Die Horde - Die Schlacht von Morthûl
Deutsche Erstausgabe
Die grausamen Orks, Trolle und Kobolde ziehen gegen die Mächte des Guten in die Schlacht. Sie sollen den Sieg des Leichenkönigs Morthul über die Welt sichern. Aber jemand mächtiges stellt sich ihnen in den Weg: der Elfenmagier Ananias höchstpersönlich.
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Produktinformationen zu „Die Horde - Die Schlacht von Morthûl “
Die grausamen Orks, Trolle und Kobolde ziehen gegen die Mächte des Guten in die Schlacht. Sie sollen den Sieg des Leichenkönigs Morthul über die Welt sichern. Aber jemand mächtiges stellt sich ihnen in den Weg: der Elfenmagier Ananias höchstpersönlich.
Klappentext zu „Die Horde - Die Schlacht von Morthûl “
Genug von heldenhaften Recken, glänzenden Rüstungen und fairen Kämpfen: Hier kommen die Bösewichte! Denn mit "Die Horde" führt US-Fantasy-Autor Ari Marmell seine Leser in einen epischen Kampf allerdings auf der Seite der Finsternis.Ein rasantes Abenteuer, das jeder High-Fantasy-Fan verschlingen wird: Unter dem Banner der Horde ziehen die grausamsten Orks, Kobolde und Trolle gegen die Mächte des Guten in die Schlacht. Sie sollen den Sieg des Leichenkönigs Morthûl über die Welt sichern. Doch niemand Geringeres als der Elfenmagier Ananias höchstpersönlich setzt dessen Machenschaften ein Ende. Und als wäre diese Schmach für den Herrscher der Finsternis nicht genug, steht auch noch Ananias gesamte Streitmacht an den Grenzen von Morthûls Reich und holt bereits zum vernichtenden Schlag gegen das Böse aus. Nur ein verwegener Plan kann den Leichenkönig jetzt noch retten: das Dämonenkorps, eine geheime Sondereinheit, bestehend aus den verwegensten Kreaturen der Horde, die nicht nur so gefährlich wie ihre Reißzähne sind, sondern sich auch bis aufs Blut nicht ausstehen können
Lese-Probe zu „Die Horde - Die Schlacht von Morthûl “
Die Horde - Die Schlacht von Morthûl von Ari MarmellPROLOG
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Der flackernde Fackelschein, kaum mehr als ein wenig Glut an Bündeln aus verfaulendem Holz, gab nicht länger vor, die Dunkelheit zurückzudrängen. Das schwache Licht überzeugte den Beobachter nur davon, dass zahlreiche Schrecken in der unterirdischen Nacht lauerten.
Ein Irrtum war das keineswegs, denn es lauerten tatsächlich zahlreiche Schrecken in der Finsternis. Doch hier, tief im Fels unter der Eisernen Burg, war das Schreckliche gewöhnlich und das Entsetzliche normal.
Die Steinplatten glänzten matt im Glühen der Fackeln, was sie einer Schicht aus lumineszierendem Schleim verdankten, die sich in vielen Jahren gebildet hatte - selbst den mächtigsten Magiern des Burgherrn war es nicht gelungen, diese grässliche Substanz zu entfernen. Das langsame, gleichmäßige Pochen näher kommender Schritte ging einher mit ekelerregenden schmatzenden Geräuschen, verursacht vom Schleim unter schweren Stiefeln.
Den Männern und Monstren unter seinem Befehl war er nur als Falchion bekannt. Eisblaue leere Augen blickten durch die schmalen Schlitze eines Topfhelms aus schmutzigem Stahl. Der Helm neigte sich zur Seite - vielleicht aus Abscheu ? -, als sein Träger eine große braune Ratte sah, völlig verdreckt von Schleim und anderen, noch grässlicheren Substanzen, die an den Mauersteinen neben Falchion klebten. Ein Panzerhandschuh kam nach vorn, und das Kratzen von Eisen über Stein übertönte fast das kurze Quieken. Die tote Ratte fiel zu Boden, von dem Mann, der ihr das Leben genommen hatte, bereits vergessen, als er den Weg ruhig zum nächsten Raum fortsetzte.
»Wie nachlässig, Falchion. Plump und nachlässig.« Die nasale, wehleidige Stimme schien nicht viel mehr als Arroganz und Verachtung zum Ausdruck bringen zu können. »Bist du wirklich so dämlich, dass du noch immer nicht begriffen hast, wie empfindlich so ein Zauber sein kann ? Es wäre durchaus möglich, dass der Tod dieser Ratte sein empfindliches Gleichgewicht gestört hat und ... «
»Leck mich, Havarren.« Falchion stand locker in der einen Ecke und verschränkte die Arme, wobei es leise rasselte. Der Blick seiner kalten blauen Augen glitt nach unten übers rostige Kettenhemd, das ihn von den Schultern bis zu den Hüften bedeckte. Eine Braue bewegte sich und kam ein wenig nach oben, als bemerkte er erst jetzt, dass er ein solches Hemd trug.
»Lecken soll ich dich ? Nein, lieber nicht.« Der zweite Mann beugte sich vor, wodurch sein Gesicht ins schwache Fackellicht geriet.
