Die Küchen-Göttinnen
Roman. Deutsche Erstausgabe
Auch nach langen Ehejahren liebt Trudy Marino ihren Mann noch immer. Doch als er sie betrügt, setzt sie ihn vor die Tür. Zum Glück hat Trudy ihre Freundinnen, mit denen sie mehr teilt als Klatsch und Tratsch, als Zitronenkuchen und Kosmetiktipps: Sie...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
8.50 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Küchen-Göttinnen “
Klappentext zu „Die Küchen-Göttinnen “
Auch nach langen Ehejahren liebt Trudy Marino ihren Mann noch immer. Doch als er sie betrügt, setzt sie ihn vor die Tür. Zum Glück hat Trudy ihre Freundinnen, mit denen sie mehr teilt als Klatsch und Tratsch, als Zitronenkuchen und Kosmetiktipps: Sie unterstützen Trudy, als der schüchterne Fotograf Angel in die Straße zieht und Trudy mit Witz und Schwung ihr Leben wieder in die Hand nimmt: Sie bittet Angel, sie einmal so richtig sexy zu fotografieren ...
Lese-Probe zu „Die Küchen-Göttinnen “
PrologTRUDY
Als ich Lucille zum ersten Mal sehe, liege ich in meinem Bett. Allein. Mein frisch gebrochener Arm wird von einem Kissen gest tzt. Es ist sehr sp t, kurz vor Tagesanbruch. Mein Gesicht ist ganz hei vom Weinen ber meinen Verlust und vom Vicodin, das mir auf der Unfallstation verabreicht wurde. Die Medikamente helfen nicht sonderlich gegen den Schmerz in meinem rechten Arm, der bis zum Ellbogen im Gipsverband steckt. Er ist rot. Der Gipsverband, meine ich. Der Arm wahrscheinlich ebenso, der sich anf hlt, als w rden Kojoten darauf herumkauen.
Auch die Welt kommt mir rot vor - jedenfalls die Umrisse.
Als ich die Augen aufschlage, sitzt Lucille auf dem Stuhl, ber den Rick normalerweise seine Klamotten wirft. Sie sieht noch genauso aus wie fr her. Das sollte mir zu denken geben, doch in meinem jetzigen Zustand erscheint mir sowieso nichts real, daher blinzele ich sie nur an.
Ich hab sie f nfundzwanzig Jahre nicht gesehen. Sie tr gt ein Umh ngetuch, das ihr ein Matador geschenkt hat, rot mit schwarzen Seidenfransen, an denen sie herumspielt. An ihren braun gebrannten Armen h ngen schwere silberne Armreifen, und sie schl rft einen Cocktail. Das ist so am sant, dass ich l cheln muss. Lucille hatte von jeher was brig f r Cocktails. Meine Mutter hielt sie f r eine Trinkerin, aber das stimmt nicht. Ich wusste schon damals, dass meine Mutter blo Angst vor Lucille hatte. Angst vor ihrer Sexualit t, Angst vor ihrem Mut, Angst vor dem Frauentyp, den sie darstellte. Angst, dass all das wie verdorbenes Wasser aus ihrem Haus heraussickern k nnte und die gesamte Nachbarschaft vergiften w rde.
Meine Mutter und ihre Freundinnen, im Grunde alle Frauen aus unserer Stra e, l sterten ber Lucilles Kleider (hauchd nne Gazeblusen, durch die man ihre tief ausgeschnittenen BHs sehen konnte), ber ihre gepflegte Frisur und dar ber, dass sie an Sommertagen ihren blo en R cken zur Schau stellte, vom Nacken bis zur Taille. Sie erkl rte mir einmal, der R cken sei die
... mehr
Geheimwaffe der Frau, da er nicht altere wie andere K rperteile.
Die M nner fanden stets einen Grund, bei ihr im Garten vorbeizuschauen, w hrend sie sich ihren Blumen widmete, den Blumen, die sie dem harten W stenboden entlockte wie zauberhafte T chter. Mohnblumen so gro wie Sombreros, die verf hrerisch mit langen schwarzen Staubgef en aus ihrem seidigen Inneren winkten, Rosen in unglaublichen Farben und Tausende von Kosmeen.
Die M nner schauten vorbei, um ihren R cken zu bewundern, ihre starken braunen Arme und die herauslugenden Spitzen-BHs.
Doch vor allem schauten sie vorbei, um ihr unb ndiges, kehliges Mohnlachen zu h ren. Um von ihr bewundert zu werden und sich an ihrer Fr hlichkeit zu laben.
Sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie in unsere Gegend zog.
