Der Weihnachtsfluch
Roman
Emily reist an Weihnachten zu ihrer Tante Susannah nach Westirland. Sie merkt schnell, dass Susannah ihr etwas verheimlicht. Als Daniel, der Überlebende eines Schiffsunglücks, in Susannahs Haus kommt, herrscht Angt im ganzen Ort. Und dann stößt Emily auf ein Geheimnis.
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Produktinformationen zu „Der Weihnachtsfluch “
Emily reist an Weihnachten zu ihrer Tante Susannah nach Westirland. Sie merkt schnell, dass Susannah ihr etwas verheimlicht. Als Daniel, der Überlebende eines Schiffsunglücks, in Susannahs Haus kommt, herrscht Angt im ganzen Ort. Und dann stößt Emily auf ein Geheimnis.
Klappentext zu „Der Weihnachtsfluch “
Ein dunkles GeheimnisEmily reist an Weihnachten nach Westirland, um ihrer Tante Susannah in ihren letzten Tagen beizustehen. Doch schnell wird klar, dass Susannah ihr etwas verheimlicht. Als Daniel, der einzige Überlebende eines Schiffsunglücks, in Susannahs Haus Zuflucht sucht, greift eine unerklärliche Angst im Ort um sich. Und dann stößt Emily bei ihren Nachforschungen auf merkwürdige Parallelen zu einem ungelösten Todesfall in der Vergangenheit.
Emily reist an Weihnachten nach Westirland, um ihrer Tante Susannah in ihren letzten Tagen beizustehen. Doch schnell wird klar, dass Susannah ihr etwas verheimlicht. Als Daniel, der einzige Überlebende eines Schiffsunglücks, in Susannahs Haus Zuflucht sucht, greift eine unerklärliche Angst im Ort um sich. Und dann stößt Emily bei ihren Nachforschungen auf merkwürdige Parallelen zu einem ungelösten Todesfall in der Vergangenheit
Lese-Probe zu „Der Weihnachtsfluch “
Der Weihnachtsfluch von Anne PerryEmily Radley stand mitten in ihrem prunkvollen Salon und überlegte, wo sie den Weihnachtsbaum hinstellen sollte, damit er in seiner vollen Pracht zur Geltung käme. Sie wusste schon, wie sie ihn schmücken wollte: mit Schleifen, farbigen Kugeln, Lametta, kleinen Eiszapfen aus Glas und mit glänzenden rotgrünen Vögelchen. Die bunt verpackten Geschenke für ihren Ehemann und die Kinder wollte sie unter den Baum legen. Das ganze Haus würde sie mit Kerzen, Kränzen und Gestecken aus Efeu und Stechpalmenzweigen schmücken. Auf den Tischen und Anrichten sollten Schalen mit kandierten Früchten, Nüsse auf Porzellantellern, Becher mit Glühwein, Platten mit Hackfleischpastetchen und gerösteten Kastanien stehen und der süßliche Geruch gerösteter Apfelschnitzel in dem lodernden Kaminfeuer würde das Haus erfüllen. 1895 war kein leichtes Jahr gewesen, und sie war erleichtert, dass es nun seinem Ende zuging. Diese Weihnachten würden sie in London bleiben und nicht aufs Land fahren. Das hieß, dass es Gesellschaften geben würde, sie Einladungen zum Dinner annehmen würden, wie die bei der Herzogin von Warwick, bei der alle ihre Bekannten zugegen sein würden. Und natürlich Bälle, auf denen die ganze Nacht getanzt wurde. Sie hatte schon das passende Kleid aus zartem Grün mit goldenen Stickereien ausgesucht. Und dann natürlich die Theaterbesuche. Anders als sonst gab es diesmal kein Stück von Oscar Wilde, sondern Goldsmiths’ »She stoops to Conquer«, eine sehr lustige Aufführung.