Falchion knurrte hinter seinem Visier, ein tief in ihm verankerter Reflex, ausgelöst allein von Havarrens Präsenz. Er selbst war kräftig gebaut, bepackt mit Muskeln, aber Havarren war so schmächtig, dass er schon ausgezehrt wirkte. Dichtes blondes Haar reichte bis unter die vorstehenden Schulterblätter. Ein eitles, ja geckenhaftes Gebaren haftete diesem Havarren an: Er trug helle Rüschen und kniehohe Reiterstiefel, aus dem Leder eines Geschöpfes mit mehr Intelligenz und weniger Beinen als eine gewöhnliche Kuh gegerbt, außerdem eine perfekt sitzende Jacke und eine Hose, die zu Falchions ewigem Verdruss so eng saß, dass sie betonte, anstatt zu verbergen, was sich darunter befand. Und im Gegensatz zum General, an dessen Seite die schwere Klinge baumelte, der er seinen Namen verdankte, bestand Havarrens Bewaffnung nur aus einem kleinen Dolch, mit dem sich höchstens etwas gegen einen nervösen Räuber ausrichten ließ.
Andererseits ... Vigo Havarren konnte sich auf eine Weise schützen, die nichts mit scharfem Stahl zu tun hatte.
Ätzende Worte lagen auf Falchions Zunge, doch er presste die Lippen zusammen, als sich eine dritte Gestalt näherte und in die Mitte des Raums trat. Sie beobachtete beide Männer; ein unheilvolles gelbes Glühen ging von den beiden stecknadelkopfgroßen Punkten aus, die sich dort befanden, wo bei normalen Menschen die Augen saßen.
»General Falchion, Lord Havarren.« Die Stimme verriet nur einen sehr schwachen Akzent, und Falchion wusste nicht, ob Absicht dahintersteckte oder ob es das Ergebnis verwester Stimmbänder war. »Meine Herren, der Tod einer Ratte dürfte sich kaum auf einen meiner Zauber auswirken. Der Tod von zwei intelligenten Wesen hingegen könnte ihn verstärken. Soll ich es herausfinden ? Oder kann ich auf Euer Schweigen zählen?«
Havarren erbleichte. »Schweigen ist kein Problem.«
Falchion nickte nur.
»Gut.« Der Herr der Eisernen Burg ging - oder schwebte, hätte man meinen können - zur großen steinernen Plattform an der Nordwand des Raums. Der pelzbesetzte Saum seines Mantels, der ein wundervolles Mitternachtsblau gezeigt hatte, als er neu gewesen war, vor etwa vierhundert Jahren, strich wie flüsternd über die Steinplatten. Aus irgendeinem Grund konnte ihm der Schleim nichts anhaben.
Ein großer eiserner Kessel stand vor einem granitenen Altar, und darin blubberte eine grässliche Flüssigkeit, erhitzt ohne die Hilfe sichtbarer Flammen. Jungfrauenblut, Drachentränen, Spinnenatem, Geisteressenz, das Herz eines Neugeborenen und andere so seltene Reagenzien, dass Jahrhunderte der Suche notwendig gewesen waren, um sie zu beschaffen - das alles zischte und spritzte in dem großen Kessel, gelegentlich aufgewirbelt von den lebenden Tieren, die der hochgewachsene Zauberer hineinwarf.
»Havarren ?« Der Burgherr sah von dem Tisch auf, der eine weitere Mischung seltener und seltsamer Objekte präsentierte, darunter magische Werkzeuge und uralte Amulette. »Die Zeit?«
Der schmächtige Zauberer runzelte kurz die Stirn, als er sich konzentrierte. »Es ist fast so weit, Herr. Ihr könnt ... jetzt beginnen.«
Das erste der überaus kostbaren arkanen Objekte wurde in den Kessel geworfen. Sofort erglühte das ekelhafte Gebräu darin und füllte den unterirdischen Raum mit dem Licht der Mittagssonne. Falchion zuckte zusammen, nicht wegen der plötzlichen Helligkeit, sondern weil ihm das jähe Licht seinen Herrn in aller Deutlichkeit zeigte; Morthûl, der Leichenkönig von Kirol Syrreth.
Gewänder, einst von königlicher Qualität, jetzt zerrissen und hoffnungslos zerfleddert, umhüllten einen Körper, wie sich ihn ein normaler Mensch kaum vorstellen konnte. Bei jeder Bewegung des Dunklen Lords knirschte mumifizierte Haut wie altes Leder. Die linke Hälfte des Gesichts war von dieser Haut bedeckt und zu einem ewigen Grinsen erstarrt; die rechte zeigte nur nackte Knochen. Das schauderhafte gelbe Glühen kam vor allem aus den Augen, zeigte sich aber auch in der Nasenöffnung und zwischen König Morthûls Zähnen. Würmer und Maden, Käfer, Kakerlaken und noch weitaus abscheulichere Kreaturen krabbelten auf der Kleidung des Leichenkönigs, und auch auf seinem seit langer Zeit toten Fleisch. Sie krochen zwischen frei liegenden Knochen und Rippen, fielen gelegentlich wie in einer Parodie von Tränen aus den Augen höhlen. Rabenschwarze Locken, die unter einer fleckigen Silberkrone hervorragten, vervollständigten das Bild.
Falchion, General der Streitkräfte des Leichenkönigs, schauderte in diesem seltenen Moment der Selbstbesinnung, als der Plan, den der Leichenkönig seit Jahrhunderten verfolgte, hier und jetzt seine kritische Phase erreichte. Dies war der Mann - das Etwas -, dem er bei seinem Leben Treue geschworen hatte. Der Anblick genügte, selbst den widerstandsfähigsten Magen umzudrehen und auch die verdorbenste Seele zu veranlassen, sich vor Angst und Ekel wimmernd in eine dunkle Ecke zu ducken.
Aber Falchion war in erster Linie ein praktisch denkender Mann. Und wenn sich jemand anschickte, über die ganze bekannte Welt zu herrschen, so wollte er auf dessen Seite stehen, wie abscheulich und alt dieser Jemand auch sein mochte.
