Diese Zeilen hatten ihr immer besser gefallen als die letzten, die für sie wie eine Niederlage klangen.
Nun muss ich sitzen so fein und klar,
gleich einem artigen Kinde,
und darf nur heimlich lösen mein Haar,
und lassen es flattern im Winde!
Charlotte warf ihrem Spiegelbild einen letzten Blick zu. Ja, sie war in England. Sie war angekommen.
2
Am nächsten Morgen servierte Mrs. Ingram ein gewaltiges Frühstück, das aus Rührei, Speck, Räucherfisch und geröstetem Toast mit gesalzener Butter bestand. Dazu gab es Tee mit Milch aus einer großen, vorgewärmten Kanne.
Charlotte genoss das Essen und schaute sich dabei verstohlen im Wohnzimmer um. Dabei wurde ihr klar, dass sie an ebenjenem Tisch saß, an dem wenige Stunden zuvor die sonderbare Geisterbeschwörung stattgefunden hatte. Sie warf ihrer Gastgeberin, die gerade die Zimmerpflanzen goss, einen Blick zu, wagte aber nicht, sie auf den vergangenen Abend anzusprechen. Denn damit hätte sie zugegeben, dass sie gelauscht und heimlich ins Wohnzimmer geschaut hatte.
»Die Burg sieht sehr eindrucksvoll aus«, sagte Charlotte. »Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich sie gern besichtigen.«
»Viele Besucher kommen eigens dafür nach Dover. Ich nehme an, in Deutschland gibt es auch Burgen.«
Es klang ein wenig herablassend, als könnten diese es keinesfalls mit den englischen Gemäuern aufnehmen, was sofort Charlottes Widerspruchsgeist weckte.
»In der Tat. Ich hatte einmal das Vergnügen, mit meiner damaligen Herrschaft den Mittelrhein entlang zu reisen. Es ist ein Anblick wie aus dem Märchen; dort reiht sich eine Festung an die andere, manche auf Inseln mitten im Strom, andere auf hohen Felsen und Klippen über dem Fluss. Dazu Weinberge an den sonnigen Hängen ... Eine herrliche Gegend.«
»Hm«, sagte Mrs. Ingram nur. »Trotzdem lobe ich mir unsere englischen Burgen. Dover Castle bewacht seit Jahrhunderten den Hafen, und nie haben feindliche Schiffe hier landen können. « Sie machte sich daran, die Blätter ihrer Pflanzen mit einem feuchten Tuch abzuwischen.
Charlotte wandte sich wieder ihrem Frühstück zu und staunte insgeheim über den Lokalpatriotismus der Zimmerwirtin. Vermutlich war Mrs. Ingram nie aus England hinausgekommen und doch zutiefst davon überzeugt, dass es kein schöneres Land als das ihre geben konnte. Nun, sie hatte sich jedenfalls vorgenommen, alles mit offenen Augen zu betrachten und das neue Land nicht ständig an der Heimat zu messen. Manches würde schlechter sein, anderes besser, vieles fremd, und eben das machte die Spannung aus. Sie war geradezu begierig darauf, möglichst viel zu sehen, Eindrücke zu sammeln, neuen Menschen zu begegnen.
Als sie zu Ende gefrühstückt hatte, verabschiedete sie sich von Mrs. Ingram, zog die Jacke an, setzte den Hut auf und griff nach ihrer Tasche. Sie standen sich im Hausflur gegenüber, und Charlotte wollte gerade zur Tür gehen, als die ältere Frau sie prüfend anschaute und dann kaum merklich den Kopfschüttelte.
»Was ist denn, Mrs. Ingram?«, fragte Charlotte verwundert und wollte schon nach ihrem Hut tasten. »Stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch ... Ich hatte ... Es war nur ein Gefühl.« Sie machte eine flüchtige Handbewegung. »Es ist nichts. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.«
Doch als Charlotte in Richtung Bahnhof ging, meinte sie, den Blick der Zimmerwirtin im Rücken zu spüren.
Der Himmel hatte sich verdüstert, und es fiel ein leichter Nieselregen. Charlotte war zeitig aufgestanden, damit sie vor der Abfahrt des Zuges noch ein Telegramm an Sir Andrew Clayworth aufgeben konnte, um ihn über ihre verspätete Anreise in Kenntnis zu setzen. Sie hoffte zudem, dass sie in Dorking nicht allzu lange am Bahnhof warten musste, denn das Wetter wurde zunehmend ungemütlich.
Beim Bahnhofsvorsteher bedankte sie sich noch einmal für die Hilfe, worauf er auf das Wetter zu sprechen kam und sich für den Regen entschuldigte, als trüge er persönlich die Schuld daran. »Das ist sehr ungewöhnlich, da wir zurzeit eigentlich eine lange Trockenheit erleben«, erklärte er.
Charlotte sah ihn erstaunt an, bis ihr einfiel, dass man in Großbritannien gern und ausführlich über das Wetter sprach. »Vielleicht bekommen wir ja einen schönen Herbst.«
Er nickte beflissen. »Das würde ich Ihnen wünschen, Miss, damit Sie unser Land von seiner besten Seite kennenlernen. Gleich kommt Ihr Zug. Gute Fahrt.«
»Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Freundlichkeit. Und richten Sie Ihrer Schwester meine Grüße aus.« Sie fragte sich, ob er wusste, dass Mrs. Ingram in ihrem Haus spiritistische Sitzungen abhielt. Plötzlich erschien ihr der kurze Augenblick der Furcht, der sie am Vorabend überkommen hatte, geradezu albern. Sie war kein Mensch, der an solchen Hokuspokus glaubte, und empfand beinahe Mitleid mit der Witwe, die auf diese Weise womöglich versuchte, den verlorenen Mann von den Toten zurückzuholen.
Ein Gepäckträger brachte ihre Koffer und wuchtete sie ins Abteil. Sie trat ans Fenster und winkte dem freundlichen Bahnhofsvorsteher noch einmal zu. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung und rollte in einer Dampfwolke aus dem Bahnhof. Charlotte warf noch einen letzten Blick auf die stolze Burg und die graue Weite des Ärmelkanals, bevor sie sich setzte und bequem zurücklehnte. Die vorletzte Etappe ihrer Reise war angebrochen.
Zuerst schaute sie aus dem Fenster und genoss den Blick auf die Landschaft, die im leichten Regen zu einem noch üppigeren Grün zu reifen schien. Die Strecke führte ein Stück an der Küste entlang, und der Kanal begleitete sie treu, bis die Schienen hinter Folkestone ins Landesinnere abbogen.
Es war eine sanfte Gegend mit welligen Hügeln, breiten Hecken, Dörfern mit Fachwerkhäusern und großen Kirchen aus grauem Stein, neben denen sich der Zug wie ein Fremdkörper ausnahm. Viele Kirchtürme waren eckig und erinnerten mit ihren Zinnen an die Bergfriede mittelalterlicher Burgen. Schafe weideten unter dem weiten Himmel. Besonders interessant fand Charlotte eine Reihe sonderbarer Bauwerkerunde Türme mit reetgedeckten Dächern, aus denen schräge weiße Spitzen wie Papiertüten ragten.
Sie kam mit einem älteren Herrn ins Gespräch, dessen Kragen ihn als Geistlichen auswies, und erkundigte sich, was es mit diesen Gebäuden auf sich hatte.
Der Herr, der sich als Reverend Horsley vorstellte, lächelte milde. »Das sind Hopfendarren, Miss. Die frischen Hopfenblätter werden geerntet, darin ausgebreitet und über einem Feuer getrocknet. Danach werden sie an die Brauereien geliefert.«
»Sie sehen hübsch aus, wie Zwergenmützen«, sagte Charlotte.
Der Reverend fragte höflich, woher sie komme, und bemerkte daraufhin: »In Ihrer Heimat wird es etwas Ähnliches wohl auch geben. Wie ich hörte, braut man in Deutschland ausgezeichnetes Bier.«
Sie unterhielten sich angeregt, wodurch die Fahrt wie im Flug verging. Er lobte ihre Aussprache und ihren Mut, sich eine Stellung im Ausland zu suchen. »Ich begrüße es sehr, wenn Kinder von geeigneten ausländischen Erzieherinnen unterrichtet werden. Es erweitert den Horizont und verbessert die Verständigung zwischen den Völkern. Gerade wir auf unserer Insel meinen oft, im Mittelpunkt der Welt zu stehen. Ein wenig Bescheidenheit wäre nicht nur angemessen, sondern auch christlich. Wie heißt es doch im Alten Testament? ›Wo Stolz ist, da ist auch Schmach; aber Weisheit ist bei den Demütigen.‹«
»Ich bin sehr froh, dass ich eine Stelle in England gefunden habe. Es war nicht ganz leicht, weil es so viele Hauslehrerinnen gibt.«
»Nach meiner Erfahrung hebt es das Ansehen einer Familie, wenn sie eine Dame aus Deutschland oder Frankreich als Gouvernante einstellt. Eine solche Verbindung ist für beide Seiten von Vorteil, und die Kinder können nur gewinnen, wenn sie eine fremde Sprache von einer Muttersprachlerin erlernen. Außerdem gelten deutsche Gouvernanten als ausgesprochen musikalisch.«
»Sie sind sehr freundlich, Sir«, erwiderte Charlotte. »Das macht mir Mut. Ich hoffe jedenfalls, dass man mich in Chalk Hill ebenso herzlich willkommen heißen wird.«
Sie merkte, wie der Geistliche stutzte. »Sagten Sie Chalk Hill?«
»Ja, das Haus von Sir Andrew Clayworth, dem Abgeordneten. Kennen Sie die Familie?«
Der Reverend wiegte den Kopf hin und her. »Ja ... Eine traurige Geschichte. Aber gut«, er rieb entschlossen seine Hände, als wollte er ein Kapitel abschließen, »›darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn‹, schreibt Paulus im Römerbrief. Und somit wollen wir nach vorn blicken.«
Charlotte stimmte ihm zu, doch die Bemerkung des Geistlichen hatte sie nachdenklich gemacht.
In Dorking fand sich ein Träger, der ihre Koffer aus dem Zug hob und auf einen Wagen lud, den er ins Gebäude schob. Als sich der Zug pfeifend wieder in Bewegung setzte und der Reverend Charlotte noch einmal durchs Fenster zuwinkte, war es, als fiele eine Tür hinter ihr zu. Nun war sie auf sich gestellt, es gab kein Zurück ins alte Leben.
Vor dem Bahnhof wartete keine Kutsche auf sie. Sie schaute sich unschlüssig um, doch die wenigen Menschen, die unterwegs waren, achteten nicht auf sie. Charlotte wagte nicht, jemanden anzusprechen. Sie konnte kaum ein zweites Mal auf einen so zuvorkommenden Helfer wie den Stationsvorsteher in Dover hoffen. Da sie ihr Gepäck bei sich hatte, war es nicht möglich, sich vom Bahnhof zu entfernen und im Ort nach einer Fahrgelegenheit zu fragen. Also blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten.
Plötzlich merkte Charlotte, wie hungrig sie war; das Frühstück lag schon eine Weile zurück und hielt wohl doch nicht so lange vor. Ihre heikle Lage hinderte sie jedoch daran, ein Restaurant oder eine Bäckerei aufzusuchen, um sich für die letzte Etappe der Reise zu stärken.
Sie stand vor dem Bahnhof, ihr Gepäck neben sich, die Tasche an sich gedrückt, und beobachtete das Kommen und Gehen. An der nächsten Ecke befand sich ein Hotel namens Star and Garter, und von dort sah sie die Rettung nahen. Ein halbwüchsiger Junge schob einen Verkaufswagen in Richtung Bahnhof und steuerte genau auf sie zu. Als er näherkam, hörte sie ihn rufen: »Rosinenbrötchen! Schinkensandwiches! Aal in Gelee, ganzfrisch!«
Die Vorstellung, um diese Tageszeit auf der Straße Aal zu essen, erschien befremdlich, doch Brötchen und Schinken waren ihr willkommen. Sie winkte den Jungen herbei und kaufte eins von jedem, wobei sie sorgsam die Münzen abzählte.
