Die Glocken von Vineta
Vineta im 12. Jahrhundert: die Perle der Ostsee - eine stolze, reiche Stadt voller Gegensätze. Hier wachsen die Zwillinge Warti und Bole als Söhne eines vermögenden Bernsteinhändlers heran. Als ihr Vater bei einem Schiffsunglück ertrinkt, tritt Warti als...
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Produktinformationen zu „Die Glocken von Vineta “
Vineta im 12. Jahrhundert: die Perle der Ostsee - eine stolze, reiche Stadt voller Gegensätze. Hier wachsen die Zwillinge Warti und Bole als Söhne eines vermögenden Bernsteinhändlers heran. Als ihr Vater bei einem Schiffsunglück ertrinkt, tritt Warti als der Ältere das Erbe an, während Bole sich als Fischhändler verdingt. Nach einer verheerenden Sturmflut, die Bole um Hab und Gut bringt, heuert er als Spitzel für den verfeindeten dänischen Hof an. Die Rivalität der Brüder droht zu eskalieren, als Bole sich zu Wartis schöner Frau Natalia hingezogen fühlt. Und ihr Kampf um Liebe und Einfluss soll zu einem Ringen um Leben und Tod für die ganze Stadt werden ...Ein Aufsehen erregendes Thema, detailgetreu, farbenprächtig und mitreißend erzählt!
Klappentext zu „Die Glocken von Vineta “
Ein packender historischer Roman über das sagenumwobene stolze Vineta das »Atlantis der Ostsee«, um das sich noch heute viele Spekulationen ranken!
Eine untergegangene Stadt - die Perle der Ostsee ...
Ein packender historischer Roman ber das sagenumwobene stolze Vineta - das "Atlantis der Ostsee", um das sich noch heute viele Spekulationen ranken!
Vineta im 12. Jahrhundert: die Perle der Ostsee - eine stolze, reiche Stadt voller Gegens tze. Hier wachsen die Zwillinge Warti und Bole als S hne eines verm genden Bernsteinh ndlers heran. Als ihr Vater bei einem Schiffsungl ck ertrinkt, tritt Warti als der ltere das Erbe an, w hrend Bole sich als Fischh ndler verdingt. Nach einer verheerenden Sturmflut, die Bole um Hab und Gut bringt, heuert er als Spitzel f r den verfeindeten d nischen Hof an. Die Rivalit t der Br der droht zu eskalieren, als Bole sich zu Wartis sch ner Frau Natalia hingezogen f hlt. Und ihr Kampf um Liebe und Einfluss soll zu einem Ringen um Leben und Tod f r die ganze Stadt werden ...Ein Aufsehen erregendes Thema, detailgetreu, farbenpr chtig und mitrei end erz hlt!
Ein packender historischer Roman ber das sagenumwobene stolze Vineta - das "Atlantis der Ostsee", um das sich noch heute viele Spekulationen ranken!
Vineta im 12. Jahrhundert: die Perle der Ostsee - eine stolze, reiche Stadt voller Gegens tze. Hier wachsen die Zwillinge Warti und Bole als S hne eines verm genden Bernsteinh ndlers heran. Als ihr Vater bei einem Schiffsungl ck ertrinkt, tritt Warti als der ltere das Erbe an, w hrend Bole sich als Fischh ndler verdingt. Nach einer verheerenden Sturmflut, die Bole um Hab und Gut bringt, heuert er als Spitzel f r den verfeindeten d nischen Hof an. Die Rivalit t der Br der droht zu eskalieren, als Bole sich zu Wartis sch ner Frau Natalia hingezogen f hlt. Und ihr Kampf um Liebe und Einfluss soll zu einem Ringen um Leben und Tod f r die ganze Stadt werden ...Ein Aufsehen erregendes Thema, detailgetreu, farbenpr chtig und mitrei end erz hlt!
Lese-Probe zu „Die Glocken von Vineta “
Prolog November 1125 Mit der Dämmerung war es kalt geworden. Die Regenpfützen in den Mulden des blank geschorenen Feldes erstarrten rasch zu Eis. Natalia rannte. Ihre Sohlen trommelten wie Dreschflegel auf die froststarre Erde. Die Arme hielt sie, statt sie im Lauftakt zu schwingen, um den Leib geschlungen. "Umarmst du dich selbst?", hätte die Mutter sie mit einem Lachen gefragt. Vor Anstrengung brauste Natalia das Blut in den Ohren, übertönte den pfeifenden Wind.Aus dem Wald herausgerodet lag das Fleckchen Land, das ihr Vater seinen kargen Acker nannte. "Von den paar Scheffeln Roggen krieg ich weder Mensch noch Viehzeug satt", pflegte er zu wettern, ehe er mit den Brüdern aufbrach, um seine Fallen zu leeren oder im Sumpfland Torf zu stechen. Den Schwestern trug er auf, in den Astlöchern der Zeideler nach Resten von Bienenwachs zu stochern, und an diesem Tag hatte er auch sie, Natalia, mit fünf Jahren seine Jüngste, zu einer Aufgabe ausgeschickt.