Morthûl versteifte sich plötzlich, als hätte ihn die Leichenstarre nach all den Jahren eingeholt. Dann erklang die Stimme des Dunklen Lords, in einer Mischung aus klangvollem Gesang und kehligem Heulen; er hob die Arme und ballte die Fäuste, die eine knöchern, die andere in ledrige Haut gehüllt. Sonderbare Energien knisterten rings um ihn, und eine blende Woge aus Licht, grün wie Galle, floss vom Kessel in den Leichenkönig und dann nach oben, verschwand durch die kalte Decke des Raums. Falchion stellte sich vor, wie das unheimliche Leuchten die Oberfläche erreichte und glühende Tentakel über den Kontinent schickte, auf der Suche nach bestimmten Zielen.
Havarren neigte den Kopf, und Falchion wusste, dass er ein eigenes Signal sendete und damit einen Teil des Rituals erfüllte, um den sich Morthûl nicht selbst kümmern konnte. Sofort reagierten Beauftragte von Kirol Syrreth, die im Osten und Süden der Verbündeten Königreiche gewartet hatten, und strömten auf die Straßen, um Gewalt zu säen. In einem Dutzend Städte überall im Land lauerten Menschen und Angehörige der Horden-Völker allen auf, die zu so später Stunde noch unterwegs waren. Innerhalb weniger Minuten gingen tausend Leben vorzeitig zu Ende: Junge und Alte, Reiche und Arme, Gute und Böse, sie alle starben einen plötzlichen Tod. Und jedes Leben, das in tiefer Nacht ausgelöscht wurde, stärkte den Zauber des Leichenkönigs und gab ihm mehr Kraft.
Über hundert Jahre lang hatte Morthûl Nachforschungen angestellt und Bücher gelesen, die noch vor seiner Geburt geschrieben worden waren, mit dem Ziel, die Magie zu lernen und zu beherrschen, die er nun anwandte. Noch einmal einige Jahrhunderte hatte er nach den notwendigen Objekten gesucht. Gesandte des Dunklen Lords hatten die ganze Welt durchkämmt, von Pol zu Pol, auf der Suche nach so seltenen Gegenständen, dass nicht einmal die größten Zauberer jener Zeit an ihre Existenz glaubten. Und schließlich, an diesem Abend, kam alles zusammen, in einigen wenigen Momenten - das größte Zauberwerk, das die Welt seit Generationen gesehen hatte.
Überall auf dem Kontinent erfuhren Könige und Königinnen, Kaiser, Fürsten und Päpste - alle, die herrschten oder eines Tages herrschen würden - solche Qualen, dass selbst die Götter voller Mitgefühl Grimassen geschnitten hätten. Der Zauber des Leichenkönigs strich über sie hinweg, benutzte ihre Körper als Tore, glitt durch den Strom der Zeit und bewirkte subtile Veränderungen, nicht bei den derzeitigen Königlichen, sondern bei ihren Vorfahren.
Morthûl sang noch immer, und seine Finger bewegten sich wie beim Zerreißen eines kostbaren Gewebes, als er damit begann, den Ereignissen längst vergangener Leben eine neue Form zu geben. Über Generationen hinweg säte er in den aufeinanderfolgenden Herrschern wachsende Loyalität, die dem Herrn von Kirol Syrreth galt. Es dauerte eine Weile: Die Manipulation jeder einzelnen Generation erforderte endlos scheinende Minuten. Doch wenn das Ritual schließlich zu Ende ging, kurz vor Morgengrauen, würde er die ganze Welt erobert haben, ohne dass eine einzige Seele protestierte, ohne dass sich ein einziges Schwert gegen ihn hob. Wenn er sich bis zu den aktuellen Herrschern vorgearbeitet hatte, würde ihre Treue, ihre Verehrung ihm gegenüber, absolut und unerschütterlich sein, das Ergebnis einer Loyalität, die über tausend Jahre in die Vergangenheit reichte.
Die letzte Seele der Getöteten löste sich in der vom Kessel ausgehenden Kra auf. Das letzte alte Objekt versank in seinen Tiefen, schmolz in der brodelnden Flüssigkeit, die über den Rand zu kochen und auf den Boden zu spritzen drohte.
Der kritische Moment war erreicht. Noch einige Sekunden, und der angerichtete Schaden war so groß, dass er nicht mehr repariert werden konnte; dann gab es kein Zurück mehr.
Falchion, Havarren und sogar der Leichenkönig zuckten zusammen, als es plötzlich krachte - eine eiserne Tür schmetterte gegen das Felsgestein einer Wand. Dem Krachen folgte das Geräusch von eiligen Schritten im Korridor. In die nicht erstarrte Hälfte von Morthûls Gesicht kam Bewegung.
Furcht. Zum ersten Mal sah Falchion Furcht im Gesicht des Dunklen Lords.
»Haltet sie auf!« Diese drei gezischten Worte waren eine große Anstrengung für Körper und Geist, denn Morthûl kanalisierte mehr pure Magie als jeder andere Zauberer vor ihm.
Ein metallisches Kratzen erreichte den Raum, und mit der Klinge in der Hand trat Falchion in den Korridor. Er nickte kurz, als Havarren neben ihm erschien; ihre Feindseligkeit war vorübergehend vergessen.
Doch die Entschlossenheit, die Falchion im Gesicht des Zauberers sah, verschwand schnell beim Anblick der näher kommenden Gestalten.