Der Junge tippte sich an die Mütze. »Danke, Miss!« Dann zog er auf der Suche nach weiteren hungrigen Bahnreisenden mit seinem Wagen davon.
Charlotte biss herzhaft in das Schinkensandwich. Sollte sie doch ruhig jemand dabei beobachten, ihr Hunger war größer als jegliche Scham. Sie war so ins Essen vertieft, dass sie gar nicht auf die Kalesche achtete, die vor dem Bahnhofsgebäude hielt. Sie kaute noch auf dem Brötchen, als eine Männerstimme sie von hinten ansprach. Charlotte fuhr zusammen, drehte sich um und errötete wegen ihres vollen Mundes.
Vor ihr stand ein Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen schlichten braunen Anzug und eine Tweedmütze trug. Um den Hals hatte er ein rotes Tuch geknotet. Sein stoppeliges Gesicht wirkte rau, aber freundlich.
»Miss Pauly?«
Charlotte nickte und schaffte es endlich, den Bissen hinunterzuschlucken.
»Ich bin Wilkins, der Kutscher, und soll Sie nach Chalk Hill bringen, Miss. Ich war gestern schon mal hier, aber da sagten sie im Bahnhof, der Zug von Dover wäre ausgefallen.«
»Das stimmt. Ich habe dort die Nacht verbracht und gleich heute Morgen ein Telegramm geschickt. Ich hoffe, es ist angekommen. «
Wilkins zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts. Sir Andrew hat mich hergeschickt, weil er damit rechnete, dass Sie heute den ersten Zug nehmen würden. Ist das Ihr ganzes Gepäck? «
Er deutete auf die beiden Koffer, worauf Charlotte nickte. Er schleppte sie zur Kutsche, verstaute sie im Gepäckabteil und half ihr beim Einsteigen. »Hier ist eine Decke, die Sie über die Beine legen können.«
Sie musste sich anstrengen, um seinen Dialekt zu verstehen, begrüßte aber seine hilfsbereite Art. Charlotte sah sich noch einmal um, bevor sie sich in die Polster zurücklehnte.
Die Familie Clayworth lebte nicht in Dorking selbst, sondern einem nahe gelegenen Dorf namens Westhumble.
»Kaum mehr als eine Meile entfernt, Miss«, erklärte der Kutscher vom Bock aus. »Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen ein bisschen die Gegend.«
»Ich bitte darum.«
Charlotte freute sich, etwas über die Umgebung zu erfahren, und wandte sich abwechselnd nach rechts und links, während Wilkins die Kalesche zur nahe gelegenen Landstraße lenkte. Dorking schien ein hübscher, kleiner Ort zu sein, und Charlotte hoffte, ihn bald näher kennenzulernen. Wenn Chalk Hill nicht weit entfernt war, konnte sie doch mit Emily ab und zu einen Ausflug in den Ort unternehmen. Sie wusste, dass Kinder in diesem Alter gewöhnlich ans Haus gebunden waren und selten unter Menschen kamen, doch hatte sie nie viel davon gehalten. In ihren Augen schadete es nicht, frühzeitig den Umgang mit Menschen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, die dem jungen Mädchen in seiner späteren Entwicklung zugutekämen. Natürlich würde sie keine stundenlangen Märsche planen, immerhin war Emily früher häufig krank gewesen, doch ein kleiner Ausflug nach Dorking oder ein Waldspaziergang wären sicher zu vertreten.
Zufrieden schaute Charlotte hinaus, während die Kutsche den Ort verließ und die Landschaft grüner und einsamer wurde.
»Das ist die Straße nach London«, erklärte Wilkins. »Aber Sir Andrew nimmt morgens den Zug in die Hauptstadt. Das ist bequem und viel schneller. Die Kutsche wird nur noch für Fahrten in die Umgebung benötigt.« Charlotte meinte, aus seiner Stimme ein leises Bedauern herauszuhören.
»Was ist das für ein Fluss dort drüben?«
»Der Mole. Er mündet in die Themse.«
»Kann man dort spazieren gehen?«
»Gewiss«, sagte Wilkins nach einem kaum merklichen Zögern. »Die Wege am Ufer sind sehr malerisch, Miss.«
Das wollte sich Charlotte für die Spaziergänge mit Emily Clayworth merken.
»Schauen Sie mal nach links, Miss.«
Dort war nichts zu sehen - außer der Einmündung eines Weges.
»Das ist der North Downs Way, einer der ältesten Wege Englands. Früher haben ihn die Pilger als Verbindung zwischen Winchester und Canterbury benutzt. Er führt auf den Box Hill hier rechts hinauf, ein beliebtes Ausflugsziel.«
Beinahe ehrfürchtig vernahm Charlotte die Namen der beiden alten Städte mit ihren berühmten Kathedralen. Es gab so viel zu entdecken, und sie hoffte, dass sie trotz ihrer zeitraubenden Tätigkeit - mit Urlaub war kaum zu rechnen - einmal die Gelegenheit finden würde, sie zu besuchen.
Die Kutsche schwenkte nach links und folgte dem Wegweiser nach Westhumble. Sie kreuzten eine Bahnlinie, worauf Wilkins nach hinten rief: »Wie Sie sehen, Miss, haben wir hier auch einen Bahnhof, aber die Züge fahren nicht nach Dover. Daher mussten Sie in Dorking aussteigen.«
Kurz hinter dem Bahnhof bogen sie nach rechts ab. Jenseits der Straße lagen ausgedehnte Wälder, die schon begonnen hatten, ihr warmes rotbraunes Herbstkleid anzulegen. In der Ferne war auf einer Anhöhe ein weißes Herrenhaus zu erkennen.
»Wir sind fast da, Miss. Rechts liegen Nicols Field und Beechy Wood, und hinter dem Wald fließt der Mole. Eine hübsche Gegend, zu jeder Jahreszeit. Da drüben auf dem Hügel können Sie Norbury Park sehen. Das Haus ist knapp über hundert Jahre alt.«
Die Crabtree Lane war eine lange, schmale Straße, die von eleganten, frei stehenden Häusern mit großen Gärten gesäumt wurde. Alte Steinmauern, über die sich die ausladenden Äste gewaltiger Bäume wölbten, schirmten die Grundstücke zur Straße hin ab. Eine angenehme Gegend, dachte Charlotte, in der man sich wohlfühlen konnte.
Wilkins bog durch ein Tor auf der rechten Straßenseite, und die Kalesche rollte knirschend über eine kiesbestreute Auffahrt. Charlotte reckte den Hals, um das Haus zu sehen. Als es hinter den Büschen auftauchte, hielt sie den Atem an.
Es war aus Backstein erbaut und überaus stattlich. Der breite, nach vorn gerichtete Giebel war mit schwarz-weißem Fachwerkverziert, und die großzügigen Fenster ließen auf helle Räume hoffen. Am entzückendsten war jedoch der runde Turm, der das Gebäude an einer Ecke flankierte, wodurch es an ein Schloss erinnerte. Links neben dem Haus lag die Remise. Das ganze Haus wurde von hohen Bäumen eingerahmt und sah bezaubernd und sehr englisch aus.
»Herzlich willkommen in Chalk Hill, Miss.« Wilkins nahm ihr die Decke ab und half ihr beim Aussteigen. Während er sich am Gepäckabteil zu schaffen machte, wurde die Haustür von einer Frau in einem hochgeschlossenen schwarzen Kleid geöffnet. Sie trug das grau melierte Haar streng nach hinten frisiert und zu einem Knoten gesteckt. Sie kam nicht heraus, sondern blieb reglos auf der Schwelle stehen und schaute Charlotte entgegen, die eine plötzliche Beklommenheit verspürte. In der Haltung der Frau lag etwas Abweisendes.
Charlotte holte tief Luft. Wenn sie in ihren Jahren als Hauslehrerin eines gelernt hatte, dann, dass sie sich nicht verletzlich zeigen durfte, weder den Herrschaften noch den Schülern oder Dienstboten gegenüber. Wenn man angreifbar war, wurde man auch angegriffen, so einfach war das. Die Menschen spürten das. Sie drückte die Schultern nach hinten und ging langsam auf die Frau zu.
Endlich trat diese einen Schritt vor und senkte kaum merklich den Kopf. »Mrs. Evans, die Haushälterin von Sir Andrew. Sie sind Miss Pauly?« Sie sprach ihren Namen englisch aus, mit einem langen O, daran würde sich Charlotte wohl gewöhnen müssen.
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie hatten trotz der Verzögerung eine angenehme Reise.« Sie trat beiseite, um Charlotte hereinzulassen.
»Danke sehr.«
Charlotte schaute sich in der Eingangshalle um und staunte über die erlesene Schönheit der Einrichtung. Die Haustür war mit einem Fenster aus buntem Glas versehen, der schwarz-weiße Fliesenboden makellos. Das Geländer der breiten Treppe, die an der linken Seite in den ersten Stock führte, bestand aus glänzend poliertem honigbraunem Eichenholz. Die mit rotem Stoff bespannten Wände wirkten warm und einladend, und ein großer Spiegel mit goldenem Rahmen ließ den Raum noch großzügiger erscheinen. In diesem Augenblick durchbrach die Sonne die Wolken, traf auf die Scheibe in der Haustür und malte ein buntes Prisma auf den Boden. Charlotte hielt die Luft an, so schön war dieser Anblick.
»Wilkins bringt Ihr Gepäck nach oben. Ich nehme an, Sie möchten einen kleinen Imbiss einnehmen.«
Charlotte verschwieg, dass sie auf offener Straße gegessen hatte.
»Danke, gern.«
Die Haushälterin geleitete sie in einen Flur, der links von der Halle abzweigte und zur Küche und den übrigen Wirtschaftsräumen führte. Mrs. Evans öffnete die Tür eines kleinen Speisezimmers und bot ihr einen Platz an, bevor sie den Raum verließ.
Charlotte hätte gern gefragt, wann sie ihren Arbeitgeber und dessen Tochter kennenlernen würde, doch die Haushälterin war allzu schnell verschwunden, als hätte sie sich gerade einer lästigen, aber notwendigen Aufgabe entledigt. Die Position einer Gouvernante war immer heikel. Sie gehörte nicht zu den Dienstboten, aber auch nicht zur Herrschaft; man duldete sie bei den Mahlzeiten, meist aber am entlegenen Ende des Tisches inmitten der Kinder oder gar an einem eigenen Tisch, zusammen mit ihren Schützlingen. Oftmals hatte sie die Herablassung ihrer Arbeitgeber und die Feindseligkeit des Personals zu ertragen.
All das wusste Charlotte und hatte sich innerlich gewappnet; doch als sie nun allein in diesem fremden Haus saß und zur Tür blickte, wurde sie dennoch unsicher. Sie stand auf und trat ans Fenster, durch das sie in einen zauberhaften Garten blickte. Es gab keine abgezirkelten Beete, sondern einzelne bunte Flecken von Chrysanthemen, Gerbera und Astern, die sich zu einem riesigen bunten Strauß fügten. Seine Farben leuchteten so lebhaft, dass Charlotte am liebsten die Hand ausgestreckt hätte, um die Blumen zu pflücken. Das Gras bildete einen dichten grünen Teppich unter den alten Bäumen. Sie war so vertieft in den Anblick, dass sie zusammenzuckte, als es an die Tür klopfte und ein junges Hausmädchen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und weißem Häubchen eintrat und ein Tablett auf den Tisch stellte. Es knickste.