Sie war noch versunken in ihre Überlegungen, als Jack hereinkam. Er sah etwas müde aus, aber zeigte wie immer tadellose Umgangsformen. Er hatte einen Brief in der Hand.
»Post?«, fragte sie überrascht. »So spät am Abend?«
Ihr wurde
... mehr
bang ums Herz. »Es ist doch nicht etwa eine Regierungsangelegenheit? Sie werden dich doch jetzt nicht brauchen. Es sind ja nicht mal mehr drei Wochen bis Weihnachten.«
»Er ist für dich«, antwortete er und reichte ihr den Brief. »Er wurde gerade eben abgegeben. Ich glaube, es ist Thomas’ Handschrift.«
Thomas Pitt war ihr Schwager, ein Polizist. Ihre Schwester Charlotte hatte weit unter ihrem Stand geheiratet. Doch sie hatte es nicht einen Tag lang bereut, auch wenn sie auf die gesellschaftlichen und finanziellen Annehmlichkeiten verzichten musste, an die sie gewöhnt gewesen war. Im Gegenteil, es war Emily, die sie um die dazugewonnene Möglichkeit beneidete, sich mit einigen seiner Fälle zu beschäftigen. Zu lange war es schon her, dass Emily ein Abenteuer, eine Gefahr, Gefühlsausbrüche, Wut oder Mitleid erlebt hatte. Manchmal beschlich sie das Gefühl, gar nicht lebendig zu sein.
Emily sah auf und traf Jacks Blick. »Das ist ja völlig absurd!«, rief sie aus. »Er muss wohl den Verstand verloren haben!«
Jack blinzelte. »Ach ja? Was schreibt er denn?«
Wortlos reichte sie ihm den Brief.
Er las ihn, runzelte die Stirn und gab ihn ihr zurück. »Das tut mir leid. Du hattest dich so auf Weihnachten zu Hause gefreut, aber nächstes Jahr wird es ja wieder ein Weihnachtsfest geben.«
»Ich werde nicht dorthin fahren!«, rief sie fassungslos aus.
Er sagte nichts, sondern blickte sie nur fest an.
»Lächerlich«, protestierte sie. »Ich kann doch um Himmels willen nicht nach Connemara reisen. Schon gar nicht an Weihnachten. Es wäre so, als würde ich mich ans Ende der Welt begeben. Es ist das Ende der Welt. Jack, da gibt es nur eisiges Moor!«
»Also, ich glaube das Klima an der Westküste Irlands ist relativ gemäßigt«, wandte er ein. »Allerdings kann es auch feucht sein«, fügte er lächelnd hinzu.
Sie seufzte. Sein Lächeln betörte sie immer noch. Das sollte er aber möglichst nicht merken, weil es sonst vielleicht schwierig wäre, standhaft zu bleiben. Sie drehte sich um und legte den Brief auf den Tisch. »Morgen schreibe ich Thomas und erkläre es ihm.«
»Was willst du ihm denn sagen?«
Sie war überrascht. »Natürlich, dass es nicht infrage kommt. Aber ich werde es ihm in freundlichen Worten beibringen.«
»Wie bitte schön kann man denn freundlich ausdrücken, dass du deine Tante an Weihnachten alleine sterben lassen willst, weil dir das irische Klima nicht behagt? «, fragte er mit betont sanfter Stimme, wobei er jedes seiner Worte genau abwog.
Emily erstarrte. Sie drehte sich wieder zu ihm um und blickte ihn an. Trotz seines Lächelns wusste sie, dass er meinte, was er gesagt hatte. »Willst du mich wirklich die ganze Weihnachtszeit über nach Irland schicken? Susannah ist erst fünfzig. Sie lebt womöglich noch Jahre. Er hat ja nicht mal gesagt, was ihr überhaupt fehlt.«
»Man kann in jedem Alter sterben«, wies er sie zurecht. »Was ich will, hat nichts damit zu tun, was richtig ist.«
»Und die Kinder?« Sie spielte ihren letzten Trumpf aus. »Was werden sie denken, wenn ich sie an Weihnachten allein lasse? Zu dieser Zeit sollte die Familie zusammen sein.« Sie erwiderte sein Lächeln.