F nfundzwanzig Jahre ist das jetzt her, und nun sitzt sie an meinem Fu ende, nicht etwa als Gespenst, sondern genauso reell wie die Katze, die an meiner H fte schnurrt. Als sie schweigt, schlucke ich und kr chze mit wunder Kehle:"Was machst du hier?"
"Zeit, es zur ckzuerobern, Kleine."
"Was denn?"
"Dein Leben."
Oktober
HECATE
Mit Hecate ist die G ttinnen-Triade aus dem M dchen (Persephone), der Mutter (Demeter) und der Weisen (Hecate) vollst ndig. Sie wechselt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, lebt jedoch in keiner. Sie tr gt eine brennende Fackel, damit sie einen Blick werfen kann, wohin andere nicht blicken k nnen: in die menschliche Psyche. Sie wird von ihrem Hund (oder Pferd), ihren heiligen Tieren, begleitet und bietet in Zeiten der Gefahr ihren magischen Schutz.
Wenn Sie ein ungutes Gef hl haben, stehen Sie wom glich am Scheideweg und wissen nicht, welche Richtung Sie einschlagen sollen. Seien Sie sicher, dass Hecate mit ihrer Fackel an Ihrer Seite ist und Ihnen den Weg weist.
www.goddess.com.au
1
ROBERTA
Sonntag, 25. Oktober 20 -
Liebe Harriet,
meine H nde sind so zittrig wie die Bl tter an den B umen. Hoffentlich kannst du das lesen. Ich finde es furchtbar, dass ich eine Altfrauenhandschrift habe. Andererseits ist es nur logisch, nicht? Wie sind wir blo so alt geworden?
Es ist Sonntag, und ich war nicht in der Kirche. Hab den ganzen Vormittag bei meinem Edgar gesessen und versucht, gen gend Mut aufzubringen, ihn gehen zu lassen. Ich hab alle weggeschickt - die Gemeindemitglieder, die mir Gr ngem se und Eintopf vorbeigebracht und mein Geschirr gesp lt haben, w hrend ich bei ihm sitze. Sogar die Kinder hab ich weggeschickt. Sie k nnen alle sp ter wiederkommen, wenn ich getan habe, was ich tun muss.
Schwesterherz, ich war den ganzen Vormittag hier und bringe es nicht ber die Lippen. Geh ruhig, Edgar, ich komme schon zurecht. Er wartet nur darauf, denn als er ins Koma gefallen ist, hab ich seine Hand gepackt und ihn angefleht, mich nicht zu verlassen.
Er ist so ein guter Mann, er h lt durch. Da, jetzt wein ich schon wieder.
Zweiundsechzig Jahre hab ich seine Hand gehalten. Heute Vormittag hielt ich sie und dachte an den Morgen, als er zum ersten Mal an unsere Hintert r kam und um ein Glas Wasser bat. Wei t du noch? Er hatte das Gl ck nicht gepachtet, aber er war sehr stolz. Er sah wahnsinnig gut aus im Sonnenschein mit seinem Charakterkopf und der kr ftigen Nase. Mein Herz hat einen Satz gemacht, dabei war ich erst f nfzehn. Von dem Tag an brauchte ich keinen anderen mehr.
An all das hab ich heute Vormittag gedacht. Ich hab mich gefragt, wie alles gekommen w re, wenn wir bei euch in Mississippi geblieben w ren. Was er damals in Italien wohl gesehen hat, dass er sein Leben lang nicht dar ber sprechen konnte. Und ob wir auch so ein gutes Leben gehabt h tten, wenn wir nicht gen Westen nach Pueblo gezogen w ren, wo wir so zufrieden gelebt haben. "Heimat der Helden." Wusstest du, dass es jetzt so hei t? Passend. Edgar hat zwar seine ganzen Orden weggepackt, aber er war stolz, als s mtliche Tr ger der Medal of Honor hierher kamen. An jenem Morgen zog er seinen besten Anzug an und ging hin, um ihnen zuzuh ren, alle vier alte M nner wie er. Ich bin nat rlich mitgegangen, aber ich hab nicht geh rt, was er h rte. Ich hab ihn mal gefragt, ob es wirklich so schlimm war, doch er lie nur den Kopf h ngen und sagte: Schlimmer.
Also hab ich's darauf beruhen lassen.
Dabei ist er nicht perfekt gewesen, keineswegs. Er war zu streng zu den Kindern, wurde mit dem Alter immer kleinlicher, und alles musste nach seinem Kopf gehen. Wir hatten ebenso schwere Zeiten, da h tte ich ihm am liebsten eins mit dem Hackbeil bergezogen. Ein- oder zweimal hat er mir sehr wehgetan, niemals jedoch absichtlich.