»Herzlich willkommen, Miss. Ich bin Susan. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen ...«
Sie trug ihr einen Teller mit kaltem Braten und eingelegtem Gemüse und dazu geröstetes Brot und Butter und eine kleine Kanne Tee auf.
»Wenn Sie noch etwas benötigen, klingeln Sie bitte.« Das Mädchen knickste noch einmal und wandte sich zur Tür, doch Charlotte sprach es hastig an: »Susan, kannst du mir sagen, ob Sir Andrew zu Hause ist?«
»Er ist nicht hier, Miss, er kommt erst heute Abend aus der Stadt zurück. Am Nachmittag steht noch eine Sitzung im Parlament an.«
»Und Miss Emily?«
»Sie ist beim Pfarrer in Mickleham zu Besuch. Wenn sie zurückkommt, können Sie sie sicher sehen.«
Mit diesen Worten war sie verschwunden.
Charlotte begann zu essen, hatte aber keinen rechten Appetit, was nicht nur daran lag, dass sie bereits etwas gegessen hatte. Sie zwang sich, gründlich zu kauen und jeden Bissen mit einem Schluck Tee hinunterzuspülen. Die Stille im Raum war so vollkommen, dass sie ihren eigenen Herzschlag zu hören meinte.
Nach einer Ewigkeit - so kam es ihr jedenfalls vor - erklangen Schritte, und Mrs. Evans trat ein, gefolgt von Susan. »Haben Sie gegessen, Miss Pauly?«
»Danke, es war sehr gut.« Sie schob den Teller beiseite und erhob sich.
Die Haushälterin deutete mit einer Geste, die unauffällig und herrisch zugleich wirkte, auf die Tür. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.«
Sie führte Charlotte zurück in die Eingangshalle und dieTreppe hinauf in den ersten Stock - und das in einem so raschen Tempo, dass sich Charlotte kaum die weitere Einrichtung des Hauses anschauen konnte. Was auffiel, war die Stille, die hier herrschte. Die Schritte wurden gedämpft von den Läufern auf den Stufen und den Orientteppichen, die die Dielen bedeckten.
Die schmale Gestalt der Haushälterin bewegte sich anmutig, während sie mit einer Hand den Rock gerafft hielt. Charlotte kam sich mit ihren Reisestiefeletten und dem Wollkostüm fast plump vor.
Als sie auf dem Treppenabsatz standen, deutete Mrs. Evans auf eine Tür zu ihrer Linken. »Hier befindet sich Miss Emilys Zimmer. Rechts daneben ist das Schulzimmer, in dem Sie sie unterrichten werden. Sir Andrews Räume liegen im Erdgeschoss. « Sie ging weiter, ohne Charlotte die Zimmer zu zeigen, und öffnete eine Tapetentür am anderen Ende des Flurs, hinter der eine steinerne Wendeltreppe in großzügigen Windungen nach oben und nach unten führte. In regelmäßigen Abständen boten kleine Fenster, die an die Schießscharten mittelalterlicher Burgen erinnerten, einen Blick nach draußen.
Mrs. Evans ging vor Charlotte her die Treppe hinauf. Nun wurde dieser klar, wo sich ihr Zimmer befand - in dem hübschen Turm an der rechten Seite des Hauses, dessen Anblick sie von außen so entzückt hatte. Mrs. Evans öffnete eine Tür und ließ Charlotte eintreten. Diese holte tief Luft und drehte sich im Kreis, um das atemberaubende Zimmer in sich aufzunehmen. Es war kreisrund, die Fenster ließen viel Licht herein. Die Möbel waren maßgefertigt und fügten sich perfekt in die Rundungen der Mauer. Der Teppich war zwar fadenscheinig, aber hübsch gemustert, und an den Wänden hingen bunte Aquarelle, die Landschaften zeigten, vermutlich aus der näheren Umgebung. Auf dem Bett lag eine blaue Tagesdecke, daneben stand der Waschtisch mit einem Krug, einer blitzsauberen Porzellanschüssel und einem Handtuchhalter. Es gab auch einen kleinen Sekretär, auf dem ein Tintenfass bereitstand und ein Stapel Schreibpapier angeordnet war.
Ihre beiden dunkelbraunen Koffer wirkten wie Fremdkörper in dem freundlichen, hellen Zimmer.
»Das ist ein schöner Raum, Mrs. Evans. Hier werde ich mich sicher wohlfühlen.«
Noch immer blieb die Miene der Haushälterin unbewegt. »Von hier aus sind Sie rasch im Schulzimmer und bei Miss Emily.«
»Gewiss.«
Sie schaute sich noch einmal um. »Das Zimmer sieht ... so bewohnt aus. Als hätte jemand es mit viel Liebe eingerichtet.«
»Dies war das Jungmädchenzimmer von Lady Ellen Clayworth. Sie ist hier aufgewachsen - es war ihr Elternhaus.«
Charlotte wartete ab, ob sie noch mehr über die verstorbene Hausherrin erfahren würde, doch Mrs. Evans sagte nur: »Ich lasse Sie jetzt allein. Sie können in Ruhe auspacken und werden später gerufen.«
Charlotte blieb reglos stehen, bis sich die Tür geschlossen hatte und die Schritte auf der Treppe verklungen waren. Dann drehte sie sich einmal um sich selbst, um ihr neues Zuhause abermals in Augenschein zu nehmen. Es war ein wirklich reizendes Zimmer. Dennoch erschien es ihr sonderbar, dass man es einer Fremden gegeben hatte, wo doch der Hausherr traurige Erinnerungen damit verband. Oder hatte er es gerade deshalb getan - um die Geister zu vertreiben?
Sie schüttelte den Kopf. War es das Erlebnis vom Vorabend, das sie auf diese törichten Gedanken brachte?
Dann trat sie an ein Fenster und schaute hinaus. Von hier aus sah sie die Straße, über die sie vorhin angekommen war; die anderen Fenster blickten auf den großen Garten und den Wald dahinter.
Entschlossen wandte sich Charlotte vom Fenster ab und machte sich daran, die Koffer auszupacken und sich ein wenig einzurichten.
Bald hatte sie alles in den Schrank und die Kommode geräumt, die Schulbücher, die sie mitgebracht hatte, in ein Regal gestellt, und eine Fotografie ihrer Eltern und Schwestern auf den Nachttisch. Nun setzte sie sich aufs Bett und wartete. Im Haus war kein Laut zu hören. Irgendwann vernahm sie, wie Räder auf dem Kies der Einfahrt knirschten, und schaute hinaus. Sie konnte nicht sehen, wer ausstieg; vielleicht war Miss Emily von ihrem Besuch beim Pfarrer zurückgekehrt.
© 2014 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Dann glitt sie unvermittelt auf dem feuchten Laub aus und konnte sich gerade noch an einem Baumstamm abstützen. Ihr Herz schlug heftig. Sie biss die Zähne aufeinander und schloss für einen Moment die Augen. Auf einmal spürte sie die Kälte ihrer Füße, die eisige Feuchtigkeit, die hochstieg zu den Knöcheln, an den Beinen emporkroch, die Knie erreichte ...
Sie zwang sich weiterzugehen. Dies war ihr Wald, er hatte ihr schon als Mädchen gehört. Er war immer ihr Freund gewesen, vor ihm würde sie sich nicht fürchten. Als sich die Bäume lichteten, blieb sie stehen und holte tief Luft. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute empor zum Himmel, zum Mond. Dann breitete sie die Arme aus, als wollte sie die Nacht umfassen.
1
September 1890, Dover
Charlotte Pauly stand an der Reling und blickte über das graue Wasser, wo aus dem Dunst allmählich ein weißer Schimmer auftauchte. Beim Näherkommen schien sich wie von selbst ein Bild zu formen, nahmen die verschwommenen Konturen Gestalt an und wurden zu einer breiten Kette weißer Klippen, gekrönt von noch sommerlich grünen Wiesen. Es sah aus, als hätte eine gewaltige Axt ein Stück Land mit einem Hieb abgetrennt, sodass sich das Übriggebliebene nicht sanft zum Ufer hin absenkte, sondern abrupt an der Meeresküste endete. Charlotte stellte sich vor, wie das abgetrennte Stück ins Meer gekippt und inmitten einer gewaltigen Welle versunken war.
Die weißen Klippen wirkten nicht abweisend, sondern winkten sie herbei, luden sie ein in dieses Land, das ihr neues Zuhause werden sollte. Charlotte atmete tief durch, um die widerstreitenden Gefühle, die in ihr tobten, zu besänftigen. Vorfreude, Anspannung, Heimweh, Entschlossenheit, Zweifel - all das kämpfte in ihrem Inneren um die Oberhand. Sie spürte, wie das Land hinter ihr, der Kontinent, den sie verlassen hatte, sanft an ihr zog und sie gleichzeitig fortstieß. Natürlich war Deutschland ihre Heimat, dort hatte sie ihr bisheriges Leben verbracht, und der Gedanke, vorerst nicht dorthin zurückzukehren, nicht mehr die vertraute Sprache zu hören, lag wie ein Schatten auf ihrer Seele.
Andererseits hatten die vergangenen Monate Wunden hinterlassen, die in der Heimat nicht verheilt wären. Die Suche nach einer Stelle in England, der Abschied von ihrer Familie, das Packen der Koffer und das Buchen der Überfahrt nach Dover waren dringend nötig gewesen, rasche Schnitte, die einem langsamen, schmerzhaften Zerreißen vorzuziehen waren.
Ihre Mutter hatte kein Verständnis für ihren Schritt gezeigt. »Was ist denn geschehen, Kind?«
Charlotte hatte nur den Kopf geschüttelt.
»Du kannst nicht einfach fortlaufen, weil du unglücklich oder mit deiner Stellung unzufrieden warst, das ist unvernünftig. Du hättest dir eine neue Arbeit anderswo in Deutschland suchen können. In Bayern vielleicht. München soll sehr schön sein, dann hättest du mit den Herrschaften in die Alpen oder nach Italien reisen können ...«
Um weitere unerwünschte Fragen zu vermeiden, hatte Charlotte erwidert, sie müsse Erfahrungen im Ausland sammeln, um ihre Schülerinnen und Schüler später besser Englisch lehren zu können.
»Wer braucht denn Englisch? Französisch ist die Sprache der eleganten Gesellschaft«, hatte die Mutter geantwortet. »Wenn du schon einen Beruf ergreifen musst, statt zu heiraten wie deine Schwestern, kannst du ihn wenigstens in der Heimat ausüben. Es gehört sich nicht für eine junge Frau, allein ins Ausland zu reisen. Und in einer guten Stellung ergibt sich vielleicht die Gelegenheit, einen passablen jungen Mann ...«
Bevor ihre Mutter den Satz zu Ende sprechen konnte, hatte Charlotte die Tür der Stube hinter sich zugeschlagen. In den folgenden Tagen hatte die Mutter wiederholt versucht, sie umzustimmen, und ihr Vorwürfe gemacht, sie sei hartherzig und lasse sie, die doch verwitwet sei, allein zurück. Da ihre beiden verheirateten Töchter allerdings in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten, konnte Charlotte diesen Versuch, ihr ein schlechtes Gewissen zu bereiten, nicht ernst nehmen. Sie waren nicht im Streit, aber doch in einer Missstimmung auseinandergegangen, was Charlotte bedauerte. Umgestimmt hatte es sie nicht.
»Immer wieder ein schöner Anblick«, sagte eine tiefe, rau klingende Männerstimme neben ihr.
Charlotte tauchte aus ihren Gedanken auf und schaute den Herrn an, der an ihre Seite getreten war. Sein dichter Schnurrbart war vom Tabak gelb verfärbt, doch ansonsten wirkte er gepflegt und lüftete den Hut, als stünde er einer Lady gegenüber.
