Die einsamen Schrecken der Liebe
Roman
Die große Liebe zu ihrem im Ersten Weltkrieg verschollen geglaubten Mann verschlägt die schöne Anna Petrowna in den postrevolutionären Wirren in das kleine sibirische Städtchen Jasyk. Von einer mystischen Gemeinschaft bewohnt, wird der Ort kurz darauf durch...
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Produktinformationen zu „Die einsamen Schrecken der Liebe “
Die große Liebe zu ihrem im Ersten Weltkrieg verschollen geglaubten Mann verschlägt die schöne Anna Petrowna in den postrevolutionären Wirren in das kleine sibirische Städtchen Jasyk. Von einer mystischen Gemeinschaft bewohnt, wird der Ort kurz darauf durch die Ankunft eines geheimnisvollen Fremden in seinem Frieden bedroht. Wer ist dieser Fremde, der durch Schnee und Eis aus einem Gefangenenlager im hohen Norden bis nach Jasyk geflohen ist? Und was hat es mit seinem angeblichen Verfolger auf sich, der Unaussprechliches getan hat und nun die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt? Und welchen Zauber verübt der fremde Ankömmling auf Anna Petrowna?
Klappentext zu „Die einsamen Schrecken der Liebe “
Die große Liebe zu ihrem im Ersten Weltkrieg verschollen geglaubten Mann verschlägt die schöne Anna Petrowna in den postrevolutionären Wirren in das kleine sibirische Städtchen Jasyk. Von einer mystischen Gemeinschaft bewohnt, wird der Ort kurz darauf durch die Ankunft eines geheimnisvollen Fremden in seinem Frieden bedroht. Wer ist dieser Fremde, der durch Schnee und Eis aus einem Gefangenenlager im hohen Norden bis nach Jasyk geflohen ist? Und was hat es mit seinem angeblichen Verfolger auf sich, der Unaussprechliches getan hat und nun die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt? Und welchen Zauber verübt der fremde Ankömmling auf Anna Petrowna?
Lese-Probe zu „Die einsamen Schrecken der Liebe “
Ich hörte laute Stimmen im anderen Teil unserer Baracke. Die anderen Mächtigen, Lunte und der Zigeuner, der sich nach MGs Ermordung in dessen Nische breit gemacht hatte, bearbeitetenden Mohikaner. Lunte sagte: 'Du musst teilen. Er ist zu viel für einen allein.' Der Zigeuner sagte: 'Das ist das Ende, hier läuft nichts mehr. Wird Zeit, dass wir auf den Putz hauen. Bloß ein kleines Stück, Bruder, ein klitzekleines Stück. Ich nehm das Herz. Rohes Herz, noch warm: Das schmeckt.'
Der Mohikaner sagt: 'Ja, es ist aus. Was ich hab, das behalt ich. Was ich behalte, das nehm ich mit. Ihr könnt den Fürst und seine Leute haben. Die haben da drinnen so viel Kaviar und Champagner, dass ihr euch bis zum Frühjahr beduseln könnt.'
Aber der Zigeuner antwortet: 'O nein, Bruder, so läuft das nicht. Wenn der Fürst dran ist, mein Lieber, dann wirst du dich schön mit uns in eine Reihe stellen und Auge in Auge mit ihren hübschen kleinen Mauserpistolen vorrücken. Du kennst sein Haus - Betonmauern, so dick! Die Ratten haben sich gut verschanzt, und wir, was sind wir? Sechzig Hunde, die zu schwach sind, sie zu kriegen.'
Und Lunte sagt: 'Du musst teilen. Wo willst du mit ihm hin? Jetzt mitten im Winter? Du kommst keine zehn Werst weit, du mit deinem Mastschwein.'
Und der Mohikaner sagt: 'Ich hab euch verboten, das Wort hier in den Mund zu nehmen.'
'Ah, der schöne Mann und sein kleines Messer', sagt Lunte.
