Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume
Roman, Deutsche Erstveröffentlichung
Im Namen der Liebe geben wir Lebensziele auf doch was bleibt, wenn die Liebe dann scheitert? Wie finden wir zu den Träumen zurück, die wir uns haben rauben lassen? Redakteurin Kate Winters will es wissen. Alias Piratin Kate eröffnet sie eine Kolumne in der...
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Produktinformationen zu „Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume “
Klappentext zu „Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume “
Im Namen der Liebe geben wir Lebensziele auf doch was bleibt, wenn die Liebe dann scheitert? Wie finden wir zu den Träumen zurück, die wir uns haben rauben lassen? Redakteurin Kate Winters will es wissen. Alias Piratin Kate eröffnet sie eine Kolumne in der Zeitschrift True Love. Nicht ohne Eigennutz, denn sie ist selbst frisch getrennt.
Lese-Probe zu „Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume “
Die Liebe ist ein Dieb und der Pirat der Träume von Claire GarberÜbersetzung von Gabriele Ramm
VORWORT
Üblicherweise verkündet man öffentlich, dass man über seine letzte Beziehung hinweg ist, indem man sich auf eine neue einlässt. Es ist ungefähr so, als würde man ein großes Banner in die Luft halten, auf dem steht:
Schaut alle her! Ich habe jemand anderes gefunden. Mir geht es gut. Ich bin nicht mehr allein. Jemand anderes braucht mich. Jemand hat sich entschieden, mit mir zusammen zu sein. Meine letzte Beziehung war völlig irrelevant, genau genommen kaum wahrnehmbar, ungefähr so unbedeutend wie die Flusen in meinem Bauchnabel. Meine Exfreundin ist lediglich eine Fluse auf meinem Bauch gewesen.
Meiner Meinung nach ist das alles Quatsch. Ich glaube, du setzt erst dann ein öffentliches Zeichen, dass du über deine letzte Beziehung hinweg bist, wenn dich die Meldungen zum Beziehungsstatus nicht mehr interessieren, wenn du gar nicht auf die Idee kommst, dir deine Zeit mit dem Verfassen von Statusmeldungen und unwichtigen Nachrichten zu vertreiben, weil du dein Leben und das, was du tust, liebst.
... mehr
Das vorausgeschickt, muss ich zugeben, dass ich noch immer Gefühle für Gabriel hege. Und die Tatsache, dass er, nur wenige Wochen nachdem wir uns getrennt hatten, eine neue Beziehung eingegangen ist, na ja, das hat mir emotionale Schmerzen bereitet, wie ich sie vorher noch nie erlebt hatte. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ich daran glaube, dass seine lächerliche Beziehung mit einer abgemagerten Französin mit großen (unechten) Titten und begrenztem Verstand von Dauer sein wird oder nicht. Er hatte jemand anderes gefunden, sie waren zusammen im Urlaub und machten Fotos, viele Fotos, die sie dann auf Facebook in ein Album mit dem Namen „True Love" packten, während ich nichts weiter als eine Fluse war.
Aber es war ja nicht nur, dass ich Gabriel verloren hatte, sondern vor allem die Tatsache, dass ich so verdammt traurig über unsere Trennung war, dass mir schon bei dem Gedanken, mit jemand anderem zusammen zu sein, schlecht wurde. Ich wollte niemand anderen küssen. Ich wollte mit niemand anderem Sex haben und mein Zuhause mit ihm teilen. Ich wollte ihn, Gabriel.
Und da ich nun mal nicht in der Lage war, ihn durch irgendjemanden zu ersetzen, und es auch nicht schaffte, den Heilungsprozess zu beschleunigen, musste ich irgendwie die Zeit überbrücken.
Denn genau genommen könnte es gut sein, dass ich tatsächlich die Frau bin. Sie wissen schon, welche ich meine. Die Frau, die aus unerfindlichen Gründen keinen Mann abbekommt, keine Kinder kriegt und der auch kein romantisches Happy End vergönnt ist. Also brauchte ich einen Plan. Ich musste zum Wesentlichen zurückkehren und mir ein paar sehr wichtige Fragen stellen:
Was tat ich gern?
Was habe ich nicht tun können, weil ich mit Gabriel zusammen war?
Was habe ich nicht tun können, weil ich mich verliebt hatte?
Und noch wichtiger: Was würde ich gern den Rest meines Lebens tun, wenn ich mich nie wieder verlieben würde?
DAS WAR DER AUSGANGSPUNKT, DER MICH WIRKLICH INTERESSIERTE.
ANFANG
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
1990 hat ein Mann namens Tim Berners-Lee das World Wide Web erfunden. Er ist auf der Suche nach einem Weg gewesen, wie Teilchenphysiker überall auf der Welt zeitgleich Zugang zu denselben Informationen bekommen konnten.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Wie bei so vielen Dingen im Leben kam letztlich etwas ganz anderes dabei heraus, als anfangs vorgesehen. Die Saat, die er gesät hatte, wuchs und gedieh, bis seine Erfindung so weitreichend war, dass es jeden Einzelnen von uns auf unbeschreibliche Art und Weise betraf.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Das Internet versorgt uns jetzt mit kostenlosen und frei zugänglichen Informationen. Es kann einem dabei helfen, eine Fremdsprache zu erlernen, einen Schuh zu besohlen, eine neue Küche einzubauen oder einen Satelliten zu konstruieren, der den Mond umkreist.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Man kann seine Firma darüber betreiben, die Liebe seines Lebens treffen, ein Rezept für ein Pilzrisotto finden, bevor man seinen eigenen Kessel flickt und sich anschließend über die Ursprünge des Wortes "kaputt" informiert.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Ich kann im Internet auch so gut wie alle Bilder sehen, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe mir das Innere eines Atoms angeschaut, die Farbe der Marsoberfläche, was meine Cousine zweiten Grades kürzlich in Sydney auf ihrer Geburtstagsparty getragen hat, und ich habe den Gesichtsausdruck von Nelson Mandela gesehen, an dem Tag, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Aber das Neueste, was das Internet mir offenbart hat, das größte Geschenk von allen, sind die Fotos meines Verlobten im Urlaub - ein Urlaub, den er, wie ich vermute, mit seiner neuen Freundin verbracht hat. Und auf diesen Fotos kann man, auch wenn man nicht Tim Berners-Lee ist, erkennen, dass er sein absolut funktionstüchtiges, internetfähiges Mobiltelefon dabeihat. Das gleiche Telefon, an das er zurzeit offenbar nicht rangehen kann.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
"Wie es aussieht, kommt sie nicht wieder hoch", sagte Federico zu meiner Grandma. Alle hatten vor ungefähr fünfundvierzig Minuten aufgehört, direkt mit mir zu sprechen. Sie hatten über mich geredet, über meinen Kopf hinweg, um mich herum, aber nie direkt mit mir. Grandma bückte sich und versuchte mir das Handy aus der Hand zu nehmen, doch meine Finger umklammerten es wie eine menschliche Klaue oder wie ein seltsames Gerät, das unkonventionelle Männer vielleicht in Soho erwarben.
"Schätzchen, du musst mir das Telefon geben", erklärte sie und versuchte erneut, es mir zu entwenden. Ich klammerte mich daran fest, als wäre es mein einziges Portal zurück nach Hause. Ein kleiner Kreis von Leuten hatte sich um uns geschart. Anscheinend kommt es nicht so häufig vor, dass eine dreißigjährige Frau mitten auf dem Flughafen Heathrow auf dem Boden sitzt, umgeben von ihrem Gepäck, und in Tränen ausbricht.