»Sie sind in England zu Hause?«, fragte Charlotte.
»In der Tat. Darf ich mich vorstellen? William Hershey. Ich bin Kaufmann und weit gereist«, er machte eine vage Handbewegung in die Richtung, die hinter ihnen lag und die vermutlich Frankreich, Europa und den Rest der Welt umfassen sollte, »doch nichts rührt mein Herz wie der Anblick dieser Klippen. Sie gestatten? « Er hob die rechte Hand, in der er eine Pfeife hielt, worauf Charlotte nickte.
»Es sieht wirklich sehr schön aus.«
»Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?« Er paffte mehrfach an der Pfeife, bis sie zog, dann warf er das Zündholz über die Reling. »Ich höre einen leichten Akzent. Niederlande? Skandinavien? «
»Charlotte Pauly. Ich komme aus Deutschland.«
»Deutschland, ausgezeichnet. Bin öfter dort unterwegs, Berlin, Hannover, Hamburg. Gute Geschäftsleute, sparsam und gewitzt. Hamburg gefällt mir, der Hafen, die Eleganz und die feine Lebensart. Berlin ist auf seine Art auch beeindruckend, wenn gleich ein bisschen ungemütlich. Kalte Pracht, wenn Sie mich verstehen. Preußische Strenge.«
»Ich habe eine Weile dort gearbeitet«, erwiderte Charlotte.
»Gearbeitet?« Mr. Hershey klang verwundert, als würde ihm erst in diesem Augenblick bewusst, dass Charlotte keine Lady war.
»Als Hauslehrerin bei einer Familie.«
»Verstehe, eine Gouvernante.« Sie meinte, eine leichte Herablassung in seiner Stimme zu hören. Charlotte war Snobismus gewöhnt und antwortete ruhig: »Ich betrachte mich vor allem als Lehrerin. Im Deutschen hat der Begriff Gouvernante etwas Altmodisches und Strenges, das nicht meinem Wesen entspricht. Viele Leute wollen ihre Kinder in ein Korsett von Anstandsregeln zwängen, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Das ist nicht meine Art.«
Mr. Hershey überraschte sie mit seinem dröhnenden Gelächter. »Das ist gut, Miss Pauly, wirklich gut. Eine Frau, die sagt, was sie denkt.«
»Sollten das nicht alle Frauen tun?«
»Hm, mir scheint, dass die meisten dazu erzogen werden, gerade das nicht zu tun«, erwiderte er unbekümmert. »Ich für meinen Teil habe nur Söhne, bei denen nimmt man das nicht so genau. Da gilt eine gewisse Forschheit sogar als Charakterstärke und soll tunlichst gefördert werden. Wie halten Sie es denn mit Ihren Schützlingen, wenn ich fragen darf?«
Sie lächelte. Ein neugieriger Mann, aber nicht unsympathisch. »Nun, ich bemühe mich, die Mädchen zu Ehrlichkeit und Höflichkeit zu erziehen. Natürlich gibt es Situationen, in denen allzu große Ehrlichkeit verletzen kann. Dies zu erkennen und taktvolles Verhalten zu lehren betrachte ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben neben der Vermittlung von Schulwissen.«
Er nahm erneut den Hut ab. »Chapeau, Miss Pauly, Sie sind eine verständige Frau. Ich will ehrlich sein: Eigentlich bin ich ganz froh, dass meine Frau und ich nur Söhne haben. Das macht vieles einfacher. Schule, Sport, ein bisschen Raufen, sich behaupten lernen, das ist doch das Wichtigste. Zwei meiner Jungen sind in die Firma eingetreten, der dritte fährt zur See. Bekommt demnächst sein Kapitänspatent. Da gibt es kein Getue, keine Empfindlichkeiten, jeder erledigt seine Arbeit und erntet den Lohn dafür.«
Charlotte wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. »In Deutschland habe ich auch Jungen unterrichtet und gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. Wenn man sie richtig zu nehmen weiß, sind sie fleißig und folgsam. Bei uns existiert die Sitte nicht, Jungen mit acht Jahren in ein Internat zu schicken. In England werde ich hingegen nur ein kleines Mädchen unterrichten.«
»Darf ich fragen, in welche Gegend es Sie zieht?«
»Nach Surrey, in die Nähe von Dorking«, entgegnete Charlotte.
»Die Hügel von Surrey, eine reizende Landschaft mit hübschen Orten. Dort gibt es Wälder, die seit Cromwells Zeiten keine Axt gesehen haben. Sie können sich glücklich schätzen.« Er warf einen Blick auf den näher rückenden Hafen von Dover, über dem eine trutzige Burg aufragte. »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie sich in unserem Land wohlfühlen«, sagte er herzlich und lüftete zum Abschied noch einmal den Hut.
Als Charlotte allein war, schaute sie wieder hinüber zur Felsküste und stellte sich vor, wie viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Absichten und Hoffnungen diese Meerenge überquert hatten - fromme Mönche, die das Christentum unter den heidnischen Briten verbreiten wollten; kriegerische Normannen auf hölzernen Schiffen, bereit, das Land hinter den Kreidefelsen zu erobern; französische Soldaten, niederländische Kaufleute, Reformatoren, Flüchtlinge. Flöße, Ruderboote, stolze Segler, Lastkähne und mit Dampf betriebene Schiffe, eine nicht enden wollende Kette, die Menschen, Waren und Waffen hin und her beförderte. Sie schloss die Augen und sah den Kanal, wie er vor Jahrhunderten gewesen war, ein schmaler Streifen Wasser und doch immer eine Gefahr, denn nicht alle Schiffe erreichten sicher ihr Ziel. Hier war vor fast achthundert Jahren das Schiff des englischen Thronfolgers gesunken. Von diesen Küsten aus waren Kriegsflotten in beide Richtungen aufgebrochen, um das verlockend nah erscheinende andere Ufer zu erobern.
Und wonach suchte sie? Wer in die Fremde aufbrach, wollte für gewöhnlich etwas hinter sich lassen. Natürlich hätte sie weiter in Deutschland arbeiten können, doch der Drang, neu zu beginnen, war stärker gewesen. Sie wollte die Begegnung mit alten Bekannten aus Berlin verhindern, wollte an einem Ort leben, an dem es keine wissenden Blicke und tuschelnden Münder gab. Sie hatte sich für eine Stelle auf dem Land entschieden, während sie zuletzt in der Großstadt Berlin gewohnt hatte. Sie wollte alles anders machen als bisher.
Charlotte holte tief Luft und straffte die Schultern, während sie das Gesicht in den Wind hielt. Ein neues Land, ein neuer Anfang. Ein Abenteuer.
Das Bahnhofsgebäude, das unmittelbar am Hafen lag, besaß einen hübschen Turm, der ihm etwas Italienisches verlieh. Charlotte hatte einen Gepäckträger gefunden, der ihre schweren Koffer vom Schiff dorthin schleppte.
Es herrschte reger Betrieb. Überall ankerten kleine und große Schiffe, Dampfer und altmodische Segler, Pferdewagen wurden be- und entladen, Passagiere stiegen in wartende Kutschen, ein Güterzug hielt pfeifend auf dem nahen Bahnsteig. Die englischen Wörter, die an Charlottes Ohr schlugen, klangen fremd und völlig anders als die ihrer Lehrerinnen. Dies hier war kein Klassenzimmer, sondern die Wirklichkeit. Hier war sie die Fremde, deren Sprache kaum jemand verstand.
Bevor ihr das Herz schwer werden konnte, drückte sie die Handtasche an sich, um sie im Gedränge zu schützen, und eilte hinter dem Gepäckträger her, der ihre Koffer ins Bahnhofsgebäude wuchtete. Sie gab ihm einige Pennys, die er mit einem Nicken einsteckte, bevor er in der Menge verschwand. Charlotte schaute auf den vergilbten Fahrplan, der in einem Glaskasten hing.
Der Sekretär von Sir Andrew Clayworth, einem Parlamentsabgeordneten, der ihr künftiger Arbeitgeber sein würde, hatte ihr einen Brief mit genauen Reiseanweisungen geschickt. Sie musste von Dover aus den Zug nach Dorking in der Grafschaft Surrey nehmen, wo ein Wagen sie am Bahnhof abholen würde. Die Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Schiff und Eisenbahn waren genau aufeinander abgestimmt. Charlotte schaute besorgt auf die Uhr, da es schon später Nachmittag war. Sie würde Dorking gewiss erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.
Der Zug sollte um halb sechs kommen, ließ aber auf sich warten. Andere Fahrgäste schlenderten unruhig umher, rauchten, schauten wiederholt zur Uhr hinauf oder warfen einen Blick auf den Fahrplan. Die Schatten wurden länger, und eine herbstliche Kühle vertrieb die letzte Wärme des Septembernachmittags. Ein Windstoß wirbelte Laub umher und zerrte an den Hüten der Wartenden.
Um acht Minuten nach sechs trat der Stationsvorsteher in seiner schmucken Uniform zwischen die Fahrgäste und verkündete, der Zug werde wegen eines Unfalls an der Strecke kurz vor Dover an diesem Tag nicht mehr verkehren. Ein Pferdefuhrwerksei auf den Gleisen verunglückt, man werde die Strecke nicht kurzfristig räumen können. Die Arbeiten bei Laternenlicht würden bis in den späten Abend andauern.
Charlotte stand wie betäubt da. Einige Passagiere zuckten nur mit den Schultern und verließen das Bahnhofsgebäude, während sich andere zögernd umschauten. Vermutlich waren sie ähnlich verunsichert wie Charlotte.
Sie schluckte. Ruhe bewahren, das war am wichtigsten. Sie musste eine Unterkunft für die Nacht finden und gleich am nächsten Morgen den ersten Zug nehmen. Eine Möglichkeit, ihren Arbeitgeber zu benachrichtigen, gab es nicht. Oder vielleicht doch - mit einem Telegramm? Was würde das wohl kosten? Aber das Postamt hatte sicher schon geschlossen.
Während sie noch unschlüssig dastand, trat der Stationsvorsteher, ein freundlicher Herr mit weißem Schnurrbart, auf sie zu.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?«
Charlotte schilderte ihre heikle Lage, worauf er mitfühlend nickte. »In der Tat, das Postamt hat geschlossen. Auch weiß ich nicht, ob ein Telegramm rechtzeitig angekommen wäre, wenn Ihr Ziel, wie Sie sagen, ein Stück außerhalb von Dorking liegt. Am besten nehmen Sie sich ein Zimmer. Der erste Zug morgen geht um halb neun. Ihre Fahrkarte bleibt gültig; ich werde einen Vermerk anbringen.«
»Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Charlotte und fasste neuen Mut. »Können Sie mir vielleicht eine Pension empfehlen, in der ich ein - günstiges Zimmer bekomme?«
Er lächelte. »Zufällig ja, Miss. Meine verwitwete Schwester wohnt unweit vom Hafen und vermietet Zimmer an Durchreisende. Ein kräftiges Frühstück ist im Preis inbegriffen.«
»Ich danke Ihnen vielmals.« Sie warf einen Blick auf ihre Koffer.
»Wenn Sie das Nötige in Ihre Tasche packen, schließe ich die Koffer hier im Bahnhof für Sie ein.«
Der Bahnhofsvorsteher wehrte ihren Dank ab, notierte Namen und Adresse seiner Schwester und trat mit Charlotte vor das Gebäude, um ihr den Weg zu erklären.
Als sie allein auf der Straße stand, atmete sie tief durch. Der Wagen von Sir Andrew würde in Dorking vergeblich auf sie warten. Es machte keinen guten Eindruck, wenn sie schon bei der Ankunft unzuverlässig war. Hoffentlich bekam der Kutscher mit, dass ihr Zug gar nicht kommen würde. Sie schluckte und biss sich auf die Lippen. In ihren Augen brannten Tränen.