Aber daran denk ich jetzt nicht. Ich denke daran, wie unb ndig wir lachen konnten, so sehr, dass Edgars Atem zu pfeifen anfing. Ich denke daran, wie ich jeden Morgen, den Gott werden lie , neben ihm aufwachte. Wie ich ihm zuh rte, wenn er fr hlich pfeifend an einem kaputten Fernseher herumbastelte, den er wie durch Zauberei wieder zum Laufen brachte.
Herr, gib mir Kraft. Ich muss ihn gehen lassen. Er schwindet vor meinen Augen dahin. Aber glaub mir, Schwesterherz, ich gehe ebenfalls bald. Ich habe den Herrn gebeten, mich zu sich zu holen. Ihr wisst alle, dass ich euch lieb habe, doch du, Schwesterherz, wei t auch, dass mein Leben ohne ihn nichts wert ist.
Deine Schwester Berta
2
TRUDY
Als Edgar stirbt, bin ich nebenan in meinem Haus und lese mit zugehaltenen Ohren Lorca, damit ich den Wind nicht h re. Nur wenn ich umbl ttern muss, h re ich Robertas Weinen, ein durchdringendes Wimmern, das man nur als Totenklage bezeichnen kann.
Den ganzen langen Tag hab ich darauf gewartet. Da ich hier sein wollte, wenn es so weit ist, bin ich nicht ins Kino oder ins Einkaufszentrum gegangen, um mich von meinen eigenen Problemen abzulenken. Robertas Enkelin, Jade, ist von Kalifornien nach Pueblo unterwegs, aber sie ist noch nicht hier, und sonst hat Roberta alle weggeschickt. Wenn es so weit ist, braucht sie jemanden. Deshalb hab ich gewartet. Ich hab versucht, mich warm zu halten (ich trage ein T-Shirt, einen Baumwollpullover und einen Pulli aus Wolle, zwei Paar Socken und eine Jeans), aber mir ist trotzdem kalt. Es ist, als w re Rick meine Heizung, und ohne ihn verwandle ich mich in einen Eiszapfen.
Und der Wind macht mich wahnsinnig.
Die Leute erz hlen mir oft, wie sehr sie den Wind lieben. Ich sitze mit aufgesperrtem Mund da, wenn Freunde von sonst woher - denn sie kommen immer von woanders - berschw nglich von den Winden schw rmen, die sie kennen; dabei wei ich genau, dass sie ein v llig anderes Wesen im Sinn haben: eine gr ne G ttin, die ihre Schleier ber den Strand oder durch den Wald zieht. Sie lieben einen Wind, der mit Feuchtigkeit und Sch nheit einhergeht.
Unsere Winde in Pueblo dagegen sind wie die Inquisition. Winde, die wissen, dass das Geheimnis der Folter darin besteht, voller Willk r zu beginnen und zu enden, zugleich unbest ndig und best ndig zu sein, und abwechselnd zu br llen und zu fl stern. Endlos.
Dieses Jahr ist der Wind sogar noch schlimmer als sonst. Jeden Morgen nimmt er an Kraft zu, weht st rmisch und h lt inne. Bl st und legt sich wieder. Den ganzen Tag schl gt er an die Fenster, tost ums Auto, sch ttelt die B ume und rei t an den Str uchern. Kartons, herangeweht von sonst woher, rutschen ber die Stra e. berall liegt Staub. Die statische Aufladung kann einen umhauen. Ich h re lautstark Musik, um den Wind zu bert nen, und lege mir nachts ein Kissen ber den Kopf.
Aber heute nicht. Ich muss auf Roberta horchen.
Zum Lunch gie e ich eine Dose H hnersuppe mit Sternchennudeln in einen Topf und stelle den Teekessel auf. Ich sitze zusammengekauert am Herd, die H nde unter die Achseln geklemmt. Der Tee ist mittelm ig, die Suppe die letzte B chse vom Bord. Ich hatte Gl ck, berhaupt etwas Essbares zu finden, weil ich st ndig vergesse, ins Lebensmittelgesch ft zu gehen. Jetzt, wo ich Hunger auf etwas Besseres habe, als die Schr nke hergeben, sehe ich mich nach meiner Einkaufsliste um, damit ich gute Teebeutel draufschreiben kann, aber sie ist verloren gegangen. Schon wieder. In letzter Zeit habe ich keinen Plan mehr.
Fr her habe ich wenigstens zwei Stunden pro Woche mit der Essensplanung und dem Einkauf f r meine f nfk pfige Bande verbracht. Jetzt sind wir nur noch ich und meine siebzehnj hrige Tochter Annie, die aber meist in der Schule isst oder in dem Restaurant, wo sie jobbt, oder bei Travis, ihrem Freund. Solange ich Milch, Cornflakes und Tiefk hlpizza da habe, ist sie versorgt.