Im Dickicht des Waldes sollte sie nach Bucheckern suchen, um das Schwein im Verschlag damit zu füttern. Natalia hatte gehofft, dabei ein paar Hände voll süßer Beeren aufzuspüren, doch es war zu spät im Jahr, die Sträucher im Unterholz längst kahl. Als das letzte Licht verblich, waren ihre Finger von der Kälte so steif, als müssten sie beim Krümmen splittern wie die morschen Zweige.
Natalia lief schneller, wenn auch die Eisluft ihr schmerzhaft in die Lungen schnitt. Schon kam die Hütte in Sicht. Kein Rauch stieg auf, denn das Feuerholz war knapp. Drinnen aber würde der Atem vieler Menschen Wärme verbreiten, auf dem Tisch stünde die noch kaum erkaltete Suppe, und der Oheim Luka, den der Vater einen Nichtsnutz schimpfte, würde mit seinem kehligen Lachen Not und Sorgen zur Tür hinausscheuchen.
Natalia hörte ihre Eltern oft von Sorgen reden. Solche Gespräche gehörten zu ihrem Leben wie die Hühner, die in der Morgenkälte gefüttert werden mussten, wie die Wanzenbisse in den Nächten, die Knüffe der Brüder und der Spott
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der Schwestern, aber in diesem Herbst hatte sich etwas verändert, war bedrohlicher, schwerer geworden ... Die Stimme des Vaters schien bei jedem Wort hinterherzuschleifen, als sei er schon ein Greis und könne seine Last nicht länger tragen. Der Oheim Luka, Mutters Bruder, versuchte, das Dunkle mit einer Handbewegung wegzustreifen. "Wir haben's immer geschafft, warum soll's diesmal anders sein?"
"Weil uns die Ernte ersoffen ist, Nichtsnutz. Aus leeren Händen gibt sich schlecht noch was ab."
"Ach, das wird schon. Mokosch, die goldrote Mutter Erde, hilft dem Tüchtigen."
Der Oheim lachte, und der Vater schlug mit einem Strick nach ihm. "Dann hilft sie dir gewiss als Letztem, und meine schuldlosen Kinder müssen für deine Faulheit mit dran glauben."
Ein andermal hörte Natalia den Oheim davon munkeln, dass der Fürst in Kiew, der große Wladimir Monomach, gestorben sei. "In der Stadt wird's Aufhebens geben."
"In der Stadt gibt's immer Aufhebens", knurrte der Vater zurück. "Aber für uns Bauern ist das einerlei. Dieser oder jener auf dem Thron in Kiew, über unseren Köpfen tanzt die Knute des Bojaren."
Der Bojar, das wusste Natalia, wohnte hinter dem Wald, hinter dem Ende ihrer Welt, in der großen Stadt Nowgorod. Ihre Familie war ihm leibeigen. Was das bedeutete, begriff sie nicht, nur, dass der Name des Bojaren Unheil beschwor, Erschrecken, tief bedrücktes Schweigen. Zweimal schon waren Männer in dunkelbraunen Röcken erschienen, die den Vater beschimpft, ihn an den Schultern gerüttelt und schließlich die Ziege am Strick gepackt und mit sich fortgezerrt hatten. Die Mutter hatte sich in den Winkel auf den Boden gehockt und heiser geweint. "Wer sind die?", hatte Natalia ihre älteste Schwester Nona gefragt.
"Die Eintreiber. Die holen sich, was dem Bojaren gehört."
Warum dem Bojaren die Ziege gehörte, die in ihrer Hütte hauste und deren Milch die Mutter allmorgendlich in den Kessel überm Feuer schöpfte, sodass der köstliche Duft den Raum erfüllte, verstand Natalia nicht. "Im Frühjahr findet sich eine neue Gehörnte", tröstete der Oheim, trank einen Becher Schlehenwein und klatschte in die Hände. "Sing ein Lied, Schwesterlein, ein bisschen Frohsinn kostet nichts."