'Nu lasst gut sein, Brüder", sagt der Zigeuner. 'Wie wär's - damit keiner sein Messer unbenutzt wegstecken muss, machen wir jetzt den Gemästeten kalt, wir trinken uns einen und genehmigen uns ein schönes Stück Fleisch, und wenn wir ein bisschen gefeiert haben, nehmen wir uns den Fürst vor.'
'Ich will ihn haben', sagt Lunte. 'Ich werde ihn aufschneiden wie ein Künstler, und dann werd ich ihn umbringen.'
'Du kannst kein Künstler sein', sagt der Mohikaner, 'dir fehlt die Phantasie.'
Von meinem Platz am Ofen hörte ich den Zigeuner schreien. Davon dass der Mohikaner
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Lunte ermordete, hörte ich keinerlei Geräusch. Messer an sich sind leise. Der Mohikaner befahl dem Zigeuner, die Leiche rauszubringen, dann hörte ich den Zigeuner schreien, und der Mohikaner kam zu mir. Das blutige Messer noch in der Hand schob er sich durch die Abtrennung aus Decken. Er sagte, es sei Zeit, dass wir uns auf den Weg machten, sie hätten morgens aufgehört, Rationen auszuteilen. Ich fragte ihn, was der Zigeuner und Lunte gewollt hätten, und er antwortete: 'Etwas, was ich ihnen nicht geben konnte.'
Einen Augenblick hatte ich das Gefühl zu wissen, warum Tiere nicht sprechen - nicht, weil sie es nicht können, sondern weil ihnen die Angst in dem Moment, wo sie um ihr Leben betteln müssten, die Kehle zuschnürt; sie werden von Angst und Hoffnungslosigkeit erfasst, wenn ein Wesen auf zwei Beinen mit einer scharfen glänzenden Klinge in den weißen eingerollten Fingern auf sie zukommt und ihnen klar wird, wie gut sie gefüttert wurden und wie langsam und schwach sie sind und wie gierig und dumm sie waren; dass ihre Hufe und Pfoten nicht so geschickt sind wie Finger und dass ihr Urteil gesprochen ist und sie schon tot, schon Fleisch sind. Einen Augenblick war ich ein Tier. Dann suchte ich nach Worten. Ich sagte: 'Bin ich das?' Ich fragte: 'Bin ich das Mastschwein?'
Und der Mohikaner sagte: 'Hör zu, Schlaukopf. Es dauert noch vier Monate, bis der Fluss aufbricht und wir herausfinden, welche Arschlöcher an der Macht sind, und ob sie sich entsinnen, dass es das Lager hier gibt. Vier Monate, und die einzigen Lebensmittel sind beim Fürst im Haus. Wenn du hier bleibst, wird der Fürst mit seinen Hunden dich und alle anderen töten, damit ihr ihm nichts wegnehmt. Oder du kriegst es mit dem Zigeuner und seinen Freunden zu tun. Sie haben Hunger, und du bist kein Kämpfer. Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Wie hauen zusammen ab, jetzt gleich, zu zweit.' Er sagte: 'Fällt dir die Wahl schwer, Schlaukopf? Du kannst bleiben und dich erschießen lassen. Du kannst bleiben und dich fressen lassen. Oder wir können zusammen in die Wildnis gehen.'
Er leckte eine Seite seiner Messerklinge sauber und hielt sie mir hin. Ich schüttelte den Kopf. Er leckte die andere Seite ab, wischte sie mit einem Lappen trocken und steckte das Messer in den Gürtel. Auf der anderen Seite des Lagers, wo das Haus des Fürsten lag, knallte und prasselte Geschützfeuer. Ich hatte keine andere Wahl, als mit dem Mohikaner aufzubrechen, obwohl ich wusste, dass es für ihn nur einen Grund geben konnte, mich mitzunehmen. Im Weißen Garten war das Beste, auf das ich hoffen konnte, ein schneller Tod. Auch in der Tundra und Taiga erwartete mich höchstwahrscheinlich der Tod, aber solange unser Weg in Richtung Süden führte, war Hoffnung mehr als ein Symptom des Wahnsinns.
