Die Ambler-Warnung
Selbst in Regierungskreisen wissen nur wenige von der psychiatrischen Anstalt, die sich in der Mitte der Insel befindet. Ex-Agenten, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung ein Sicherheitsrisiko darstellen, werden hier gefangen gehalten. Unter ihnen Hal Ambler, als so gefährlich eingestuft, dass er unter Dauermedikation vollständig isoliert wird. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Hal Ambler und den anderen Patienten: Hal Ambler ist nicht verrückt. Mithilfe einer Krankenschwester gelingt ihm die Flucht aus der Klinik. Aber die Welt, in die er zurückkehrt, ist nicht mehr die, die er verlassen hat. Alte Freunde und Kollegen erkennen ihn nicht, die Person Hal Ambler scheint nicht zu existieren. Von seinen eigenen Leuten gejagt, muss Ambler herausfinden, wer ihn ausschalten will. Dazu muss er sich erinnern. Was macht ihn zu einer so großen Gefahr, dass jemand bereit ist, für Amblers Tod alles zu riskieren?
Höchste Geheimhaltung herrscht auf Parrish Island, einer von der Außenwelt abgeschotteten Insel sechs Meilen vor der Küste Virginias. Selbst in Regierungskreisen wissen nur wenige von der psychiatrischen Anstalt, die sich in der Mitte der Insel befindet. Ex-Agenten, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung ein Sicherheitsrisiko darstellen, werden hier gefangen gehalten. Unter ihnen Hal Ambler, als so gefährlich eingestuft, dass er unter Dauermedikation vollständig isoliert wird. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Hal Ambler und den anderen Patienten: Hal Ambler ist nicht verrückt. Mithilfe einer Krankenschwester gelingt ihm die Flucht aus der Klinik. Aber die Welt, in die er zurückkehrt, ist nicht mehr die, die er verlassen hat. Alte Freunde und Kollegen erkennen ihn nicht, die Person Hal Ambler scheint nicht zu existieren. Von seinen eigenen Leuten gejagt, muss Ambler herausfinden, wer ihn ausschalten will. Dazu muss er sich erinnern. Was macht ihn zu einer so großen Gefahr, dass jemand bereit ist, für Amblers Tod alles zu riskieren?
"Ludlum packt mehr Action in einen Thriller als fünf seiner Kollegen zusammen." - The New York Times
Die Ambler-Warnung von Robert Ludlum
LESEPROBE
Das Gebäude besaß die Unsichtbarkeitdes Gewöhnlichen. Es hätte eine große Highschool oder ein regionalesRechenzentrum der Steuerbehörde sein können. Der quadratische, beige Klinkerbau- Erdgeschoss und drei Stockwerke, die einen Innenhof umgaben - war eintypisches Gebäude, wie sie in den fünfziger und sechziger Jahren errichtetworden waren. Kein zufälliger Passant hätte es eines zweiten Blickes gewürdigt.
Nur gab es hier keine zufälligenPassanten. Nicht auf dieser vorgelagerten Insel sechs Meilen vor der KüsteVirginias. Offiziell gehörte die Insel zum National Wildlife Refuge System, dasBiotope für Wildtiere schuf, und wer sich für sie interessierte, erhielt dieAuskunft, wegen des überaus empfindlichen Ökosystems sei die Insel für Besuchergesperrt. Teile der Leeküste der Insel waren tatsächlich von Fischadlern und Gänsesägernbewohnt: von Räubern und ihren Beutetieren, die beide von dem größten Raubtierüberhaupt, dem Menschen, bedroht waren. Aber in der Inselmitte lag mitgepflegten Rasenflächen und gestalteten sanften Hügeln ein sechs Hektar großesGelände, auf dem das gesichtslose Gebäude stand.
Die Boote, die Parrish Islanddreimal täglich anliefen, trugen NWRS-Markierungen, und aus der Ferne wärenicht zu erkennen gewesen, dass die zur Insel transportierten Leute keineswegswie Park Ranger aussahen. Hätte ein Fischerboot in Seenot versucht, die Inselanzulaufen, wäre es von Män- nern in Kaki mit freundlichem Lächeln und hartem,kaltem Blick abgefangen worden. Niemand kam jemals nahe genug heran, um dievier Wachttürme oder den Elektrozaun um das Gelände zu sehen und sich über siezu wundern.
