Vertraute Gefahr / Detective Jay Hunter Bd.1
Roman
Die Bibliothekarin Autumn will ihre schreckliche Vergangenheit hinter sich lassen und wagt deshalb einen Neuanfang als Rangerin im Arches National Park in Utah. Gleich am ersten Tag verletzt sie sich jedoch und bleibt hilflos in der Wildnis liegen. Durch...
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Produktinformationen zu „Vertraute Gefahr / Detective Jay Hunter Bd.1 “
Die Bibliothekarin Autumn will ihre schreckliche Vergangenheit hinter sich lassen und wagt deshalb einen Neuanfang als Rangerin im Arches National Park in Utah. Gleich am ersten Tag verletzt sie sich jedoch und bleibt hilflos in der Wildnis liegen. Durch Zufall wird sie von dem Ranger Shane Hunter gefunden, der sofort von ihr fasziniert ist. Doch Autumn reagiert zunächst ängstlich und abweisend auf seine Hilfe.
Mit viel Geduld gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu gewinnen. Durch Shanes Aufmerksamkeit beginnt Autumn langsam ihre Angst und die schrecklichen Erinnerungen zu überwinden.
Aber dann wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, und nicht nur sie, sondern auch Shane schweben in höchster Gefahr.
Mit viel Geduld gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu gewinnen. Durch Shanes Aufmerksamkeit beginnt Autumn langsam ihre Angst und die schrecklichen Erinnerungen zu überwinden.
Aber dann wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, und nicht nur sie, sondern auch Shane schweben in höchster Gefahr.
Klappentext zu „Vertraute Gefahr / Detective Jay Hunter Bd.1 “
Die Bibliothekarin Autumn will ihre schreckliche Vergangenheit hinter sich lassen und wagt deshalb einen Neuanfang als Rangerin im Arches National Park in Utah. Gleich am ersten Tag verletzt sie sich jedoch und bleibt hilflos in der Wildnis liegen. Durch Zufall wird sie von dem Ranger Shane Hunter gefunden, der sofort von ihr fasziniert ist. Doch Autumn reagiert zunächst ängstlich und abweisend auf seine Hilfe. Mit viel Geduld gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu gewinnen. Durch Shanes Aufmerksamkeit beginnt Autumn langsam ihre Angst und die schrecklichen Erinnerungen zu überwinden. Aber dann wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, und nicht nur sie, sondern auch Shane schweben in höchster Gefahr ...
Lese-Probe zu „Vertraute Gefahr / Detective Jay Hunter Bd.1 “
Vertraute Gefahr von Michelle RavenArches National Park, Utah
Wenn sie geahnt hätte, was passieren würde, wäre sie in einen anderen Teil des Parks gegangen oder besser noch in ihrem Hotelzimmer in Moab geblieben. Autumn verlagerte vorsichtig ihr verletztes Bein auf dem glatten, aber unbequemen Felsblock, den sie mit letzter Kraft erreicht hatte. Auch wenn er nicht besonders hoch war, konnte sie so ihr Knie etwas entlasten, das sich in ihrer Jeans bereits geschwollen anfühlte. Und es war immer noch besser, als im Sand zu sitzen und womöglich auf irgendwelche Krabbelviecher zu stoßen.
Dummerweise hatte sie am Parkplatz zum Fiery Furnace im Arches National Park, einem Gebiet mit verwirrenden hohen Felssäulen aus rotem Sandstein, die Warnschilder ignoriert, die auf unmarkierte Wege und Verirrungsgefahr hinwiesen. Sie hatte sich nicht für einen unbedarften Besucher gehalten - eine klare Fehleinschätzung. Auch wenn sie in einer Woche Ranger im Park werden würde, hieß das noch lange nicht, dass sie sich hier auskannte, schließlich kam sie geradewegs aus New York. Nun wusste sie es besser. Während ihrer mehrstündigen Wanderung war sie mit ihren Turnschuhen auf dem teuflisch glatten Fels mit dem treffenden Namen Slickrock ausgerutscht und hatte sich ihr Knie verletzt. Zusätzlich zu den Schmerzen quälte sie furchtbarer Durst, und auch die Tatsache, dass sie seit heute Morgen nichts gegessen hatte, machte sich unangenehm bemerkbar. Aber noch schlimmer war, dass es langsam dunkler wurde und sie wohl die Hoffnung aufgeben musste, heute noch gerettet zu werden.
... mehr
Es würde sie nicht mal jemand vermissen, denn sie hatte niemandem gesagt, dass sie sich im Fiery Furnace aufhalten wollte. Wem hätte sie es auch sagen sollen? Sie kannte hier niemanden, und wenn es nach ihr ging, dann würde das auch so bleiben. Sie war in diese weite Landschaft gekommen, um dem Engegefühl in New York und ihrer Arbeit als Bibliothekarin zu entfliehen. Natürlich gab es auch noch andere Gründe, aber darüber wollte sie im Moment lieber nicht nachdenken, schließlich hatte sie schon genug Probleme. In diesem Moment hätte sie sich allerdings gefreut, andere Menschen zu sehen, denn das würde bedeuten, dass sie nicht die Nacht hier in diesem einsamen Gebiet verbringen musste.
Ein Schauder lief bei der Vorstellung über ihren Rücken, hier in der Dunkelheit ausharren zu müssen. Es konnte sich jederzeit jemand nähern und ... Mit Gewalt schob Autumn diesen Gedanken beiseite. Sie musste jetzt die Nerven behalten, wenn sie die Nacht überstehen wollte. Auch wenn ihre Erinnerung sie zurück in den Abgrund führen wollte, musste sie dagegen ankämpfen. Sie war hier zwar allein, aber das hatte auch den Vorteil, dass Robert nicht wusste, wo sie war. Und damit gab es keine Gefahr, dass er plötzlich auftauchen würde. Sie musste nur warten. Morgen würden neue Besuchergruppen dieses Gebiet durchwandern und sie entdecken.