"Ein Versuch noch?", flehte ich Grandma an, während Federico von einem Neugierigen zum anderen wanderte, um die Leute mit Geschichten über den Grund für meine Tränen aufzuklären.
"Na ja, ich hab's ihr ja gesagt, jawohl, das habe ich", versicherte er seinem Publikum. "Ich habe ihr gesagt, als sie dorthin zog: 'Du kannst diesen Franzosen nicht trauen.' Wegen ihrer politischen Geschichte, von der ich übrigens ein großer Fan bin, vor allem von dieser bewundernswerten Marie Antoinette ... Haben Sie den Film gesehen? Tolle Kostüme, einfach toll, obwohl es die weiblichen Formen ja enorm eingeengt hat. Nein, ich meine, wegen der Sprachbarrieren. Denn man kann doch echt nicht wissen, ob man den anderen wirklich richtig versteht, oder? Wer hat zum Beispiel festgelegt, dass ein pomme ein Apfel ist? Und was ist, wenn die eigentlich auf einen Baum gezeigt haben, als sie pomme gesagt haben, während wir zur gleichen Zeit auf einen Apfel geguckt haben, weil wir gerade hungrig waren, also nennen wir einen Baum einen Apfel, und jetzt sind die Franzosen total verwirrt, weil's bei uns im Supermarkt so viele verschiedene essbare Bäume gibt? Na, das ist doch ein totales Chaos, jawohl!"
"Wie kann es angehen, dass er mit einer anderen zusammen ist?", wollte ich von meinem Publikum wissen, das aus neunzehn Frauen unterschiedlichen Alters sowie einem Sicherheitsmenschen namens Albert bestand. Der andere Sicherheitsbeamte, Jim, war losgegangen, um mit den Leuten vom britischen Zoll zu sprechen, die Angst hatten, dass ich eine Selbstmordattentäterin war. "Wie kann das sein?", fragte ich erneut. "Wenn ein Mensch für einen anderen bestimmt ist, dann muss er sich doch total unvollkommen und eingeengt fühlen, so wie ein Puzzleteil, das man an den falschen Platz legt. Er ist im falschen Puzzle!", verkündete ich, wobei sich meine Stimme schon fast überschlug. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in Terminal fünf auf dem Londoner Flughafen Heathrow glaubte, dass Gabriel am falschen Platz im einem Puzzle lag, es sei denn, ein Puzzle war eine schmutzige Metapher. "Also, was soll ich tun?"
"Vielleicht könnte sie versuchen, ihn noch ein letztes Mal anzurufen, ein allerletztes Mal?", meinte eine Dame nervös zu meiner Grandma.
Ich schaute in die Gesichter des menschlichen Zaunes, der um mich herum errichtet worden war, und sah, dass alle zustimmend nickten. Grandma seufzte. Also schaltete ich mein Handy laut und drückte zum letzten Mal die Wahlwiederholung. Ich hielt das Telefon in die Luft, damit alle mithören konnten, und sah die anderen an. Die anderen sahen mich an. Dann sahen wir alle auf das Telefon.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Daraufhin schwiegen alle ein bisschen. Genau genommen glaube ich nicht, dass man ein bisschen schweigen kann. Es ist eine Sache von entweder oder. Wir schwiegen. Und niemand mochte mir in die Augen sehen.
Also schaltete ich mein französisches Handy endgültig aus und reichte es Grandma Josephine, die es umgehend in den nächstgelegenen Mülleimer warf.
Dann saß ich einfach nur da, auf dem gut polierten Fußboden im Terminal fünf des Flughafens Heathrow, saß einfach da, umgeben von sämtlichen meiner irdischen Besitztümer, und weinte und weinte und weinte noch ein bisschen mehr. Wenn jede Träne ein Stück meiner Seele war, dann würden sie mich nie wieder zusammenflicken können.
SECHS MONATE SPÄTER ...
Es ist das, was ich wirklich am meisten hasse - okay, abgesehen von den Geräuschen, die jemand beim Essen macht. Der erste Platz geht auf jeden Fall an die Geräusche, die die Leute machen, wenn sie essen, vor allem die Kau- und Schluckgeräusche hasse ich, aber auch alles, was vorher passiert - das Klirren von Messer und Gabel auf dem Teller, wenn es in einem Zimmer ganz ruhig ist, das Geräusch, wenn jemand seinen Mund voller Spucke öffnet, und am allerschlimmsten ist es, wenn jemand mit der Gabel gegen die Zähne stößt, während er sein Essen in sich hineinschaufelt. Zugegeben, man kann wohl sagen, dass ich ein klitzekleines Problem mit Essgeräuschen habe. Aber gleich danach, gleich hinter dieser Sache mit den Essgeräuschen, hasse ich am allermeisten Liebeskummer, und dabei muss ich mich täglich bei der Arbeit damit abplagen, denn nach dem "Vorfall" auf dem Flughafen Heathrow, Terminal fünf, hat mein Freund Federico mich dazu überredet, mit ihm in der Redaktion der Zeitschrift „True Love" zu arbeiten.
Ursprünglich war es Grandma Josephines Idee gewesen. Sie hatte gemeint, es sei wichtig, dass man sich beschäftige, wenn man sich innerlich leer und zerbrochen fühle. Dann hatte sie noch was davon gesagt, dass man seine eigene Miete zahlen müsse, bevor sie etwas über Inflation und steigende Milchpreise gemurmelt hatte. Also gehe ich jetzt jeden Tag zusammen mit Federico zur Arbeit, und dort werde ich mit einer Vielzahl von grässlichen Essgeräuschen und massenhaft Liebeskummer konfrontiert, obwohl unsere Leserinnen nie etwas von dem Liebeskummer erfuhren. Nein, bei „True Love" sah alles nach eitel Sonnenschein und Liebesglück aus, und ich hasste das, ich hasste diesen eitel Sonnenschein und das angebliche Liebesglück.
"Na, das ist ein pussymäßiges Rätsel, genau das ist es", sagte Chad, während er um den riesigen herzförmigen Tisch herumging, der in der Mitte des riesigen herzförmigen Konferenzzimmers stand. "Wann, zur Pussy, haben wir das letzte Mal so viel Post bekommen?", wollte er bei seiner zweiten Runde durchs Zimmer wissen. Loosie, seine aufdringliche vierundzwanzigjährige amerikanische Assistentin, schritt hinter ihm her und blätterte wie ein unangenehmer Linienrichter in ihrem Notizblock.
"2001, Chad", sagte sie und blätterte zur richtigen Seite. "Gleich nach dem Anschlag am 9. September."
"Was, zum Teufel, hab ich denn dann verpasst?", wollte Chad wissen und schaute jeden im Raum an. "Warum stehen hier siebenundzwanzig Säcke voll mit Post? Worüber, zur Hölle, haben wir im letzten Monat geschrieben?" Es war allgemein bekannt, dass Chad noch nie seine eigene Zeitschrift gelesen hatte. Er überprüfte nicht einmal den Inhalt, bevor er in den Druck ging. "Was hatten wir für Anzeigen drin?", fragte er in die Runde. "Hat die verdammte Post mal wieder alles versaut und vergessen, uns die Briefe für die letzten pussymäßigen elf Jahre zuzustellen? Was, zur Pussy, war in den letzten Ausgaben so aufregend?"
