Die Gärten der Toten
Ein Pater-Anselm-Krimi
'Anselm führt im ländlich gelegenen Kloster Larkwood ein zurück-gezogenes Leben. Vor zehn Jahren hat er seinen Beruf als Straf-verteidiger aufgegeben und lebt seitdem als Mönch. Unerwartet erhält er Post von einer früheren Kollegin. Als sie kurz darauf tot...
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Produktinformationen zu „Die Gärten der Toten “
'Anselm führt im ländlich gelegenen Kloster Larkwood ein zurück-gezogenes Leben. Vor zehn Jahren hat er seinen Beruf als Straf-verteidiger aufgegeben und lebt seitdem als Mönch. Unerwartet erhält er Post von einer früheren Kollegin. Als sie kurz darauf tot aufgefunden wird, muss er das Kloster verlassen und aufs Neue ermitteln. Die Spur führt zu einem alten Fall um die Prostitution dreier Mädchen.
Klappentext zu „Die Gärten der Toten “
'Die Strafverteidigerin Elizabeth Glendinning war Anselms Kollegin, bevor er in das Kloster Larkwood eintrat. Nach ihrem überraschenden Tod erhält er einen für ihn deponierten Brief von ihr. Sie bittet ihn, Beweise gegen einen früheren Mandanten zu sammeln. Es handelt sich um einen Fall, den sie beide vor Jahren gemeinsam bearbeitet hatten. Damals verteidigten Anselm und Elizabeth einen Mann namens Riley, der drei obdachlose Mädchen in die Prostitution gezwungen haben soll. Der Hauptbelastungszeuge war während des Kreuzverhörs der Verteidigung zusammengebrochen und aus dem Gericht geflohen und Riley wurde freigesprochen. Anselm steht vor vielen Fragen, und nur langsam beginnt er zu verstehen, warum Elizabeth diesen alten Fall wieder hervorgeholt hat.
Lese-Probe zu „Die Gärten der Toten “
Die Gärten der Toten von William Brodricks 1 Anselm schlängelte sich zwischen den Apfelbäumen von Saint Leonard’s Field zurück nach Larkwood. Während der Roller über Grassoden hüpfte, zog Anselm den Kopf ein und dachte an Steve McQueen am Ende des Films Gesprengte Ketten. Er hatte den Zaun vor Augen. In seinem lebhaften Tagtraum sah er sich auf der Flucht vor Feinden, die ihn ins Leichenhaus befördern wollten, über den Stacheldraht setzen.
Pfeifend schob Anselm seinen Roller in den alten Holzschuppen, wo er auf Bruder Louis, den Chorleiter, stieß.»Hallo, wie war’s?«, fragte Anselm.
»Grässlich.« Er hatte einen zehntägigen Psycholehrgang besucht. »Ich musste über mich reden. Das Innerste nach außen kehren.«»Ach du lieber Himmel.«
Louis setzte sich auf einen Baumstumpf. Durch seine Körpergröße sah es aus, als würde er sich zusammenfalten. Seine kupferroten Augenbrauen waren gerade, als hätten sie einen Stromstoß bekommen. Auf einen Wink drehte Anselm zwei Zigaretten.
»Global gesehen, habe ich eine gewisse Erleichterung gefunden«, sagte Louis nachdenklich.»Tatsächlich?«
»Ja. Meine Eltern trifft doch keine Schuld.« Gemächlich blies er den blauen Rauch in die Luft. »Ich bin schuld.«»Lass dich nicht täuschen.«Louis deutete mit dem Kopf auf den Roller. »Wo warst du?«»Holz kaufen für die Uferbefestigung des Lark.«»Ich hoffe, du hast eine Quittung.«Anselm hatte sie weggeworfen. »Wieso?«
»Cyril ist völlig durchgedreht. Wie immer um diese Jahreszeit. Er macht die Buchführung und kann 28 Pence nicht belegen.«
... mehr
Als Cellerar war Cyril für die Finanzen des Klosters zuständig und stand als kaufmännischer Kopf hinter der Vermarktung diverser Produkte aus Äpfeln und Pflaumen. Bevor er nach Larkwood kam, hatte er bei einem Arbeitsunfall einen Arm verloren und erinnerte nun etwas an einen einarmigen Banditen, der bis oben hin voll war mit Früchten und Zahlen.