Autumn lehnte sich zurück. Wenigstens war es nach Sonnenuntergang ein wenig kühler geworden, was ihrer verbrannten Haut unendlich guttat. Trotz ihrer misslichen Lage musste sie zugeben, dass der Nationalpark wunderschön war. Massive dunkelrote Felswände, balancierende Steine und die bekannten Felsbögen gaben eine faszinierende Kulisse ab. Hier im Fiery Furnace, im Schluchtenlabyrinth aus Buntsandsteinsäulen, die in der späten Abendsonne Feuer zu fangen schienen, gab es die moderne Welt nicht mehr. Kein Laut war zu hören, außer dem gelegentlichen Singen eines Vogels. In den Büchern, die sie sich in Vorbereitung auf ihre Arbeit gekauft hatte, stand, dass die meisten der hier heimischen Tiere den ganzen Tag in Felsspalten schlummerten und erst nachts aktiv wurden. Sie hoffte, dass diese Regel auch für Schlangen und Skorpione galt.
Schnell richtete sie sich auf, als sie ein Rascheln hörte. Sie sah sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches in der flimmernden Hitze und den dunklen Schatten entdecken. Erleichtert ließ sie sich zurücksinken. Glücklicherweise würde die Temperatur nachts nicht so extrem sinken, erfrieren würde sie also nicht. Aber es konnte durchaus sein, dass sie verdurstete. Ihr letztes Wasser hatte sie schon vor Stunden getrunken und nun fühlte sich ihre Zunge in ihrem Mund wie ein trockenes Stück Holz an. Mühsam versuchte sie zu schlucken. In einem Buch hatte sie gelesen, dass man sich kleine Steine in den Mund legen sollte, um den Speichelfluss anzuregen. Aber wo waren diese Steine, wenn man sie brauchte? Hier gab es nur Felsblöcke und Sand. Da sie im Moment nichts tun konnte, lehnte Autumn sich zurück und schloss die Augen. Sofort döste sie ein.
Leichtfüßig lief Shane Hunter den schmalen, unmarkierten Weg hinab, der nur für Eingeweihte zu erkennen war. Er war guter Stimmung, hatte er doch viele gute Fotos von versteckten Orten im Fiery Furnace geschossen. Das Licht war ideal für die Aufnahmen gewesen, weich und fließend. Sonst war die Sonneneinstrahlung hier im Südwesten oft zu stark und produzierte zu harte Schatten. Doch jetzt wurde es allmählich dunkel und er würde sich beeilen müssen, denn das Gebiet war nicht beleuchtet und selbst er konnte sich im Dunkeln verirren oder verletzen. Das Gewicht seines vollgepackten Rucksacks machte ihm nichts aus, er war es gewohnt, damit stundenlang durch die Gegend zu laufen.
Sein einbeiniges Stativ benutzte er als Wanderstock. Wie immer fühlte er sich in der freien Natur sofort viel besser. Selbst ein anstrengender Tag als Ranger konnte ihn nicht davon abhalten, sich allabendlich, sofern er keinen Dienst hatte, mit seinem Fotoapparat an stille, spektakuläre Orte zurückzuziehen, um in Ruhe seine Bilder zu machen.
In seine Gedanken versunken, bemerkte er kaum den dunkelroten Fleck auf einem der Felsblöcke. Erst als er sich bewegte, registrierte Shane, dass es sich nicht um einen der unzähligen roten Felsen handelte. Vielleicht war es ein verletztes Tier, das in einer Felsspalte feststeckte. Andererseits hatte er noch nie ein Tier dieser Farbe gesehen. Shane bewegte sich vorsichtig über die rutschigen Felsen auf den Fleck zu. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, erkannte er plötzlich, was es war: Haare! Den Rest der Strecke legte er im Laufschritt zurück.
Shane umrundete den letzten Felsblock und stand vor einem Häufchen Mensch, das absolut bemitleidenswert aussah. Zerzauste dunkelrote Haare standen in hartem Kontrast zu rosafarbener, ehemals wohl weißer Haut, die ziemlich verquollen schien. Ein schmutziger Streifen zog sich über die rechte Wange. Shane bückte sich, um den Puls an der Halsschlagader zu prüfen, als sich die Augenlider flatternd hoben und er in die grünsten Augen blickte, die er je gesehen hatte. Gebannt beobachtete er, wie sich die Augen erst zusammenzogen und dann erschreckt weiteten. Beruhigend wollte er seine Hand auf ihre Schulter legen, als die Frau ihn plötzlich mit beiden Händen vor die Brust stieß. Darauf nicht vorbereitet, konnte Shane sich nicht mehr rechtzeitig festhalten und kippte nach hinten um.
Er sah gerade noch, wie sich die Frau in eine Felsnische zurückzog, bevor er rückwärts den Felsen hinunterfiel. Dank seines Rucksacks landete er relativ weich, doch es ärgerte ihn, dass er die Reaktion der Frau nicht hatte kommen sehen. Shane hob sein Stativ auf, das er bei dem Sturz verloren hatte, und erhob sich.
Wenn sie es gekonnt hätte, wäre sie wohl noch weiter in den Fels hineingekrochen, als er sich erneut vor ihr aufbaute. Sie gab einen Laut von sich, der Shane einen Schauder über den Rücken trieb.
Er legte das Stativ zur Seite, da die Frau offensichtlich Angst vor ihm hatte.
»Ich will Ihnen nichts tun, ich versuche nur Ihnen zu helfen.«
Sie rührte sich nicht, schien wie erstarrt.
Vorsichtig näherte Shane sich ihr wieder und beugte sich vor, seine Hand offen ausgestreckt, damit sie verstand, dass er ihr nichts tun wollte. Vielleicht war sie eine ausländische Touristin. »Verstehen Sie mich? Sprechen Sie meine Sprache?«
Ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie atmete einige Male tief durch, bevor sie ihn direkt ansah.