Auf einmal konnte sie es nicht mehr erwarten, das Haus zu erreichen, die vertrauten Stimmen zu hören und ihre Familie um den Tisch versammelt zu sehen. Der Oheim würde ihr Fratzen schneiden und die Mutter, die den jüngsten Bruder in einem Tuch vor der Brust trug, würde Suppe aufdecken und Brot austeilen. Aus dem Krug mit der abgeplatzten Tülle würde der Vater erst sich und dann dem Oheim einschenken, seinen Becher leeren und die letzten Tropfen auf den Boden schütten. "Mokosch, Göttin der fruchtbaren Erde, nimm unser Opfer an, und hilf uns aus der Not." Natalia schlang die Arme fester um den Leib. Die letzten Schritte. Um ein Haar stolperte sie. Im schwachen Lichtschein sah sie die Tür in den Angeln baumeln. Polternd stürzte etwas um. Dann ertönte ein Schrei: "Natalia. Geh!"
Doch Natalia konnte sich nicht rühren. Hinter dem Türstock verborgen sah sie die Mutter, die mit dem Rücken zur Wand stand und den Säugling, den sie Stani Sternenauge nannte, an sich presste. Sie waren wieder da. Die Männer in den dunklen Röcken. Bestimmt ein Dutzend von ihnen. Zwei stießen den Vater zu Boden, ein anderer packte den Oheim beim Arm und schleuderte ihn gegen den Tisch. Die Kerze stürzte um. Gleich darauf stand der Tisch in Flammen. Im flackernden Licht sah Natalia Blut leuchten, das die schief getretenen Dielen rot färbte. In der Blutlache lag ihr Bruder Mitja, der Streithammel, der ihr beim Essen immer das Brot wegschnappte und sie rotes Rättchen rief. Jetzt war sein Kopf nach hinten verdreht, sein Haar blutverschmiert. Einer der Männer kippte den Kübel mit der Notdurft in die Flammen. Mit drohendem Zischen bäumte das Feuer sich ein letztes Mal auf und erstarb. Im Nu war es dunkel in der Stube. Nur eine bläulich erstickende Lohe züngelte noch über den Tisch.
"Los jetzt. Von dannen mit dem Pack."
Die berockten Männer, die damit beschäftigt gewesen waren, alles Herumstehende, den Kessel, die paar Becher und Näpfe, in Säcke zu raffen, ließen ihre Beute fallen und schnappten sich stattdessen Menschen. Rissen den Vater und den Oheim vom Boden, zerrten die Schwestern hinter der Kleidertruhe vor und schleiften einen nach dem andern zur Tür. Über Bruder Mitja stiegen sie hinweg. Im letzten Moment sprang Natalia zur Seite. Raschen Schrittes schleppten die Männer die Wehrlosen an ihr vorbei und verschwanden in der Nacht. Natalia drängte sich zitternd an die Wand der Hütte. Niemand bemerkte sie.
Fest drückte sie ihre Schulter ans Holz und kniff die Augen zu. Lichtpunkte tanzten ihr durch den Schädel. "Und jetzt zu dir", hörte sie von drinnen eine Männerstimme. "Los, das Balg her." Wieder polterte es, und dann schrie die Mutter. Das Geräusch fuhr Natalia wie eine Nadelspitze durch den Leib. Nie zuvor hatte sie ein Wesen, weder Mensch noch Tier, so schreien hören.
Ein Windstoß blähte ihr die Kleider. Die Schreie gingen in ein abgehacktes Fiepen über, wie die sinnlosen Laute einer Maus, ehe die Katze ihr den Garaus machte. Dann verstummten sie ganz. Natalia fiel auf die Knie. Auf allen vieren kroch sie, wie von fremder Hand gezogen, zurück zur Tür und spähte in den Raum. Düster war es. Nur die bläulich ersterbende Flamme spendete ein wenig Licht. Bruder Mitja lag noch immer auf dem Boden. Daneben entdeckte Natalia ein Bündel und erkannte das Tuch, in dem die Mutter sonst den kleinen Stani vor der Brust trug. Das Bündel lag unbewegt, gab keinen Laut von sich. An der hinteren Wand, bei der Fensterluke, lehnten zwei der Männer, die unhörbar miteinander tuschelten.