Ich vergesse immer, dass es mir gut tut, f r mich selbst zu kochen. Keinem schmeckte je dasselbe wie mir: meine vegetarischen Gerichte und exotischen Suppen. Zeit, an mich zu denken. Auf meiner Liste notiere ich: Knoblauch, marinierte Paprikastreifen, Zitronensaft, Paprikaschoten. Tiefk hl-Quiches. Cheddar (den guten), Triscuit-Cracker.
Die kleinen Tunfischdosen, von denen ich mich in letzter Zeit haupts chlich ern hre, vergesse ich ebenfalls nicht. Sie sind praktisch, und wenigstens die Katzen sind begeistert, wenn sie h ren, wie ich mit einem Knacken den Deckel ffne. Ich gie e ihnen sorgf ltig die Br he in eine Sch ssel. Sie sind u erst dankbar daf r, und ich kann mich gut und gern f nf Minuten daran freuen, w hrend ich an der Theke stehe und aus der B chse esse.
Ich wei , ich wei . Katzen, Tunfisch - das l sst nichts Gutes ahnen.
Der Kessel pfeift, und ich gie e Wasser in meine Tasse und denke, vielleicht werde ich nur alt. Haut und Knochen werden d nner, die Muskeln verk mmern. Ich denke an meine Granny, die auf Besenstielgr e geschrumpft ist, und ziehe den Pullover enger um mich.
Nicht alt. Noch nicht. Nicht mit sechsundvierzig. Heutzutage ist sechsundvierzig noch jung. Man hat gerade eben die Schwelle zum mittleren Alter berschritten.
Der Wind tobt gegen die Fenster, und ich h re die Glockenspiele klingen, die mein neuer Nachbar auf seine Veranda geh ngt hat. Seine Sachen tauchten quasi ber Nacht auf, urpl tzlich vor drei Tagen, wie das Gefieder eines exotischen Vogels - ein Trio aus ber die Veranda gespannten Glockenspielen, einem Holzstapel und bemalten Leinw nden neben dem Haus, das Ruhe und anderes versprach, ein Auto ausl ndischen Fabrikats, vielleicht ein englischer Mini, seltsam, klein und orange. Eine ristra, fr hliche, knallrote Chilis an einer Schnur, aufgeh ngt an der T r, an sich nichts Seltsames. Doch fast schien es, als l ge ein neuer Geruch in der Luft, Gew rze und Schokolade und die Verhei ung frischer Hefe. Shannelle, die junge Mutter von gegen ber, sagte mir, sie h tte einen Blick auf ihn erhascht, und riss die Augen auf, um ihre Verwunderung kundzutun.
Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Die Glasscheibe beschl gt kreisf rmig von meinem Atem. Ich kann nur das Auto erkennen, ein verschwommenes, rundes Etwas wie ein Riesenk rbis, deshalb wische ich den Dunst weg und lege nachdenklich die Finger an den Mund. Wie durch meine Neugier angelockt, betritt er die Veranda.
Aha.
Trotz der K lte tr gt er keine Schuhe, nur eine Pyjamahose im ekuadorianischen Stil, die tief auf seinen H ften sitzt, die denselben Farbton hat wie ein Karpfen. Eine d nne Haarlinie verl uft mitten ber seinen Bauch wie ein Zimtstreifen. Schwere Silberarmreifen umgeben seine dunklen Handgelenke wie Handschellen. Eine Kette aus Krallen, wahrscheinlich aus dem Dschungel, h ngt um seinen Hals.
Er streckt sich und stellt die Haarb schel unter seinen Armen zur Schau. Ich ertappe mich dabei, wie ich gemeinsam mit ihm den Atem anhalte und erst wieder ausatme, als er das Kinn senkt, unbek mmert die Haare zur ckwirft und sein Gesicht zeigt. Aus dieser Entfernung sieht er gut aus, hohe Stirn und breiter Mund. Dichtes, welliges Haar ergie t sich in einem Wirrwarr aus Honig und Butter bis auf seine Schultern.
Ich rechne fast damit, dass er zu mir r berschaut, meinen Blick sp rt wie ein Fabelwesen, doch dann b ckt er sich nur, um die Zeitung aufzuheben, und geht wieder rein.
Faulpelz, denke ich, bis nach zw lf zu schlafen.