»Du ! Du bist tot!« Havarrens Stimme klang nicht mehr arro gant, sondern verblü und entsetzt. »Wie ...«
Die majestätische Gestalt lächelte, als sie Havarrens Fassungslosigkeit bemerkte. »Mein lieber Vigo, du hast doch nicht gedacht, dass ein kleiner Drache genügt, um mich in Verlegenheit zu bringen, wie?«
Sein Name lautete Ananias duMark: einer der größten Zauberer seiner Generation, geliebter Held der Verbündeten Königreiche und immerwährender Dorn in Morthûls Auge. Außerdem war er, wie Havarren wusste, ein Halbelf, obwohl Statur und Aussehen das Elfenblut in seinen Adern nicht verrieten. Er hatte ein markantes Kinn und erdbraunes Haar, trug ein schlichtes mahagonifarbenes Gewand und einen Stab aus eben solchem Holz, darin tausend kunstvoll geschnitzte Runen.
Einen Fluch auf den Lippen hob der schmächtige Diener des Dunklen Lords die Hände, und seine Finger begannen mit einem komplexen Tanz; sie flochten ein Gewebe aus Magie, das diesen Idioten endlich ins Jenseits schicken sollte.
Doch seine Finger bekamen keine Gelegenheit, ihren Tanz zu vervollständigen. Ein schrilles Kreischen, das ohrenbetäubend laut von den steinernen Wänden widerhallte, kam aus dem Korridor, und der erste Verbündete des Halbelfen sprang auf ihn zu, prallte gegen Havarrens Brust und riss ihn mit sich auf den schleimigen Boden.
Feuerrotes Haar fiel auf Havarrens Gesicht, und tierischer Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Das musste Lidia Lirimas sein, Späherin und Tierbändigerin. Er sammelte seine Kraft, stieß sie von sich und dachte dabei voller Spott an seinen Halbelf-Feind. Ließ er sich denn nie etwas Neues einfallen ? Er ging immer auf die gleiche Weise vor: Alle paar Jahre streifte duMark umher und stellte eine neue Gruppe von »Helden« zusammen, die er aus den Besten ihrer Generation auswählte. Die Sache war zu einem derartigen Klischee geworden, dass Havarren am liebsten laut gelacht hätte.
Das Lachen blieb ihm im Halse stecken, als sein Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, vereitelt wurde. Lirimas stieß einen zweiten Schrei aus, drehte sich auf dem linken Fußballen und stieß ihm die rechte Hacke ins Gesicht. Knochen gaben mit einem hässlichen Knirschen nach, und der Zauberer ging erneut zu Boden.
Triumph leuchtete in den hellblauen Augen der jungen Kriegerin, und sie hob ihr schleimbedecktes Schwert, um Havarren den Kopf abzuschlagen.
Es erwies sich jedoch als Fehler, dass sie so sehr auf Havarren konzentriert war ...
Falchion parierte die Hiebe eines weiteren Gefährten von duMark - eines kräftig gebauten, dunkelhäutigen Mannes mit zotteligem Kinnbart und einem Kopf so haarlos wie ein Ei - und brachte sich dabei zwischen die Frau und den am Boden liegenden Havarren. Die Versuchung war groß gewesen, stattdessen ein wenig zurückzuweichen, sich ganz dem eigenen Gegner zu widmen und das Schwert den Hals durchtrennen zu lassen. Aber er wusste, dass der Dunkle Lord Havarrens Rat schätzte und es ihn gestört hätte, wenn der arrogante Mistkerl ums Leben gekommen wäre.
Da seine Klinge derzeit beschäftigt war, holte er mit der ande ren Hand aus und rammte ihren Panzerhandschuh ins Gesicht der jungen Späherin. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, und Lidias Nase verschwand in einer breiigen Masse aus Knorpeln und zerrissenem Fleisch. Die Kriegerin sackte in sich zusammen - tot war sie nicht, nein, aber zweifellos außer Gefecht gesetzt.
Der Zauberer zog sich hoch und nickte Falchion einen widerwilligen Dank zu. Diese kleine Bewegung genügte, um neuen Schmerz durch seinen gebrochenen Kiefer zu schicken. Mit einem kehligen Knurren hob er die Hand und wischte sich Blut aus dem Mundwinkel. Und wenn jemand in dem Raum bemerkte, dass das Blut nicht das übliche Rot zeigte und schneller gerann als gewöhnliches Blut, so hielt er es für eine optische Täuschung, hervorgerufen vom tanzenden Licht.
Fast wäre es Havarren lieber gewesen, gestorben zu sein, als sein Leben jenem Narren zu verdanken! Auf keinen Fall durfte er es dabei belassen; er musste die Schuld so schnell wie möglich zurückzahlen.
Hm. Der Kahlköpfige, der eine lederne Hose und kaum mehr trug, brachte den General ziemlich in Bedrängnis. Seine geradezu unverschämt große Axt hatte es noch nicht durch Falchions Verteidigung geschafft, aber im Kettenhemd des Generals zeigten sich einige dünne Linien, und der dunkelhäutige Angreifer schien unermüdlich zu sein. Mit einer wie beiläufig wirkenden Geste beschwor Havarren mehrere schimmernde Kugeln, die von seinen Fingerkuppen sprangen und in einem Feuer leuchteten, das direkt aus der Hölle stammte. Es zischte, es roch nach verkohltem Fleisch, und der Kahlköpfige brach schreiend und mit verbranntem Rücken zusammen.
Falchion nahm sich nicht einmal die Zeit, das vorherige kurze Nicken des Zauberers zu erwidern. Nach einem kurzen Blick zur Seite hob er die Klinge, um den nächsten Angreifer abzuwehren.