»Dann schreibe deiner Tante, sie soll alleine sterben, weil du bei deiner Familie bleiben willst«, antwortete er.
»Wenn ich’s mir genauer überlege, wirst du dem Pfarrer schreiben müssen, und der kann es ihr dann sagen.« Diese schreckliche Erkenntnis traf sie wie ein Blitz.
»Du willst also, dass ich fahre!«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Nein, wirklich nicht«, leugnete er. »Aber wenn Susannah gestorben ist, will ich auch nicht die ganzen Jahre danach mit dir und deinem schlechten Gewissen leben müssen, weil du bereust, nicht gefahren zu sein. Schuld kann selbst das, was einem am liebsten ist, zerstören. Ja gerade das, was man besonders liebt.« Er strich ihr sanft über die Wange. »Ich will dich nicht verlieren.«
»Das wirst du auch nicht!«, wandte sie eilig ein. »Du wirst mich niemals verlieren.«
»Viele Menschen verlieren einander.« Er schüttelte den Kopf. »Einige verlieren sogar sich selbst.«
Sie blickte auf den Teppich. »Aber es ist doch Weihnachten! «
Er antwortete nicht.
Sekunden tickten vorbei. Das Feuer knisterte im Kamin.
»Glaubst du, es gibt Telegramme in Irland?«, fragte sie schließlich.
»Ich weiß es nicht. Was kannst du denn in einem Telegramm schon sagen, das eine Antwort auf das Problem wäre?«
Sie atmete tief ein. »Wann mein Zug in Galway ankommt und an welchem Tag.«
Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen zärtlichen Kuss. Sie musste weinen bei dem Gedanken, was sie alles in den nächsten Wochen vermissen würde und was Weihnachten für sie bedeutete.
Zwei Tage später, als der Zug schließlich kurz vor Mittag im Bahnhof von Galway einfuhr, trat Emily bei Nieselregen auf den Bahnsteig und befand sich in einer völlig anderen Stimmung. Nach der Überfahrt auf der rauen irischen See und der Nacht in einem Dubliner Hotel fühlte sie sich sehr müde, und ihre Glieder waren steif. Hätte Jack auch nur die leiseste Ahnung, was er ihr abverlangte, wäre er nicht so anmaßend gewesen. Solche Opfer sollte niemand von einem verlangen. Schließlich war es ja Susannah gewesen, die den Entschluss gefasst hatte, sich von ihrer Familie abzuwenden, einen römisch-katholischen Mann zu ehelichen, den niemand kannte, und in dieser Moorlandschaft zu leben, wo es immerzu regnete. Sie war nicht mal nach Hause zurückgekehrt, als Emilys Vater gestorben war! Natürlich hatte man sie auch nicht darum gebeten. Emily musste sich sogar eingestehen, dass es durchaus möglich war, dass ihr nicht einmal jemand mitgeteilt hatte, dass er krank war.
Der Gepäckträger lud ihr Gepäck aus und stellte es auf den Bahnsteig. Sie hatte ihn nicht darum gebeten – das war nicht nötig gewesen, denn sie befand sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Endstation. Sie gab ihm Geld, damit er ihr Gepäck zur Straße brachte, ging hinter ihm den Bahnsteig entlang und wurde von Minute zu Minute nässer. Sie war schon auf der Straße, als sie das Pony mit dem Einspänner und – unübersehbar – den Pfarrer sah, der auf das Tier einredete. Er drehte sich um, als er den Gepäckwagen auf dem Kopfsteinpflaster hörte. Er erblickte Emily und lächelte über das ganze Gesicht. Er war ein einfacher Mann mit unauffälligen Gesichtszügen, ein wenig aufgedunsen und doch, in diesem Augenblick, ein schöner Mann. »Ah, Mrs. Radley.« Er kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, dass sie den langen Weg auf sich genommen haben. Und das zu dieser Jahreszeit. Hatten Sie eine stürmische Überfahrt?