Ich trage den Tee und die Suppe ins Esszimmer und lege mir ein Set hin, selbst wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Der Tisch muss nicht geschont werden - er ist zwar alt und sch n, wenn auch nach zwanzig Jahren Familienmahlzeiten mit Kratzern versehen -, aber das Blumenmuster sieht auf dem Holz so gem tlich aus. Vielleicht mache ich das nur, um den Schein zu wahren, falls irgendwer bei mir vorbeischaut, um damit zu demonstrieren, dass es mir gut geht, aber das ist ebenso in Ordnung. Ich krame eine passende Serviette aus der Schublade und stimme alles auf das Set ab, suche mir eine Zeitschrift zum Lesen und versuche, dasselbe behagliche Gef hl wieder aufkommen zu lassen, das solche Rituale mir fr her vermittelten, wenn Rick mit seinem Kumpel Joe Zamora eine Tour machte und die Kinder bei Freunden waren oder beim Skaten oder sonst wo. Damals war Zeit f r mich allein Luxus - ich legte mir Musik auf, die keiner sonst mochte, und kochte mir eine Suppe, die nur mir schmeckte, zum Beispiel meine spezielle Mais-Fischsuppe, und las in der wohltuenden Einsamkeit.
Doch der Abend r ckt bedrohlich n her. Das Haus dr hnt vor Leere. Wie kann mein altes Leben so pl tzlich zu Ende sein, dass ich nach zig Jahren, in denen ich nie nur eine Minute Luft holen konnte, jetzt auf einmal so viel Zeit habe, dass ich sp re, wie ich darin versinke wie in Treibsand und darin ersticke?
Als Mutter berfl ssig. Als Ehefrau ausgedient.
Klischee hoch drei.
"Gott, Trudy", sage ich laut zu mir, da sonst niemand da ist, zu dem ich es sagen kann. "Du langweilst mich zu Tode. Tu was."
Die M nner fanden stets einen Grund, bei ihr im Garten vorbeizuschauen, w hrend sie sich ihren Blumen widmete, den Blumen, die sie dem harten W stenboden entlockte wie zauberhafte T chter. Mohnblumen so gro wie Sombreros, die verf hrerisch mit langen schwarzen Staubgef en aus ihrem seidigen Inneren winkten, Rosen in unglaublichen Farben und Tausende von Kosmeen.
Die M nner schauten vorbei, um ihren R cken zu bewundern, ihre starken braunen Arme und die herauslugenden Spitzen-BHs.
Doch vor allem schauten sie vorbei, um ihr unb ndiges, kehliges Mohnlachen zu h ren. Um von ihr bewundert zu werden und sich an ihrer Fr hlichkeit zu laben.
Sie war sechsundsechzig Jahre alt, als sie in unsere Gegend zog.
F nfundzwanzig Jahre ist das jetzt her, und nun sitzt sie an meinem Fu ende, nicht etwa als Gespenst, sondern genauso reell wie die Katze, die an meiner H fte schnurrt. Als sie schweigt, schlucke ich und kr chze mit wunder Kehle:"Was machst du hier?"
"Zeit, es zur ckzuerobern, Kleine."
"Was denn?"
"Dein Leben."
Oktober
HECATE
Mit Hecate ist die G ttinnen-Triade aus dem M dchen (Persephone), der Mutter (Demeter) und der Weisen (Hecate) vollst ndig. Sie wechselt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, lebt jedoch in keiner. Sie tr gt eine brennende Fackel, damit sie einen Blick werfen kann, wohin andere nicht blicken k nnen: in die menschliche Psyche. Sie wird von ihrem Hund (oder Pferd), ihren heiligen Tieren, begleitet und bietet in Zeiten der Gefahr ihren magischen Schutz.
Wenn Sie ein ungutes Gef hl haben, stehen Sie wom glich am Scheideweg und wissen nicht, welche Richtung Sie einschlagen sollen. Seien Sie sicher, dass Hecate mit ihrer Fackel an Ihrer Seite ist und Ihnen den Weg weist.
www.goddess.com.au
1
ROBERTA
Sonntag, 25. Oktober 20 -
Liebe Harriet,
meine H nde sind so zittrig wie die Bl tter an den B umen. Hoffentlich kannst du das lesen. Ich finde es furchtbar, dass ich eine Altfrauenhandschrift habe. Andererseits ist es nur logisch, nicht? Wie sind wir blo so alt geworden?
Es ist Sonntag, und ich war nicht in der Kirche. Hab den ganzen Vormittag bei meinem Edgar gesessen und versucht, gen gend Mut aufzubringen, ihn gehen zu lassen. Ich hab alle weggeschickt - die Gemeindemitglieder, die mir Gr ngem se und Eintopf vorbeigebracht und mein Geschirr gesp lt haben, w hrend ich bei ihm sitze. Sogar die Kinder hab ich weggeschickt. Sie k nnen alle sp ter wiederkommen, wenn ich getan habe, was ich tun muss.
