Des Schreinermeisters schönster Sarg
Fischbach: eines von diesen gemütlichen Dörfern irgendwo in der deutschen Provinz, in denen nie etwas passiert! Wirklich nie? In letzter Zeit kursieren wütende Drohbriefe und...
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Fischbach: eines von diesen gemütlichen Dörfern irgendwo in der deutschen Provinz, in denen nie etwas passiert! Wirklich nie? In letzter Zeit kursieren wütende Drohbriefe und eine ältere Dame nach der anderen verschwindet. Spurlos, wie es scheint. Kugelmeyer, der seinen Dienst als Kommissar quittieren musste, wird als Privatdetektiv nach Fischbach geschickt. Aber was als kleine Auszeit vom quälenden Alltag begann, wird unversehens zu einem Ausflug mitten hinein in ungeahnte menschliche Abgründe ...
Des Schreinermeisters schönster Sarg vonGunnar Steinbach
LESEPROBE
Lautlosigkeit ist ein schönes Gefühl.
Schonals kleines Mädchen hatte sie die Fähigkeit, sich nahezu geräuschlos durch dasHaus zu bewegen, mit großer Lust zur Perfektion gebracht. Sie kannte dieStellen, auf die man treten musste, damit die Treppe nicht knarrte. Sie wusste,wie weit man Türen öffnen konnte, ohne dass sie quietschten, und sie war -damals - dünn genug, auch den kleinsten Spalt zu nutzen. Es war immer vonVorteil, wenn andere das eigene Kommen und Gehen nicht bemerkten. So gab es abund an etwas aufzuschnappen, ab und an etwas zu sehen, was sie eigentlich nichthätte aufschnappen und auch nicht hätte sehen sollen.
DieFähigkeit, sich geräuschlos zu bewegen, gab ihr auch nach den vielen Jahrennoch die anregende Illusion der Unsichtbarkeit. Von den anderen nichtwahrgenommen, war sie mit allen ihren Sinnen präsent: Das ist Unsichtbarkeit. Einschönes Gefühl, eines, das kribbelte. Sie hatte es sich bewahrt über all dieJahre. Mittlerweile konnte sie zwar nicht mehr jeden kleinen Türspalt nutzen,aber sie war nicht nur ein bisschen fülliger geworden, auch erfahrener: Siewusste, wie man Türscharniere ölen muss. Wenn sie loszog im Haus, um unsichtbarzu sein, war es wie früher. Sie ging auf die Jagd. Auf die Jagd nach Wahrheit,wie sie es nannte. Sie war dann immer noch ein bisschen aufgeregt, und eskribbelte wieder. Eigentlich ein schönes Gefühl.
Seitein paar Tagen allerdings nicht mehr.
Schonzum dritten Mal beobachtete sie Freddi durch einen Spalt der Küchentür, wie ermit beiden Händen auf eine Mehltüte drückte. Den Kopf zur Seite gedreht unddunkelrot, die Augen geschlossen, die Fingerknöchel weiß. Er schnaufte leiseund angestrengt. Heute machte er auch noch rhythmische Bewegungen mit demOberkörper, so, als versuche er, einen merkwürdigen Takt zu halten.
Siehatte keine Idee, warum es jemandem Freude bereiten könnte, mit so vielAnstrengung und Kraft auf Mehltüten herumzudrücken.
Alsdie Tüte platzte, taumelte Freddi und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Erschnappte nach Luft und machte Töne, die sie von einem Mann schon lange nichtmehr gehört hatte. Er musste sich an der Spüle festhalten, sah auf die Tüte undlächelte zufrieden.
Siezog sich lautlos zurück, als er begann, das Mehl aufzufegen. Sie hatte nichtdie leiseste Ahnung, warum er tat, was er tat. Vielleicht eine Art Training? Aberwofür? Irgendeiner dieser skurrilen Wettbewerbe oder eine Wette? Warum dannheimlich? Er drückte nur auf den Tüten herum, wenn er annahm, alleine zu sein. Wasauch immer er im Kopf hatte, sie begann, sich Sorgen zu machen.