Wie von Zauberhand durchbrach in diesem Augenblick die Sonne noch einmal die Wolken und warf einen fächerförmigen Strahl auf die Klippen jenseits des Hafens. Sie tauchte die grauen Mauern der Burg in ein goldenes Licht. Hingerissen stand Charlotte da und betrachtete die trutzigen Mauern und Türme, die von ihrem Platz aus so unversehrt und stark erschienen, als wäre das Zeitalter der Ritter nie zu Ende gegangen.
Charlotte betätigte den Türklopfer an dem Reihenhaus aus rotem Backstein, das ihr der Bahnhofsvorsteher genannt hatte. Durch ein großes Erkerfenster neben der grün gestrichenen Haustür fiel ein schwacher Lichtschein auf die Straße.
Mrs. Ingram entpuppte sich als korpulente Frau mittleren Alters, die schnaufend die Tür öffnete, als wäre sie die Treppe heruntergelaufen. Sie schob eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, und schaute Charlotte fragend an.
»Guten Abend, Mrs. Ingram. Ich soll Sie von Ihrem Bruder, dem Stationsvorsteher, grüßen. Mein Zug ist ausgefallen, und er sagte, Sie hätten vielleicht ein Zimmer für mich.«
Mrs. Ingram musterte sie streng. »Sie reisen allein?«
»Ja. Ich fahre morgen weiter nach Surrey.«
»Sie sind nicht von hier?«
Charlotte schüttelte den Kopf und stellte sich vor.
»Aus Deutschland? Da haben Sie eine weite Reise hinter sich.« Die Frau wirkte nun etwas nachgiebiger. »Kommen Sie herein. Martin hat ein weiches Herz. Er schickt mir immer seine verlorenen Passagiere.«
Charlotte trat in den Flur, in dem es angenehm nach Bohnerwachs und Zitrone roch. Mrs. Ingram deutete auf eine Tür. »Dort gibt es Frühstück, von sieben bis halb neun. Ihr Zimmer ist oben.«
Charlotte erkundigte sich nach dem Preis, worauf Mrs. Ingram eine Summe in Shilling und Pence nannte, die ihr nichts sagte, bis sie sie im Kopf umgerechnet hatte. Der Preis war angemessen.
»Zahlbar im Voraus«, fügte die Zimmerwirtin hinzu.
Charlotte öffnete ihre Handtasche, holte die Geldbörse hervor und zählte die Münzen ab.
»Leider kann ich Ihnen heute Abend nichts mehr zu essen anbieten, da ich Besuch erwarte. Ich zeige Ihnen das Zimmer und werde Ihnen den Weg zu einem kleinen Gasthaus in der Nachbarschaft erklären, in dem Sie als allein reisende Frau eine warme Mahlzeit bekommen.«
Charlotte nickte dankbar und folgte Mrs. Ingram, die mit einer Petroleumlampe den Weg leuchtete, die schmale, mit einem dunkelgrünen Läufer ausgelegte Treppe in den ersten Stock hinauf. Das Haus war peinlich sauber, aber dunkel. Die Holztäfelung der Wände, die Tapeten und Möbel waren in Braun- und dunklen Grüntönen gehalten, die an einen dichten Wald erinnerten.
Mrs. Ingram öffnete eine Tür und ließ Charlotte eintreten. Das Zimmer besaß ein Fenster, das auf den Hafen blickte, und war ebenso sauber und düster wie das übrige Haus. Selbst die Bilder an den Wänden zeigten Herbstlandschaften, die sich nahtlos in die Atmosphäre des Hauses fügten.
Dennoch war Charlotte dankbar, für die Nacht günstig untergekommen zu sein. »Das ist sehr angenehm, Mrs. Ingram, vielen Dank. Ich würde gern etwas essen und mich dann zurückziehen.«
Die Zimmerwirtin begleitete sie wieder ins Erdgeschoss, trat mit ihr vor die Haustür und deutete auf ein hell beleuchtetes Eckhaus, das etwa hundert Meter entfernt lag. »Sie sehen, es ist ganz in der Nähe. Wenn Sie zurückkehren, bin ich unabkömmlich. Unter diesem Blumenkübel liegt ein Schlüssel. Gehen Sie bitte leise nach oben.«
Charlotte bedankte sich noch einmal und spazierte in der herbstlichen Dämmerung zu dem Gasthaus hinüber.
Wie Mrs. Ingram prophezeit hatte, empfing man sie ohne Neugier, wies ihr einen angenehmen Platz am Kamin zu und bediente sie rasch und zuvorkommend. Sie bestellte eine Pastete mit einer Füllung aus Fleisch und Gemüse, die sich als durchaus wohlschmeckend erwies, und trank dazu eine kleine Kanne Tee. Als sie satt war, lehnte sie sich auf der Sitzbank zurück und gestattete sich einen Moment der Zufriedenheit.
Hätte man ihr vor einigen Monaten gesagt, sie würde sich eine Stelle im Ausland suchen und allein den Ärmelkanal überqueren, hätte sie es nicht geglaubt. Schon der Schritt von dem kleinen Dorf in Brandenburg nach Berlin war gewaltig gewesen, doch in nichts mit diesem Sprung übers Wasser zu vergleichen.
Charlotte bezahlte, zog ihre Jacke an und machte sich auf den Heimweg.
Ein frischer Wind zerrte an ihrem Rock, und vom Wasser her ertönte Möwengeschrei. Sie war froh, dass sie trotz der Jahreszeit eine vergleichsweise ruhige Überfahrt erlebt hatte. Wenn richtige Herbststürme tobten, hätte sie sich sicher nicht aufs Meer gewagt.
Die Burg ragte wie ein dunkler Schatten über der Stadt empor. Charlotte nahm sich vor, einmal im Sommer herzukommen und über die Klippen zu spazieren, die gewiss eine atemberaubende Sicht auf den Kanal boten. Vielleicht konnte man bei klarem Wetter sogar bis ans französische Ufer blicken.
Vor dem Haus angekommen, fischte sie den Schlüssel unter dem Blumenkübel hervor und schloss die Tür auf. Sie legte ihn zurück, trat ein und wollte auf Zehenspitzen zur Treppe gehen, als ein Geräusch sie innehalten ließ. Es kam aus dem vorderen Zimmer, dessen Erkerfenster auf die Straße blickte.
Charlotte wollte eigentlich nicht lauschen, doch die Laute, die aus dem Zimmer drangen, waren so sonderbar, dass sie unwillkürlich die Ohren spitzte.
Sie hörte eine Frauenstimme, die in einer Art Singsang sprach. Im ersten Augenblick vermutete sie ein Gebet. Aber nein, es klang anders, irgendwie befremdlich. Charlotte spürte, wie ihr Herz heftiger schlug, und machte einen weiteren Schritt zur Treppe hin. Das Murmeln von drinnen wurde lauter, und sie konnte einzelne Sätze verstehen: »Sprich zu uns« und »Wir rufen dich«. Argwöhnisch drehte sich Charlotte zu der verschlossenen Tür um und wünschte sich, sie könnte mit den Augen das Holz durchdringen.
Die Geräusche behagten ihr nicht, und die Vorstellung, die Nacht in diesem Haus zu verbringen, erschien ihr plötzlich nicht mehr so verlockend. Sie konnte entweder leise nach oben gehen, heimlich ihre Tasche holen und sich aus dem Haus schleichen - aber wohin? - oder leise nach draußen gehen und versuchen, einen Blick durchs Fenster zu werfen, um zu klären, was hier vor sich ging. Vielleicht wäre sie danach beruhigt. Die letzte Möglichkeit entsprach am ehesten ihrem Naturell. Also kehrte sie zur Haustür zurück, wobei sie kaum zu atmen wagte, schlüpfte hinaus, lehnte die Tür an und schob sich an der Hauswand entlang, um einen vorsichtigen Blick durchs Fenster zu wagen. Die Vorhänge waren geschlossen, doch sie entdeckte einen Spalt zwischen Vorhang und Mauer, durch den sie einen Teil des Raumes einsehen konnte.
Das Wohnzimmer war ähnlich dunkel eingerichtet wie das übrige Haus. Die linke Hälfte war verdeckt, doch an einem kleinen Tisch bemerkte sie Mrs. Ingram, die mit dem Rücken zu ihr saß, und eine weitere Dame. Der Raum wurde lediglich von drei weißen Kerzen erhellt, die auf dem Tisch brannten. Beide Frauen hatten einen Finger auf ein umgedrehtes Glas gelegt, das zwischen ihnen auf dem Tisch stand. Die ihr unbekannte Frau hatte die Augen geschlossen und bewegte den Mund.
Eine spiritistische Sitzung! Charlotte hatte davon gehört, eine derartige Veranstaltung aber noch nie miterlebt. In Berlin schienen sie nicht sonderlich verbreitet zu sein, schon gar nicht bei ihren letzten Arbeitgebern, die sehr sachlich und materialistisch gewesen waren. Fasziniert und belustigt schaute sie durch den Spalt, konnte aber nicht erkennen, ob sich das Glas auf dem Tisch bewegte. Als Schritte auf der Straße erklangen, glitt Charlotte ins Haus zurück und zog die Tür hinter sich zu. Sie atmete tief durch und begab sich rasch in ihr Zimmer, wo sie vorsichtshalber die Tür abschloss.
Dann tastete sie sich im Dunkeln zu der Petroleumlampe, die sie vorhin auf dem Tisch gesehen hatte, und zündete sie mit den bereitliegenden Zündhölzern an. Anschließend zog sie die Jacke aus, stellte die Tasche auf einen Stuhl und streifte ihre Stiefel ab. Trotz der langen Reise war sie jedoch zu aufgewühlt, um sich schon schlafen zu legen.
Sie setzte sich aufs Bett und dachte an die seltsame Sitzung, die sich in der unteren Etage abspielte. Mrs. Ingram hatte recht bodenständig gewirkt, daher war es umso verwunderlicher, dass sie eine solche Veranstaltung in ihrem Haus abhielt. Oder war es hier in England ein gewöhnlicher Zeitvertreib wie Handarbeiten oder Kartenspielen?
Dann kam ihr ein Gedanke. Im Flur unten hatte sie die Fotografie eines stattlichen Herrn mit grauem Vollbart bemerkt. Der Rahmen war mit einem Trauerflor geschmückt. Vielleicht versuchte die Witwe, auf diese Weise Kontakt zu ihrem verstorbenen Mann aufzunehmen. Der Gedanke milderte Charlottes Verwunderung, wenngleich ihr die Vorstellung, dass sich Mrs. Ingram mit Hilfe eines Glases bemühte, in diesem Haus einen Geist heraufzubeschwören, einen leisen Schauer über den Rücken jagte. So amüsant ihr der Anblick vorhin erschienen war, wirkte die Vorstellung nun, da sie allein in ihrem Zimmer in diesem fremden Haus saß, ein wenig beunruhigend.
Sie schüttelte sich, als wollte sie die irrationale Furcht abstreifen, und holte den Brief hervor, den Sir Andrew Clayworth ihr geschickt hatte.
Chalk Hill, Juli 1890
Sehr geehrte Miss Pauly,
es freut mich, dass wir zu einer Übereinkunft gelangt sind und Sie die Position der Gouvernante bei meiner Tochter Emily übernehmen werden. Nachdem Sie bereits in Ihrer Korrespondenz mit meinem Sekretär die grundlegenden Fragen erörtert und diesbezügliche Vereinbarungen getroffen haben, sehe ich Ihrer Ankunft mit Freude entgegen. Damit Sie Ihre Stelle nicht gänzlich unvorbereitet antreten, möchte ich Sie kurz auf Ihre Begegnung mit meiner Tochter Emily vorbereiten.