»Ja. Es tut mir leid, dass ich Sie angegriffen habe, ich dachte, Sie wären jemand anderes.«
Erleichtert stellte er fest, dass die Frau wohl doch nicht so verwirrt war, wie er erst gedacht hatte. Und sie war Amerikanerin, wahrscheinlich von der Ostküste, wenn er ihre hastige Sprechweise als Indiz nahm. »Haben Sie sich verirrt?«
»Ich denke schon. Zumindest weiß ich nicht, wie ich wieder zum Parkplatz komme.«
Ihre Stimme gefiel ihm, leise, dunkel und etwas rau, was allerdings auch daran liegen konnte, dass sie schon längere Zeit hier in der Sonne gesessen hatte. »Möchten Sie etwas zu trinken?«
»Ja bitte.«
Erfreut merkte er, dass sie schon etwas weniger ängstlich wirkte und sich von ihm helfen lassen wollte. Schweigend setzte Shane seinen Rucksack ab und öffnete ihn. Er musste erst seine Kamera und einige Objektive auspacken, um an seine Trinkflasche zu kommen.
Wortlos reichte er sie ihr.
»Vielen Dank, ich bin halb verdurstet.« Sie nahm ihm das Wasser ab, wobei sich kurz ihre Finger berührten. Sofort zuckte sie etwas zurück, fing sich aber rasch wieder. Hätte er sie nicht gerade beobachtet, wäre es ihm entgangen. Sie trank gierig in großen Schlucken.
»Nicht so viel auf einmal, das ist nicht gut, wenn Sie längere Zeit nichts getrunken haben.« Sie nahm noch einen Schluck und wollte Shane dann die halb leere Flasche zurückgeben,
die er aber ablehnte. »Behalten Sie die für später.«
Mit diesen Worten nahm er eine weitere Flasche aus seinem Rucksack und setzte sie an den Mund. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Frau ihren Blick über seinen Körper wandern ließ. Überraschenderweise löste das in ihm ein Kribbeln aus, das er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Allerdings konnte er immer noch die Anspannung in ihrem Gesicht erkennen und eine Spur von Angst, die ihm nicht gefiel. Rasch steckte er die Flasche wieder ein und richtete sich auf. »Können Sie aufstehen? Wir sollten uns beeilen, damit wir noch im Hellen zum Parkplatz kommen.«
»Ich fürchte nein. Ich bin hier herumgeirrt und habe den richtigen Weg gesucht, als ich auf einem dieser verdammten Felsen ausgerutscht bin und mir das Knie verdreht habe. Es tut höllisch weh.«
Besorgt beugte Shane sich vor.
»Soll ich es mir einmal ansehen? Ich bin in Erster Hilfe ausgebildet.«
Sie schien sich noch weiter in sich zurückzuziehen und er versuchte, so harmlos zu wirken, wie es bei seiner Größe ging.
»Vielleicht könnten Sie mir nur beim Aufstehen helfen? Dann kann ich sehen, ob es inzwischen besser geworden ist.«
Shane legte eine Hand unter ihren Ellbogen, um sie zu stützen. Wieder bemerkte er, wie sie kurz zurückzuckte, und wunderte sich darüber. Zitternd stützte sie sich mit einer Hand am Felsblock ab, während sie mit der anderen seinen Oberarm umfasste. Sie setzte den Fuß ihres verletzten Beines vorsichtig auf, um im nächsten Moment mit einem Schmerzenslaut wieder zurückzusinken.
Mit verzerrtem Gesicht rieb sie über ihr Knie. »Ich fürchte, ich kann doch nicht mehr laufen.«
Sofort kniete Shane sich neben sie. »Ich habe in meinem Erste-Hilfe-Paket einen Eispack,
den können wir über Ihr Knie binden.«
»Nein, lassen Sie nur, ich komme zurecht. Wenn Sie mich stützen, werde ich es schon schaffen.«
Ihre Stimme klang angespannt.
Shane musterte sie. In ihren Augen flackerte Panik, ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Ärger stieg in ihm auf, dass sie ihn anscheinend für jemanden hielt, der ihr wehtun könnte. »Hören Sie, ich werde Ihnen bestimmt nichts tun. Ich bin Parkranger und es ist mein Job, mich um Sie zu kümmern. Und das werde ich auch tun. Also, entweder ziehen Sie sich jetzt Ihre Hose aus, damit ich mir Ihr Knie ansehen kann, oder ich werde es tun.«
Mit diesen Worten streckte er seine Hand nach ihr aus.
»Aber Sie tragen keine Rangerkleidung, woher soll ich wissen, dass Sie die Wahrheit sagen?« Ihre raue Stimme zitterte.
»Ich trage meine Privatkleidung, weil ich heute Abend nicht im Dienst bin. Ich habe hier fotografiert. Und wenn wir uns nicht beeilen, wird es ganz dunkel sein und dann finde selbst ich den Weg zurück nicht mehr.«
Das war zwar gelogen, aber er wollte, dass sie möglichst schnell hier herauskam.
»In Ordnung. Haben Sie vielleicht eine Schere bei sich? Ich wollte schon immer mal eine Shorts aus Jeansstoff haben.«
Erstaunt blickte er sie an. »Wäre es nicht einfacher, die Hose auszuziehen?«
Als er ihren Blick sah, verwarf er die Idee sofort wieder.
»Okay, wie Sie wollen. Ich habe allerdings nur ein Messer bei mir, aber das wird wohl auch gehen.«
Er griff nach seinem Messer, das am Gürtel befestigt war, und sah ihr in die Augen. Die Angst, die er darin erkannte, bestürzte ihn. Ihre zitternde Hand fuhr zu ihrer Kehle, wie um sie zu schützen. Sie starrte wie hypnotisiert das Messer an, während sie gleichzeitig weiter nach hinten kroch, bis der Felsen sie stoppte. Ein Stöhnen entfuhr ihr.
Shane legte das Messer zur Seite.