ZuRecht. Und Training war schon ziemlich dicht dran.
KAPITEL 1
Elmar Kugelmeyer war kein gewalttätiger Mensch. Nie gewesen.
Auchnicht als Polizist. Er hatte sich nie aufgedrängt, wenn es drohte, irgendwo zurSache zu gehen. Musste er auch nicht, es hatte immer andere gegeben, die eineim Grundsatz positive Einstellung zum Schmerz mitbrachten. Seine letztePrügelei lag dreißig Jahre oder länger zurück. Auf dem Schulhof? Vermutlich, erhatte keine Erinnerung daran. Und richtig geprügelt hatte er sich dort auchnicht. Harmlose Rangeleien, die sich nach ein bisschen Schubsen mit einem demAlter entsprechenden »Hau endlich ab, du Arsch« folgenlos beenden ließen. Daswar s. Kugelmeyer, fünfundvierzig Jahre alt, kämpfte mit Übergewicht und seit einpaar Wochen mit Magenproblemen, konnte sich ärgern und aufregen, war schnellauf 180, gefährlich aggressiv wurde er jedoch nie.
DemTürken hätte er allerdings gerne eine aufs Maul gehauen. Wegen seines Grinsens.Alle beherrschten sich, der Türke grinste.
Daswar Gift für Kugelmeyers Psyche.
Mittwochmorgen,kurz nach 7 Uhr, Teambesprechung. Für Kugelmeyer war s die erste am neuenArbeitsplatz. Er saß links neben Theisen, hörte zu und bemühte sich uminteressierte Gelassenheit. Kurzer Seitenblick auf Theisen, Blick in die Runde,entspanntes Zurücklehnen. Er kam wieder vor, spielte mit der Kaffeetasse, hörteweiter zu, blickte erneut in die Runde. Er hoffte, sein Theater seiüberzeugend, denn gelassen war Kugelmeyer nicht. Er fühlte sich nicht gut. Irgendetwaswar gleich zu Beginn ziemlich schief gegangen.
Kugelmeyerwar der Neue, Kugelmeyer war der Clown. Geschminkt, mit Tränchen auf der Backeund Blumenhütchen vor sich auf dem Tisch, großer, schwarzweißer Karojacke, wallenderHose und Schuhen mit Bommel auf der Spitze saß er in der Runde, hörte Theisen,der sich überschlug mit freundlichen Bemerkungen, ihn als Profi und die langersehnte Verstärkung pries, sah Güler, den Türken, grinsen und hörte sich dannselbst berichten von seinen Schwierigkeiten bei der Jonglage, vonGrundsätzlichem zum Wesen des Clowns, der das Menschliche betone, der sich dümmeranstellen müsse als alle in seiner Umgebung, der so eine neue Hierarchieschaffe, die es den Menschen ermögliche, Dinge zu sagen, die sie sonstvielleicht nicht sagen würden. Die versteckte Fröhlichkeit eskalierte dankbarin Lachern, als er einen kleinen Scherz anbot: »Das mit dem dümmer als alleanderen anstellen ist mir leicht gefallen, jedenfalls leichter, als drei Bällein der Luft zu halten.«
Allelachten laut, holten kurz Luft und lachten noch einmal.
NurGüler nicht, dem reichte sein Grinsen.
»DämlicherSack«, dachte Kugelmeyer.