»Wo wir gerade von Wahnsinn reden«, griff Louis das Gespräch wieder auf und kramte in der Tasche seines Habits, »das hat der alte Sylvester mir ins Fach gelegt.«
Anselm faltete den Zettel auseinander: »Elizabeth hat angerufen. Roddy ist tot.«
Kronanwalt Roderick Kemble war Anselms früherer Vorgesetzter in der Anwaltskammer, ein Freund und Mentor aus halb vergessenen Zeiten. »O Gott.«
Er lief an die Rezeption, wo Sylvester mit den Knöpfen kämpfte, um eine Telefonleitung nach draußen frei zu schalten – ein alltägliches Problem in Larkwood. Anselm juckte es in den Fingern, sich den Telefonhörer zu schnappen und Sylvester an die Gurgel zu springen, aber nach einer Weile konnte er seinen Anruf tätigen und fand seinen wachsenden Verdacht bestätigt. »Ich bin noch da«, sagte Roddy, »aber Elizabeth nicht.«
Anselm trat hinaus in die Sonne. Er schaute nach Saint Leonard’s Field, als sei er gewarnt worden, und dachte an den Schlüssel.
Anselm suchte sich ein ruhiges Fleckchen am Fluss – an diesen Platz war er auch mit Elizabeth gegangen, als sie vor drei Wochen plötzlich aufgetaucht war. Ein schmales Blumenbeet verlief an einer Mauer entlang bis zu einem Torbogen. Dahinter bog er nach rechts und setzte sich auf eine Bank aus behauenem Stein – ein Überrest der mittelalterlichen Abtei, den einer der Traktoren ausgegraben hatte. Davor plätscherte der Lark zwischen der Uferbefestigung aus schwarzem Holz dahin. Elizabeth hatte neben ihm gesessen. »Ich brauche deine Hilfe«, hatte sie ruhig erklärt.
Als Anselm jetzt an dieses Gespräch dachte, fiel ihm ihr spontaner Besuch vor zehn Jahren ein – ihre letzte Begegnung, bevor er den Anwaltsberuf an den Nagel gehängt hatte. Kaum einen Monat später war er nach Larkwood gegangen. Damals hatte er sich zu Hause in Finsbury Park gerade den Ostrich Walk von Bix Beiderbecke angehört, als es an der Tür klingelte (Anselm war versessen auf Jazz jeder Art, der aus der Zeit vor einem undefinierbaren, aber tragischen Zeitpunkt irgendwann in den 1950er Jahren stammte). Es war Elizabeth mit einer Schachtel Milk-Tray-Pralinen.
»Ich nehme an, solche Köstlichkeiten bekommst du im Kloster nicht«, sagte sie.
Sie saßen in Anselms kleinem Garten, aßen Pralinen und schwelgten in Erinnerungen, während Bix zu Goose Pimples überging. Sie redeten über den Beruf und seine merkwürdigen Kompromisse.
»Wir stehen immer auf einer Insel«, sagte sie, »an dem kalten Ort des Nichtwissens und Sich-nicht-darum-kümmern-Dürfens.« Ihr Haar fiel nach vorn: Es war glatt, schwarz und gerade geschnitten wie das einer Pharaonin. Eine silberne Strähne marmorierte eine Seite. Sie war erst vor kurzem fast über Nacht aufgetaucht. »Wir wissen nie, ob sie schuldig sind, und es darf uns nicht kümmern, ob sie unschuldig sind. Die Begriffe sind natürlich austauschbar. Und trotzdem kümmert es uns; mehr als die meisten. Aber wir sind von unserem Gewissen abgeschnitten.« Sie betrachtete ihre Hände, musterte ihre Handflächen. »Ich bin sicher, da draußen gibt es für jeden von uns einen Prozess, der sich zwischen das Nichtwissen und das Sich-nicht-darum-kümmern-Dürfen schleichen und uns von diesem Inselstrand holen kann.«
Anselm griff nach einer Praline, und Elizabeth lächelte schmallippig.