»Keine Angst, ich will Ihnen nur helfen. Hören Sie mich?«
Als sie nicht reagierte, nahm er ihre Hand in seine und rieb sie beruhigend.
»Ich will mir doch nur Ihr Knie ansehen.«
Ein Zittern durchlief ihren Körper, doch ihre Hand war nicht mehr ganz so verspannt. »Vielleicht sollte ich mich erst vorstellen: Mein Name ist Shane Hunter. Wie heißen Sie?« Schweigen.
»Also, ich nehme jetzt das Messer und schneide Ihre Hose ab, okay?«
Er setzte das Messer ans Hosenbein. Mit einem kurzen Schnitt hatte er einen Anfang geschaffen und säbelte weiter. Wenig später legte sich eine weiche Hand auf seine.
Er schaute auf.
»Ich bin Autumn. Autumn Howard.«
Er blickte auf ihre dunkelroten Haare und ein Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Ja, das passt. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. In Kürze werden Sie um eine Jeansshorts reicher sein.«
Zögernd umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen. »Danke für Ihre Hilfe. Ohne Sie hätte ich die Nacht auf dem Felsen verbringen müssen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, hier herauszukommen.«
Ein letzter Ruck an ihrer Hose und ihr Bein war bis zum Oberschenkel nackt. Immer noch lächelnd beugte sich Shane darüber, um sich die Knieverletzung anzusehen. Doch das Lächeln erstarb schlagartig, als er die wulstigen, leicht rosafarbenen Linien sah, die ihren Oberschenkel überzogen. Er blickte hoch und sah den Schmerz, der in ihre Augen trat, als ihr klar wurde, dass er die Narben bemerkt hatte. Sie waren nicht neu, aber auch noch nicht so alt, dass sie schon verblasst waren. Er schätzte sie auf vielleicht ein halbes bis ein Jahr ein.
Weil er Autumn nicht weiter verunsichern wollte, wandte er sich sofort wieder der frischen Verletzung zu, auch wenn ihm die Frage auf der Zunge lag, woher die Narben stammten.
Das Knie war geschwollen und bläulich verfärbt, es handelte sich wahrscheinlich um eine starke Prellung. Er wühlte in seinem Rucksack und zog den Eispack heraus. Die Tüte enthielt eine chemische Flüssigkeit, die durch Kneten des Beutels mit anderen Bestandteilen reagierte und so die Kälte erzeugte. Nach sorgfältigem Kneten band er den Eispack mit Mullbinden an das Knie. Dabei achtete er sorgfältig darauf, nicht auf die Narben zu starren oder sich zumindest nichts anmerken zu lassen.
Während Shane sie verarztete, wirbelten unzählige Fragen durch seinen Kopf. Aber da er ahnte, dass Autumn sie ihm nicht beantworten würde, stellte er sie nicht. Außerdem würde er sie nach diesem Abend wohl nie wiedersehen. Ein leichtes Bedauern überkam ihn. Seine Familie sagte immer, er wäre zu neugierig und würde sich in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Wahrscheinlich hatten sie recht. Aber er konnte sich nicht einfach abwenden und das Leid anderer Menschen ignorieren, wenn er das Gefühl hatte, dass er helfen konnte.
Schweigend packte er seinen Rucksack wieder ein und schwang ihn auf seinen Rücken.
Autumn blickte mit einem zittrigen Lächeln zu ihm hoch.
»Vielen Dank, das Knie fühlt sich schon viel besser an.«
»Keine Ursache, dafür bin ich schließlich da. Ich würde vorschlagen, Sie nehmen Ihren Rucksack und mein Stativ, während ich Sie trage. In Ordnung?«
»Aber ich bin doch viel zu schwer für Sie! Außerdem sind die Felsen schon für einen alleine ziemlich rutschig. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass Sie sich auch noch verletzen.«
»Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Ich habe bestimmt schon schwerere Sachen getragen.«
Kritisch musterte er ihre schlanke Figur.
»Und wie wir vorhin schon festgestellt haben, können Sie ja nicht mal auftreten.«
Ohne langes Zögern bückte er sich und schob einen seiner Arme unter ihre Knie, während er mit dem anderen ihren Rücken stützte. Autumn griff rasch nach ihrem Rucksack und dem Stativ und fügte sich anscheinend in ihr Schicksal.
Sicheren Schrittes folgte er dem Weg, der sie zum Parkplatz und zu seinem Jeep führen würde, der zwar Luftlinie nur einige Hundert Meter entfernt lag, zu Fuß aber nur in etlichen Schleifen und Kletterpartien zu erreichen war, die kostbare Zeit verschlangen. Autumn hielt sich so steif, dass Shane befürchtete, sie würde beim kleinsten Ruck zerbrechen. Er beugte seinen Kopf zu ihr hinunter. »Legen Sie Ihre Arme um meinen Hals, dann können Sie nicht herunterfallen. Ich beiße nicht.«
»Das habe ich auch nicht angenommen. Ich bin es nur nicht gewohnt, auf diese Weise herumgetragen zu werden.«
Sie legte einen Arm um seinen Nacken. Ihr Blick glitt zu seinem Kinn. »Sie haben sich nicht rasiert«, murmelte sie.
Amüsiert blickte er sie an. »Danke, dass Sie mich darauf hinweisen.«
Erschrocken sah sie zu ihm auf.
»Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich bin so müde, ich weiß nicht mehr, was ich rede.«
»Dann schlafen Sie ruhig, ich finde meinen Weg auch ohne Ihre Hilfe. Am Parkplatz wecke ich Sie.«
Als hätte sie nur auf die Erlaubnis gewartet, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, schloss die Augen und versank in einen unruhigen Schlaf.
