Die Herrin der Gaukler
Endlich angekommen, sinnt Jeanne auf blutige Wiedergutmachung für die ihr angetane Schmach...
Die Herrin der Gaukler von Sophia Palmer
LESEPROBE
1. Kapitel
Jeanneschritt fröhlich aus. Der Korb unter ihrem Arm, mit zehn Eiern darin und einemBeutel Daunen, wog beinahe nichts. Sie zog das Tuch darüber noch einmal zurecht; alles war da und an seinem Platz. Dann hob sie denKopf und genoß die Kraft der Sonne auf ihrer Haut.Sie fühlte sich selbst so federleicht an diesem Morgen.
Die Luftwar mild, der Sonnenschein brachte das Laub der Weinberge zum Leuchten. In denZweigen des nahen Olivenhaines spielte ein warmer Wind und ließ die silbernenBlätter flirren. Auch der Ginster am Wegrand wogte, die Zweige prall mitgoldenen Blüten besetzt. Jeanne ließ ihre Finger im Vorbeigehen darübergleiten, pflückte eine Rute und steckte sie sich insHaar. Wie schön doch das Leben war!
Sie wagtezwei Tanzschritte, drehte sich einmal, daß ihrflammendroter Zopf flog, mußte dann über sich selberlachen und ging ruhig, aber leise singend weiter.
Da kam dasTor des Gutshofes in Sicht. Sah sie anständig aus? Jeanne klopfte den Staub vonihrem Rock, rückte die Schürze noch einmal zurecht, überprüfte den Sitz desHalstüchleins und strich sich die widerspenstigen Strähnen aus der Stirn.
»Dem Vogel,der am Morgen singt, wird am Abend der Hals umgedreht«, rief da eine keckerndeStimme.
Mehrverärgert als erschrocken schaute Jeanne sich um und entdeckte den Sprecher,der auf der grauen Mauer der Einfriedung hockte, ein Bein hochgezogen, das Kinnauf einen Stock gestützt. Seine Kleidung bestand aus lumpigen Hosen und einemformlosen, löchrigen Wams, das den Namen Hemd nicht verdiente. Der Mann, dessenAlter man angesichts seiner Verwahrlosung unmöglich schätzen konnte, war barfuß und zeigte dem prächtigen Sonnenschein zweischwarze, sicher nie gewaschene Füße.
Jeanneüberlief ein kleiner Schauer des Ekels, wie immer, wenn sie dem verrücktenJacques begegnete. Sie mochte den Anblick seines aufgerissenen, zahnlosenMundes nicht und noch viel weniger sein boshaftes Lachen, das immer klang, als wüßte er etwas über einen. Dann reckte sie stolz ihreStupsnase und machte Anstalten, ohne eine Antwort an ihm vorbeizugehen. Niemandnahm den irren Jacques ernst. Wußte der Himmel, warumder Verwalter duldete, daß sich so ein Nichtsnutz aufden Gütern der Baronin herumtrieb. Er arbeitete nicht, tat keinem etwas zuliebeund schwatzte den ganzen Tag dummes Zeug. Sein tumber Blick verfolgte sie jedesmal, wenn sie kam, um die Abgaben von ihres Vaters Hofzu bringen.
Jacqueskicherte, als sie so hochgemut weiterschritt. Errutschte von seiner Mauer und machte sich daran, auf seinen Stock gestützt,neben ihr herzuhumpeln. Dabei verschlang er das spröde Mädchen mit den Augen:diese hochgewachsene, biegsame Gestalt, die ihr Haargar nicht so fest flechten konnte, daß es die krausenLocken oder gar die leuchtende Farbe gebändigt hätte. Wenn Jeannes Mutterabends die flammende Pracht bürstete, schüttelte sie manchmal den Kopf undzweifelte daran, daß so viel Wildheit wirklichgottgefällig sein könne.
Jeanne, dieseine Aufmerksamkeit wohl bemerkte, schüttelte es innerlich, und sie achtetedarauf, daß er ihr Kleid nicht streifte. Einen Momentschien es ihr doch tatsächlich so, als wolle er mit seinen schmutzigen Fingernihren nackten weißen Unterarm berühren. Daher wechselte sie energisch den Korbvon der einen auf die andere Seite und stieß ihn wie zufällig damit an.