Sämtliche Kollegen drehten sich langsam zu mir herum, um mich anzustarren. Sie sahen in etwa so aus wie die Pantomimen mit den weißen Gesichtern, nur sehr viel Angst einflößender. Ich sagte, sämtliche Kollegen drehten sich zu mir herum, doch das stimmte nicht ganz. Chad bildete die Ausnahme. Der hatte gerade seine dritte Runde durchs Zimmer angetreten, marschierte um seinen ganz besonderen Tisch, während er ziemlich geräuschvoll einen roten Apfel in sich hineinstopfte.
Besagter Konferenztisch war riesig, eine Maßanfertigung und das Geistesprodukt von oben erwähntem Chad. Er hatte einen herzförmigen Tisch mit einer rosa gefärbten Tischplatte haben wollen, auf dem die Worte „True Love" per Sandstrahl verewigt worden waren; und er hatte einen Platz haben wollen, um die Füße draufzulegen. Er hatte einem italienischen Tischler viel Geld dafür gezahlt, um dieses Teil herzustellen, den Tisch und einen dazu passenden herzförmigen Stuhl, der mit knallrotem Samtstoff bezogen war und auf beängstigende Weise aussah wie eine Muppet-Figur von der Schattenseite der Sesamstraße. Seit ich bei „True Love" arbeitete, hatten sich schon achtzehn Mitarbeiter an dem riesigen Tisch verletzt. Allein sieben hatten sich an der scharfen Kante der Glasplatte gestoßen; die Herzspitze hatte bei zwei Kollegen zu Blutverlust geführt; und Dave aus der Marketingabteilung hatte sich vor fünf Monaten sein Knie angeschlagen und humpelte immer noch. Der Tisch war extrem gefährlich, und das wusste Chad auch.
"Es ist ja nicht nur die Post, Chad", sagte Loosie und warf mir einen bösen Blick zu, während sie eine weitere Seite in ihrem Notizblock aufschlug. Federico gab einen merkwürdigen Laut von sich. Wenn er gekonnt hätte, wäre er vermutlich in die Nespresso-Maschine geklettert und hätte sich dort ertränkt. Ich hatte mir ganz bewusst einen Platz in der Nähe der Tür gesucht, weil ich in dem Moment, als der Postbote aufgetaucht war, gewusst hatte, dass wir bis zu 27 Säcke tief in der Bredouille steckten, und ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich schämen, davonzulaufen. Nachdem man mich nur mithilfe von Psychotherapeuten vom Flughafen Heathrow wegbekommen hat, ist mir gar nichts mehr peinlich.
Loosie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Federico kauerte sich zusammen, als würde er im nächsten Moment eine Explosion erwarten. Ich beugte mich vor und legte meine Stirn auf die kühle Glasplatte des Konferenztisches. Nie im Leben würden wir damit durchkommen.
Die Sache war nämlich die, mein Job bei „True Love" sollte eigentlich total einfach sein, und damit meine ich, dass eigentlich keine Möglichkeit bestand, irgendetwas zu vermasseln. Das Einzige, was ich tun musste, war, die Briefe zu lesen, die unsere Leserinnen uns schickten, und sie dann umzuschreiben, damit sie interessanter klangen. Mehr nicht. Unsere Leserinnen schrieben uns (meistens zu Hunderten) und teilten ihre Liebesgeschichten mit uns. Sie schrieben uns, wie sie ihre wahre Liebe getroffen hatten oder was sie alles aufgegeben hatten, um ihre wahre Liebe zu retten, oder wie sie vielleicht ihre wahre Liebe wieder entfacht hatten. Daraus suchte ich mir die besten aus, rief die Frauen an, führte ein Interview mit ihnen und fasste ihren ganz besonderen Moment dann zu einem tausend Wörter umfassenden, herzzerreißenden genialen Text zusammen - für ein winziges Gehalt und ohne dafür jemals auch nur ansatzweise Anerkennung als Autorin zu bekommen. In der Welt der Autoren gehöre ich zum Bodensatz. Ich werde Ghostwriter genannt und bin tatsächlich ein Geist, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ach übrigens, bevor ich fortfahre, möchte ich noch kurz festhalten, dass ich eine hoffnungslose Romantikerin bin. Ich liebe die Liebe und warte wie Aschenputtel geduldig auf meinen Märchenprinzen, der auf einem Pferd, einem Esel oder meinetwegen auch in einer der typischen schwarzen Londoner Taxen daherkommt. Oder zumindest war es so. Mein Märchenprinz sollte mich entführen, mich an einen tollen Ort bringen und mir sagen, dass ich mir weder Sorgen um die unglaublich hohen Immobilienpreise zu machen bräuchte noch um die Finanzierung meiner Rente. Natürlich sollte mein Prinz gut aussehen, humorvoll sein, meine innersten Gedanken lesen können und einen mittelgroßen bis gigantischen Penis haben. Aber die Leserinnen von „True Love" berichteten mir immer wieder, dass keine große Chance bestand, dass überhaupt ein Märchenprinz aufkreuze, und wenn, dann sei das erst der Anfang aller Sorgen, die man in Sachen Prinz haben könne. Denn es war durchaus möglich, dass der Prinz nicht die oben genannten, genau umrissenen Charaktereigenschaften aufwies; genau genommen hatten einige Leserinnen verlauten lassen, dass ihr Märchenprinz nicht eine einzige davon besaß. Und trotzdem verliebten sie sich alle, nur um dann festzustellen, dass Liebe Aufmerksamkeit erfordert; Liebe erfordert Kompromisse; Liebe erfordert Zugeständnisse. Liebe ist schwierig am Leben zu erhalten, es ist schwierig, weil man sich ständig kümmern muss, und sie ist nicht kontrollierbar. Im Laufe der Zeit ist fast allen unseren Leserinnen die verdammte Liebe wieder abhandengekommen, und sie wurden wieder zu wartenden Prinzessinnen. Natürlich erfuhr unsere treue Leserschaft nichts darüber. Wir zeigten ihnen immer nur das Endergebnis, wenn alle Teile wieder perfekt zusammengefügt waren. Aber ich sah die Leere dazwischen, erfuhr etwas über "die schreckliche Zeit, als ich ihn verloren habe" oder "Warum war ich nicht gut genug für ihn?" oder "Ich habe fünfzehn Jahre meines Lebens für ihn aufgegeben". "Er wollte keine Kinder"; "Ich habe meinen Studienplatz für ihn aufgegeben". "Ich habe seinetwegen etwas aufgeschoben; bin seinetwegen irgendwo nicht hingefahren; er isst kein scharfes Essen, also habe ich seit zwölf Jahren keine indischen Gerichte mehr gegessen; er mag mich lieber blond, dünn, dick, gebräunt, gewachst, haarig ..."