Der Mohikaner hatte Vorbereitungen getroffen. Aus allerlei Verstecken kramte er Schaffellmäntel und Fäustlinge, Pelzmützen und Filzstiefel hervor. Er wickelte einen langen schwarzen Colt aus und steckte ihn in die Manteltasche. Im Mantelfutter verstaute er ein Beil. Er förderte zwei Säcke voll
Lebensmittel und eine Flasche Alkohol zutage und befahl mir, zwei Bücher mitzunehmen. Wir zogen uns an und gingen los. Wir marschierten zum Tor hinaus. Es war bereits dunkel, aber der Mond schien, und wir kannten den Weg zum Fluss hinunter. Es waren keine Aufseher da. Sie kämpften, einige auf Seiten der Sträflinge, andere gegen sie, je nach Rang und Berechnung. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, selbst wenn es noch eine Bedeutung gehabt hätte, uns gefangen zu halten, wären Stacheldraht und Torhäuser und Wachtürme überflüssig gewesen. Wer flüchtete, tat das im Mai. Im Winter reichte die Tundra als Mauer gegen jede Flucht.
Wir gingen zwischen den Bootsrümpfen die Uferböschung hinunter und auf den vereisten Fluss hinaus. Der Mohikaner meinte, wir müssten fünfzehn Werst zurücklegen, bevor wir ein Feuer und Rast machen könnten. Ich erinnerte mich an etwas, dass ich am Kartentisch gehört hatte, während der Mohikaner nicht im Zimmer war und ich auf meinem Bett lag und tat, als ob ich schliefe. Irgendjemand, ich glaube, es war Petja, den sie Feuermann nannten, weil er ein Brandstifter war, fragte, ob ich schliefe, und der Zigeuner sagte: 'Ach, der schläft immer, der wacht bloß zum Essen auf. Er ist ein Leckerbissen, nichts als Wiegenlieder und Kuchen.' Petja meinte, das seien dunkle Machenschaften, und der Zigeuner sagte: 'Psst, mein Lieber, im Dunkeln ist gut munkeln', und die andern lachten, und einen Augenblick hörte ich nur alte Karten über den Tisch rutschen und kleine Einsätze klimpern, und dann sagte einer:
'Kjescha aus Rostow, der hat sich mal, als er mit ein paar andern Kerlen, die er kannte, aus einer Arbeitskolonne nördlich vom Baikalsee abgehauen ist, 'ne Kuh mitgenommen. Die Kuh war jung, ohne Arg, mit ganz weicher Haut. Kjescha und die andern töteten sie schon, bevor ihre Vorräte aufgebraucht waren. Sie machten kein Feuer, weil sie Angst hatten entdeckt zu werden; sie schnitten ihr die Kehle durch, tranken das Blut, schnitten die Nieren heraus und aßen sie noch warm.'