Damals wie jetzt fiel Anselm ihre Eindringlichkeit auf, denn Elizabeth neigte wie viele Anklagevertreter dazu, jeden Angeklagten für schuldig zu halten. Es war wie eine ansteckende Krankheit, die man sich holte, wenn man allzu vielen fadenscheinigen Verteidigungsstrategien ausgesetzt war. »Du hast Glück, dass du von alledem abberufen wurdest«, sagte sie und fragte respektlos: »Hast du eine Stimme gehört?«
»Eine ganz leise«, antwortete Anselm. »Ich musste erst lernen, sie wahrzunehmen.«
Sie hatte ihre Frage als Scherz gemeint, fragte aber jetzt ernst: »Wie?«»Sie äußert sich durch deine Wünsche.«
Elizabeth dachte eine Weile nach, als studiere sie das Fugenmuster der Gartenmauer. »Du hörst sie, indem du tust, was du willst?«
Zögernd erklärte Anselm, was er erlebt hatte. »Ja. Aber es sitzt tiefer als jedes Verlangen. Es lässt dich nicht los. Und selbst dann brauchst du Anleitung von jemandem, der sich in den Wegen des Herzens auskennt, damit du nicht einer Selbsttäuschung erliegst.«
Elizabeth schien nach einem Strohhalm zu greifen. »Jemanden, der dir hilft, eine Stimme zu verstehen, die sich nicht zum Schweigen bringen lässt?« Es war, als habe sie beschlossen, Nonne zu werden. Sie kannte das Ergebnis bereits.»Genau.«»Und sie zu ignorieren käme einer Art Tod gleich?«
Lächelnd musterte Anselm den Vorhang ihres Haares mit der silbernen Strähne. Es war immerhin ein Schlusspunkt. Sie hatte wohl ein Handbuch über das spirituelle Leben gelesen.Elizabeth hakte nach: »Du hast also gar keine andere Wahl?«
»Eigentlich nicht.« Das war kein Ulk mehr. Anselm hätte gern den leichten Tonfall wiederbelebt, der sich verflüchtigt hatte. »Ich habe den Eindruck, Gott ist nicht sonderlich auf einen Dialog erpicht. Das kommt davon, wenn man immer weiß, was das Beste ist.«
Sie nahm eine Praline aus der zweiten Lage. »Sind sie streng, diese Mönche?«
»Nicht besonders … Na ja, schon … aber in Dingen, die den meisten Menschen egal wären.«»Du kannst also mal raus, um was zu erledigen?«»Das hängt vom Prior ab.«»Und wie ist er?«
Anselm dachte an die verschiedenen Antworten, die er darauf geben könnte: dass er nicht viel redete, einem immer einen Schritt voraus war, aber er sagte: »Er nimmt dir deine Illusionen.«
An der Tür küsste sie ihn auf die Wange und sagte: »Ich werde unsere Plauderstündchen vermissen.«
Es war eine Tatsache, die keiner von ihnen je ausgesprochen hatte: Freitags hatten sie die Kanzlei oft als Letzte verlassen. Sie hatten dann noch eine Viertelstunde im Aufenthaltsraum gesessen, die Füße auf den Tisch gelegt und über das Leben und seine Auswüchse geredet. Darin zeigte sich eine merkwürdige Eigenheit in Elizabeths Beziehungen zu Menschen. Die verschiedenen Bereiche ihres Lebens – ihr Anwaltsberuf, die Familie, die Schmetterlingsgesellschaft und so weiter – waren voneinander abgeschirmt wie die Betten in einer Krankenhausstation. Soweit Anselm wusste, kamen sie nie an einem Tisch zusammen. Die anderen kannte er immer nur aus Erzählungen. Das hatte ihren Plaudereien Bedeutung verliehen, ihn aber auf Abstand gehalten.