Frauen schienen sich durchgängig den Wünschen der Männer unterzuordnen, selbst wenn die Männer das gar nicht ausdrücklich forderten. Das habe ich nie gehört, sondern immer nur, dass die Frauen es von sich aus zu tun schienen. Meine Grandma sagt immer: "Unterwirf dich niemals den Männern, Kate, unterwirf sie dir!", und ich denke, damit meint sie, dass man sich darüber klar werden soll, was man mit seinem Leben anfangen will, und dass man dafür sorgen soll, dass der Mann in diese Pläne hineinpasst, statt sich darauf zu konzentrieren, was der Mann für Bedürfnisse hat, um sich dann daran anzupassen, um sich zu verbiegen, zu ändern oder auf faule Kompromisse einzugehen, um es ihm recht zu machen. Ich fand das immer ein wenig verwirrend, denn ich dachte, die Zeiten der Unterdrückung wären längst vorbei. Aber anscheinend war das Unterordnen eine universelle Macht, so wie eine riesige Art von Peitsche oder ein unsichtbares Kraftfeld, das Menschen bei anderen anwenden können. Meine Grandma kennt sich mit solchen Sachen aus, denn sie ist eine bekannte Feministin und obendrein noch eine sehr produktive. Sie hat Bücher und Artikel über alles geschrieben, was mit Frauen und Männern zu tun hat und mit Kraftfeldern der Unterdrückung. Während meiner Kindheit, die ich bei ihr verbracht habe, war ich ständig von Bergen von Manuskripten und Artikeln umgeben. Zusammen mit meinem besten Freund Peter bin ich um die Stapel herumgelaufen, und dabei haben wir so getan, als wären es Papierbäume in Papierwäldern; was eigentlich lustig ist, denn es waren ja Bäume gewesen, bevor sie von irgendwelchen Burgerketten abgeholzt wurden, damit sie dort auf dem frisch abgeholzten Land Kühe weiden lassen konnten, und dann zu Papier verarbeitet wurden, damit wir Papierbäume daraus bauen konnten.
Und das war es, worüber ich in „True Love" schreiben wollte, nicht über die Kühe und die Bäume und die globale Abholzung der Wälder, das gehört wohl eher ins „Time Magazine" als in „True Love", nein, ich wollte, dass in „True Love" über die Dinge geschrieben wurde, die die Liebe stahl. Ich wollte Frauen helfen, loszuziehen und sich diese Dinge zurückzuholen. Ich wollte ihnen helfen, sich all die Dinge zurückzuerobern, die ihnen die Liebe gestohlen hatte. Und ich wollte von ihnen hören, was ich tun sollte, eine dreißigjährige Frau, die sich beziehungstechnisch gesehen auf dem Ground Zero befand und ihr Loveboat, also ihr Traumschiff, verpasst hatte. Besser gesagt war ich von meinem Co-Kapitän in einer herzlosen Meuterei von meinem Traumschiff über Bord geworfen worden, aber das ist reine Semantik, und ich will hier ja niemanden langweilen (aber es ist wahr). Also habe ich das Chad vorgeschlagen. Ich sagte: "Chad, ich möchte losziehen und all das zurückerobern, was die Liebe gestohlen hat. Das soll ungefähr so werden wie bei „Challenge Anneka", aber mit Liebe und einem gelegentlichen Abklatschen, bitte, lass mich das machen, Chad, bitte. Gib mir etwas, woran ich glauben kann, nachdem aus meinem Doppelbett ein Einzelbett geworden ist."
Und ich hatte vor, das weiterzuführen, jeden Tag wollte ich den Frauen helfen, ihre von der Liebe gestohlenen Träume zurückzuerobern, bis der Schmerz in meinem Herzen verschwunden wäre und das Wort „Gabriel" oder „Gabe" - hin und wieder reichte sogar schon ein "Ga" - mir nichts mehr ausmachte oder mich in Tränen ausbrechen ließe. Denn was Märchenprinzen anging, hatte sich meiner als erbärmlicher Schrott entpuppt, und ich vermutete, dass ich nicht die erste Frau war, die feststellen musste, dass der ihr zugedachte Märchenprinz ein bisschen Scheiße war. Doch Chad hatte nur gesagt: "Nein."
Woraufhin ich prompt in Tränen ausgebrochen war, denn seit der Trennung war ich zu einer echten Heulsuse geworden. Vorher hatte ich immer geglaubt, wir Briten wären stoisch und wasserfest, doch jetzt schossen mir die Tränen schnell, reichlich und ohne groß provoziert worden zu sein aus den Augen.
Und bisher war das Kontroverseste, was die Zeitschrift je veröffentlicht hatte, ein vierhundert Wörter umfassender Artikel über die körperlichen Beschwerden bei Liebeskummer gewesen, die tatsächlich vergleichbar waren mit den körperlichen Beschwerden bei Drogenentzug (was zum Trost für all diejenigen, denen es gerade nach einer Trennung richtig schlecht geht, übrigens wirklich wahr ist). Nein, „True Love" hatte stets munter die Vorzüge der Liebe gelobt und den Leserinnen beigebracht, wie sie möglichst viel davon bekommen konnten, was häufig genug durch den Kauf der vielen Produkte, für die Chad in der Zeitschrift werben ließ, ermöglicht werden sollte, damit sie, wenn sie die Liebe schließlich gefunden hatten, an uns schreiben und die Freude mit uns teilen konnten. Das zumindest war der Standpunkt, den die Redaktion bis zum vergangenen Freitag vertreten hat ...
Ach ja, übrigens, bevor Loosie wieder anfängt loszureden, sollte ich vielleicht erwähnen, dass sie es auf mich abgesehen hat, seit ich mich über ihren amerikanischen Akzent lustig gemacht habe - darüber und über die Tatsache, dass sie so schnell und so laut wie eine Schlagbohrmaschine redet, sowie über die alberne Schreibweise ihres Namens ...
"Wie ich schon sagte, Chad, es ist nicht nur die Post." Wütend funkelte sie mich an. "Wir haben eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, dreihundert auf der Hauptleitung, einhundertzwanzig auf dem Nebenanschluss, und dann ist da noch dieses Ding, das sich Fax nennt, das ständig irgendwelche Papierseiten ausspuckt, auf denen offenbar handgeschriebene Mitteilungen stehen. Ich habe in der IT-Abteilung angerufen und denen gesagt, sie sollen das Ding abholen. Außerdem haben wir eine Reihe von Präsentkörben von irgendwelchen Motivationsrednern bekommen, sind von den Verlegern fast sämtlicher Autoren von Selbsthilfebüchern aus Westeuropa kontaktiert worden, und die BBC hat inzwischen schon dreimal angerufen, und Kate, na ja, Kate hat heute anscheinend auch massenhaft Nachrichten bekommen." Sehen Sie, ich hab's doch gesagt, oder nicht? Sie hasst mich. "Ja, massenhaft Leute haben angerufen und gesagt, sie wollen mit Seeräuber Kate sprechen." Oh nein. "Und die meisten Briefe sind anscheinend auch an Seeräuber Kate adressiert." Ich sah quer durchs Zimmer zu Federico, aber der summte leise vor sich hin und blickte in eine andere Richtung. "Und alle, die Kontakt mit uns aufgenommen haben, wollen mit uns über ihre von der Liebe gestohlenen Träume reden."
"Ihre was?"
"Ihre von der Liebe gestohlenen Träume, Chad", wiederholte Loosie, obwohl wir alle wussten, dass Chad sie auch beim ersten Mal genau verstanden hatte.
In dem Moment kam glücklicherweise Dave aus der Marketingabteilung ins Zimmer gestürmt. Besser gesagt, er humpelte herein, weil sein Knie ja wegen des riesigen Konferenztisches verletzt war, aber das klingt weniger dramatisch, also stellen Sie sich vor, er kam hereingestürmt.
"Die Server sind zusammengebrochen!", brüllte er nach dem Hereinstürmen.
"Was heißt hier, der Server ist zusammengebrochen?", hakte Chad nach und wirkte dabei extrem genervt ... und das alles meinetwegen.
