Die Frau, die niemand kannte
Thriller
Die Amerikanerin Kate Moore zieht mit Mann und Kindern nach Luxemburg - sie freut sich auf ein entspanntes Leben als Mutter und Hausfrau. Endlich keine Geheimnisse mehr, endlich droht ihre zwielichtige Vergangenheit nicht mehr in ihr Privatleben...
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Produktinformationen zu „Die Frau, die niemand kannte “
Die Amerikanerin Kate Moore zieht mit Mann und Kindern nach Luxemburg - sie freut sich auf ein entspanntes Leben als Mutter und Hausfrau. Endlich keine Geheimnisse mehr, endlich droht ihre zwielichtige Vergangenheit nicht mehr in ihr Privatleben einzudringen. Doch dann macht sie die Bekanntschaft des Exilantenpärchens Julia und Bill. Und die Gefahr, dass ihre wahre Identität ans Licht kommt, ist plötzlich größer denn je ...
Klappentext zu „Die Frau, die niemand kannte “
Die Amerikanerin Kate Moore zieht mit Mann und Kindern nach Luxemburg - sie freut sich auf ein entspanntes Leben als Mutter und Hausfrau. Endlich keine Geheimnisse mehr, endlich droht ihre zwielichtige Vergangenheit nicht mehr in ihr Privatleben einzudringen. Doch dann macht sie die Bekanntschaft des Exilantenpärchens Julia und Bill. Und die Gefahr, dass ihre wahre Identität ans Licht kommt, ist plötzlich größer denn je ...
Lese-Probe zu „Die Frau, die niemand kannte “
Die Frau, die niemand kannte von Chris PavoneAus dem Amerikanischen von Andrea Brandl
AUFTAKT
Heute, 10:52 Uhr, Paris
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»Kate?«
Wie gebannt blickt Kate in das Schaufenster, in dem sich Kissen, Tischdecken und Vorhangstoffe in verschiedensten Schattierungen von Taupe, Schokobraun und Moosgrün türmen - eine Farbpalette, die die zarten Pastelltöne der letzten Woche ersetzt hat. Saisonwechsel. Einfach so.
Sie wendet sich vom Fenster ab und der Frau zu, die neben ihr auf dem schmalen Bürgersteig der Rue Jacob steht. Wer ist diese Frau?
»O mein Gott, Kate! Bist du das?« Die Stimme kommt ihr bekannt vor. Aber das reicht nicht.
Inzwischen hat Kate vergessen, wonach sie halbherzig gesucht hat. Es war irgendetwas aus Stoff. Vorhänge für die Gästetoilette? Irgendetwas Albernes, Unnützes.
Sie zieht den Gürtel ihres Regenmantels enger, eine Geste des Selbstschutzes. Vorhin, auf dem Weg zur Vorschule, hat es geregnet. Nebel stieg von der Seine auf, und die Absätze ihrer Lederstiefel hallten laut auf dem Kopfsteinpflaster. In der Tasche ihres dünnen Regenmantels steckt eine zusammengefaltete Herald Tribune. Das heutige Kreuzworträtsel hat sie bereits im Café neben der Schule gelöst, wo sie meistens gemeinsam mit den anderen ausländischen Müttern frühstückt.
Zu denen gehört diese Frau jedenfalls nicht.
Diese Frau trägt eine Sonnenbrille, die ihre Stirn, den größten Teil ihrer Wangen und die gesamte Augenpartie verdeckt, sodass Kate unmöglich erkennen kann, wer sich hinter all dem schwarzen Kunststoff und den goldenen Logos verbirgt. Ihr kurzes kastanienbraunes Haar ist streng aus dem Gesicht gekämmt und wird von einem Seidenschal gehalten. Sie ist groß und attraktiv, jedoch mit üppigen Hüften und Brüsten. Sinnlich. Sie ist auf leichte, natürliche Weise gebräunt, als verbringe sie viel Zeit im Freien. Tennis vielleicht oder Gartenarbeit. Jedenfalls hat ihr Teint nichts von dieser tiefdunklen Dörrapfelbräune, die so viele stundenlang im UV-Licht der Solariensärge schmorende Französinnen schätzen.
Ihr Outfit erinnert an eine Reiterin. Kate erkennt auf Anhieb das karierte Sakko aus dem Schaufenster dieser neuen, obszön teuren Boutique ganz in der Nähe wieder, in deren Räumen zuvor eine beliebte Buchhandlung ansässig war - ein Wechsel, der lautstarken Einheimischen zufolge den Niedergang des Faubourg St. Germain einleitet, das sie kennen und lieben. Doch die Liebe zu dieser Buchhandlung war eher abstrakter Natur gewesen, denn sie war meistens leer gewesen, während in der Boutique oft Hochbetrieb herrschte. Nicht nur texanische Hausfrauen, japanische Geschäftsleute und russische Schlampen fallen heuschreckenartig dort ein und bezahlen ihre Blusen, Schals und Handtaschen in bar - mit brandneuen Scheinen, frisch aus der Geldwäschemaschine -, sondern auch die reichen Pariserinnen. Arme gibt es in dieser Gegend nicht.
Aber diese Frau? Sie lächelt und entblößt dabei eine Reihe perfekter, strahlend weißer Zähne. Auch das Lächeln kommt Kate bekannt vor, trotzdem muss sie ihre Augen sehen, um ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.
In Südostasien werden Autos gebaut, die weniger kosten, als diese Frau für ihre Karojacke hingeblättert hat. Kates Kleidungsstil ist ebenfalls erlesen, im Gegensatz zu dem dieser Frau jedoch klassisch-zeitlos, wie Frauen ihres Typs es vorziehen.
Diese Frau ist Amerikanerin, spricht jedoch ohne einen bestimmten Akzent. Sie könnte von überall her stammen.
»Ich bin's«, sagt sie und nimmt endlich ihre Sonnenbrille ab.
Instinktiv weicht Kate einen Schritt zurück und spürt den verrußten dunkelgrauen Steinsockel des Hauses an ihren Hosenbeinen, während die Metallbügel ihrer Handtasche klirrend gegen die Schaufensterscheibe schlagen.
Ihr fällt die Kinnlade herunter, doch aus ihrem Mund dringt kein Laut.
Ihr erster Gedanke gilt den Kindern, Panik brandet in ihr auf - ein typischer Mutterinstinkt. Das war ein Punkt, über den Dexter sich vor der Geburt ihrer Kinder nie ernsthaft Gedanken gemacht hatte: diese fürchterliche, tiefsitzende Angst, die einen nicht mehr loslässt, sobald Kinder im Spiel sind.
Diese Frau hat sich hinter ihrer Sonnenbrille versteckt, hat sich eine neue Haarfarbe und einen anderen Schnitt zugelegt, und ihr Teint ist dunkler als früher. Außerdem hat sie ein paar Kilo zugelegt. Sie sieht anders aus. Trotzdem kann Kate nur staunen, wieso sie sie nicht gleich erkannt hat, schon bei den ersten Worten. Aber Kate weiß, warum. Sie wollte sie nicht wiedererkennen.
»O mein Gott«, stößt sie hervor.
Kates Gedanken überschlagen sich. Am liebsten würde sie kehrtmachen, die Straße hinunterlaufen, um die Ecke und durch die schwere rote Tür und den stets eiskalten Durchgang rennen, durch den Säulengang, der rings um den Innenhof verläuft, hinein in die marmorne Eingangshalle, in den Aufzug mit dem Messingkorb und den fröhlich gelb gestrichenen Flur mit dem goldgerahmten Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert entlang.
In diesem Moment breitet die Frau einladend die Arme zu einer dieser typisch amerikanischen Riesenumarmungen aus.
In Gedanken läuft Kate durch den Flur, an dessen Ende sich ihr holzvertäfeltes Büro mit dem Blick über die Dächer der Stadt und die Spitze des Eiffelturms befindet, und greift nach dem verzierten Messingschlüssel, um die unterste Schublade ihres antiken Schreibtischs aufzuschließen.
Umarmen? Wieso nicht? Schließlich sind sie alte Freundinnen. Gewissermaßen. Es könnte verdächtig wirken, wenn sich zwei Frauen auf der Straße begrüßen, ohne sich zu umarmen. Vielleicht würde es aber auch verdächtig wirken, wenn sie es täten.
Dass sie beobachtet werden könnten, ist ihr sofort in den Sinn gekommen. Sie geht immer davon aus, dass die Leute sie bemerken. Erst vor wenigen Monaten konnte sie sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, nicht auf Schritt und Tritt überwacht zu werden.
Mittlerweile hat sie die Schreibtischschublade geöffnet. Darin steht die doppelwandige Metallkassette.
»Was für eine Überraschung«, sagt Kate, was eine Lüge ist und doch auch wieder nicht.
In der verschließbaren Metallkassette liegen vier Reisepässe mit Zweitidentitäten der Familienmitglieder und ein dickes Bündel Banknoten, das von einem Gummiband zusammengehalten wird - eine bunte Mischung aus Euro, Britischen Pfund und Amerikanischen Dollar in großen Scheinen, ganz neu. Ihre eigene Version von gewaschenem Geld.
»Wie schön, dich zu sehen.«
Und, eingehüllt in ein Stück hellblaues Chamoisleder, die Beretta 92FS, die sie diesem schottischen Zuhälter in Amsterdam abgekauft hat.
TEIL I
1
Zwei Jahre zuvor. Washington, D.C.
»Luxemburg?«
»Genau.«
»Luxemburg?«
»Ja, ganz recht.