Shane erreichte den Parkplatz, gerade als die Sonne endgültig hinter den Felsen verschwand. Aufatmend legte er seine Last am Wegrand ab. Glücklicherweise hatte er seinen Jeep gleich am Eingang zum Fiery Furnace geparkt. So konnte er die hintere Klappe öffnen und das Gepäck hineinwerfen, um sich dann wieder seiner Patientin zuzuwenden. Sie sah völlig erschöpft aus, dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Er fragte sich, wie alt sie wohl war. In diesem Licht wirkte sie nicht älter als zwanzig. Warum war sie alleine in den Park gekommen? Und was zum Teufel machte sie im Fiery Furnace außerhalb einer Führung?
Er beugte sich zu Autumn hinunter, um sie aufzuwecken. Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir sind da.« Als sie davon nicht aufwachte, griff er nach ihren Armen und schüttelte sie sanft.
Benommen versuchte Autumn sich aufzusetzen. »Was ... was ist?«
»Wir sind auf dem Parkplatz bei meinem Wagen. Jetzt müssen wir Sie nur noch hineinbekommen.«
Vorsichtig hob er sie hoch, setzte sie auf den Beifahrersitz und bemühte sich, ihr Knie nirgends anzustoßen.
Autumn sank mit einem Seufzer in den Sitz. »Oh, das tut gut. Danke.«
Abrupt setzte sie sich gleich darauf wieder auf. Mit geweiteten Augen starrte sie ihn an. »Mein Hotelzimmer ist in Moab. Läuft der Shuttle-Verkehr noch?«
»Nein, dafür ist es zu spät. Zuerst werden wir sowieso die Erste-Hilfe-Station im Park aufsuchen. Morgen können Sie sich dann in Moab im Krankenhaus behandeln lassen.«
»Ja, das werde ich morgen ganz sicher tun. Im Moment würde ich allerdings lieber einfach in mein Hotel zurück und mich ausschlafen.«
»Kommt überhaupt nicht infrage.«
Unsicher sah sie ihn an.
»Aber ...«
»Keine Widerrede!«
Er ging um den Jeep herum und stieg ein.
»Margret wird Sie erst untersuchen. Danach bringe ich Sie heim.«
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Es würde sie nicht mal jemand vermissen, denn sie hatte niemandem gesagt, dass sie sich im Fiery Furnace aufhalten wollte. Wem hätte sie es auch sagen sollen? Sie kannte hier niemanden, und wenn es nach ihr ging, dann würde das auch so bleiben. Sie war in diese weite Landschaft gekommen, um dem Engegefühl in New York und ihrer Arbeit als Bibliothekarin zu entfliehen. Natürlich gab es auch noch andere Gründe, aber darüber wollte sie im Moment lieber nicht nachdenken, schließlich hatte sie schon genug Probleme. In diesem Moment hätte sie sich allerdings gefreut, andere Menschen zu sehen, denn das würde bedeuten, dass sie nicht die Nacht hier in diesem einsamen Gebiet verbringen musste.
Ein Schauder lief bei der Vorstellung über ihren Rücken, hier in der Dunkelheit ausharren zu müssen. Es konnte sich jederzeit jemand nähern und ... Mit Gewalt schob Autumn diesen Gedanken beiseite. Sie musste jetzt die Nerven behalten, wenn sie die Nacht überstehen wollte. Auch wenn ihre Erinnerung sie zurück in den Abgrund führen wollte, musste sie dagegen ankämpfen. Sie war hier zwar allein, aber das hatte auch den Vorteil, dass Robert nicht wusste, wo sie war. Und damit gab es keine Gefahr, dass er plötzlich auftauchen würde. Sie musste nur warten. Morgen würden neue Besuchergruppen dieses Gebiet durchwandern und sie entdecken.
Autumn lehnte sich zurück. Wenigstens war es nach Sonnenuntergang ein wenig kühler geworden, was ihrer verbrannten Haut unendlich guttat. Trotz ihrer misslichen Lage musste sie zugeben, dass der Nationalpark wunderschön war. Massive dunkelrote Felswände, balancierende Steine und die bekannten Felsbögen gaben eine faszinierende Kulisse ab. Hier im Fiery Furnace, im Schluchtenlabyrinth aus Buntsandsteinsäulen, die in der späten Abendsonne Feuer zu fangen schienen, gab es die moderne Welt nicht mehr. Kein Laut war zu hören, außer dem gelegentlichen Singen eines Vogels. In den Büchern, die sie sich in Vorbereitung auf ihre Arbeit gekauft hatte, stand, dass die meisten der hier heimischen Tiere den ganzen Tag in Felsspalten schlummerten und erst nachts aktiv wurden. Sie hoffte, dass diese Regel auch für Schlangen und Skorpione galt.
Schnell richtete sie sich auf, als sie ein Rascheln hörte. Sie sah sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches in der flimmernden Hitze und den dunklen Schatten entdecken. Erleichtert ließ sie sich zurücksinken. Glücklicherweise würde die Temperatur nachts nicht so extrem sinken, erfrieren würde sie also nicht. Aber es konnte durchaus sein, dass sie verdurstete. Ihr letztes Wasser hatte sie schon vor Stunden getrunken und nun fühlte sich ihre Zunge in ihrem Mund wie ein trockenes Stück Holz an. Mühsam versuchte sie zu schlucken. In einem Buch hatte sie gelesen, dass man sich kleine Steine in den Mund legen sollte, um den Speichelfluss anzuregen. Aber wo waren diese Steine, wenn man sie brauchte? Hier gab es nur Felsblöcke und Sand. Da sie im Moment nichts tun konnte, lehnte Autumn sich zurück und schloss die Augen. Sofort döste sie ein.
Leichtfüßig lief Shane Hunter den schmalen, unmarkierten Weg hinab, der nur für Eingeweihte zu erkennen war. Er war guter Stimmung, hatte er doch viele gute Fotos von versteckten Orten im Fiery Furnace geschossen. Das Licht war ideal für die Aufnahmen gewesen, weich und fließend. Sonst war die Sonneneinstrahlung hier im Südwesten oft zu stark und produzierte zu harte Schatten. Doch jetzt wurde es allmählich dunkel und er würde sich beeilen müssen, denn das Gebiet war nicht beleuchtet und selbst er konnte sich im Dunkeln verirren oder verletzen. Das Gewicht seines vollgepackten Rucksacks machte ihm nichts aus, er war es gewohnt, damit stundenlang durch die Gegend zu laufen.