Obgleich die Psychiatrische KlinikParrish Island äußerlich so unscheinbar war, enthielt sie eine größere Wildnis alsdiejenige, die sie umgab: die des menschlichen Geistes. Selbst inRegierungskreisen wussten nur wenige, dass diese Einrichtung existierte.Trotzdem erforderte simple Logik ihre Existenz: eine Psychiatrie für Patienten,die über streng geheime Informationen verfügten. Für die Behandlung von Geisteskrankenwar eine sichere Umgebung erforderlich, wenn das Gedächtnis dieser Patientenvoller Staatsgeheimnisse war. Auf Parrish Island konnten Sicherheitsrisikenpräzise unter Kontrolle gehalten werden. Das gesamte Klinikpersonal wargründlich überprüft und für den Umgang mit streng geheimen Informationenzugelassen worden. Audio- und Videoüberwachungssysteme, die Tag und Nacht inBetrieb waren, boten weiteren Schutz gegen eine Gefährdung der Sicherheit. Alszusätzliche Vorsichtsmaßnahme wurde das Klinikpersonal alle drei Monateausgewechselt, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass unerwünschteBindungen entstehen konnten. Die Sicherheitsbestimmungen schrieben sogar vor,die Patienten seien mit Nummern, nie mit Namen zu identifizieren. Nur seltengab es einen Patienten, der als extrem gefährlich galt, was an der Art seinerpsychischen Störung oder seinem besonders brisanten Wissen liegen konnte. Einso eingestufter Patient wurde von den übrigen Patienten isoliert und in einergeschlossenen Abteilung untergebracht. Im dritten Stock des Westflügels gab eseinen solchen Patienten: Nr. 5312.
Jede Krankenschwester, die durchRotation in die Abteilung 4W versetzt wurde und dem Patienten Nr. 5312 erstmalsbegegnete, wusste nur sicher, was sie mit eigenen Augen sah: dass er etwas übereins achtzig groß und schätzungsweise vierzig Jahre alt war; dass seine kurzgeschnittenen Haare braun, seine Augen ungetrübt blau waren. Begegneten ihre Blickesich, sah die Krankenschwester zuerst weg - die Intensität seines starrenBlicks konnte entnervend, fast körperlich bedrängend sein. Den Rest seinesPersönlichkeitsprofils enthielt seine Krankenakte. Über die Wildnis in seinemGeist konnte man nur spekulieren.
Irgendwo in Abteilung 4W gab esDetonationen und ein Blutbad und Schreie, aber sie waren lautlos, auf dieunruhigen Träume des Patienten beschränkt, die jetzt lebhafter wurden, obwohlsie allmählich erwachten. Diese Augenblicke des Halbschlafs - wenn der Sehendenur registriert, was er sieht; Augen ohne ein bewusstes Ego - waren mit einerSerie von Bildern angefüllt, von denen jedes sich aufwölbte wie ein Stück Film,der vor einer überhitzten Projektionslampe zum Stehen gekommen ist. EineWahlversammlung an einem schwülheißen Tag in Taiwan: Tausende sind auf einemriesigen Platz versammelt, über den nur hin und wieder eine schwache kühlendeBrise streicht. Ein politischer Kandidat, der mitten im Satz durch eine kleine,gut verdämmte Sprengladung getötet wird. Vor wenigen Augenblicken hatte er nochengagiert und leidenschaftlich gesprochen; jetzt lag er in einer Lache seinesBlutes auf dem hölzernen Podium. Er hob den Kopf, blickte ein letztes Mal überdie Menge hinaus und fixierte dabei einen einzelnen Mann: einen chang bizi -einen Weißen. Den einzigen Menschen, der nicht kreischte, weinte oderflüchtete. Den einzigen Mann, der jetzt nicht über- rascht wirkte, denn dieDetonation war schließlich sein Werk. Der Kandidat starb, während er den Mannanstarrte, der übers Meer gekommen war, um ihn zu töten. Dann wölbte sich dasBild auf, verschwamm, wurde zu gleißendem Weiß. Ein weit entferntesGlockensignal, ein Dreiklang in Moll, ertönte aus einem unsichtbarenLautsprecher, und Hal Ambler öffnete seine vom Schlaf leicht verklebten Augen.