Katherine wusste nicht, was sie sagen sollte. Deshalb entschied sie sich für die bewährte Standardmethode - Umgehen durch Dummstellen. »Wo liegt Luxemburg überhaupt?«
»In Westeuropa.«
»Ich meine, in Deutschland?« Sie wandte den Blick ab, um die beschämende Grube, die sie sich gerade grub, nicht sehen zu müssen. »Oder in der Schweiz?«
Dexter musterte sie ausdruckslos. Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, nichts Falsches zu sagen. »Es ist selbst ein Land«, antwortete er schließlich. »Ein Großherzogtum.«
»Ein Großherzogtum.«
Er nickte.
»Du machst Witze.«
»Es ist das einzige Großherzogtum der Welt.«
Sie schwieg.
»Es grenzt an Frankreich, Belgien und Deutschland«, fuhr er unbeirrt fort. »Es liegt mittendrin.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »So ein Land gibt es nicht. Du meinst - keine Ahnung - das Elsass. Oder Lothringen. Ja, genau. Elsass-Lothringen.«
»Das gehört zu Frankreich. Luxemburg ist ein ... äh ... anderes Land.«
»Und wieso ist es ein Großherzogtum?«
»Es wird von einem Großherzog regiert.«
Kate wandte sich wieder der halb gehackten Zwiebel auf dem Schneidbrett zu. Die Küchenschränke waren so stark verzogen, dass die Arbeitsplatte sich - wegen der Feuchtigkeit, der Schwerkraft oder sonst eines Naturgesetzes - abzulösen drohte, womit die Grenze zwischen »schäbig, aber gerade noch akzeptabel« zu »vollkommen inakzeptabel und unhygienisch und außerdem gefährlich« überschritten war. Sie konnten die Renovierung unmöglich noch länger hinauszögern, obwohl sie - selbst wenn sie auf unnötigen Luxus und ästhetischen Schnickschnack verzichteten - vierzigtausend Dollar kosten würde. Die sie nicht hatten.
Um zu verhindern, dass die Holzplatte vollends von den Schränken rutschte, hatte Dexter sie behelfsmäßig mit ein paar Schraubzwingen befestigt. Das war vor zwei Monaten gewesen. Seitdem war ein Weinglas zu Bruch gegangen, weil Katherine an ihnen hängen geblieben war, und eine Woche später war sie beim Schälen einer Mango dagegengestoßen, worauf ihr das Messer aus der Hand gerutscht war und sie sich die Handfläche aufgeschlitzt hatte. Es hatte so heftig geblutet, dass sie sowohl die Mango als auch das Schneidbrett vollgetropft hatte. Sie hatte am Spülbecken gestanden und ein Geschirrtuch auf die Wunde gepresst, während das Blut auf die zerschlissene Fußmatte getropft war, durch die Baumwollfasern, genauso wie damals, an diesem Tag im Waldorf, als sie den Blick hätte abwenden sollen, es aber nicht getan hatte.
»Und was ist ein Großherzog?«, fragte sie und wischte sich die Zwiebeltränen ab.
»Der Mann, der ein Großherzogtum regiert.«
»Das erfindest du doch nur.«
»Tu ich nicht.« Der Anflug eines Lächelns lag auf Dexters Gesicht, als wolle er sie tatsächlich hochnehmen. Aber nein, dafür war das Lächeln zu winzig. Nein, dieses Lächeln setzte er nur auf, wenn er so tun wollte, als nehme er sie hoch, während er es in Wahrheit todernst meinte.
»Also gut«, sagte sie. »Ich schlucke den Köder. Weshalb sollten wir nach Luxemburg ziehen?«
»Um einen Riesenhaufen Geld zu verdienen und durch Europa reisen zu können, wann immer wir Lust dazu haben.« Und da war es - ein echtes Lächeln, das von einem Ohr zum anderen reichte. »So wie wir es uns immer erträumt haben.« Er sah sie an. Es war der offene Blick eines Mannes, der keinerlei Geheimnisse hatte und nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zog, dass andere so etwas taten. Genau diese Eigenschaft liebte Katherine so sehr an ihm.
»Du wirst also einen Riesenhaufen Geld verdienen? In Luxemburg?«
»Genau.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Dort herrscht ein eklatanter Mangel an attraktiven Männern. Die bezahlen mir ein Heidengeld dafür, dass ich einfach nur atemberaubend gut und supersexy aussehe.«
Das war ein Witz. Ihr Running Gag seit über zehn Jahren - Dexter war weder auffallend attraktiv noch besonders sexy. Er war eher der klassische Computerfreak, schlaksig und ungelenk. Nicht dass er unattraktiv gewesen wäre - er hatte klare Gesichtszüge, ein spitzes Kinn, haselnussbraune Augen und einen dichten Schopf unscheinbar sandfarbener Haare. Mit einem anständigen Haarschnitt, ein bisschen Nachhilfeunterricht in Sachen Auftreten und möglicherweise einer Psychotherapie hätte er sogar richtig ansehnlich wirken können. Doch er verströmte Ernsthaftigkeit und Intelligenz, nicht Körperlichkeit oder Sexualität.
Genau deshalb hatte Katherine sich am Anfang zu ihm hingezogen gefühlt: Er war ein Mann ohne jede Ironie, ohne Hinterlist, ohne aufgesetzte Coolness und gelangweiltes Getue, ohne einstudierte Gesten. Dexter war offen, zuverlässig und nett, ein Mann ohne Geheimnisse und so ganz anders als die Männer aus ihrer Branche, in der Manipulation, Skrupellosigkeit und Egoismus regierten. Dexter war ihr persönliches Gegengift gegen diese Welt.
Er hatte sich längst mit seiner Unscheinbarkeit und seiner nicht vorhandenen Coolness abgefunden und betonte sie sogar noch: Brille mit Kunststoffgestell, altmodische, scheinbar wahllos aus dem Schrank gepflückte Kleidung und wild abstehendes Haar, als sei er gerade erst aufgestanden. Und er riss ständig Witze über sein Äußeres. »Ich werde einfach auf öffentlichen Plätzen herumstehen«, fuhr er fort. »Na ja, wenn ich müde werde, setze ich mich vielleicht auch mal hin.« Er lachte über seinen eigenen Witz. »Luxemburg ist die Hauptstadt der Privatbanken.«
»Und?«
»Und eine dieser Privatbanken hat mir soeben einen lukrativen Job angeboten.«
»Wie lukrativ?«
»Dreihunderttausend Euro pro Jahr. Das ist beim derzeitigen Wechselkurs fast eine halbe Million Dollar. Plus Spesen. Plus Boni. Alles in allem könnte fast eine Dreiviertelmillion im Jahr herausspringen.«
Das war eine Menge Geld. Sie hatte nicht gedacht, dass Dexter jemals so viel verdienen würde. Obwohl er zur ersten Generation der Internetexperten gehörte, hatte er weder den Ehrgeiz noch das visionäre Denken an den Tag gelegt, das man brauchte, um wirklich reich zu werden. Die meiste Zeit hockte er vor seinem Computer, während seine Freunde und Kollegen Kapital beschafften, Risiken eingingen, pleite oder mit ihren Firmen an die Börse gingen und am Ende mit dem Privatjet durch die Welt flogen. Aber Dexter nicht.
»Und noch dazu«, fuhr er fort und breitete die Arme aus, um zu demonstrieren, was für einen Volltreffer er gelandet hatte, »werde ich nicht mal besonders viel arbeiten müssen.« Früher waren sie beide mal sehr ehrgeizig gewesen, aber nach zehn Jahren Beziehung, von denen sie fünf als Eltern verbracht hatten, war Dexters Ehrgeiz auf das Minimum geschrumpft. Eigentlich bezog er sich vor allem darauf, weniger zu arbeiten.
Das hatte sie zumindest geglaubt. Doch nun wollte er dabei offenbar auch noch reich werden. In Europa.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich bin mit dem Ausmaß und der Komplexität des Projekts und den Transaktionstypen, die denen vorschweben, bestens vertraut. Ihre Sicherheitsanforderungen sind bei Weitem nicht so aufwendig wie die, mit denen ich im Moment zu tun habe. Außerdem reden wir hier von Europäern. Jedes Kind weiß, dass die Europäer nicht so hart arbeiten.«
Dexter hatte zwar keine Reichtümer angehäuft, doch er verdiente ganz anständig. Und Katherine hatte sich Stufe um Stufe auf der Gehaltsleiter nach oben gearbeitet. Zusammen hatten sie es im letzten Jahr immerhin auf eine Viertelmillion Dollar gebracht. Aber mit den Hypothekenzahlungen, zwei Autos, den endlosen und kostspieligen Reparaturen an ihrem alten Häuschen am Rande von Columbia Heights und den Kosten für die Privatschule - die Innenstadt von Washington war definitiv kein Ort, wo man als Angehöriger der weißen Mittelschicht seine Kinder in eine öffentliche Schule schickte - schienen sie nie flüssig zu sein. Es war gewissermaßen, als trügen sie goldene Handschellen. Nein, falsch, ihre waren nicht aus Gold, sondern bestenfalls aus Bronze oder sogar aus Blech. Und ihre Küche zerfiel in ihre Bestandteile.
»Das heißt, wir werden richtig Kohle haben«, sagte Katherine. »Wir werden reisen, und du kannst Zeit mit mir und den Jungs verbringen? Oder wirst du ständig weg sein?«
Während der letzten zwei Monate war Dexter so gut wie nie zu Hause gewesen und hatte so gut wie nichts vom Familienleben mitbekommen. Deshalb waren Dienstreisen ein wunder Punkt. Gerade war er von einer mehrtägigen Reise nach Spanien zurückgekehrt, einem spontanen Trip, der sie gezwungen hatte, all ihre privaten Termine über den Haufen zu werfen. Ihr Sozialleben beschränkte sich ohnehin auf ein Minimum, deshalb war sie alles andere als begeistert gewesen, absagen zu müssen.