Arroganter Sack, dachte Havarren. Ich hätte ihn sterben lassen sollen.
Plötzliche Anspannung erfasste den schmächtigen Mann. Ein weiterer Zauber lag auf seiner Zungenspitze, und an den Händen glühte das Licht dämonischer Magie. Er wirbelte herum und suchte nach dem Gesicht des Mannes, mit dem alles begonnen hatte.
Zu spät. Der Halbelf hatte die Nordwand erreicht - irgendwie war es ihm gelungen, den verschiedenen Kämpfern auszuweichen. Und nun stand er direkt vor dem Dunklen Lord, nur eine Armeslänge von ihm entfernt.
...
Übersetzung: Andreas Brandhorst
© Piper Verlag GmbH, München 2012
Der flackernde Fackelschein, kaum mehr als ein wenig Glut an Bündeln aus verfaulendem Holz, gab nicht länger vor, die Dunkelheit zurückzudrängen. Das schwache Licht überzeugte den Beobachter nur davon, dass zahlreiche Schrecken in der unterirdischen Nacht lauerten.
Ein Irrtum war das keineswegs, denn es lauerten tatsächlich zahlreiche Schrecken in der Finsternis. Doch hier, tief im Fels unter der Eisernen Burg, war das Schreckliche gewöhnlich und das Entsetzliche normal.
Die Steinplatten glänzten matt im Glühen der Fackeln, was sie einer Schicht aus lumineszierendem Schleim verdankten, die sich in vielen Jahren gebildet hatte - selbst den mächtigsten Magiern des Burgherrn war es nicht gelungen, diese grässliche Substanz zu entfernen. Das langsame, gleichmäßige Pochen näher kommender Schritte ging einher mit ekelerregenden schmatzenden Geräuschen, verursacht vom Schleim unter schweren Stiefeln.
Den Männern und Monstren unter seinem Befehl war er nur als Falchion bekannt. Eisblaue leere Augen blickten durch die schmalen Schlitze eines Topfhelms aus schmutzigem Stahl. Der Helm neigte sich zur Seite - vielleicht aus Abscheu ? -, als sein Träger eine große braune Ratte sah, völlig verdreckt von Schleim und anderen, noch grässlicheren Substanzen, die an den Mauersteinen neben Falchion klebten. Ein Panzerhandschuh kam nach vorn, und das Kratzen von Eisen über Stein übertönte fast das kurze Quieken. Die tote Ratte fiel zu Boden, von dem Mann, der ihr das Leben genommen hatte, bereits vergessen, als er den Weg ruhig zum nächsten Raum fortsetzte.
»Wie nachlässig, Falchion. Plump und nachlässig.« Die nasale, wehleidige Stimme schien nicht viel mehr als Arroganz und Verachtung zum Ausdruck bringen zu können. »Bist du wirklich so dämlich, dass du noch immer nicht begriffen hast, wie empfindlich so ein Zauber sein kann ? Es wäre durchaus möglich, dass der Tod dieser Ratte sein empfindliches Gleichgewicht gestört hat und ... «
»Leck mich, Havarren.« Falchion stand locker in der einen Ecke und verschränkte die Arme, wobei es leise rasselte. Der Blick seiner kalten blauen Augen glitt nach unten übers rostige Kettenhemd, das ihn von den Schultern bis zu den Hüften bedeckte. Eine Braue bewegte sich und kam ein wenig nach oben, als bemerkte er erst jetzt, dass er ein solches Hemd trug.
»Lecken soll ich dich ? Nein, lieber nicht.« Der zweite Mann beugte sich vor, wodurch sein Gesicht ins schwache Fackellicht geriet.
Falchion knurrte hinter seinem Visier, ein tief in ihm verankerter Reflex, ausgelöst allein von Havarrens Präsenz. Er selbst war kräftig gebaut, bepackt mit Muskeln, aber Havarren war so schmächtig, dass er schon ausgezehrt wirkte. Dichtes blondes Haar reichte bis unter die vorstehenden Schulterblätter. Ein eitles, ja geckenhaftes Gebaren haftete diesem Havarren an: Er trug helle Rüschen und kniehohe Reiterstiefel, aus dem Leder eines Geschöpfes mit mehr Intelligenz und weniger Beinen als eine gewöhnliche Kuh gegerbt, außerdem eine perfekt sitzende Jacke und eine Hose, die zu Falchions ewigem Verdruss so eng saß, dass sie betonte, anstatt zu verbergen, was sich darunter befand. Und im Gegensatz zum General, an dessen Seite die schwere Klinge baumelte, der er seinen Namen verdankte, bestand Havarrens Bewaffnung nur aus einem kleinen Dolch, mit dem sich höchstens etwas gegen einen nervösen Räuber ausrichten ließ.
Andererseits ... Vigo Havarren konnte sich auf eine Weise schützen, die nichts mit scharfem Stahl zu tun hatte.
Ätzende Worte lagen auf Falchions Zunge, doch er presste die Lippen zusammen, als sich eine dritte Gestalt näherte und in die Mitte des Raums trat. Sie beobachtete beide Männer; ein unheilvolles gelbes Glühen ging von den beiden stecknadelkopfgroßen Punkten aus, die sich dort befanden, wo bei normalen Menschen die Augen saßen.
»General Falchion, Lord Havarren.« Die Stimme verriet nur einen sehr schwachen Akzent, und Falchion wusste nicht, ob Absicht dahintersteckte oder ob es das Ergebnis verwester Stimmbänder war. »Meine Herren, der Tod einer Ratte dürfte sich kaum auf einen meiner Zauber auswirken. Der Tod von zwei intelligenten Wesen hingegen könnte ihn verstärken. Soll ich es herausfinden ? Oder kann ich auf Euer Schweigen zählen?«
Havarren erbleichte. »Schweigen ist kein Problem.«
Falchion nickte nur.