Schwesterherz, ich war den ganzen Vormittag hier und bringe es nicht ber die Lippen. Geh ruhig, Edgar, ich komme schon zurecht. Er wartet nur darauf, denn als er ins Koma gefallen ist, hab ich seine Hand gepackt und ihn angefleht, mich nicht zu verlassen.
Er ist so ein guter Mann, er h lt durch. Da, jetzt wein ich schon wieder.
Zweiundsechzig Jahre hab ich seine Hand gehalten. Heute Vormittag hielt ich sie und dachte an den Morgen, als er zum ersten Mal an unsere Hintert r kam und um ein Glas Wasser bat. Wei t du noch? Er hatte das Gl ck nicht gepachtet, aber er war sehr stolz. Er sah wahnsinnig gut aus im Sonnenschein mit seinem Charakterkopf und der kr ftigen Nase. Mein Herz hat einen Satz gemacht, dabei war ich erst f nfzehn. Von dem Tag an brauchte ich keinen anderen mehr.
An all das hab ich heute Vormittag gedacht. Ich hab mich gefragt, wie alles gekommen w re, wenn wir bei euch in Mississippi geblieben w ren. Was er damals in Italien wohl gesehen hat, dass er sein Leben lang nicht dar ber sprechen konnte. Und ob wir auch so ein gutes Leben gehabt h tten, wenn wir nicht gen Westen nach Pueblo gezogen w ren, wo wir so zufrieden gelebt haben. "Heimat der Helden." Wusstest du, dass es jetzt so hei t? Passend. Edgar hat zwar seine ganzen Orden weggepackt, aber er war stolz, als s mtliche Tr ger der Medal of Honor hierher kamen. An jenem Morgen zog er seinen besten Anzug an und ging hin, um ihnen zuzuh ren, alle vier alte M nner wie er. Ich bin nat rlich mitgegangen, aber ich hab nicht geh rt, was er h rte. Ich hab ihn mal gefragt, ob es wirklich so schlimm war, doch er lie nur den Kopf h ngen und sagte: Schlimmer.
Also hab ich's darauf beruhen lassen.
Dabei ist er nicht perfekt gewesen, keineswegs. Er war zu streng zu den Kindern, wurde mit dem Alter immer kleinlicher, und alles musste nach seinem Kopf gehen. Wir hatten ebenso schwere Zeiten, da h tte ich ihm am liebsten eins mit dem Hackbeil bergezogen. Ein- oder zweimal hat er mir sehr wehgetan, niemals jedoch absichtlich.
Aber daran denk ich jetzt nicht. Ich denke daran, wie unb ndig wir lachen konnten, so sehr, dass Edgars Atem zu pfeifen anfing. Ich denke daran, wie ich jeden Morgen, den Gott werden lie , neben ihm aufwachte. Wie ich ihm zuh rte, wenn er fr hlich pfeifend an einem kaputten Fernseher herumbastelte, den er wie durch Zauberei wieder zum Laufen brachte.
Herr, gib mir Kraft. Ich muss ihn gehen lassen. Er schwindet vor meinen Augen dahin. Aber glaub mir, Schwesterherz, ich gehe ebenfalls bald. Ich habe den Herrn gebeten, mich zu sich zu holen. Ihr wisst alle, dass ich euch lieb habe, doch du, Schwesterherz, wei t auch, dass mein Leben ohne ihn nichts wert ist.
Deine Schwester Berta
2
TRUDY
Als Edgar stirbt, bin ich nebenan in meinem Haus und lese mit zugehaltenen Ohren Lorca, damit ich den Wind nicht h re. Nur wenn ich umbl ttern muss, h re ich Robertas Weinen, ein durchdringendes Wimmern, das man nur als Totenklage bezeichnen kann.
Den ganzen langen Tag hab ich darauf gewartet. Da ich hier sein wollte, wenn es so weit ist, bin ich nicht ins Kino oder ins Einkaufszentrum gegangen, um mich von meinen eigenen Problemen abzulenken. Robertas Enkelin, Jade, ist von Kalifornien nach Pueblo unterwegs, aber sie ist noch nicht hier, und sonst hat Roberta alle weggeschickt. Wenn es so weit ist, braucht sie jemanden. Deshalb hab ich gewartet. Ich hab versucht, mich warm zu halten (ich trage ein T-Shirt, einen Baumwollpullover und einen Pulli aus Wolle, zwei Paar Socken und eine Jeans), aber mir ist trotzdem kalt. Es ist, als w re Rick meine Heizung, und ohne ihn verwandle ich mich in einen Eiszapfen.
Und der Wind macht mich wahnsinnig.