Früher waren es mal Katherines Geschäftsreisen gewesen, die für hitzige Diskussionen gesorgt hatten. Doch kurz nach Jakes Geburt hatte sie ihre Arbeitszeit drastisch reduziert, und seitdem verzichtete sie fast gänzlich auf Reisen. Trotzdem schaffte sie es nur selten, vor sieben Uhr abends zu Hause zu sein. Zeit für ihre Kinder hatte sie fast nur an den Wochenenden, zwischen Familieneinkäufen, Putzaktionen und Gläserzerschlagen und allem, was sonst noch so anstand.
»Nicht oft«, sagte er vage. Sein Versuch, ihr auszuweichen, entging ihr nicht.
»Und wohin?«
»London. Zürich. Vielleicht in den Balkan. Aber nicht öfter als einmal pro Monat. Oder zweimal.«
»In den Balkan?«
»Sarajevo. Oder Belgrad.«
Katherine wusste, dass Serbien zu den letzten Ländern auf dieser Welt gehörte, die Dexter gern besuchen wollte.
»Die Bank hat dort Beteiligungen«, erklärte er mit einem angedeuteten Schulterzucken. »Jedenfalls ist Reisetätigkeit kein wesentlicher Faktor bei diesem Job. Dafür gibt's einen Wohnsitz in Europa.«
»Gefällt dir Luxemburg überhaupt?«, hakte sie nach.
»Ich war ja bisher nur ein paarmal dort.«
»Immerhin. Ich wusste nicht mal, auf welchem Kontinent es liegt.« Kaum hatte Katherine die Lüge ausgesprochen, war ihr klar, dass sie sie nun würde durchziehen müssen. Das war das A und O beim Lügen. Und bei ihrem Ehemann war es geradezu verstörend leicht.
»Ich weiß, dass es ein reiches Land ist«, antwortete Dexter. »Das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Welt, in manchen Jahren.«
»Das ist unmöglich«, widersprach sie, obwohl sie nur zu genau wusste, dass er recht hatte. »Das muss einer der ölexportierenden Staaten haben. Die Emirate oder Katar oder Kuwait oder so. Aber kein Land, von dem ich vor fünf Minuten noch dachte, es sei ein Teil von Deutschland.«
Er zuckte die Achseln.
»Okay. Was weißt du sonst noch darüber?«
»Es ist ... äh ... sehr klein.«
»Wie klein?«
»Etwa eine halbe Million Einwohner und ungefähr so groß wie Rhode Island. Obwohl ... Rhode Island könnte sogar etwas größer sein.«
»Und die Stadt selbst? Es gibt doch eine Stadt, oder nicht?«
»Es gibt eine Hauptstadt, die ebenfalls Luxemburg heißt. Dort leben achtzigtausend Menschen.«
»Achtzigtausend? Das ist ja nicht mal eine Stadt. Das ist ... keine Ahnung ... ein College-Kaff.«
»Aber ein sehr hübsches. Mitten in Europa. Wo eine Bank sitzt, die mir viel, viel Geld bezahlt. Folglich ist es kein College-Kaff wie Amherst oder so, sondern eine Stadt, in der du nicht arbeiten müsstest.«
Als Katherine bewusst wurde, dass sie bei der Wendung ihres Gesprächs angekommen waren, die sie bereits vor zehn Minuten geahnt hatte, hielt sie im Zwiebelnhacken inne. Kaum hatte er die Frage gestellt - »Was würdest du davon halten, nach Luxemburg zu ziehen?« -, war ihr klar gewesen, dass sie geradewegs darauf zusteuerten. Sie würde ihren Job aufgeben müssen, und zwar endgültig. Im ersten Moment durchströmte sie ein tiefes Gefühl der Erleichterung - darüber, eine Lösung für ein scheinbar unlösbares Problem gefunden zu haben. Sie würde kündigen müssen. Es war nicht ihre Entscheidung, ihr blieb keine andere Wahl.
Sie hatte ihrem Mann nie gestanden - eigentlich nicht mal sich selbst -, dass sie ihren Job am liebsten hinschmeißen wollte. Und nun bestand keinerlei Notwendigkeit mehr, es auszusprechen.
»Und was würde ich dann machen?«, fragte sie. »In Luxemburg? Ich frag mich, ob es das überhaupt wirklich gibt.«
Er lächelte.
»Du musst zugeben, dass es sich anhört, als hättest du es erfunden«, sagte sie.
»Du wirst das süße Nichtstun genießen.«
»Mal im Ernst.«
»Das ist mein Ernst. Du kannst Tennisstunden nehmen. Unsere Reisen planen. Ein neues Haus einrichten. Sprachen studieren. Einen Blog schreiben.«
»Und wenn mir langweilig wird?«
»Falls dir langweilig werden sollte, kannst du dir immer noch einen Job suchen.«
»Und zwar was für einen?«
»Washington ist nicht die einzige Stadt auf der Welt, in der Menschen Positionspapiere erstellen.«
Katherine richtete ihren Blick wieder auf die Zwiebel und hackte weiter. »Touché.«
»Tatsache ist«, fuhr Dexter fort, »dass Luxemburg neben Brüssel und Straßburg zu den wichtigsten Hauptstädten der EU gehört.« Mittlerweile hörte er sich schon an, als wäre er der Sprecher eines Werbespots für dieses verdammte Kuhdorf. »Ich kann mir vorstellen, dass dort jede Menge Nichtregierungsorganisationen ansässig sind, die nur zu gern eine clevere Amerikanerin auf der Empfängerliste ihrer großzügigen Gehälter hätten.« Okay, nicht nur Sprecher eines Werbespots, sondern auch Personalberater. Einer dieser stets gut gelaunten Human-Resources-Typen mit Bügelfalten in der Freizeithose und lustigen Bommeln auf den Slippern.
»Und wann soll all das über die Bühne gehen?«, fragte Kate, um die Unterhaltung von ihrer Person, ihrer Zukunft abzulenken. Um sich zu verstecken.
»Na ja.« Er stieß einen viel zu tiefen Seufzer aus. Dexter war ein miserabler Schauspieler, der seine Fähigkeiten bei Weitem überschätzte. »Das ist der Haken.«
Er sprach nicht weiter. Das war eine von Dexters nervtötenden Eigenschaften: Er zwang sie, ihn mit Fragen zu löchern, statt einfach mit den Antworten herauszurücken, von denen er genau wusste, dass sie sie hören wollte. »Ja?«
»So bald wie möglich«, brachte er schließlich mühsam hervor, als wäre er dazu genötigt worden, was umso deutlicher machte, dass er es verdiente, mit Tomaten und faulen Eiern beworfen zu werden.
»Das heißt?«
»Dass wir nur noch bis Ende des Monats hierbleiben würden. Und ich müsste schon vorher ein- oder zweimal hinfliegen. Äh, am Montag.«
Katherine fiel die Kinnlade herunter. Das Ganze kam nicht nur aus heiterem Himmel, es kam in einem Affenzahn aus heiterem Himmel. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie sollte sie so schnell aus ihrem Job herauskommen? Das würde schwierig werden. Und es würde Verdacht erregen.
»Ich weiß ja«, fuhr Dexter fort, »dass das alles sehr kurzfristig ist. Aber überleg doch mal - so viel Geld? Da muss man eben Opfer bringen. Und in diesem Fall noch nicht mal ein besonders großes. Wir müssten nur so schnell wie möglich nach Europa umziehen. Und sieh mal hier.« Er griff in die Tasche, faltete ein Blatt Papier auseinander und strich es glatt. Es schien eine Aufstellung zu sein. BUDGET LUXEMBURG stand in Großbuchstaben darüber.
»Der Zeitpunkt ist eigentlich sogar gut«, erklärte Dexter, ohne Anstalten zu machen, ihr zu erklären, weshalb alles so schnell gehen musste. Katherine sollte die Eile erst viel, viel später verstehen. »Schließlich sind im Augenblick noch Sommerferien, und wir wären rechtzeitig zum Schulbeginn in Luxemburg.«
»Und in was für eine Schule ...?«
»In eine englischsprachige Privatschule.« Dexter hatte auf jede Frage eine Antwort parat. »Die mein neuer Arbeitgeber bezahlt.«
»Und ist es auch eine gute Schule?«
»Ich gehe davon aus, dass es in der Hauptstadt der Privatbanken mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt eine anständige Schule gibt. Oder auch zwei.«
»Kein Grund, so sarkastisch zu sein. Ich stelle ja nur ein paar kleine Fragen zur Ausbildung unserer Kinder und zu dem Ort, an dem wir leben werden. Also wirklich reine Bagatellen.«
»Tut mir leid.«
Katherine ließ ihn einige Augenblicke zappeln, ehe sie fortfuhr. »Und wie lange würden wir in Luxemburg bleiben?«
»Der Vertrag läuft über ein Jahr. Mit Option auf Verlängerung und Gehaltserhöhung.«
Sie überflog die Auflistung und blieb an der untersten Zeile hängen. Rücklagen: knapp zweihunderttausend pro Jahr. Euro? Dollar? Egal. »Und was dann?«, fragte sie, während sie sich für die Zahl zu erwärmen begann. Sie hasste es, ständig pleite zu sein. Aber nun sah es so aus, als wäre endlich Schluss damit.