Gott hat diese raue See zwischen uns geschaffen, damit wir umso dankbarer sind, wenn wir sicher am gegenüberliegenden Ufer ankommen. So wie im Leben auch.« Mit traurigem Blick zuckte er schicksalsergeben die Achseln. »Wie geht es Ihnen? Müde und durchgefroren? Wir haben noch eine lange Reise vor uns, aber das lässt sich nun mal nicht ändern.« Er blickte sie voller Mitgefühl an. »Es sei denn, Sie fühlen sich dazu heute nicht mehr in der Lage.«
»Vielen Dank, Father Tyndale, aber ich fühle mich gut«, antwortete sie ihm. Sie wollte gerade fragen, wie lange die Fahrt wohl dauern würde, besann sich aber eines Besseren. Er hätte sie womöglich für feige gehalten.
»Ah, das freut mich sehr«, sagte er schnell. »Das Gepäck kommt hier hinten rauf und dann geht’s los. Den Großteil der Fahrt können wir noch bei Tageslicht machen.
« Und schon drehte er sich um und hievte den einen Koffer mit Wucht auf den Wagen. Der Gepäckträger war gerade noch schnell genug, um selber den leichteren Koffer hochzustellen.
Emily holte Luft, um etwas zu fragen, überlegte es sich dann aber anders. Was sollte sie schon sagen? Es war erst Mittag, und der Pfarrer meinte, sie würden Susannahs Haus nicht vor Einbruch der Dunkelheit erreichen! Zu welch finsterem Ende der Welt machten sie sich auf?
Father Tyndale half ihr in den Wagen, auf den Sitz neben sich, schlug eine Decke um sie, dann einen wasserdichten Überwurf, ging eilig auf die andere Seite und stieg ein. Nach ein paar aufmunternden Worten setzte sich das Pony mit gleichmäßigem Trab in Bewegung.
Emily beschlich das unangenehme Gefühl, dass das Tier besser Bescheid wusste als sie und sich auf eine lange Reise einstellte.
Als sie aus der Stadt hinauskamen, ließ der Regen etwas nach, und Emilys Blick streifte über die vorbeiziehende Landschaft. Wenn sich die Wolken teilten und ab und an ein Stückchen blauen Himmel durchscheinen ließen, taten sich in der Ferne, im Westen, plötzlich herrliche Ausblicke auf die Berge auf. Lichtsäulen strahlten auf nasses Weideland, das aus verschiedenen Farbschichten zu bestehen schien, oben von Wind und Wetter gebleicht, aber darunter tiefdunkle Rot- und versengte Grüntöne. Auf der dem Wind abgewandten Seite der Berge konnte man Schatten sehen, dunkle Bäche im Torf, und ab und zu die Überreste einer alten Schutzhütte aus Stein, die jetzt fast schwarz waren, wenn die Sonne nicht gerade auf die nasse Oberfläche schien.
»In ein paar Minuten werden Sie den See vor sich sehen«, sagte Father Tyndale plötzlich. »Er ist wunderschön mit vielen Fischen darin. Und Vögel. Er wird Ihnen gefallen. Natürlich ganz anders als das Meer.«
»Ja, das glaube ich auch«, stimmte Emily ihm zu und kuschelte sich fest in ihre Decke. Sollte sie mehr dazu sagen? Er blickte entschlossen nach vorne, konzentrierte sich auf die Fahrt, obwohl ihr nicht ganz klar war, warum das nötig war. Es gab nämlich nur die eine sich dahinschlängelnde Straße, und das Pony schien die Strecke gut zu kennen. Hätte Father Tyndale die Zügel an der dafür vorgesehenen Eisenhalterung festgebunden und wäre eingeschlafen, würde er zweifellos genauso sicher nach Hause kommen. Doch die Stille forderte sie heraus.