Das einzige Geräusch, das Natalia ins Ohr drang, war ein rasches Keuchen. Ihr Blick flog durch den Raum. Dann sah sie den dunklen Umriss bei der Kleidertruhe. Zwei Gestalten am Boden, eine über die andere geworfen, die obere zuckte wie von Krämpfen geschüttelt auf und ab. Das helle Haar der Mutter lag über die Dielen gebreitet. Im Zwielicht hoben sich die Hinterbacken des Mannes leuchtend weiß. Er atmete schneller, schnaufte, schrie heiser auf und sackte wie erschlagen nieder. Natalia schrie auch. Zumindest glaubte sie zu schreien, aber hörte keinen Ton. Mit einem Schlag war es still. Eisklar und fast lautlos floss der Atem der Nacht. Natalia krümmte sich zusammen und vergrub den Kopf in ihren Armen. Unter den bloßen Knien spürte sie gefrorene Erde. Wie viel Zeit vergangen war, hätte sie nicht zu sagen vermocht.
Zu sich kam sie, weil sich ihr etwas in die Schulter bohrte. "He, was für ein Krötenschnäuzchen haben wir denn da?"
Sie hob den Kopf. Harsches Fackellicht blendete sie. Über ihr standen drei der berockten Männer, von denen der größte sie mit seinem Stock stach. Ein zweiter, der auf dem kahlen Kopf keine Mütze trug, hielt die Mutter, die leblos hing, über einem Arm. "Seht euch das an. Die Heidenbrut hat Haare wie ein Kirchenbrand."
"Höllenfeuer", stimmte sein Nebenmann zu. "So rot kriegt's die verruchteste Hure nicht gefärbt."
Mit dem Stock hob der Größere Natalias Haar, über das ihre Schwester Nona zu schimpfen pflegte, eher ließe sich der Schweif eines Eichhorns flechten.
"Komm schon, mach ein Ende", drängte der Kahlköpfige, der die Mutter hielt. "Was willst du mit der Kröte? Ich hab daheim ein Nachtessen warten und ein Bett mit einem feisten Weibsbild drin."
"Ich nehme sie mit", erwiderte der Mann mit dem Stock, bückte sich und hievte Natalia an einem Arm in die Höhe. "Wer weiß, ob unser Boris mir's nicht dankt."
"Auf deinem Arsch dankt der's dir. Aber mich soll's nicht kratzen."
Der Kahlköpfige wollte die Mutter weiterschleifen, doch in den Leib, der totengleich über seinem Arm gehangen hatte, geriet plötzlich Leben. Der Kopf hob sich. Ein Flüstern. "Natalia."
Natalia sah der Mutter ins Gesicht. Die stierte durch sie hindurch. Aus einem Nasenloch troff ihr ein Rinnsal Blut. Der kleine Bruder, Stani, das Frühlingskind, war nicht bei ihr. Sie packte Natalia bei der Hand, drückte schnell einen Gegenstand hinein und schloss ihr die Finger darum. Die Braunröcke hatten offenbar nichts bemerkt. Im Griff des Kahlköpfigen sank die Mutter wieder in sich zusammen. "Los jetzt, verfluchte Heidenhure."
Die beiden Männer setzten sich in Bewegung, schleiften die Mutter wie einen leeren Sack hinterdrein. Der dritte, der noch immer Natalia am Arm hielt, blieb stehen und sah auf sie hinunter. "Das ist dein Name? Natalia?"
Natalia starrte ihn an, aber aus ihrer Kehle kam kein Wort.
"He, Rotschopf, ich rede mit dir."
Klatschend traf seine Hand ihre Wange. Vor ihren Augen zerfloss sein Gesicht, doch sie spürte keinen Schmerz. In ihrer Faust lag kühl und glatt der Gegenstand. Sie sagte nichts.
ERSTER TEIL Die Stumme Oktober 1129 1. Kapitel Der Sommer in Nowgorod, hieß es, war kurz und süß wie ein Rausch vom Südwein. Wenn man daraus erwachte, ächzten einem die Glieder, die klaren Nächte waren verflogen und Raureif bedeckte die Gassen. Der Winter hingegen, in dem das quirlige Treiben auf den Märkten, das Ankerwerfen und Ankerlichten am Fluss Wolchow zum Erliegen kam, war endlos lang und senkte sich über die Stadt wie traumloser Schlaf. Die Besucher, die an diesem Morgen erwartet wurden, Handelsreisende, die in sieben Tagesreisen das Meer überquert, sodann in Ladoga ihre Ware auf Flusskähne umgeladen hatten und erst die Newa, dann den Wolchow hinunter nach Nowgorod gerudert waren, mochten die Letzten sein, die die gefahrvolle Reise vor Einbruch des Winters wagten.