»Wer weiß?«
»Das ist eine ziemlich lahme Antwort.«
Er ging um den ramponierten Küchentresen herum und legte von hinten die Arme um sie, was den Tenor ihrer Unterhaltung schlagartig änderte. »Das ist es, Kat«, sagte er. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. »Es ist ganz anders, als wir immer dachten, aber genau das ist es.«
Tatsächlich war es genau das, wovon sie immer geträumt hatten: irgendwo in Übersee ein neues Leben zu beginnen. Sie hatten beide das Gefühl, wesentliche Erfahrungen versäumt zu haben, da keiner von ihnen eine sorglose Jugend erlebt hatte. Und nun, mit Ende dreißig, sehnten sie sich noch immer nach dem, was sie verpasst hatten. Glaubten immer noch, dass es möglich war, all das nachzuholen. Oder verboten sich den Gedanken, dass es unmöglich war.
»Wir können das schaffen«, sagte er leise an ihrem Hals.
Sie legte das Messer beiseite. Streckte die Waffen. Nicht zum ersten Mal.
Sie diskutierten alles durch, ganz ernsthaft, spät am Abend, bei einer Flasche Wein. Zumindest so ernsthaft, wie es nach ein paar Gläsern möglich war. Es würde nicht einfach werden, in einem anderen Land Fuß zu fassen, doch Washington den Rücken zu kehren würde ihnen nicht schwerfallen, darin waren sie sich einig.
»Aber Luxemburg?«, fragte sie. Beim Gedanken an ein Leben im Ausland hatte sie immer die Provence oder Umbrien, London oder Paris, Prag, Budapest oder auch Istanbul im Sinn gehabt. Romantische Orte; Orte, an denen sie - wie jeder andere - nur zu gern leben wollte. Luxemburg stand definitiv nicht auf dieser Liste. Kein Mensch träumt davon, in Luxemburg leben zu dürfen.
»Und weißt du auch, welche Sprache in Luxemburg gesprochen wird?«, fragte sie.
»Luxemburgisch. Das ist eine Art deutscher Dialekt mit Französisch durchmischt.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
Er küsste ihren Nacken. »Doch. Aber sie sprechen auch normales Deutsch, außerdem Englisch und Französisch. Luxemburg ist ein internationales Pflaster. Keiner braucht Luxemburgisch zu lernen.«
»Meine Sprache ist eindeutig Spanisch. Ich habe zwar ein Jahr Französisch gelernt, aber Spanisch kann ich am besten.«
»Mach dir keine Sorgen. Die Sprache wird nicht das Problem sein.«
Wieder küsste er sie und ließ seine Hand über ihren Bauch wandern, über ihre Taille, ihre Hüfte. Die Jungs übernachteten bei Freunden.
»Vertrau mir.«
2
Katherine hatte sie schon viele Male gesehen, auf internationalen Flughäfen, mit ihren Bergen aus billigen Koffern, ihren Gesichtern, auf denen sich Besorgnis mit Verunsicherung und Erschöpfung vermischte, ihren in sich zusammengesackten Kindern, den Vätern, die rote oder grüne Reisepässe fest umklammerten, mit denen sie sich von den Amerikanern mit ihren blauen Pässen abhoben.
Einwanderer, die neu ins Land kamen.
Sie hatte sie in Mexiko-Stadt gesehen, wo sie aus dem Bus aus Morelia oder Puebla stiegen, auf den Transferflügen von Quito oder Guatemala-Stadt. Sie hatte sie in Paris gesehen, wo sie aus Dakar, Kairo oder Kinshasa ankamen, in Managua und Port-au-Prince, in Caracas und in Bogotá. An sämtlichen Orten der Welt, die sie bereist hatte, war sie ihnen begegnet, als sie ihr Land verließen.
Und sie hatte sie bei der Ankunft gesehen, in New York und Los Angeles und Atlanta und Washington, völlig erschöpft, am Ende ihres endlos langen Fluges und doch so weit entfernt davon, am Ende ihrer Reise zu sein.
Und nun war sie eine von ihnen.
Nun war sie diejenige, die vor dem Flughafen in Frankfurt am Main stand, mit acht nicht zueinanderpassenden Überseekoffern im Schlepptau. Wie oft hatte sie diese Ungetüme gesehen und gedacht: Wer um alles in der Welt kauft so potthässliche Koffer? Nun kannte sie die Antwort: jemand, der innerhalb kürzester Zeit sein gesamtes Hab und Gut zusammenpacken muss.
Um die acht potthässlichen Koffer herum lag ein Sammelsurium aus vier Reisetaschen, einer Handtasche, zwei Computertaschen und zwei Kinderrucksäcken, Jacken und Teddybären, dazu eine Plastiktüte mit Keksen, frischem und getrocknetem Obst, einer Tüte voll brauner M & Ms - die beliebteren Farben hatten die Jungs bereits verputzt, noch bevor sie Nova Scotia überflogen hatten.
Da war sie also - mit den blauen Reisepässen in der Hand, durch die sie sich von den burgunderroten deutschen Pässen abhob. Und nicht nur durch sie, sondern auch, weil außer ihr keiner so herumsaß, inmitten einer Unzahl grauenhaft hässlicher Koffer.
Natürlich verstand sie kein Wort von dem, was die Leute um sie herum redeten. Ihre Augen waren verquollen, nachdem sie während des siebenstündigen Flugs nur zwei Stunden geschlafen hatte; sie war hungrig und übermüdet und aufgeregt und verängstigt.
Da war sie nun - eine Immigrantin, die neu in ein Land kam.
Ihr erster Schritt hatte darin bestanden, Dexters Nachnamen anzunehmen. Sie hatte eingesehen, dass sie ihren Mädchennamen, unter dem sie auch in ihrem Beruf bekannt war, nicht länger benötigte. Also war sie zur Stadtverwaltung gegangen, hatte die Formulare ausgefüllt und die Gebühr dafür bezahlt, im Eilverfahren einen neuen Führerschein und einen neuen Reisepass zu bekommen.
Sie hatte sich gesagt, dass es leichter sein würde, die bürokratischen Hürden zu überwinden und in einem katholischen Land zu leben, wenn Mann und Frau denselben Namen hatten. Was war schon ein Name, nachdem sie auch den Rest ihrer Identität aufgab - den äußeren Schein, unter dem sich eine Fülle viel komplexerer Wahrheiten verbarg.
Also war sie schon jetzt jemand, der sie noch nie zuvor gewesen war: Katherine Moore. Sie würde sich Kate nennen. Die freundliche, umgängliche Kate. Nicht die strenge, ernste Katherine. Kate, das klang lässig und nett: Kate Moore war jemand, der genau wusste, wie man sich in Europa gut amüsierte.
Kate Moore hatte den gesamten Umzug organisiert. Sie hatte Dutzende Benutzerkonten eingefroren, aufgelöst oder die Adresse geändert. Sie hatte die potthässlichen Koffer gekauft. Sie hatte ihr gesamtes Hab und Gut in drei Kategorien aufgeteilt - Fluggepäck, Luftfracht und Überseecontainer. Sie hatte Frachtpapiere ausgefüllt, Versicherungs- und Einreiseformulare.
Und es war ihr gelungen, sich von ihrem Job loszueisen, was allerdings weder schnell noch einfach über die Bühne gegangen war. Und als sie ihr Kündigungsgespräch und sämtliche bürokratischen Hürden endlich hinter sich gebracht hatte, war sie zum Haus ihres Chefs auf dem Capitol Hill gefahren, wo er einen Ausstand für sie organisiert hatte. Im ersten Moment war sie enttäuscht gewesen, weil die Party nicht in einem irischen Pub stattfand, wo sich alle um eine riesige Bar versammelten und sich volllaufen ließen, wie man es aus Spielfilmen kannte. Aber natürlich konnten ihre Kollegen nicht einfach in die nächste Bar stolpern und sich betrinken. Also hatten sie sich auf ein paar Flaschen Bier im Keller von Joes Einfamilienhaus getroffen, das, wie Kate mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung festgestellt hatte, weder wesentlich größer noch wesentlich besser in Schuss war als ihr eigenes.
Sie hatte mit ihren Kollegen angestoßen und zwei Tage später den Kontinent verlassen.
Das, sagte sie sich, ist meine Chance, mich neu zu erfinden. Als jemand, der nicht halbherzig versucht, seine aus einem unüberlegten Entschluss heraus begonnene Karriere voranzutreiben; als jemand, der nicht mehr schlecht als recht versuchte, Mutter zu spielen, und als jemand, der nicht in einem hässlichen, unwirtlichen Viertel in einer von Bitterkeit und Neid erfüllten Stadt leben musste - einer Stadt, die sie sich selbst ausgesucht und nicht mehr verlassen hatte, seit sie hier aufs College gegangen war. Sie war in Washington und in ihrem Job hängen geblieben, weil eines zum anderen geführt hatte. Sie hatte ihr Leben nicht in die Hand genommen, es war ihr einfach passiert.
Der deutsche Taxifahrer drehte die Lautstärke des Radios auf. Synthesizer-Pop aus den Achtzigern drang aus den Lautsprechern. »New Wave!«, schrie er. »Wahnsinn!« Er trommelte hektisch mit den Fingern auf das Lenkrad und schlug mit dem Fuß auf das Kupplungspedal, während er unablässig blinzelte. Es war gerade einmal neun Uhr früh. War der Typ auf Amphetaminen?
Kate wandte sich ab und blickte auf die ländliche Idylle, die an ihr vorbeizog - sanfte Hügel, dichte Wälder und weitläufige Weiden mit winzigen Steinhäusern, die sich aneinanderdrängten, als wollten sie der Kälte trotzen.