»Sie sagten, meine Tante sei sehr krank«, begann sie zaghaft. »Ich habe keine Erfahrung mit der Pflege. Was kann ich denn für sie tun?«
»Machen Sie sich mal keine Sorgen, Mrs. Radley«, antwortete er mit sanfter Stimme. »Mrs. O’Bannion wird da sein und helfen. Der Tod kommt, wann er will. Da kann man nichts machen. Man kann sie derweil nur etwas umsorgen.«
»Hat … hat sie denn starke Schmerzen?«
»Nein, es geht, zumindest körperlich. Und der Arzt kommt, wann immer es ihm möglich ist. Es geht mehr um eine Schwermütigkeit, ein Grübeln über die Vergangenheit …« Er stieß einen langen Seufzer aus und ein leichter Schatten legte sich über sein Gesicht, nicht etwa ein anderer Lichteinfall, nein, es war etwas, das aus seinem Inneren kam. »Ein Gefühl des Bedauerns darüber, Dinge, die man erledigen wollte, nicht mehr erledigen zu können, da es nun zu spät ist«, fügte er noch hinzu. »Das geht uns zwar allen so, aber das Gefühl, dass einem nur noch kurze Zeit zu leben bleibt, macht es umso dringlicher. Verstehen Sie, was ich meine?« »Ja«, sagte Emily kurz angebunden. Sie erinnerte sich an den unerfreulichen Augenblick, als Susannah der Familie eröffnet hatte, dass sie wieder heiraten würde, nicht etwa jemanden, den alle gutheißen würden, nein, einen Iren aus Connemara. Das alleine wäre ja nicht so schlimm gewesen. Der eigentliche Affront war, dass
Hugo Ross katholisch war.
Übersetzung: Regina Schirp
Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Er ist für dich«, antwortete er und reichte ihr den Brief. »Er wurde gerade eben abgegeben. Ich glaube, es ist Thomas’ Handschrift.«
Thomas Pitt war ihr Schwager, ein Polizist. Ihre Schwester Charlotte hatte weit unter ihrem Stand geheiratet. Doch sie hatte es nicht einen Tag lang bereut, auch wenn sie auf die gesellschaftlichen und finanziellen Annehmlichkeiten verzichten musste, an die sie gewöhnt gewesen war. Im Gegenteil, es war Emily, die sie um die dazugewonnene Möglichkeit beneidete, sich mit einigen seiner Fälle zu beschäftigen. Zu lange war es schon her, dass Emily ein Abenteuer, eine Gefahr, Gefühlsausbrüche, Wut oder Mitleid erlebt hatte. Manchmal beschlich sie das Gefühl, gar nicht lebendig zu sein.
Emily sah auf und traf Jacks Blick. »Das ist ja völlig absurd!«, rief sie aus. »Er muss wohl den Verstand verloren haben!«
Jack blinzelte. »Ach ja? Was schreibt er denn?«
Wortlos reichte sie ihm den Brief.
Er las ihn, runzelte die Stirn und gab ihn ihr zurück. »Das tut mir leid. Du hattest dich so auf Weihnachten zu Hause gefreut, aber nächstes Jahr wird es ja wieder ein Weihnachtsfest geben.«
»Ich werde nicht dorthin fahren!«, rief sie fassungslos aus.
Er sagte nichts, sondern blickte sie nur fest an.
»Lächerlich«, protestierte sie. »Ich kann doch um Himmels willen nicht nach Connemara reisen. Schon gar nicht an Weihnachten. Es wäre so, als würde ich mich ans Ende der Welt begeben. Es ist das Ende der Welt. Jack, da gibt es nur eisiges Moor!«
»Also, ich glaube das Klima an der Westküste Irlands ist relativ gemäßigt«, wandte er ein. »Allerdings kann es auch feucht sein«, fügte er lächelnd hinzu.