Die Leute erz hlen mir oft, wie sehr sie den Wind lieben. Ich sitze mit aufgesperrtem Mund da, wenn Freunde von sonst woher - denn sie kommen immer von woanders - berschw nglich von den Winden schw rmen, die sie kennen; dabei wei ich genau, dass sie ein v llig anderes Wesen im Sinn haben: eine gr ne G ttin, die ihre Schleier ber den Strand oder durch den Wald zieht. Sie lieben einen Wind, der mit Feuchtigkeit und Sch nheit einhergeht.
Unsere Winde in Pueblo dagegen sind wie die Inquisition. Winde, die wissen, dass das Geheimnis der Folter darin besteht, voller Willk r zu beginnen und zu enden, zugleich unbest ndig und best ndig zu sein, und abwechselnd zu br llen und zu fl stern. Endlos.
Dieses Jahr ist der Wind sogar noch schlimmer als sonst. Jeden Morgen nimmt er an Kraft zu, weht st rmisch und h lt inne. Bl st und legt sich wieder. Den ganzen Tag schl gt er an die Fenster, tost ums Auto, sch ttelt die B ume und rei t an den Str uchern. Kartons, herangeweht von sonst woher, rutschen ber die Stra e. berall liegt Staub. Die statische Aufladung kann einen umhauen. Ich h re lautstark Musik, um den Wind zu bert nen, und lege mir nachts ein Kissen ber den Kopf.
Aber heute nicht. Ich muss auf Roberta horchen.
Zum Lunch gie e ich eine Dose H hnersuppe mit Sternchennudeln in einen Topf und stelle den Teekessel auf. Ich sitze zusammengekauert am Herd, die H nde unter die Achseln geklemmt. Der Tee ist mittelm ig, die Suppe die letzte B chse vom Bord. Ich hatte Gl ck, berhaupt etwas Essbares zu finden, weil ich st ndig vergesse, ins Lebensmittelgesch ft zu gehen. Jetzt, wo ich Hunger auf etwas Besseres habe, als die Schr nke hergeben, sehe ich mich nach meiner Einkaufsliste um, damit ich gute Teebeutel draufschreiben kann, aber sie ist verloren gegangen. Schon wieder. In letzter Zeit habe ich keinen Plan mehr.
Fr her habe ich wenigstens zwei Stunden pro Woche mit der Essensplanung und dem Einkauf f r meine f nfk pfige Bande verbracht. Jetzt sind wir nur noch ich und meine siebzehnj hrige Tochter Annie, die aber meist in der Schule isst oder in dem Restaurant, wo sie jobbt, oder bei Travis, ihrem Freund. Solange ich Milch, Cornflakes und Tiefk hlpizza da habe, ist sie versorgt.
Ich vergesse immer, dass es mir gut tut, f r mich selbst zu kochen. Keinem schmeckte je dasselbe wie mir: meine vegetarischen Gerichte und exotischen Suppen. Zeit, an mich zu denken. Auf meiner Liste notiere ich: Knoblauch, marinierte Paprikastreifen, Zitronensaft, Paprikaschoten. Tiefk hl-Quiches. Cheddar (den guten), Triscuit-Cracker.
Die kleinen Tunfischdosen, von denen ich mich in letzter Zeit haupts chlich ern hre, vergesse ich ebenfalls nicht. Sie sind praktisch, und wenigstens die Katzen sind begeistert, wenn sie h ren, wie ich mit einem Knacken den Deckel ffne. Ich gie e ihnen sorgf ltig die Br he in eine Sch ssel. Sie sind u erst dankbar daf r, und ich kann mich gut und gern f nf Minuten daran freuen, w hrend ich an der Theke stehe und aus der B chse esse.
Ich wei , ich wei . Katzen, Tunfisch - das l sst nichts Gutes ahnen.
Der Kessel pfeift, und ich gie e Wasser in meine Tasse und denke, vielleicht werde ich nur alt. Haut und Knochen werden d nner, die Muskeln verk mmern. Ich denke an meine Granny, die auf Besenstielgr e geschrumpft ist, und ziehe den Pullover enger um mich.
Nicht alt. Noch nicht. Nicht mit sechsundvierzig. Heutzutage ist sechsundvierzig noch jung. Man hat gerade eben die Schwelle zum mittleren Alter berschritten.