Jacqueskicherte wieder. »Man sagt, ihr betet nicht für die Seelen eurer Verstorbenen, daß sie aus dem Fegefeuer errettet werden.«
Jeannesgrüne Augen funkelten vor Unwillen, und ihr breiter, sonst so lachfreudigerMund verzog sich. »Wozu auch«, schnappte sie, »wo es doch kein Fegefeuer gibt.« Sie warf den Kopf zurück. »Das ist eine Erfindung derPäpste. In der Bibel steht kein Wort davon«, beschied sie ihn schnippisch.»Lies es doch nach, wenn du mir nicht glaubst.«
Mit einemLachen schritt sie aus. Als ob der irre Jacques lesen könnte! Er vermochte esso wenig wie all die anderen Bauern. Aber vielleicht war er ja dumm genug, amSonntag seinen Pfarrer danach zu fragen. Da würde er schön etwas zu hörenbekommen! Jeanne lachte wieder; es geschähe dem unverschämten Kerl ganz recht.
Jacques warzurückgeblieben, ob aus Verblüffung oder weil sie zu flink für ihn war, es warnicht auszumachen. Jeanne hörte seine Stimme in ihrem Rücken.
»Euch Waldensern wird es noch gehörig an den Kragen gehen«, kreischteer und verfiel dann in seinen alten Refrain: »Der Vogel, der am Morgen pfeift!Der Vogel, der am Morgen pfeift.«
Jeanne hobangewidert die Schultern: Der Mensch war doch tatsächlich drauf und drangewesen, sie anzufassen mit seinen schmutzigen Fingern. Dann schnaufte sieeinmal tief durch, schüttelte energisch ihren Zopf - und war da. Laut grüßendschritt sie über den Hof. Wer sie kannte, hob den Kopf. Man winkte zurück, riefScherzworte. Der alte schwarze Wachhund lief schwanzwedelndauf sie zu, bis die Kette ihn stoppte, und wartete winselnd auf ihre Zuwendung.Sie gönnte ihm ein kurzes Kraulen hinter dem Ohr, ehe sie die Abgabenstubebetrat.
Hier fieldas strahlende Tageslicht nur gedämpft herein. Wie ein Schleier legte es sichüber die verschlossenen Schränke, das Regalbrett mit denTuchen, über den blankgescheuerten Tisch und dieWaage in seiner Mitte. Mehlstaub tanzte in der Luft. Es roch nach Korn, nachKäse und Kräutern. Jeanne stellte ihren Korb ab, als der Verwalter eintrat.Sorgfältig rieb er sich die Hände an seinem Lederschurz ab, ehe er ihr dieRechte reichte.
»Jeanne«,begrüßte er sie, »pünktlich wie immer.« Dann fiel seinBlick auf den Ginster in ihrem Haar. »Und wie hübsch du wieder daherkommst.« Erhob die Hand, als wolle er die Blüten berühren, ließ sie aber wieder sinken undgriff statt dessen nach dem Korb. Die Waldenser blieben unter sich, das wußteer aus Erfahrung, und es war vermutlich auch besser so. Ein hübsches Gesicht,und sei sein Teint noch so klar, sollte einen nicht zu Dummheiten verführen.
»Laß doch einmal sehen.«
Jeannelächelte und zog das Tuch zurück, damit er die Eier zählen und die Qualität dergerupften Daunen begutachten konnte.
»Es istalles da«, erklärte er schließlich zufrieden. »Aber wann war das je anders.« Er tätschelte wohlwollend ihre Hand, dann schlug er eingroßes, in Leder gebundenes Buch auf und fügte nach einigem Suchen einer langenKolonne von Zahlen zwei neue Ziffern hinzu. Sorgsam malte er sie hin. Ohneaufzuschauen, begann er: » Sag deinem Vater, wegen der Enten, die er zum achtenbringen soll «
Doch siewurden unterbrochen. »Rauch«, rief eine aufgeregte Stimme, »da steigt Rauch aufvon Lourmarin!«
Die beidenin der stillen Stube wechselten einen erstaunten Blick, dann traten siegemeinsam nach draußen zu den anderen. Aus allen Ecken des Hofes liefen dieMenschen zusammen. Jeanne ging ein Stück des Weges zurück, den sie ebengekommen war. Gleich hinter dem Tor des Hofes senkte sich die Straße, und manhatte einen guten Ausblick über die Ebene, die sich im Süden bis an den Laufder Durance senkte. Das Städtchen Lourmarin,grau inmitten des Grüns, hockte auf einem flachen Hügel wie eine Muschel aufeinem tangbewachsenen Felsen, umgeben von seinenHainen und Feldern. Jeanne kannte es gut; ihr eigenes Dorf war nicht weitöstlich davon. Und in Lourmarin sollte Rauchaufsteigen?