Sie seufzte. Sein Lächeln betörte sie immer noch. Das sollte er aber möglichst nicht merken, weil es sonst vielleicht schwierig wäre, standhaft zu bleiben. Sie drehte sich um und legte den Brief auf den Tisch. »Morgen schreibe ich Thomas und erkläre es ihm.«
»Was willst du ihm denn sagen?«
Sie war überrascht. »Natürlich, dass es nicht infrage kommt. Aber ich werde es ihm in freundlichen Worten beibringen.«
»Wie bitte schön kann man denn freundlich ausdrücken, dass du deine Tante an Weihnachten alleine sterben lassen willst, weil dir das irische Klima nicht behagt? «, fragte er mit betont sanfter Stimme, wobei er jedes seiner Worte genau abwog.
Emily erstarrte. Sie drehte sich wieder zu ihm um und blickte ihn an. Trotz seines Lächelns wusste sie, dass er meinte, was er gesagt hatte. »Willst du mich wirklich die ganze Weihnachtszeit über nach Irland schicken? Susannah ist erst fünfzig. Sie lebt womöglich noch Jahre. Er hat ja nicht mal gesagt, was ihr überhaupt fehlt.«
»Man kann in jedem Alter sterben«, wies er sie zurecht. »Was ich will, hat nichts damit zu tun, was richtig ist.«
»Und die Kinder?« Sie spielte ihren letzten Trumpf aus. »Was werden sie denken, wenn ich sie an Weihnachten allein lasse? Zu dieser Zeit sollte die Familie zusammen sein.« Sie erwiderte sein Lächeln.
»Dann schreibe deiner Tante, sie soll alleine sterben, weil du bei deiner Familie bleiben willst«, antwortete er.
»Wenn ich’s mir genauer überlege, wirst du dem Pfarrer schreiben müssen, und der kann es ihr dann sagen.« Diese schreckliche Erkenntnis traf sie wie ein Blitz.
»Du willst also, dass ich fahre!«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Nein, wirklich nicht«, leugnete er. »Aber wenn Susannah gestorben ist, will ich auch nicht die ganzen Jahre danach mit dir und deinem schlechten Gewissen leben müssen, weil du bereust, nicht gefahren zu sein. Schuld kann selbst das, was einem am liebsten ist, zerstören. Ja gerade das, was man besonders liebt.« Er strich ihr sanft über die Wange. »Ich will dich nicht verlieren.«
»Das wirst du auch nicht!«, wandte sie eilig ein. »Du wirst mich niemals verlieren.«
»Viele Menschen verlieren einander.« Er schüttelte den Kopf. »Einige verlieren sogar sich selbst.«
Sie blickte auf den Teppich. »Aber es ist doch Weihnachten! «
Er antwortete nicht.
Sekunden tickten vorbei. Das Feuer knisterte im Kamin.
»Glaubst du, es gibt Telegramme in Irland?«, fragte sie schließlich.
»Ich weiß es nicht. Was kannst du denn in einem Telegramm schon sagen, das eine Antwort auf das Problem wäre?«
Sie atmete tief ein. »Wann mein Zug in Galway ankommt und an welchem Tag.«
Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen zärtlichen Kuss. Sie musste weinen bei dem Gedanken, was sie alles in den nächsten Wochen vermissen würde und was Weihnachten für sie bedeutete.
Zwei Tage später, als der Zug schließlich kurz vor Mittag im Bahnhof von Galway einfuhr, trat Emily bei Nieselregen auf den Bahnsteig und befand sich in einer völlig anderen Stimmung. Nach der Überfahrt auf der rauen irischen See und der Nacht in einem Dubliner Hotel fühlte sie sich sehr müde, und ihre Glieder waren steif. Hätte Jack auch nur die leiseste Ahnung, was er ihr abverlangte, wäre er nicht so anmaßend gewesen. Solche Opfer sollte niemand von einem verlangen. Schließlich war es ja Susannah gewesen, die den Entschluss gefasst hatte, sich von ihrer Familie abzuwenden, einen römisch-katholischen Mann zu ehelichen, den niemand kannte, und in dieser Moorlandschaft zu leben, wo es immerzu regnete. Sie war nicht mal nach Hause zurückgekehrt, als Emilys Vater gestorben war! Natürlich hatte man sie auch nicht darum gebeten. Emily musste sich sogar eingestehen, dass es durchaus möglich war, dass ihr nicht einmal jemand mitgeteilt hatte, dass er krank war.