Emily hat in diesem Monat ihren achten Geburtstag gefeiert. Sie ist ein liebes und folgsames Mädchen, das allen, die sie kennen, nur Freude bereitet. Sie liebt es zu zeichnen und kleine Bastelarbeiten anzufertigen. Auch zeigt sie ein gewisses musikalisches Talent und spielt seit geraumer Zeit Klavier. Leider entsprachen ihre bisherigen Lehrerinnen nicht meinen Erwartungen, weshalb ich Ihre ausgezeichneten Referenzen in dieser Hinsicht zu schätzen weiß. Handarbeiten gehören nicht zu Emilys bevorzugten Beschäftigungen, wenngleich ich hoffe, dass sich dies unter Ihrer fachkundigen Anleitung ändernwird.
Emily ist ein gesundes und kräftiges Mädchen, was mich sehr dankbar stimmt, da sie viele Jahre kränklich gewesen ist. Diese Schwäche scheint nun zum Glück überwunden zu sein, und einer maßvollen sportlichen Betätigung, die ich auch bei Mädchen als förderlich erachte, steht nichts im Wege. Daher erwarte ich, dass regelmäßige Spaziergänge, Krocketpartien und ähnliche Betätigungen einen festen Platz in ihrem Tagesablauf finden. Neben der reinen Bewegung ist ein solcher Zeitvertreib auch geeignet, um kindliche Flausen und Träumereien zu vertreiben und Emily zu einem charakterstarken und nüchternen Mädchen zu erziehen, das sich im täglichen Leben zurechtfindet.
Wie ich bereits erwähnte, weilt meine Frau und Emilys gute Mutter seit diesem Frühjahr nicht mehr unter uns, was für mich und meine Tochter ein schwerer Schlag gewesen ist, der seither wie ein Schatten über unserem Haus liegt. Ich hoffe jedoch, dass Sie Emily mit liebevoller Strenge und abwechslungsreichem Unterricht den Weg in die Zukunft ebnen werden.
Über die weiteren Regeln und Grundlagen unseres Zusammenlebens werde ich Sie in Kenntnis setzen, wenn wir uns in Chalk Hill sehen. Wie vereinbart wird der Kutscher Sie am Bahnhof von Dorking abholen.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise und verbleibe mit den besten Grüßen,
Andrew Clayworth
Charlotte legte den Brief beiseite und lehnte sich ans Kopfende des Bettes. Ein bisschen steif, aber nicht unfreundlich, dachte sie. Die Beschreibung des Mädchens traf wohl auf die meisten Achtjährigen zu, daran war nichts Auffälliges. Dass die Kleine um ihre Mutter trauerte, die sie erst vor wenigen Monaten verloren hatte, war ganz natürlich; mit der nötigen Güte und Umsicht würde es Charlotte sicher gelingen, dem Mädchen über die schwere Zeit hinwegzuhelfen.
Sie steckte den Brief wieder in die Tasche, wusch sich in der Porzellanschüssel Gesicht und Hände und trocknete sich mit dem Handtuch ab, das leicht nach Lavendel roch. Dann zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus, legte die Kleidungsstücke über Stuhl- und Sessellehne und löste ihre Frisur.
Mit langen, gleichmäßigen Strichen bürstete Charlotte ihr aschblondes Haar und betrachtete sich dabei im Spiegel - die grauen Augen, die gerade Nase, den schön geschwungenen Mund. Sie war keine auffällige Schönheit, aber mit ihrem Aussehen immer recht zufrieden gewesen. Sie legte die Bürste beiseite, straffte sich und warf die Haare mit einer Kopfbewegung über die Schultern. Als Kind hatte sie die Haare immer offen tragen wollen und sich damit gegen ihre Mutter aufgelehnt, die strenge Zöpfe vorschrieb. Sobald sie mit ihren Schwestern allein im Zimmer war, hatte sie die Bänder gelöst und ihre Haare wild geschüttelt, bis sich Elisabeth und Frieda vor Lachen bogen. Dabei hatte sie an das Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff gedacht.
Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass' gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare.
Diese Zeilen hatten ihr immer besser gefallen als die letzten, die für sie wie eine Niederlage klangen.
Nun muss ich sitzen so fein und klar,
gleich einem artigen Kinde,
und darf nur heimlich lösen mein Haar,
und lassen es flattern im Winde!
Charlotte warf ihrem Spiegelbild einen letzten Blick zu. Ja, sie war in England. Sie war angekommen.
2
Am nächsten Morgen servierte Mrs. Ingram ein gewaltiges Frühstück, das aus Rührei, Speck, Räucherfisch und geröstetem Toast mit gesalzener Butter bestand. Dazu gab es Tee mit Milch aus einer großen, vorgewärmten Kanne.
Charlotte genoss das Essen und schaute sich dabei verstohlen im Wohnzimmer um. Dabei wurde ihr klar, dass sie an ebenjenem Tisch saß, an dem wenige Stunden zuvor die sonderbare Geisterbeschwörung stattgefunden hatte. Sie warf ihrer Gastgeberin, die gerade die Zimmerpflanzen goss, einen Blick zu, wagte aber nicht, sie auf den vergangenen Abend anzusprechen. Denn damit hätte sie zugegeben, dass sie gelauscht und heimlich ins Wohnzimmer geschaut hatte.
»Die Burg sieht sehr eindrucksvoll aus«, sagte Charlotte. »Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich sie gern besichtigen.«
»Viele Besucher kommen eigens dafür nach Dover. Ich nehme an, in Deutschland gibt es auch Burgen.«
Es klang ein wenig herablassend, als könnten diese es keinesfalls mit den englischen Gemäuern aufnehmen, was sofort Charlottes Widerspruchsgeist weckte.
»In der Tat. Ich hatte einmal das Vergnügen, mit meiner damaligen Herrschaft den Mittelrhein entlang zu reisen. Es ist ein Anblick wie aus dem Märchen; dort reiht sich eine Festung an die andere, manche auf Inseln mitten im Strom, andere auf hohen Felsen und Klippen über dem Fluss. Dazu Weinberge an den sonnigen Hängen ... Eine herrliche Gegend.«
»Hm«, sagte Mrs. Ingram nur. »Trotzdem lobe ich mir unsere englischen Burgen. Dover Castle bewacht seit Jahrhunderten den Hafen, und nie haben feindliche Schiffe hier landen können. « Sie machte sich daran, die Blätter ihrer Pflanzen mit einem feuchten Tuch abzuwischen.
Charlotte wandte sich wieder ihrem Frühstück zu und staunte insgeheim über den Lokalpatriotismus der Zimmerwirtin. Vermutlich war Mrs. Ingram nie aus England hinausgekommen und doch zutiefst davon überzeugt, dass es kein schöneres Land als das ihre geben konnte. Nun, sie hatte sich jedenfalls vorgenommen, alles mit offenen Augen zu betrachten und das neue Land nicht ständig an der Heimat zu messen. Manches würde schlechter sein, anderes besser, vieles fremd, und eben das machte die Spannung aus. Sie war geradezu begierig darauf, möglichst viel zu sehen, Eindrücke zu sammeln, neuen Menschen zu begegnen.
Als sie zu Ende gefrühstückt hatte, verabschiedete sie sich von Mrs. Ingram, zog die Jacke an, setzte den Hut auf und griff nach ihrer Tasche. Sie standen sich im Hausflur gegenüber, und Charlotte wollte gerade zur Tür gehen, als die ältere Frau sie prüfend anschaute und dann kaum merklich den Kopfschüttelte.
»Was ist denn, Mrs. Ingram?«, fragte Charlotte verwundert und wollte schon nach ihrem Hut tasten. »Stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch ... Ich hatte ... Es war nur ein Gefühl.« Sie machte eine flüchtige Handbewegung. »Es ist nichts. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.«
Doch als Charlotte in Richtung Bahnhof ging, meinte sie, den Blick der Zimmerwirtin im Rücken zu spüren.
Der Himmel hatte sich verdüstert, und es fiel ein leichter Nieselregen. Charlotte war zeitig aufgestanden, damit sie vor der Abfahrt des Zuges noch ein Telegramm an Sir Andrew Clayworth aufgeben konnte, um ihn über ihre verspätete Anreise in Kenntnis zu setzen. Sie hoffte zudem, dass sie in Dorking nicht allzu lange am Bahnhof warten musste, denn das Wetter wurde zunehmend ungemütlich.
Beim Bahnhofsvorsteher bedankte sie sich noch einmal für die Hilfe, worauf er auf das Wetter zu sprechen kam und sich für den Regen entschuldigte, als trüge er persönlich die Schuld daran. »Das ist sehr ungewöhnlich, da wir zurzeit eigentlich eine lange Trockenheit erleben«, erklärte er.
Charlotte sah ihn erstaunt an, bis ihr einfiel, dass man in Großbritannien gern und ausführlich über das Wetter sprach. »Vielleicht bekommen wir ja einen schönen Herbst.«
Er nickte beflissen. »Das würde ich Ihnen wünschen, Miss, damit Sie unser Land von seiner besten Seite kennenlernen. Gleich kommt Ihr Zug. Gute Fahrt.«
»Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Freundlichkeit. Und richten Sie Ihrer Schwester meine Grüße aus.« Sie fragte sich, ob er wusste, dass Mrs. Ingram in ihrem Haus spiritistische Sitzungen abhielt. Plötzlich erschien ihr der kurze Augenblick der Furcht, der sie am Vorabend überkommen hatte, geradezu albern. Sie war kein Mensch, der an solchen Hokuspokus glaubte, und empfand beinahe Mitleid mit der Witwe, die auf diese Weise womöglich versuchte, den verlorenen Mann von den Toten zurückzuholen.
Ein Gepäckträger brachte ihre Koffer und wuchtete sie ins Abteil. Sie trat ans Fenster und winkte dem freundlichen Bahnhofsvorsteher noch einmal zu. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung und rollte in einer Dampfwolke aus dem Bahnhof. Charlotte warf noch einen letzten Blick auf die stolze Burg und die graue Weite des Ärmelkanals, bevor sie sich setzte und bequem zurücklehnte. Die vorletzte Etappe ihrer Reise war angebrochen.
Zuerst schaute sie aus dem Fenster und genoss den Blick auf die Landschaft, die im leichten Regen zu einem noch üppigeren Grün zu reifen schien. Die Strecke führte ein Stück an der Küste entlang, und der Kanal begleitete sie treu, bis die Schienen hinter Folkestone ins Landesinnere abbogen.
Es war eine sanfte Gegend mit welligen Hügeln, breiten Hecken, Dörfern mit Fachwerkhäusern und großen Kirchen aus grauem Stein, neben denen sich der Zug wie ein Fremdkörper ausnahm. Viele Kirchtürme waren eckig und erinnerten mit ihren Zinnen an die Bergfriede mittelalterlicher Burgen. Schafe weideten unter dem weiten Himmel. Besonders interessant fand Charlotte eine Reihe sonderbarer Bauwerkerunde Türme mit reetgedeckten Dächern, aus denen schräge weiße Spitzen wie Papiertüten ragten.
Sie kam mit einem älteren Herrn ins Gespräch, dessen Kragen ihn als Geistlichen auswies, und erkundigte sich, was es mit diesen Gebäuden auf sich hatte.
Der Herr, der sich als Reverend Horsley vorstellte, lächelte milde. »Das sind Hopfendarren, Miss. Die frischen Hopfenblätter werden geerntet, darin ausgebreitet und über einem Feuer getrocknet. Danach werden sie an die Brauereien geliefert.«
»Sie sehen hübsch aus, wie Zwergenmützen«, sagte Charlotte.