Sie waren Gäste von Bedeutung. Wanda, die älteste der Küchenmägde, zurrte Natalia die Kiepe auf dem Rücken fest und schickte sie mit einer scharfen Warnung auf den Weg: "Los, zum Geflügelmetzger, aber lass dir um Himmels willen keine zähe Krähe andrehen. Die gottverlassenen Heiden haben Gaumen wie Fürstentöchter. Nicht umsonst wird erzählt, in ihrem gottlosen Vineta schwirrten ihnen die Tauben geröstet ins Maul."
Natalia fürchtete den Winter. Das Gewirbel der Schneeflocken entzückte sie, verlockte sie zu Sprüngen, aber allzu rasch fiel ihr wieder ein, dass sie weder schützende Kleidung noch ein warmes Lager für die Nacht besaß. Sie fröstelte jetzt schon in ihrem Kittel, der ihr kaum noch bis über die Waden reichte und zudem fadenscheinig wurde. Statt eines Mantels wickelte sie sich den Überrest einer Decke, die nach Tierfell stank, um die Schultern. Dennoch stellte sich an ihren Unterarmen der blassrote Flaum vor Kälte auf. Aber vor allem graute ihr vor dem Winter, weil es in den langen, totenstillen Mondkreisen kein einziges festliches Gastmahl gab, bei dem Igor, der Koch, sich gebührlich ins Zeug legen konnte.
Eine solche Herausforderung vermochte die Laune des Küchenmeisters aufzuhellen. An gewöhnlichen Tagen verfluchte er unablässig sein Schicksal, das ihn in den Dienst des Bojaren Boris gestellt hatte: Der hohe Herr wusste gutes Essen nicht zu schätzen, sparte an Zutaten und hätte sich am liebsten Tag für Tag den Bauch mit Hohlbraten und einfachem Gerstenbrei gefüllt. Seinen Verdruss ließ Igor an seinen Untergebenen aus, und die meisten Flüche, Tritte und Ohrfeigen hatte die heidnische Laus einzustecken, die ihm der Herr Boris vor nunmehr vier Jahren in den Pelz gesetzt hatte. "Was soll ich mit der verhungerten Rotznase?", hatte der Koch gewettert. "Die weiß nicht mal wie ein Christenmensch die Zunge zu gebrauchen, und von dem Feuerschopf wird mir die Butter im Fass sauer."
Es war die alte Wanda gewesen, die Natalia das Haar geschoren und ihr ein Tuch aus rauer Wolle um den Kopf geknotet hatte. "Besser du reizt Igor nicht, sonst sei der Herrgott dir gnädig."
Aber der Herrgott, wer immer das sein mochte, war ihr auch nach der Schur nicht gnädig. Sie blieb Igors bevorzugtes Opfer, obgleich sie keine Ahnung hatte, womit sie ihn so sehr in Zorn versetzte.
"Weil uns die Ernte ersoffen ist, Nichtsnutz. Aus leeren Händen gibt sich schlecht noch was ab."
"Ach, das wird schon. Mokosch, die goldrote Mutter Erde, hilft dem Tüchtigen."
Der Oheim lachte, und der Vater schlug mit einem Strick nach ihm. "Dann hilft sie dir gewiss als Letztem, und meine schuldlosen Kinder müssen für deine Faulheit mit dran glauben."
Ein andermal hörte Natalia den Oheim davon munkeln, dass der Fürst in Kiew, der große Wladimir Monomach, gestorben sei. "In der Stadt wird's Aufhebens geben."
"In der Stadt gibt's immer Aufhebens", knurrte der Vater zurück. "Aber für uns Bauern ist das einerlei. Dieser oder jener auf dem Thron in Kiew, über unseren Köpfen tanzt die Knute des Bojaren."
Der Bojar, das wusste Natalia, wohnte hinter dem Wald, hinter dem Ende ihrer Welt, in der großen Stadt Nowgorod. Ihre Familie war ihm leibeigen. Was das bedeutete, begriff sie nicht, nur, dass der Name des Bojaren Unheil beschwor, Erschrecken, tief bedrücktes Schweigen. Zweimal schon waren Männer in dunkelbraunen Röcken erschienen, die den Vater beschimpft, ihn an den Schultern gerüttelt und schließlich die Ziege am Strick gepackt und mit sich fortgezerrt hatten. Die Mutter hatte sich in den Winkel auf den Boden gehockt und heiser geweint. "Wer sind die?", hatte Natalia ihre älteste Schwester Nona gefragt.