Anselm ging mit dem unbehaglichen Gefühl zu Bett, dass Elizabeth wie alle Anwälte bei einer Vernehmung etwas hatte herausfinden wollen, ohne dass er merkte, um was es ihr ging. Und während Anselm geredet hatte, hatte er sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass Elizabeth eigentlich etwas hatte loswerden wollen, dieser Wunsch sich aber verflüchtigt hatte. Noch tagelang musste er an ihre silberne Haarsträhne denken. Sie war äußerst attraktiv, fand er. Es war, als sei ihm das vorher nie aufgefallen.
»Ich brauche deine Hilfe«, hatte sie zehn Jahre später ruhig erklärt.
Wieder war sie unangemeldet gekommen. Anselm führte sie an die Steinbank am Lark. Auf dem lang gestreckten Blumenbeet leuchteten Dahlien. Sie hatte sich kaum verändert. Obwohl sie mittlerweile Ende fünfzig war, hatte sie immer noch kohlrabenschwarzes Haar mit einem Anflug von Silber, der allerdings nicht mehr so hervorstach.
»Ich habe dich mal gefragt, ob du die Möglichkeit hast, Erledigungen zu machen, erinnerst du dich?«Anselm nickte.
Sie holte eine Schachtel Milk-Tray-Pralinen aus ihrer Handtasche. »Du kannst die Karamellpraline haben.« Bix schien in der Ferne den Ostrich Walk zu blasen.
Anselm sagte nichts. Das Klosterleben hatte ihn zumindest eines gelehrt: zu wissen, wann man schweigen musste.
Mit einer anmutigen Geste schob Elizabeth sich ihr Haar hinter das Ohr. Ihr Profil zeichnete sich fein vor dem verwaschenen Rosa von Larkwood ab. Sie schaute auf den Fluss und sagte: »Ich habe angefangen, mein Leben zu ordnen. Das ist nicht einfach. Aber irgendetwas können wir immer tun, meinst du nicht?«»Absolut.«
»Wir dürfen nicht lauwarm sein. Das ist der einzige Weg zu Gnade oder Vergeltung.«
»Absolut.« Das würde er am Sonntag verwenden. Wieder wartete er schweigend ab. Elizabeth holte einen Umschlag aus ihrer Tasche und sagte: »Könntest du etwas für mich tun?«»Sicher.«»Hier drin sind ein Schlüssel und eine Adresse.«Anselm nahm den Umschlag.
»Wenn ich sterben sollte – so was kommt vor –, benutze ihn.« Sie ließ den Blick über den Fluss, den Kräutergarten, die Bögen der alten Klosterruine schweifen. »Er gehört zu einem Schließfach. Da drin findest du alles, was du wissen musst.«
Sie stand auf und trat an das Ufer des Lark. Anselm ging ihr nach, blieb aber etwas zurück, da ihr Ernst und die ihm auferlegte Verantwortung ihm zu schaffen machten. Sie lauschten auf das Plätschern des Wassers. Es war Herbst. Aelred hatte am anderen Ufer Topfpflanzen aufgereiht, als könnten sie an der Aussicht Gefallen finden, aber die meisten hatten sich der Sonne zugewandt. Leise sagte Elizabeth. »Du hast einmal gesagt, wenn du eine Stimme ignoriert hättest, hätte das für dich einen großen Verlust bedeutet.« Voller Bedauern fügte sie hinzu: »Du hast auf sie gehört. Ich habe mich abgewandt.«
Lahm sagte Anselm: »Es ist nie zu spät.« Es klang grauenhaft.»Ich hoffe nicht.«
»Es lässt sich alles retten.« Das war noch schlimmer. Er wusste nicht mal, was er eigentlich meinte, aber es sollte ermutigend klingen. Er versuchte es mit einem ernst gemeinten Scherz. »Sei nicht lauwarm.«
Elizabeth nickte nachdenklich und schaute weiter starr auf den Lark. Leichthin sagte sie: »Man kann seinen Kindern nicht alles erklären. Hilfst du Nicholas, wenn nötig, zu verstehen?«»Ja, sicher.«
Seite an Seite gingen sie zum Parkplatz unter den Pflaumenbäumen. Die Früchte waren reif und kurz davor, abzufallen. Schnell küsste Elizabeth ihn zum Abschied und kramte nach ihren Schlüsseln, um seinem Blick auszuweichen. Wieder einmal spürte Anselm, dass sie gekommen war, um ihm etwas zu sagen, aber davor zurückschreckte. Nachdem sie gefahren war, ging er zurück, um die ungeöffnete Schachtel Pralinen zu holen.