Der Reverend fragte höflich, woher sie komme, und bemerkte daraufhin: »In Ihrer Heimat wird es etwas Ähnliches wohl auch geben. Wie ich hörte, braut man in Deutschland ausgezeichnetes Bier.«
Sie unterhielten sich angeregt, wodurch die Fahrt wie im Flug verging. Er lobte ihre Aussprache und ihren Mut, sich eine Stellung im Ausland zu suchen. »Ich begrüße es sehr, wenn Kinder von geeigneten ausländischen Erzieherinnen unterrichtet werden. Es erweitert den Horizont und verbessert die Verständigung zwischen den Völkern. Gerade wir auf unserer Insel meinen oft, im Mittelpunkt der Welt zu stehen. Ein wenig Bescheidenheit wäre nicht nur angemessen, sondern auch christlich. Wie heißt es doch im Alten Testament? ›Wo Stolz ist, da ist auch Schmach; aber Weisheit ist bei den Demütigen.‹«
»Ich bin sehr froh, dass ich eine Stelle in England gefunden habe. Es war nicht ganz leicht, weil es so viele Hauslehrerinnen gibt.«
»Nach meiner Erfahrung hebt es das Ansehen einer Familie, wenn sie eine Dame aus Deutschland oder Frankreich als Gouvernante einstellt. Eine solche Verbindung ist für beide Seiten von Vorteil, und die Kinder können nur gewinnen, wenn sie eine fremde Sprache von einer Muttersprachlerin erlernen. Außerdem gelten deutsche Gouvernanten als ausgesprochen musikalisch.«
»Sie sind sehr freundlich, Sir«, erwiderte Charlotte. »Das macht mir Mut. Ich hoffe jedenfalls, dass man mich in Chalk Hill ebenso herzlich willkommen heißen wird.«
Sie merkte, wie der Geistliche stutzte. »Sagten Sie Chalk Hill?«
»Ja, das Haus von Sir Andrew Clayworth, dem Abgeordneten. Kennen Sie die Familie?«
Der Reverend wiegte den Kopf hin und her. »Ja ... Eine traurige Geschichte. Aber gut«, er rieb entschlossen seine Hände, als wollte er ein Kapitel abschließen, »›darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn‹, schreibt Paulus im Römerbrief. Und somit wollen wir nach vorn blicken.«
Charlotte stimmte ihm zu, doch die Bemerkung des Geistlichen hatte sie nachdenklich gemacht.
In Dorking fand sich ein Träger, der ihre Koffer aus dem Zug hob und auf einen Wagen lud, den er ins Gebäude schob. Als sich der Zug pfeifend wieder in Bewegung setzte und der Reverend Charlotte noch einmal durchs Fenster zuwinkte, war es, als fiele eine Tür hinter ihr zu. Nun war sie auf sich gestellt, es gab kein Zurück ins alte Leben.
Vor dem Bahnhof wartete keine Kutsche auf sie. Sie schaute sich unschlüssig um, doch die wenigen Menschen, die unterwegs waren, achteten nicht auf sie. Charlotte wagte nicht, jemanden anzusprechen. Sie konnte kaum ein zweites Mal auf einen so zuvorkommenden Helfer wie den Stationsvorsteher in Dover hoffen. Da sie ihr Gepäck bei sich hatte, war es nicht möglich, sich vom Bahnhof zu entfernen und im Ort nach einer Fahrgelegenheit zu fragen. Also blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten.
Plötzlich merkte Charlotte, wie hungrig sie war; das Frühstück lag schon eine Weile zurück und hielt wohl doch nicht so lange vor. Ihre heikle Lage hinderte sie jedoch daran, ein Restaurant oder eine Bäckerei aufzusuchen, um sich für die letzte Etappe der Reise zu stärken.
Sie stand vor dem Bahnhof, ihr Gepäck neben sich, die Tasche an sich gedrückt, und beobachtete das Kommen und Gehen. An der nächsten Ecke befand sich ein Hotel namens Star and Garter, und von dort sah sie die Rettung nahen. Ein halbwüchsiger Junge schob einen Verkaufswagen in Richtung Bahnhof und steuerte genau auf sie zu. Als er näherkam, hörte sie ihn rufen: »Rosinenbrötchen! Schinkensandwiches! Aal in Gelee, ganzfrisch!«
Die Vorstellung, um diese Tageszeit auf der Straße Aal zu essen, erschien befremdlich, doch Brötchen und Schinken waren ihr willkommen. Sie winkte den Jungen herbei und kaufte eins von jedem, wobei sie sorgsam die Münzen abzählte.
Der Junge tippte sich an die Mütze. »Danke, Miss!« Dann zog er auf der Suche nach weiteren hungrigen Bahnreisenden mit seinem Wagen davon.
Charlotte biss herzhaft in das Schinkensandwich. Sollte sie doch ruhig jemand dabei beobachten, ihr Hunger war größer als jegliche Scham. Sie war so ins Essen vertieft, dass sie gar nicht auf die Kalesche achtete, die vor dem Bahnhofsgebäude hielt. Sie kaute noch auf dem Brötchen, als eine Männerstimme sie von hinten ansprach. Charlotte fuhr zusammen, drehte sich um und errötete wegen ihres vollen Mundes.
Vor ihr stand ein Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen schlichten braunen Anzug und eine Tweedmütze trug. Um den Hals hatte er ein rotes Tuch geknotet. Sein stoppeliges Gesicht wirkte rau, aber freundlich.
»Miss Pauly?«
Charlotte nickte und schaffte es endlich, den Bissen hinunterzuschlucken.
»Ich bin Wilkins, der Kutscher, und soll Sie nach Chalk Hill bringen, Miss. Ich war gestern schon mal hier, aber da sagten sie im Bahnhof, der Zug von Dover wäre ausgefallen.«
»Das stimmt. Ich habe dort die Nacht verbracht und gleich heute Morgen ein Telegramm geschickt. Ich hoffe, es ist angekommen. «
Wilkins zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts. Sir Andrew hat mich hergeschickt, weil er damit rechnete, dass Sie heute den ersten Zug nehmen würden. Ist das Ihr ganzes Gepäck? «
Er deutete auf die beiden Koffer, worauf Charlotte nickte. Er schleppte sie zur Kutsche, verstaute sie im Gepäckabteil und half ihr beim Einsteigen. »Hier ist eine Decke, die Sie über die Beine legen können.«
Sie musste sich anstrengen, um seinen Dialekt zu verstehen, begrüßte aber seine hilfsbereite Art. Charlotte sah sich noch einmal um, bevor sie sich in die Polster zurücklehnte.
Die Familie Clayworth lebte nicht in Dorking selbst, sondern einem nahe gelegenen Dorf namens Westhumble.
»Kaum mehr als eine Meile entfernt, Miss«, erklärte der Kutscher vom Bock aus. »Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen ein bisschen die Gegend.«
»Ich bitte darum.«
Charlotte freute sich, etwas über die Umgebung zu erfahren, und wandte sich abwechselnd nach rechts und links, während Wilkins die Kalesche zur nahe gelegenen Landstraße lenkte. Dorking schien ein hübscher, kleiner Ort zu sein, und Charlotte hoffte, ihn bald näher kennenzulernen. Wenn Chalk Hill nicht weit entfernt war, konnte sie doch mit Emily ab und zu einen Ausflug in den Ort unternehmen. Sie wusste, dass Kinder in diesem Alter gewöhnlich ans Haus gebunden waren und selten unter Menschen kamen, doch hatte sie nie viel davon gehalten. In ihren Augen schadete es nicht, frühzeitig den Umgang mit Menschen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, die dem jungen Mädchen in seiner späteren Entwicklung zugutekämen. Natürlich würde sie keine stundenlangen Märsche planen, immerhin war Emily früher häufig krank gewesen, doch ein kleiner Ausflug nach Dorking oder ein Waldspaziergang wären sicher zu vertreten.
Zufrieden schaute Charlotte hinaus, während die Kutsche den Ort verließ und die Landschaft grüner und einsamer wurde.
»Das ist die Straße nach London«, erklärte Wilkins. »Aber Sir Andrew nimmt morgens den Zug in die Hauptstadt. Das ist bequem und viel schneller. Die Kutsche wird nur noch für Fahrten in die Umgebung benötigt.« Charlotte meinte, aus seiner Stimme ein leises Bedauern herauszuhören.
»Was ist das für ein Fluss dort drüben?«
»Der Mole. Er mündet in die Themse.«
»Kann man dort spazieren gehen?«
»Gewiss«, sagte Wilkins nach einem kaum merklichen Zögern. »Die Wege am Ufer sind sehr malerisch, Miss.«
Das wollte sich Charlotte für die Spaziergänge mit Emily Clayworth merken.
»Schauen Sie mal nach links, Miss.«
Dort war nichts zu sehen - außer der Einmündung eines Weges.
»Das ist der North Downs Way, einer der ältesten Wege Englands. Früher haben ihn die Pilger als Verbindung zwischen Winchester und Canterbury benutzt. Er führt auf den Box Hill hier rechts hinauf, ein beliebtes Ausflugsziel.«
Beinahe ehrfürchtig vernahm Charlotte die Namen der beiden alten Städte mit ihren berühmten Kathedralen. Es gab so viel zu entdecken, und sie hoffte, dass sie trotz ihrer zeitraubenden Tätigkeit - mit Urlaub war kaum zu rechnen - einmal die Gelegenheit finden würde, sie zu besuchen.
Die Kutsche schwenkte nach links und folgte dem Wegweiser nach Westhumble. Sie kreuzten eine Bahnlinie, worauf Wilkins nach hinten rief: »Wie Sie sehen, Miss, haben wir hier auch einen Bahnhof, aber die Züge fahren nicht nach Dover. Daher mussten Sie in Dorking aussteigen.«
Kurz hinter dem Bahnhof bogen sie nach rechts ab. Jenseits der Straße lagen ausgedehnte Wälder, die schon begonnen hatten, ihr warmes rotbraunes Herbstkleid anzulegen. In der Ferne war auf einer Anhöhe ein weißes Herrenhaus zu erkennen.
»Wir sind fast da, Miss. Rechts liegen Nicols Field und Beechy Wood, und hinter dem Wald fließt der Mole. Eine hübsche Gegend, zu jeder Jahreszeit. Da drüben auf dem Hügel können Sie Norbury Park sehen. Das Haus ist knapp über hundert Jahre alt.«
Die Crabtree Lane war eine lange, schmale Straße, die von eleganten, frei stehenden Häusern mit großen Gärten gesäumt wurde. Alte Steinmauern, über die sich die ausladenden Äste gewaltiger Bäume wölbten, schirmten die Grundstücke zur Straße hin ab. Eine angenehme Gegend, dachte Charlotte, in der man sich wohlfühlen konnte.
Wilkins bog durch ein Tor auf der rechten Straßenseite, und die Kalesche rollte knirschend über eine kiesbestreute Auffahrt. Charlotte reckte den Hals, um das Haus zu sehen. Als es hinter den Büschen auftauchte, hielt sie den Atem an.
Es war aus Backstein erbaut und überaus stattlich. Der breite, nach vorn gerichtete Giebel war mit schwarz-weißem Fachwerkverziert, und die großzügigen Fenster ließen auf helle Räume hoffen. Am entzückendsten war jedoch der runde Turm, der das Gebäude an einer Ecke flankierte, wodurch es an ein Schloss erinnerte. Links neben dem Haus lag die Remise. Das ganze Haus wurde von hohen Bäumen eingerahmt und sah bezaubernd und sehr englisch aus.