War es wirklich Morgen? In demfensterlosen Raum konnte er das nicht beurteilen. Aber dies war sein Morgen.Die in die Decke eingelassenen Tageslicht-Leuchtstoffröhren wurden in derfolgenden halben Stunde stetig heller: eine technologische Morgendämmerung,deren Intensität durch die Weiße seiner Umgebung noch gesteigert wurde. Damitbegann zumindest ein Scheintag. Amblers Zelle maß drei mal dreieinhalb Meter;der Fußboden war mit weißen Vinylfliesen ausgelegt, die Wände mit weißem PVC-Schaumbeschichtet, der sich gummiartig zäh anfühlte und unter Druck wie eineRingermatte leicht nachgab. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis dieSchiebetür mit ihrem hydraulischen Seufzen zur Seite glitt. Er kannte dieseAbläufe und noch Hunderte dieser Art. In einem Hochsicherheitstraktstrukturierten sie das Leben, wenn man es überhaupt »Leben« nennen konnte. Er durchmaßZeiten grimmiger Klarheit, aber auch Intervalle, die von Fluchtfantasiengeprägt waren. Und im weitesten Sinn hatte er das Gefühl, er sei entführtworden, nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele.
Im Verlauf seiner fastzwanzigjährigen Tätigkeit als Geheimagent war Ambler zweimal in Gefangenschaftgeraten - in Algerien und Tschetschenien - und hatte längere Zeit in Einzelhaftgesessen. Er wusste, dass die Umstände für tiefsinnige Gedanken,Seelenerforschung oder philosophische Grübelei ungünstig waren. Vielmehr fülltesich der Verstand mit Bruchstücken von Werbespots, Popsongs, halb vergessenen Gedichtenund einem übersteigerten Bewusstsein für kleine Unbequemlichkeiten. DieGedanken kreiselten, trieben ziellos dahin und berührten selten interessanteThemen, denn sie blieben letztlich an die eigenartige Qual der Isolation gefesselt.Seine Ausbilder beim Geheimdienst hatten versucht, ihn auf solcheExtremsituationen vorzubereiten. Die Herausforderung bestehe darin, hatten sieimmer wieder betont, den Verstand daran zu hindern, sich selbst anzugreifen wieein Magen, der seine Magenwand verdaut. Aber auf Parrish Island befand er sichnicht in der Hand von Feinden; er wurde von seiner eigenen Regierungfestgehalten - von dem Staat, dem er fast zwanzig Jahre lang gedient hatte.
Und er wusste nicht, warum.
Weshalb eine solche Einrichtung überhauptexistierte, war ihm keineswegs ein Rätsel. Als Agent eines als ConsularOperations bezeichneten US-Nachrichtendiensts hatte er von der Klinik aufParrish Island gehört. Ambler verstand auch, wieso es eine Einrichtung dieserArt geben musste; niemand war gegen die Verirrungen des menschlichen Geistesgefeit, auch Geheimnisträger nicht. Aber es war gefährlich, jedem beliebigen PsychiaterZugang zu solchen Patienten zu gewähren. Diese Lektion hatten dieUS-Geheimdienste im Kalten Krieg teuer bezahlt, als ein in Berlin geborenerPsychoanalytiker in Alexandria, zu dessen Klientel mehrere Spitzenbeamtezählten, als Informant der berüchtigten Stasi, des DDR-Ministeriums fürStaatssicherheit, enttarnt worden war.
Das alles erklärte jedoch nicht,weshalb Hal Ambler sich hier befand, seit wie lange war das nun schon her? Inder Ausbildung war ihm eingebläut worden, wie wichtig es ist, in der Haft dasZeitgefühl nicht zu verlieren. Irgendwie hatte er es doch verloren, und seineFragen nach der Haftdauer blieben unbeantwortet. War er ein halbes Jahr, einJahr oder noch länger hier? Es gab so vieles, was er nicht wusste. Sicherwusste er nur, dass er durchdrehen würde, wenn ihm nicht bald die Fluchtgelang. ( )
© Heyne Verlag
Übersetzung: Wulf Bergner VioletaTopalova
- Autor: Robert Ludlum
- 2007, 1, 638 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bergner, Wulf; Topalova, Violeta
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453265416
- ISBN-13: 9783453265417
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