Anselm blieb am Fluss sitzen und grübelte über diese beiden Begegnungen – impulsive Besuche, zwischen denen offenbar ein Zusammenhang bestand, obwohl so viele Jahre dazwischen lagen. Bevor er sich eine Erklärung zusammenreimen konnte, bimmelten die Glocken von Larkwood und riefen ihn zur Vesper. Als er durch den Kreuzgang schlüpfte, sah er im Südflügel ein Grüppchen Mönche. Er blieb stehen und lauschte ihrem gedämpften Gespräch. Eine Polizistin namens Cartwright war vor ein paar Minuten gekommen und sprach jetzt mit dem Prior. Sylvester hatte gerade Broschüren auf dem Tisch neben der Tür ausgelegt (sein üblicher Vorwand, um an der Tür zu horchen) und das Wort »Mord« gehört. Alle waren sich einig, dass Sylvester mal wieder etwas falsch verstanden hatte. © List Taschenbuch Verlag
Als Cellerar war Cyril für die Finanzen des Klosters zuständig und stand als kaufmännischer Kopf hinter der Vermarktung diverser Produkte aus Äpfeln und Pflaumen. Bevor er nach Larkwood kam, hatte er bei einem Arbeitsunfall einen Arm verloren und erinnerte nun etwas an einen einarmigen Banditen, der bis oben hin voll war mit Früchten und Zahlen.
»Wo wir gerade von Wahnsinn reden«, griff Louis das Gespräch wieder auf und kramte in der Tasche seines Habits, »das hat der alte Sylvester mir ins Fach gelegt.«
Anselm faltete den Zettel auseinander: »Elizabeth hat angerufen. Roddy ist tot.«
Kronanwalt Roderick Kemble war Anselms früherer Vorgesetzter in der Anwaltskammer, ein Freund und Mentor aus halb vergessenen Zeiten. »O Gott.«
Er lief an die Rezeption, wo Sylvester mit den Knöpfen kämpfte, um eine Telefonleitung nach draußen frei zu schalten – ein alltägliches Problem in Larkwood. Anselm juckte es in den Fingern, sich den Telefonhörer zu schnappen und Sylvester an die Gurgel zu springen, aber nach einer Weile konnte er seinen Anruf tätigen und fand seinen wachsenden Verdacht bestätigt. »Ich bin noch da«, sagte Roddy, »aber Elizabeth nicht.«
Anselm trat hinaus in die Sonne. Er schaute nach Saint Leonard’s Field, als sei er gewarnt worden, und dachte an den Schlüssel.
Anselm suchte sich ein ruhiges Fleckchen am Fluss – an diesen Platz war er auch mit Elizabeth gegangen, als sie vor drei Wochen plötzlich aufgetaucht war. Ein schmales Blumenbeet verlief an einer Mauer entlang bis zu einem Torbogen. Dahinter bog er nach rechts und setzte sich auf eine Bank aus behauenem Stein – ein Überrest der mittelalterlichen Abtei, den einer der Traktoren ausgegraben hatte. Davor plätscherte der Lark zwischen der Uferbefestigung aus schwarzem Holz dahin. Elizabeth hatte neben ihm gesessen. »Ich brauche deine Hilfe«, hatte sie ruhig erklärt.
Als Anselm jetzt an dieses Gespräch dachte, fiel ihm ihr spontaner Besuch vor zehn Jahren ein – ihre letzte Begegnung, bevor er den Anwaltsberuf an den Nagel gehängt hatte. Kaum einen Monat später war er nach Larkwood gegangen. Damals hatte er sich zu Hause in Finsbury Park gerade den Ostrich Walk von Bix Beiderbecke angehört, als es an der Tür klingelte (Anselm war versessen auf Jazz jeder Art, der aus der Zeit vor einem undefinierbaren, aber tragischen Zeitpunkt irgendwann in den 1950er Jahren stammte). Es war Elizabeth mit einer Schachtel Milk-Tray-Pralinen.