Der Wind tobt gegen die Fenster, und ich h re die Glockenspiele klingen, die mein neuer Nachbar auf seine Veranda geh ngt hat. Seine Sachen tauchten quasi ber Nacht auf, urpl tzlich vor drei Tagen, wie das Gefieder eines exotischen Vogels - ein Trio aus ber die Veranda gespannten Glockenspielen, einem Holzstapel und bemalten Leinw nden neben dem Haus, das Ruhe und anderes versprach, ein Auto ausl ndischen Fabrikats, vielleicht ein englischer Mini, seltsam, klein und orange. Eine ristra, fr hliche, knallrote Chilis an einer Schnur, aufgeh ngt an der T r, an sich nichts Seltsames. Doch fast schien es, als l ge ein neuer Geruch in der Luft, Gew rze und Schokolade und die Verhei ung frischer Hefe. Shannelle, die junge Mutter von gegen ber, sagte mir, sie h tte einen Blick auf ihn erhascht, und riss die Augen auf, um ihre Verwunderung kundzutun.
Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Die Glasscheibe beschl gt kreisf rmig von meinem Atem. Ich kann nur das Auto erkennen, ein verschwommenes, rundes Etwas wie ein Riesenk rbis, deshalb wische ich den Dunst weg und lege nachdenklich die Finger an den Mund. Wie durch meine Neugier angelockt, betritt er die Veranda.
Aha.
Trotz der K lte tr gt er keine Schuhe, nur eine Pyjamahose im ekuadorianischen Stil, die tief auf seinen H ften sitzt, die denselben Farbton hat wie ein Karpfen. Eine d nne Haarlinie verl uft mitten ber seinen Bauch wie ein Zimtstreifen. Schwere Silberarmreifen umgeben seine dunklen Handgelenke wie Handschellen. Eine Kette aus Krallen, wahrscheinlich aus dem Dschungel, h ngt um seinen Hals.
Er streckt sich und stellt die Haarb schel unter seinen Armen zur Schau. Ich ertappe mich dabei, wie ich gemeinsam mit ihm den Atem anhalte und erst wieder ausatme, als er das Kinn senkt, unbek mmert die Haare zur ckwirft und sein Gesicht zeigt. Aus dieser Entfernung sieht er gut aus, hohe Stirn und breiter Mund. Dichtes, welliges Haar ergie t sich in einem Wirrwarr aus Honig und Butter bis auf seine Schultern.
Ich rechne fast damit, dass er zu mir r berschaut, meinen Blick sp rt wie ein Fabelwesen, doch dann b ckt er sich nur, um die Zeitung aufzuheben, und geht wieder rein.
Faulpelz, denke ich, bis nach zw lf zu schlafen.
Ich trage den Tee und die Suppe ins Esszimmer und lege mir ein Set hin, selbst wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Der Tisch muss nicht geschont werden - er ist zwar alt und sch n, wenn auch nach zwanzig Jahren Familienmahlzeiten mit Kratzern versehen -, aber das Blumenmuster sieht auf dem Holz so gem tlich aus. Vielleicht mache ich das nur, um den Schein zu wahren, falls irgendwer bei mir vorbeischaut, um damit zu demonstrieren, dass es mir gut geht, aber das ist ebenso in Ordnung. Ich krame eine passende Serviette aus der Schublade und stimme alles auf das Set ab, suche mir eine Zeitschrift zum Lesen und versuche, dasselbe behagliche Gef hl wieder aufkommen zu lassen, das solche Rituale mir fr her vermittelten, wenn Rick mit seinem Kumpel Joe Zamora eine Tour machte und die Kinder bei Freunden waren oder beim Skaten oder sonst wo. Damals war Zeit f r mich allein Luxus - ich legte mir Musik auf, die keiner sonst mochte, und kochte mir eine Suppe, die nur mir schmeckte, zum Beispiel meine spezielle Mais-Fischsuppe, und las in der wohltuenden Einsamkeit.
Doch der Abend r ckt bedrohlich n her. Das Haus dr hnt vor Leere. Wie kann mein altes Leben so pl tzlich zu Ende sein, dass ich nach zig Jahren, in denen ich nie nur eine Minute Luft holen konnte, jetzt auf einmal so viel Zeit habe, dass ich sp re, wie ich darin versinke wie in Treibsand und darin ersticke?
Als Mutter berfl ssig. Als Ehefrau ausgedient.
Klischee hoch drei.
"Gott, Trudy", sage ich laut zu mir, da sonst niemand da ist, zu dem ich es sagen kann. "Du langweilst mich zu Tode. Tu was."
... weniger
Autoren-Porträt von Barbara Samuel
Barbara Samuel lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Söhnen in Pueblo, Colorado.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Samuel
- 2005, 443 Seiten, Maße: 11,6 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Althans, Antje
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442362415
- ISBN-13: 9783442362417
Kommentar zu "Die Küchen-Göttinnen"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Küchen-Göttinnen“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Küchen-Göttinnen".
Kommentar verfassen