Jeanne trataus dem Dunkel des Torbogens hinaus auf die Straße und beschattete die Augen,um besser sehen zu können. Tatsächlich, da war es: Weiße und graue Rauchfädenerhoben sich von der Silhouette der Stadt, über der die Luft zu flimmernschien. Neben Jeanne waren Knechte über den Misthaufen auf die Mauergeklettert.
»Ob dieMühle brennt?« rief es hinter ihr.
»Nein, dieliegt außerhalb des Walls«, tönte es von droben herab. »Es scheint mir näherbeim Tor, nein, bei den Speichern.«
»LieberGott«, schrie eine Frau, »es brennt einfach alles zusammen, seht nur!«
Jeanne sahes. Der Rauch wolkte jetzt dick und schwer in denblauen Vormittagshimmel. Sie meinte beinahe, ihn riechen zu können. Und nun warauch das Brausen der Flammen zu hören. Und darüber, erschreckend und klar:Waffengeklirr.
»Ich seheBerittene«, rief ein Knecht. Er brauchte es nicht zu wiederholen. Auch Jeannehatte sie bemerkt: Auf der Straße nach Lourmarin warein Zug von Gestalten zu Pferde klein und nur undeutlich zu erkennen, aber vonihren Leibern blitzte die Sonne. Das waren Waffen und Harnische.
Papa,dachte Jeanne in diesem Moment, während die anderen es sich gegenseitigzuriefen, daß Lourmarin vonBewaffneten angegriffen würde. Die Angst griff nach ihr und preßteihr die Eingeweide zusammen. Für einen Moment schloßsie die Augen, zu spät, um nicht die zweite Rauchsäule zu bemerken, die sichjetzt weiter in der Ferne erhob, ein ganzes Stück südlich, schon beinahe am Fluß. Jeanne wußte, von wo sieaufstieg: Cadenet, wo ebenfalls Glaubensbrüderlebten. Sie wollte es nicht mehr sehen. Und sie wollte nicht nach Ostenblicken. Tränen quollen hinter ihren Lidern hervor, die sie hartnäckig zusammenpreßte.
Es konntenicht wahr sein, es durfte nicht sein. Die Baronin hielt doch ihre Hand stetsschützend über ihre Waldenserdörfer, all die Jahreschon. Sie sah ihren Vater vor sich, der in diesem Moment zweifellos auf denFeldern arbeitete wie stets um diese Zeit: Wie er sich aufrichtete, die Stirnbeschattete, genauso wie sie eben, und voller Staunen in den gnadenlosen Himmelblickte, an dem sich jetzt schon drei, vier, nein fünf schwarze Säulen derVernichtung zeigten.
Jeannehatte die Augen wieder geöffnet. Blinzelnd schaute sie nach Osten. Dort warnichts als das rauschende Wiegen der Kiefern.
»Sie holensich die Waldenser. Sie holen sich die Waldenser.« Der irre Jacques hattesich draußen auf seinem Mäuerchen aufgerichtet undzappelte wie in einem irren Tanz und wiederholte wieder und wieder seinhämisches Verslein.
Niemandantwortete ihm, niemand verbot ihm den Mund. Aller Augen hingen an demgrausamen Spektakel drunten im Tal. Jeanne spürte, wie der eine oder andereBlick sich heimlich zu ihr verirrte und rasch wieder abwandte. Sie hörte estuscheln, doch niemand sprach sie an. Sehr gerade stand sie da, stocksteif undwie erstarrt. Jeanne fröstelte in dem Schweigen, das sie umgab. JedeVertrautheit war mit einemmal verschwunden. Es war jetzt so still, daß man vermeinte, die Schreie der Sterbenden hören zukönnen. Und doch war da nichts als das Rauschen des Windes und das Summen derInsekten über den Blüten.( )
© AufbauVerlag
- Autor: Sophia Palmer
- 2007, 448 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746623863
- ISBN-13: 9783746623863
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