Ich folgte in den Fußstapfen, die der Mohikaner im Schnee auf dem Fluss hinterließ. Der Wind hatte den Schnee gegen die Ufer getrieben, und draußen auf dem Eis lag er nur zwei bis drei Handbreit hoch. Vor uns im Mondlicht erstreckte sich der weite Flusslauf durch das gefrorene Sumpfland der Tundra. Ich wusste, dass noch nie jemand aus dem Weißen Garten entkommen war, und mir war klar, dass es mitten im Winter, wenn man zehn bis zwanzig Tage laufen musste, um die Baumgrenze
zu erreichen, und noch viel weiter, bis man in besiedelte Gebiete kam, nicht zu schaffen war; in dieser Zeit schlugen selbst die Tungusen mit ihren Herden ihre Jurten viel weiter südlich auf. Das war mir klar, und ich wusste auch, dass der Mohikaner mich gemästet hatte, um mich zu töten, aufzuschneiden und als Fleischvorrat mitzunehmen. Meine Knochen würde er über Tage in der Wildnis verstreuen. Aber im Lager hinter uns knallten noch Schüsse, und in Bewegung zu sein mit der Aussicht, den Polarkreis gen Süden zu überschreiten, war eine Wohltat an sich. Es war nicht kälter als minus zehn Grad, und mit dem Schaffell und den Filzstiefeln spürte ich die Kälte nur im Gesicht. Der Fluss mochte noch so lang sein, in den ersten Stunden erschien er mir wie eine strahlende Straße in die Heimat, weit und leicht zu begehen, fast eine Werst breit, der Schnee zu
Wellen verweht, deren scharfe Kanten im Mondlicht schwarz hervortraten. Der Mohikaner war meistens stumm, und während ich zuguckte, wie seine Füße Spuren durch die unberührte Einöde zogen, und meine Füße in die von ihm hinterlassenen Löcher setzte, gingen meine Angst vor und mein Vertrauen zu ihm getrennte Wege. Auf der einen Seite war die Todesangst, die Vorstellung, eines Tages aufzuwachen, wenn er mit einer Hand mein Kinn festhielt und mir mit der anderen die Gurgel durchschnitt. Und auf der anderen Seite war Liebe, Sohnesliebe für einen Vater, der vorangeht und ihn aus den Fängen des Todes in die Welt der Lebenden führt. Wir legten unsere fünfzehn Werst zurück. Der Mohikaner fand einen geeigneten Rastplatz an einem Boot einer frühen
Expedition, das auf Grund gelaufen war. Es war vollkommen ausgeweidet, und das meiste von dem, was übrig war, war im Eis eingefroren, aber es war noch genug Holz für ein Feuer da, wenn wir meinen halben Bellamy zum Anzünden nahmen. Wir aßen und legten uns eng umschlungen gegen die Kälte schlafen. Ich hörte seine Atemzüge an meinem Ohr, und ich sagte, wir könnten Fische fangen oder jagen, wenn unsere Vorräte aufgebraucht seien. Er antwortete lange nicht, und ich dachte, er schliefe. Dann sagte er: 'Wenn die Vorräte verbraucht sind, Schlaukopf, dann werd ich dir zeigen, was wir machen. Und jetzt schlaf.'
Einen Augenblick hatte ich das Gefühl zu wissen, warum Tiere nicht sprechen - nicht, weil sie es nicht können, sondern weil ihnen die Angst in dem Moment, wo sie um ihr Leben betteln müssten, die Kehle zuschnürt; sie werden von Angst und Hoffnungslosigkeit erfasst, wenn ein Wesen auf zwei Beinen mit einer scharfen glänzenden Klinge in den weißen eingerollten Fingern auf sie zukommt und ihnen klar wird, wie gut sie gefüttert wurden und wie langsam und schwach sie sind und wie gierig und dumm sie waren; dass ihre Hufe und Pfoten nicht so geschickt sind wie Finger und dass ihr Urteil gesprochen ist und sie schon tot, schon Fleisch sind. Einen Augenblick war ich ein Tier. Dann suchte ich nach Worten. Ich sagte: 'Bin ich das?' Ich fragte: 'Bin ich das Mastschwein?'
Und der Mohikaner sagte: 'Hör zu, Schlaukopf. Es dauert noch vier Monate, bis der Fluss aufbricht und wir herausfinden, welche Arschlöcher an der Macht sind, und ob sie sich entsinnen, dass es das Lager hier gibt. Vier Monate, und die einzigen Lebensmittel sind beim Fürst im Haus. Wenn du hier bleibst, wird der Fürst mit seinen Hunden dich und alle anderen töten, damit ihr ihm nichts wegnehmt. Oder du kriegst es mit dem Zigeuner und seinen Freunden zu tun. Sie haben Hunger, und du bist kein Kämpfer. Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Wie hauen zusammen ab, jetzt gleich, zu zweit.' Er sagte: 'Fällt dir die Wahl schwer, Schlaukopf? Du kannst bleiben und dich erschießen lassen. Du kannst bleiben und dich fressen lassen. Oder wir können zusammen in die Wildnis gehen.'
