Die letzte Schlacht um Tencendor
Die letzte Schlacht um Tencendor von Sara Douglass
LESEPROBE
Prolog - Das entfesselte Böse
»Was könnenwir tun?« fragte Fischer überflüssigerweise, doch dieständige Wiederholung dieser Frage schien ihm Trost zu schenken. »Was könnenwir tun? Was zum Teufel, frage ich dich?«
»Ruhig,mein Freund.« Thomas Fielding legte beruhigend seineHand auf Fischers geballte Faust.
Fischerschüttelte seine Hand ab und drehte sich zu der hohen, fensterlosen Mauer um.Er war über siebzig Jahre alt, ein weißhaariger, ausgemergelter alter Mann,dessen Gesicht von dem vier Jahrzehnte währenden Kampf gegen das Böse, dasseine Welt verwüstet - überflutet, verzehrt, zerstört - hatte, gezeichnet war.
Als derKrieg begonnen hatte, war er ein Mann im besten Alter gewesen: kraftvoll undgeschmeidig, kupferfarbenes Haar und klare Augen, entschlossen, gegen dieEindringlinge zu kämpfen und sie zu besiegen.
»Dämonen«war ein seltsames, schreckliches Wort, das Fischer erst vor kurzem zu verwendengelernt hatte und das ihm noch immer zuwider war.
»Dämonen« paßten nicht in eine Welt, die auf wissenschaftlichenTheorien beruhte. Auf folgerichtigen Erklärungen. Auf beweisbaren Tatsachen.Auf dem rückhaltlosen Glauben an Technologie, die weitaus gültiger undangenehmer war als alle Religion. »Das Böse« gab es nicht - nur Fakten. Nur dieLaunen der Natur und geologische Phänomene, die noch immer nicht mitausreichender Sicherheit vorhergesagt oder beherrscht werden konnten. Nur dasselbstsüchtige, überhebliche Wesen der menschlichen Gesellschaft. Nur dieunbedeutenden Straftaten gesellschaftlicher Außenseiter und das organisierteVerbrechen der Erfolgreichen.
Das Bösehatte keinen Platz in dieser vernünftigsten und folgerichtigsten aller Welten.
Bis es aneinem schönen, heiteren Sonntagmorgen über New York vom Himmel fiel.
Das ist es,was uns seit drei Jahrzehnten zu schaffen macht, dachte Fischer. DieVorstellung, daß wir nicht von pastellfarbenenAußerirdischen mit eleganten langen Gliedmaßen und großen dunklen Augen inglänzenden, metallischen Raumschiffen überfallen wurden, die an einenSpielberg-Film erinnern, sondern vom grenzenlos Bösen, das von rasender Giererfüllt ist.
DreiJahrzehnte lang hatte das grenzenlos Böse in Gestalt der dämonischen Hüter derZeit gewütet. Länder wurden verwüstet, und übrig blieb nur die dem Wahnsinnverfallene, klagende Bevölkerung, die ziellos über die staubige Erde irrte. DieStädte waren verlassen, die Dschungel kahl, die Ozeane ausgetrocknet. Innerhalbeines Jahres war die menschliche Bevölkerung der Erde von mehreren Milliardenauf einige jämmerliche Zehntausend zusammengeschrumpft, die in unterirdischenGewölben auf engstem Raum das Ende der dämonischen Stunden abwarteten unddarüber nachsannen, wie sie zurückschlagen konnten.
DieseZehntausend waren selbstverständlich diejenigen, die noch bei Sinnen waren. Ander Oberfläche irrten unzählige Millionen umher, die vollkommen den Verstandverloren hatten, von den Dämonen besessen waren, sich geräuschvoll - underfolgreich - paarten und unzählige Millionen von Kindern zur Welt brachten,die bereits von Geburt an dem Wahnsinn verfallen waren. Jene Kinder, die in denersten fünf Lebensjahren nicht gefressen wurden, wuchsen zu nochschrecklicheren Ungeheuern heran als ihre Eltern.
Fischererschauerte. Die Wahnsinnigen - von denen es inzwischen Milliarden gab - warennoch immer dort draußen und suchten die verlassene Oberfläche der Erde heim.
Zwar war esihm und seinen Gefährten gelungen, Qeteb zu fangenund ihn in Stücke zu teilen, doch die anderen fünf Dämonen ließen noch immerihre zerstörerischen Schreie erschallen.
Sie hatten Qeteb gefangen und zerlegt, doch sie hatten ihn nichtzerstört.
Das war dieSchwierigkeit, der sich Fischer und seine Gefährten nun gegenübersahen. Wassollten sie tun? Was konnten sie nur tun?
»Dieanderen Dämonen werden keinen Monat brauchen, um die Barriere zu durchbrechen«,sagte Katrina Fielding,Thomas Gattin. Von ihr stammte die Idee, die Dämonen zu fangen, indem man ihreeigene Bösartigkeit auf sie zurückspiegelte.