Sie würde neu starten. Sie würde, endlich, eine Frau werden, die ihren Ehemann nicht tagtäglich darüber belog, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente und wer sie wirklich war.
© Piper Verlag GmbH, München 2011
»Kate?«
Wie gebannt blickt Kate in das Schaufenster, in dem sich Kissen, Tischdecken und Vorhangstoffe in verschiedensten Schattierungen von Taupe, Schokobraun und Moosgrün türmen - eine Farbpalette, die die zarten Pastelltöne der letzten Woche ersetzt hat. Saisonwechsel. Einfach so.
Sie wendet sich vom Fenster ab und der Frau zu, die neben ihr auf dem schmalen Bürgersteig der Rue Jacob steht. Wer ist diese Frau?
»O mein Gott, Kate! Bist du das?« Die Stimme kommt ihr bekannt vor. Aber das reicht nicht.
Inzwischen hat Kate vergessen, wonach sie halbherzig gesucht hat. Es war irgendetwas aus Stoff. Vorhänge für die Gästetoilette? Irgendetwas Albernes, Unnützes.
Sie zieht den Gürtel ihres Regenmantels enger, eine Geste des Selbstschutzes. Vorhin, auf dem Weg zur Vorschule, hat es geregnet. Nebel stieg von der Seine auf, und die Absätze ihrer Lederstiefel hallten laut auf dem Kopfsteinpflaster. In der Tasche ihres dünnen Regenmantels steckt eine zusammengefaltete Herald Tribune. Das heutige Kreuzworträtsel hat sie bereits im Café neben der Schule gelöst, wo sie meistens gemeinsam mit den anderen ausländischen Müttern frühstückt.
Zu denen gehört diese Frau jedenfalls nicht.
Diese Frau trägt eine Sonnenbrille, die ihre Stirn, den größten Teil ihrer Wangen und die gesamte Augenpartie verdeckt, sodass Kate unmöglich erkennen kann, wer sich hinter all dem schwarzen Kunststoff und den goldenen Logos verbirgt. Ihr kurzes kastanienbraunes Haar ist streng aus dem Gesicht gekämmt und wird von einem Seidenschal gehalten. Sie ist groß und attraktiv, jedoch mit üppigen Hüften und Brüsten. Sinnlich. Sie ist auf leichte, natürliche Weise gebräunt, als verbringe sie viel Zeit im Freien. Tennis vielleicht oder Gartenarbeit. Jedenfalls hat ihr Teint nichts von dieser tiefdunklen Dörrapfelbräune, die so viele stundenlang im UV-Licht der Solariensärge schmorende Französinnen schätzen.
Ihr Outfit erinnert an eine Reiterin. Kate erkennt auf Anhieb das karierte Sakko aus dem Schaufenster dieser neuen, obszön teuren Boutique ganz in der Nähe wieder, in deren Räumen zuvor eine beliebte Buchhandlung ansässig war - ein Wechsel, der lautstarken Einheimischen zufolge den Niedergang des Faubourg St. Germain einleitet, das sie kennen und lieben. Doch die Liebe zu dieser Buchhandlung war eher abstrakter Natur gewesen, denn sie war meistens leer gewesen, während in der Boutique oft Hochbetrieb herrschte. Nicht nur texanische Hausfrauen, japanische Geschäftsleute und russische Schlampen fallen heuschreckenartig dort ein und bezahlen ihre Blusen, Schals und Handtaschen in bar - mit brandneuen Scheinen, frisch aus der Geldwäschemaschine -, sondern auch die reichen Pariserinnen. Arme gibt es in dieser Gegend nicht.
Aber diese Frau? Sie lächelt und entblößt dabei eine Reihe perfekter, strahlend weißer Zähne. Auch das Lächeln kommt Kate bekannt vor, trotzdem muss sie ihre Augen sehen, um ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.
In Südostasien werden Autos gebaut, die weniger kosten, als diese Frau für ihre Karojacke hingeblättert hat. Kates Kleidungsstil ist ebenfalls erlesen, im Gegensatz zu dem dieser Frau jedoch klassisch-zeitlos, wie Frauen ihres Typs es vorziehen.
Diese Frau ist Amerikanerin, spricht jedoch ohne einen bestimmten Akzent. Sie könnte von überall her stammen.
»Ich bin's«, sagt sie und nimmt endlich ihre Sonnenbrille ab.
Instinktiv weicht Kate einen Schritt zurück und spürt den verrußten dunkelgrauen Steinsockel des Hauses an ihren Hosenbeinen, während die Metallbügel ihrer Handtasche klirrend gegen die Schaufensterscheibe schlagen.
Ihr fällt die Kinnlade herunter, doch aus ihrem Mund dringt kein Laut.
Ihr erster Gedanke gilt den Kindern, Panik brandet in ihr auf - ein typischer Mutterinstinkt. Das war ein Punkt, über den Dexter sich vor der Geburt ihrer Kinder nie ernsthaft Gedanken gemacht hatte: diese fürchterliche, tiefsitzende Angst, die einen nicht mehr loslässt, sobald Kinder im Spiel sind.
Diese Frau hat sich hinter ihrer Sonnenbrille versteckt, hat sich eine neue Haarfarbe und einen anderen Schnitt zugelegt, und ihr Teint ist dunkler als früher. Außerdem hat sie ein paar Kilo zugelegt. Sie sieht anders aus. Trotzdem kann Kate nur staunen, wieso sie sie nicht gleich erkannt hat, schon bei den ersten Worten. Aber Kate weiß, warum. Sie wollte sie nicht wiedererkennen.
»O mein Gott«, stößt sie hervor.
Kates Gedanken überschlagen sich. Am liebsten würde sie kehrtmachen, die Straße hinunterlaufen, um die Ecke und durch die schwere rote Tür und den stets eiskalten Durchgang rennen, durch den Säulengang, der rings um den Innenhof verläuft, hinein in die marmorne Eingangshalle, in den Aufzug mit dem Messingkorb und den fröhlich gelb gestrichenen Flur mit dem goldgerahmten Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert entlang.
In diesem Moment breitet die Frau einladend die Arme zu einer dieser typisch amerikanischen Riesenumarmungen aus.
In Gedanken läuft Kate durch den Flur, an dessen Ende sich ihr holzvertäfeltes Büro mit dem Blick über die Dächer der Stadt und die Spitze des Eiffelturms befindet, und greift nach dem verzierten Messingschlüssel, um die unterste Schublade ihres antiken Schreibtischs aufzuschließen.
Umarmen? Wieso nicht? Schließlich sind sie alte Freundinnen. Gewissermaßen. Es könnte verdächtig wirken, wenn sich zwei Frauen auf der Straße begrüßen, ohne sich zu umarmen. Vielleicht würde es aber auch verdächtig wirken, wenn sie es täten.
Dass sie beobachtet werden könnten, ist ihr sofort in den Sinn gekommen. Sie geht immer davon aus, dass die Leute sie bemerken. Erst vor wenigen Monaten konnte sie sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, nicht auf Schritt und Tritt überwacht zu werden.
Mittlerweile hat sie die Schreibtischschublade geöffnet. Darin steht die doppelwandige Metallkassette.
»Was für eine Überraschung«, sagt Kate, was eine Lüge ist und doch auch wieder nicht.
In der verschließbaren Metallkassette liegen vier Reisepässe mit Zweitidentitäten der Familienmitglieder und ein dickes Bündel Banknoten, das von einem Gummiband zusammengehalten wird - eine bunte Mischung aus Euro, Britischen Pfund und Amerikanischen Dollar in großen Scheinen, ganz neu. Ihre eigene Version von gewaschenem Geld.
»Wie schön, dich zu sehen.«
Und, eingehüllt in ein Stück hellblaues Chamoisleder, die Beretta 92FS, die sie diesem schottischen Zuhälter in Amsterdam abgekauft hat.
TEIL I
1
Zwei Jahre zuvor. Washington, D.C.
»Luxemburg?«
»Genau.«
»Luxemburg?«
»Ja, ganz recht.
Katherine wusste nicht, was sie sagen sollte. Deshalb entschied sie sich für die bewährte Standardmethode - Umgehen durch Dummstellen. »Wo liegt Luxemburg überhaupt?«
»In Westeuropa.«
»Ich meine, in Deutschland?« Sie wandte den Blick ab, um die beschämende Grube, die sie sich gerade grub, nicht sehen zu müssen. »Oder in der Schweiz?«
Dexter musterte sie ausdruckslos. Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, nichts Falsches zu sagen. »Es ist selbst ein Land«, antwortete er schließlich. »Ein Großherzogtum.«
»Ein Großherzogtum.«
Er nickte.
»Du machst Witze.«
»Es ist das einzige Großherzogtum der Welt.«
Sie schwieg.
»Es grenzt an Frankreich, Belgien und Deutschland«, fuhr er unbeirrt fort. »Es liegt mittendrin.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »So ein Land gibt es nicht. Du meinst - keine Ahnung - das Elsass. Oder Lothringen. Ja, genau. Elsass-Lothringen.«
»Das gehört zu Frankreich. Luxemburg ist ein ... äh ... anderes Land.«
»Und wieso ist es ein Großherzogtum?«
»Es wird von einem Großherzog regiert.«
Kate wandte sich wieder der halb gehackten Zwiebel auf dem Schneidbrett zu. Die Küchenschränke waren so stark verzogen, dass die Arbeitsplatte sich - wegen der Feuchtigkeit, der Schwerkraft oder sonst eines Naturgesetzes - abzulösen drohte, womit die Grenze zwischen »schäbig, aber gerade noch akzeptabel« zu »vollkommen inakzeptabel und unhygienisch und außerdem gefährlich« überschritten war. Sie konnten die Renovierung unmöglich noch länger hinauszögern, obwohl sie - selbst wenn sie auf unnötigen Luxus und ästhetischen Schnickschnack verzichteten - vierzigtausend Dollar kosten würde. Die sie nicht hatten.