"Es ist alles zusammengebrochen, Chad, alles, die Homepage, die Mikroseiten, die Kundenseite, alles, zu viele Leute haben zur gleichen Zeit versucht, auf die Seite zu gelangen." Daves Stimme klang so, als hätte er ein Stück Apfel in seinen Nasenlöchern stecken, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Chad blickte erst zu mir, dann zu Federico und Dave.
"Punkt neun Uhr seid ihr alle morgen früh wieder hier", schrie er, bevor er aus dem Konferenzzimmer marschierte, gefolgt von Dave, der - der Dramaturgie dieser Szene zuliebe - hinter ihm herstürmte.
Copyright © 2013 by Claire Garber
Das vorausgeschickt, muss ich zugeben, dass ich noch immer Gefühle für Gabriel hege. Und die Tatsache, dass er, nur wenige Wochen nachdem wir uns getrennt hatten, eine neue Beziehung eingegangen ist, na ja, das hat mir emotionale Schmerzen bereitet, wie ich sie vorher noch nie erlebt hatte. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ich daran glaube, dass seine lächerliche Beziehung mit einer abgemagerten Französin mit großen (unechten) Titten und begrenztem Verstand von Dauer sein wird oder nicht. Er hatte jemand anderes gefunden, sie waren zusammen im Urlaub und machten Fotos, viele Fotos, die sie dann auf Facebook in ein Album mit dem Namen „True Love" packten, während ich nichts weiter als eine Fluse war.
Aber es war ja nicht nur, dass ich Gabriel verloren hatte, sondern vor allem die Tatsache, dass ich so verdammt traurig über unsere Trennung war, dass mir schon bei dem Gedanken, mit jemand anderem zusammen zu sein, schlecht wurde. Ich wollte niemand anderen küssen. Ich wollte mit niemand anderem Sex haben und mein Zuhause mit ihm teilen. Ich wollte ihn, Gabriel.
Und da ich nun mal nicht in der Lage war, ihn durch irgendjemanden zu ersetzen, und es auch nicht schaffte, den Heilungsprozess zu beschleunigen, musste ich irgendwie die Zeit überbrücken.
Denn genau genommen könnte es gut sein, dass ich tatsächlich die Frau bin. Sie wissen schon, welche ich meine. Die Frau, die aus unerfindlichen Gründen keinen Mann abbekommt, keine Kinder kriegt und der auch kein romantisches Happy End vergönnt ist. Also brauchte ich einen Plan. Ich musste zum Wesentlichen zurückkehren und mir ein paar sehr wichtige Fragen stellen:
Was tat ich gern?
Was habe ich nicht tun können, weil ich mit Gabriel zusammen war?
Was habe ich nicht tun können, weil ich mich verliebt hatte?
Und noch wichtiger: Was würde ich gern den Rest meines Lebens tun, wenn ich mich nie wieder verlieben würde?
DAS WAR DER AUSGANGSPUNKT, DER MICH WIRKLICH INTERESSIERTE.
ANFANG
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
1990 hat ein Mann namens Tim Berners-Lee das World Wide Web erfunden. Er ist auf der Suche nach einem Weg gewesen, wie Teilchenphysiker überall auf der Welt zeitgleich Zugang zu denselben Informationen bekommen konnten.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Wie bei so vielen Dingen im Leben kam letztlich etwas ganz anderes dabei heraus, als anfangs vorgesehen. Die Saat, die er gesät hatte, wuchs und gedieh, bis seine Erfindung so weitreichend war, dass es jeden Einzelnen von uns auf unbeschreibliche Art und Weise betraf.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Das Internet versorgt uns jetzt mit kostenlosen und frei zugänglichen Informationen. Es kann einem dabei helfen, eine Fremdsprache zu erlernen, einen Schuh zu besohlen, eine neue Küche einzubauen oder einen Satelliten zu konstruieren, der den Mond umkreist.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Man kann seine Firma darüber betreiben, die Liebe seines Lebens treffen, ein Rezept für ein Pilzrisotto finden, bevor man seinen eigenen Kessel flickt und sich anschließend über die Ursprünge des Wortes "kaputt" informiert.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Ich kann im Internet auch so gut wie alle Bilder sehen, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe mir das Innere eines Atoms angeschaut, die Farbe der Marsoberfläche, was meine Cousine zweiten Grades kürzlich in Sydney auf ihrer Geburtstagsparty getragen hat, und ich habe den Gesichtsausdruck von Nelson Mandela gesehen, an dem Tag, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Aber das Neueste, was das Internet mir offenbart hat, das größte Geschenk von allen, sind die Fotos meines Verlobten im Urlaub - ein Urlaub, den er, wie ich vermute, mit seiner neuen Freundin verbracht hat. Und auf diesen Fotos kann man, auch wenn man nicht Tim Berners-Lee ist, erkennen, dass er sein absolut funktionstüchtiges, internetfähiges Mobiltelefon dabeihat. Das gleiche Telefon, an das er zurzeit offenbar nicht rangehen kann.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
"Wie es aussieht, kommt sie nicht wieder hoch", sagte Federico zu meiner Grandma. Alle hatten vor ungefähr fünfundvierzig Minuten aufgehört, direkt mit mir zu sprechen. Sie hatten über mich geredet, über meinen Kopf hinweg, um mich herum, aber nie direkt mit mir. Grandma bückte sich und versuchte mir das Handy aus der Hand zu nehmen, doch meine Finger umklammerten es wie eine menschliche Klaue oder wie ein seltsames Gerät, das unkonventionelle Männer vielleicht in Soho erwarben.
"Schätzchen, du musst mir das Telefon geben", erklärte sie und versuchte erneut, es mir zu entwenden. Ich klammerte mich daran fest, als wäre es mein einziges Portal zurück nach Hause. Ein kleiner Kreis von Leuten hatte sich um uns geschart. Anscheinend kommt es nicht so häufig vor, dass eine dreißigjährige Frau mitten auf dem Flughafen Heathrow auf dem Boden sitzt, umgeben von ihrem Gepäck, und in Tränen ausbricht.
"Ein Versuch noch?", flehte ich Grandma an, während Federico von einem Neugierigen zum anderen wanderte, um die Leute mit Geschichten über den Grund für meine Tränen aufzuklären.
"Na ja, ich hab's ihr ja gesagt, jawohl, das habe ich", versicherte er seinem Publikum. "Ich habe ihr gesagt, als sie dorthin zog: 'Du kannst diesen Franzosen nicht trauen.' Wegen ihrer politischen Geschichte, von der ich übrigens ein großer Fan bin, vor allem von dieser bewundernswerten Marie Antoinette ... Haben Sie den Film gesehen? Tolle Kostüme, einfach toll, obwohl es die weiblichen Formen ja enorm eingeengt hat. Nein, ich meine, wegen der Sprachbarrieren. Denn man kann doch echt nicht wissen, ob man den anderen wirklich richtig versteht, oder? Wer hat zum Beispiel festgelegt, dass ein pomme ein Apfel ist? Und was ist, wenn die eigentlich auf einen Baum gezeigt haben, als sie pomme gesagt haben, während wir zur gleichen Zeit auf einen Apfel geguckt haben, weil wir gerade hungrig waren, also nennen wir einen Baum einen Apfel, und jetzt sind die Franzosen total verwirrt, weil's bei uns im Supermarkt so viele verschiedene essbare Bäume gibt? Na, das ist doch ein totales Chaos, jawohl!"