"Die Eintreiber. Die holen sich, was dem Bojaren gehört."
Warum dem Bojaren die Ziege gehörte, die in ihrer Hütte hauste und deren Milch die Mutter allmorgendlich in den Kessel überm Feuer schöpfte, sodass der köstliche Duft den Raum erfüllte, verstand Natalia nicht. "Im Frühjahr findet sich eine neue Gehörnte", tröstete der Oheim, trank einen Becher Schlehenwein und klatschte in die Hände. "Sing ein Lied, Schwesterlein, ein bisschen Frohsinn kostet nichts."
Auf einmal konnte sie es nicht mehr erwarten, das Haus zu erreichen, die vertrauten Stimmen zu hören und ihre Familie um den Tisch versammelt zu sehen. Der Oheim würde ihr Fratzen schneiden und die Mutter, die den jüngsten Bruder in einem Tuch vor der Brust trug, würde Suppe aufdecken und Brot austeilen. Aus dem Krug mit der abgeplatzten Tülle würde der Vater erst sich und dann dem Oheim einschenken, seinen Becher leeren und die letzten Tropfen auf den Boden schütten. "Mokosch, Göttin der fruchtbaren Erde, nimm unser Opfer an, und hilf uns aus der Not." Natalia schlang die Arme fester um den Leib. Die letzten Schritte. Um ein Haar stolperte sie. Im schwachen Lichtschein sah sie die Tür in den Angeln baumeln. Polternd stürzte etwas um. Dann ertönte ein Schrei: "Natalia. Geh!"
Doch Natalia konnte sich nicht rühren. Hinter dem Türstock verborgen sah sie die Mutter, die mit dem Rücken zur Wand stand und den Säugling, den sie Stani Sternenauge nannte, an sich presste. Sie waren wieder da. Die Männer in den dunklen Röcken. Bestimmt ein Dutzend von ihnen. Zwei stießen den Vater zu Boden, ein anderer packte den Oheim beim Arm und schleuderte ihn gegen den Tisch. Die Kerze stürzte um. Gleich darauf stand der Tisch in Flammen. Im flackernden Licht sah Natalia Blut leuchten, das die schief getretenen Dielen rot färbte. In der Blutlache lag ihr Bruder Mitja, der Streithammel, der ihr beim Essen immer das Brot wegschnappte und sie rotes Rättchen rief. Jetzt war sein Kopf nach hinten verdreht, sein Haar blutverschmiert. Einer der Männer kippte den Kübel mit der Notdurft in die Flammen. Mit drohendem Zischen bäumte das Feuer sich ein letztes Mal auf und erstarb. Im Nu war es dunkel in der Stube. Nur eine bläulich erstickende Lohe züngelte noch über den Tisch.
"Los jetzt. Von dannen mit dem Pack."
Die berockten Männer, die damit beschäftigt gewesen waren, alles Herumstehende, den Kessel, die paar Becher und Näpfe, in Säcke zu raffen, ließen ihre Beute fallen und schnappten sich stattdessen Menschen. Rissen den Vater und den Oheim vom Boden, zerrten die Schwestern hinter der Kleidertruhe vor und schleiften einen nach dem andern zur Tür. Über Bruder Mitja stiegen sie hinweg. Im letzten Moment sprang Natalia zur Seite. Raschen Schrittes schleppten die Männer die Wehrlosen an ihr vorbei und verschwanden in der Nacht. Natalia drängte sich zitternd an die Wand der Hütte. Niemand bemerkte sie.
Fest drückte sie ihre Schulter ans Holz und kniff die Augen zu. Lichtpunkte tanzten ihr durch den Schädel. "Und jetzt zu dir", hörte sie von drinnen eine Männerstimme. "Los, das Balg her." Wieder polterte es, und dann schrie die Mutter. Das Geräusch fuhr Natalia wie eine Nadelspitze durch den Leib. Nie zuvor hatte sie ein Wesen, weder Mensch noch Tier, so schreien hören.