Sein einbeiniges Stativ benutzte er als Wanderstock. Wie immer fühlte er sich in der freien Natur sofort viel besser. Selbst ein anstrengender Tag als Ranger konnte ihn nicht davon abhalten, sich allabendlich, sofern er keinen Dienst hatte, mit seinem Fotoapparat an stille, spektakuläre Orte zurückzuziehen, um in Ruhe seine Bilder zu machen.
In seine Gedanken versunken, bemerkte er kaum den dunkelroten Fleck auf einem der Felsblöcke. Erst als er sich bewegte, registrierte Shane, dass es sich nicht um einen der unzähligen roten Felsen handelte. Vielleicht war es ein verletztes Tier, das in einer Felsspalte feststeckte. Andererseits hatte er noch nie ein Tier dieser Farbe gesehen. Shane bewegte sich vorsichtig über die rutschigen Felsen auf den Fleck zu. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, erkannte er plötzlich, was es war: Haare! Den Rest der Strecke legte er im Laufschritt zurück.
Shane umrundete den letzten Felsblock und stand vor einem Häufchen Mensch, das absolut bemitleidenswert aussah. Zerzauste dunkelrote Haare standen in hartem Kontrast zu rosafarbener, ehemals wohl weißer Haut, die ziemlich verquollen schien. Ein schmutziger Streifen zog sich über die rechte Wange. Shane bückte sich, um den Puls an der Halsschlagader zu prüfen, als sich die Augenlider flatternd hoben und er in die grünsten Augen blickte, die er je gesehen hatte. Gebannt beobachtete er, wie sich die Augen erst zusammenzogen und dann erschreckt weiteten. Beruhigend wollte er seine Hand auf ihre Schulter legen, als die Frau ihn plötzlich mit beiden Händen vor die Brust stieß. Darauf nicht vorbereitet, konnte Shane sich nicht mehr rechtzeitig festhalten und kippte nach hinten um.
Er sah gerade noch, wie sich die Frau in eine Felsnische zurückzog, bevor er rückwärts den Felsen hinunterfiel. Dank seines Rucksacks landete er relativ weich, doch es ärgerte ihn, dass er die Reaktion der Frau nicht hatte kommen sehen. Shane hob sein Stativ auf, das er bei dem Sturz verloren hatte, und erhob sich.
Wenn sie es gekonnt hätte, wäre sie wohl noch weiter in den Fels hineingekrochen, als er sich erneut vor ihr aufbaute. Sie gab einen Laut von sich, der Shane einen Schauder über den Rücken trieb.
Er legte das Stativ zur Seite, da die Frau offensichtlich Angst vor ihm hatte.
»Ich will Ihnen nichts tun, ich versuche nur Ihnen zu helfen.«
Sie rührte sich nicht, schien wie erstarrt.
Vorsichtig näherte Shane sich ihr wieder und beugte sich vor, seine Hand offen ausgestreckt, damit sie verstand, dass er ihr nichts tun wollte. Vielleicht war sie eine ausländische Touristin. »Verstehen Sie mich? Sprechen Sie meine Sprache?«
Ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie atmete einige Male tief durch, bevor sie ihn direkt ansah.
»Ja. Es tut mir leid, dass ich Sie angegriffen habe, ich dachte, Sie wären jemand anderes.«
Erleichtert stellte er fest, dass die Frau wohl doch nicht so verwirrt war, wie er erst gedacht hatte. Und sie war Amerikanerin, wahrscheinlich von der Ostküste, wenn er ihre hastige Sprechweise als Indiz nahm. »Haben Sie sich verirrt?«
»Ich denke schon. Zumindest weiß ich nicht, wie ich wieder zum Parkplatz komme.«
Ihre Stimme gefiel ihm, leise, dunkel und etwas rau, was allerdings auch daran liegen konnte, dass sie schon längere Zeit hier in der Sonne gesessen hatte. »Möchten Sie etwas zu trinken?«
»Ja bitte.«
Erfreut merkte er, dass sie schon etwas weniger ängstlich wirkte und sich von ihm helfen lassen wollte. Schweigend setzte Shane seinen Rucksack ab und öffnete ihn. Er musste erst seine Kamera und einige Objektive auspacken, um an seine Trinkflasche zu kommen.
Wortlos reichte er sie ihr.
»Vielen Dank, ich bin halb verdurstet.« Sie nahm ihm das Wasser ab, wobei sich kurz ihre Finger berührten. Sofort zuckte sie etwas zurück, fing sich aber rasch wieder. Hätte er sie nicht gerade beobachtet, wäre es ihm entgangen. Sie trank gierig in großen Schlucken.
»Nicht so viel auf einmal, das ist nicht gut, wenn Sie längere Zeit nichts getrunken haben.« Sie nahm noch einen Schluck und wollte Shane dann die halb leere Flasche zurückgeben,
die er aber ablehnte. »Behalten Sie die für später.«
Mit diesen Worten nahm er eine weitere Flasche aus seinem Rucksack und setzte sie an den Mund. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Frau ihren Blick über seinen Körper wandern ließ. Überraschenderweise löste das in ihm ein Kribbeln aus, das er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Allerdings konnte er immer noch die Anspannung in ihrem Gesicht erkennen und eine Spur von Angst, die ihm nicht gefiel. Rasch steckte er die Flasche wieder ein und richtete sich auf. »Können Sie aufstehen? Wir sollten uns beeilen, damit wir noch im Hellen zum Parkplatz kommen.«
»Ich fürchte nein. Ich bin hier herumgeirrt und habe den richtigen Weg gesucht, als ich auf einem dieser verdammten Felsen ausgerutscht bin und mir das Knie verdreht habe. Es tut höllisch weh.«
Besorgt beugte Shane sich vor.