Er leckte eine Seite seiner Messerklinge sauber und hielt sie mir hin. Ich schüttelte den Kopf. Er leckte die andere Seite ab, wischte sie mit einem Lappen trocken und steckte das Messer in den Gürtel. Auf der anderen Seite des Lagers, wo das Haus des Fürsten lag, knallte und prasselte Geschützfeuer. Ich hatte keine andere Wahl, als mit dem Mohikaner aufzubrechen, obwohl ich wusste, dass es für ihn nur einen Grund geben konnte, mich mitzunehmen. Im Weißen Garten war das Beste, auf das ich hoffen konnte, ein schneller Tod. Auch in der Tundra und Taiga erwartete mich höchstwahrscheinlich der Tod, aber solange unser Weg in Richtung Süden führte, war Hoffnung mehr als ein Symptom des Wahnsinns.
Der Mohikaner hatte Vorbereitungen getroffen. Aus allerlei Verstecken kramte er Schaffellmäntel und Fäustlinge, Pelzmützen und Filzstiefel hervor. Er wickelte einen langen schwarzen Colt aus und steckte ihn in die Manteltasche. Im Mantelfutter verstaute er ein Beil. Er förderte zwei Säcke voll
Lebensmittel und eine Flasche Alkohol zutage und befahl mir, zwei Bücher mitzunehmen. Wir zogen uns an und gingen los. Wir marschierten zum Tor hinaus. Es war bereits dunkel, aber der Mond schien, und wir kannten den Weg zum Fluss hinunter. Es waren keine Aufseher da. Sie kämpften, einige auf Seiten der Sträflinge, andere gegen sie, je nach Rang und Berechnung. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, selbst wenn es noch eine Bedeutung gehabt hätte, uns gefangen zu halten, wären Stacheldraht und Torhäuser und Wachtürme überflüssig gewesen. Wer flüchtete, tat das im Mai. Im Winter reichte die Tundra als Mauer gegen jede Flucht.
Wir gingen zwischen den Bootsrümpfen die Uferböschung hinunter und auf den vereisten Fluss hinaus. Der Mohikaner meinte, wir müssten fünfzehn Werst zurücklegen, bevor wir ein Feuer und Rast machen könnten. Ich erinnerte mich an etwas, dass ich am Kartentisch gehört hatte, während der Mohikaner nicht im Zimmer war und ich auf meinem Bett lag und tat, als ob ich schliefe. Irgendjemand, ich glaube, es war Petja, den sie Feuermann nannten, weil er ein Brandstifter war, fragte, ob ich schliefe, und der Zigeuner sagte: 'Ach, der schläft immer, der wacht bloß zum Essen auf. Er ist ein Leckerbissen, nichts als Wiegenlieder und Kuchen.' Petja meinte, das seien dunkle Machenschaften, und der Zigeuner sagte: 'Psst, mein Lieber, im Dunkeln ist gut munkeln', und die andern lachten, und einen Augenblick hörte ich nur alte Karten über den Tisch rutschen und kleine Einsätze klimpern, und dann sagte einer:
'Kjescha aus Rostow, der hat sich mal, als er mit ein paar andern Kerlen, die er kannte, aus einer Arbeitskolonne nördlich vom Baikalsee abgehauen ist, 'ne Kuh mitgenommen. Die Kuh war jung, ohne Arg, mit ganz weicher Haut. Kjescha und die andern töteten sie schon, bevor ihre Vorräte aufgebraucht waren. Sie machten kein Feuer, weil sie Angst hatten entdeckt zu werden; sie schnitten ihr die Kehle durch, tranken das Blut, schnitten die Nieren heraus und aßen sie noch warm.'