Ein Windstoß blähte ihr die Kleider. Die Schreie gingen in ein abgehacktes Fiepen über, wie die sinnlosen Laute einer Maus, ehe die Katze ihr den Garaus machte. Dann verstummten sie ganz. Natalia fiel auf die Knie. Auf allen vieren kroch sie, wie von fremder Hand gezogen, zurück zur Tür und spähte in den Raum. Düster war es. Nur die bläulich ersterbende Flamme spendete ein wenig Licht. Bruder Mitja lag noch immer auf dem Boden. Daneben entdeckte Natalia ein Bündel und erkannte das Tuch, in dem die Mutter sonst den kleinen Stani vor der Brust trug. Das Bündel lag unbewegt, gab keinen Laut von sich. An der hinteren Wand, bei der Fensterluke, lehnten zwei der Männer, die unhörbar miteinander tuschelten.
Das einzige Geräusch, das Natalia ins Ohr drang, war ein rasches Keuchen. Ihr Blick flog durch den Raum. Dann sah sie den dunklen Umriss bei der Kleidertruhe. Zwei Gestalten am Boden, eine über die andere geworfen, die obere zuckte wie von Krämpfen geschüttelt auf und ab. Das helle Haar der Mutter lag über die Dielen gebreitet. Im Zwielicht hoben sich die Hinterbacken des Mannes leuchtend weiß. Er atmete schneller, schnaufte, schrie heiser auf und sackte wie erschlagen nieder. Natalia schrie auch. Zumindest glaubte sie zu schreien, aber hörte keinen Ton. Mit einem Schlag war es still. Eisklar und fast lautlos floss der Atem der Nacht. Natalia krümmte sich zusammen und vergrub den Kopf in ihren Armen. Unter den bloßen Knien spürte sie gefrorene Erde. Wie viel Zeit vergangen war, hätte sie nicht zu sagen vermocht.
Zu sich kam sie, weil sich ihr etwas in die Schulter bohrte. "He, was für ein Krötenschnäuzchen haben wir denn da?"
Sie hob den Kopf. Harsches Fackellicht blendete sie. Über ihr standen drei der berockten Männer, von denen der größte sie mit seinem Stock stach. Ein zweiter, der auf dem kahlen Kopf keine Mütze trug, hielt die Mutter, die leblos hing, über einem Arm. "Seht euch das an. Die Heidenbrut hat Haare wie ein Kirchenbrand."
"Höllenfeuer", stimmte sein Nebenmann zu. "So rot kriegt's die verruchteste Hure nicht gefärbt."
Mit dem Stock hob der Größere Natalias Haar, über das ihre Schwester Nona zu schimpfen pflegte, eher ließe sich der Schweif eines Eichhorns flechten.
"Komm schon, mach ein Ende", drängte der Kahlköpfige, der die Mutter hielt. "Was willst du mit der Kröte? Ich hab daheim ein Nachtessen warten und ein Bett mit einem feisten Weibsbild drin."
"Ich nehme sie mit", erwiderte der Mann mit dem Stock, bückte sich und hievte Natalia an einem Arm in die Höhe. "Wer weiß, ob unser Boris mir's nicht dankt."
"Auf deinem Arsch dankt der's dir. Aber mich soll's nicht kratzen."
Der Kahlköpfige wollte die Mutter weiterschleifen, doch in den Leib, der totengleich über seinem Arm gehangen hatte, geriet plötzlich Leben. Der Kopf hob sich. Ein Flüstern. "Natalia."
Natalia sah der Mutter ins Gesicht. Die stierte durch sie hindurch. Aus einem Nasenloch troff ihr ein Rinnsal Blut. Der kleine Bruder, Stani, das Frühlingskind, war nicht bei ihr. Sie packte Natalia bei der Hand, drückte schnell einen Gegenstand hinein und schloss ihr die Finger darum. Die Braunröcke hatten offenbar nichts bemerkt. Im Griff des Kahlköpfigen sank die Mutter wieder in sich zusammen. "Los jetzt, verfluchte Heidenhure."
Die beiden Männer setzten sich in Bewegung, schleiften die Mutter wie einen leeren Sack hinterdrein. Der dritte, der noch immer Natalia am Arm hielt, blieb stehen und sah auf sie hinunter. "Das ist dein Name? Natalia?"
Natalia starrte ihn an, aber aus ihrer Kehle kam kein Wort.
"He, Rotschopf, ich rede mit dir."
Klatschend traf seine Hand ihre Wange. Vor ihren Augen zerfloss sein Gesicht, doch sie spürte keinen Schmerz. In ihrer Faust lag kühl und glatt der Gegenstand. Sie sagte nichts.