»Soll ich es mir einmal ansehen? Ich bin in Erster Hilfe ausgebildet.«
Sie schien sich noch weiter in sich zurückzuziehen und er versuchte, so harmlos zu wirken, wie es bei seiner Größe ging.
»Vielleicht könnten Sie mir nur beim Aufstehen helfen? Dann kann ich sehen, ob es inzwischen besser geworden ist.«
Shane legte eine Hand unter ihren Ellbogen, um sie zu stützen. Wieder bemerkte er, wie sie kurz zurückzuckte, und wunderte sich darüber. Zitternd stützte sie sich mit einer Hand am Felsblock ab, während sie mit der anderen seinen Oberarm umfasste. Sie setzte den Fuß ihres verletzten Beines vorsichtig auf, um im nächsten Moment mit einem Schmerzenslaut wieder zurückzusinken.
Mit verzerrtem Gesicht rieb sie über ihr Knie. »Ich fürchte, ich kann doch nicht mehr laufen.«
Sofort kniete Shane sich neben sie. »Ich habe in meinem Erste-Hilfe-Paket einen Eispack,
den können wir über Ihr Knie binden.«
»Nein, lassen Sie nur, ich komme zurecht. Wenn Sie mich stützen, werde ich es schon schaffen.«
Ihre Stimme klang angespannt.
Shane musterte sie. In ihren Augen flackerte Panik, ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Ärger stieg in ihm auf, dass sie ihn anscheinend für jemanden hielt, der ihr wehtun könnte. »Hören Sie, ich werde Ihnen bestimmt nichts tun. Ich bin Parkranger und es ist mein Job, mich um Sie zu kümmern. Und das werde ich auch tun. Also, entweder ziehen Sie sich jetzt Ihre Hose aus, damit ich mir Ihr Knie ansehen kann, oder ich werde es tun.«
Mit diesen Worten streckte er seine Hand nach ihr aus.
»Aber Sie tragen keine Rangerkleidung, woher soll ich wissen, dass Sie die Wahrheit sagen?« Ihre raue Stimme zitterte.
»Ich trage meine Privatkleidung, weil ich heute Abend nicht im Dienst bin. Ich habe hier fotografiert. Und wenn wir uns nicht beeilen, wird es ganz dunkel sein und dann finde selbst ich den Weg zurück nicht mehr.«
Das war zwar gelogen, aber er wollte, dass sie möglichst schnell hier herauskam.
»In Ordnung. Haben Sie vielleicht eine Schere bei sich? Ich wollte schon immer mal eine Shorts aus Jeansstoff haben.«
Erstaunt blickte er sie an. »Wäre es nicht einfacher, die Hose auszuziehen?«
Als er ihren Blick sah, verwarf er die Idee sofort wieder.
»Okay, wie Sie wollen. Ich habe allerdings nur ein Messer bei mir, aber das wird wohl auch gehen.«
Er griff nach seinem Messer, das am Gürtel befestigt war, und sah ihr in die Augen. Die Angst, die er darin erkannte, bestürzte ihn. Ihre zitternde Hand fuhr zu ihrer Kehle, wie um sie zu schützen. Sie starrte wie hypnotisiert das Messer an, während sie gleichzeitig weiter nach hinten kroch, bis der Felsen sie stoppte. Ein Stöhnen entfuhr ihr.
Shane legte das Messer zur Seite.
»Keine Angst, ich will Ihnen nur helfen. Hören Sie mich?«
Als sie nicht reagierte, nahm er ihre Hand in seine und rieb sie beruhigend.
»Ich will mir doch nur Ihr Knie ansehen.«
Ein Zittern durchlief ihren Körper, doch ihre Hand war nicht mehr ganz so verspannt. »Vielleicht sollte ich mich erst vorstellen: Mein Name ist Shane Hunter. Wie heißen Sie?« Schweigen.
»Also, ich nehme jetzt das Messer und schneide Ihre Hose ab, okay?«
Er setzte das Messer ans Hosenbein. Mit einem kurzen Schnitt hatte er einen Anfang geschaffen und säbelte weiter. Wenig später legte sich eine weiche Hand auf seine.
Er schaute auf.
»Ich bin Autumn. Autumn Howard.«
Er blickte auf ihre dunkelroten Haare und ein Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Ja, das passt. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. In Kürze werden Sie um eine Jeansshorts reicher sein.«
Zögernd umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen. »Danke für Ihre Hilfe. Ohne Sie hätte ich die Nacht auf dem Felsen verbringen müssen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, hier herauszukommen.«
Ein letzter Ruck an ihrer Hose und ihr Bein war bis zum Oberschenkel nackt. Immer noch lächelnd beugte sich Shane darüber, um sich die Knieverletzung anzusehen. Doch das Lächeln erstarb schlagartig, als er die wulstigen, leicht rosafarbenen Linien sah, die ihren Oberschenkel überzogen. Er blickte hoch und sah den Schmerz, der in ihre Augen trat, als ihr klar wurde, dass er die Narben bemerkt hatte. Sie waren nicht neu, aber auch noch nicht so alt, dass sie schon verblasst waren. Er schätzte sie auf vielleicht ein halbes bis ein Jahr ein.
Weil er Autumn nicht weiter verunsichern wollte, wandte er sich sofort wieder der frischen Verletzung zu, auch wenn ihm die Frage auf der Zunge lag, woher die Narben stammten.
Das Knie war geschwollen und bläulich verfärbt, es handelte sich wahrscheinlich um eine starke Prellung. Er wühlte in seinem Rucksack und zog den Eispack heraus. Die Tüte enthielt eine chemische Flüssigkeit, die durch Kneten des Beutels mit anderen Bestandteilen reagierte und so die Kälte erzeugte. Nach sorgfältigem Kneten band er den Eispack mit Mullbinden an das Knie. Dabei achtete er sorgfältig darauf, nicht auf die Narben zu starren oder sich zumindest nichts anmerken zu lassen.