Kugelmeyerhatte in den vergangenen Monaten einiges einstecken müssen. Seine Frau hattesich von ihm getrennt, und er hatte aus gesundheitlichen Gründen den Dienst beider Polizei quittiert - nach offizieller Lesart. In Wahrheit hatten seineVorgesetzten so lange Druck auf ihn ausgeübt, bis er seinem Abschied zugestimmthatte. Er war nach Ermittlungen in eigener Sache in Ungnade gefallen. Das Ganzehatte sich am Ende ein wenig zugespitzt: Kugelmeyer war mit seiner konservativenund starren Haltung zu einem Tötungsdelikt, bei dem Ermittlungen über die aufder Hand liegende Lösung hinaus nur schwer mit wichtigen ökonomischen und politischenInteressen in Einklang zu bringen gewesen waren, ins Abseits geraten. Diefinanzielle Absicherung durch die Pension und die Aussicht, bei der DetekteiTheisen eine neue Perspektive zu finden, hatten alles ein bisschen einfacher gemacht.
Besserwäre es wohl gewesen, noch zwei, drei Wochen Pause zu machen, vielleichtwegzufahren und ein wenig zu sich zu kommen. Wenigstens den Versuch zuunternehmen, die letzten Monate zu verarbeiten. Aber Kugelmeyer hatte sich fürden direkten Weg entschieden. Ein Treffen mit Karl- Josef Theisen in Köln,siebzigminütiges Gespräch, der Montag darauf war sein erster Arbeitstag.
EinFehler.
Beidem Einstellungsgespräch hatte Theisen Kugelmeyer das Gefühl gegeben, alsbenötige seine Detektei nichts dringender als einen Profi wie ihn.
»Elmar,das ist das größte Problem für mich, ganz ehrlich: gute Mitarbeiter, Leute, aufdie ich mich verlassen kann. Gold, heutzutage pures Gold. Für so einen robbeich auf allen vieren zum Klondike und fange an zu buddeln. Ehrlich! Spinner,Verrückte, abgehalfterte Sesselfurzer - davon kriege ich jeden Tag zehn Stück,wenn ich will. Die stehen vor meinem Schreibtisch und haben einen Detektivromanunter dem Arm. Oh Gott! Aber als ich hörte, weshalb du Schwierigkeiten hast,habe ich abends wieder angefangen zu beten. Lieber Gott, schick ihn zu mir,habe ich gesagt. Einer, der seinem Bauch vertraut und Recht hat, einer, dernicht einknickt, wenn sein Chef mit dem öffentlichen Interesse argumentiert? Herdamit!«
Kugelmeyerlächelte dankbar, war aber leicht verunsichert. Er hatte sich Theisen ganzanders vorgestellt. Hätte er gar nicht genau begründen können, aber einer, derTheisen heißt und eine erfolgreiche Detektei aufgebaut hat, sollte mindestens1,85 Meter groß und kräftig sein. Er reagierte deshalb auch ein bisschenungeschickt, als sie sich auf dem Flur vor Theisens Büro zum ersten Malgegenüberstanden. Theisen hatte die 1,70 Meter deutlich verfehlt, trug einen dunkelbraunenMaßanzug mit Weste über fülliger Hüfte und Bauch, Schuhe für zweihundert Euro,eine Uhr, die nicht viel billiger gewesen sein dürfte als Kugelmeyersgebrauchter Landrover, und war sonnengebräunt. Auch auf der Glatze mitspärlichem Haarkranz, die aus Kugelmeyers Position gut einzusehen war.Vielleicht waren es nur drei, vier Sekunden, die er gebraucht hatte, um zurealisieren, dass er seinem neuen Chef die Hand schüttelte. Und ob er den Satz»der eitle Zwerg bringt mich hoffentlich schnell zu Theisen« wirklich sogedacht hatte, hätte er im Nachhinein gar nicht mehr sagen können. War aberauch nicht wichtig. Theisen hätte der Satz nicht überrascht. Er kannte dieBlicke von oben und kannte auch die Gedanken, die sie schickten. Beschränkte sichfürs Erste aber auf ein Lächeln. (...)
© btb Verlag
- Autor: Gunnar Steinbach
- 2006, 350 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442735025
- ISBN-13: 9783442735020
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