Um zu verhindern, dass die Holzplatte vollends von den Schränken rutschte, hatte Dexter sie behelfsmäßig mit ein paar Schraubzwingen befestigt. Das war vor zwei Monaten gewesen. Seitdem war ein Weinglas zu Bruch gegangen, weil Katherine an ihnen hängen geblieben war, und eine Woche später war sie beim Schälen einer Mango dagegengestoßen, worauf ihr das Messer aus der Hand gerutscht war und sie sich die Handfläche aufgeschlitzt hatte. Es hatte so heftig geblutet, dass sie sowohl die Mango als auch das Schneidbrett vollgetropft hatte. Sie hatte am Spülbecken gestanden und ein Geschirrtuch auf die Wunde gepresst, während das Blut auf die zerschlissene Fußmatte getropft war, durch die Baumwollfasern, genauso wie damals, an diesem Tag im Waldorf, als sie den Blick hätte abwenden sollen, es aber nicht getan hatte.
»Und was ist ein Großherzog?«, fragte sie und wischte sich die Zwiebeltränen ab.
»Der Mann, der ein Großherzogtum regiert.«
»Das erfindest du doch nur.«
»Tu ich nicht.« Der Anflug eines Lächelns lag auf Dexters Gesicht, als wolle er sie tatsächlich hochnehmen. Aber nein, dafür war das Lächeln zu winzig. Nein, dieses Lächeln setzte er nur auf, wenn er so tun wollte, als nehme er sie hoch, während er es in Wahrheit todernst meinte.
»Also gut«, sagte sie. »Ich schlucke den Köder. Weshalb sollten wir nach Luxemburg ziehen?«
»Um einen Riesenhaufen Geld zu verdienen und durch Europa reisen zu können, wann immer wir Lust dazu haben.« Und da war es - ein echtes Lächeln, das von einem Ohr zum anderen reichte. »So wie wir es uns immer erträumt haben.« Er sah sie an. Es war der offene Blick eines Mannes, der keinerlei Geheimnisse hatte und nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zog, dass andere so etwas taten. Genau diese Eigenschaft liebte Katherine so sehr an ihm.
»Du wirst also einen Riesenhaufen Geld verdienen? In Luxemburg?«
»Genau.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Dort herrscht ein eklatanter Mangel an attraktiven Männern. Die bezahlen mir ein Heidengeld dafür, dass ich einfach nur atemberaubend gut und supersexy aussehe.«
Das war ein Witz. Ihr Running Gag seit über zehn Jahren - Dexter war weder auffallend attraktiv noch besonders sexy. Er war eher der klassische Computerfreak, schlaksig und ungelenk. Nicht dass er unattraktiv gewesen wäre - er hatte klare Gesichtszüge, ein spitzes Kinn, haselnussbraune Augen und einen dichten Schopf unscheinbar sandfarbener Haare. Mit einem anständigen Haarschnitt, ein bisschen Nachhilfeunterricht in Sachen Auftreten und möglicherweise einer Psychotherapie hätte er sogar richtig ansehnlich wirken können. Doch er verströmte Ernsthaftigkeit und Intelligenz, nicht Körperlichkeit oder Sexualität.
Genau deshalb hatte Katherine sich am Anfang zu ihm hingezogen gefühlt: Er war ein Mann ohne jede Ironie, ohne Hinterlist, ohne aufgesetzte Coolness und gelangweiltes Getue, ohne einstudierte Gesten. Dexter war offen, zuverlässig und nett, ein Mann ohne Geheimnisse und so ganz anders als die Männer aus ihrer Branche, in der Manipulation, Skrupellosigkeit und Egoismus regierten. Dexter war ihr persönliches Gegengift gegen diese Welt.
Er hatte sich längst mit seiner Unscheinbarkeit und seiner nicht vorhandenen Coolness abgefunden und betonte sie sogar noch: Brille mit Kunststoffgestell, altmodische, scheinbar wahllos aus dem Schrank gepflückte Kleidung und wild abstehendes Haar, als sei er gerade erst aufgestanden. Und er riss ständig Witze über sein Äußeres. »Ich werde einfach auf öffentlichen Plätzen herumstehen«, fuhr er fort. »Na ja, wenn ich müde werde, setze ich mich vielleicht auch mal hin.« Er lachte über seinen eigenen Witz. »Luxemburg ist die Hauptstadt der Privatbanken.«
»Und?«
»Und eine dieser Privatbanken hat mir soeben einen lukrativen Job angeboten.«
»Wie lukrativ?«
»Dreihunderttausend Euro pro Jahr. Das ist beim derzeitigen Wechselkurs fast eine halbe Million Dollar. Plus Spesen. Plus Boni. Alles in allem könnte fast eine Dreiviertelmillion im Jahr herausspringen.«
Das war eine Menge Geld. Sie hatte nicht gedacht, dass Dexter jemals so viel verdienen würde. Obwohl er zur ersten Generation der Internetexperten gehörte, hatte er weder den Ehrgeiz noch das visionäre Denken an den Tag gelegt, das man brauchte, um wirklich reich zu werden. Die meiste Zeit hockte er vor seinem Computer, während seine Freunde und Kollegen Kapital beschafften, Risiken eingingen, pleite oder mit ihren Firmen an die Börse gingen und am Ende mit dem Privatjet durch die Welt flogen. Aber Dexter nicht.
»Und noch dazu«, fuhr er fort und breitete die Arme aus, um zu demonstrieren, was für einen Volltreffer er gelandet hatte, »werde ich nicht mal besonders viel arbeiten müssen.« Früher waren sie beide mal sehr ehrgeizig gewesen, aber nach zehn Jahren Beziehung, von denen sie fünf als Eltern verbracht hatten, war Dexters Ehrgeiz auf das Minimum geschrumpft. Eigentlich bezog er sich vor allem darauf, weniger zu arbeiten.
Das hatte sie zumindest geglaubt. Doch nun wollte er dabei offenbar auch noch reich werden. In Europa.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich bin mit dem Ausmaß und der Komplexität des Projekts und den Transaktionstypen, die denen vorschweben, bestens vertraut. Ihre Sicherheitsanforderungen sind bei Weitem nicht so aufwendig wie die, mit denen ich im Moment zu tun habe. Außerdem reden wir hier von Europäern. Jedes Kind weiß, dass die Europäer nicht so hart arbeiten.«
Dexter hatte zwar keine Reichtümer angehäuft, doch er verdiente ganz anständig. Und Katherine hatte sich Stufe um Stufe auf der Gehaltsleiter nach oben gearbeitet. Zusammen hatten sie es im letzten Jahr immerhin auf eine Viertelmillion Dollar gebracht. Aber mit den Hypothekenzahlungen, zwei Autos, den endlosen und kostspieligen Reparaturen an ihrem alten Häuschen am Rande von Columbia Heights und den Kosten für die Privatschule - die Innenstadt von Washington war definitiv kein Ort, wo man als Angehöriger der weißen Mittelschicht seine Kinder in eine öffentliche Schule schickte - schienen sie nie flüssig zu sein. Es war gewissermaßen, als trügen sie goldene Handschellen. Nein, falsch, ihre waren nicht aus Gold, sondern bestenfalls aus Bronze oder sogar aus Blech. Und ihre Küche zerfiel in ihre Bestandteile.
»Das heißt, wir werden richtig Kohle haben«, sagte Katherine. »Wir werden reisen, und du kannst Zeit mit mir und den Jungs verbringen? Oder wirst du ständig weg sein?«
Während der letzten zwei Monate war Dexter so gut wie nie zu Hause gewesen und hatte so gut wie nichts vom Familienleben mitbekommen. Deshalb waren Dienstreisen ein wunder Punkt. Gerade war er von einer mehrtägigen Reise nach Spanien zurückgekehrt, einem spontanen Trip, der sie gezwungen hatte, all ihre privaten Termine über den Haufen zu werfen. Ihr Sozialleben beschränkte sich ohnehin auf ein Minimum, deshalb war sie alles andere als begeistert gewesen, absagen zu müssen.
Früher waren es mal Katherines Geschäftsreisen gewesen, die für hitzige Diskussionen gesorgt hatten. Doch kurz nach Jakes Geburt hatte sie ihre Arbeitszeit drastisch reduziert, und seitdem verzichtete sie fast gänzlich auf Reisen. Trotzdem schaffte sie es nur selten, vor sieben Uhr abends zu Hause zu sein. Zeit für ihre Kinder hatte sie fast nur an den Wochenenden, zwischen Familieneinkäufen, Putzaktionen und Gläserzerschlagen und allem, was sonst noch so anstand.
»Nicht oft«, sagte er vage. Sein Versuch, ihr auszuweichen, entging ihr nicht.
»Und wohin?«
»London. Zürich. Vielleicht in den Balkan. Aber nicht öfter als einmal pro Monat. Oder zweimal.«
»In den Balkan?«
»Sarajevo. Oder Belgrad.«
Katherine wusste, dass Serbien zu den letzten Ländern auf dieser Welt gehörte, die Dexter gern besuchen wollte.