Während Shane sie verarztete, wirbelten unzählige Fragen durch seinen Kopf. Aber da er ahnte, dass Autumn sie ihm nicht beantworten würde, stellte er sie nicht. Außerdem würde er sie nach diesem Abend wohl nie wiedersehen. Ein leichtes Bedauern überkam ihn. Seine Familie sagte immer, er wäre zu neugierig und würde sich in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Wahrscheinlich hatten sie recht. Aber er konnte sich nicht einfach abwenden und das Leid anderer Menschen ignorieren, wenn er das Gefühl hatte, dass er helfen konnte.
Schweigend packte er seinen Rucksack wieder ein und schwang ihn auf seinen Rücken.
Autumn blickte mit einem zittrigen Lächeln zu ihm hoch.
»Vielen Dank, das Knie fühlt sich schon viel besser an.«
»Keine Ursache, dafür bin ich schließlich da. Ich würde vorschlagen, Sie nehmen Ihren Rucksack und mein Stativ, während ich Sie trage. In Ordnung?«
»Aber ich bin doch viel zu schwer für Sie! Außerdem sind die Felsen schon für einen alleine ziemlich rutschig. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass Sie sich auch noch verletzen.«
»Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Ich habe bestimmt schon schwerere Sachen getragen.«
Kritisch musterte er ihre schlanke Figur.
»Und wie wir vorhin schon festgestellt haben, können Sie ja nicht mal auftreten.«
Ohne langes Zögern bückte er sich und schob einen seiner Arme unter ihre Knie, während er mit dem anderen ihren Rücken stützte. Autumn griff rasch nach ihrem Rucksack und dem Stativ und fügte sich anscheinend in ihr Schicksal.
Sicheren Schrittes folgte er dem Weg, der sie zum Parkplatz und zu seinem Jeep führen würde, der zwar Luftlinie nur einige Hundert Meter entfernt lag, zu Fuß aber nur in etlichen Schleifen und Kletterpartien zu erreichen war, die kostbare Zeit verschlangen. Autumn hielt sich so steif, dass Shane befürchtete, sie würde beim kleinsten Ruck zerbrechen. Er beugte seinen Kopf zu ihr hinunter. »Legen Sie Ihre Arme um meinen Hals, dann können Sie nicht herunterfallen. Ich beiße nicht.«
»Das habe ich auch nicht angenommen. Ich bin es nur nicht gewohnt, auf diese Weise herumgetragen zu werden.«
Sie legte einen Arm um seinen Nacken. Ihr Blick glitt zu seinem Kinn. »Sie haben sich nicht rasiert«, murmelte sie.
Amüsiert blickte er sie an. »Danke, dass Sie mich darauf hinweisen.«
Erschrocken sah sie zu ihm auf.
»Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich bin so müde, ich weiß nicht mehr, was ich rede.«
»Dann schlafen Sie ruhig, ich finde meinen Weg auch ohne Ihre Hilfe. Am Parkplatz wecke ich Sie.«
Als hätte sie nur auf die Erlaubnis gewartet, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, schloss die Augen und versank in einen unruhigen Schlaf.
Shane erreichte den Parkplatz, gerade als die Sonne endgültig hinter den Felsen verschwand. Aufatmend legte er seine Last am Wegrand ab. Glücklicherweise hatte er seinen Jeep gleich am Eingang zum Fiery Furnace geparkt. So konnte er die hintere Klappe öffnen und das Gepäck hineinwerfen, um sich dann wieder seiner Patientin zuzuwenden. Sie sah völlig erschöpft aus, dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Er fragte sich, wie alt sie wohl war. In diesem Licht wirkte sie nicht älter als zwanzig. Warum war sie alleine in den Park gekommen? Und was zum Teufel machte sie im Fiery Furnace außerhalb einer Führung?
Er beugte sich zu Autumn hinunter, um sie aufzuwecken. Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir sind da.« Als sie davon nicht aufwachte, griff er nach ihren Armen und schüttelte sie sanft.
Benommen versuchte Autumn sich aufzusetzen. »Was ... was ist?«
»Wir sind auf dem Parkplatz bei meinem Wagen. Jetzt müssen wir Sie nur noch hineinbekommen.«
Vorsichtig hob er sie hoch, setzte sie auf den Beifahrersitz und bemühte sich, ihr Knie nirgends anzustoßen.
Autumn sank mit einem Seufzer in den Sitz. »Oh, das tut gut. Danke.«
Abrupt setzte sie sich gleich darauf wieder auf. Mit geweiteten Augen starrte sie ihn an. »Mein Hotelzimmer ist in Moab. Läuft der Shuttle-Verkehr noch?«
»Nein, dafür ist es zu spät. Zuerst werden wir sowieso die Erste-Hilfe-Station im Park aufsuchen. Morgen können Sie sich dann in Moab im Krankenhaus behandeln lassen.«
»Ja, das werde ich morgen ganz sicher tun. Im Moment würde ich allerdings lieber einfach in mein Hotel zurück und mich ausschlafen.«
»Kommt überhaupt nicht infrage.«
Unsicher sah sie ihn an.
»Aber ...«
»Keine Widerrede!«
Er ging um den Jeep herum und stieg ein.
»Margret wird Sie erst untersuchen. Danach bringe ich Sie heim.«
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Michelle Raven
Michaela Rabe wurde 1972 in Hannover geboren und studierte Bibliothekswesen. Sie arbeitet als Bibliotheksleiterin in Niedersachsen. 2002 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Michelle Raven ihren ersten Roman. Seither schreibt sie mit wachsendem Erfolg Liebesromane und Thriller. Ravens Roman Perfektion, den sie unter ihrem bürgerlichen Namen Michaela Rabe veröffentlichte, wurde 2008 mit dem DeLia-Literaturpreis ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michelle Raven
- 2011, 2. Aufl., 382 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 380258371X
- ISBN-13: 9783802583711
- Erscheinungsdatum: 14.01.2011
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