»Gut.« Der Herr der Eisernen Burg ging - oder schwebte, hätte man meinen können - zur großen steinernen Plattform an der Nordwand des Raums. Der pelzbesetzte Saum seines Mantels, der ein wundervolles Mitternachtsblau gezeigt hatte, als er neu gewesen war, vor etwa vierhundert Jahren, strich wie flüsternd über die Steinplatten. Aus irgendeinem Grund konnte ihm der Schleim nichts anhaben.
Ein großer eiserner Kessel stand vor einem granitenen Altar, und darin blubberte eine grässliche Flüssigkeit, erhitzt ohne die Hilfe sichtbarer Flammen. Jungfrauenblut, Drachentränen, Spinnenatem, Geisteressenz, das Herz eines Neugeborenen und andere so seltene Reagenzien, dass Jahrhunderte der Suche notwendig gewesen waren, um sie zu beschaffen - das alles zischte und spritzte in dem großen Kessel, gelegentlich aufgewirbelt von den lebenden Tieren, die der hochgewachsene Zauberer hineinwarf.
»Havarren ?« Der Burgherr sah von dem Tisch auf, der eine weitere Mischung seltener und seltsamer Objekte präsentierte, darunter magische Werkzeuge und uralte Amulette. »Die Zeit?«
Der schmächtige Zauberer runzelte kurz die Stirn, als er sich konzentrierte. »Es ist fast so weit, Herr. Ihr könnt ... jetzt beginnen.«
Das erste der überaus kostbaren arkanen Objekte wurde in den Kessel geworfen. Sofort erglühte das ekelhafte Gebräu darin und füllte den unterirdischen Raum mit dem Licht der Mittagssonne. Falchion zuckte zusammen, nicht wegen der plötzlichen Helligkeit, sondern weil ihm das jähe Licht seinen Herrn in aller Deutlichkeit zeigte; Morthûl, der Leichenkönig von Kirol Syrreth.
Gewänder, einst von königlicher Qualität, jetzt zerrissen und hoffnungslos zerfleddert, umhüllten einen Körper, wie sich ihn ein normaler Mensch kaum vorstellen konnte. Bei jeder Bewegung des Dunklen Lords knirschte mumifizierte Haut wie altes Leder. Die linke Hälfte des Gesichts war von dieser Haut bedeckt und zu einem ewigen Grinsen erstarrt; die rechte zeigte nur nackte Knochen. Das schauderhafte gelbe Glühen kam vor allem aus den Augen, zeigte sich aber auch in der Nasenöffnung und zwischen König Morthûls Zähnen. Würmer und Maden, Käfer, Kakerlaken und noch weitaus abscheulichere Kreaturen krabbelten auf der Kleidung des Leichenkönigs, und auch auf seinem seit langer Zeit toten Fleisch. Sie krochen zwischen frei liegenden Knochen und Rippen, fielen gelegentlich wie in einer Parodie von Tränen aus den Augen höhlen. Rabenschwarze Locken, die unter einer fleckigen Silberkrone hervorragten, vervollständigten das Bild.
Falchion, General der Streitkräfte des Leichenkönigs, schauderte in diesem seltenen Moment der Selbstbesinnung, als der Plan, den der Leichenkönig seit Jahrhunderten verfolgte, hier und jetzt seine kritische Phase erreichte. Dies war der Mann - das Etwas -, dem er bei seinem Leben Treue geschworen hatte. Der Anblick genügte, selbst den widerstandsfähigsten Magen umzudrehen und auch die verdorbenste Seele zu veranlassen, sich vor Angst und Ekel wimmernd in eine dunkle Ecke zu ducken.
Aber Falchion war in erster Linie ein praktisch denkender Mann. Und wenn sich jemand anschickte, über die ganze bekannte Welt zu herrschen, so wollte er auf dessen Seite stehen, wie abscheulich und alt dieser Jemand auch sein mochte.
Morthûl versteifte sich plötzlich, als hätte ihn die Leichenstarre nach all den Jahren eingeholt. Dann erklang die Stimme des Dunklen Lords, in einer Mischung aus klangvollem Gesang und kehligem Heulen; er hob die Arme und ballte die Fäuste, die eine knöchern, die andere in ledrige Haut gehüllt. Sonderbare Energien knisterten rings um ihn, und eine blende Woge aus Licht, grün wie Galle, floss vom Kessel in den Leichenkönig und dann nach oben, verschwand durch die kalte Decke des Raums. Falchion stellte sich vor, wie das unheimliche Leuchten die Oberfläche erreichte und glühende Tentakel über den Kontinent schickte, auf der Suche nach bestimmten Zielen.
Havarren neigte den Kopf, und Falchion wusste, dass er ein eigenes Signal sendete und damit einen Teil des Rituals erfüllte, um den sich Morthûl nicht selbst kümmern konnte. Sofort reagierten Beauftragte von Kirol Syrreth, die im Osten und Süden der Verbündeten Königreiche gewartet hatten, und strömten auf die Straßen, um Gewalt zu säen. In einem Dutzend Städte überall im Land lauerten Menschen und Angehörige der Horden-Völker allen auf, die zu so später Stunde noch unterwegs waren. Innerhalb weniger Minuten gingen tausend Leben vorzeitig zu Ende: Junge und Alte, Reiche und Arme, Gute und Böse, sie alle starben einen plötzlichen Tod. Und jedes Leben, das in tiefer Nacht ausgelöscht wurde, stärkte den Zauber des Leichenkönigs und gab ihm mehr Kraft.