»Ich nehme an, solche Köstlichkeiten bekommst du im Kloster nicht«, sagte sie.
Sie saßen in Anselms kleinem Garten, aßen Pralinen und schwelgten in Erinnerungen, während Bix zu Goose Pimples überging. Sie redeten über den Beruf und seine merkwürdigen Kompromisse.
»Wir stehen immer auf einer Insel«, sagte sie, »an dem kalten Ort des Nichtwissens und Sich-nicht-darum-kümmern-Dürfens.« Ihr Haar fiel nach vorn: Es war glatt, schwarz und gerade geschnitten wie das einer Pharaonin. Eine silberne Strähne marmorierte eine Seite. Sie war erst vor kurzem fast über Nacht aufgetaucht. »Wir wissen nie, ob sie schuldig sind, und es darf uns nicht kümmern, ob sie unschuldig sind. Die Begriffe sind natürlich austauschbar. Und trotzdem kümmert es uns; mehr als die meisten. Aber wir sind von unserem Gewissen abgeschnitten.« Sie betrachtete ihre Hände, musterte ihre Handflächen. »Ich bin sicher, da draußen gibt es für jeden von uns einen Prozess, der sich zwischen das Nichtwissen und das Sich-nicht-darum-kümmern-Dürfen schleichen und uns von diesem Inselstrand holen kann.«
Anselm griff nach einer Praline, und Elizabeth lächelte schmallippig.
Damals wie jetzt fiel Anselm ihre Eindringlichkeit auf, denn Elizabeth neigte wie viele Anklagevertreter dazu, jeden Angeklagten für schuldig zu halten. Es war wie eine ansteckende Krankheit, die man sich holte, wenn man allzu vielen fadenscheinigen Verteidigungsstrategien ausgesetzt war. »Du hast Glück, dass du von alledem abberufen wurdest«, sagte sie und fragte respektlos: »Hast du eine Stimme gehört?«
»Eine ganz leise«, antwortete Anselm. »Ich musste erst lernen, sie wahrzunehmen.«
Sie hatte ihre Frage als Scherz gemeint, fragte aber jetzt ernst: »Wie?«»Sie äußert sich durch deine Wünsche.«
Elizabeth dachte eine Weile nach, als studiere sie das Fugenmuster der Gartenmauer. »Du hörst sie, indem du tust, was du willst?«
Zögernd erklärte Anselm, was er erlebt hatte. »Ja. Aber es sitzt tiefer als jedes Verlangen. Es lässt dich nicht los. Und selbst dann brauchst du Anleitung von jemandem, der sich in den Wegen des Herzens auskennt, damit du nicht einer Selbsttäuschung erliegst.«
Elizabeth schien nach einem Strohhalm zu greifen. »Jemanden, der dir hilft, eine Stimme zu verstehen, die sich nicht zum Schweigen bringen lässt?« Es war, als habe sie beschlossen, Nonne zu werden. Sie kannte das Ergebnis bereits.»Genau.«»Und sie zu ignorieren käme einer Art Tod gleich?«
Lächelnd musterte Anselm den Vorhang ihres Haares mit der silbernen Strähne. Es war immerhin ein Schlusspunkt. Sie hatte wohl ein Handbuch über das spirituelle Leben gelesen.Elizabeth hakte nach: »Du hast also gar keine andere Wahl?«
»Eigentlich nicht.« Das war kein Ulk mehr. Anselm hätte gern den leichten Tonfall wiederbelebt, der sich verflüchtigt hatte. »Ich habe den Eindruck, Gott ist nicht sonderlich auf einen Dialog erpicht. Das kommt davon, wenn man immer weiß, was das Beste ist.«
Sie nahm eine Praline aus der zweiten Lage. »Sind sie streng, diese Mönche?«
