Die Deutschen und das Grundgesetz
Geschichte und Grenzen unserer Verfassung. Dieser Band beleuchtet die historischen Bedingungen, die das Grundgesetz möglich und nötig gemacht haben. Und er zeigt die Stärken und Schwächen auf, die daraus resultierten. Sechs fundierte Kapitel vermitteln...
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Produktinformationen zu „Die Deutschen und das Grundgesetz “
Geschichte und Grenzen unserer Verfassung. Dieser Band beleuchtet die historischen Bedingungen, die das Grundgesetz möglich und nötig gemacht haben. Und er zeigt die Stärken und Schwächen auf, die daraus resultierten. Sechs fundierte Kapitel vermitteln Verfassungsgeschichte als lebendigen Prozess, der in enger Wechselwirkung mit politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen stattfindet. Aus dem Inhalt: - Tun und lassen, was man will - Die Menschenwürde des Hanns-Martin Schleyer - Das Ende der Verfassung - Folter im Verfassungsstaat - Gleichberechtigung, das uneingelöste Versprechen - u.a.
Klappentext zu „Die Deutschen und das Grundgesetz “
Das Grundgesetz ist ein Spiegel unserer Geschichte. Es verbindet die heutige Demokratie mit ihren Wurzeln in der Freiheits- und Einheitsbewegung des 19. Jahrhunderts, es formuliert eine historische Lehre aus dem Niedergang der Weimarer Demokratie, und es reflektiert die zweifache Diktaturerfahrung dieses Jahrhunderts. Immer öfter stößt es inzwischen jedoch an seine Grenzen und immer öfter entsteht dabei der Eindruck, dass der Verfassungsstaat die Realitäten des 21. Jahrhunderts nur noch teilweise erfasst.
Lese-Probe zu „Die Deutschen und das Grundgesetz “
Vor über zehn Jahren haben wir schon einmal den Versuch unternommen, die Geschichte des Grundgesetzes zu erzählen. Anlass war der 50. Geburtstag der Verfassung, den wir mit einer Ausstellung im Bundesverfassungsgericht würdigen wollten. Wir stiegen in die Archive und fanden dort Bilder, Gegenstände und Texte, die das halbe Jahrhundert bundesdeutscher Verfassungsgeschichte greifbar und gegenwärtig machten - den Pass von Wilhelm Elfes beispielsweise oder das Schulzimmerkreuz aus dem Kruzifixurteil von 1995.Wie wir diese Geschichte erzählen wollten, schien uns und allen Beteiligten damals auf der Hand zu liegen: Es konnte sich nur um eine Erfolgsgeschichte handeln. Sie begann 1945 zwischen den Trümmer- und Leichenbergen des von Deutschland verschuldeten Zweiten Weltkriegs und mündete in die unverhoffte Wiederherstellung der geeinten, demokratisch und friedfertig gewordenen deutschen Nation. Der Aufstieg des Grundgesetzes vom Aschenputtel zur Königin hatte etwas Märchenhaftes.
Zehn Jahre später, vor dem 60. Jahrestag, schien nichts näher zu liegen als eine Neuauflage dieser Ausstellung und des Begleitbandes - um zwei oder drei Kapitel erweitert, die das inzwischen Geschehene behandeln sollten. Doch bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es so nicht gehen würde. Der Erzählbogen von 1949 bis 1999 ließ sich nicht einfach um zehn Jahre verlängern. Die Frage, ob die deutsche Nation mit dem Grundgesetz endlich zu einer freiheitlichen und demokratischen, ihr Einheit und Identität verleihenden Verfassung gefunden hatte, erschien uns aus heutiger Perspektive nicht mehr adäquat. Vielleicht ist sie es nie gewesen.