»Die Bank hat dort Beteiligungen«, erklärte er mit einem angedeuteten Schulterzucken. »Jedenfalls ist Reisetätigkeit kein wesentlicher Faktor bei diesem Job. Dafür gibt's einen Wohnsitz in Europa.«
»Gefällt dir Luxemburg überhaupt?«, hakte sie nach.
»Ich war ja bisher nur ein paarmal dort.«
»Immerhin. Ich wusste nicht mal, auf welchem Kontinent es liegt.« Kaum hatte Katherine die Lüge ausgesprochen, war ihr klar, dass sie sie nun würde durchziehen müssen. Das war das A und O beim Lügen. Und bei ihrem Ehemann war es geradezu verstörend leicht.
»Ich weiß, dass es ein reiches Land ist«, antwortete Dexter. »Das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Welt, in manchen Jahren.«
»Das ist unmöglich«, widersprach sie, obwohl sie nur zu genau wusste, dass er recht hatte. »Das muss einer der ölexportierenden Staaten haben. Die Emirate oder Katar oder Kuwait oder so. Aber kein Land, von dem ich vor fünf Minuten noch dachte, es sei ein Teil von Deutschland.«
Er zuckte die Achseln.
»Okay. Was weißt du sonst noch darüber?«
»Es ist ... äh ... sehr klein.«
»Wie klein?«
»Etwa eine halbe Million Einwohner und ungefähr so groß wie Rhode Island. Obwohl ... Rhode Island könnte sogar etwas größer sein.«
»Und die Stadt selbst? Es gibt doch eine Stadt, oder nicht?«
»Es gibt eine Hauptstadt, die ebenfalls Luxemburg heißt. Dort leben achtzigtausend Menschen.«
»Achtzigtausend? Das ist ja nicht mal eine Stadt. Das ist ... keine Ahnung ... ein College-Kaff.«
»Aber ein sehr hübsches. Mitten in Europa. Wo eine Bank sitzt, die mir viel, viel Geld bezahlt. Folglich ist es kein College-Kaff wie Amherst oder so, sondern eine Stadt, in der du nicht arbeiten müsstest.«
Als Katherine bewusst wurde, dass sie bei der Wendung ihres Gesprächs angekommen waren, die sie bereits vor zehn Minuten geahnt hatte, hielt sie im Zwiebelnhacken inne. Kaum hatte er die Frage gestellt - »Was würdest du davon halten, nach Luxemburg zu ziehen?« -, war ihr klar gewesen, dass sie geradewegs darauf zusteuerten. Sie würde ihren Job aufgeben müssen, und zwar endgültig. Im ersten Moment durchströmte sie ein tiefes Gefühl der Erleichterung - darüber, eine Lösung für ein scheinbar unlösbares Problem gefunden zu haben. Sie würde kündigen müssen. Es war nicht ihre Entscheidung, ihr blieb keine andere Wahl.
Sie hatte ihrem Mann nie gestanden - eigentlich nicht mal sich selbst -, dass sie ihren Job am liebsten hinschmeißen wollte. Und nun bestand keinerlei Notwendigkeit mehr, es auszusprechen.
»Und was würde ich dann machen?«, fragte sie. »In Luxemburg? Ich frag mich, ob es das überhaupt wirklich gibt.«
Er lächelte.
»Du musst zugeben, dass es sich anhört, als hättest du es erfunden«, sagte sie.
»Du wirst das süße Nichtstun genießen.«
»Mal im Ernst.«
»Das ist mein Ernst. Du kannst Tennisstunden nehmen. Unsere Reisen planen. Ein neues Haus einrichten. Sprachen studieren. Einen Blog schreiben.«
»Und wenn mir langweilig wird?«
»Falls dir langweilig werden sollte, kannst du dir immer noch einen Job suchen.«
»Und zwar was für einen?«
»Washington ist nicht die einzige Stadt auf der Welt, in der Menschen Positionspapiere erstellen.«
Katherine richtete ihren Blick wieder auf die Zwiebel und hackte weiter. »Touché.«
»Tatsache ist«, fuhr Dexter fort, »dass Luxemburg neben Brüssel und Straßburg zu den wichtigsten Hauptstädten der EU gehört.« Mittlerweile hörte er sich schon an, als wäre er der Sprecher eines Werbespots für dieses verdammte Kuhdorf. »Ich kann mir vorstellen, dass dort jede Menge Nichtregierungsorganisationen ansässig sind, die nur zu gern eine clevere Amerikanerin auf der Empfängerliste ihrer großzügigen Gehälter hätten.« Okay, nicht nur Sprecher eines Werbespots, sondern auch Personalberater. Einer dieser stets gut gelaunten Human-Resources-Typen mit Bügelfalten in der Freizeithose und lustigen Bommeln auf den Slippern.
»Und wann soll all das über die Bühne gehen?«, fragte Kate, um die Unterhaltung von ihrer Person, ihrer Zukunft abzulenken. Um sich zu verstecken.
»Na ja.« Er stieß einen viel zu tiefen Seufzer aus. Dexter war ein miserabler Schauspieler, der seine Fähigkeiten bei Weitem überschätzte. »Das ist der Haken.«
Er sprach nicht weiter. Das war eine von Dexters nervtötenden Eigenschaften: Er zwang sie, ihn mit Fragen zu löchern, statt einfach mit den Antworten herauszurücken, von denen er genau wusste, dass sie sie hören wollte. »Ja?«
»So bald wie möglich«, brachte er schließlich mühsam hervor, als wäre er dazu genötigt worden, was umso deutlicher machte, dass er es verdiente, mit Tomaten und faulen Eiern beworfen zu werden.
»Das heißt?«
»Dass wir nur noch bis Ende des Monats hierbleiben würden. Und ich müsste schon vorher ein- oder zweimal hinfliegen. Äh, am Montag.«
Katherine fiel die Kinnlade herunter. Das Ganze kam nicht nur aus heiterem Himmel, es kam in einem Affenzahn aus heiterem Himmel. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie sollte sie so schnell aus ihrem Job herauskommen? Das würde schwierig werden. Und es würde Verdacht erregen.
»Ich weiß ja«, fuhr Dexter fort, »dass das alles sehr kurzfristig ist. Aber überleg doch mal - so viel Geld? Da muss man eben Opfer bringen. Und in diesem Fall noch nicht mal ein besonders großes. Wir müssten nur so schnell wie möglich nach Europa umziehen. Und sieh mal hier.« Er griff in die Tasche, faltete ein Blatt Papier auseinander und strich es glatt. Es schien eine Aufstellung zu sein. BUDGET LUXEMBURG stand in Großbuchstaben darüber.
»Der Zeitpunkt ist eigentlich sogar gut«, erklärte Dexter, ohne Anstalten zu machen, ihr zu erklären, weshalb alles so schnell gehen musste. Katherine sollte die Eile erst viel, viel später verstehen. »Schließlich sind im Augenblick noch Sommerferien, und wir wären rechtzeitig zum Schulbeginn in Luxemburg.«
»Und in was für eine Schule ...?«
»In eine englischsprachige Privatschule.« Dexter hatte auf jede Frage eine Antwort parat. »Die mein neuer Arbeitgeber bezahlt.«
»Und ist es auch eine gute Schule?«
»Ich gehe davon aus, dass es in der Hauptstadt der Privatbanken mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt eine anständige Schule gibt. Oder auch zwei.«
»Kein Grund, so sarkastisch zu sein. Ich stelle ja nur ein paar kleine Fragen zur Ausbildung unserer Kinder und zu dem Ort, an dem wir leben werden. Also wirklich reine Bagatellen.«
»Tut mir leid.«
Katherine ließ ihn einige Augenblicke zappeln, ehe sie fortfuhr. »Und wie lange würden wir in Luxemburg bleiben?«
»Der Vertrag läuft über ein Jahr. Mit Option auf Verlängerung und Gehaltserhöhung.«
Sie überflog die Auflistung und blieb an der untersten Zeile hängen. Rücklagen: knapp zweihunderttausend pro Jahr. Euro? Dollar? Egal. »Und was dann?«, fragte sie, während sie sich für die Zahl zu erwärmen begann. Sie hasste es, ständig pleite zu sein. Aber nun sah es so aus, als wäre endlich Schluss damit.
»Wer weiß?«
»Das ist eine ziemlich lahme Antwort.«
Er ging um den ramponierten Küchentresen herum und legte von hinten die Arme um sie, was den Tenor ihrer Unterhaltung schlagartig änderte. »Das ist es, Kat«, sagte er. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr. »Es ist ganz anders, als wir immer dachten, aber genau das ist es.«
Tatsächlich war es genau das, wovon sie immer geträumt hatten: irgendwo in Übersee ein neues Leben zu beginnen. Sie hatten beide das Gefühl, wesentliche Erfahrungen versäumt zu haben, da keiner von ihnen eine sorglose Jugend erlebt hatte. Und nun, mit Ende dreißig, sehnten sie sich noch immer nach dem, was sie verpasst hatten. Glaubten immer noch, dass es möglich war, all das nachzuholen. Oder verboten sich den Gedanken, dass es unmöglich war.
»Wir können das schaffen«, sagte er leise an ihrem Hals.
Sie legte das Messer beiseite. Streckte die Waffen. Nicht zum ersten Mal.
Sie diskutierten alles durch, ganz ernsthaft, spät am Abend, bei einer Flasche Wein. Zumindest so ernsthaft, wie es nach ein paar Gläsern möglich war. Es würde nicht einfach werden, in einem anderen Land Fuß zu fassen, doch Washington den Rücken zu kehren würde ihnen nicht schwerfallen, darin waren sie sich einig.
