Die Autobiographie
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Die Autobiographie vonRüdiger NehbergLESEPROBE
Wandertrieb
Misserfolge sind nur misslungene Erfolge.
Gustav Grossmann
»DREIECK-ZELTPLANEN GESUCHT! «
Das ist mein erstes Inserat. Es steht in der MünsterschenZeitung. Dreieck-Zeltplanen hatten viele Soldaten besessen. Sie gehörten zurStandard-Ausrüstung im Feld. Eine Plane diente lediglich als Poncho,zwei schon konnte man zu einem einfachen Regenschutz verbinden, und dreiergaben bereits ein richtiges Zelt, eine Dreieck-Pyramide.
Ich bekomme reichlich Angebote und schaue mir mehrereOfferten an. Die ersten Planen sind verschimmelt und morsch. Sie stinken undgefallen mir nicht. Ich habe nur fünf Mark, mein Geburtstagsgeschenk von OmaJohanne Krause. Sie verdient sich ihr Geld als Änderungsschneiderin. Daskostbare Geld will gut angelegt sein.
»Was? Damit willst du um die ganze Welt?«, fragt ein ältererAnbieter belustigt, als ich ihm meine Träume verrate.
»Ja, wenn's geht. Aber ich will das Zelt erst einmal an derWerse ausprobieren.« Die Werse - ein ruhiger Paddelbach bei Münster.
»Die schenke ich dir, mein Junge! So hab ich auch malangefangen.«
Mein Freudensprung besiegelt das große Geschäft. So kommeich zu meinem ersten Zelt.
Zum Schrecken meiner Mutter baue ich es gleich in derWohnung auf. »Geht das schon wieder los? Nun bleib doch endlich mal ruhigsitzen. Wie Ingeborg und Volker.«
Aber diese Argumente gehen mir längst am Ohr vorbei. Ichnehme sie nicht mehr wahr. Wie das nervige Ticken der großen Standuhr.
»Volker, kommst du mit? Sonnabend übernachte ich an derWerse. Ich angele mir einen Fisch und mache mir ein Feuer.«
Mein neunjähriger Bruder sagt sofort zu. Die Eltern gebensich machtlos. »Aber passt gut auf!«, ist Muttis Anstandskommentar.
Mit meinem und Vaters Rad begeben wir uns auf die kleineReise. Stolz stellen wir unsere Zelt-Pyramide auf, sammeln Brennholz. Derbenachbarte Bauer schenkt uns einen Ballen Stroh zum Reinkuscheln. Ansonstenhaben wir nur eine alte Decke zum Wärmen. Es ist Mai, ich bin 14 und es istkalt. Arschkalt. Die Eisheiligen.
Ein kleiner Weißfisch begeht den verhängnisvollen Fehler,auf meinen Wurm an der Angel reinzufallen. Doch mehr rückt die Werse nichtraus. Trotz guten Zuredens. Wir teilen den Fisch brüderlich. Irgendwannübermannt uns die Müdigkeit. Wir versuchen zu schlafen, aber die Kälte frästuns ein Körperteil nach dem anderen aus dem Körper. Hätte ich doch nur mehrHolz gesammelt! Doch jetzt ist es zu spät. Es ist dunkel und das Holz verstecktsich. Volker wimmert. Ich stinke nach Fisch. Um Himmels willen - hoffentlicherfriert er nicht! Ich wärme ihn mit meiner Restwärme, kratze das Stroh um ihnherum zusammen, baue ihm ein Nest, lege mich über ihn. Ich bin sicher, dass wirmorgen tot sind. Schon jetzt kann ich kein Glied mehr bewegen. Volker zittertunter mir. Er klammert sich an mich, um mir Wärme zu klauen. Er wird bestimmtzuerst erfrieren, denn er ist viel kleiner und wiegt viel weniger als ich. Dessenbin ich mir ganz sicher. Denn in Physik habe ich es auf eine Drei gebracht.Wieso ist es nachts so kalt, wenn es tagsüber so schön
warm ist? Wohin verschwindet die Wärme denn jedes Mal? Dasmuss ich den Physiklehrer unbedingt fragen, wenn ich die Nacht überlebe. Ichzittere mich in eine Art Schlaf.
Um fünf Uhr wird es zaghaft hell. Jetzt Holz sammeln undein Feuer anmachen - das kriege ich nie hin. Klamme Finger und keine Zeitungmehr zum Entzünden des Feuers. Dass man Feuer auch anders entfacht, kann ichmir zunächst nicht vorstellen. Bis es mit dem Stroh gelingt.
»Lass uns nach Hause fahren!«, flüstere ich meinem Bruderzu. Eigentlich gilt meine Frage einer Leiche, einem Häufchen Gefrierfleisch.Sein Ja überrascht, erfreut und beruhigt mich.
Das war mein erstes »Outdoor«-Training. Kaum zu Hause, gibtes nicht nur Wärme und Frühstück. Es gibt auch die schnippische Frage meinerkleinen Schwester, damals erwachsene zwölf Jahre alt. Aber nicht an mich,sondern an meinen Bruder. »Na, hat er wieder Angst gehabt?«
Ich und Angst! Das war nun wirklich längst Geschichte.Früher, vor drei Jahren, ja, da hatte ich wirklich noch viel Angst gehabt.Vielleicht auch noch vor zwei Jahren. Kein Gang in den Keller, von wo ichtäglich Kohlen und Kartoffeln holen musste, ohne meine Schwester. »Kommst dumit in den Keller?«, war meine Standard-Umschreibung der Angst. »Sonst muss ichja zweimal gehen.« Und sie sagte: »Na klar!« Aber nicht, weil sie mutig gewesenwäre. Sie war arglos. Sie hatte einfach keine Ahnung, welche Gefahren in soeinem Keller auf Kinder lauerten. Da war ich besser informiert als sie. Hinterjeder Ecke konnte sich ein Räuber verstecken, jeder Spinnfaden war einFallstrick.
Aber nun, wo ich ihrer Hilfe nicht mehr bedarf, wurmt siedas. Es fällt ihr sichtlich schwer, dass ich auf eigenen Füßen stehe. Deshalbwohl die Frage an meinen Bruder.
Ein Stück weit half mir auch meine erste Waffe, mit denÄngsten fertig zu werden: ein Eispickel. Ein Roheis-Lieferant hatte ihnverloren. Vielleicht habe ich auch einfach mal kurz mit dem Fuß dagegengetreten und ihn seinen Blicken entzogen. Jedenfalls beschützte mich dieserlange Stahldorn. Ich trug ihn ohne Scheide in der Hosentasche. Wäre ich jegestolpert, er hätte mich aufgespießt. Mit dem Eispickel begann die Zeit, woirgendein Schutzengel sich verpflichtet gefühlt haben muss, mich unter seineFlügel zu nehmen. Ohne irgendeine Gegenleistung und nicht wie meine Schwester.Die hatte jedes Mal einen Teil meines Dr.-Oetker-Puddings verlangt.Vanille-Geschmack.
© Piper Verlag GmbH, München
Rüdiger Nehberg, geboren 1935, Deutschlands bekanntester Menschenrechtsaktivist und Überlebenskünstler, wurde für sein humanitäres Engagement vielfach ausgezeichnet. Mit seiner Frau Annette Nehberg-Weber kämpft er in der Organisation TARGET e.V. für Menschenrechte. Seine Bücher liegen bei Malik und Piper vor.
- Autor: Rüdiger Nehberg
- 2007, 368 Seiten, 95 Abbildungen, Maße: 12 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492248802
- ISBN-13: 9783492248808
- Erscheinungsdatum: 01.02.2007
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