Das jüngste Jahrzehnt der Geschichte des Grundgesetzes war ereignisreich: Der globale Terror konfrontierte das Verfassungsrecht mit der Frage nach dem Ausnahmezustand, in dem das höchste Gut der Verfassung - die Menschenwürde - nicht mehr unangefochten vor Relativierungen und Einschränkungen geschützt ist. Die Europäische Union unternimmt gerade den
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Versuch, sich ihrerseits eine Verfassung zu geben, die sich über die Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten wölbt. Nationales Recht wird mehr und mehr vom europäischen Gemeinschaftsrecht durchdrungen und in weiten Teilen faktisch ersetzt. Darüber hinaus ist weltweit eine Vielzahl neuartiger Rechtsordnungen entstanden, die Autorität und innere Rationalität nationalstaatlicher Normen in Frage stellen: etwa die von internationalen Anwaltsfirmen entwickelten Regeln für den weltweiten Handel, die im Internet etablierten Verhaltenscodices einer globalen Netzgemeinschaft und die Regelwerke zwischenstaatlicher Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO) und der Vereinten Nationen.
Aber auch das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Verfassung hat sich verändert. Die Klage über die "Erosion des Verfassungsstaates" ist zum festen Topos rechtswissenschaftlicher und verfassungspolitischer Debatten geworden. Allerdings wird je nach Blickwinkel sehr Unterschiedliches beklagt: aus konservativer Perspektive etwa das verlorene Leitbild von Ehe und Familie, der Abfall vom "christlich-abendländischen" Selbstverständnis des Grundgesetzes, die Überbetonung individueller Grundrechte, wo doch der Bürger nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe; aus fortschrittlich-liberaler Sicht hingegen die Aushöhlung der individuellen Grundrechte beim Datenschutz, im Asylrecht, im global koordinierten Kampf gegen den Terror; und aus kapitalismuskritischer Perspektive die Politik der Privatisierung und Deregulierung, die die Deutschen den entfesselten Kräften der globalisierten Wirtschafts- und Finanzwelt ausliefere, obwohl sich das Grundgesetz auf keine Eigentumsordnung festlege, aber den Sozialstaat als einen Eckpfeiler deutscher Staatlichkeit nenne.
All diese Klagen drücken ein Leiden an den Widersprüchen zwischen der (unterschiedlich wahrgenommenen) Verfassungswirklichkeit, also der politischen Realität, und dem (ebenso unterschiedlich interpretierten) Verfassungstext aus. Das Grundgesetz wird aus dieser Perspektive zum unerreichten Maßstab für eine als defizitär empfundene Politik. Daneben regt sich inzwischen aber auch eine Kritik, die auf viel grundsätzlichere Weise den staats-organisationsrechtlichen Bestand der Verfassungsordnung selbst trifft: Immer mehr Menschen äußern prinzipielle Zweifel an der Demokratie als Staatsform; in den neuen Bundesländern sind die Skeptiker mittlerweile relativ in der Mehrheit. Das Vertrauen schwindet, dass die vom Grundgesetz konstituierten Institutionen und Verfahren überhaupt in der Lage sind, gute und tatkräftige Politik hervorzubringen.
1999 war die Frage: "In bester Verfassung?!", die der Jubiläumsausstellung im Bundesverfassungsgericht den Titel lieh, allenfalls eine rhetorische Frage. Auch für diejenigen, die eine Wiedervereinigung nach Artikel 146 GG - also durch eine neue gesamtdeutsche Verfassung - dem "Beitritt" der ostdeutschen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes vorgezogen hätten, waren zumeist andere Gründe maßgeblich als etwa eine prinzipielle Unzufriedenheit mit dem Grundgesetz, das sich als Regelwerk in vierzig Jahren bewährt und sogar einen neuartigen, mit der Einbindung in den Westen kompatiblen deutschen Patriotismus - den "Verfassungspatriotismus" - hervorgebracht hatte. Heute wirken die Bekenntnisse zum Verfassungspatriotismus deutlich verhaltener, und die Frage, ob Deutschland noch "in bester Verfassung" sei, wird ernsthaft gestellt, zuweilen sogar verneint. So titelte der Spiegel 2003: "Die verstaubte Verfassung. Wie das Grundgesetz Reformen blockiert", und der Spiegel-Redakteur Thomas Darnstädt forderte 2006, das Grundgesetz durch eine komplett neue Verfassung zu ersetzen: "Keiner, der sich auskennt, glaubt daran, dass mit dieser Verfassung die schleudernde Industrienation noch zu managen ist." Selbst eher bewahrende und vorsichtige Staatsrechtsprofessoren, die derart spektakuläre Zeitdiagnosen und Zukunftsprognosen ablehnen, können sich des Eindrucks einer "Verfassungsdämmerung" nicht erwehren und denken über Endlichkeit und Vergänglichkeit von Rechtsordnungen nach.