Fischerwarf ihr einen Blick zu. Sie war jung, Anfang vierzig, bei der Ankunft derDämonen war sie noch ein Kind gewesen.
Sie hattepraktisch ihr gesamtes Leben unter der Erde verbracht und das sah man ihr auchan. Katrinas Schultern und Wirbelsäule waren verkümmert,ihre Augen trüb, ihre Haut bleich und schuppig. Sie hatte keine Kinder bekommenkönnen. In den ersten Jahren unter der Erde waren nur eine Handvoll Kindergeboren worden, von den wenigen Frauen, die sie hatten austragen können, unddie meisten von ihnen hatten körperliche oder geistige Schäden davongetragen.
Wirsterben, dachte Fischer. Die gesamte Menschheit stirbt. Irgendwann werden dieDämonen uns auslöschen, selbst wenn es ein oder zwei Generationen länger dauernwird als bei denen, die sie an der Oberfläche überwältigt haben. Wenn dieDämonen unsere Welt nicht bald verlassen, wird es niemanden mehr geben, dersich weiter fortpflanzen kann!
Das heißt,niemanden, der noch bei Verstand war. Die wahnsinnigen Horden an der Oberflächevermehrten sich natürlich ohne Schwierigkeiten.
DieVorstellung erschreckte Fischer. »Wie immer wir es an stellen«, sagte er,»wir müssen uns Qetebs verdammter, unsterblicherEinzelteile entledigen und der anderen fünf Dämonen.«
»Es gibtnur eine Lösung«, sagte Thomas. »Devereaux Vorschlag.«
Devereaux Vorschlag erfüllte Fischer ebenso mit Grauen wie die Vorstellung, daß der Teil der Menschheit, der noch bei Verstand war,bald aussterben und eine mit wahnsinnigen menschlichen Mischwesen (Gott allein wußte, mit wem sie sich dort oben paarten!) bevölkerte Erdezurücklassen würde. Doch sie mußten einen Entschluß fassen und zwar bald.
Warum nur,dachte Fischer, gibt es keine Regierung mehr, die uns diese Entscheidungabnehmen könnte? Warum können wir es nicht einem Haufen anonymer, korrupterPolitiker überlassen, die Angelegenheit in den Sand zu setzen, dann könnten wirwenigstens jemand anderem die Schuld dafür zuschieben?
Aber es gabkeine Nationen mehr, keine Regierungen, keine Präsidenten, Premierminister oderauch nur verdammte Würdenträger, welche die Bürde der Verantwortung auf sichnehmen konnten. Es gab nur Fischer und sein Komitee.
Und Devereaux. Der höfliche, charmante, hilfsbereite Devereaux, der vorgeschlagen hatte, daßsie Qetebs Einzelteile einfach in verschiedeneRaumschiffe luden - praktischerweise gehörten die Menschen, die sich bei derAnkunft der Dämonen in den unterirdischen Gewölben befunden hatten, vor allemdem Militär und der Raumfahrtbehörde an - und sie in den Weltraum hinausflogen.
»Wir bringensie einfach an einen anderen Ort«, hatte Devereauxerst vorgestern gesagt. »Oder fliegen zumindest immer weiter. Die anderenDämonen werden ihnen sicherlich folgen.«
»Was, wenn Devereaux keinen Ort findet, an dem er sie abladen kann?« fragte Jane Havers, die zweiteFrau in der Runde. »Oder auf einem anderen fernen Planeten oder Mond abstürzt?Was dann?«
»Hoffenwir, daß die Bewohner dieses Mondes oder Planeten mitden Dämonen besser fertig werden als wir«, sagte Katrina.»Zumindest wird es nicht in unserem Sonnensystem oder unserer Galaxis sein.«
Fischerließ den Kopf in die Hände sinken und rieb sich die Stirn. Der Krebs wuchertein seinem Bauch, und er wußte, daßer in wenigen Wochen tot sein würde. Sie sollten lieber jetzt eine Entscheidungtreffen, solange er noch lebte und es noch Frauen mit fruchtbaren Leibern inihrer Gemeinschaft gab.
DieMenschheit mußte überleben.
»Schicktnach Devereaux«, sagte er.
Acht Tagespäter rasten die Raumschiffe aus der Erdatmosphäre hinaus. Ihre Besatzungenhofften, daß sie damit ihren Gefährten in der Heimatzumindest eine Aussicht auf Überleben boten.
Siebemerkten nicht, daß sie bei ihrem Abflug aus denunterirdischen Gewölben einen Tunnel aus Staub und Fels hinterließen, in dem esbereits von hungrigen Wahnsinnigen wimmelte.
Fischersollte nicht einmal mehr genug Zeit bleiben, um an seinem Krebs zu sterben.
© PiperVerlag
Übersetzung:Hannes Riffel
- Autor: Sara Douglass
- 2007, 619 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 13,9 x 21,4 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. australischen Englisch v. Hannes Riffel u. Sara Schade
- Übersetzer: Hannes Riffel, Sara Schade
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492700454
- ISBN-13: 9783492700450
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