Über hundert Jahre lang hatte Morthûl Nachforschungen angestellt und Bücher gelesen, die noch vor seiner Geburt geschrieben worden waren, mit dem Ziel, die Magie zu lernen und zu beherrschen, die er nun anwandte. Noch einmal einige Jahrhunderte hatte er nach den notwendigen Objekten gesucht. Gesandte des Dunklen Lords hatten die ganze Welt durchkämmt, von Pol zu Pol, auf der Suche nach so seltenen Gegenständen, dass nicht einmal die größten Zauberer jener Zeit an ihre Existenz glaubten. Und schließlich, an diesem Abend, kam alles zusammen, in einigen wenigen Momenten - das größte Zauberwerk, das die Welt seit Generationen gesehen hatte.
Überall auf dem Kontinent erfuhren Könige und Königinnen, Kaiser, Fürsten und Päpste - alle, die herrschten oder eines Tages herrschen würden - solche Qualen, dass selbst die Götter voller Mitgefühl Grimassen geschnitten hätten. Der Zauber des Leichenkönigs strich über sie hinweg, benutzte ihre Körper als Tore, glitt durch den Strom der Zeit und bewirkte subtile Veränderungen, nicht bei den derzeitigen Königlichen, sondern bei ihren Vorfahren.
Morthûl sang noch immer, und seine Finger bewegten sich wie beim Zerreißen eines kostbaren Gewebes, als er damit begann, den Ereignissen längst vergangener Leben eine neue Form zu geben. Über Generationen hinweg säte er in den aufeinanderfolgenden Herrschern wachsende Loyalität, die dem Herrn von Kirol Syrreth galt. Es dauerte eine Weile: Die Manipulation jeder einzelnen Generation erforderte endlos scheinende Minuten. Doch wenn das Ritual schließlich zu Ende ging, kurz vor Morgengrauen, würde er die ganze Welt erobert haben, ohne dass eine einzige Seele protestierte, ohne dass sich ein einziges Schwert gegen ihn hob. Wenn er sich bis zu den aktuellen Herrschern vorgearbeitet hatte, würde ihre Treue, ihre Verehrung ihm gegenüber, absolut und unerschütterlich sein, das Ergebnis einer Loyalität, die über tausend Jahre in die Vergangenheit reichte.
Die letzte Seele der Getöteten löste sich in der vom Kessel ausgehenden Kra auf. Das letzte alte Objekt versank in seinen Tiefen, schmolz in der brodelnden Flüssigkeit, die über den Rand zu kochen und auf den Boden zu spritzen drohte.
Der kritische Moment war erreicht. Noch einige Sekunden, und der angerichtete Schaden war so groß, dass er nicht mehr repariert werden konnte; dann gab es kein Zurück mehr.
Falchion, Havarren und sogar der Leichenkönig zuckten zusammen, als es plötzlich krachte - eine eiserne Tür schmetterte gegen das Felsgestein einer Wand. Dem Krachen folgte das Geräusch von eiligen Schritten im Korridor. In die nicht erstarrte Hälfte von Morthûls Gesicht kam Bewegung.
Furcht. Zum ersten Mal sah Falchion Furcht im Gesicht des Dunklen Lords.
»Haltet sie auf!« Diese drei gezischten Worte waren eine große Anstrengung für Körper und Geist, denn Morthûl kanalisierte mehr pure Magie als jeder andere Zauberer vor ihm.
Ein metallisches Kratzen erreichte den Raum, und mit der Klinge in der Hand trat Falchion in den Korridor. Er nickte kurz, als Havarren neben ihm erschien; ihre Feindseligkeit war vorübergehend vergessen.
Doch die Entschlossenheit, die Falchion im Gesicht des Zauberers sah, verschwand schnell beim Anblick der näher kommenden Gestalten.
»Du ! Du bist tot!« Havarrens Stimme klang nicht mehr arro gant, sondern verblü und entsetzt. »Wie ...«
Die majestätische Gestalt lächelte, als sie Havarrens Fassungslosigkeit bemerkte. »Mein lieber Vigo, du hast doch nicht gedacht, dass ein kleiner Drache genügt, um mich in Verlegenheit zu bringen, wie?«
Sein Name lautete Ananias duMark: einer der größten Zauberer seiner Generation, geliebter Held der Verbündeten Königreiche und immerwährender Dorn in Morthûls Auge. Außerdem war er, wie Havarren wusste, ein Halbelf, obwohl Statur und Aussehen das Elfenblut in seinen Adern nicht verrieten. Er hatte ein markantes Kinn und erdbraunes Haar, trug ein schlichtes mahagonifarbenes Gewand und einen Stab aus eben solchem Holz, darin tausend kunstvoll geschnitzte Runen.
Einen Fluch auf den Lippen hob der schmächtige Diener des Dunklen Lords die Hände, und seine Finger begannen mit einem komplexen Tanz; sie flochten ein Gewebe aus Magie, das diesen Idioten endlich ins Jenseits schicken sollte.
Doch seine Finger bekamen keine Gelegenheit, ihren Tanz zu vervollständigen. Ein schrilles Kreischen, das ohrenbetäubend laut von den steinernen Wänden widerhallte, kam aus dem Korridor, und der erste Verbündete des Halbelfen sprang auf ihn zu, prallte gegen Havarrens Brust und riss ihn mit sich auf den schleimigen Boden.