Der Gepäckträger lud ihr Gepäck aus und stellte es auf den Bahnsteig. Sie hatte ihn nicht darum gebeten – das war nicht nötig gewesen, denn sie befand sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Endstation. Sie gab ihm Geld, damit er ihr Gepäck zur Straße brachte, ging hinter ihm den Bahnsteig entlang und wurde von Minute zu Minute nässer. Sie war schon auf der Straße, als sie das Pony mit dem Einspänner und – unübersehbar – den Pfarrer sah, der auf das Tier einredete. Er drehte sich um, als er den Gepäckwagen auf dem Kopfsteinpflaster hörte. Er erblickte Emily und lächelte über das ganze Gesicht. Er war ein einfacher Mann mit unauffälligen Gesichtszügen, ein wenig aufgedunsen und doch, in diesem Augenblick, ein schöner Mann. »Ah, Mrs. Radley.« Er kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, dass sie den langen Weg auf sich genommen haben. Und das zu dieser Jahreszeit. Hatten Sie eine stürmische Überfahrt?
Gott hat diese raue See zwischen uns geschaffen, damit wir umso dankbarer sind, wenn wir sicher am gegenüberliegenden Ufer ankommen. So wie im Leben auch.« Mit traurigem Blick zuckte er schicksalsergeben die Achseln. »Wie geht es Ihnen? Müde und durchgefroren? Wir haben noch eine lange Reise vor uns, aber das lässt sich nun mal nicht ändern.« Er blickte sie voller Mitgefühl an. »Es sei denn, Sie fühlen sich dazu heute nicht mehr in der Lage.«
»Vielen Dank, Father Tyndale, aber ich fühle mich gut«, antwortete sie ihm. Sie wollte gerade fragen, wie lange die Fahrt wohl dauern würde, besann sich aber eines Besseren. Er hätte sie womöglich für feige gehalten.
»Ah, das freut mich sehr«, sagte er schnell. »Das Gepäck kommt hier hinten rauf und dann geht’s los. Den Großteil der Fahrt können wir noch bei Tageslicht machen.
« Und schon drehte er sich um und hievte den einen Koffer mit Wucht auf den Wagen. Der Gepäckträger war gerade noch schnell genug, um selber den leichteren Koffer hochzustellen.
Emily holte Luft, um etwas zu fragen, überlegte es sich dann aber anders. Was sollte sie schon sagen? Es war erst Mittag, und der Pfarrer meinte, sie würden Susannahs Haus nicht vor Einbruch der Dunkelheit erreichen! Zu welch finsterem Ende der Welt machten sie sich auf?
Father Tyndale half ihr in den Wagen, auf den Sitz neben sich, schlug eine Decke um sie, dann einen wasserdichten Überwurf, ging eilig auf die andere Seite und stieg ein. Nach ein paar aufmunternden Worten setzte sich das Pony mit gleichmäßigem Trab in Bewegung.
Emily beschlich das unangenehme Gefühl, dass das Tier besser Bescheid wusste als sie und sich auf eine lange Reise einstellte.