ERSTER TEIL Die Stumme Oktober 1129 1. Kapitel Der Sommer in Nowgorod, hieß es, war kurz und süß wie ein Rausch vom Südwein. Wenn man daraus erwachte, ächzten einem die Glieder, die klaren Nächte waren verflogen und Raureif bedeckte die Gassen. Der Winter hingegen, in dem das quirlige Treiben auf den Märkten, das Ankerwerfen und Ankerlichten am Fluss Wolchow zum Erliegen kam, war endlos lang und senkte sich über die Stadt wie traumloser Schlaf. Die Besucher, die an diesem Morgen erwartet wurden, Handelsreisende, die in sieben Tagesreisen das Meer überquert, sodann in Ladoga ihre Ware auf Flusskähne umgeladen hatten und erst die Newa, dann den Wolchow hinunter nach Nowgorod gerudert waren, mochten die Letzten sein, die die gefahrvolle Reise vor Einbruch des Winters wagten.
Sie waren Gäste von Bedeutung. Wanda, die älteste der Küchenmägde, zurrte Natalia die Kiepe auf dem Rücken fest und schickte sie mit einer scharfen Warnung auf den Weg: "Los, zum Geflügelmetzger, aber lass dir um Himmels willen keine zähe Krähe andrehen. Die gottverlassenen Heiden haben Gaumen wie Fürstentöchter. Nicht umsonst wird erzählt, in ihrem gottlosen Vineta schwirrten ihnen die Tauben geröstet ins Maul."
Natalia fürchtete den Winter. Das Gewirbel der Schneeflocken entzückte sie, verlockte sie zu Sprüngen, aber allzu rasch fiel ihr wieder ein, dass sie weder schützende Kleidung noch ein warmes Lager für die Nacht besaß. Sie fröstelte jetzt schon in ihrem Kittel, der ihr kaum noch bis über die Waden reichte und zudem fadenscheinig wurde. Statt eines Mantels wickelte sie sich den Überrest einer Decke, die nach Tierfell stank, um die Schultern. Dennoch stellte sich an ihren Unterarmen der blassrote Flaum vor Kälte auf. Aber vor allem graute ihr vor dem Winter, weil es in den langen, totenstillen Mondkreisen kein einziges festliches Gastmahl gab, bei dem Igor, der Koch, sich gebührlich ins Zeug legen konnte.
Eine solche Herausforderung vermochte die Laune des Küchenmeisters aufzuhellen. An gewöhnlichen Tagen verfluchte er unablässig sein Schicksal, das ihn in den Dienst des Bojaren Boris gestellt hatte: Der hohe Herr wusste gutes Essen nicht zu schätzen, sparte an Zutaten und hätte sich am liebsten Tag für Tag den Bauch mit Hohlbraten und einfachem Gerstenbrei gefüllt. Seinen Verdruss ließ Igor an seinen Untergebenen aus, und die meisten Flüche, Tritte und Ohrfeigen hatte die heidnische Laus einzustecken, die ihm der Herr Boris vor nunmehr vier Jahren in den Pelz gesetzt hatte. "Was soll ich mit der verhungerten Rotznase?", hatte der Koch gewettert. "Die weiß nicht mal wie ein Christenmensch die Zunge zu gebrauchen, und von dem Feuerschopf wird mir die Butter im Fass sauer."
Es war die alte Wanda gewesen, die Natalia das Haar geschoren und ihr ein Tuch aus rauer Wolle um den Kopf geknotet hatte. "Besser du reizt Igor nicht, sonst sei der Herrgott dir gnädig."
Aber der Herrgott, wer immer das sein mochte, war ihr auch nach der Schur nicht gnädig. Sie blieb Igors bevorzugtes Opfer, obgleich sie keine Ahnung hatte, womit sie ihn so sehr in Zorn versetzte.
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Autoren-Porträt von Charlotte Lyne
Charlotte Lyne, geboren 1965 in Berlin, studierte Germanistik, Latein, Anglistik und Italienische Literatur in Berlin, Neapel und London. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in London, und wenn sie nicht gerade schreibt, ist sie Übersetzerin und Lektorin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Charlotte Lyne
- 2007, 672 Seiten, Maße: 13,5 x 20,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442367166
- ISBN-13: 9783442367160
Rezension zu „Die Glocken von Vineta “
"Ein wortgewaltiger historischer Roman, der Lust auf mehr macht und sich im eigentlichen Genre deutlich abhebt. Gut, dass es bis zum zweiten Roman der Autorin nicht mehr ganz so lange dauert!"
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