"Wie kann es angehen, dass er mit einer anderen zusammen ist?", wollte ich von meinem Publikum wissen, das aus neunzehn Frauen unterschiedlichen Alters sowie einem Sicherheitsmenschen namens Albert bestand. Der andere Sicherheitsbeamte, Jim, war losgegangen, um mit den Leuten vom britischen Zoll zu sprechen, die Angst hatten, dass ich eine Selbstmordattentäterin war. "Wie kann das sein?", fragte ich erneut. "Wenn ein Mensch für einen anderen bestimmt ist, dann muss er sich doch total unvollkommen und eingeengt fühlen, so wie ein Puzzleteil, das man an den falschen Platz legt. Er ist im falschen Puzzle!", verkündete ich, wobei sich meine Stimme schon fast überschlug. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in Terminal fünf auf dem Londoner Flughafen Heathrow glaubte, dass Gabriel am falschen Platz im einem Puzzle lag, es sei denn, ein Puzzle war eine schmutzige Metapher. "Also, was soll ich tun?"
"Vielleicht könnte sie versuchen, ihn noch ein letztes Mal anzurufen, ein allerletztes Mal?", meinte eine Dame nervös zu meiner Grandma.
Ich schaute in die Gesichter des menschlichen Zaunes, der um mich herum errichtet worden war, und sah, dass alle zustimmend nickten. Grandma seufzte. Also schaltete ich mein Handy laut und drückte zum letzten Mal die Wahlwiederholung. Ich hielt das Telefon in die Luft, damit alle mithören konnten, und sah die anderen an. Die anderen sahen mich an. Dann sahen wir alle auf das Telefon.
"Hi, hier ist Gabriel, ich kann im Moment nicht ans Telefon kommen, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufe ich zurück."
Daraufhin schwiegen alle ein bisschen. Genau genommen glaube ich nicht, dass man ein bisschen schweigen kann. Es ist eine Sache von entweder oder. Wir schwiegen. Und niemand mochte mir in die Augen sehen.
Also schaltete ich mein französisches Handy endgültig aus und reichte es Grandma Josephine, die es umgehend in den nächstgelegenen Mülleimer warf.
Dann saß ich einfach nur da, auf dem gut polierten Fußboden im Terminal fünf des Flughafens Heathrow, saß einfach da, umgeben von sämtlichen meiner irdischen Besitztümer, und weinte und weinte und weinte noch ein bisschen mehr. Wenn jede Träne ein Stück meiner Seele war, dann würden sie mich nie wieder zusammenflicken können.
SECHS MONATE SPÄTER ...
Es ist das, was ich wirklich am meisten hasse - okay, abgesehen von den Geräuschen, die jemand beim Essen macht. Der erste Platz geht auf jeden Fall an die Geräusche, die die Leute machen, wenn sie essen, vor allem die Kau- und Schluckgeräusche hasse ich, aber auch alles, was vorher passiert - das Klirren von Messer und Gabel auf dem Teller, wenn es in einem Zimmer ganz ruhig ist, das Geräusch, wenn jemand seinen Mund voller Spucke öffnet, und am allerschlimmsten ist es, wenn jemand mit der Gabel gegen die Zähne stößt, während er sein Essen in sich hineinschaufelt. Zugegeben, man kann wohl sagen, dass ich ein klitzekleines Problem mit Essgeräuschen habe. Aber gleich danach, gleich hinter dieser Sache mit den Essgeräuschen, hasse ich am allermeisten Liebeskummer, und dabei muss ich mich täglich bei der Arbeit damit abplagen, denn nach dem "Vorfall" auf dem Flughafen Heathrow, Terminal fünf, hat mein Freund Federico mich dazu überredet, mit ihm in der Redaktion der Zeitschrift „True Love" zu arbeiten.
Ursprünglich war es Grandma Josephines Idee gewesen. Sie hatte gemeint, es sei wichtig, dass man sich beschäftige, wenn man sich innerlich leer und zerbrochen fühle. Dann hatte sie noch was davon gesagt, dass man seine eigene Miete zahlen müsse, bevor sie etwas über Inflation und steigende Milchpreise gemurmelt hatte. Also gehe ich jetzt jeden Tag zusammen mit Federico zur Arbeit, und dort werde ich mit einer Vielzahl von grässlichen Essgeräuschen und massenhaft Liebeskummer konfrontiert, obwohl unsere Leserinnen nie etwas von dem Liebeskummer erfuhren. Nein, bei „True Love" sah alles nach eitel Sonnenschein und Liebesglück aus, und ich hasste das, ich hasste diesen eitel Sonnenschein und das angebliche Liebesglück.
"Na, das ist ein pussymäßiges Rätsel, genau das ist es", sagte Chad, während er um den riesigen herzförmigen Tisch herumging, der in der Mitte des riesigen herzförmigen Konferenzzimmers stand. "Wann, zur Pussy, haben wir das letzte Mal so viel Post bekommen?", wollte er bei seiner zweiten Runde durchs Zimmer wissen. Loosie, seine aufdringliche vierundzwanzigjährige amerikanische Assistentin, schritt hinter ihm her und blätterte wie ein unangenehmer Linienrichter in ihrem Notizblock.
"2001, Chad", sagte sie und blätterte zur richtigen Seite. "Gleich nach dem Anschlag am 9. September."
"Was, zum Teufel, hab ich denn dann verpasst?", wollte Chad wissen und schaute jeden im Raum an. "Warum stehen hier siebenundzwanzig Säcke voll mit Post? Worüber, zur Hölle, haben wir im letzten Monat geschrieben?" Es war allgemein bekannt, dass Chad noch nie seine eigene Zeitschrift gelesen hatte. Er überprüfte nicht einmal den Inhalt, bevor er in den Druck ging. "Was hatten wir für Anzeigen drin?", fragte er in die Runde. "Hat die verdammte Post mal wieder alles versaut und vergessen, uns die Briefe für die letzten pussymäßigen elf Jahre zuzustellen? Was, zur Pussy, war in den letzten Ausgaben so aufregend?"
Sämtliche Kollegen drehten sich langsam zu mir herum, um mich anzustarren. Sie sahen in etwa so aus wie die Pantomimen mit den weißen Gesichtern, nur sehr viel Angst einflößender. Ich sagte, sämtliche Kollegen drehten sich zu mir herum, doch das stimmte nicht ganz. Chad bildete die Ausnahme. Der hatte gerade seine dritte Runde durchs Zimmer angetreten, marschierte um seinen ganz besonderen Tisch, während er ziemlich geräuschvoll einen roten Apfel in sich hineinstopfte.
Besagter Konferenztisch war riesig, eine Maßanfertigung und das Geistesprodukt von oben erwähntem Chad. Er hatte einen herzförmigen Tisch mit einer rosa gefärbten Tischplatte haben wollen, auf dem die Worte „True Love" per Sandstrahl verewigt worden waren; und er hatte einen Platz haben wollen, um die Füße draufzulegen. Er hatte einem italienischen Tischler viel Geld dafür gezahlt, um dieses Teil herzustellen, den Tisch und einen dazu passenden herzförmigen Stuhl, der mit knallrotem Samtstoff bezogen war und auf beängstigende Weise aussah wie eine Muppet-Figur von der Schattenseite der Sesamstraße. Seit ich bei „True Love" arbeitete, hatten sich schon achtzehn Mitarbeiter an dem riesigen Tisch verletzt. Allein sieben hatten sich an der scharfen Kante der Glasplatte gestoßen; die Herzspitze hatte bei zwei Kollegen zu Blutverlust geführt; und Dave aus der Marketingabteilung hatte sich vor fünf Monaten sein Knie angeschlagen und humpelte immer noch. Der Tisch war extrem gefährlich, und das wusste Chad auch.