Als sie aus der Stadt hinauskamen, ließ der Regen etwas nach, und Emilys Blick streifte über die vorbeiziehende Landschaft. Wenn sich die Wolken teilten und ab und an ein Stückchen blauen Himmel durchscheinen ließen, taten sich in der Ferne, im Westen, plötzlich herrliche Ausblicke auf die Berge auf. Lichtsäulen strahlten auf nasses Weideland, das aus verschiedenen Farbschichten zu bestehen schien, oben von Wind und Wetter gebleicht, aber darunter tiefdunkle Rot- und versengte Grüntöne. Auf der dem Wind abgewandten Seite der Berge konnte man Schatten sehen, dunkle Bäche im Torf, und ab und zu die Überreste einer alten Schutzhütte aus Stein, die jetzt fast schwarz waren, wenn die Sonne nicht gerade auf die nasse Oberfläche schien.
»In ein paar Minuten werden Sie den See vor sich sehen«, sagte Father Tyndale plötzlich. »Er ist wunderschön mit vielen Fischen darin. Und Vögel. Er wird Ihnen gefallen. Natürlich ganz anders als das Meer.«
»Ja, das glaube ich auch«, stimmte Emily ihm zu und kuschelte sich fest in ihre Decke. Sollte sie mehr dazu sagen? Er blickte entschlossen nach vorne, konzentrierte sich auf die Fahrt, obwohl ihr nicht ganz klar war, warum das nötig war. Es gab nämlich nur die eine sich dahinschlängelnde Straße, und das Pony schien die Strecke gut zu kennen. Hätte Father Tyndale die Zügel an der dafür vorgesehenen Eisenhalterung festgebunden und wäre eingeschlafen, würde er zweifellos genauso sicher nach Hause kommen. Doch die Stille forderte sie heraus.
»Sie sagten, meine Tante sei sehr krank«, begann sie zaghaft. »Ich habe keine Erfahrung mit der Pflege. Was kann ich denn für sie tun?«
»Machen Sie sich mal keine Sorgen, Mrs. Radley«, antwortete er mit sanfter Stimme. »Mrs. O’Bannion wird da sein und helfen. Der Tod kommt, wann er will. Da kann man nichts machen. Man kann sie derweil nur etwas umsorgen.«
»Hat … hat sie denn starke Schmerzen?«
»Nein, es geht, zumindest körperlich. Und der Arzt kommt, wann immer es ihm möglich ist. Es geht mehr um eine Schwermütigkeit, ein Grübeln über die Vergangenheit …« Er stieß einen langen Seufzer aus und ein leichter Schatten legte sich über sein Gesicht, nicht etwa ein anderer Lichteinfall, nein, es war etwas, das aus seinem Inneren kam. »Ein Gefühl des Bedauerns darüber, Dinge, die man erledigen wollte, nicht mehr erledigen zu können, da es nun zu spät ist«, fügte er noch hinzu. »Das geht uns zwar allen so, aber das Gefühl, dass einem nur noch kurze Zeit zu leben bleibt, macht es umso dringlicher. Verstehen Sie, was ich meine?« »Ja«, sagte Emily kurz angebunden. Sie erinnerte sich an den unerfreulichen Augenblick, als Susannah der Familie eröffnet hatte, dass sie wieder heiraten würde, nicht etwa jemanden, den alle gutheißen würden, nein, einen Iren aus Connemara. Das alleine wäre ja nicht so schlimm gewesen. Der eigentliche Affront war, dass
Hugo Ross katholisch war.
Übersetzung: Regina Schirp
Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Anne Perry
Anne Perry, 1938 in London geboren, musste als Zehnjährige wegen ihrer angegriffenen Gesundheit England verlassen und verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Neuseeland und auf den Bahamas. Schon früh begann sie zu schreiben. Mittlerweile begeistert sie mit ihrem Helden, dem Privatdetektiv William Monk, sowie dem Detektivgespann Thomas und Charlotte Pitt ein Millionenpublikum. Die Autorin lebt in Suffolk.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anne Perry
- 2011, 176 Seiten, Maße: 12,5 x 19,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Regina Schirp
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453434757
- ISBN-13: 9783453434752
Rezension zu „Der Weihnachtsfluch “
"Eine faszinierende Mordgeschichte aus dem spätviktorianischen England."
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