Ich folgte in den Fußstapfen, die der Mohikaner im Schnee auf dem Fluss hinterließ. Der Wind hatte den Schnee gegen die Ufer getrieben, und draußen auf dem Eis lag er nur zwei bis drei Handbreit hoch. Vor uns im Mondlicht erstreckte sich der weite Flusslauf durch das gefrorene Sumpfland der Tundra. Ich wusste, dass noch nie jemand aus dem Weißen Garten entkommen war, und mir war klar, dass es mitten im Winter, wenn man zehn bis zwanzig Tage laufen musste, um die Baumgrenze
zu erreichen, und noch viel weiter, bis man in besiedelte Gebiete kam, nicht zu schaffen war; in dieser Zeit schlugen selbst die Tungusen mit ihren Herden ihre Jurten viel weiter südlich auf. Das war mir klar, und ich wusste auch, dass der Mohikaner mich gemästet hatte, um mich zu töten, aufzuschneiden und als Fleischvorrat mitzunehmen. Meine Knochen würde er über Tage in der Wildnis verstreuen. Aber im Lager hinter uns knallten noch Schüsse, und in Bewegung zu sein mit der Aussicht, den Polarkreis gen Süden zu überschreiten, war eine Wohltat an sich. Es war nicht kälter als minus zehn Grad, und mit dem Schaffell und den Filzstiefeln spürte ich die Kälte nur im Gesicht. Der Fluss mochte noch so lang sein, in den ersten Stunden erschien er mir wie eine strahlende Straße in die Heimat, weit und leicht zu begehen, fast eine Werst breit, der Schnee zu
Wellen verweht, deren scharfe Kanten im Mondlicht schwarz hervortraten. Der Mohikaner war meistens stumm, und während ich zuguckte, wie seine Füße Spuren durch die unberührte Einöde zogen, und meine Füße in die von ihm hinterlassenen Löcher setzte, gingen meine Angst vor und mein Vertrauen zu ihm getrennte Wege. Auf der einen Seite war die Todesangst, die Vorstellung, eines Tages aufzuwachen, wenn er mit einer Hand mein Kinn festhielt und mir mit der anderen die Gurgel durchschnitt. Und auf der anderen Seite war Liebe, Sohnesliebe für einen Vater, der vorangeht und ihn aus den Fängen des Todes in die Welt der Lebenden führt. Wir legten unsere fünfzehn Werst zurück. Der Mohikaner fand einen geeigneten Rastplatz an einem Boot einer frühen
Expedition, das auf Grund gelaufen war. Es war vollkommen ausgeweidet, und das meiste von dem, was übrig war, war im Eis eingefroren, aber es war noch genug Holz für ein Feuer da, wenn wir meinen halben Bellamy zum Anzünden nahmen. Wir aßen und legten uns eng umschlungen gegen die Kälte schlafen. Ich hörte seine Atemzüge an meinem Ohr, und ich sagte, wir könnten Fische fangen oder jagen, wenn unsere Vorräte aufgebraucht seien. Er antwortete lange nicht, und ich dachte, er schliefe. Dann sagte er: 'Wenn die Vorräte verbraucht sind, Schlaukopf, dann werd ich dir zeigen, was wir machen. Und jetzt schlaf.'
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Autoren-Porträt von James Meek
James Meek, geb. 1962 in London, wuchs in Dundee auf. Seit 1985 arbeitet er als Journalist, die Jahre 1991 bis 1999 verbrachte er als Auslandskorrespondent in der ehemaligen Sowjetunion. James Meek lebt heute in London, wo er für den Guardian, The London Review of Books und das Magazin Granta schreibt.Malte Krutzsch lebt und arbeitet in der Eifel. Er übersetzte u.a. Werke von Bill Clegg, Josh Bazell und Charles Bukowski.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Meek
- 2005, 1, 429 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Krutzsch, Malte; Nölle-Fischer, Karen
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426197103
- ISBN-13: 9783426197103
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