»Nicht besonders … Na ja, schon … aber in Dingen, die den meisten Menschen egal wären.«»Du kannst also mal raus, um was zu erledigen?«»Das hängt vom Prior ab.«»Und wie ist er?«
Anselm dachte an die verschiedenen Antworten, die er darauf geben könnte: dass er nicht viel redete, einem immer einen Schritt voraus war, aber er sagte: »Er nimmt dir deine Illusionen.«
An der Tür küsste sie ihn auf die Wange und sagte: »Ich werde unsere Plauderstündchen vermissen.«
Es war eine Tatsache, die keiner von ihnen je ausgesprochen hatte: Freitags hatten sie die Kanzlei oft als Letzte verlassen. Sie hatten dann noch eine Viertelstunde im Aufenthaltsraum gesessen, die Füße auf den Tisch gelegt und über das Leben und seine Auswüchse geredet. Darin zeigte sich eine merkwürdige Eigenheit in Elizabeths Beziehungen zu Menschen. Die verschiedenen Bereiche ihres Lebens – ihr Anwaltsberuf, die Familie, die Schmetterlingsgesellschaft und so weiter – waren voneinander abgeschirmt wie die Betten in einer Krankenhausstation. Soweit Anselm wusste, kamen sie nie an einem Tisch zusammen. Die anderen kannte er immer nur aus Erzählungen. Das hatte ihren Plaudereien Bedeutung verliehen, ihn aber auf Abstand gehalten.
Anselm ging mit dem unbehaglichen Gefühl zu Bett, dass Elizabeth wie alle Anwälte bei einer Vernehmung etwas hatte herausfinden wollen, ohne dass er merkte, um was es ihr ging. Und während Anselm geredet hatte, hatte er sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass Elizabeth eigentlich etwas hatte loswerden wollen, dieser Wunsch sich aber verflüchtigt hatte. Noch tagelang musste er an ihre silberne Haarsträhne denken. Sie war äußerst attraktiv, fand er. Es war, als sei ihm das vorher nie aufgefallen.
»Ich brauche deine Hilfe«, hatte sie zehn Jahre später ruhig erklärt.
Wieder war sie unangemeldet gekommen. Anselm führte sie an die Steinbank am Lark. Auf dem lang gestreckten Blumenbeet leuchteten Dahlien. Sie hatte sich kaum verändert. Obwohl sie mittlerweile Ende fünfzig war, hatte sie immer noch kohlrabenschwarzes Haar mit einem Anflug von Silber, der allerdings nicht mehr so hervorstach.
»Ich habe dich mal gefragt, ob du die Möglichkeit hast, Erledigungen zu machen, erinnerst du dich?«Anselm nickte.
Sie holte eine Schachtel Milk-Tray-Pralinen aus ihrer Handtasche. »Du kannst die Karamellpraline haben.« Bix schien in der Ferne den Ostrich Walk zu blasen.
Anselm sagte nichts. Das Klosterleben hatte ihn zumindest eines gelehrt: zu wissen, wann man schweigen musste.
Mit einer anmutigen Geste schob Elizabeth sich ihr Haar hinter das Ohr. Ihr Profil zeichnete sich fein vor dem verwaschenen Rosa von Larkwood ab. Sie schaute auf den Fluss und sagte: »Ich habe angefangen, mein Leben zu ordnen. Das ist nicht einfach. Aber irgendetwas können wir immer tun, meinst du nicht?«»Absolut.«
»Wir dürfen nicht lauwarm sein. Das ist der einzige Weg zu Gnade oder Vergeltung.«
»Absolut.« Das würde er am Sonntag verwenden. Wieder wartete er schweigend ab. Elizabeth holte einen Umschlag aus ihrer Tasche und sagte: »Könntest du etwas für mich tun?«»Sicher.«»Hier drin sind ein Schlüssel und eine Adresse.«Anselm nahm den Umschlag.