»Herzlich willkommen in Chalk Hill, Miss.« Wilkins nahm ihr die Decke ab und half ihr beim Aussteigen. Während er sich am Gepäckabteil zu schaffen machte, wurde die Haustür von einer Frau in einem hochgeschlossenen schwarzen Kleid geöffnet. Sie trug das grau melierte Haar streng nach hinten frisiert und zu einem Knoten gesteckt. Sie kam nicht heraus, sondern blieb reglos auf der Schwelle stehen und schaute Charlotte entgegen, die eine plötzliche Beklommenheit verspürte. In der Haltung der Frau lag etwas Abweisendes.
Charlotte holte tief Luft. Wenn sie in ihren Jahren als Hauslehrerin eines gelernt hatte, dann, dass sie sich nicht verletzlich zeigen durfte, weder den Herrschaften noch den Schülern oder Dienstboten gegenüber. Wenn man angreifbar war, wurde man auch angegriffen, so einfach war das. Die Menschen spürten das. Sie drückte die Schultern nach hinten und ging langsam auf die Frau zu.
Endlich trat diese einen Schritt vor und senkte kaum merklich den Kopf. »Mrs. Evans, die Haushälterin von Sir Andrew. Sie sind Miss Pauly?« Sie sprach ihren Namen englisch aus, mit einem langen O, daran würde sich Charlotte wohl gewöhnen müssen.
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie hatten trotz der Verzögerung eine angenehme Reise.« Sie trat beiseite, um Charlotte hereinzulassen.
»Danke sehr.«
Charlotte schaute sich in der Eingangshalle um und staunte über die erlesene Schönheit der Einrichtung. Die Haustür war mit einem Fenster aus buntem Glas versehen, der schwarz-weiße Fliesenboden makellos. Das Geländer der breiten Treppe, die an der linken Seite in den ersten Stock führte, bestand aus glänzend poliertem honigbraunem Eichenholz. Die mit rotem Stoff bespannten Wände wirkten warm und einladend, und ein großer Spiegel mit goldenem Rahmen ließ den Raum noch großzügiger erscheinen. In diesem Augenblick durchbrach die Sonne die Wolken, traf auf die Scheibe in der Haustür und malte ein buntes Prisma auf den Boden. Charlotte hielt die Luft an, so schön war dieser Anblick.
»Wilkins bringt Ihr Gepäck nach oben. Ich nehme an, Sie möchten einen kleinen Imbiss einnehmen.«
Charlotte verschwieg, dass sie auf offener Straße gegessen hatte.
»Danke, gern.«
Die Haushälterin geleitete sie in einen Flur, der links von der Halle abzweigte und zur Küche und den übrigen Wirtschaftsräumen führte. Mrs. Evans öffnete die Tür eines kleinen Speisezimmers und bot ihr einen Platz an, bevor sie den Raum verließ.
Charlotte hätte gern gefragt, wann sie ihren Arbeitgeber und dessen Tochter kennenlernen würde, doch die Haushälterin war allzu schnell verschwunden, als hätte sie sich gerade einer lästigen, aber notwendigen Aufgabe entledigt. Die Position einer Gouvernante war immer heikel. Sie gehörte nicht zu den Dienstboten, aber auch nicht zur Herrschaft; man duldete sie bei den Mahlzeiten, meist aber am entlegenen Ende des Tisches inmitten der Kinder oder gar an einem eigenen Tisch, zusammen mit ihren Schützlingen. Oftmals hatte sie die Herablassung ihrer Arbeitgeber und die Feindseligkeit des Personals zu ertragen.
All das wusste Charlotte und hatte sich innerlich gewappnet; doch als sie nun allein in diesem fremden Haus saß und zur Tür blickte, wurde sie dennoch unsicher. Sie stand auf und trat ans Fenster, durch das sie in einen zauberhaften Garten blickte. Es gab keine abgezirkelten Beete, sondern einzelne bunte Flecken von Chrysanthemen, Gerbera und Astern, die sich zu einem riesigen bunten Strauß fügten. Seine Farben leuchteten so lebhaft, dass Charlotte am liebsten die Hand ausgestreckt hätte, um die Blumen zu pflücken. Das Gras bildete einen dichten grünen Teppich unter den alten Bäumen. Sie war so vertieft in den Anblick, dass sie zusammenzuckte, als es an die Tür klopfte und ein junges Hausmädchen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und weißem Häubchen eintrat und ein Tablett auf den Tisch stellte. Es knickste.
»Herzlich willkommen, Miss. Ich bin Susan. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen ...«
Sie trug ihr einen Teller mit kaltem Braten und eingelegtem Gemüse und dazu geröstetes Brot und Butter und eine kleine Kanne Tee auf.
»Wenn Sie noch etwas benötigen, klingeln Sie bitte.« Das Mädchen knickste noch einmal und wandte sich zur Tür, doch Charlotte sprach es hastig an: »Susan, kannst du mir sagen, ob Sir Andrew zu Hause ist?«
»Er ist nicht hier, Miss, er kommt erst heute Abend aus der Stadt zurück. Am Nachmittag steht noch eine Sitzung im Parlament an.«
»Und Miss Emily?«
»Sie ist beim Pfarrer in Mickleham zu Besuch. Wenn sie zurückkommt, können Sie sie sicher sehen.«
Mit diesen Worten war sie verschwunden.
Charlotte begann zu essen, hatte aber keinen rechten Appetit, was nicht nur daran lag, dass sie bereits etwas gegessen hatte. Sie zwang sich, gründlich zu kauen und jeden Bissen mit einem Schluck Tee hinunterzuspülen. Die Stille im Raum war so vollkommen, dass sie ihren eigenen Herzschlag zu hören meinte.
Nach einer Ewigkeit - so kam es ihr jedenfalls vor - erklangen Schritte, und Mrs. Evans trat ein, gefolgt von Susan. »Haben Sie gegessen, Miss Pauly?«
»Danke, es war sehr gut.« Sie schob den Teller beiseite und erhob sich.
Die Haushälterin deutete mit einer Geste, die unauffällig und herrisch zugleich wirkte, auf die Tür. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.«
Sie führte Charlotte zurück in die Eingangshalle und dieTreppe hinauf in den ersten Stock - und das in einem so raschen Tempo, dass sich Charlotte kaum die weitere Einrichtung des Hauses anschauen konnte. Was auffiel, war die Stille, die hier herrschte. Die Schritte wurden gedämpft von den Läufern auf den Stufen und den Orientteppichen, die die Dielen bedeckten.
Die schmale Gestalt der Haushälterin bewegte sich anmutig, während sie mit einer Hand den Rock gerafft hielt. Charlotte kam sich mit ihren Reisestiefeletten und dem Wollkostüm fast plump vor.
Als sie auf dem Treppenabsatz standen, deutete Mrs. Evans auf eine Tür zu ihrer Linken. »Hier befindet sich Miss Emilys Zimmer. Rechts daneben ist das Schulzimmer, in dem Sie sie unterrichten werden. Sir Andrews Räume liegen im Erdgeschoss. « Sie ging weiter, ohne Charlotte die Zimmer zu zeigen, und öffnete eine Tapetentür am anderen Ende des Flurs, hinter der eine steinerne Wendeltreppe in großzügigen Windungen nach oben und nach unten führte. In regelmäßigen Abständen boten kleine Fenster, die an die Schießscharten mittelalterlicher Burgen erinnerten, einen Blick nach draußen.
Mrs. Evans ging vor Charlotte her die Treppe hinauf. Nun wurde dieser klar, wo sich ihr Zimmer befand - in dem hübschen Turm an der rechten Seite des Hauses, dessen Anblick sie von außen so entzückt hatte. Mrs. Evans öffnete eine Tür und ließ Charlotte eintreten. Diese holte tief Luft und drehte sich im Kreis, um das atemberaubende Zimmer in sich aufzunehmen. Es war kreisrund, die Fenster ließen viel Licht herein. Die Möbel waren maßgefertigt und fügten sich perfekt in die Rundungen der Mauer. Der Teppich war zwar fadenscheinig, aber hübsch gemustert, und an den Wänden hingen bunte Aquarelle, die Landschaften zeigten, vermutlich aus der näheren Umgebung. Auf dem Bett lag eine blaue Tagesdecke, daneben stand der Waschtisch mit einem Krug, einer blitzsauberen Porzellanschüssel und einem Handtuchhalter. Es gab auch einen kleinen Sekretär, auf dem ein Tintenfass bereitstand und ein Stapel Schreibpapier angeordnet war.
Ihre beiden dunkelbraunen Koffer wirkten wie Fremdkörper in dem freundlichen, hellen Zimmer.
»Das ist ein schöner Raum, Mrs. Evans. Hier werde ich mich sicher wohlfühlen.«
Noch immer blieb die Miene der Haushälterin unbewegt. »Von hier aus sind Sie rasch im Schulzimmer und bei Miss Emily.«
»Gewiss.«
Sie schaute sich noch einmal um. »Das Zimmer sieht ... so bewohnt aus. Als hätte jemand es mit viel Liebe eingerichtet.«
»Dies war das Jungmädchenzimmer von Lady Ellen Clayworth. Sie ist hier aufgewachsen - es war ihr Elternhaus.«
Charlotte wartete ab, ob sie noch mehr über die verstorbene Hausherrin erfahren würde, doch Mrs. Evans sagte nur: »Ich lasse Sie jetzt allein. Sie können in Ruhe auspacken und werden später gerufen.«
Charlotte blieb reglos stehen, bis sich die Tür geschlossen hatte und die Schritte auf der Treppe verklungen waren. Dann drehte sie sich einmal um sich selbst, um ihr neues Zuhause abermals in Augenschein zu nehmen. Es war ein wirklich reizendes Zimmer. Dennoch erschien es ihr sonderbar, dass man es einer Fremden gegeben hatte, wo doch der Hausherr traurige Erinnerungen damit verband. Oder hatte er es gerade deshalb getan - um die Geister zu vertreiben?
Sie schüttelte den Kopf. War es das Erlebnis vom Vorabend, das sie auf diese törichten Gedanken brachte?
Dann trat sie an ein Fenster und schaute hinaus. Von hier aus sah sie die Straße, über die sie vorhin angekommen war; die anderen Fenster blickten auf den großen Garten und den Wald dahinter.
Entschlossen wandte sich Charlotte vom Fenster ab und machte sich daran, die Koffer auszupacken und sich ein wenig einzurichten.
Bald hatte sie alles in den Schrank und die Kommode geräumt, die Schulbücher, die sie mitgebracht hatte, in ein Regal gestellt, und eine Fotografie ihrer Eltern und Schwestern auf den Nachttisch. Nun setzte sie sich aufs Bett und wartete. Im Haus war kein Laut zu hören. Irgendwann vernahm sie, wie Räder auf dem Kies der Einfahrt knirschten, und schaute hinaus. Sie konnte nicht sehen, wer ausstieg; vielleicht war Miss Emily von ihrem Besuch beim Pfarrer zurückgekehrt.
© 2014 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Susanne Goga
Susanne Goga wurde 1967 in Mönchengladbach geboren und lebt dort bis heute. Die renommierte Literaturübersetzerin und Autorin reist gern - mit Vorliebe auch in die Vergangenheit. Das spiegelt sich in ihren überaus erfolgreichen historischen Romanen wider. Für die Kriminalreihe um Leo Wechsler taucht sie ein ins Berlin der 1920er-Jahre, für den Diana Verlag begibt sie sich immer wieder ins geschichtsträchtige 19. Jahrhundert. Die Künstlerinnen in Glasgow, die dort in jener Zeit ein kreatives Forum gründeten und in ganz Europa berühmt wurden, waren Inspiration für ihren neuesten Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Susanne Goga
- 2014, Originalausgabe, 464 Seiten, 3 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 3 Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453356500
- ISBN-13: 9783453356504
- Erscheinungsdatum: 10.01.2014
Pressezitat
"Eine packende Story, die das Flair der englischen Aristokratie wunderbar einfängt." FÜR SIE
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