»Aber Luxemburg?«, fragte sie. Beim Gedanken an ein Leben im Ausland hatte sie immer die Provence oder Umbrien, London oder Paris, Prag, Budapest oder auch Istanbul im Sinn gehabt. Romantische Orte; Orte, an denen sie - wie jeder andere - nur zu gern leben wollte. Luxemburg stand definitiv nicht auf dieser Liste. Kein Mensch träumt davon, in Luxemburg leben zu dürfen.
»Und weißt du auch, welche Sprache in Luxemburg gesprochen wird?«, fragte sie.
»Luxemburgisch. Das ist eine Art deutscher Dialekt mit Französisch durchmischt.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
Er küsste ihren Nacken. »Doch. Aber sie sprechen auch normales Deutsch, außerdem Englisch und Französisch. Luxemburg ist ein internationales Pflaster. Keiner braucht Luxemburgisch zu lernen.«
»Meine Sprache ist eindeutig Spanisch. Ich habe zwar ein Jahr Französisch gelernt, aber Spanisch kann ich am besten.«
»Mach dir keine Sorgen. Die Sprache wird nicht das Problem sein.«
Wieder küsste er sie und ließ seine Hand über ihren Bauch wandern, über ihre Taille, ihre Hüfte. Die Jungs übernachteten bei Freunden.
»Vertrau mir.«
2
Katherine hatte sie schon viele Male gesehen, auf internationalen Flughäfen, mit ihren Bergen aus billigen Koffern, ihren Gesichtern, auf denen sich Besorgnis mit Verunsicherung und Erschöpfung vermischte, ihren in sich zusammengesackten Kindern, den Vätern, die rote oder grüne Reisepässe fest umklammerten, mit denen sie sich von den Amerikanern mit ihren blauen Pässen abhoben.
Einwanderer, die neu ins Land kamen.
Sie hatte sie in Mexiko-Stadt gesehen, wo sie aus dem Bus aus Morelia oder Puebla stiegen, auf den Transferflügen von Quito oder Guatemala-Stadt. Sie hatte sie in Paris gesehen, wo sie aus Dakar, Kairo oder Kinshasa ankamen, in Managua und Port-au-Prince, in Caracas und in Bogotá. An sämtlichen Orten der Welt, die sie bereist hatte, war sie ihnen begegnet, als sie ihr Land verließen.
Und sie hatte sie bei der Ankunft gesehen, in New York und Los Angeles und Atlanta und Washington, völlig erschöpft, am Ende ihres endlos langen Fluges und doch so weit entfernt davon, am Ende ihrer Reise zu sein.
Und nun war sie eine von ihnen.
Nun war sie diejenige, die vor dem Flughafen in Frankfurt am Main stand, mit acht nicht zueinanderpassenden Überseekoffern im Schlepptau. Wie oft hatte sie diese Ungetüme gesehen und gedacht: Wer um alles in der Welt kauft so potthässliche Koffer? Nun kannte sie die Antwort: jemand, der innerhalb kürzester Zeit sein gesamtes Hab und Gut zusammenpacken muss.
Um die acht potthässlichen Koffer herum lag ein Sammelsurium aus vier Reisetaschen, einer Handtasche, zwei Computertaschen und zwei Kinderrucksäcken, Jacken und Teddybären, dazu eine Plastiktüte mit Keksen, frischem und getrocknetem Obst, einer Tüte voll brauner M & Ms - die beliebteren Farben hatten die Jungs bereits verputzt, noch bevor sie Nova Scotia überflogen hatten.
Da war sie also - mit den blauen Reisepässen in der Hand, durch die sie sich von den burgunderroten deutschen Pässen abhob. Und nicht nur durch sie, sondern auch, weil außer ihr keiner so herumsaß, inmitten einer Unzahl grauenhaft hässlicher Koffer.
Natürlich verstand sie kein Wort von dem, was die Leute um sie herum redeten. Ihre Augen waren verquollen, nachdem sie während des siebenstündigen Flugs nur zwei Stunden geschlafen hatte; sie war hungrig und übermüdet und aufgeregt und verängstigt.
Da war sie nun - eine Immigrantin, die neu in ein Land kam.
Ihr erster Schritt hatte darin bestanden, Dexters Nachnamen anzunehmen. Sie hatte eingesehen, dass sie ihren Mädchennamen, unter dem sie auch in ihrem Beruf bekannt war, nicht länger benötigte. Also war sie zur Stadtverwaltung gegangen, hatte die Formulare ausgefüllt und die Gebühr dafür bezahlt, im Eilverfahren einen neuen Führerschein und einen neuen Reisepass zu bekommen.
Sie hatte sich gesagt, dass es leichter sein würde, die bürokratischen Hürden zu überwinden und in einem katholischen Land zu leben, wenn Mann und Frau denselben Namen hatten. Was war schon ein Name, nachdem sie auch den Rest ihrer Identität aufgab - den äußeren Schein, unter dem sich eine Fülle viel komplexerer Wahrheiten verbarg.
Also war sie schon jetzt jemand, der sie noch nie zuvor gewesen war: Katherine Moore. Sie würde sich Kate nennen. Die freundliche, umgängliche Kate. Nicht die strenge, ernste Katherine. Kate, das klang lässig und nett: Kate Moore war jemand, der genau wusste, wie man sich in Europa gut amüsierte.
Kate Moore hatte den gesamten Umzug organisiert. Sie hatte Dutzende Benutzerkonten eingefroren, aufgelöst oder die Adresse geändert. Sie hatte die potthässlichen Koffer gekauft. Sie hatte ihr gesamtes Hab und Gut in drei Kategorien aufgeteilt - Fluggepäck, Luftfracht und Überseecontainer. Sie hatte Frachtpapiere ausgefüllt, Versicherungs- und Einreiseformulare.
Und es war ihr gelungen, sich von ihrem Job loszueisen, was allerdings weder schnell noch einfach über die Bühne gegangen war. Und als sie ihr Kündigungsgespräch und sämtliche bürokratischen Hürden endlich hinter sich gebracht hatte, war sie zum Haus ihres Chefs auf dem Capitol Hill gefahren, wo er einen Ausstand für sie organisiert hatte. Im ersten Moment war sie enttäuscht gewesen, weil die Party nicht in einem irischen Pub stattfand, wo sich alle um eine riesige Bar versammelten und sich volllaufen ließen, wie man es aus Spielfilmen kannte. Aber natürlich konnten ihre Kollegen nicht einfach in die nächste Bar stolpern und sich betrinken. Also hatten sie sich auf ein paar Flaschen Bier im Keller von Joes Einfamilienhaus getroffen, das, wie Kate mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung festgestellt hatte, weder wesentlich größer noch wesentlich besser in Schuss war als ihr eigenes.
Sie hatte mit ihren Kollegen angestoßen und zwei Tage später den Kontinent verlassen.
Das, sagte sie sich, ist meine Chance, mich neu zu erfinden. Als jemand, der nicht halbherzig versucht, seine aus einem unüberlegten Entschluss heraus begonnene Karriere voranzutreiben; als jemand, der nicht mehr schlecht als recht versuchte, Mutter zu spielen, und als jemand, der nicht in einem hässlichen, unwirtlichen Viertel in einer von Bitterkeit und Neid erfüllten Stadt leben musste - einer Stadt, die sie sich selbst ausgesucht und nicht mehr verlassen hatte, seit sie hier aufs College gegangen war. Sie war in Washington und in ihrem Job hängen geblieben, weil eines zum anderen geführt hatte. Sie hatte ihr Leben nicht in die Hand genommen, es war ihr einfach passiert.
Der deutsche Taxifahrer drehte die Lautstärke des Radios auf. Synthesizer-Pop aus den Achtzigern drang aus den Lautsprechern. »New Wave!«, schrie er. »Wahnsinn!« Er trommelte hektisch mit den Fingern auf das Lenkrad und schlug mit dem Fuß auf das Kupplungspedal, während er unablässig blinzelte. Es war gerade einmal neun Uhr früh. War der Typ auf Amphetaminen?
Kate wandte sich ab und blickte auf die ländliche Idylle, die an ihr vorbeizog - sanfte Hügel, dichte Wälder und weitläufige Weiden mit winzigen Steinhäusern, die sich aneinanderdrängten, als wollten sie der Kälte trotzen.
Sie würde neu starten. Sie würde, endlich, eine Frau werden, die ihren Ehemann nicht tagtäglich darüber belog, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente und wer sie wirklich war.
© Piper Verlag GmbH, München 2011
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Autoren-Porträt von Chris Pavone
Pavone, ChrisChris Pavone arbeitete im Lektorat bei Doubleday, Crown, Artisan und Clarkson Potter. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Luxemburg lebt Chris Pavone heute mit Familie und Hund in New York City. Das Debüt »Die Frau, die niemand kannte« erntete in den USA begeisterte Stimmen von Presse und Kollegen, erreichte Platz 9 der New-York-Times-Bestsellerliste, und wurde 2013 mit dem Edgar Award in der Kategorie »Bester Erstlingsroman« ausgezeichnet. Auch sein zweiter Roman »Das Manuksript« löste bei Presse und Lesern enthusiastische Reaktionen aus.
Bibliographische Angaben
- Autor: Chris Pavone
- 2012, 525 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Andrea Brandl
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492274129
- ISBN-13: 9783492274128
Rezension zu „Die Frau, die niemand kannte “
"Dem Leser eröffnet sich ein kompliziert gesponnenes Komplott. Ein flotter, über weite Strecken spannender Debütroman.", Mannheimer Morgen, 21.03.2013
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