»Wenn ich sterben sollte – so was kommt vor –, benutze ihn.« Sie ließ den Blick über den Fluss, den Kräutergarten, die Bögen der alten Klosterruine schweifen. »Er gehört zu einem Schließfach. Da drin findest du alles, was du wissen musst.«
Sie stand auf und trat an das Ufer des Lark. Anselm ging ihr nach, blieb aber etwas zurück, da ihr Ernst und die ihm auferlegte Verantwortung ihm zu schaffen machten. Sie lauschten auf das Plätschern des Wassers. Es war Herbst. Aelred hatte am anderen Ufer Topfpflanzen aufgereiht, als könnten sie an der Aussicht Gefallen finden, aber die meisten hatten sich der Sonne zugewandt. Leise sagte Elizabeth. »Du hast einmal gesagt, wenn du eine Stimme ignoriert hättest, hätte das für dich einen großen Verlust bedeutet.« Voller Bedauern fügte sie hinzu: »Du hast auf sie gehört. Ich habe mich abgewandt.«
Lahm sagte Anselm: »Es ist nie zu spät.« Es klang grauenhaft.»Ich hoffe nicht.«
»Es lässt sich alles retten.« Das war noch schlimmer. Er wusste nicht mal, was er eigentlich meinte, aber es sollte ermutigend klingen. Er versuchte es mit einem ernst gemeinten Scherz. »Sei nicht lauwarm.«
Elizabeth nickte nachdenklich und schaute weiter starr auf den Lark. Leichthin sagte sie: »Man kann seinen Kindern nicht alles erklären. Hilfst du Nicholas, wenn nötig, zu verstehen?«»Ja, sicher.«
Seite an Seite gingen sie zum Parkplatz unter den Pflaumenbäumen. Die Früchte waren reif und kurz davor, abzufallen. Schnell küsste Elizabeth ihn zum Abschied und kramte nach ihren Schlüsseln, um seinem Blick auszuweichen. Wieder einmal spürte Anselm, dass sie gekommen war, um ihm etwas zu sagen, aber davor zurückschreckte. Nachdem sie gefahren war, ging er zurück, um die ungeöffnete Schachtel Pralinen zu holen.
Anselm blieb am Fluss sitzen und grübelte über diese beiden Begegnungen – impulsive Besuche, zwischen denen offenbar ein Zusammenhang bestand, obwohl so viele Jahre dazwischen lagen. Bevor er sich eine Erklärung zusammenreimen konnte, bimmelten die Glocken von Larkwood und riefen ihn zur Vesper. Als er durch den Kreuzgang schlüpfte, sah er im Südflügel ein Grüppchen Mönche. Er blieb stehen und lauschte ihrem gedämpften Gespräch. Eine Polizistin namens Cartwright war vor ein paar Minuten gekommen und sprach jetzt mit dem Prior. Sylvester hatte gerade Broschüren auf dem Tisch neben der Tür ausgelegt (sein üblicher Vorwand, um an der Tür zu horchen) und das Wort »Mord« gehört. Alle waren sich einig, dass Sylvester mal wieder etwas falsch verstanden hatte. © List Taschenbuch Verlag
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Autoren-Porträt von William Brodrick
William Brodrick wurde 1960 in England geboren und wuchs in Australien und Kanada auf. Wie seine Hauptfigur Pater Anselm war er Mönch und Rechtsanwalt, nur in umgekehrter Reihenfolge er lebte sechs Jahre lang als Augustinermönch und verließ den Orden, um in London als Rechtsanwalt zu arbeiten. 2004 erschien sein Debütroman Die sechste Klage. Derzeit arbeitet er an einem weiteren Krimi um Pater Anselm. William Brodrick lebt mit seiner Familie in Frankreich.
Bibliographische Angaben
- Autor: William Brodrick
- 2008, 371 Seiten, Maße: 12,4 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Ulrike Bischoff
- Übersetzer: Ulrike Bischoff
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548608205
- ISBN-13: 9783548608204
Rezension zu „Die Gärten der Toten “
»Ein Spannungsroman, der glänzend unterhält und eine wichtige Frage stellt: Kann das Gesetz immer das einlösen, was die Öffentlichkeit erwartet?« The Times »Brodrick hat das Labyrinth seines Thrillers fest im Griff. Enthüllung um Enthüllung lassen den Leser atemlos mitfiebern.« Express, London
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