"Es ist ja nicht nur die Post, Chad", sagte Loosie und warf mir einen bösen Blick zu, während sie eine weitere Seite in ihrem Notizblock aufschlug. Federico gab einen merkwürdigen Laut von sich. Wenn er gekonnt hätte, wäre er vermutlich in die Nespresso-Maschine geklettert und hätte sich dort ertränkt. Ich hatte mir ganz bewusst einen Platz in der Nähe der Tür gesucht, weil ich in dem Moment, als der Postbote aufgetaucht war, gewusst hatte, dass wir bis zu 27 Säcke tief in der Bredouille steckten, und ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich schämen, davonzulaufen. Nachdem man mich nur mithilfe von Psychotherapeuten vom Flughafen Heathrow wegbekommen hat, ist mir gar nichts mehr peinlich.
Loosie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Federico kauerte sich zusammen, als würde er im nächsten Moment eine Explosion erwarten. Ich beugte mich vor und legte meine Stirn auf die kühle Glasplatte des Konferenztisches. Nie im Leben würden wir damit durchkommen.
Die Sache war nämlich die, mein Job bei „True Love" sollte eigentlich total einfach sein, und damit meine ich, dass eigentlich keine Möglichkeit bestand, irgendetwas zu vermasseln. Das Einzige, was ich tun musste, war, die Briefe zu lesen, die unsere Leserinnen uns schickten, und sie dann umzuschreiben, damit sie interessanter klangen. Mehr nicht. Unsere Leserinnen schrieben uns (meistens zu Hunderten) und teilten ihre Liebesgeschichten mit uns. Sie schrieben uns, wie sie ihre wahre Liebe getroffen hatten oder was sie alles aufgegeben hatten, um ihre wahre Liebe zu retten, oder wie sie vielleicht ihre wahre Liebe wieder entfacht hatten. Daraus suchte ich mir die besten aus, rief die Frauen an, führte ein Interview mit ihnen und fasste ihren ganz besonderen Moment dann zu einem tausend Wörter umfassenden, herzzerreißenden genialen Text zusammen - für ein winziges Gehalt und ohne dafür jemals auch nur ansatzweise Anerkennung als Autorin zu bekommen. In der Welt der Autoren gehöre ich zum Bodensatz. Ich werde Ghostwriter genannt und bin tatsächlich ein Geist, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ach übrigens, bevor ich fortfahre, möchte ich noch kurz festhalten, dass ich eine hoffnungslose Romantikerin bin. Ich liebe die Liebe und warte wie Aschenputtel geduldig auf meinen Märchenprinzen, der auf einem Pferd, einem Esel oder meinetwegen auch in einer der typischen schwarzen Londoner Taxen daherkommt. Oder zumindest war es so. Mein Märchenprinz sollte mich entführen, mich an einen tollen Ort bringen und mir sagen, dass ich mir weder Sorgen um die unglaublich hohen Immobilienpreise zu machen bräuchte noch um die Finanzierung meiner Rente. Natürlich sollte mein Prinz gut aussehen, humorvoll sein, meine innersten Gedanken lesen können und einen mittelgroßen bis gigantischen Penis haben. Aber die Leserinnen von „True Love" berichteten mir immer wieder, dass keine große Chance bestand, dass überhaupt ein Märchenprinz aufkreuze, und wenn, dann sei das erst der Anfang aller Sorgen, die man in Sachen Prinz haben könne. Denn es war durchaus möglich, dass der Prinz nicht die oben genannten, genau umrissenen Charaktereigenschaften aufwies; genau genommen hatten einige Leserinnen verlauten lassen, dass ihr Märchenprinz nicht eine einzige davon besaß. Und trotzdem verliebten sie sich alle, nur um dann festzustellen, dass Liebe Aufmerksamkeit erfordert; Liebe erfordert Kompromisse; Liebe erfordert Zugeständnisse. Liebe ist schwierig am Leben zu erhalten, es ist schwierig, weil man sich ständig kümmern muss, und sie ist nicht kontrollierbar. Im Laufe der Zeit ist fast allen unseren Leserinnen die verdammte Liebe wieder abhandengekommen, und sie wurden wieder zu wartenden Prinzessinnen. Natürlich erfuhr unsere treue Leserschaft nichts darüber. Wir zeigten ihnen immer nur das Endergebnis, wenn alle Teile wieder perfekt zusammengefügt waren. Aber ich sah die Leere dazwischen, erfuhr etwas über "die schreckliche Zeit, als ich ihn verloren habe" oder "Warum war ich nicht gut genug für ihn?" oder "Ich habe fünfzehn Jahre meines Lebens für ihn aufgegeben". "Er wollte keine Kinder"; "Ich habe meinen Studienplatz für ihn aufgegeben". "Ich habe seinetwegen etwas aufgeschoben; bin seinetwegen irgendwo nicht hingefahren; er isst kein scharfes Essen, also habe ich seit zwölf Jahren keine indischen Gerichte mehr gegessen; er mag mich lieber blond, dünn, dick, gebräunt, gewachst, haarig ..."
Frauen schienen sich durchgängig den Wünschen der Männer unterzuordnen, selbst wenn die Männer das gar nicht ausdrücklich forderten. Das habe ich nie gehört, sondern immer nur, dass die Frauen es von sich aus zu tun schienen. Meine Grandma sagt immer: "Unterwirf dich niemals den Männern, Kate, unterwirf sie dir!", und ich denke, damit meint sie, dass man sich darüber klar werden soll, was man mit seinem Leben anfangen will, und dass man dafür sorgen soll, dass der Mann in diese Pläne hineinpasst, statt sich darauf zu konzentrieren, was der Mann für Bedürfnisse hat, um sich dann daran anzupassen, um sich zu verbiegen, zu ändern oder auf faule Kompromisse einzugehen, um es ihm recht zu machen. Ich fand das immer ein wenig verwirrend, denn ich dachte, die Zeiten der Unterdrückung wären längst vorbei. Aber anscheinend war das Unterordnen eine universelle Macht, so wie eine riesige Art von Peitsche oder ein unsichtbares Kraftfeld, das Menschen bei anderen anwenden können. Meine Grandma kennt sich mit solchen Sachen aus, denn sie ist eine bekannte Feministin und obendrein noch eine sehr produktive. Sie hat Bücher und Artikel über alles geschrieben, was mit Frauen und Männern zu tun hat und mit Kraftfeldern der Unterdrückung. Während meiner Kindheit, die ich bei ihr verbracht habe, war ich ständig von Bergen von Manuskripten und Artikeln umgeben. Zusammen mit meinem besten Freund Peter bin ich um die Stapel herumgelaufen, und dabei haben wir so getan, als wären es Papierbäume in Papierwäldern; was eigentlich lustig ist, denn es waren ja Bäume gewesen, bevor sie von irgendwelchen Burgerketten abgeholzt wurden, damit sie dort auf dem frisch abgeholzten Land Kühe weiden lassen konnten, und dann zu Papier verarbeitet wurden, damit wir Papierbäume daraus bauen konnten.
