Die falsche Fährte / Kurt Wallander Bd.6
Da ruft ein verstörter Bauer um Hilfe, dem auf einem seiner Felder das merkwürdige Verhalten...
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Da ruft ein verstörter Bauer um Hilfe, dem auf einem seiner Felder das merkwürdige Verhalten eines jungen Mädchens aufgefallen ist.
Als Wallander eintrifft, legt das Mädchen Feuer an sich und verbrennt vor seinen Augen. Kurz darauf schlägt ein Serienkiller mit einer Reihe brutaler Morde zu.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen einem pensionierten Justizminister, einem bekannten Kunsthändler, einem kleinen Hehler und einem betrügerischen Finanzhai?
Fragen über Fragen die der Kommissar beantworten muß!
"Raffiniert und behutsam" Der Spiegel.
Die falsche Fährte von Henning Mankell
LESEPROBE
Prolog
Kurz vor der Morgendämmerung erwachte Pedro Santana davon, daß diePetroleumlampe angefangen hatte zu blaken.
Als er die Augen aufschlug, wußte er zuerst nicht, wo er war. Er war aus einemTraum gerissen worden, den er nicht verlieren wollte. Er hatte sich durch einesonderbare Felslandschaft bewegt, wo die Luft sehr dünn war und er das Gefühlhatte, daß alle Erinnerungen im Begriff waren, ihn zu verlassen. Die blakendePetroleumlampe war als der entfernte Geruch von vulkanischer Asche in seinBewußtsein gedrungen. Aber plötzlich war auch noch etwas anderes da: ein Lautvon einem gepeinigten, keuchenden Menschen. Da war der Traum geborsten, und ermußte wieder in den dunklen Raum zurückkehren, in dem er jetzt schon sechs Tageund Nächte verbracht hatte, ohne mehr als dann und wann ein paar Minuten zuschlafen.
Die Petroleumlampe war erloschen. Um ihn her war nichts als Dunkelheit. Er saßvollkommen reglos. Die Nacht war sehr warm. Das Hemd klebte an seinemverschwitzten Körper. Er merkte, daß er roch. Es war lange her, daß er dieEnergie aufgebracht hatte, sich zu waschen.
Dann hörte er das Keuchen wieder. Er erhob sich vorsichtig vom Erdboden undtastete mit den Händen nach dem Plastikkanister mit Petroleum, der an der Türstehen mußte. Es hatte geregnet, während er schlief, dachte er, als er sich imDunkeln vortastete. Der Boden unter seinen Füßen war feucht. Von weitem hörteer einen Hahn krähen. Er wußte, daß es der Hahn von Ramirez war. Er war immerder erste Hahn im Dorf, der vor der Morgendämmerung krähte. Der Hahn war wieein ungeduldiger Mensch. Ein Mensch wie die, die in der Stadt lebten, dieständig so viel zu tun zu haben glaubten, daß sie nie für etwas anderes Zeithatten als für die Pflege ihrer eigenen Eile. Es war nicht wie hier im Dorf, woalles so langsam ging, wie das Leben eigentlich war. Warum sollten die Menschenlaufen, wenn die Pflanzen, von denen sie lebten, so langsam wuchsen?
Seine Hand stieß an den Petroleumkanister. Er zog den Stofflappen heraus, derin der Öffnung steckte, und wandte sich um. Das Keuchen, das ihn in derDunkelheit umgab, wurde immer unregelmäßiger. Er fand die Lampe, zog den Korkenheraus und füllte vorsichtig Petroleum ein. Zugleich versuchte er sich zuerinnern, wo er die Streichhölzer hingelegt hatte. Die Schachtel war fast leer,fiel ihm ein. Aber es müßten noch zwei oder drei Streichhölzer da sein. Erstellte den Plastikkanister ab und tastete mit den Händen über den Fußboden.Fast sofort stieg er gegen die Streichholzschachtel. Er riß ein Streichholz an,zog den Glaszylinder hoch und sah, wie der Docht zu brennen begann.
Dann drehte er sich um. Er tat es voller Furcht, weil er das, was ihnerwartete, nicht sehen wollte. Die Frau, die im Bett an der Wand lag, würdesterben. Er wußte jetzt, daß es so war, auch wenn er sich bis zuletzteingeredet hatte, daß die Krise bald überstanden wäre. Seinen letztenFluchtversuch hatte er im Traum unternommen. Jetzt gab es kein Entkommen mehr.
Ein Mensch konnte dem Tod nie entkommen. Weder seinem eigenen noch dem, dereinen seiner Nächsten erwartete.
Er hockte sich neben das Bett. Die Petroleumlampe warf unruhige Schatten an dieWände. Er sah ihr Gesicht an. Sie war noch jung. Obwohl ihr Gesicht bleich undeingefallen war, war sie schön. Das letzte, was meine Frau verläßt, ist dieSchönheit, dachte er und spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Er fühlteihre Stirn. Das Fieber war wieder gestiegen.
Er warf einen Blick durch das kaputte Fenster, das mit einem Stück Pappeausgebessert worden war. Noch keine Dämmerung. Ramirez' Hahn war noch immer dereinzige, der krähte. Wenn nur erst die Dämmerung käme, dachte er. Sie wird inder Nacht sterben. Nicht am Tag. Wenn sie es nur schafft, weiterzuatmen, bisdie Dämmerung kommt. Dann wird sie mich noch nicht allein lassen.
Plötzlich schlug sie die Augen auf. Er ergriff ihre Hand und versuchte zulächeln. »Wo ist das Kind?« fragte sie mit einer Stimme, die so schwach war,daß er die Worte kaum verstand. »Sie schläft bei meiner Schwester und ihrerFamilie«, antwortete er. »Es ist das Beste so.« Sie schien sich bei seinerAntwort zu entspannen. »Wie lange habe ich geschlafen?« »Viele Stunden.«
»Hast du die ganze Zeit hier gesessen? Du mußt ausruhen. In ein paar Tagenbrauche ich nicht mehr hier zu liegen.« »Ich habe geschlafen«, erwiderte er.»Bald bist du wieder gesund.«
Er fragte sich, ob sie merkte, daß er log. Er fragte sich, ob sie wußte, daßsie nie wieder aufstehen würde. Belogen sie sich in ihrer Verzweiflunggegenseitig? Um das Unausweichliche erträglicher zu machen? »Ich bin so müde«,sagte sie.
»Du mußt schlafen, um gesund zu werden«, sagte er und wandte den Kopf ab, damitsie nicht sähe, wie schwer es ihm fiel, sich zu beherrschen.
...
Übersetzung: Wolfgang Butt
© dtv
- Autor: Henning Mankell
- 1999, 10. Aufl., 496 Seiten, Maße: 13,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Butt, Wolfgang
- Übersetzer: Wolfgang Butt
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552049282
- ISBN-13: 9783552049284
- Erscheinungsdatum: 17.05.1999
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