Wie eine neue Verfassung allerdings aussehen könnte, bleibt in diesen Diskussionen bemerkenswert vage. Das "Ende der Verfassung" wird denkbar - nicht aber das, was danach kommen könnte. Niemand präsentiert konkrete Alternativen, die an die Stelle des Grundgesetzes treten könnten. Eine umfassende Zukunftsperspektive für ganz neue Verfassungsentwicklungen bietet allein die europäische Integration: Wenn die europäische Rechtsordnung nicht mehr als zwischenstaatliches Arrangement oder Instrument einer unkontrollierbaren Bürokratie missverstanden werden würde, könnte sie als "Verfassung" ganz neuen Typs wirken und wohl große Teile des Vakuums füllen, das durch die schwindende Problemlösungskompetenz des Grundgesetzes entsteht. Dies wäre nicht sein Ende: Die verbindlichen, rechtlichen Regelwerke, die die nationalstaatlichen Verfassungen in Europa ihren Bürgern und Institutionen geben, blieben bestehen. Aber es wäre doch das Ende unseres herkömmlichen Verständnisses vom Grundgesetz: Seinen Nimbus als alles überwölbende, alles durchdringende, Legitimation, Identität und Gemeinschaft stiftende Ordnung würde es verlieren.
Doch gerade für Europa und eine europäische Verfassung können sich die Menschen nur schwer erwärmen. Seit dem Scheitern der Referenden über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden 2005 steckt die Konstitutionalisierung Europas in einer tiefen Krise. Die verantwortlichen Politiker vermeiden das Wort "Verfassung" in Bezug auf die europäischen Verträge inzwischen wie der Teufel das Weihwasser.
Aber auch das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Verfassung hat sich verändert. Die Klage über die "Erosion des Verfassungsstaates" ist zum festen Topos rechtswissenschaftlicher und verfassungspolitischer Debatten geworden. Allerdings wird je nach Blickwinkel sehr Unterschiedliches beklagt: aus konservativer Perspektive etwa das verlorene Leitbild von Ehe und Familie, der Abfall vom "christlich-abendländischen" Selbstverständnis des Grundgesetzes, die Überbetonung individueller Grundrechte, wo doch der Bürger nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe; aus fortschrittlich-liberaler Sicht hingegen die Aushöhlung der individuellen Grundrechte beim Datenschutz, im Asylrecht, im global koordinierten Kampf gegen den Terror; und aus kapitalismuskritischer Perspektive die Politik der Privatisierung und Deregulierung, die die Deutschen den entfesselten Kräften der globalisierten Wirtschafts- und Finanzwelt ausliefere, obwohl sich das Grundgesetz auf keine Eigentumsordnung festlege, aber den Sozialstaat als einen Eckpfeiler deutscher Staatlichkeit nenne.
All diese Klagen drücken ein Leiden an den Widersprüchen zwischen der (unterschiedlich wahrgenommenen) Verfassungswirklichkeit, also der politischen Realität, und dem (ebenso unterschiedlich interpretierten) Verfassungstext aus. Das Grundgesetz wird aus dieser Perspektive zum unerreichten Maßstab für eine als defizitär empfundene Politik. Daneben regt sich inzwischen aber auch eine Kritik, die auf viel grundsätzlichere Weise den staats-organisationsrechtlichen Bestand der Verfassungsordnung selbst trifft: Immer mehr Menschen äußern prinzipielle Zweifel an der Demokratie als Staatsform; in den neuen Bundesländern sind die Skeptiker mittlerweile relativ in der Mehrheit. Das Vertrauen schwindet, dass die vom Grundgesetz konstituierten Institutionen und Verfahren überhaupt in der Lage sind, gute und tatkräftige Politik hervorzubringen.