Und das war es, worüber ich in „True Love" schreiben wollte, nicht über die Kühe und die Bäume und die globale Abholzung der Wälder, das gehört wohl eher ins „Time Magazine" als in „True Love", nein, ich wollte, dass in „True Love" über die Dinge geschrieben wurde, die die Liebe stahl. Ich wollte Frauen helfen, loszuziehen und sich diese Dinge zurückzuholen. Ich wollte ihnen helfen, sich all die Dinge zurückzuerobern, die ihnen die Liebe gestohlen hatte. Und ich wollte von ihnen hören, was ich tun sollte, eine dreißigjährige Frau, die sich beziehungstechnisch gesehen auf dem Ground Zero befand und ihr Loveboat, also ihr Traumschiff, verpasst hatte. Besser gesagt war ich von meinem Co-Kapitän in einer herzlosen Meuterei von meinem Traumschiff über Bord geworfen worden, aber das ist reine Semantik, und ich will hier ja niemanden langweilen (aber es ist wahr). Also habe ich das Chad vorgeschlagen. Ich sagte: "Chad, ich möchte losziehen und all das zurückerobern, was die Liebe gestohlen hat. Das soll ungefähr so werden wie bei „Challenge Anneka", aber mit Liebe und einem gelegentlichen Abklatschen, bitte, lass mich das machen, Chad, bitte. Gib mir etwas, woran ich glauben kann, nachdem aus meinem Doppelbett ein Einzelbett geworden ist."
Und ich hatte vor, das weiterzuführen, jeden Tag wollte ich den Frauen helfen, ihre von der Liebe gestohlenen Träume zurückzuerobern, bis der Schmerz in meinem Herzen verschwunden wäre und das Wort „Gabriel" oder „Gabe" - hin und wieder reichte sogar schon ein "Ga" - mir nichts mehr ausmachte oder mich in Tränen ausbrechen ließe. Denn was Märchenprinzen anging, hatte sich meiner als erbärmlicher Schrott entpuppt, und ich vermutete, dass ich nicht die erste Frau war, die feststellen musste, dass der ihr zugedachte Märchenprinz ein bisschen Scheiße war. Doch Chad hatte nur gesagt: "Nein."
Woraufhin ich prompt in Tränen ausgebrochen war, denn seit der Trennung war ich zu einer echten Heulsuse geworden. Vorher hatte ich immer geglaubt, wir Briten wären stoisch und wasserfest, doch jetzt schossen mir die Tränen schnell, reichlich und ohne groß provoziert worden zu sein aus den Augen.
Und bisher war das Kontroverseste, was die Zeitschrift je veröffentlicht hatte, ein vierhundert Wörter umfassender Artikel über die körperlichen Beschwerden bei Liebeskummer gewesen, die tatsächlich vergleichbar waren mit den körperlichen Beschwerden bei Drogenentzug (was zum Trost für all diejenigen, denen es gerade nach einer Trennung richtig schlecht geht, übrigens wirklich wahr ist). Nein, „True Love" hatte stets munter die Vorzüge der Liebe gelobt und den Leserinnen beigebracht, wie sie möglichst viel davon bekommen konnten, was häufig genug durch den Kauf der vielen Produkte, für die Chad in der Zeitschrift werben ließ, ermöglicht werden sollte, damit sie, wenn sie die Liebe schließlich gefunden hatten, an uns schreiben und die Freude mit uns teilen konnten. Das zumindest war der Standpunkt, den die Redaktion bis zum vergangenen Freitag vertreten hat ...
Ach ja, übrigens, bevor Loosie wieder anfängt loszureden, sollte ich vielleicht erwähnen, dass sie es auf mich abgesehen hat, seit ich mich über ihren amerikanischen Akzent lustig gemacht habe - darüber und über die Tatsache, dass sie so schnell und so laut wie eine Schlagbohrmaschine redet, sowie über die alberne Schreibweise ihres Namens ...
"Wie ich schon sagte, Chad, es ist nicht nur die Post." Wütend funkelte sie mich an. "Wir haben eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, dreihundert auf der Hauptleitung, einhundertzwanzig auf dem Nebenanschluss, und dann ist da noch dieses Ding, das sich Fax nennt, das ständig irgendwelche Papierseiten ausspuckt, auf denen offenbar handgeschriebene Mitteilungen stehen. Ich habe in der IT-Abteilung angerufen und denen gesagt, sie sollen das Ding abholen. Außerdem haben wir eine Reihe von Präsentkörben von irgendwelchen Motivationsrednern bekommen, sind von den Verlegern fast sämtlicher Autoren von Selbsthilfebüchern aus Westeuropa kontaktiert worden, und die BBC hat inzwischen schon dreimal angerufen, und Kate, na ja, Kate hat heute anscheinend auch massenhaft Nachrichten bekommen." Sehen Sie, ich hab's doch gesagt, oder nicht? Sie hasst mich. "Ja, massenhaft Leute haben angerufen und gesagt, sie wollen mit Seeräuber Kate sprechen." Oh nein. "Und die meisten Briefe sind anscheinend auch an Seeräuber Kate adressiert." Ich sah quer durchs Zimmer zu Federico, aber der summte leise vor sich hin und blickte in eine andere Richtung. "Und alle, die Kontakt mit uns aufgenommen haben, wollen mit uns über ihre von der Liebe gestohlenen Träume reden."
"Ihre was?"
"Ihre von der Liebe gestohlenen Träume, Chad", wiederholte Loosie, obwohl wir alle wussten, dass Chad sie auch beim ersten Mal genau verstanden hatte.
In dem Moment kam glücklicherweise Dave aus der Marketingabteilung ins Zimmer gestürmt. Besser gesagt, er humpelte herein, weil sein Knie ja wegen des riesigen Konferenztisches verletzt war, aber das klingt weniger dramatisch, also stellen Sie sich vor, er kam hereingestürmt.
"Die Server sind zusammengebrochen!", brüllte er nach dem Hereinstürmen.
"Was heißt hier, der Server ist zusammengebrochen?", hakte Chad nach und wirkte dabei extrem genervt ... und das alles meinetwegen.
"Es ist alles zusammengebrochen, Chad, alles, die Homepage, die Mikroseiten, die Kundenseite, alles, zu viele Leute haben zur gleichen Zeit versucht, auf die Seite zu gelangen." Daves Stimme klang so, als hätte er ein Stück Apfel in seinen Nasenlöchern stecken, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Chad blickte erst zu mir, dann zu Federico und Dave.
"Punkt neun Uhr seid ihr alle morgen früh wieder hier", schrie er, bevor er aus dem Konferenzzimmer marschierte, gefolgt von Dave, der - der Dramaturgie dieser Szene zuliebe - hinter ihm herstürmte.
Copyright © 2013 by Claire Garber
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Autoren-Porträt von Claire Garber
Claire Garber ist eine aufregend neue Stimme am weiten Himmel der Blogs und Themen-Websites. Sie fotografiert, schreibt und reist, am liebsten in Gebiete, in denen viel Schnee liegt: Wintersport ist ihr Schwerpunkt, der auch nicht vorm Après Ski haltmacht. Die Weltenbummlerin ist literarisch im englischen Sprachraum zu Hause.
Bibliographische Angaben
- Autor: Claire Garber
- 2013, Maße: 12,3 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Gabriele Ramm
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862787079
- ISBN-13: 9783862787074
- Erscheinungsdatum: 13.03.2013
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