Feuerrotes Haar fiel auf Havarrens Gesicht, und tierischer Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Das musste Lidia Lirimas sein, Späherin und Tierbändigerin. Er sammelte seine Kraft, stieß sie von sich und dachte dabei voller Spott an seinen Halbelf-Feind. Ließ er sich denn nie etwas Neues einfallen ? Er ging immer auf die gleiche Weise vor: Alle paar Jahre streifte duMark umher und stellte eine neue Gruppe von »Helden« zusammen, die er aus den Besten ihrer Generation auswählte. Die Sache war zu einem derartigen Klischee geworden, dass Havarren am liebsten laut gelacht hätte.
Das Lachen blieb ihm im Halse stecken, als sein Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, vereitelt wurde. Lirimas stieß einen zweiten Schrei aus, drehte sich auf dem linken Fußballen und stieß ihm die rechte Hacke ins Gesicht. Knochen gaben mit einem hässlichen Knirschen nach, und der Zauberer ging erneut zu Boden.
Triumph leuchtete in den hellblauen Augen der jungen Kriegerin, und sie hob ihr schleimbedecktes Schwert, um Havarren den Kopf abzuschlagen.
Es erwies sich jedoch als Fehler, dass sie so sehr auf Havarren konzentriert war ...
Falchion parierte die Hiebe eines weiteren Gefährten von duMark - eines kräftig gebauten, dunkelhäutigen Mannes mit zotteligem Kinnbart und einem Kopf so haarlos wie ein Ei - und brachte sich dabei zwischen die Frau und den am Boden liegenden Havarren. Die Versuchung war groß gewesen, stattdessen ein wenig zurückzuweichen, sich ganz dem eigenen Gegner zu widmen und das Schwert den Hals durchtrennen zu lassen. Aber er wusste, dass der Dunkle Lord Havarrens Rat schätzte und es ihn gestört hätte, wenn der arrogante Mistkerl ums Leben gekommen wäre.
Da seine Klinge derzeit beschäftigt war, holte er mit der ande ren Hand aus und rammte ihren Panzerhandschuh ins Gesicht der jungen Späherin. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, und Lidias Nase verschwand in einer breiigen Masse aus Knorpeln und zerrissenem Fleisch. Die Kriegerin sackte in sich zusammen - tot war sie nicht, nein, aber zweifellos außer Gefecht gesetzt.
Der Zauberer zog sich hoch und nickte Falchion einen widerwilligen Dank zu. Diese kleine Bewegung genügte, um neuen Schmerz durch seinen gebrochenen Kiefer zu schicken. Mit einem kehligen Knurren hob er die Hand und wischte sich Blut aus dem Mundwinkel. Und wenn jemand in dem Raum bemerkte, dass das Blut nicht das übliche Rot zeigte und schneller gerann als gewöhnliches Blut, so hielt er es für eine optische Täuschung, hervorgerufen vom tanzenden Licht.
Fast wäre es Havarren lieber gewesen, gestorben zu sein, als sein Leben jenem Narren zu verdanken! Auf keinen Fall durfte er es dabei belassen; er musste die Schuld so schnell wie möglich zurückzahlen.
Hm. Der Kahlköpfige, der eine lederne Hose und kaum mehr trug, brachte den General ziemlich in Bedrängnis. Seine geradezu unverschämt große Axt hatte es noch nicht durch Falchions Verteidigung geschafft, aber im Kettenhemd des Generals zeigten sich einige dünne Linien, und der dunkelhäutige Angreifer schien unermüdlich zu sein. Mit einer wie beiläufig wirkenden Geste beschwor Havarren mehrere schimmernde Kugeln, die von seinen Fingerkuppen sprangen und in einem Feuer leuchteten, das direkt aus der Hölle stammte. Es zischte, es roch nach verkohltem Fleisch, und der Kahlköpfige brach schreiend und mit verbranntem Rücken zusammen.
Falchion nahm sich nicht einmal die Zeit, das vorherige kurze Nicken des Zauberers zu erwidern. Nach einem kurzen Blick zur Seite hob er die Klinge, um den nächsten Angreifer abzuwehren.
Arroganter Sack, dachte Havarren. Ich hätte ihn sterben lassen sollen.
Plötzliche Anspannung erfasste den schmächtigen Mann. Ein weiterer Zauber lag auf seiner Zungenspitze, und an den Händen glühte das Licht dämonischer Magie. Er wirbelte herum und suchte nach dem Gesicht des Mannes, mit dem alles begonnen hatte.
Zu spät. Der Halbelf hatte die Nordwand erreicht - irgendwie war es ihm gelungen, den verschiedenen Kämpfern auszuweichen. Und nun stand er direkt vor dem Dunklen Lord, nur eine Armeslänge von ihm entfernt.
...
Übersetzung: Andreas Brandhorst
© Piper Verlag GmbH, München 2012
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Autoren-Porträt von Ari Marmell
Ari Marmell, geboren 1974, ist Rollenspiel-Experte. Bereits mit neun Jahren spielte er "Dungeons and Dragons", und erst auf dem College beschäftigte er sich wieder mit der realen Welt. Dort besuchte er Kurse für "Kreatives Schreiben" und arbeitet seitdem als erfolgreicher Fantasy-Autor. Zusammen mit seiner Frau lebt Marmell in Austin, Texas.Andreas Brandhorst, 1956 im norddeutschen Sielhorst geboren, schrieb bereits in jungen Jahren phantastische Erzählungen für deutsche Verlage. Andreas Brandhorst lebt als freier Autor und Übersetzer in Norditalien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ari Marmell
- 2012, 635 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Brandhorst, Andreas
- Übersetzer: Andreas Brandhorst
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492702562
- ISBN-13: 9783492702560
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