1999 war die Frage: "In bester Verfassung?!", die der Jubiläumsausstellung im Bundesverfassungsgericht den Titel lieh, allenfalls eine rhetorische Frage. Auch für diejenigen, die eine Wiedervereinigung nach Artikel 146 GG - also durch eine neue gesamtdeutsche Verfassung - dem "Beitritt" der ostdeutschen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes vorgezogen hätten, waren zumeist andere Gründe maßgeblich als etwa eine prinzipielle Unzufriedenheit mit dem Grundgesetz, das sich als Regelwerk in vierzig Jahren bewährt und sogar einen neuartigen, mit der Einbindung in den Westen kompatiblen deutschen Patriotismus - den "Verfassungspatriotismus" - hervorgebracht hatte. Heute wirken die Bekenntnisse zum Verfassungspatriotismus deutlich verhaltener, und die Frage, ob Deutschland noch "in bester Verfassung" sei, wird ernsthaft gestellt, zuweilen sogar verneint. So titelte der Spiegel 2003: "Die verstaubte Verfassung. Wie das Grundgesetz Reformen blockiert", und der Spiegel-Redakteur Thomas Darnstädt forderte 2006, das Grundgesetz durch eine komplett neue Verfassung zu ersetzen: "Keiner, der sich auskennt, glaubt daran, dass mit dieser Verfassung die schleudernde Industrienation noch zu managen ist." Selbst eher bewahrende und vorsichtige Staatsrechtsprofessoren, die derart spektakuläre Zeitdiagnosen und Zukunftsprognosen ablehnen, können sich des Eindrucks einer "Verfassungsdämmerung" nicht erwehren und denken über Endlichkeit und Vergänglichkeit von Rechtsordnungen nach.
Wie eine neue Verfassung allerdings aussehen könnte, bleibt in diesen Diskussionen bemerkenswert vage. Das "Ende der Verfassung" wird denkbar - nicht aber das, was danach kommen könnte. Niemand präsentiert konkrete Alternativen, die an die Stelle des Grundgesetzes treten könnten. Eine umfassende Zukunftsperspektive für ganz neue Verfassungsentwicklungen bietet allein die europäische Integration: Wenn die europäische Rechtsordnung nicht mehr als zwischenstaatliches Arrangement oder Instrument einer unkontrollierbaren Bürokratie missverstanden werden würde, könnte sie als "Verfassung" ganz neuen Typs wirken und wohl große Teile des Vakuums füllen, das durch die schwindende Problemlösungskompetenz des Grundgesetzes entsteht. Dies wäre nicht sein Ende: Die verbindlichen, rechtlichen Regelwerke, die die nationalstaatlichen Verfassungen in Europa ihren Bürgern und Institutionen geben, blieben bestehen. Aber es wäre doch das Ende unseres herkömmlichen Verständnisses vom Grundgesetz: Seinen Nimbus als alles überwölbende, alles durchdringende, Legitimation, Identität und Gemeinschaft stiftende Ordnung würde es verlieren.
Doch gerade für Europa und eine europäische Verfassung können sich die Menschen nur schwer erwärmen. Seit dem Scheitern der Referenden über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden 2005 steckt die Konstitutionalisierung Europas in einer tiefen Krise. Die verantwortlichen Politiker vermeiden das Wort "Verfassung" in Bezug auf die europäischen Verträge inzwischen wie der Teufel das Weihwasser.
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Autoren-Porträt von Maximilian Steinbeis, Marion Detjen, Stephan Detjen
Marion Detjen, 1969 in München geboren, studierte von 1989 bis 1995 Geschichte, Germanistik und Romanistik in Berlin und München. Sie arbeitete als Lehrerin und Ausstellungsmacherin und veröffentlichte neben zahlreichen Aufsätzen zu historischen und politischen Themen das Buch "Zum Staatsfeind ernannt. Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-Regime in München" (1998). Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Maximilian Steinbeis , Marion Detjen , Stephan Detjen
- 2009, 1, 400 Seiten, Maße: 12,5 x 20 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Pantheon
- ISBN-10: 3570550842
- ISBN-13: 9783570550847
Rezension zu „Die Deutschen und das Grundgesetz “
»Als Einstieg in die wissenschaftliche Debatte ist der Band bestens geeignet.«
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